Kalt erwischt - Janet Evanovich - E-Book

Kalt erwischt E-Book

Janet Evanovich

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Beschreibung

Stephanie Plum ist vom Leben überfordert. Nicht nur, dass sie wieder einmal erfolglos hinter ein paar Gaunern her ist: Sie wird außerdem von einer jungen Frau verfolgt, die behauptet, mit Carlos Manoso, besser bekannt als »Ranger«, verheiratet zu sein. Stephanie versucht herauszufinden, was es mit der Frau auf sich hat – und warum es plötzlich zwei Ranger gibt. Nebenbei muss sie allerdings noch Grandma Mazur von einer Karriere als Rockstar im Madonna-Outfit abhalten, zwei schwulen Bestattungsunternehmern unter die Arme greifen und einem depressiven Schuhverkäufer zu Selbstbewusstsein verhelfen …

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Buch

Stephanie Plum ist vom Leben überfordert. Nicht nur, dass sie wieder einmal erfolglos hinter ein paar Gaunern her ist: Sie wird außerdem von einer jungen Frau verfolgt, die behauptet mit Carlos Manoso, besser bekannt als »Ranger«, verheiratet zu sein. Stephanie versucht herauszufinden, was es mit der Frau auf sich hat – und warum es plötzlich zwei Ranger gibt. Nebenbei muss sie allerdings noch Grandma Mazur von einer Karriere als Rockstar im Madonna-Outfit abhalten, zwei schwulen Bestattungsunternehmern unter die Arme greifen und einem depressiven Schuhverkäufer zu Selbstbewusstsein verhelfen …Mehr Informationen zur Autorin und ihren Büchern unter: www.janetevanovich.de

JANET EVANOVICH

Kalt erwischt

Ein Stephanie-Plum-Roman

Ins Deutsche übertragen von Thomas Stegers

Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel»Twelve Sharp« bei St. Martin’s Press, New York.

1. AuflageCopyright © der Originalausgabe2006 by Evanovich, Inc.All rights reserved.Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008by Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, MünchenUmschlagbild: FinePic®, MünchenLT · Herstellung: Str.Satz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-11429-9www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

1

Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich beim Kuchenbacken versehentlich statt Zucker Salz genommen. Ich holte den Kuchen aus dem Ofen, strich den Zuckerguss darüber und servierte ihn. Der Kuchen sah aus wie jeder andere Kuchen auch, aber wenn man sich ein Stück abschnitt und hineinbiss, merkte man sofort, dass da irgendetwas nicht in Ordnung war. Bei Menschen ist es genauso. Bei Menschen kann man auch nicht immer vom Äußeren auf das Innere schließen. Manchmal entpuppt sich ein Mensch als eine einzige große Überraschung, so wie der versalzene Kuchen. Manchmal ist die Überraschung gelungen, manchmal nicht, und manchmal bringt sie einen nur total aus dem Konzept.

Joe Morelli gehört zu den gelungenen Überraschungen. Er ist zwei Jahre älter als ich, wir kennen uns seit der Schulzeit. Damals war ein Date mit ihm immer wie ein Rendezvous mit dem Teufel, verlockend und beängstigend zugleich. Heute ist Joe Polizist in Trenton, und mal ist er mein Freund, mal mein Exfreund, je nachdem. Es gab Zeiten, da bekam ich bei seinem Anblick eine Gänsehaut, das ist vorbei. Jetzt ist Morelli ein ganz normaler Teil meines Lebens. Er hat einen Hund, der Bob heißt, ein hübsches kleines Haus und einen Rührstab. Morelli macht immer noch einen auf taff und unwiderstehlich, in Wahrheit ist er aber eher der sexy Typ mit dem Rührstab. Alles klar?

Ich habe einen Hamster, der Rex heißt, eine kleine Wohnung mit allem, was man so braucht, nur mein Rührstab ist kaputt. Ich heiße Stephanie Plum, und ich arbeite als Kautionsdetektivin, auch Kopfgeldjäger genannt, für meinen Vetter Vinnie. Es ist kein toller Job, aber er hat gewisse Vorteile, und wenn ich ab und zu bei meinen Eltern eine warme Mahlzeit schnorren kann, komme ich ganz gut über die Runden. Eigentlich könnte mir der Job eine Menge Kohle einbringen, doch leider haut es nicht immer so hin.

Manchmal arbeite ich noch unter der Hand für einen gewissen Ranger, der nicht gut für mich ist, aber das auf eine unglaublich gute Art und Weise. Er ist Sicherheitsexperte und Kautionsdetektiv, und er bewegt sich wie eine Katze. Ranger ist von außen Milchschokolade, ein köstliches, verbotenes Vergnügen. Was sich in seinem Inneren abspielt, weiß niemand so recht. Da lässt Ranger überhaupt nichts raus.

