Kinder gezielt fördern - Cornelia Nitsch - E-Book

Kinder gezielt fördern E-Book

Cornelia Nitsch

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Beschreibung

Glückliche Kinder, die ihre Begabungen optimal entfalten können, sind auch fit für die Anforderungen der Zukunft: Deshalb wollen viele Eltern heute ihren Nachwuchs bewusst fördern. In dem GU-Ratgeber Kinder gezielt fördern erfahren Sie, wie sich Kinder vom 1. bis 7. Lebensjahr in den entscheidenden Bereichen entwickeln: Sinne, Motorik, Kreativität, Intelligenz, Sprache, Musikalität, Persönlichkeit und Sozialverhalten. Für jeden dieser Bereiche finden Sie viele originelle Spiele und Anregungen, mit denen Sie Ihre Kleinen fördern können - gezielt und mit viel Spaß für Sie und Ihr Kind. Übersichtstabellen helfen, aus den über 350 Spielen schnell jeweils genau das richtige für die aktuellen Bedürfnisse des eigenen Kindes zu finden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 338

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Über 350 Spiele für die sieben wichtigsten Begabungsbereiche

Dieser GU-Ratgeber bietet Ihnenfundiertes Wissenzur kindlichen Entwicklung, kombiniert mit einemgezielten Förderprogrammund zahlreichenschönen Spielideen:

Was Kinder klug und glücklich machtDas Leben mit allen Sinnen genießenDranbleiben: Bewegung hält gesundKreativität: vom Spinnen und TräumenDenken macht Spaß!Die Sprache – eine Brücke zueinanderMusik: Balsam für Gehirn und SeeleDas Ich und das Wir entdecken

WIE VIEL ANREGUNG BRAUCHT EIN KIND?

Kleine Kinder sind große Forscher und begeisterte Fragensteller, neugierig auf alles: »Mal hören, wie das klingt, wenn ich die Küchentür ganz fest zubollere. Mal fühlen, wie das ist, einen nassen Lappen in der Hand zu halten. Mal sehen, was in der Kanne ist!« Begeistert untersuchen sie alles, was ihnen in die Finger kommt – wenn man sie nur experimentieren lässt.

Sie einfach nur lassen – reicht das? Viele Eltern fragen sich heute, ob ihre Kinder im Alltag wirklich die Impulse bekommen, die ihre Entwicklung ankurbeln. Oder braucht ein Kleinkind, ein Vorschulkind, bei seinem Tun und Treiben zusätzlich gezielte Anregung durch Geschwister oder Eltern? Viele Fachleute plädieren für Gelassenheit. Normalerweise bietet die Umwelt das, was ein Knirps benötigt. Aber nicht immer findet er diese Schätze von selbst. Oft braucht er Eltern, die sie ihm zeigen.

Dieses Buch will Eltern mehr Sicherheit vermitteln. Es zeigt ihnen, wann ihr Kind bei seinen Spielen und Experimenten Unterstützung und ein bisschen Anleitung brauchen kann, damit es eine Menge vom Leben begreift. Aber: Nur was Kinder aus eigenem Antrieb begreifen, was sie selbst erfahren, prägt sich ein. Kinder, die mit Reizen überflutet werden, die von zu ehrgeizigen Eltern angetrieben werden, schalten schnell ab und verlieren die Lust am Lernen. Deshalb sind alle Vorschläge und Anregungen in diesem Buch als Aufruf an Sie gedacht, sich immer wieder ganz gezielt das herauszusuchen, was für Ihr Kind jetzt gerade besonders wichtig beziehungsweise interessant ist – und nicht als komplettes Programm, das alle zusammen von A bis Z durchüben sollen.

Dieses Buch lädt Sie als Mütter und Väter dazu ein, mit den Augen und Erfahrungen Ihres Kindes das Leben neu sehen zu lernen, es gemeinsam mit ihm Stück für Stück zu erobern und sich bewusst zu machen, wie abenteuerlich die ganz alltäglichen Erfahrungen für kleine Kinder sind: Eine Quarkspeise zu fabrizieren ist Spaß, Geschicklichkeitsübung – und obendrein eine Lektion in Küchenchemie. Eine Gute-Nacht-Geschichte anzuhören ist urgemütlich, außerdem aber auch ein Sprachtraining, das die Fantasie anregt. Ein Spaziergang durch den Wald kann ein Grundkurs in Naturkunde sein. Es ist aufregend, wie viel ein ganz normaler Alltag zu bieten hat, wenn Kinder und Erwachsene nur genau hinhören und hinschauen.

Cornelia Nitsch

Professor Dr. Gerald Hüther

Was Kinder klug und glücklich macht

Den Weg ebnen: Kinder richtig fördern

Recht schwungvoll oder eher etwas gemächlich: Wie die Entwicklung eines Kindes verläuft, hängt auch vom Engagement seiner Eltern ab. In diesem Kapitel erfahren Sie, wie viel Einsatz Väter und Mütter bringen sollten und wie Sie eine sinnvolle Förderung in den Alltag einbauen können.

Das rechte Maß – eine Gratwanderung

Hochzufrieden thront der Dreijährige im Sandkasten und backt einen Sandkuchen nach dem anderen. Viele Mütter und Väter sind unsicher geworden, wenn sie ihrem Kind bei seinen Sandkastenspielen zuschauen. Sie fragen sich: Sind solch simple Sandspiele vielleicht nur verschenkte Zeit, weil ihr Filius in dieser halben Stunde Effektiveres tun könnte? Oder ist diese Spielzeit genau das Richtige für einen Dreikäsehoch?

In Talk-Runden und Zeitungsdossiers wird zunehmend über einen Mangel an Frühförderung geklagt. Eltern kümmerten sich nicht ausreichend um die Entwicklung der Intelligenz bei ihrem Nachwuchs, heißt es da. Auch die Kindergärten böten den Kleinen nicht genug Nahrung für ihre Wissbegierde und Denkfreude. Warum nicht schon die unterforderten Vierjährigen aus dieser misslichen Lage befreien und einschulen?

Andere plädieren dagegen für eine möglichst unbeschwerte Kindheit und für viel Zeit zum Spielen und Träumen.

Und wie beurteilen Wissenschaftler das alles? Die einen weisen darauf hin, dass sich das Gehirn wesentlich in den ersten Jahren entwickle und deshalb frühzeitig vielfältige Anreize brauche, um sich gut zu vernetzen. Das heißt: Eltern sollten genug und gezielte Anreize bieten, um ihr Kind in seiner Entwicklung weiterzubringen.

Andere Experten betonen ausdrücklich, nicht nur die ersten Lebensjahre seien von Belang für eine gute Entwicklung, sondern Menschen lernten ein Leben lang. Sie propagieren mehr Gelassenheit, wollen die Kleinen deshalb selbstvergessen trödeln und träumen lassen – gerade das freie, unbeschwerte Spielen sei sinnvoll.

