Inhaltsverzeichnis
Buch
Autorin
Von Cornelia Nitsch außerdem bei Mosaik bei Goldmann:
Vorwort
JUNGEN - IMMER NOCH DAS BEVORZUGTE GESCHLECHT?
Wunschkind Nummer eins: Junge oder Mädchen?
JUNGEN: WENN SIE NOCH BABYS SIND
Die besonderen Merkmale in dieser Phase
Copyright
Buch
Niemand bezweifelt (mehr), dass Männer und Frauen einfach anders sind. Und daher verwundert es auch nicht, dass Jungen eine andere Erziehung brauchen als Mädchen. Doch das führt oft zu Fragen und Verunsicherung: Welche Vorbilder sind die richtigen? Wieviel Liebe braucht ein Junge? Muss eine Extraportion Bewegung sein? Von der Geburt bis zum jungen Erwachsenenalter begleitet dieser Ratgeber mit Tipps, Beispielen und vielen alltagstauglichen Ratschlägen Eltern durch die Jahre der Erziehung, damit aus kleinen Jungen glückliche Männer werden.
Autorin
Cornelia Nitsch arbeitet als freie Autorin und Journalistin. Sie ist selbst Mutter von vier Söhnen und lebt mit ihrer Familie bei Bad Tölz.
Von Cornelia Nitsch außerdem bei Mosaik bei Goldmann:
Bloß nicht alles richtig machen! (16317)
Schule ohne Bauchweh, Zus. mit Cornelia von Schelling (16347)
Räum endlich dein Zimmer auf! (16366)
Dr. Mama! (16551)
Kindern Grenzen setzen - wann und wie? (16585)
Das Lexikon für Eltern (16422)
Lirum, larum, Fingerspiel (16679)
Pubertät? Kein Grund zur Panik (16559)
VORWORT
Eltern wollen ihre Söhne heute möglichst so erziehen, dass perfekte Männer aus ihnen werden. Mit diesem Vorsatz manövrieren sie sich schnell in eine Sackgasse. Denn ein Kind großziehen kann nicht heißen, ihm ein vorgefertigtes Erziehungsprogramm mit hohem Anspruch überzustülpen in der Hoffnung, dass damit die eigenen Vorstellungen Wirklichkeit werden. Viel erfolgversprechender ist es, wenn die Eltern versuchen, auf ihr Kind einzugehen. Es in seiner Einzigartigkeit wahrzunehmen. Seine Bedürfnisse zu erkennen und weitgehend zu befriedigen. Seine Persönlichkeit zu respektieren. Welche speziellen Bedürfnisse hat ein Kind? Und hat ein Junge besondere Bedürfnisse - andere als ein kleines Mädchen? In welchen Punkten unterscheidet sich ein Junge besonders von einem Mädchen? Wie weit sollen Eltern im Umgang mit ihrem Sohn darauf eingehen?
In diesem Buch soll von den besonderen Stärken und Schwächen der Jungen die Rede sein, von ihren - im Gegensatz zu früher - veränderten Lebensbedingungen. Die Zeiten, da ein kleiner Junge nur mit Eisenbahn, Schiff und Auto zu spielen hatte und ein kleines Mädchen ausschließlich mit Puppen, sind glücklicherweise dahin. Heute werden Babys auch in puncto Spielzeug gleich behandelt: Dem Sohn wird von seiner Mutter bereits frühzeitig eine Stoffpuppe in die Hand gedrückt, damit sein »männlicher Horizont« frühzeitig erweitert und er nicht schon als Kleinkind wieder auf die alte Jungenrolle festgelegt wird. Und wenn das kleine Kerlchen Monate später bei seinen ersten Laufversuchen strauchelt und sich weh tut, dann bekommt es nicht länger zu hören: »Reiß dich zusammen, ein Junge heult nicht!«, sondern eher: »Wein dich ruhig aus. Das tut dir gut!« Früher musste ein Junge von Anfang an wie ein kleiner Mann auftreten: kernig und robust. Heute darf er auch mal seinen Tränen freien Lauf lassen, kuscheln und Schwäche zeigen. Erwachsene halten sich inzwischen zurück mit alten Sprüchen wie »Ein Junge weint doch nicht!« und »Komm, sei keine Memme!« Seit Jahren ist im Kinderzimmer zunehmend Gleichberechtigung zwischen Jungen und Mädchen angesagt. So ist seltener die Rede von Papis kleinem, zarten »Püppchen« - dem Töchterchen, das sein Liebling ist, oder von Mamis großem, starken Jungen, der bemüht ist, ihre Gunst zu erobern, indem er ihr alles Schwere abnimmt.
