Jung bleiben, alt werden - Slaven Stekovic - E-Book

Jung bleiben, alt werden E-Book

Slaven Stekovic

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Beschreibung

Der Molekularbiologe und international anerkannte Experte für Longevity Dr. Slaven Stekovic über die Erkenntnisse der Langlebigkeitsforschung  Altern ist ein chronischer Prozess, der mit dem Tag unserer Geburt beginnt. Doch was genau passiert dabei im Körper? Und wie sehr können wir ihn beeinflussen und dadurch möglichst viele Jahre mit hoher Lebensqualität verbringen? Diese Fragen stehen im Zentrum der Langlebigkeitsforschung | Longevity. Als relativ junge wissenschaftliche Disziplin kombiniert sie neueste wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Bereichen der Epigenetik und Genetik, aus der Biologie und der Medizin, und sie zeigt: Je mehr wir unseren Körper und seine Funktionsweisen verstehen, desto besser können wir beim Altwerden jung bleiben. Denn es geht nicht nur darum, wie lange unsere Lebensspanne ist, sondern auch wie gesund und fit wir sie verbringen. Dr. Slaven Stekovic forscht seit Jahren zu den Themen Alterung und Langlebigkeit und erklärt verständlich und fundiert: - wie Zellen miteinander reden und warum sie im Alter zu unangenehmen Gesprächspartnern werden können; - was uns Rhesusaffen über unser Immunsystem verraten; - wieso DNA nicht nur ein Bauplan, sondern eine ganze Bibliothek ist, was in den einzelnen Büchern steht und wieso es wichtig ist, das richtige Buch zur richtigen Zeit aufzuschlagen; - das Potenzial von Wissenschaft und Technologie - ethische, gesellschaftliche und soziale Aspekte der LanglebigkeitKlappentext Der Alterungsprozess ist seit Jahrtausenden ein Gegenstand der Wissenschaft. Aber erst seit Kurzem besitzen wir die technischen Möglichkeiten und Methoden, um tiefer in das Innere eines Menschen blicken zu können – in die Chemie der Zellen und Organe, das Verhalten verschiedener Moleküle und ihr Miteinander, in die dynamische Natur der Biologie und deren Abhängigkeit von äußeren Einflüssen. Wir können heute auch erkunden, welche physischen Konsequenzen unsere alltäglichen Entscheidungen verursachen und ob und in welcher Form diese uns im Alter stärken oder schwächen. Und doch gibt es noch eine Menge Aspekte, die bislang unentdeckt sind oder gerade zum allerersten Mal in den Fokus rücken. Der menschliche Körper ist ein absolutes Wunderwerk der Natur, im Großen wie auch im ganz Kleinen. Der wissenschaftliche Fortschritt, die immer bessere medizinische Versorgung, die Zurückdrängung natürlicher Feinde, das steigende Hygienebewusstsein, das wachsende Wissen über Ernährung und die Wichtigkeit von körperlicher und psychischer Gesundheit – all das trägt dazu bei, dass wir im 21. Jahrhundert wesentlich länger leben als unsere Vorfahren. Neben diesen in erster Linie äußeren Komponenten, hängt das Altwerden auch von inneren Faktoren ab, denn jeder Organismus, vom Mensch bis zum Bakterium, verändert sich mit der Zeit – altert also. Doch was bedeutet das überhaupt?

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Altern ist ein chronischer Prozess, der mit dem Tag unserer Geburt beginnt. Doch was genau passiert dabei im Körper? Und wie sehr können wir ihn beeinflussen und dadurch möglichst viele Jahre mit hoher Lebensqualität verbringen?

Diese Fragen stehen im Zentrum der Langlebigkeitsforschung. Als relativ junge wissenschaftliche Disziplin kombiniert sie neueste wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Bereichen der Epigenetik und Genetik, aus der Biologie und der Medizin, und sie zeigt: Je mehr wir unseren Körper und seine Funktionsweisen verstehen, desto besser können wir beim Altwerden jung bleiben. Denn es geht nicht nur darum, wie lange unsere Lebensspanne ist, sondern auch wie gesund und fit wir sie verbringen.

Dr. Slaven Stekovic forscht seit Jahren zu den Themen Alterung und Langlebigkeit. Der international anerkannte Experte auf seinem Gebiet zeigt verständlich und fundiert das Potenzial von Wissenschaft und Technologie und spricht auch ethische, gesellschaftliche und soziale Aspekte an.