Doch woran können Eltern sich nun halten? Zuerst sollten Sie sich anschauen, in welchen Punkten sich die Wissenschaftler einig sind, wenn sie über die ersten Lebensjahre sprechen. Hirnforscher, Psychologen, Pädagogen – alle Experten weisen darauf hin, dass kleine Kinder Mütter und Väter brauchen, die sich an ihnen freuen und ihre Begeisterung auch zeigen, die am Werdegang ihrer Kleinen wirklich interessiert sind und ihre Entwicklung kontinuierlich unterstützen.

Wie Sie einen guten Mittelweg finden

Mütter und Väter können einen vernünftigen Kompromiss finden. Sie können ihrem Kind einerseits viel freies Spielen ermöglichen, es andererseits aber auch gezielt und individuell fördern. Das heißt in der Praxis zum Beispiel: Sorgen Sie regelmäßig für ausreichend Bewegung an der frischen Luft. Bieten Sie Ihrem Kind häufig Gelegenheit zum Spielen. Reden, rätseln, malen Sie mit Ihrem Nachwuchs. Denken Sie gemeinsam nach, erfinden Sie zusammen Geschichten und erzählen Sie, was Sie selbst erlebt haben.

Beobachten Sie bei alldem Ihre Kinder: Wie reagieren sie auf Ihre Angebote? Wo ziehen sie begeistert mit? Wann steigen sie aus? So lernen Sie die Vorlieben und die Talente Ihrer Kinder bald kennen – und auch die Schwächen Ihres Nachwuchses.

Was sich da so leicht und schnell aufzählen lässt, verursacht vielen Eltern Kopfzerbrechen: Zeit zum Spielen lassen – kein Problem. Aber Kinder gezielt fördern: Wo ist die Grenze zwischen sinnvollem Programm und Leistungsdruck? Die folgenden vier Punkte helfen Ihnen, einen Weg zur maßvollen Förderung zu finden.

TIPP DAS A UND O: LIEBE

Kinder brauchen vor allem emotionale Sicherheit, um zu gedeihen. Also: Nehmen Sie sich ausreichend Zeit für Ihre Kinder, wenden Sie sich ihnen zu und zeigen Sie den Kleinen Ihre Liebe. So unterstützen Sie ihre gesamte Entwicklung. Dieser intensive Kontakt ist viel wichtiger als die gezielte Förderung der Intelligenz mit fabelhaftem Lernmaterial und pädagogisch wertvollem Spielzeug.

Bitte nicht vergleichen

»Meine Tochter kann schon dieses und jenes!« Oder: »Mein Kleiner ist hier besonders flink!« Junge Eltern beäugen zu gern andere junge Eltern: »Mal sehen, wie die mit allem fertigwerden!«

Ein spannendes Spiel, solange das Vergleichen spielerisch bleibt. Oft jedoch wird ein Wettbewerb daraus, der übermäßigen Ehrgeiz anstachelt. Es überfordert ein Kind schnell, zu hohen Erwartungen und einem Dauerwettbewerb mit seinen Altersgenossen ausgeliefert zu sein. Deshalb bitte nicht wie ein Coach mit den neuesten Förderprogrammen winken oder das eigene Kind andauernd auf das immense Können anderer hinweisen. Statt mit einem »Der Soundso kann aber schon …« zu sticheln, geben Sie Ihrem Nachwuchs lieber Gelegenheit, weitgehend selbst zu bestimmen, was ihm liegt oder was ihm weniger Spaß macht.

Wenn Sie sich Ihrem Kind aufmerksam zuwenden, sehen Sie bald, welche Bereiche das sind. Hier können Sie dann ansetzen, unterstützen und Anregungen bieten.

Möglichst gelassen bleiben

Intelligent sollen sie sein, zu geistigen Höchstleistungen fähig und Erfolg haben. Beim Studium, bei der Ausbildung, bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz: Überall bilden sich lange Schlangen – richtige Nadelöhre, durch die sich unsere Kinder später fädeln müssen.

Nur die Besten hätten eine Chance, heißt es immer wieder. Verständlich, dass viele Eltern gebannt auf dieses in weiter Ferne liegende Ziel schauen: »Wird unser Kind den Herausforderungen gewachsen sein, wird es zu diesen viel beschworenen Besten zählen? Haben wir ihm das mitgeben können, was seine Chancen erhöht?« Kein Wunder bei diesen Bedenken, dass es heute schwerer denn je fällt, der Zukunft ruhig und gelassen entgegenzusehen. Eltern wollen dabei unbedingt alles richtig machen. Und gerade mit diesem Wunsch nach Perfektion stehen sie sich sehr oft selbst im Weg.

Die Aufgabe Ihrer Kinder ist es, das Leben zu erforschen. Und Ihre Aufgabe als Eltern ist es, sich dabei in Gelassenheit und Zuversicht zu üben, denn Ihre innere Haltung werden Ihre Kinder übernehmen. Auch in diesem Punkt – wie in allem anderen – sind Sie wichtige Vorbilder. Und Ihre Kinder brauchen optimistische Vorbilder. Nur so lernen sie, wie man das Leben mit Schwung angeht und meistert.

Kindliche Neugier zulassen

Je weiter der Aktionsradius von Kindern wird, umso neugieriger werden sie. Sie wollen das Leben erobern und begreifen. Beim Rennen und Hüpfen, beim Reden und Malen sammeln sie ständig neue Erfahrungen. Ihr Gehirn wird laufend mit immer neuen Informationen gefüttert.

Kinder, die experimentieren dürfen, sind immer in Aktion: »Was kann ich jetzt noch auseinandernehmen? Wo gibt es Neues zu entdecken?« Wenn sie Blätter im Garten sammeln, fragen sie: »Gleichen sich die Blätter oder unterscheiden sie sich?« Blättern sie ein Bilderbuch durch, dann schauen sie genau hin: »Taucht der Hase von der ersten Seite auf den folgenden Bildern wieder auf?« Sie denken sich immer neue Experimente aus – suchen nach Futter für ihre Wissbegierde. Nebenbei schulen sie ihre Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer.

Die Kunst der Eltern, Erzieher und Lehrer besteht vor allem darin, diese Lernbereitschaft und -freude zu erhalten.

Eltern wissen heute: Ihr Kind wird öfter im Leben »Schlange stehen«. Mit Zuwendung und gezielter Förderung geben Sie ihm die Chance, dabei gut mitzuhalten.

Entwicklung gezielt unterstützen

Setzen Sie die richtigen Schwerpunkte bei der Förderung. Es bringt Kindern nicht sehr viel, wenn sie schon vor Schulbeginn perfekt lesen und das Einmaleins im Kopf haben. Diese Fertigkeiten lernen sie später in der Schule problemlos, wenn die Basis – also die Erfahrungen der ersten Lebensjahre – stimmt.

Wer seine Kinder fördern möchte, sollte sich nicht auf bestimmte Bereiche konzentrieren, zum Beispiel besonders auf ihre sprachliche oder motorische Entwicklung achten, sondern sie im Ganzen fördern und ihre Individualität dabei nicht aus den Augen verlieren.