Ich arbeite mit zwei Frauen zusammen, die ich beide gerne mag. Connie Rosolli ist Vinnies Büroleiterin und zugleich sein Bluthund. Sie ist etwas älter als ich, etwas klüger, etwas abgebrühter und etwas italienischer. Sie hat mehr Brust zu bieten, und sie zieht sich sexy an wie Betty Boop.

Die andere Frau ist meine gelegentliche Partnerin Lula. Lula stolzierte vor wenigen Minuten erst ins Kautionsbüro und führte Connie und mir ihr neues Outfit vor. Lula ist schwarz und bringt ordentlich was auf die Waage, was sie allerdings nicht davon abhält, sich in Schuhe mit zehn Zentimeter hohen Pfennigabsätzen und in ein hautenges, goldenes Glitzerkleid zu quetschen, das eigentlich für eine viel zierlichere Person gedacht war. Der Ausschnitt war tief, und ihre Melonentitten quollen nur deswegen nicht hervor, weil sich die Brustwarzen in dem Stoff verhakt hatten. Der Rock spannte sich stramm über ihren Hintern und bedeckte ihn nur knapp.

Bei Lula und Connie wurde mit offenen Karten gespielt.

Lula bückte sich, um sich ihren Schuhabsatz näher zu besehen, und gewährte Connie einen Ausblick auf die Poebene.

»Meine Güte, Lula!«, sagte Connie »Kannst du dir nicht wenigstens eine Unterhose anziehen?«

»Habe ich doch«, sagte Lula. »Ich habe meinen besten Stringtanga an. Nur weil ich früher mal auf den Strich gegangen bin, heißt das noch lange nicht, dass ich leicht zu haben bin. Die dünnen Tangaträger verschwinden nur immer zwischen meinen süßen Pfirsichbäckchen.«

»Wozu hast du dich eigentlich so in Schale geschmissen?«, fragte Connie.

»Weil ich jetzt Rock-and-Roll-Sängerin werden will. Ich trete mit Sally Sweets neuer Band auf. Schon mal von The Who gehört? Wir nennen uns The What.«

»Du kannst doch gar nicht singen«, sagte Connie. »Ich habe dich schon mal singen hören. Du kriegst ja noch nicht mal die Melodie von Happy Birthday auf die Reihe.«

»Ich und nicht singen können?«, empörte sich Lula. »Ich singe jede Operndiva an die Wand. Außerdem können die meisten Rockstars sowieso nicht richtig singen. Die reißen bloß ihr Maul auf und schreien rum. Und gib zu – sehe ich nicht klasse aus in meinem neuen Fummel? Wenn ich damit auf die Bühne komme, achtet das Publikum gar nicht mehr auf meinen Gesang.«

»Da ist was dran«, sagte ich zu Connie.

»Allerdings«, sagte Connie.

»Ich habe mich noch nicht voll entfaltet«, sagte Lula. »In mir schlummern noch ungeahnte Talente. Gestern stand in meinem Horoskop, dass ich meinen Horizont erweitern soll.«

»Wenn du dich in dem Fummel noch mehr erweitern willst, kriegst du Ärger mit der Sittenpolizei«, sagte Connie.

Unser Kautionsbüro ist in der Hamilton Avenue, ein paar Häuserblocks vom Saint Francis Hospital entfernt, ganz praktisch, um angeschossene Klienten in Empfang zu nehmen. Das Büro ist ein kleines Ladenlokal, eingeklemmt zwischen einem Schönheitssalon und einem Buchantiquariat. Vorne, in dem ehemaligen Verkaufsraum, stehen ein Sofa aus verkratztem Kunstleder, ein paar Klappstühle, Connies Schreibtisch mit Computer und eine Reihe Aktenschränke. Vinnies Büro ist in einem abgetrennten Raum hinter Connies Schreibtisch untergebracht.

Als ich anfing, für Vinnie zu arbeiten, telefonierte er immer von seinem Zimmer aus mit Wettbüros und verabredete sich in der Mittagspause zum Hühnerficken. Jetzt hat er das Internet entdeckt und surft auf Pornoseiten und zockt in Online-Casinos. Hinter der Wand aus Aktenschränken befindet sich ein Lagerraum mit den »Utensilien« des Kautionsgeschäfts: Konfiszierte Fernsehgeräte, DVD-Player, iPods, Computer, ein auf Samt gedrucktes Konterfei von Elvis, Kochgeschirrsets, Küchenmixer, Kinderfahrräder, Eheringe, ein getuntes Motorrad, diverse George-Foreman-Tischgrills und weiß der Geier was noch. Vinnie bewahrte auch einige Schusswaffen und Munition in dem Raum auf und eine Kiste mit Handschellen, die er bei eBay ersteigert hat. Außerdem gibt es noch eine Toilette, die Connie blitzblank hält, und einen Hinterausgang, falls man mal schnell abhauen muss.