Dr. Slaven Stekovic

Jung bleiben, alt werden

Neue Erkenntnisse der Langlebigkeitsforschung

Inhalt

Einleitung

1. Was Altern bedeutet – eine Zelle nach der anderen

2. Die Rolle der Gene

3. Ordnung ist alles: die Epigenetik

4. Schlüsselfiguren im Alterungsprozess: die Proteine

5. Treibstoff für den Körper: der Stoffwechsel

6. Das Leben in uns: das Mikrobiom

7. Die Erforschung der Langlebigkeit

8. Das eigene Altern in die Hand nehmen

9. Wie geht es weiter?

Glossar

Anhang

Einleitung

Seit die Menschen denken können, erforschen sie sich selbst. Und damit auch ihre eigene körperliche Veränderung: Der Alterungsprozess ist seit Jahrtausenden ein Gegenstand der Wissenschaft. Aber erst seit Kurzem, seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, besitzen wir die technischen Möglichkeiten und Methoden, tiefer ins Innere eines Menschen zu blicken – in die Chemie der Zellen und Organe, das Verhalten verschiedener Moleküle und ihr Miteinander, in die dynamische Natur der Biologie und deren Abhängigkeit von äußeren Einflüssen. Wir können heute auch erkunden, welche physischen Konsequenzen unsere alltäglichen Entscheidungen verursachen und ob und in welcher Form diese uns im Alter stärken oder schwächen. Und doch gibt es noch eine Menge Aspekte, die bislang unentdeckt sind oder gerade zum allerersten Mal in den Fokus rücken. Der menschliche Körper ist ein absolutes Wunderwerk der Natur, im Großen wie auch im ganz Kleinen.

Der wissenschaftliche Fortschritt, immer bessere medizinische Versorgung, die Zurückdrängung natürlicher Feinde, das steigende Hygienebewusstsein, mehr Wissen über Ernährung und die Wichtigkeit von körperlicher und psychischer Gesundheit – all das trägt dazu bei, dass wir im 21. Jahrhundert wesentlich länger leben als unsere Vorfahren. Doch neben diesen in erster Linie äußeren Komponenten und Reaktionen auf Bedingungen von außen hängt das Altwerden auch von einer Reihe innerer Faktoren ab. Denn jeder Organismus, vom Menschen bis zum Bakterium, verändert sich mit der Zeit. Er altert also. Doch was bedeutet das überhaupt?

Während der Begriff „Alterung“ im Sprachgebrauch gemeinhin einerseits die steigende Zahl der Jahre seit unserer Geburt beschreibt, steht er andererseits oft für äußere, sich mit der Zeit verändernde Aspekte unserer Erscheinung. Wenn wir landläufig einen Menschen als alt bezeichnen, dann meinen wir damit meist sein Aussehen: graue Haare, eine gebücktere Haltung, faltige Haut. Aus diesem Blickwinkel ist Altern eher negativ behaftet, es ist ein Ersatzbegriff für die Reduktion von all dem, was unsere Gesellschaft als jugendlich und damit oft auch schön empfindet. Diese ästhetische Dimension ist aber nur ein kleiner Teil dessen, worum es wirklich dabei geht. Aus biologischer Sicht verändert sich der Körper beim Prozess der Alterung auf eine Weise, die nur unter bestimmten Bedingungen und mit hohem Aufwand teilweise rückgängig gemacht werden kann. Denn all die ästhetischen Veränderungen, die wir alltagssprachlich als Altern bezeichnen, sind nur ein Symptom des Alterns. Wissenschaftlich betrachtet handelt es sich um einen Funktionsverlust, der alle kleinen und großen Teile des Körpers betreffen kann, also einzelne Zellen, oder auch größere Einheiten wie Organe – die ebenfalls „nur“ eine riesige Ansammlung von Zellen sind – bis zu den Organsystemen und dem ganzen Organismus.

Vor rund einem Jahrzehnt hat sich eine Gruppe Wissenschaftler zum Ziel gesetzt, eine Klassifikation des Alters und damit eine Liste der entscheidendsten Faktoren des Altwerdens zu erstellen. So wurden 2013 nach intensiver Forschung und Beratung neun Charakteristika des Alters festgelegt. Darunter finden sich neben der genetischen Instabilität, also der Tatsache, dass die DNA in unseren Zellen mit der Zeit kaputt wird, auch epigenetische Veränderungen, also welche Gene in welcher Situation zum Einsatz kommen – wie also unsere Gene auf das reagieren, was wir erleben. Auch die Veränderung und der Verlust der Proteinerhaltung in den Zellen wurde als ein Charakteristikum des Alterns festgelegt, genauso wie die zunehmend fehlerhafte Funktion der Mitochondrien, wichtiger Energieproduzenten des Körpers. Die abnehmende Regulierung und Aufnahme der Nährstoffe gehört ebenfalls dazu.