Wenn alle Fähigkeiten des Kindes gleichermaßen gefördert werden, lassen auch manche Ängste der Eltern nach. Denn oft wird so deutlich, wie individuell jedes Kind ist: Wer als Dreijähriger schon begeistert klettert, hat es vielleicht nicht so eilig mit dem Sprechen – oder umgekehrt. Mit der Zeit holen die Kinder meist in allen Bereichen auf.

Ein Plädoyer für das Spiel

Das Spielen ist Kindern ein tiefes, angeborenes Bedürfnis – der Drang, den Geheimnissen der Menschen und der Dinge auf die Spur zu kommen. Nach welchen Regeln spielt sich das Leben ab? Was hält diese Welt im Inneren zusammen? Dauernd ergeben sich neue Fragen – und Kinder suchen unverzagt nach Antworten, denn sie wollen das große Ganze begreifen.

Die Kinder, die noch richtig und gut und ausgiebig spielen können, sind in der Regel fröhlicher, zufriedener, selbstsicherer, aber auch kompetenter als die Altersgenossen, die ihre Tage vor dem Fernseher verbringen oder schon im Vorschulalter in ein ausgeklügeltes Kursprogramm eingebunden sind.

Die wichtigste Voraussetzung fürs Spielen: Ein Kind muss sich geborgen, sicher, gut aufgehoben fühlen bei vertrauten Menschen, die ihm in einer angenehmen Atmosphäre alle Zeit der Welt für seine Spiele lassen. Hetze, Stress, ein voller Terminkalender – lauter Spielverderber.

Widmen Sie sich beim Spielen in aller Ruhe Ihrem Kind, lassen Sie sich auf seine Vorstellungen ein. Kinder wollen – und sollen – beim Spiel die Hauptakteure sein und vorgeben dürfen, wo es langgeht. Aufgabe der Eltern kann es sein …

> ein Spiel in Gang zu setzen (»Wollen wir heute mal zusammen in den Wald gehen?«),

> einen Rahmen zu setzen (»Mögt ihr bei dem schönen Wetter nicht doch lieber im Garten spielen?«),

> nachzuhelfen, wenn’s mal nicht so recht weitergeht, aber dabei stets eher im Hintergrund zu bleiben.

Spielerisch fit für die Schule

Nicht nur im Elternhaus – auch in vielen guten Kindergärten wird das gefördert, wofür später in der Schule oft nicht so viel Zeit bleibt, etwa das soziale Verhalten, die Entwicklung der Persönlichkeit, Kreativität und die Motorik.

Dazu kommt: Auch wenn das für Laien auf den ersten Blick nicht immer zu erkennen ist, dienen sehr viele alltägliche Kindergartenaktivitäten der Vorbereitung auf die Schule.

> Wer im Stuhlkreis eine Geschichte erzählt, lernt, sich vor andere hinzustellen, und hat dank dieser Übung später vielleicht weniger Scheu, vor der Klasse zu sprechen.

> Wer auf dem Spielplatz im Kindergarten mit anderen Spielregeln aushandelt, kapiert und akzeptiert eher, dass es in der Schule Regeln geben muss.

> Wer fantasievolle Bilder malt, lernt, Probleme kreativ zu lösen.

Fragen und Antworten

Ich bin alleinerziehend, berufstätig und habe nur abends Zeit für meinen fast zweijährigen Sohn. Wie kann ich die Zeit mit ihm am intensivsten und sinnvollsten nutzen?

Mütter und Väter sollten nicht versuchen, die gemeinsamen Stunden zu verplanen, sie vollzupacken mit einem Programm. Wichtiger als irgendwelche Pflichten zu erfüllen: den Tag ruhig ausklingen lassen. Ein Kind freut sich, wenn es spielen kann, wozu es Lust hat. Mama oder Papa muss nicht immer mitspielen, darf aber manchmal. Oft soll der Erwachsene nur zuschauen und sich mitfreuen. Ein Kind, das eine Weile in Ruhe spielen kann, ist meist ziemlich zufrieden mit sich und der Welt. Dieses ungestörte Spielen tut kleinen Kindern gut, fördert sie intensiver als jedes »Programm«: Sie lernen, mit sich allein zu sein und das zu genießen.

Unsere Tochter ist mit ihren fünf Jahren schon sehr weit in ihrer Entwicklung. Es wäre aus unserer Sicht sinnvoll, sie mit fünf einzuschulen. Warum ist die frühere Einschulung nicht längst allgemein üblich?

Viele Kinder sind heute in ihrer gesamten Entwicklung weiter als die Kinder vor 30 Jahren. Manche Bildungsforscher sind deshalb der Meinung, sie sollten mit fünf Jahren – oder sogar schon mit vier – eingeschult werden. Andererseits warnen Wissenschaftler vor starren Festlegungen, da sich Kinder in ihrer Entwicklung heute stärker unterscheiden als früher. Leider gibt es immer mehr Fünfjährige, die beispielsweise in der Sprachentwicklung oder in ihren sinnlichen Fähigkeiten erst so weit sind wie sonst Dreijährige. Andere Kinder gleichen Alters können dagegen in ihrem Können und Wollen mit Siebenjährigen mithalten. Deshalb spielt die individuelle Förderung von Kindern bei allen Planungen eine zunehmend größere Rolle.

Fremdsprachen- oder Physikunterricht im Kindergarten wird heute gefordert. Ich halte mehr davon, mich viel und sinnvoll mit meinen Kindern zu beschäftigen, und zwar möglichst locker und unverkrampft. Ist das richtig?

Viele Experten weisen darauf hin, dass eine gute Förderung wie eh und je vor allem darin besteht, Kindern das zu geben, was sie brauchen, um sich gesund zu entwickeln. Wichtig sind

> viel Zärtlichkeit und Liebe, Zuwendung und Interesse an ihrer Entwicklung;

> Nähe, Wärme, ein gutes Klima in der Familie;

> reichlich Bewegung, viel frische Luft;

> ausreichend Schlaf;

> Spiel- und Freiraum für Experimente

> und neben der Freiheit auch Halt und Begrenzung, wo es sein muss.

Fördermethoden, die kleinen Kindern frühzeitig das Rechnen und Schreiben beibringen wollen, zeigen dagegen weniger nachhaltige Wirkungen. Wenn Eltern das Familienleben gestalten, sich die Zeit dafür nehmen, viel Engagement aufbringen, um mit ihren Kindern zu spielen, zu malen, zu toben, zu basteln – etwa am Wochenende –, dann tun sie genau das Richtige. Mit Eltern, Geschwistern und Freunden zu spielen, zu lachen und zu reden – das ist das beste Fundament einer guten Entwicklung. Dies im Alltag umzusetzen fällt allerdings heute vielen Erwachsenen schwer.