»Ich will ja kein Spielverderber sein«, sagte Connie, »aber wir müssen die Modenschau noch ein bisschen aufschieben. Wir haben nämlich ein Problem.« Sie schob mir einen Aktenstapel über den Schreibtisch zu. »Das sind alles ungelöste Fälle. Wenn wir nicht einige von den Kautionsflüchtlingen schnappen, können wir den Laden dichtmachen.«

Das Kautionsgeschäft funktioniert so: Wenn Sie wegen eines Verbrechens angeklagt sind und nicht im Untersuchungsgefängnis schmachten wollen, während Sie auf Ihren Prozess warten, können Sie dem Gericht stattdessen einen Haufen Geld geben. Das Gericht streicht das Geld ein und setzt Sie auf freien Fuß. Wenn Sie zu Ihrem Prozesstermin erscheinen, kriegen Sie Ihre Einlage zurück. Falls Sie gerade nicht flüssig sind, kann ein Kautionsmakler in Ihrem Namen dem Gericht das Geld geben. Er berechnet Ihnen dafür einen gewissen Prozentsatz, sagen wir zehn Prozent, den er für sich behält, egal ob Sie später schuldig gesprochen werden oder nicht. Wenn der Angeklagte zum Prozess erscheint, erhält der Kautionsmakler sein Geld vom Gericht zurück. Erscheint der Angeklagte nicht, bleibt das Geld so lange beim Gericht, bis der Kautionsmakler die arme Sau aufgespürt hat und ihn dem Gericht wieder vorführen kann.

Na, Problem erkannt? Geht zu viel Geld für Kautionen drauf und wird zu wenig eingenommen, muss Vinnie in den Laden reinbuttern. Oder noch schlimmer, die Versicherung, die Vinnies Risiko abdeckt, dreht uns den Hahn zu.

»Lula und ich kommen mit den Fällen nicht mehr nach«, sagte ich zu Connie. »Es sind einfach zu viele Kautionsflüchtlinge.«

»Ja, und ich weiß auch, woran das liegt«, sagte Lula. »Früher hat Ranger noch für uns gearbeitet. Aber seitdem er seine eigene Securityfirma hat, spürt er keine entflohenen Mandanten mehr für uns auf. Heute verfolgen nur noch Stephanie und ich die Bösen.«

Das stimmte. Ranger hatte seine Tätigkeit weitgehend auf den Bereich Security verlagert und nahm die Verfolgung von Kautionsflüchtlingen nur dann auf, wenn ein Fall hereinkam, der eine Nummer zu groß für mich war. Es gibt Leute, die meinen, für mich wäre jeder Fall eine Nummer zu groß, aber letztlich konnten wir darauf keine Rücksicht nehmen.

»Ich sage es ja nicht gerne«, gab ich zu bedenken, »aber ich glaube, du musst noch einen Kautionsdetektiv einstellen.«

»Wenn das so einfach wäre«, sagte Connie. »Denk nur daran, wie es war, als Joyce Barnhardt hier gearbeitet hat. Eine Katastrophe. Mit ihrer blöden Masche als knallharte Kopfgeldjägerin hat sie uns alle Verhaftungen vermasselt. Und dann hat sie euch auch noch die Fälle weggeschnappt. Die Frau ist nicht teamfähig.«

Joyce Barnhardt ist meine Erzfeindin. Die ganze Schulzeit über musste ich neben ihr sitzen, es war die reinste Hölle. Später, nach meiner Hochzeit, die Tinte auf dem Trauschein war noch nicht trocken, da stieg sie mit meinem Mann ins Bett, der jetzt mein Ex ist. Danke, Joyce.

»Wir könnten eine Annonce in der Zeitung aufgeben«, schlug Lula vor. »So habe ich meinen Job hier gefunden. Und wie ordentlich die Ablage seitdem ist, seht ihr ja selbst.«

Connie und ich verdrehten die Augen.

Lula war die schlampigste Sekretärin, die man sich vorstellen kann. Sie behielt ihren Job nur, weil keiner sonst bereit war, Vinnie als Chef in Kauf zu nehmen. Als Vinnie sie zum ersten Mal angrabschte, haute sie ihm mit einem kiloschweren Telefonbuch auf den Schädel und drohte, ihm seine Eier an die Wand zu tackern, wenn er sich nicht anständig benimmt. Seitdem ist Schluss mit sexueller Belästigung im Kautionsbüro.

Connie las uns die Liste der Namen auf den Akten vor. »Lonnie Johnson, Kevin Gallager, Leon James, Dooby Biagi, Caroline Scarzolli, Melvin Pickle, Charles Chin, Bernard Brown, Mary Lee Truk, Luis Queen, John Santos. Alles aktuelle Fälle. Die eine Hälfte kennt ihr schon. Die anderen sind gestern Abend reingekommen. Darüber hinaus haben wir neun Prominente, die wir erst mal in die Rubrik der vorläufig ungelösten Fälle verbannthaben. Vinnie stellt neuerdings viele Kautionen aus. Ziemlich riskant ist das – und führt zwangsläufig zu mehr NVGlern als üblich.«

NVG steht für »Nicht vor Gericht erschienen«, und NVGler nennen wir Probanden, die ihren Gerichtstermin verpasst haben. Es gibt viele Gründe, zu seinem Prozesstermin nicht zu erscheinen. Prostituierte und Dealer verdienen auf der Straße mehr als hinter Gittern, deswegen lassen sie sich erst dann im Gericht blicken, wenn wir nicht mehr bereit sind, sie gegen Kaution freizukaufen. Alle anderen wollen einfach nur nicht ins Gefängnis wandern.