Auch im Kindergarten, in der Schule sitzen Jungen und Mädchen inzwischen weitgehend in einem Boot, denn die althergebrachten Privilegien der männlichen Wesen sind auf ein paar Restposten zusammengeschrumpft.
Fazit dieser Beobachtungen: In der Kindererziehung wurde in den vergangenen Jahrzehnten gründlich aufgeräumt und versucht, die traditionellen, starren Rollen durch neue, weniger geschlechtsspezifische zu ersetzen:
• Papis kleiner Liebling will kein schmuckes Püppchen mehr sein, sondern ein selbstbewusstes Mädchen, das sich nicht von kleinen und großen Herren sagen lassen muss, wo es lang geht im Leben.
• Mamis Kuschelbär mag nicht länger als kleiner Kavalier zu Diensten sein, der schon früh lernt, weiblichen Wesen die Steinchen aus dem Weg zu räumen.
Die altgewohnte Erziehung, die Kinder in festgelegte Geschlechterrollen presste, ist also ziemlich passé. Oder gibt es noch Relikte? Wo sind sie zu finden? Dieses Buch zeigt Eltern von Jungen, was sie für ihren Sohn tun können, damit er seine männliche Identität findet, sich zu einem selbstsicheren jungen Mann, authentisch und offen, entwickeln kann und auf festen Beinen im Leben steht.
JUNGEN - IMMER NOCH DAS BEVORZUGTE GESCHLECHT?
Ein Stammhalter muss her, ein Namensträger - generationenlang waren Jungen das auserwählte Geschlecht. Sie waren die Herren der Schöpfung. In der Rangordnung der Familie standen sie bei weitem über den Töchtern. Inzwischen verändert sich diese Ordnung. Die Jungen werden zunehmend entthront.
Wunschkind Nummer eins: Junge oder Mädchen?
Kündigt sich ein Baby an, dann hat bei der vorangegangenen Zeugung der Mann entschieden, ob ein Junge oder ein Mädchen auf die Welt kommen wird, denn seine Samenzelle enthält entweder das Y-Chromosom für einen Jungen oder das X-Chromosom für ein Mädchen.
Junge oder Mädchen? »Nicht so wichtig«, lautet die Antwort meistens, wenn man werdende Eltern nach ihren Wünschen fragt. »Ist uns beides recht!« Die Mütter und Väter von heute wollen keinen großen Unterschied in der Erziehung von Junge und Mädchen mehr sehen. In der Praxis setzen sie dann doch verschiedene Maßstäbe an - manchmal schon, bevor das Baby überhaupt auf der Welt ist.
Die Babywelt in Himmelblau tunken?
Die geschlechtsspezifische Erziehung beginnt oft schon in der Schwangerschaft - wenn die Eltern das Kinderzimmer einrichten. Dank Ultraschall wissen heute viele frühzeitig, ob das Baby ein Junge oder ein Mädchen sein wird. Bevor das Kind noch auf der Welt ist, stellt sich damit bereits die Frage: »Sollen wir das Mädchenhafte oder Jungenhafte besonders betonen?« Diese Frage bezieht sich auf reine Äußerlichkeiten wie: »Sollen wir, weil ein kleiner Junge geboren wird, wieder alles in Himmelblau halten - so wie es generationenlang Usus war? Sollen wir blaue Hemdchen und Höschen anschaffen?«
Die meisten werdenden Eltern halten nichts mehr von dem Brauch, alles in Himmelblau oder Rosarot zu tunken, weil Form manchmal eben doch Inhalt ist. Sie wollen nicht gleich wieder in die alten, ausgetretenen Fußstapfen treten, sondern einen Neuanfang wagen - auch in Äußerlichkeiten.
Deshalb lassen sie sich auf die traditionellen Jungenoder Mädchenfarben gar nicht erst ein, sondern stellen von Anfang an klar: Weg mit den alten Etiketten. Und was bevorzugen sie stattdessen? Rosa für das Babyzimmer des kleinen Sohnes? Himmelblau für das der kleinen Tochter? Viele merken hier, wie tief verwurzelt die alten Gewohnheiten und Vorurteile in ihnen sind. Wer stattdessen lieber auf zitronengelb, eierschalenweiß, maiengrün oder schlicht rot zurückgreift, ist aus dem Schneider und umschifft damit elegant die erste Klippe einer geschlechtsspezifischen Erziehung.