Einige Jahre später wurde die Liste um fünf Punkte erweitert, entsprechend dem wissenschaftlichen Fortschritt, der sich nicht nur in Bezug auf die Langlebigkeitsforschung heute schneller bewegt als jemals zuvor. Die neuen Punkte schließen auch die Autophagie mit ein – dieser „Recyclingmechanismus“ der Zellen, in deren Verlauf beschädigte Teile abgebaut werden, funktioniert im Alter nicht mehr so gut. Es kommt außerdem zu einer Mikrobiom-Instabilität: Die Bakterienlandschaft unseres Körpers wird irgendwann weniger vielfältig und anfälliger für Schäden. Entzündungen, die eigentlich ein positiver Abwehrmechanismus der Zellen sind, nehmen zu oder hören nicht mehr auf, werden also chronisch und damit zu einem Problem für den Organismus. Man könnte die 14 Punkte dieser Liste auch so zusammenfassen: Je länger ein menschlicher Organismus arbeitet, desto mehr seiner Funktionen werden fehlerhaft. Aufhalten lässt sich dieser Prozess nicht, das System aber regelmäßig zu warten und sich sorgfältig darum zu kümmern, trägt dazu bei, dass es länger reibungslos arbeitet. Wie eine solche Wartung am effizientesten geschieht, ist aktuell ein wichtiger Gegenstand der Wissenschaft, die besonders seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts um einiges schlauer geworden ist.

Mit dem Voranschreiten unseres Lebens nimmt die Funktionsfähigkeit unseres Körpers und seiner Einzelteile also ab – der Körper kann seine Aufgaben irgendwann nicht mehr uneingeschränkt erfüllen. Diese Aufgaben reichen von atmen, essen, trinken und sich vermehren bis zu sich mit anderen unterhalten oder um sie kümmern, ein Teil der Gesellschaft sein und denken. Sieht man genauer hin, sind die einzelnen Funktionen des Körpers noch wesentlich umfangreicher und komplexer: Das Herz muss Blut durch den ganzen Körper pumpen, die Nieren filtern und entsorgen giftige Substanzen, die Lungen holen sich den Sauerstoff aus der eingeatmeten Luft. Das Gehirn leistet den Löwenanteil dieser Arbeit, denn es muss einerseits Signale von außen be- und verarbeiten – wir sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen nicht nur mit unseren Sinnesorganen, sondern auch mit unserem hochentwickelten Gehirn – und dann sofort dafür sorgen, dass ein Schuh daraus wird, wir also verstehen, was passiert, und reagieren können.

Essenziell ist das vor allem in Gefahrensituationen: Wenn plötzlich ein gefährliches wildes Tier vor uns steht, muss das Gehirn Höchstleistungen abliefern. Es sieht zuerst den Wolf, Bär oder Tiger und erkennt ihn dann, basierend auf unseren Erinnerungen oder Erfahrungen, als Gefahr, daraufhin gibt es in Windeseile eine Reihe von Anweisungen. Es sagt dem Herzen, dass es schneller pumpen muss, damit die Organe mehr sauerstoff- und zuckerreiches Blut bekommen und so ebenfalls in höchstem Maße leistungsfähig sind. Es sagt den Muskeln, dass sie stärker arbeiten müssen, damit wir schneller davonlaufen können. Die Sinnesorgane müssen gleichzeitig einen Fluchtweg ausmachen. Obwohl die Chancen in diesem Szenario zugegebenermaßen nicht besonders gut für uns stehen, außer wir sind nicht allein – oder wirklich schnelle Läufer.

Aber nicht nur in Gefahrensituationen dirigiert unser Gehirn ein ganzes Orchester der biochemischen Prozesse, sondern auch in angenehmerem Kontext: Bei einem Kuss findet ein ähnlich komplexes Zusammenspiel verschiedenster Prozesse in unserem Inneren statt. Unsere Sinnesorgane schalten dabei die Störsignale ab und fokussieren stattdessen auf das, was wir unmittelbar spüren, schmecken, riechen oder hören können. Das Gehirn schüttet unterdessen Oxytocin aus, ein Hormon, das das Wohlbefinden steigert und dadurch auch die Bindung zu der anderen Person verstärkt. Es teilt außerdem den Muskeln mit, dass sie sich entspannen können, da es sich um eine sichere Umgebung handelt. Der Blutfluss in die Geschlechtsorgane wird verstärkt, denn unsere Darwin’schen Triebe teilen uns mit, dass wir den idealen Partner für die Welteroberung gefunden haben und unsere Gene unbedingt miteinander mischen sollten. Die Ergebnisse all dieser inneren Vorgänge werden als Erinnerung gespeichert und später immer wieder abgerufen, wenn wir etwa denselben Duft riechen, dieselbe Berührung spüren oder auch dasselbe Lied hören. Zwar nimmt man die meisten dieser körpereigenen Leistungen nicht bewusst wahr, doch im Gegensatz zur Begegnung mit einem Tiger empfiehlt es sich, diese Erfahrung selbst zu machen, um sie besser zu verstehen.