Connie reichte mir die Akten, und ich bekam sofort Beklemmungen, als hätte sich mir ein Elefant auf die Brust gesetzt. Lonnie Johnson wurde wegen bewaffneten Raubüberfalls gesucht. Leon James wurde der Brandstiftung und des versuchten Mordes verdächtigt. Kevin Gallager war ein Autodieb. Mary Lee Truk hatte im Verlauf einer häuslichen Auseinandersetzung ihrem Mann ein Tranchiermesser in die linke Arschbacke gerammt. Und Melvin Pickle hatte man in der dritten Reihe im Multiplex-Kino mit heruntergelassener Hose erwischt.

Lula sah mir beim Lesen über die Schulter.

»Melvin Pickle«, sagte sie. »Das klingt doch lustig. Ich finde, wir sollten mit ihm anfangen.«

»Eine Stellenanzeige für einen Kautionsdetektiv ist gar keine schlechte Idee«, sagte ich zu Connie.

»Ja«, sagte Lula. »Überleg dir nur genau, wie du sie formulierst! Vielleicht kannst du ja ein bisschen schummeln. Also auf keinen Fall schreiben, dass wir einen schießwütigen Waffennarren suchen, der eine Bande Dreckschweine ausschalten soll.«

»Ich werde daran denken, wenn ich die Anzeige aufsetze«, sagte Connie.

»Ich muss mal raus, mir die Beine vertreten«, sagte ich zu Lula. »Ich brauche was für die gute Laune. Wenn ich wiederkomme, fangen wir mit der Arbeit an.«

»Gehst du zum Drugstore?«, wollte Lula wissen.

»Nein. Zur Bäckerei.«

»Kannst du mir einen Donut mit Sahnefüllung und Schokoguss mitbringen?«, fragte Lula. »Ich brauche auch was für die gute Laune.«

Es war später Vormittag, und der Garden State fing an, sich aufzuheizen. Der Himmel war wolkenlos, die Bürgersteige dampften, die Chemiefabriken im Norden schleuderten ihren Dreck in die Atmosphäre, und überall stießen Autos Kohlendioxyd aus. Später, im Laufe des Nachmittags, würde ich die Giftsuppe im Rachen spüren, dann wusste ich, dass der Sommer in New Jersey wirklich angebrochen war. Für mich gehört diese Suppe unbedingt dazu. Sie hat Stil. Und sie erhöht die Anziehungskraft von Point Pleasant. Wie soll man die Strände von New Jersey richtig würdigen, wenn man die Luft im Landesinneren beruhigt atmen kann?

Mit Schwung fegte ich in die Bäckerei und zielte schnurstracks auf den Donutstand. Marjorie Lando stand hinter der Theke und füllte gerade Cannoli-Röllchen für einen Kunden. War mir recht. Ich konnte warten, bis ich an der Reihe war. Die Bäckerei hatte immer etwas Besänftigendes. Beim Anblick von Zucker- und Fettbergen beruhigt sich mein Pulsschlag. Im Geist schwebe ich über unendliche Weiten von Plätzchen und Kuchen, Donuts und Cremetörtchen, alle gekrönt mit bunten Streuseln, Schokoglasur, Schlagsahne und Baiserschaum.

Gerade sinnierte ich über die Donutauswahl, da spürte ich eine vertraute Person in meinem Rücken. Eine Hand strich mir eine Haarsträhne beiseite, und Ranger lehnte sich leicht an mich und drückte mir einen Kuss in den Nacken.

»Fünf Minuten mit dir allein, und du würdest mich auch so angucken«, sagte Ranger.

»Fünf Minuten? Die kannst du haben, wenn du die Hälfte meiner Fälle übernimmst.«

»Hört sich verlockend an«, sagte Ranger, »aber ich bin gerade auf dem Weg zum Flughafen. Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme. Tank übernimmt so lange. Ruf ihn an, wenn du Hilfe brauchst! Und solltest du mal wieder vorübergehend bei mir wohnen wollen, sag ihm Bescheid!«

Vor einiger Zeit brauchte ich mal einen sicheren Ort als Unterschlupf und nahm dazu Rangers Wohnung in Beschlag. Er war gerade nicht in der Stadt. Als er nach Hause kam, rekelte sich Goldlöckchen friedlich schlafend in seinem Bett. Gnädigerweise warf er mich nicht aus dem Fenster in seiner Wohnung im sechsten Stock. Ja, ich durfte sogar bleiben, bei nur minimaler sexueller Belästigung. Na gut, minimal trifft vielleicht nicht ganz zu. Ich würde mal sagen Stufe 7, auf einer Skala von 1 bis 10, aber er hat auch nichts erzwungen.

