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Die Idee ist viel eher ein Wunsch: Mit diesem Buch möchte ich auf die Relativität von Etiketten und Stigmata aufmerksam machen. Relativität, da jeder in der ein oder anderen Hinsicht einer Minderheit angehört. Das Buch beinhaltet eine Sammlung von lyrischen Erzählungen, Gedichten, und Kurzgeschichten, die allesamt die Themen Gerechtigkeit, Machtmissbrauch, Diskriminierung und Minderheitenstress behandeln. Immer aus einer anderen Perspektive, immer mit dem Wunsch, zum Nachdenken anzuregen.
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Seitenzahl: 78
Veröffentlichungsjahr: 2025
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I ZWISCHEN DEN IDENTITÄTEN
II ZWISCHEN DEN RÄNGEN
III ZWISCHEN DEN RÄUMEN
IV ZWISCHEN DEN ZEILEN
V ZWISCHEN DEN KOSMEN
VI ZWISCHEN DEN GENERATIONEN
ANHANG
Warum »Just Part of the Minority«?
Ja, es gibt viele »Schubladen« auf dieser Welt. Und ich spreche nicht von herkömmlichen Schubladen, die man in Kommoden oder Schränken vorfindet. Ich meine unsere mentalen Schubladen und speziell die, die wir für uns selbst und für andere Menschen verwenden.
Eine Schublade kann sehr hilfreich sein, wenn sie zum Beispiel für Ordnung und Effizienz im Alltag sorgt. Viele Schubladen können aus einer komplexen Welt eine scheinbar einfache machen. Sie können uns ein gewisses Maß an Kontrolle und Sicherheit schenken. Aber was passiert mit uns und unserer Welt, wenn unsere Schubladen zu starr werden? Wenn sie keine Modifizierungen mehr erlauben? Darum geht es in diesem Buch.
Mit »Just Part of the Minority« möchte ich auf die Relativität von Schubladen, Etiketten und Stigmata aufmerksam machen. Darauf, dass wir »alle irgendwie, irgendwo Minderheit sind« und dass es mehr Sinn macht, uns dem zu widmen, was uns Menschen verbindet und nicht dem, was uns auseinandertreibt.
Mit diesem Wunsch fing es an, als ich im Jahr 2022 damit begann, meine psychologischen Botschaften zu formulieren, eine eigene Schriftart zu entwickeln und alles auf Postkarten zu drucken, um sie in der Welt zu verteilen. Da es mit der Zeit immer mehr Karten wurden, dachte ich, ich könnte ein Büchlein daraus machen. Kein psychologisches Fachbuch (auch wenn ich Psychologin bin), sondern im besten Fall eine »Anregung« zum Nachdenken mit Gedichten, lyrischen Erzählungen und Kurzgeschichten und natürlich mit den Botschaften meiner Postkarten.
Die Schubladen meines Lebens und vor allem das, was sie mit mir gemacht haben und was ich daraus machen möchte, sind Teil dieses Buches. Es handelt gewissermaßen von dem Dazwischen: Ob Zwischen den Kosmen, Zwischen den Zeilen oder Zwischen den Generationen – Dazwischen verbindet. Und auch wenn es in dieser komplexen Welt wichtig ist, dass wir ein Gefühl von Ordnung und Vorhersagbarkeit entwickeln können, das Dazwischen macht unsere komplexe Realität aus.
Letztlich sind wir, fernab von all den Schubladen, alle Menschen. Und wahrscheinlich hat jeder Mensch diesen einen Wunsch: in seiner ureigenen Art gesehen und akzeptiert zu werden.
Eure Iw Aziz
It took 30 years of searching to understand that I am not stupid, not highly gifted, not ugly, not beautiful, not highly sensitive, not autistic, not a witch, not ill, not nuts …
I am just part of the minority!
(Aus: Iw Aziz, Angelina Maginie und der goldene Käfig, 2024)
In Sicherheit gebracht, das Überleben abgestreift, sodass (m)ein Leben Chance hat. Muss ich mich als Mensch dann lohnen? Muss ich ständig dankbar sein? Angepasst und linientreu?