All diese Aufgaben des Körpers werden mit der Zeit jedoch weniger effizient, weniger harmonisch und gehen irgendwann ganz verloren. Die Instrumente in unserem inneren Orchester sind verstimmt, der Dirigent abgelenkt und die Musiker haben das Stück nicht ausreichend geübt. Von einer Symphonie kann man nur noch träumen. Nicht einmal ein „Alle meine Entchen“ klingt mehr sauber. Das ist es, was Biologen und Mediziner am Altern fasziniert. Sie beschäftigen sich deshalb mit vielen Fragen: Können die Instrumente neu gestimmt werden? Kann man den Dirigenten dazu bringen, sich besser zu konzentrieren? Ist die Show noch zu retten?

Molekularbiologen sehen dann noch etwas genauer hin und untersuchen, was eigentlich zu diesem Funktionsverlust geführt hat. Wovon ist der Dirigent abgelenkt? Gibt es einen Grund dafür, dass die Instrumente verstimmt sind? Und warum haben die Musiker das Stück nicht geübt? Oder anders formuliert: Welche Ereignisse geschehen, bevor ein Organ aufgibt, was dann den gesamten Körper in Gefahr bringt? Finden wir im Blut irgendwelche Hinweise darauf, bevor es zu spät ist? Und was genau passiert in den einzelnen Zellen? Denn die sind schließlich die Bausteine unseres ganzen Körpers. Das macht sie zum Schlüssel für unser Leben – und auch für unser Altern.

1. Was Altern bedeutet – eine Zelle nach der anderen

Innerhalb unseres Körper befindet sich ein ganzes Universum aus Zellen. Lange Zeit war man überzeugt, dass die Anzahl an Nervenzellen eines Menschen bei der Geburt feststehe. Doch inzwischen, und zwar erst seit relativ kurzer Zeit, wissen wir, dass sie im Laufe unseres Aufwachsens und unserer Entwicklung mehr werden und sich auch regenerieren können. Sogar unser Gehirn hat die Fähigkeit, neue Zellen zu bilden. Es ist noch keine 100 Jahre her, da dachte man, jedes Gehirn hätte eine bestimmte Anzahl an Zellen und mit denen müssten wir unser Leben lang auskommen. Das führte dazu, dass man früher bestimmte Gehirnareale, die beschädigt waren, verloren glaubte und sie manchmal sogar chirurgisch entfernte, weil sie ihre Aufgabe, dachte man, nicht mehr erfüllen könnten. Heute weiß man, dass das ein verhängnisvoller Irrtum war. Beschädigte oder gar entfernte Teile können zwar nicht nachwachsen, aber kleinere Fehler und Mängel durchaus „repariert“ werden.

Auch in höherem Alter können noch neue Gehirnzellen gebildet werden. Nur ist der Aufwand dafür deutlich höher und der Prozess wesentlich langsamer als in den frühen Lebensjahren. In Bezug auf die Regeneration und Neubildung ist aber unsere Leber ganz weit vorn – sie regeneriert sich in regelmäßigem Abstand von Grund auf. Alle zwei bis drei Jahre haben wir so gewissermaßen ein völlig neues Organ, zumindest, solange die Abbauprozesse nicht zu weit fortgeschritten sind und unser Lebensstil frei von negativen Einflüssen ist, was selten der Fall ist. Beim Gehirn funktioniert das anders. Die Gehirnzellen tun auch in diesem Zusammenhang das, wofür sie da sind – sie erinnern sich an die Vergangenheit, und zwar länger als viele andere Teile unseres Körpers. Sie sind also die „Elefanten“ unter den menschlichen Zellen, denn die vergessen ja nie, zumindest sagt man das so. Weil sich diese Zellen an die Vergangenheit so gut erinnern können, sind sie auch ein beliebtes Modell für die Erforschung der Alterungsprozesse.