»Woher weißt du, dass ich hier bin?«, fragte ich ihn.

»Ich bin im Kautionsbüro vorbeigefahren. Lula hat mir gesagt, dass du einen Sonderauftrag erledigst.«

»Wo fliegst du hin?«

»Nach Miami.«

»Zum Vergnügen? Oder hast du irgendwelche Geschäfte am Laufen?«

»Dunkle Geschäfte.«

Marjorie war mit ihrem Kunden fertig und wandte sich jetzt mir zu. »Was darf es sein?«

»Zwölf Boston Cream Donuts.«

»Babe!«, sagte Ranger.

»Die sind nicht alle für mich allein.«

Ranger lacht nicht oft. Meistens lacht er nur in Gedanken, und was sich jetzt auf seinem Gesicht abzeichnete, war so ein gedankliches Lachen. Er schlang die Arme um meine Taille, zog mich an sich und küsste mich. Der Kuss war warm und kurz. Keine Zungenakrobatik vor der Verkäuferin, Gott sei Dank. Ranger drehte sich um und ging. Tank wartete am Straßenrand in einem schwarzen SUV. Ranger stieg ein, und sie fuhren los.

Marjorie stand mit einem Pappkarton in der Hand und heruntergeklappter Kinnlade hinter der Theke. »Wahnsinn!«, sagte sie.

Mir entfuhr ein Stoßseufzer. Marjorie hatte recht, Ranger war definitiv der Wahnsinn. Er war einen halben Kopf größer als ich, hatte perfekt geformte Muskeln und sah supergut aus, wie der klassische Latino. Er roch immer gut, und er trug nur Schwarz. Seine Haut war dunkel. Sein Haar war dunkel. Sein Leben war dunkel. Ranger hatte viele Geheimnisse.

»Es ist eine rein geschäftliche Beziehung«, klärte ich Marjorie auf.

»Wenn er noch länger geblieben wäre, wäre die Schokolade an den Eclairs geschmolzen.«

»Das gefällt mir ganz und gar nicht«, stellte Lula klar. »Wenn du mich fragst, würde ich viel lieber den Perversen verfolgen. Ich halte es für keine kluge Entscheidung, erst den Waffenliebhaber festzunehmen.«

»Für den haben wir aber die höchste Kaution gezahlt. Und seine Festnahme würde Vinnies Laden ruckzuck sanieren.«

Wir saßen in Lulas rotem Firebird, gegenüber von Lonnie Johnsons Haus. Es war ein schindelverkleideter Flachbau in einem heruntergekommenen Viertel, das an das Hockeystadion grenzte. Es war kurz vor zwölf, keine gute Zeit, um einen gefährlichen Kriminellen hochzunehmen. Wenn er noch im Bett ist, dann deswegen, weil er betrunken ist und bösartig. Wenn er nicht im Bett ist, dann hockt er wahrscheinlich in der nächsten Kneipe, betrinkt sich und ist ziemlich mies drauf.

»Wie sollen wir vorgehen?«, wollte Lula wissen. »Wie die Obergangsta-Kopfgeldjäger einfach die Bude stürmen und ihn alle machen?«

Ich sah Lula an. »Haben wir das je gemacht?«

»Was nicht ist, kann ja noch werden.«

»Wir würden uns total blamieren. Es wäre inkompetent.«

»Du bist viel zu streng«, sagte Lula. »Und inkompetent sind wir auch nicht. Jedenfalls nicht total, höchstens zu achtzig Prozent. Weißt du noch, wie du damals mit dem nackten, eingefetteten Kerl gerungen hast? Mit dem bist du doch glatt fertig geworden.«

»Für die Pizzalieferservice-Masche ist es noch zu früh«, sagte ich.

»Und die Blumenlieferservice-Masche geht auch nicht. Würde uns keiner abnehmen, dass jemand so einem Blödmann Blumen schickt.«

»Wenn du dich nicht umgezogen hättest, hätten wir die Nuttenlieferservice-Masche abziehen können«, sagte ich zu Lula. »Du in Goldflitter, und er hätte dir bestimmt die Tür aufgemacht.«

»Wir könnten so tun, als wollten wir Plätzchen verkaufen. Wie die Pfadfinderinnen. Zum Spendensammeln. Wir brauchten nur zurück zum 7-Eleven zu fahren und Plätzchen zu kaufen.«

Ich schlug Johnsons Nummer auf dem Formular der Kautionsvereinbarung nach und rief ihn mit meinem Handy an.

»Yeah?«, sagte eine männliche Stimme.