Wie das menschliche Gehirn arbeitet

Beim Spielen, Essen, Toben: Kinder lernen ständig. Eltern können ihrem Kind helfen, auf eine immer komplexere Welt gut vorbereitet zu sein. Auf den folgenden Seiten erfahren Sie, welche Vorgänge im Gehirn ablaufen, wenn Kinder die Welt entdecken, Neues lernen und darüber nachdenken.

Eltern sein: Auch das ist programmiert

Gute Eltern zu sein: Wie haben Menschen das über Generationen gelernt? Heute weiß man, dass Mütter ihr Wissen von ihren Müttern übernommen, durch eigene Erfahrungen ergänzt und schließlich an ihre Töchter weitergegeben haben. »Transgenerationale Weitergabe von Erziehungswissen« nennen Forscher diese Art der Überlieferung.

Sogar bei Tieren ist die spätere Fähigkeit, eine gute Mutter zu sein, nicht genetisch bedingt. Entscheidend ist vielmehr, ob ein weibliches Tier, also etwa ein Kaninchen, selbst von einer »guten« oder »weniger guten« Mutter aufgezogen wurde. Das heißt: Welche Qualität und Intensität hatte die Beziehung der Kaninchenmutter zu ihren Jungen? Wie sorgfältig hat sie das Nest vorbereitet und instand gehalten, wie oft die Jungen abgeleckt? Wie gut hat sie die Kleinen beschützt – und wie sehr hat sie sie später ermutigt, sich in die Welt hinauszuwagen?

All das, so haben Forscher herausgefunden, hinterlässt im Gehirn eines kleinen Kaninchenmädchens Spuren, die später, wenn es selbst Mutter geworden ist, als »Erinnerungsbilder« wachgerufen werden.

Lernen durch Erleben

So wie die kleinen Kaninchen lernen Kinder – und auch Erwachsene – die wichtigsten Dinge im Leben nicht durch wortreiche Erklärungen oder aus Büchern, sondern aus den Erfahrungen, die sie im Zusammenleben mit anderen machen. Dabei bleiben Kinder lange auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen. All das, worauf es im späteren Leben ankommt, müssen sie erst noch lernen. Es ist für Eltern heute nicht mehr so leicht, ihnen dabei zu helfen, wie es noch zu Großmutters Zeiten war.

Damals war es für viele wichtig, dass man als Kind dreierlei möglichst gut gelernt hatte: gehorsam zu sein, seine Aufgaben zu erledigen und nicht zu viel nachzudenken. Um die Kinder auf diese Art für das Leben fit zu machen, müssen sich Eltern, Erzieher und Lehrer nicht allzu sehr anstrengen: Man muss den Kleinen nur möglichst früh den Spaß am Lernen und die Freude am Entdecken und Ausprobieren gründlich verderben. Auch diese Art von Erziehungswissen wird offenbar in unserer Gesellschaft – ähnlich wie bei den Kaninchen – immer noch von Generation zu Generation überliefert. Aber die Welt, in die unsere Kinder heute hineinwachsen, hat sich glücklicherweise sehr verändert.

Die Lust am Lernen erhalten

Eltern, die ihren Kindern helfen wollen, sich in dieser bunten und offenen Welt gut zurechtzufinden, haben ein Problem: Sie müssen versuchen, ihren Kindern genau das mit auf den Weg zu geben, was vielen von ihnen selbst in der eigenen Kindheit abhanden gekommen ist – die Freude am Lernen, die Lust am Entdecken und die Begeisterung für das eigene Tun. Was Eltern bei der Lösung dieses Problems helfen kann, ist vor allem ein forschender Blick auf ihre Kinder, solange diese ihre Lust, Freude und Begeisterung noch nicht verloren haben.

Perfekt organisiert: das Wunderwerk Hirn

Am Anfang ihres Lebens, als Kinder, sind Menschen so neugierig, begeisterungsfähig und offen für alles, was es in der Welt zu erleben gibt, wie nie wieder im späteren Leben. Das hat einen guten Grund: Nur durch die Neugier und den Lerneifer eines Kindes entwickelt sich das menschliche Gehirn. Es ist zum Zeitpunkt der Geburt noch sehr unfertig. Lediglich die unbedingt lebensnotwendigen Verschaltungen und Netzwerke in bestimmten Hirnregionen sind jetzt bereits gut ausgebildet. Diese steuern all das, was notwendig ist, um die innere Ordnung des Körpers aufrechtzuerhalten – also auch all jene Reaktionen, die immer dann in Gang gesetzt werden, wenn diese Ordnung gestört wird. Auch gewisse bereits im Mutterleib gemachte Erfahrungen sind in Form bestimmter Verschaltungsmuster im Gehirn abgespeichert, ebenso wie einige angeborene Reflexe. Der Rest – und das ist im Grunde alles, worauf es im späteren Leben ankommt – muss erst noch hinzugelernt und als neue Erfahrung im Gehirn abgespeichert werden.

Je dichter die Verbindungen zwischen den (hier rot gefärbten) Nervenzellen sind, desto besser kann die Kapazität des Gehirns genutzt werden.

Was im Gehirn passiert, wenn Kinder lernen

Im Großhirn (Grafiken >/>), genauer in der Großhirnrinde, wird dieses neue Wissen in Form bestimmter Beziehungsmuster zwischen den Nervenzellen verankert. Dieser Hirnbereich verdreifacht sein Volumen im ersten Lebensjahr und dehnt sich auch später noch erheblich aus: Nicht etwa, weil dort noch weitere Nervenzellen gebildet werden, sondern weil diese zum Zeitpunkt der Geburt bereits vorhandenen Nervenzellen ein dichtes Gestrüpp von Fortsätzen ausbilden. Deren Enden verbinden sich auf vielfältige Weise miteinander.

Dieser Prozess wird durch genetische Programme gesteuert. Er führt dazu, dass in den einzelnen Bereichen der Großhirnrinde ein riesiges Überangebot an Nervenzellverbindungen und -kontakten entsteht. Weil das kindliche Gehirn (oder das genetische Programm, das dessen Entwicklung steuert) ja nicht »wissen« kann, worauf es später im Leben einmal ankommt und welche Verbindungen wirklich gebraucht werden, wird zunächst einmal ein großer Überschuss an Verschaltungen bereitgestellt. Stabilisiert und erhalten bleiben davon aber nur diejenigen, die auch wirklich benutzt und gebraucht werden. Der Rest wird einfach wieder abgebaut. Das Ganze funktioniert fast so wie ein neu eröffnetes Kaufhaus, in dem anfangs ein möglichst großes Spektrum an unterschiedlichen Waren angeboten wird. Die Nachfrage aber bestimmt das Angebot: Nur diejenigen Artikel werden auf Dauer weiter bereitgehalten, die von den Kunden in dieser Gegend besonders gebraucht – und daher am häufigsten gekauft – werden.

Ein Kind kann in der Entwicklungsphase, in der das riesige Angebot an Verschaltungen der Nervenzellen vorhanden ist, so ziemlich alles lernen. Deshalb können Eltern, die das für wichtig und sinnvoll halten, ihrem dreijährigen Kind bereits das Lesen, Computerspiele oder eine Fremdsprache beibringen – falls es dazu Lust hat.