Die Zellgesellschaft

Sich selbst erneuern wie die Leberzellen können unsere Gehirnzellen zwar nicht, aber sie haben andere besondere Eigenschaften, die für uns lebens- und überlebenswichtig sind. Denn was das menschliche Gehirn auszeichnet, ist neben der gewaltigen Menge an Zellen, die dort aktiv sind, vor allem die Art, wie diese miteinander arbeiten: Unsere Gehirnzellen leben in einer riesigen Gemeinschaft – sie sind miteinander verbunden und untereinander vernetzt. Sie funktionieren im Prinzip ähnlich wie eine Großstadt und wie eine solche haben sie auch verschiedene Ebenen, die das Zusammenleben erst möglich machen. Auch eine Großstadt wie Wien besteht nicht nur aus einzelnen Individuen, die in ihr leben. Was die Gesellschaft ausmacht, ist die Zusammenarbeit der Menschen. Weil wir miteinander arbeiten, denken, leben, uns vernetzen, gegenseitig helfen und zusammenschließen, funktioniert eine Stadt: Wir haben Krankenhäuser, Zeitungen, ein Bildungssystem, öffentlichen Verkehr, Kaffeehäuser. Auch unser Gehirn funktioniert, weil die Zellen miteinander arbeiten, sich austauschen, Aufgaben delegieren und übernehmen. Ist eine Zelle beschädigt, übernehmen andere im Normalfall die Arbeit, während sie – falls möglich – repariert wird.

Aber so, wie sich Zellen regenerieren und neu bilden können, können sie auch sterben. Sie können gewaltsam umgebracht werden, etwa von einem Parasiten, einem Virus oder Bakterium, sie können durch mechanische Eingriffe sterben, so wie ein kleiner Schnitt in den Finger Hautzellen zerstört. Sie können an hohem Alter und manchmal auch bewusst sterben. Die Gehirnzellen eines Alzheimerpatienten zum Beispiel begehen oft Suizid: Weil sie so viele alte Lasten mit sich tragen, können sie in der Zellgemeinschaft des Gehirns keinen sinnvollen Beitrag mehr leisten, stören die Umgebung und haben sogar einen negativen Effekt auf die Nachbarzellen. Das „wissen“ sie – und wählen deshalb den Freitod. Denn wenn Gehirnzellen beginnen, falsche Signale zu senden, ist das fatal für den Menschen. Unser ganzer Körper ist schließlich darauf aufgebaut, dass die richtigen Signale zum richtigen Zeitpunkt verschickt werden.

Die Kommunikation zwischen den Zellen funktioniert dabei ähnlich wie ein Gespräch in einer Gruppe von Menschen: Wer etwas beizutragen hat, meldet sich und spricht, die anderen hören zu und antworten dann auf das Gesagte. Zellen reden miteinander, indem sie sich gegenseitig elektrische Impulse senden und chemische Verbindungen austauschen. Das kann Kalzium sein, eine Aminosäure oder auch ein Hormon – unsere Zellen haben einen reichen Wortschatz. Auch dabei ist es aber, wie in einem Dialog, wichtig, zuzuhören, den anderen ausreden zu lassen und dann auf den konkreten Gesprächsinhalt zu reagieren. Eine ermüdete oder überforderte Zelle kann man sich vorstellen wie einen unangenehmen Gesprächspartner, der immer dazwischenredet und dann auch noch von etwas völlig anderem spricht. Das hat zunächst zur Folge, dass die anderen Zellen lauter werden, damit das Gespräch trotz der Störung funktionieren kann. Doch dadurch wird die Störung auch lauter. Und so funktioniert die Kommunikation zwischen den Zellen am Ende nicht mehr, Inhalte kommen nicht an, werden nicht gehört oder falsch verstanden, weil der Umgebungslärm zu groß ist. Irgendwann wird der ermüdeten Zelle dann nahegelegt, still zu sein oder den Raum zu verlassen, denn sie stört das Gespräch.

Je älter die Zellen werden – und ganz besonders, wenn eine neurodegenerative Erkrankung wie Alzheimer vorliegt –, desto mehr verlieren sie ihre Kommunikationsfähigkeit und desto eher werden sie zu schwierigen Dialogpartnern. Dann reden sie zum falschen Zeitpunkt, sprechen zu laut, am Thema vorbei oder sagen überhaupt das völlig Falsche. Anders als viele unangenehme Gesprächspartner merken sie allerdings, dass sie stören und nicht das Benötigte leisten – also entschließen sie sich von allein, zu gehen, bevor sie Schaden anrichten. Doch auch dieser Schutzmechanismus des Körpers hat seine Grenzen. Wenn es nämlich zu viele Zellen gibt, die aus dem Dialog aussteigen, dann wird die Kommunikation irgendwann unterbrochen, weil zu große Teile des Netzwerks fehlen. Es gilt aber, und das ist die eigentlich Definition des Wortes „Gesundheit“, die fehlerfreie Funktion der Zellen möglichst lange zu erhalten. Die Wissenschaft beschäftigt sich deshalb intensiv mit der Frage, wie man die Gehirnalterung verlangsamen kann. Was kann man präventiv dagegen unternehmen, dass sich zu viele Gehirnzellen aus der Kommunikation ausklinken, bis diese komplett zusammenbricht?