»Lonnie Johnson?«

»Was wollen Sie? Scheiß Miststück. Mich so früh am Tag anzurufen. Glauben Sie vielleicht, ich hätte nichts Besseres zu tun, als ans Telefon zu gehen?« Knall! Aufgelegt.

»Und?«, fragte Lula.

»Er hat keine Lust zu reden. Und er ist sauer.«

Ein schimmernder schwarzer Hummer mit getönten Scheiben kam die Straße entlanggeschnurrt und hielt vor Johnsons Haus.

»Oh, oh«, sagte Lula. »Wir kriegen Gesellschaft.«

Plötzlich wurde aus dem Wagen das Feuer auf Johnsons Haus eröffnet. Es waren mehrere Waffen. Mindestens eine Automatik war dabei, die ununterbrochene Salven ballerte. Fensterscheiben zersprangen, das Haus wurde regelrecht durchsiebt. Das Gewehrfeuer wurde erwidert, und ich beobachtete, wie sich die Spitze eines Raketenwerfers aus einem Fenster schob. Das hatten die Insassen des Hummer offenbar auch gesehen und drückten so aufs Gaspedal, dass die Reifen durchdrehten.

»Wir kommen wohl gerade ungelegen«, sagte ich zu Lula.

»Ich habe doch gleich gesagt, dass wir mit dem Perversen anfangen sollen.«

Melvin Pickle arbeitete in einem Schuhgeschäft. Der Laden gehörte zu der Shopping Mall, die an das Multiplex-Kino angegliedert war, wo Melvin bei der Handmassage erwischt worden war. Ich konnte mich für diesen Auftrag nicht unbedingt erwärmen, weil ich einiges Verständnis für Pickle hatte. Wenn ich den ganzen Tag in so einem Schuhgeschäft arbeiten müsste, würde ich mich auch ab und zu mal ins Multiplex setzen und mir gepflegt einen abkitzeln.

»Das wird bestimmt ganz einfach, den Kerl festzunehmen«, sagte Lula, als wir vor der Mall anhielten. »Außerdem können wir hier noch Pizza essen und shoppen gehen.«

Eine halbe Stunde später waren wir vollgefressen mit Pizza und hatten einige neue Parfums spazieren geführt. Wir waren durch die Mall geschlendert und mittlerweile vor Melvins Schuhladen gelandet und sondierten die Angestellten. Ich hatte ein Foto von Melvin dabei, das an die Kautionsvereinbarung geheftet war.

»Da ist er«, sagte Lula mit einem Blick in das Geschäft. »Der da, auf den Knien. Der gerade versucht, dieser Dummtussi die potthässlichen Schuhe anzudrehen.«

Nach den Unterlagen zu urteilen, war Pickle gerade vierzig geworden. Rotblondes Haar, Militärschnitt, blasse Haut, Augen hinter runden Brillengläsern versteckt, Lippen durch fette Herpesbläschen fein akzentuiert. Er war knapp eins siebzig groß, von normaler Statur, vielleicht ein bisschen schwammig. Hose und Jackett waren nicht gerade aus der Kleidersammlung, aber fast. Und er machte den Eindruck, als wäre es ihm scheißegal, ob die Frau die Schuhe nun kaufte oder nicht.

Ich steckte die Handschellen aus der Umhängetasche in meine Hosentasche. »Ich werde schon mit ihm fertig«, sagte ich zu Lula. »Bleib hier stehen, für den Fall, dass er abzischt.«

»Der sieht nicht aus wie ein Abzischer«, sagte Lula. »Der sieht eher aus wie ein lebender Toter.«

Ich musste Lula recht geben. Pickle sah aus, als stünde er kurz davor, sich eine Kugel in den Schädel zu jagen. Ich ging zu ihm, stellte mich hinter ihn und wartete darauf, dass er sich aufrichtete.

»Der Schuh gefällt mir sehr gut«, sagte die Frau. »Aber ich brauche Größe 40.«

»Größe 40 habe ich nicht mehr da«, sagte Pickle.

»Ganz bestimmt nicht?«

»Nein.«

»Wollen Sie nicht doch mal lieber nachschauen?«

Pickle blieb im ersten Moment die Spucke weg, dann nickte er. »Klar.«

Er stand auf, drehte sich um und stieß gegen mich.

»Sie wollen abhauen, stimmt’s?«, fragte ich. »Sie wollen durch die Hintertür verschwinden und nach Hause gehen und nie mehr zurückkommen.«

»Das ist eine wiederkehrende Fantasie von mir«, sagte er.

Ich sah auf die Uhr. Es war halb eins. »Haben Sie schon zu Mittag gegessen?«, fragte ich ihn.