Etwa sechs Jahre dauert es, bis schließlich die Grundstruktur der Schaltstellen im Kopf entstanden ist.

Individualität als Norm

Jedes Kind hat seinen eigenen Kopf und entwickelt bald seine ganz eigene Vorstellung von der Welt. Diese Individualität zeigt sich in der zweiten Phase der Hirnentwicklung, zwischen dem dritten und siebten Lebensjahr, besonders deutlich. Jetzt nimmt ein Kind die Dinge des Lebens immer intensiver wahr. Mit der Zeit ist es zunehmend daran interessiert, alle Eindrücke, die es sammelt, zu ordnen, zu bewerten und auf Dauer zu begreifen. Das bedeutet: Manche Hirnregionen werden besonders intensiv beansprucht, andere weniger. Stark genutzte Nervenbahnen verstärken sich, wenig genutzte verkümmern. Auf diese Weise entsteht langsam ein Netz, das genau der jeweiligen Beanspruchung entspricht – also bei jedem Menschen nach einem anderen Muster gewebt ist (siehe auch ab >).

Nervenzellverschaltungen, die während dieser Phase nicht entstehen, können zwar später noch nachreifen, weil das Gehirn beweglich bleibt, aber das Lernen ist dann wesentlich mühsamer. Deshalb ist es so bedauerlich, wenn ein Kind in dieser sensiblen Phase kaum gefordert ist und seine Tage mit Langeweile vertut.

IMMER LANGSAM

Welche Erfahrungen regen das Wachstum des Gehirns an, was bringt ein Kind in seiner Entwicklung weiter? Nicht die kurzen, schnellen Reize (zum Beispiel Fernseh- oder Videobilder) sind von Bedeutung, sondern die verlässlichen, sich wiederholenden Eindrücke.

Die Freude am Entdecken

Ein Kind bringt nicht nur die Fähigkeit mit auf die Welt, ständig Neues hinzuzulernen, sondern ebenso die Lust, immer wieder Unbekanntes zu entdecken. Der Grund für diese Lust ist ebenfalls die Tatsache, dass das kindliche Gehirn auf ein möglichst breites Spektrum unterschiedlichster Anregungen angewiesen ist, um später das, was es tatsächlich braucht, herauszufiltern.

Immer dann, wenn sich ein Kind auf die Suche macht und dabei etwas findet, das ein kleines bisschen mehr ist als das, was vorher schon da war, dann geht es ihm genauso wie jedem Erwachsenen: Es freut sich. Solange ein Kind oder auch ein Erwachsener noch mit der Suche nach etwas beschäftigt ist, herrscht in seinem Gehirn eine gewisse Unruhe, eine Erregung und Spannung. Die wird durch das Erfolgserlebnis plötzlich aufgelöst – und immer wenn im Hirn aus dem Durcheinander schließlich eine Ordnung, aus Erregung Beruhigung wird, dann entsteht ein Gefühl von Wohlbehagen und Zufriedenheit. Je größer die anfängliche Aufregung war, desto unbändiger ist die Freude, die auch schon ein Kind empfindet, wenn nun wieder alles »passt«. Dann bekommt es umso größere Lust, sich erneut auf die Suche zu machen.

Bei einem solchen Lernprozess wird im Gehirn immer auch eine Gruppe von Nervenzellen erregt, die dann an den Enden ihrer langen Fortsätze bestimmte Botenstoffe freisetzen. Es sind die gleichen Botenstoffe, die auch dann abgegeben werden, wenn Drogensüchtige Kokain oder Heroin einnehmen. Das lässt erahnen, wie groß das Lustgefühl beim Erforschen von Unbekanntem für Kinder sein kann.

Für kleine Kinder gibt es in einer ihnen noch fremden Welt unendlich viel Neues zu entdecken und dann einzuordnen. Deshalb wird ihre überbordende Lernlust normalerweise nur durch die Phasen der Erschöpfung unterbrochen, die sich zwangsläufig immer wieder einstellen müssen. Denn in diesen Pausen – im Traumschlaf – wird all das, was das Kind in der Wachphase gelernt und entdeckt hat, noch einmal bearbeitet, stabilisiert und mit bereits vorhandenen Mustern im Hirn verbunden.

Komplizierter als jeder Computer und dabei beeindruckend funktional: das menschliche Gehirn.

Wie »innere Bilder« im Gehirn entstehen

Das kindliche Gehirn arbeitet bereits nach dem gleichen Prinzip wie das eines Erwachsenen. All das, was ein Kind bisher über seine Sinnesorgane wahrgenommen und über sich, seinen Körper und die äußere Welt erfahren hat, ist in Form bestimmter Verschaltungsmuster von Nervenzellen in seinem Gehirn als inneres Bild verankert worden, manches davon eben auch schon vor der Geburt.

Jede neue Wahrnehmung, also ein neuer Duft, eine ungewohnte Berührung, ein neues Geräusch oder ein anderer unbekannter Sinneseindruck, erzeugt im Gehirn ein entsprechendes Aktivierungsmuster, ein »Wahrnehmungsbild«. Das Kind versucht nun, in seinem Gehirn ein bereits vorhandenes Muster zu aktivieren – ein »Erinnerungsbild«, das irgendwie zu diesem neuen Bild passt.

Stimmen beide – das vorhandene Erinnerungsbild und das neue Wahrnehmungsbild – völlig überein, wird der neue Eindruck als bekannt abgetan und routinemäßig mit einer gewohnten Reaktion beantwortet. Kann keinerlei Gemeinsamkeit zwischen dem neuen und irgendeinem bereits vorhandenen Bild festgestellt werden, so passiert gar nichts. Das neue Wahrnehmungsbild wird gewissermaßen als ein nicht zu den bisherigen Erfahrungen passendes Trugbild verworfen.

Interessant wird es immer dann, wenn das aus dem Gedächtnis abgerufene Erinnerungsbild zumindest teilweise zum neuen Wahrnehmungsbild passt. In diesem Fall wird das alte Muster so lange erweitert und umgestaltet, bis das durch die neue Wahrnehmung entstandene Aktivierungsmuster in das nun veränderte Erinnerungsbild eingefügt werden kann. Das wird dann als erweitertes inneres Erwartungsbild festgehalten und bei künftigen Wahrnehmungen immer zum Abgleich abgerufen.

Ein Mensch, nicht nur ein Kind, nimmt also nie alles wahr, was ihm angeboten wird, sondern nur das, was irgendwie zu seinen Vorstellungen und Erwartungen – also zu seinen bisher gemachten Erfahrungen – passt.