Der Funktionsverlust der Zellen ist nicht nur im Gehirn ein Problem, denn Zellgesellschaften gibt es auch in allen anderen Teilen unseres Körpers, und auch dort werden die Zellen mit dem Alter schwächer, weniger leistungsfähig und arbeiten fehlerhaft, was sich mitunter auf den gesamten übrigen Organismus auswirken kann und einen verhängnisvollen Dominoeffekt auslöst. Eine Herzzelle, die nicht mehr richtig kontrahieren kann, wird, genauso wie ein Mensch, der sich nicht bewegt, dick, weil sich in ihr Moleküle anlagern. Dann pumpt das Herz irgendwann nicht mehr so, wie es soll, wodurch Bewegung anstrengender wird und die Organe nicht mehr mit genug Blut und Sauerstoff versorgt werden. Damit wird auch deren Funktion immer schlechter und schwächer.

Deshalb ist die Untersuchung des Alterns aus molekularbiologischer Sicht die Untersuchung der Zellen, deren Funktion und Interaktion. Wenn man sie versteht und möglicherweise auch verändern, optimieren und so wieder „auf Schiene bringen“ kann, dann hat das eine Auswirkung auf den gesamten Organismus. Umgekehrt ist das Alter dadurch auch der größte Risikofaktor für Erkrankungen in unserer Gesellschaft. Man hört immer, es sei Übergewicht, denn Übergewichtige haben tendenziell mehr Herzerkrankungen, öfter Demenz, Depressionen und Gelenksprobleme. Aber das Gesundheitsrisiko Nummer 1, wenn man so will, ist trotzdem das Alter. Das sollte jedoch nicht als Einladung zu Völlerei und Maßlosigkeit verstanden werden. Im Gegenteil: Diese Risikofaktoren gehen oft Hand in Hand und sollten deswegen auf keinen Fall vernachlässigt werden.

Es gibt für beinahe jedes körperliche Problem gute Ratschläge zu dessen Bekämpfung: Wer zu dick ist, sollte weniger Kohlehydrate essen und mehr Sport treiben; wer raucht, sollte schleunigst damit aufhören; wer zu viel Stress hat, sollte Methoden finden, sich zu entspannen; gegen manche Krankheiten helfen Medikamente. Aber was hilft gegen das Altern? Dazu ist es zuerst wichtig, das Alter als das zu sehen, was es ist: Es geht nicht um eine Zahl, die vor den Jahren steht und möglichst gering sein soll, damit alles in Ordnung ist, wir uns gesund fühlen oder zumindest weniger auf uns achtgeben müssen. Alter ist kein numerischer Begriff. Aus biologischer Sicht handelt es sich um einen komplizierten Prozess – und wenn man sich ansieht, wie eine Zelle oder ein Organ funktioniert, dann stellt man fest: Man kann sehr wohl etwas gegen das Altern tun.

Jahrhunderte-, jahrtausendelang haben wir gelernt: Das Leben ist eine Einbahnstraße. Wenn man geboren wird und somit losgefahren ist, kann man nicht stehenbleiben oder umdrehen. Der Körper altert, verfällt und irgendwann stirbt man. Man kann nichts dagegen tun. Die moderne Kosmetikindustrie erzählt uns vielleicht etwas anderes, aber eigentlich war der Tenor immer: Da ist nichts zu machen. Die Molekularbiologie kann dem aber durchaus widersprechen. Denn wir wissen inzwischen, dass sich nicht nur Zellen regenerieren oder sogar neu bilden und Organe, die ihre Funktion verloren haben, gerettet werden können. Wir können noch viel mehr tun.

Die Gene kann man nicht verändern, doch die beeinflussen sowieso nur zu einem Bruchteil, wie alt wir werden. Wo wir aber durchaus eingreifen können, ist etwa die Epigenetik, also welche Teile der Gene gelesen werden; sind die Proteine, also die Bestandteile der Zelle, die die meiste Arbeit machen; die Stoffwechselprodukte; die Bakterien auf der Haut und das Mikrobiom generell – all das beeinflusst unser Altern, und all das können wiederum wir beeinflussen.