»Nein.«

»Wenn Sie jetzt mit mir zusammen Mittagspause machen, spendiere ich Ihnen eine Pizza.«

»Und wo ist der Haken?, fragte Pickle. »Sind Sie eine Betschwester, die meine Seele retten will?«

»Nein, ich bin keine Betschwester.« Ich reichte ihm die Hand. »Stephanie Plum.«

Reflexartig schüttelte er meine Hand. »Melvin Pickle.«

»Ich arbeite für das Kautionsbüro Vincent Plum«, sagte ich. »Sie haben Ihren Gerichtstermin verpasst. Sie müssen einen neuen vereinbaren.«

»Klar.«

»Jetzt. Sofort.«

»Ich kann jetzt nicht weg. Ich muss arbeiten.«

»Machen Sie doch jetzt Ihre Mittagspause!«

»Da habe ich eigentlich schon was vor.«

Wahrscheinlich ins Kino gehen. Ich hielt immer noch seine Hand, mit der freien Hand legte ich ihm Handschellen an.

Er traute seinen Augen nicht. »Was soll das? Das können Sie doch nicht machen. Die Leute werden Fragen stellen. Was soll ich denen antworten? Dass ich ein Perversling bin?«

Zwei Frauen sahen zu ihm herüber und zogen die Brauen hoch.

»Das ist den Leuten egal«, sagte ich und sprach die beiden Frauen an. »Das ist Ihnen doch egal, oder?«

»Natürlich«, murmelten sie und verließen fluchtartig das Geschäft.

»Kommen Sie einfach unauffällig mit mir!«, sagte ich. »Ich bringe Sie zum Gericht und hole Sie gegen Kaution wieder raus.«

In Wirklichkeit würde Vinnie das erledigen. Vinnie und Connie durften Kautionen ausstellen, Lula und ich waren der Fangtrupp.

»Mist«, sagte Pickle. »Verdammter Mist.«

Dann setzte er sich ab, mit baumelnden Handschellen am Gelenk. Lula stellte sich ihm in den Weg, aber er holte Anlauf und stieß sie einfach um, so dass sie auf dem Hintern landete. Er taumelte kurz, fing sich wieder und rannte davon. Ich war zehn Schritte hinter ihm, stolperte über Lula, kam wieder auf die Beine und lief weiter. Ich jagte ihn durch die ganze Mall und eine Rolltreppe hinauf.

An das andere Ende der Mall war ein Hotel mit einem Atrium angebaut. Pickle lief in die Hotelhalle und raste durch die Brandschutztür ins Treppenhaus. Ich verfolgte ihn fünf Treppen rauf und dachte schon, gleich würden mir die Lungen platzen. Oben entwischte er durch eine Tür, und ich schleppte mich keuchend hinterher.

Das Hotel hatte sechs Stockwerke, alle Zimmer gingen zu einem Korridor, von dem aus man in das riesige Atrium hinabblickte. Wir waren im fünften Stock. Ich kam aus dem Treppenhaus getorkelt und sah, dass Pickle das Atrium zur Hälfte umrundet hatte und rittlings auf dem Balkongeländer saß.

»Kommen Sie bloß nicht näher!«, schrie er. »Sonst springe ich.«

»Von mir aus«, sagte ich. »Ich kriege mein Geld so oder so, ob Sie tot sind oder lebendig.«

Das schien Pickle schwer zu deprimieren. Aber vielleicht sah er immer deprimiert aus.

»Sie sind ziemlich sportlich«, sagte ich, noch immer aus der Puste. »Wie halten Sie sich so fit?«

»Mein Auto wurde beschlagnahmt. Jetzt gehe ich überall zu Fuß hin. Und ich bin den ganzen Tag im Schuhgeschäft auf den Beinen. Nach Feierabend tun mir die Knie höllisch weh.«

Während ich mit ihm redete, rückte ich zentimeterweise vor. »Warum suchen Sie sich nicht eine neue Arbeit? Eine, bei der Ihre Knie nicht so belastet werden.«

»Wollen Sie mich verarschen? Ich bin froh, dass ich diesen Job überhaupt habe. Gucken Sie mich doch an! Ich bin ein Loser. Ich bin ein Perverser und ein Loser. Und ich habe einen dicken Herpes. Ich bin ein perverser Loser mit Herpes.«

»Reißen Sie sich zusammen! Sie brauchen kein perverser Loser zu sein, wenn Sie nicht wollen.«

Die ganze Zeit über saß er auf dem Geländer und ließ die Beine baumeln. »Das sagen Sie so leicht. Sie heißen ja auch nicht Melvin Pickle. Und bestimmt haben Sie bei den Cheerleadern auf der Highschool den Stab geschwungen. Sie waren beliebt. Sie haben einen Freund.«

»Kann ich nicht gerade behaupten. Aber so was Ähnliches wie einen Freund.«

»Was soll denn das heißen? So was Ähnliches?«

»Das heißt, dass er mein Freund ist, aber ich posaune es nicht aus.«

»Warum nicht?«, wollte Melvin wissen.