AUF EIGENEN WEGEN

Anregung von außen – gut und schön. Aber das beste »Futter« fürs Hirn bringt die vom kindlichen Interesse selbst gesteuerte Suche nach Neuem: Denn das Kind sucht dabei auf der Grundlage des bisher Erlernten nach neuem Wissen. Dabei macht es Lernerfahrungen, die mit dem bereits vorhandenen Wissen zu tun haben, aber auch ein Stück Unbekanntes enthalten. Dieses Neue kann besonders gut an vorhandenes Wissen anknüpfen und so die im Hirn bereits vorhandenen Verschaltungsmuster optimal ergänzen.

Genetische Botschaft oder erworbene Fähigkeit?

Das Lernen beginnt schon vor der Geburt: Nicht nur der Mensch, auch alle Säugetiere, ja sogar Vogelküken im Ei machen erste Erfahrungen, die im Hirn verankert werden, bevor sie auf die Welt kommen. Bei Hühner- oder Entenküken ist das gut zu beobachten: Schon bevor sie schlüpfen, »unterhalten« sie sich mit ihrer Mutter. Sie piepsen aus dem geschlossenem Ei heraus und die Mutter antwortet ihnen. Wenn sie auf die Welt kommen, erkennen sie also ihre Mutter schon an der Stimme. Bei Singvögeln, zum Beispiel bei den Nachtigallen, reift später, wenn die kleinen Vögel noch im Nest sitzen, das sogenannte Gesangszentrum in ihrem Hirn aus. Hier bilden die Nervenzellen zunächst ein dichtes Netz an Verschaltungen. Immer dann, wenn der Vater in der Nähe des Nestes seine Lieder singt, entsteht in diesem Wirrwarr von Verschaltungen ein ganz bestimmtes Aktivierungsmuster – ausgelöst durch das Hören des Liedes. Je häufiger das geschieht, desto fester werden die dabei aktivierten Nervenzellverschaltungen miteinander verbunden. Alle anderen nicht benutzten Verschaltungen werden wieder abgebaut. Im nächsten Jahr singt das Nachtigallenkind dann (fast) genauso wie sein Vater.

Der bezaubernde Gesang der Nachtigallen wird also nicht durch genetische Programme vererbt, sondern muss von den Vögeln jeder Generation immer wieder neu erlernt werden. Angeboren ist den Nachtigallen lediglich die Fähigkeit, den Gesang als kleiner Vogel zu erlernen und als »inneres Bild« im Gesangszentrum zu verankern.

Gelänge es den Nachtigalleneltern aus irgendwelchen Gründen nicht, ihren über viele Generationen entwickelten komplizierten Gesang als Kulturleistung auch in Zukunft an ihre Nachkommen weiterzugeben, so wäre genau das, was die Nachtigallen ausmacht, sehr schnell verschwunden.

Ob Mensch oder Tier: Für die Kleinen sind anfangs ihre Eltern das Maß aller Dinge – und das Vorbild für die eigene Zukunft.

Wie wir unsere Wissensschätze weitergeben

Auch Menschenkinder müssen all jene Fähigkeiten und Fertigkeiten von uns Erwachsenen lernen, die wir als Kulturleistung bisher entwickelt haben. Selbst den aufrechten Gang, die Sprache und natürlich alles andere, was wir Menschen inzwischen können und wissen, müssen sich Kinder erst in einem komplizierten Prozess anhand der Vorbilder, die wir ihnen bieten, aneignen. Dabei lernt jedes Kind, sein Gehirn auf eine bestimmte Weise zu benutzen.

Zu diesem Zweck muss es dazu angehalten, ermutigt und bisweilen auch gezwungen werden, bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten besser zu entwickeln als andere. Es muss auf bestimmte Dinge stärker achten als auf andere, gewisse Gefühle eher zulassen als andere, also sein Gehirn allmählich so benutzen, dass es sich damit in der Gemeinschaft zurechtfindet, in die es hineinwächst.

Interessanterweise sind diese Wissensprofile sehr verschieden: Je nachdem, in welcher Kultur ein Kind aufwächst, erwirbt es ganz unterschiedliche Fähigkeiten. So lernen etwa die Kinder der Eingeborenen im Amazonas-Regenwald bis zu einhundert verschiedene Grüntöne zu unterscheiden. Die Kinder der Inuit im nördlichen Polarkreis können ein Dutzend verschiedene Formen von Schnee auseinanderhalten.

Auch unsere Kinder erwerben im Verlauf dieses Prozesses all jene Fähigkeiten und Fertigkeiten, auf die es für das Leben in unserem Kulturkreis ganz besonders ankommt. Und indem sie das tun, werden die dabei immer wieder aktivierten neuronalen Verschaltungen stärker und intensiver benutzt, ausgebaut und entwickelt.

Sinnliche Wahrnehmung als Schlüssel zum Denken

Zug um Zug werden auf diese Weise die komplizierten Nervenzellverschaltungen in den verschiedenen Hirnregionen aufgebaut. Die von den Sinnesorganen ankommenden Erregungsmuster werden dabei benutzt, um immer stabilere und zunehmend komplexer werdende »innere Bilder« in Form bestimmter Verschaltungsmuster in den verschiedenen Hirnregionen zu verankern.

Damit sind nicht nur innere Sehbilder gemeint, sondern ebenso innere Tast- und Körperbilder. Auch die Hörbilder zählen dazu: Diese dienen dazu, Sprache zu verstehen und zu lernen. Auf die gleiche Weise entwickelt sich die Fähigkeit, aus Gerochenem innere Geruchsbilder anzulegen und mit anderen Sinneswahrnehmungen und den durch sie erzeugten inneren Bildern zu verbinden.

Ja, sogar die Signale, die von den Muskeln bei Veränderungen der Muskelspannung zum Gehirn weitergeleitet werden, dienen dazu, innere Bilder von komplexen Bewegungsabläufen, gewissermaßen innere Bewegungs- und Handlungsbilder, in bestimmten Bereichen des Gehirns anzulegen und dort bei Bedarf abzurufen.

Wo Moral und Wissen sich begegnen

Die Hirnregion, in der all diese komplexen, nutzungsabhängigen neuronalen Verschaltungen letztendlich zusammenlaufen, ist der Frontal- oder Stirnlappen (vorderer Bereich des Großhirns, siehe Grafiken auf den beiden folgenden Seiten). Diese Region hat sich beim Menschen zuletzt und am langsamsten entwickelt. Sie ist selbst bei unseren nächsten tierischen Verwandten deutlich kümmerlicher ausgebildet als bei uns.

Der Stirnlappen ist auch in besonderer Weise daran beteiligt, sämtliche Erregungsmuster, die aus den anderen Bereichen des Gehirns eintreffen, zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. So werden von »unten«, aus tiefer liegenden und früher ausgereiften Hirnregionen ankommende Erregungen und Impulse gehemmt und gesteuert.

Ohne Frontalhirn könnte man keine zukunftsorientierten Handlungskonzepte und inneren Orientierungen entwickeln. Man könnte nichts planen, die Folgen von Handlungen nicht abschätzen, sich nicht in andere Menschen hineinversetzen und deren Gefühle teilen und auch kein Verantwortungsgefühl empfinden.