Die Entdeckung der Großeltern

Die Idee, sich mit dem Alter auseinanderzusetzen, ist nicht neu. Menschen beschäftigen sich damit, seit sie in der Lage sind, zu denken und zu reflektieren. In der Fachzeitschrift Scientific American erschien 2012 ein Artikel mit dem Titel „Die Evolution der Großeltern“, der sich eigentlich mit der archäologischen Analyse verschiedener Großfunde der Hauptspezies der Menschen beschäftigt: Neandertaler, Australopithecus und Homo sapiens. Wir gehören zu Letzteren und wir wissen inzwischen, dass unsere Vorfahren einst neben anderen Menschenarten gelebt haben, so wie es heute verschiedene Antilopenarten gibt. Der Homo sapiens wurde die dominante Art, unsere Urahnen lebten aber neben dem Neandertaler. Beide dürften auch interagiert und sich vermischt haben.

Die archäologische Funde aus dieser Zeit kann man auch in Hinblick auf die Genetik des Alterns untersuchen. Die Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, ist die Paleogenetik. Die steht jedoch immer zwangsläufig vor demselben Problem: Es gibt so wenige Untersuchungsgegenstände, dass es schwierig ist, von diesen wenigen Zähnen und Knochen auf die gesamte Gesellschaft zu schließen. Ein Ötzi oder eine Lucy ist zwar wissenschaftlich auf vielen Ebenen interessant, aber sie sagen eben nur bedingt etwas über die gesamte Gesellschaft der damaligen Zeit aus.

Für den Artikel aus dem Jahr 2012 haben sich mehrere US-amerikanische Forschergruppen zusammengetan, größere Mengen an Funden aus prähistorischer Zeit untersucht und nachgesehen, wie alt diese Menschen waren und woran sie möglicherweise gestorben sind. Das untersucht man mit genetischen und epigenetischen Methoden, indem man sich ansieht, welche Gene zum Zeitpunkt des Todes aktiv und wie funktionsfähig die Teile, die man gefunden hat, da noch waren. Das funktioniert deshalb nur bei Zähnen und Knochen, weil diese, unter Gesteinsschichten konserviert, über sehr lange Zeit bewahrt werden. Knochen verfallen dabei eher als Zähne. Denn obwohl beide widerstandsfähige Materialien sind, sind Knochen zwar an sich hart, ohne Skelett wären wir schließlich nur ein formloser Klumpen, aber in ihrem Inneren befindet sich viel organisches Material. Dieses zerfällt relativ leicht und wird mit der Zeit von Bakterien verarbeitet. Zähne dagegen haben nur wenig organisches Material in sich, sie sind sehr dicht verpackte mineralische Ablagerungen, die sich deshalb gut über die Jahrtausende erhalten, deswegen sind sie am besten geeignet für archäologische Untersuchungen: Man kann etwa untersuchen, wie abgenutzt ihre oberste Schicht ist, was wiederum Aufschluss darüber gibt, was in welcher Form gegessen wurde. Wenn die Zähne sehr abgenutzt sind, ist das ein Zeichen dafür, dass die Menschen ihre Nahrung noch nicht besonders gut waschen konnten und viel Erde und Gestein mitgegessen haben. Denn wenn ein Zahn auf einen Stein trifft, gewinnt fast immer der Stein. Und auch wenn Zähne auf Knochen treffen, also beim Abnagen von Fleisch, nützen sie sich ab. Neben der Untersuchung der Ernährungsgewohnheiten anhand der Oberflächenanalyse der Zähne kann man daraus aber auch das genetische Material – die Desoxyribonukleinsäure oder DNA – isolieren. Diese beinhaltet die Informationen, die den Individuen von ihren Eltern mitgegeben werden. So kann man sich die Familiengeschichte über mehrere Generation ansehen: Waren alle in derselben Region zu Hause oder sind sie viel herumgezogen? Haben Sie vorwiegend Fleisch gegessen und von welchen Tieren? Waren Sie großwüchsig? Und anhand dieser Analysen erkennt man auch, wie alt die Menschen ungefähr waren, als sie gestorben sind.

Die Forscher sahen sich einen besonderen Fund aus einer Höhle in Kroatien an: In Krapina wurden seit dem späten 19. Jahrhundert immer wieder Überreste von ungefähr 70 Menschen gefunden. Diese Überreste sind rund 60.000 Jahre alt und bilden damit eine der ältesten großen Menschengruppen, die bisher gefunden wurde. Diese Menschen lebten in einer Zeit, in der es bereits Homo sapiens gab. Sie hatten ein Durchschnittsalter von ungefähr 30 Jahren, wie man anhand der Zähne feststellte.