»Ich weiß auch nicht warum. Es kommt mir komisch vor.« Ich wusste natürlich genau warum, aber das würde ich auf keinen Fall ausposaunen. Ich habe was mit zwei Männern am Laufen, und ich wusste nicht, für wen ich mich entscheiden sollte. »Müssen Sie unbedingt auf dem Geländer sitzen? Ich kriege Gänsehaut, wenn ich das sehe.«

»Haben Sie Angst, ich könnte runterfallen? Ich dachte, das wäre Ihnen egal. Tot oder lebendig – war es nicht so?«

Das Handy in meiner Umhängetasche klingelte.

»Jetzt gehen Sie schon ran, verdammte Scheiße!«, sagte Pickle. »Kümmern Sie sich nicht um mich: Ich will mich nur umbringen.«

Ich verdrehte übertrieben theatralisch die Augen und ging ran.

»He«, sagte Lula. »Wo bist du? Ich suche dich schon die ganze Zeit.«

»Ich bin in dem Hotel am Ende der Mall.«

»Ich stehe genau davor. Was machst du da? Hast du Pickle erwischt?«

»Kann ich nicht gerade behaupten. Wir sind im fünften Stock, und er überlegt sich, ob er von der Brüstung springen soll.«

Ich beugte mich über das Geländer und sah Lula unten das Atrium betreten. Sie schaute zu mir hoch, und ich winkte ihr zu.

»Ich kann dich sehen«, sagte sie. »Sag Pickle, wenn er sich hinunterstürzt, würde er hier unten eine große Schweinerei anrichten. Der Fußboden ist aus Marmor, und sein Schädel würde wie ein rohes Ei aufplatzen. Überall würden Blut und Gehirnmasse kleben.«

Ich legte auf und überbrachte Pickle die freudige Botschaft.

»Ich habe mir was überlegt«, sagte er. »Ich springe mit den Füßen zuerst. Dann prallt der Kopf bei der Landung nicht so hart auf.«

Allmählich wurde man auf Pickle aufmerksam. Menschen versammelten sich um das Atrium herum und sahen zu ihm hoch. Die Aufzugtür hinter mir öffnete sich, und ein Mann in einem Anzug trat heraus.

»Was ist hier los?«, fragte er.

»Kommen Sie mir bloß nicht zu nahe!«, schrie Pickle. »Ich springe, wenn Sie näher kommen!«

»Ich bin der Hoteldirektor«, sagte der Mann. »Kann ich irgendwas für Sie tun?«

»Haben Sie ein Sprungnetz?«, fragte ich ihn.

»Hauen Sie ab!«, sagte Pickle. »Ich habe große Probleme. Ich bin ein Perversling.«

»Sie sehen gar nicht aus wie ein Perversling«, sagte der Direktor.

»Ich habe im Multiplex gewichst«, gestand Pickle.

»Das machen doch alle«, sagte der Direktor. »Ich gucke mir gerne Streifen mit jungen Mädchen an. Dazu ziehe ich mir immer die Unterhosen meiner Frau an. Und wenn ich fertig bin …«

»Meine Fresse«, sagte Pickle. »Das ist zu viel. Das verkrafte ich nicht.«

Der Direktor tauchte hinter den Aufzugtüren ab und Minuten später unten in der Eingangshalle wieder auf. Er stellte sich zu einer kleinen Gruppe Hotelangestellter, Kopf im Nacken, Augen wie gebannt auf Pickle gerichtet.

»Sie machen ja eine ganz schöne Show«, sagte ich zu Pickle.

»Ja«, sagte Pickle. »Gleich fangen sie unten an zu brüllen: ›Springen! Springen!‹ Die Leute sind beschränkt. Ist Ihnen das auch schon aufgefallen?«

»Es gibt auch ein paar gute Menschen«, tröstete ich ihn.

»Ach, ja? Nennen Sie mir den besten Menschen, den Sie kennen? Gibt es unter all Ihren privaten Bekanntschaften auch nur einen, der ein Gespür dafür hat, was falsch und was richtig ist, und der danach lebt?«

Das war eine heikle Frage, denn Ranger wäre dieser Mensch gewesen, aber ich hatte den Verdacht, dass er gelegentlich auch mal jemanden um die Ecke brachte. Natürlich nur böse Menschen, aber trotzdem.

Die Zuschauermenge im Atrium schwoll an, jetzt stießen noch einige uniformierte Männer von der Security und zwei Polizisten aus Trenton hinzu. Einer der Polizisten sprach in sein Funkgerät, berichtete Morelli wahrscheinlich gerade brühwarm, dass ich mal wieder voll in eine Katastrophe geschliddert war. Ein Kameramann und sein Assistent gesellten sich zu den Gaffern.

»Wir sind im Fernsehen«, sagte ich zu Pickle.

Pickle sah nach unten, winkte in die Kamera, und alle jubelten.

»Langsam wird es mir zu bunt«, sagte ich zu Pickle. »Ich gehe.«

ENDE DER LESEPROBE