Unser Frontalhirn ist die Hirnregion, durch die wir uns am deutlichsten von allen Tieren unterscheiden. Und es ist die Hirnregion, die in besonderer Weise durch den Prozess strukturiert wird, den wir Erziehung und Sozialisation nennen.

DIE INNERE ORGANISATION DES GEHIRNS

Wie das Gehirn »geordnet« ist

Unser Hirn ist grundsätzlich nach einem bestimmten »Plan« aufgebaut: In den Hirnarealen, die bereits während der Embryonalentwicklung ausreifen, liegen Netzwerke, die für die Regulation grundlegender Körperfunktionen (Atmung, Kreislauf, einfache Reflexe und Regelkreise) gebraucht werden. Andere, erst nach der Geburt endgültig ausreifende Verschaltungen befinden sich im Großhirn: Areale für die Verarbeitung einzelner Sinneseindrücke, für die Steuerung willkürlicher Bewegungen und für das Koordinieren unterschiedlicher Sinneswahrnehmungen. Und es gibt Bereiche, in denen neue Erfahrungen mit vorhandenen Informationen zusammengefügt werden. Das geschieht vor allem im vorderen Bereich des Großhirns, dem Frontallappen (siehe auch >).

Hirnforscher können heute die Regionen innerhalb des menschlichen Gehirns abgrenzen, die für die Steuerung einzelner Hirnfunktionen zuständig sind. Das geschieht mithilfe bildgebender Verfahren: Immer dann, wenn das Gehirn eine Leistung erbringt – wenn man es also auf eine bestimmte Weise benutzt –, können die dabei aktivierten Nervenzellverschaltungen damit dargestellt werden. Es »flimmert« dann in den betreffenden Bereichen des Gehirns besonders intensiv.

Individuelle Neuordnung ist möglich

Wenn eine bestimmte Leistung immer wieder ausgeübt und trainiert wird, so werden die dabei benutzten Nervenzellverschaltungen intensiver miteinander verknüpft und breiten sich dabei auch stärker auf andere (weniger genutzte) Bereiche aus.

Je früher solche Änderungen der »Hirnnutzung« einsetzen, desto nachhaltiger verändern sich Organisation und innere Struktur der Hirnbereiche.

Vor allem in der frühkindlichen Entwicklung kann sich die weitere Ausreifung der Hirnstrukturen gut an neue Nutzungsbedingungen anpassen. Ein extremes Beispiel hierfür ist der Fall einer jungen Frau, der als Kleinkind wegen eines Tumors eine Hälfte der Hirnrinde entfernt werden musste. Ihr Hirn passte sich anschließend so gut an diesen »Ausfall« an, dass all jene Netzwerke und Verschaltungen, die sich eigentlich in der nicht mehr vorhandenen Hirnhälfte entwickelt hätten, in ihrem Hirn von der anderen, noch intakten Hälfte übernommen wurden.

Dieses Beispiel zeigt, dass die hier dargestellten »Hirnkarten« zwar im Normalfall gültige Einblicke in die innere Organisation des menschlichen Gehirns bieten – dass sich aber das Wunderwerk Hirn im Notfall auf faszinierende Weise selbst neu formieren kann.

Was Kinder zum Lernen brauchen

Was können Eltern nun mit all dem Wissen um das Lernen und um die Aufgaben des Gehirns anfangen? Diese Kenntnisse im Alltag zu berücksichtigen ist eigentlich gar nicht so schwer.

Vertrauen – das Fundament fürs Lernen

Genau wie wir Erwachsenen müssen auch Kinder versuchen, jede neue Wahrnehmung mit Erfahrungen zu verknüpfen, die bereits vorhanden sind, mit etwas, das sie schon wissen und können, das ihnen also bereits irgendwie vertraut ist.

Und ebenso wie bei uns Erwachsenen ist auch die Bereitschaft von Kindern, sich auf etwas Unbekanntes einzulassen, etwas Neues, Ungewisses auszuprobieren, umso größer, je sicherer sie sich fühlen und je größer das Vertrauen ist, mit dem sie sich in die Welt hinauswagen.

Bei jeder Art von Verunsicherung, von Angst und Druck breiten sich in ihrem Gehirn Unruhe und Erregung aus. Dadurch wird das Hirn momentan regelrecht blockiert: Werden neue Eindrücke über die Sinneskanäle wahrgenommen, können diese Erfahrungen nicht mehr mit den bereits abgespeicherten Erinnerungen abgeglichen werden. Es kann also nichts Neues hinzugelernt und im Gehirn verankert werden.

Oft wird die Erregung und das damit einhergehende Durcheinander im Kopf sogar so groß, dass auch bereits Erlerntes nicht mehr erinnert und genutzt werden kann – wir alle kennen den berühmten »Blackout« in Prüfungssituationen oder bei Stress. Das Einzige, was dann noch funktioniert, sind sehr früh entwickelte und fest verankerte Denk- und Verhaltensmuster, die immer dann aktiviert werden, wenn es anders nicht mehr weitergeht: Angriff (schreien, schlagen), Einmauern (nichts mehr hören, sehen, wahrnehmen wollen, stur bleiben, Verbündete suchen) oder Rückzug (Unterwerfung, verkriechen, Kontaktabbruch).

EINE BASIS SCHAFFEN

Kindererziehung basiert auf drei entscheidenden Grundfesten:

> Erstens: Liebe und Vertrauen.

> Zweitens: Grenzen setzen.

> Drittens: angemessen fördern.

Also: Mit Ihrem Kind zusammen zu sein, ihm Mut zu machen, mit ihm fröhlich zu sein, das ist Ihr wichtigster Job als Eltern. Auf menschliche, freundliche Weise sollten Sie präsent, für Ihr Kind spürbar da sein.

Lassen Sie Ihr Kind nicht mit seinen Gefühlen im Stich

Dieser Zustand ist für Kinder genauso schwer auszuhalten wie für Erwachsene. Sie fühlen sich ebenso ohnmächtig und beschämt und reagieren mit Wut, Zorn oder gar mit Resignation auf die erlebte Enttäuschung. Treten solche Situationen wiederholt auf, verliert jedes Kind seine Offenheit, seine Neugier und sein Vertrauen – und damit die Fähigkeit, sich auf Neues einzulassen.

Vor diesem frustrierenden Zustand beschützen Sie Ihr Kind, indem Sie ihm genau das geben, was es mehr als alles andere braucht, um sich mit der Welt auseinanderzusetzen: Vertrauen. Nichts kann das Durcheinander im Kopf besser auflösen und die zum Lernen erforderliche Offenheit und innere Ruhe wiederherstellen. Deshalb suchen alle Kinder enge Beziehungen, die ihnen die notwendige Sicherheit bieten und bei der Lösung von Problemen helfen.