In Südostasien wurde ebenfalls eine große Ansammlung menschlicher Überreste gefunden. Diese waren sogar 500.000 Jahre alt, und an ihren Zähnen konnte man dieselben Analysen durchführen und stellte dabei fest: Auch diese Menschen waren ungefähr 30 Jahre alt. Dasselbe gilt auch für Funde von Homo sapiens, die ungefähr 20.000 bis 30.000 Jahre alt sind. In diesem Fall waren die Menschen etwas über 30 Jahre alt. Wir wissen aus schriftlichen Belegen, dass auch im alten Griechenland und im alten Rom das Durchschnittsalter bei 30 bis 35 Jahren lag. Das heißt, egal ob man sich die Menschen vor 500.000 Jahren, vor 60.000 Jahren, 30.000 Jahren oder 10.000 Jahren ansieht, kommt man immer auf ein ähnliches Durchschnittsalter weit unter unserer heutigen Lebenserwartung. Das heißt nicht, dass es damals keine älteren Menschen gegeben hätte, es gab durchaus Alte mit 80, 90 oder 100 Jahren. Der erste römische Kaiser Augustus wurde etwa im Jahr 63 vor Christus geboren und starb im Alter von 77 Jahren, auch von manchen Philosophen und Adeligen aus dieser Zeit wissen wir, dass sie weit über 70 wurden. Doch im Durchschnitt starben die Menschen sehr jung. Die Gegenwart steht dazu im krassen Gegensatz: Allein im 20. Jahrhundert hat sich unsere Lebenserwartung beinahe verdoppelt, wir haben also in 100 Jahren vollbracht, was unsere Vorfahren in 500.000 Jahren nicht geschafft haben.

Der Grund für das niedrige Durchschnittsalter über so viele Jahrtausende liegt in erster Linie in der hohen Sterblichkeitsrate der Neugeborenen und Kinder, aber verantwortlich für den oft frühen Tod waren auch Verletzungen, Infektionen und andere heutzutage heilbare Krankheiten. Gestiegen ist das Durchschnittsalter erst signifikant, als wir gelernt haben, diese zu bekämpfen, und als die Lebens- und Arbeitsbedingungen sicherer wurden. Läge der Grund für den Unterschied im Durchschnittsalter zwischen den modernen Menschen und den Höhlenmenschen in den Genen, hätte sich also der menschliche Körper langsam in die Richtung des höheren Alters entwickelt, dann könnten wir das bereits in den Genen der prähistorischen Funde sehen. Den Homo sapiens gibt es seit rund 100.000 Jahren und er ist genetisch in vielerlei Hinsicht anders als der Neandertaler. Ein höheres Durchschnittsalter kann man aber an seinem genetischen Material nicht erkennen – ein Homo sapiens dürfte also nicht älter geworden sein als ein Neandertaler.

Eine Veränderung wird erst in viel jüngeren Funden deutlich. Das liegt, zumindest vermutet die Wissenschaft das, daran, dass die Population der Homo sapiens vor rund 20.000 bis 30.000 Jahren eine kritische Größe erreichte: Es gab einfach mehr Menschen auf der Welt. Die wachsende Anzahl der Menschen führte auch dazu, dass eine soziale Entwicklung stattfand. Man gründete komplexere Gemeinschaften, Siedlungen, soziale Strukturen, die über die Familiengrenze hinausgingen. Durch das Zusammenleben stiegen auch die Arbeitsteilung und ganz grundsätzlich die Sicherheit. Und dann kamen die Großeltern ins Spiel.

Vor etwa 20.000 Jahren bekamen die Frauen im Durchschnitt im Alter von 15 Jahren Kinder und wurden selbst über 30 Jahre alt, es gab also zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte eine bedeutende Anzahl an Großeltern. Mit dieser ging auch die Kindersterblichkeitsrate signifikant zurück, denn das Wissen der Großeltern, wie man überlebt und Kinder großzieht, was essbar ist und was gegen Krankheiten hilft, war plötzlich vorhanden und wurde weitergegeben. Außerdem dürften die Großeltern selbst ebenfalls länger gelebt haben, weil sie eben Teil der Gemeinschaft waren und eine Aufgabe hatten. Etwa zur selben Zeit begannen die Menschen auch, Dinge mithilfe von Bildern festzuhalten und zu notieren. Die Höhlenzeichnungen, die bisher gefunden wurden, stammen etwa aus der Zeit, in der die Übertragung des Wissens auf die nächste Generation als überlebenswichtig erkannt wurde.