Erinnerung an Kinderzeiten
■ Während der Schwangerschaft fällt ihr Christian wieder ein - die Babypuppe mit der Kurzhaarfrisur und einem Balg aus Stoff. Lang ist es her, dass sie mit Puppen gespielt hat. Aber die Erinnerungen daran kommen jetzt wieder hoch.
Christian war streng nach Vorschrift himmelblau von Kopf bis Fuß gewandet - so wie das eben zu sein hatte bei den kleinen Jungen damals. So sehr sie Christian auch liebte, war sie doch enttäuscht von dieser Puppe. Sie konnte Christian nicht richtig kämmen, denn die Kurzhaarfrisur gab nicht viel her. Konnte ihm keine Schleifen ins Haar binden. Konnte ihn nicht mit ihrer Lieblingsfarbe Rosarot schmücken. Rosa - das war die Farbe ihrer Mädchenträume: leuchtend wie Bonbons. Himmelblau - das war nichts Tolles. Nur kühl und ziemlich langweilig.
Der Stammhalter hat ausgespielt
Wer intensiver nachfragt, bekommt öfter zu hören, dass viele Eltern allen Beteuerungen zum Trotz doch ihre speziellen Jungen- oder Mädchenträume haben, und die heißen vielleicht:
• »Ich wollte immer schon einen Sohn haben!«
• »Wenn es kein Junge wird, werden wir ziemlich enttäuscht sein!«
Wird der Traum wahr, hängt der Himmel voller Geigen. Geht der Wunsch dagegen nicht in Erfüllung, ist das heute auch kein Drama mehr. Früher war das anders. Da musste in vielen Familien unbedingt ein Stammhalter und Namensträger her. Dieses Denken ist heute weitgehend überholt - auch dank der neueren Gesetzgebung, die mehr Freiheit bei der Wahl des Nachnamens lässt. Nur noch selten wird eine zukünftige Mutter von ihrem Partner, von ihren Schwiegereltern oder Eltern massiv unter Druck gesetzt mit Sprüchen wie: »Wann kommt denn endlich euer Stammhalter zur Welt?« Auch »gute« Ratschläge wie: »Wenn du viel Milch trinkst, wird es ein Junge!«, sind heute eher die Ausnahme.
Wünschten sich die meisten Paare noch vor wenigen Jahrzehnten eher einen Sohn als eine Tochter, weil der Junge zum Stammhalter, Ernährer und neuen Familienoberhaupt heranwachsen und damit zuständig sein würde für die Versorgung seiner Eltern im Alter, zeichnet sich mittlerweile ein Umdenken ab, so neuere Umfragen. Eine mögliche Erklärung für die Trendwende: Der Aspekt der finanziellen Absicherung hat in unseren Breiten an Bedeutung verloren. Die Eltern von heute sind in der Regel nicht mehr auf materielle Zuwendungen ihrer erwachsenen Kinder angewiesen, sondern im Alter selbst ausreichend abgesichert. Und selbst wenn finanzielle Unterstützung durch die erwachsenen Kinder angesagt sein sollte, haben sich die Gewichte verschoben: Nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen verfügen inzwischen in der Mehrzahl über ein eigenes Einkommen, und deshalb können Töchter ihre Eltern im Notfall ebenfalls unterstützen - so gut wie Söhne.
Viel wichtiger als die materielle Hilfe ist vielen Eltern heute die emotionale Zuwendung ihrer erwachsenen Kinder und eine harmonische Einbindung in deren Familienleben. Mehr Einfühlungsvermögen, mehr Verständnis für ihre Belange, mehr Kommunikation erwarten Mütter und Väter inzwischen von ihren erwachsenen Kindern und zwar vornehmlich von ihren Töchtern, seltener von ihren Söhnen. Eine Tochter wird sich eher um sie sorgen, wenn sie alt und gebrechlich sind, wird sich um sie kümmern - so die Erwartung vieler, und deshalb sind in vielen Familien heute Mädchen eher Wunschkinder als Jungen.
Die Frage, ob und wie ein Junge zu einem ebenso sensiblen, fürsorglichen Wesen werden kann, stellen sich viele dieser Eltern nicht.
JUNGEN: WENN SIE NOCH BABYS SIND
Der Sohn ist endlich geboren. Junge Eltern beobachten ihr Kind neugierig und begeistert, denn jeder Tag bringt Neues. Aus dem hilflosen kleinen Wesen wird schnell ein typischer Junge mit eigenem Kopf und ausgeprägtem Willen.