Die eigenen Eltern sind normalerweise die Menschen, denen ein Kind vorbehaltlos vertraut, wenn es auf die Welt kommt. Wenn diese seine Bedürfnisse nach Nahrung, Wärme, Zärtlichkeit, Zuwendung und Anregung erfüllen, fühlt sich das Baby in ihrer Gegenwart geschützt und geborgen. Diese sichere Bindung ist die Voraussetzung dafür, dass ein Kind bereits im ersten Lebensjahr so viel Neues aufnehmen, ausprobieren und die dabei gemachten Erfahrungen in seinem Hirn fest verankern kann.

Immer gelassen bleiben ...

Damit die anfangs noch sehr lockeren Verschaltungsmuster im Gehirn gefestigt werden können, brauchen Kinder viel Ruhe und ausreichend Zeit zum aufmerksamen Beobachten und zum ständigen intensiven Üben und Ausprobieren.

Kinder lernen am besten, wenn sie den Lernstoff selbst bestimmen können. Sie sind geborene Entdecker und genießen es, ihre Neugier auszuleben. Wer keine Fehler macht, kann auch nichts hinzulernen – deshalb erschließen sich schon Kinder die Welt durch Versuch und Irrtum. Und je häufiger sie dabei erfahren, dass sie bereits allein in der Lage sind, ein Problem zu lösen, desto mehr wachsen ihr Selbstvertrauen, ihr Mut und ihre Sicherheit.

Wenn sich dann noch jemand mit ihnen gemeinsam über jede gelungene Lösung freut, wächst obendrein ihr Vertrauen, dass sie selbst in der Lage sind, einen anderen Menschen glücklich zu machen. Soziale Resonanz nennen Hirnforscher dieses Phänomen der wechselseitigen Verstärkung von Gefühlen.

SICHERHEIT BIETEN

Die moderne Hirnforschung zeigt, dass die Entwicklung eines Kindes stark davon geprägt wird, ob es sich in den ersten Lebensjahren geborgen fühlt. Ein kleines Kind ist besonders lernfähig und aufnahmebereit, wenn es sich sicher fühlt: bei vertrauten Menschen, die es regelmäßig und zuverlässig betreuen, es genau kennen und lieben, wie es ist.

Wann der Funke überspringt

Lernen ist wie ein Feuerwerk: Zum einen muss der »Funke«, also die Anregung, die Eltern ihrem Kind zu einer bestimmten Zeit anbieten, genügend Zündkraft besitzen. Zum anderen muss aber auch das »Pulver« gerade in einem Zustand sein, in dem es sich gut entzünden lässt. Eltern können Funken sprühen, so viel sie wollen: Wenn ihr Kind zu dem Zeitpunkt nicht offen für ihre Angebote ist, geht das Feuerwerk eben einfach nicht los.

Die Offenheit für Neues fehlt, wenn ein Kind gerade mit anderen Dingen beschäftigt ist. Oder wenn es – auch das kommt vor – ein schwerwiegendes Problem mit sich herumschleppt, das es allein nicht lösen kann – zum Beispiel bei einem Geschwisterkonflikt oder wenn in der Familie »dicke Luft« herrscht. In solchen Situationen sind Kinder einfach nicht bei der Sache und können sich nicht auf das einlassen, was ihnen von den Eltern angeboten wird.

Doch auch ein ganz offenes Kind, das nicht von Problemen geplagt und auch nicht gerade mit etwas anderem beschäftigt ist, kann nicht sämtliche elterlichen Anregungen und Angebote aufnehmen. Es macht dennoch manchmal »dicht«, wendet sich ab und hört nicht mehr zu. Dann war das Angebotene entweder zu banal – und deshalb zu langweilig – oder es hat dem Kind etwas abverlangt, das es noch nicht leisten konnte. Es fühlt sich also überfordert. Und das ist auch nicht gerade ein Zustand, der Lernlust anregt.

Wie aber sollen Eltern herausfinden, ob das »Pulver« genau in dem richtigen, entflammbaren Zustand für den Funken ist, den sie anbieten wollen?

Jetzt oder nie – die Theorie der »Zeitfenster«

Hirnforscher und Entwicklungspsychologen haben inzwischen herausgefunden, dass die Nervenzellverschaltungen im Gehirn des Kindes in einer bestimmten Reihenfolge ausreifen und dass es deshalb Entwicklungsphasen gibt, in denen ein Kind etwas ganz Bestimmtes besonders gut hinzulernen kann. Während einer solchen Phase ist ein gewisser Bereich des Gehirns gerade besonders formbar, und die Nervenzellen sind dabei, ein dichtes Geflecht an Verschaltungsangeboten bereitzustellen. Das Kind wird daher alle Angebote besonders gut aufgreifen, die in diesem Bereich des Gehirns verarbeitet werden. Weil die dabei gemachten Lernerfahrungen sich jetzt am leichtesten in Form spezifischer Nervenverschaltungen einprägen, spürt es die eigenen Fortschritte auch besonders gut. Dieser Erfolg motiviert das Kind, nach weiteren derartigen Anregungen zu suchen. Wenn ihm diese jetzt angeboten werden, ist das für alle Beteiligten sehr beglückend: Das Kind freut sich – und die Eltern auch.

»Kritische Fenster« nennen Wissenschaftler diese Phasen, in denen ein Kind für bestimmte Lernerfahrungen besonders aufnahmebereit ist. Jedes Kind durchläuft diese Phasen, manchmal überschneiden sie sich, andere Fähigkeiten müssen erst gefestigt sein, bevor das nächste »Entwicklungsfenster« aufgehen kann. Vor allem aber ist wichtig: Was beim einzelnen Kind zu welchem Zeitpunkt »dran« ist, wann man also welche Angebote machen sollte, damit sie das Kind möglichst optimal aufgreifen kann, das können die Hirnforscher auch nicht so genau sagen.

Die in dieser Hinsicht kompetentesten Experten sind die Eltern und Erzieher. Wenn sie das betreffende Kind genau kennen und seine Signale achtsam und feinfühlig wahrnehmen, können sie ihre Funken auch am ehesten zu dem Zeitpunkt sowie in einer Art und Weise versprühen, dass sie besonders gut überspringen.

ZUR RECHTEN ZEIT

Für die Entwicklung bestimmter Fähigkeiten gibt es sogenannte »Lernfenster«, zum Beispiel für grob- und feinmotorische Fähigkeiten oder für das Herausbilden der Hirnareale, die für das Sehen, Hören, Riechen und körperliche Empfinden verantwortlich sind. Ebenso existieren »Fenster« für die Sprachentwicklung und das analytische Denken sowie für all die anderen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die jeder im Laufe seiner Kindheit erwirbt.

Bitte kein »Förderstress«!

Wir leben in einem Zeitalter der Beschleunigung und des immer rascher werdenden Wandels. Was heute noch nützlich und richtig ist, kann morgen bereits hinderlich oder sogar falsch sein. Allzu leicht verlieren auch Eltern angesichts der sich ständig verändernden »Anforderungsprofile« die Orientierung. Sie werden unsicher und wollen ihrem Kind doch möglichst alles mitgeben, was es später einmal brauchen könnte, um rundum glücklich zu werden.