Und was passiert, wenn ich es nicht tu? Wenn ich alles anders mach? Wenn ich das Leben hinterfrage, auf das Bewusstsein Chance hat? Auf das ich endlich fühlen dürft? Mein Leben weiter wachsen könnt?
Und was passiert, wenn dies verboten und ich ständig wiederhole, was schon immer gleichgeblieben ist? Doch wird kein Mensch es je vermeiden, dass Neu und wieder Neu entsteht, die Welt sich immer weiter dreht.
Und wenn ich es Schlag für Schlag dann spür, dass auch ich wie jeder andere, so auf triviale Weise, einfach und vergänglich bin? Und ich dann merk wie alt ich bin, wie fremd und seltsam ausgewachsen, und der junge Rest, so neu und anders weiter wächst?
Was wird dann mit mir passieren? Welch ein Mensch werd ich wohl sein? Wie werd ich Kraft und Wissen nutzen? Wie werd ich zu den anderen sein? Werd ich Lohn und Dank erwarten oder dankbar in mir ruhen? Und mir jeden Tag nur sagen: »Das ist Lauf der (R)Evolution!«
Nicht auszustehen!
Ich kann nicht damit umgehen.
Sehne mich nach dem Wahren – verschwinde in Gedanken.
Die Anpassung an die Unendlichkeit lässt Zeit verrinnen – Tag für Tag
und
jede Nacht.
Wach bis krank und
krank bis tot.
Wir sind in Not, wir ändern nichts!
Aber was macht das schon?
Du merkst ja nichts.
Anmerkung, zwanzig Jahre später: Doch, das habe ich!
An einem Mittwochvormittag macht sich Ben, ein junger, smarter Kerl von 25 Jahren, auf den Weg zu seiner wöchentlichen Psychotherapiesitzung. Mit seiner Therapeutin hat er bereits besprochen, dass er zu dieser Sitzung einen alten Freund und Berater mitbringen will – einen Vampir. Hier ist ein Ausschnitt aus dem, was in dieser Sitzung besprochen wurde.
Ben und der Vampir treten ein, werden freundlich begrüßt. Sie nehmen Platz, und nachdem der obligatorische Small-Talk stattgefunden hat, richtet die Therapeutin das Wort an den Vampir.
THERAPEUTIN: Schön, dass Sie sich bereit erklärt haben, mitzukommen.
Der Vampir blickt die Therapeutin hoheitsvoll an, nickt gönnerhaft.
THERAPEUTIN: Nun, Sie sind also Bens Freund? Sein Freund und langjähriger Berater?
VAMPIR: Ja, korrekt.
THERAPEUTIN: Ben hat mir erzählt, dass Sie ihn nicht aus den Augen lassen und ihn in vielen Dingen beraten, zum Beispiel auch, wenn es um sein Studium geht. Richtig?
VAMPIR (grunzt): Korrekt. Ist das ein Problem?
THERAPEUTIN: Genau darüber wollen wir heute sprechen. Ben hat mir erzählt, dass Sie große Zweifel an seinen Fähigkeiten haben. Stimmt das?
VAMPIR: Verstehe nicht, was Sie meinen.
Therapeutin sieht kurz zu Ben. Ben nickt ihr zu.
THERAPEUTIN: Kein Problem, ich erkläre es gerne. Sie haben zu Ben gesagt, dass Sie nicht glauben, dass er sein Studium schafft.
VAMPIR: Achso das! Ja, das habe ich gesagt.
THERAPEUTIN: Sie sollen auch zu ihm gesagt haben, dass er dumm sei, ein echter Versager …
VAMPIR (setzt sich ruckartig auf, schaut böse zu Ben): Nun ja … einer muss ja ehrlich zu ihm sein.
Ben blickt zu Boden, atmet tief durch.
THERAPEUTIN: Ich befürchte, Sie verwechseln da etwas.
VAMPIR (streitlustig): Ach ja? Inwiefern denn?
THERAPEUTIN: Sie beraten Ben nicht, Sie beleidigen ihn.
VAMPIR (lacht): Oh, war mir klar, dass Sie von dieser weichgespülten Sorte sind. Diese Weicheier, die meinen, man müsste jeden und alles in Watte packen.
THERAPEUTIN: Und jetzt wollen Sie auch mich beleidigen?