Alle Babyeltern frönen in der Anfangszeit mit ihrem Kind einer besonderen Lieblingsbeschäftigung: Sie versuchen, sich in ihrem Kind wiederzuerkennen. Die Mutter in ihrer Tochter: »Sie ist genauso hibbelig wie ich!« Der Vater in seinem Sohn: »Der hat das gleiche energische Kinn! Sicherlich auch so ein Draufgänger wie ich!« Von Anfang an nehmen sie Jungen und Mädchen nicht nur unterschiedlich wahr, sondern gehen auch unterschiedlich mit ihnen um.
Wenn man nun das Verhalten der Erwachsenen im Umgang mit ihrem Kind außer Betracht lässt - ist ein kleiner Junge schon zu Beginn seines Lebens in vielem anders als ein kleines Mädchen?
Die besonderen Merkmale in dieser Phase
Es werden zwar mehr Mädchen als Jungen gezeugt, aber es ist erwiesen, dass ein Gros der befruchteten weiblichen Embryonen in den ersten Wochen der Schwangerschaft abstirbt. Zahlenmäßig sind die Söhne den Töchtern also zunächst überlegen: Es werden mehr Jungen als Mädchen geboren.
Später kehrt sich das Bild um: Im Baby- und Kleinkindalter zeigt sich, dass ein Junge, auf den ersten Blick um einiges kräftiger und robuster als seine Altersgenossinnen - neugeborene Jungen wiegen immerhin um die fünf Prozent mehr als neugeborene Mädchen -, oft wesentlich anfälliger und sensibler auf seine Umwelt reagiert als ein Mädchen und deshalb auch häufiger erkrankt. Weltweit sterben mehr Jungen im Säuglingsalter als Mädchen. So werden Jungen häufiger Opfer des plötzlichen Kindstodes. Mädchen sind im Vergleich gesünder, ruhiger, zufriedener und weinen seltener als Jungen. Bislang hat die Wissenschaft noch keine eindeutige Erklärung dafür gefunden, warum männliche Babys körperlich empfindlicher reagieren als weibliche. Man vermutet,
• dass das Nervensystem der Jungen anfangs weniger ausgereift ist als das der Mädchen und damit anfälliger,
• dass Jungen eher unter Stress leiden als Mädchen (was hormonell bedingt ist).
Nur auf den ersten Blick besonders robust
Ein zwei Wochen alter Säugling liegt in seinem Körbchen und weint. Das Leben scheint ihm nicht besonders zu gefallen, denn er schreit viel. Schläft schlecht. Trinkt wenig. Seine Eltern machen sich Sorgen um ihn.
Die Sorgen sind unnötig. Denn ein kleiner Junge verhält sich als Säugling, statistisch gesehen, anders als ein kleines Mädchen:
• Er weint häufiger. (Drei-Monats-Koliken treten vor allem bei Jungen auf.)
• Er schläft schlechter.
• Er lässt sich schwerer beruhigen.
Ein kleiner Junge reagiert besonders intensiv auf Umweltreize. Ein Reise, ein Ausflug, ein Wetterumschwung - alles, was die Atmosphäre stört und den gewohnten Tagesablauf aus dem Lot bringt, belastet ihn sehr. So reagiert ein kleines Kerlchen auf ungewohnte Geräusche, auf hektische Betriebsamkeit im Durchschnitt wesentlich aufgeregter oder ärgerlicher als eine Altersgenossin.
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich kleine Jungen, wenn sie sich unwohl fühlen, von ihrem Kummer und ihrem Frust durch Spiele und Späßchen nur schwer ablenken lassen. Kleine Mädchen sind da »pflegeleichter«. Bei ihnen greifen Ablenkungsmanöver eher. Es dauert in der Regel ein Weilchen, bis die Frustationstoleranz bei einem kleinen Burschen zunimmt.
Je größer und schwerer ein Baby, desto schwieriger ist meist seine Geburt. Und da Jungen bei ihrer Geburt in der Regel größer und schwerer sind als Mädchen, haben sie oft auch eine schwierigere Geburt als ihre zierlicheren Altersgenossinnen. Weil ein Junge an den »Nachwehen« seiner anstrengenden Geburtsstunden noch wochenlang leidet, ist er in seinen ersten Lebenswochen vielleicht besonders unruhig und schwierig, wird von Fachleuten vermutet.
Ist ein kleiner Junge besonders unruhig, beginnt damit nicht selten ein Kreislauf, der sich langsam zu einer Spirale hoch schraubt: denn weint der kleine Knirps alle naselang, stehen seine Eltern schnell unter Strom und reagieren dann
3. Auflage
Originalausgabe Oktober 2002
© 2002 Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Annette Barth
Kö · Herstellung: Max Widmaier
eISBN : 978-3-641-03460-3
www.goldmann-verlag.de
Leseprobe
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