Vampir runzelt die Stirn, bleibt still.
THERAPEUTIN: Was soll das bringen, wenn Sie Ben sagen, er sei dumm? Was wollen Sie damit bezwecken?
VAMPIR (rutscht unruhig auf seinem Stuhl herum und blickt dann zu Ben): Sag mal, müssen wir uns das hier echt geben? Die blöde Alte nervt voll.
Ben schaut zu seiner Therapeutin, dann wieder zum Vampir.
BEN: Ja, wir bleiben.
Der Vampir sinkt ein wenig in sich zusammen.
VAMPIR: Also … wie war das? Was wollten Sie von mir wissen?
THERAPEUTIN: Ich möchte wissen, warum Sie Ben beleidigen. Was soll das Ihrer Meinung nach bewirken? Was ist Sinn und Zweck?
VAMPIR: Na, dass er zur Vernunft kommt. Ist doch klar. Dieses STUDIUM ist doch scheiße. Er packt das eh nicht. Er ist ein Versager, er ist ein …
THERAPEUTIN: Halt, stopp! Ich habe Sie nicht gebeten, Ben erneut zu beleidigen. So können wir kein Gespräch führen. Sie dürfen ihre Meinung äußern, konstruktiv und respektvoll. Das dürfen Sie. Sie sollen hier aber keinen beleidigen. Verstehen Sie das?
VAMPIR (legt die Stirn in Falten): Also darf ich hier gar nichts mehr sagen, oder wie?
THERAPEUTIN (sieht schmunzelnd zu Ben): Doch, natürlich. Wie ich eben gesagt habe … Sie dürfen ihre Meinung vortragen. Sie dürfen nur keinen beleidigen. Kennen Sie denn nicht den Unterschied?
Vampir blickt die Therapeutin verstört an.
THERAPEUTIN: Nun, ich will es Ihnen erklären. Mit einer Beleidigung versucht man, sein Gegenüber abzuwerten. Nicht mehr und nicht weniger. Mit einer Beleidigung verletze ich andere. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Beleidigung ist also nicht zu verwechseln mit einem konstruktiven Ratschlag.
VAMPIR (streitlustig): Ach nein? Und was ist ein konstruktiver Ratschlag, Ihrer Meinung nach?
THERAPEUTIN: Konstruktiv bedeutet aufbauend, nach vorne gerichtet, mit einem konstruktiven Ratschlag möchte ich etwas fördern, möchte ich, dass jemand etwas lernt. Eine Beleidigung dagegen verletzt andere nur, sie ist also destruktiver Natur. Auf der Basis einer Beleidigung kann nichts Gutes entstehen. Wenn es also so wäre, dass Ben in seinem Studium Probleme hat, dann macht es das nicht besser, wenn wir Ben auch noch beleidigen. Ganz im Gegenteil, es führt wahrscheinlich eher dazu, dass alles noch schlimmer wird für ihn. Dagegen könnten wir Bens Probleme konstruktiv analysieren und auf dieser Basis schauen, welche Lösungen uns einfallen.
THERAPEUTIN (richtet das Wort an Ben): Wenn ich das richtig verstanden habe, machen Sie sich Sorgen wegen ihres Examens? Ich weiß wirklich nicht, was es bringen soll, wenn Ihr »Freund« Sie deswegen auch noch beleidigt.
BEN (richtet sich etwas auf): Ja, ja, das stimmt natürlich. Er sieht den Vampir lange und nachdenklich an.
BEN: Du gibst mir wirklich keine Ratschläge. Das behauptest du zwar, aber eigentlich machst du mich immer nur klein. Ja, es ist wirklich seltsam, aber ich habe mich nie gefragt, warum du das eigentlich machst. Gute Freunde … machen so etwas nicht … sollten sie zumindest nicht.
Vampir wird blass, schrumpft ein wenig.
VAMPIR: Aber … wie kannst du so etwas sagen. Wir kennen uns so lange … und ich war doch immer für dich da, oder nicht?
BEN (überlegt eine Weile): Ja … es stimmt, wir kennen uns wirklich sehr lange. Und du bist auch irgendwie immer da … Aber wenn ich recht überlege, ging es mir mit deinen Ratschlägen noch nie gut.
VAMPIR: