Kampfplatz Liebe - Marie-Luise Schwarz-Schilling - E-Book

Kampfplatz Liebe E-Book

Marie-Luise Schwarz-Schilling

4,7

Beschreibung

Autolack und Lippenstift – Männer und Frauen sind verschieden. Aber sie sollen gleiche Rechte haben, sagen heute Staat und Gesellschaft. Haben sie das? Hier entstehen immer wieder Konflikte. Ob Equal Pay, Kind versus Karriere oder Frauenquote, gerade im beruflichen Feld stehen – Frauen wie Männern – oft Probleme im Weg, die ihren Ursprung in der Geschlechterfrage haben. Die Autorin Marie-Luise Schwarz-Schilling ist in ihrem Buch „Kampfplatz Liebe“ diesem Thema auf völlig unkonventionelle Weise auf den Grund gegangen: Sie lässt eine fiktionale Talkrunde ganz unterschiedlicher Männer und Frauen zu Wort kommen. „Ich wollte eine Talkrunde erschaffen, in der die ernsten Probleme, die sich aus ererbten Glaubenssätzen und Hintergründen in Hirn und Herz ergeben besprochen werden – manchmal sogar mit einem Lächeln“, erklärt die 81-jährige Autorin die Handlung des Buches und führt weiter aus: „Die Spannung ergibt sich aber nicht nur aus den Themen, sondern auch aus den Personen, die an dieser Talkrunde teilnehmen, bei der es keine Kameras gibt, sondern an der der Leser als Publikum teilnimmt. Hier sitzen ein investigativer Journalist, eine Tänzerin des Staatsballetts Berlin, ein eleganter Finanzexperte, eine Mathematikerin, eine Autorin historischer Romane und ein Bierbrauer, dessen Drogenvergangenheit und früherer Beruf als Polizisten ihn sehr geprägt haben, zusammen – und reden. Sie alle sind Single, sie alle vertreten eine andere Meinung: kämpferisch, heiter, verärgert und nachdenklich.“

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Inhalt

Kampfplatz Liebe

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog

1. Tafelrunde: Wie verschieden sind Mann und Frau?

Zwischenspiel: Alexander und Hypathia in der Windhorstbar

2. Tafelrunde: Männlicher und weiblicher Führungsstil

Zwischenspiel: Vater-Sohn-Dialog

3. Tafelrunde: Sexualität und Verantwortung

Zwischenspiel, Balthasar an der Theke

4. Tafelrunde: Die Glücksmacher – Wettbewerb und Fortschritt

Zwischenspiel: Lug und die Frauen

5. Tafelrunde: Das Grollen der Männer

6. Tafelrunde: Tiefenschichten – Neugier und Sehnsucht

Epilog

Anmerkungen

Impressum

Kampfplatz Liebe

Wie viel Gleichberechtigung

verträgt die Partnerschaft?

von Marie-Luise Schwarz-Schilling

Auch als gedrucktes Buch mit der ISBN 978-3-7392-4954-4 erhältlich.

 Umschlagbild: Henrik Sorensen (gettyimages, Stone)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 

Prolog 

1.Tafelrunde: Wie verschieden sind Mann und Frau 

Nicht ich, die Gene sind schuld – Patriarchen bändigen Wettbewerb – Männer frohlocken im Sieg, Frauen im Genuss – Helenas Utopie

Zwischenspiel, Alexander und Hypathia in der Windhorstbar

2.Tafelrunde: Männlicher und weiblicher Führungsstil 

Krieg stiftet Wir-Gefühl – Ich-Kampf – Rückzug des Vaterverstandes – Warum Frauen anders führen – Gedöns oder Mehrwert?

Zwischenspiel, Vater-Sohn-Dialog

3.Tafelrunde: Sexualität und Verantwortung 

Sexuelle Evolution: Männchen buhlen und Weibchen wählen – Sexdefizit der Männer – Seitensprung, Porno oder Treue – Eros-Frau oder Rivalin – Liebe nach der Verliebtheit

Zwischenspiel, Balthasar an der Theke

4.Tafelrunde: Die Glücksmacher: Wettbewerb und Fortschritt 

Männer laufen um die Wette – das größte Glück der größten Zahl – Gewählt wird, wer Wachstum verspricht – Glück oder Freude? – Haben-Wollen: zu welchem Ziel? Einander die Hölle machen – Regeln für den Wettbewerb

Zwischenspiel, Lug und die Frauen

5.Tafelrunde: Das Grollen der Männer 

Träume, Bilder und Erwartungen – „Mingle“, die neue Partnerschaft – der Erfolg der Partnerin deprimiert den Mann – Mitgefühl nur bei Dominanz – Beischlaf und Unterwerfung – Bleibt der Andere ein Fremder?

6.Tafelrunde: Neugier und Sehnsucht 

Ich fühle, also bin ich – die Instanz für das Bewerten – Moral und die Sozialisierung des Göttlichen – der Bestirnte Himmel und das Moralische Gesetz – Zentrale Kommandos im Buddhismus und Christentum – Zufall oder Absicht – Die Liebe des Genießens – Sehnsucht und Neugier

Epilog  

Anmerkungen 

Vorwort

Vorwort – Einladung an den Leser

„Liebe ist nur ein Wort“, mit dieser melancholischen Botschaft rührte ein Roman von Johannes Mario Simmel 1963 die Nachkriegsjugend. Nachhaltig wirkte die Botschaft nicht. Stattdessen werden immer neue Erklärungen für Liebe gefunden: zum Beispiel Oxytocin, das Kuschelhormon.

Unter den vielen Facetten der Liebe ist eine mein Thema, die Zuneigung zwischen Mann und Frau. Bis vor zwei bis drei Generationen hielten Ehegesetze und feste Bräuche die Familien zusammen. Liebe, das kommt später, sagten die Großmütter. Heute hat sich das radikal geändert: Nicht mehr Gesetze, sondern nur Liebe gilt als einzig erlaubtes Fundament von Ehe und Partnerschaft.

Liebe – was ist das? Seit zweihundert Jahren bemühen sich Dichter und Liedermacher um diese Frage. Einem von ihnen, Wilhelm Schlegel, war schon 1799 klar: Liebe gibt es nur unter Ebenbürtigen. Ebenbürtig aber sind Frauen bis heute nicht. Dieser Widerspruch macht Liebe oft zum Kampfplatz.

Ich war ein neugieriges Kind und fragte viele Leute danach, wie es früher war. Dann erzählten sie mir Geschichten. Die Neigung, sich für das zu interessieren, wie es früher war, ist bis heute geblieben. Historische und psychologische Forschungen zeigen, dass viele Motive der Handeln den aus ihrer kollektiven und persönlichen Geschichte stammen.

Woher kommt es denn, dass Mann und Frau als grundverschiedene Wesen gedeutet werden? Warum waren Weibchen bei Aristoteles verkrüppelte Männchen? Die Schriftgelehrten und Gehirnforscher finden immer neue Einzelheiten über den mentalen Graben, der die Geschlechter trennt. Warum meiden junge Frauen auch heute häufiger eine Ausbildung als Ingenieurin? Warum sind so wenige von ihnen an dem rasanten Ausbau der IT-Welt beteiligt? Da muss doch etwas dahinterstecken, wenn auch heute Frauen nach dem ersten Baby in vielen Unternehmen von Karriereplanungen ausgeschlossen werden.

Was dahintersteckt, ist die Geschichte, tausendundeine Geschichte, aber auch eine Linie. Sie führt in Europa nach dem Ende der Eiszeit ab 7500 v. Chr. zu den Ackerbau-Zivilisationen mit egalitärer Sozialverfassung, in der kein Mitglied dauerhaft Macht über andere ausüben konnte. Ab 3500 v. Chr. entstand die elitäre Clanordnung, die Grundlage des Patriarchats. Von da an wurden Frauen Mündel ihrer Väter, Brüder oder Ehemänner. Erst 1977 wurde in Deutschland das letzte Gesetz aufgehoben, nach dem Frauen ihre Ehemänner beim Abschluss eines Arbeitsvertrages um Erlaubnis fragen mussten.

Schnee von gestern? Gewiss, aber dieser Schnee ist tief in unser kollektives und individuelles Unbewusstsein eingesickert. Nicht nur bei Gewalttaten, beim Einkommen oder bei Herrenwitzen, sondern auch bei Personalbesetzungen macht sich dies heute bemerkbar.

Es geht in diesem Buch um die Hintergründe unserer persönlichen und kollektiven Widersprüche zwischen Wünschen und Wollen. Sie sind mit den selbstverständlichen Glaubenssätzen in Hirn und Herz vernetzt, und viele davon stammen aus dem „Schnee von gestern“. Bei Männern liegen dort dicke Seile. Unvergesslich ist mir der ungläubige Schrei von Gerhard Schröder vor laufender Fernsehkamera, als eine Frau ihn 2005 als Bundeskanzler ersetzte. Eine Frau? Das kann doch nicht wahr sein! Wie er dachten noch andere Bundesbürger.

Ich erzähle dies alles, weil ich vielen Frauen, die an ihrer eigenen work-life-balance verzweifeln, Mut machen will. Was wir vor uns haben, ist eine Jahrtausendaufgabe: zur Ranggleichheit des Weiblichen zurückfinden!Nicht jede ist so fit wie Sheryl Sandberg, aber jede Einzelne muss und kann mitwirken. Dazu gehört es, viele alte Glaubenssätze im Netz des Gehirns zu löschen, denn auch in weiblichen Gehirnen ruhen dicke Seile. Das ist eine kolossale Anstrengung: Nicht mal im www unserer IT-Netze gelingt uns das Löschen von Daten zuverlässig!

Ein so delikates Gebiet wie den Kampfplatz Liebe will ich nicht einseitig aus meiner weiblichen Sicht beschreiben. Deshalb habe ich hier die Form eines Gesprächs-Buches gewählt. Frauen sprechen nicht über Männer, sondern mit Männern. Die Runde sorgt dafür, dass die Heiterkeitnicht untergeht. Es ist eine Talk-Runde, aber ohne Kamera und ohne Fensterreden – hier heißt das deshalb „Tafelrunde“. Die Personen sind fiktiv, was nicht bedeutet, dass ich nicht einige von ihnen kenne. Aber dass Männer und Frauen über solche Themen ihre Gedanken austauschen, wird wohl eher der Zukunft angehören.

Liebe ist nicht nur ein Wort, sie ist ein Tun. Liebe ist wonnig, anstrengend, manchmal lästig und sie kann wehtun. Liebe ist auch ein Kampfplatz, weil wir unsere Lebensordnung ändern, und das erst seit zwei Generationen. Miteinander sprechen ist die einzige Chance zum Verstehen. Einen anderen schweigend zu verstehen, gelingt nur in der Morgenröte der Verliebtheit.

Sprechen Sie mit. Ich freue mich über Ihre Nachricht auf Facebook.

Prolog

Vorstellung der Tafelgefährten

Elisabeth (55) hatte eine Szene im Verlagshaus gerade noch vermieden. Sie war aufgestanden und hatte die Runde abrupt verlassen. Wütend. Sie wusste, dass wütende Frauen bei Männern lächerlich wirken. Deshalb war sie gegangen, saß jetzt im Sessel in ihrer neuen Wohnung in Friedenau und wütete weiter. Der idiotische Lektor wollte lauter Änderungen in ihrem Manuskript über Enheduana, Tochter des Sargon von Akkad, Hohepriesterin des Tempels in Ur, erste Dichterin der Weltgeschichte. Historische Romane zu schreiben war Elisabeths Broterwerb. Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und bescherten der Autorin finanziellen Wohlstand.

„Himmel, Arsch und Zwirn“, brummte sie vor sich hin. Andere Schimpfworte verbot sie sich zu denken, es schickte sich nicht für eine Literatin. „Himmel, Arsch und Zwirn“ war erlaubt, denn das hatte schon ihr Vater gesagt, und der war ein großer Herr gewesen, was sich besonders zeigte, wenn er wieder einmal insolvent war. Mit großer Energie und lässigem Charme überzeugte er neue Geldgeber für einen neuen Film. Einer wurde tatsächlich ein großer Erfolg.

Die Erinnerung an den Vater milderte Elisabeths Wut. Er war oft fern gewesen, aber dann plötzlich immer wieder in ihr Leben gesprungen. Als der Film gedreht wurde, war Elisabeth 15 Jahre alt; sie bekam eine kleine Rolle und verliebtesich stürmisch in den Helden – oder in den Schauspieler?

Verlieben, sich blind verlieben, das taten Mädchen immer noch. Erst gestern Abend hatte ihre Lieblingsnichte angerufen, verzweifelt. Ihr Freund hatte sich aus dem Staube gemacht – nicht mehr angerufen – einfach so. Hab ich was falsch gemacht? Die ewige Frage nach dem Warum, die Frauen so häufig stellen.

Elisabeth nahm einen großen Schluck Sekt und grübelte vor sich hin. Viel Streit und Tränen zwischen Männern und Frauen – Kampfzonen, wohin man sah. Das musste man doch mal ausleuchten! Sie selbst hatte Glück gehabt mit ihrem Stephan, er hatte ihr Zuversicht gegeben, die blieb, als er starb.

Sie sprang auf und rannte in der noch leeren Wohnung hin und her. Dabei fiel ihr Blick auf die Titelseite einer Zeitschrift, die am Boden lag. Das neueste Glamour-Paar war abgebildet, dieÜberschrift hieß: „Warum hat er sie verlassen?“ Verdammter Mist, so werden Vorurteile gefestigt. Dabei ist total unklar, wer wen verlassen hat. Ich sollte jetzt endlich auf meine Idee von einer Gesprächsrunde zurückkommen, um die Kampfzone von allen Seiten zu beleuchten, nicht nur von Männern, die nichts fühlen, und Frauen, die nichts verstehen.

Ein wichtiger Punkt ist: Wozu brauchen Männer und Frauen einander eigentlich heute noch? Fortpflanzung? Das ist nicht mehr sehr begehrt.

Zum Sex? Sexualität ist bei jungen Leuten eigentlich kein Grund mehr, um eine Verbindung einzugehen. Sex kann jeder mit jedem haben, auch ohne sich festzulegen. Sie hatte gelesen, dass bei den 35- bis 64-Jährigen doppelt so viele Männer als Singles lebten als vor 20 Jahren, nämlich 21 % dieser Altersgruppe.1

Würde die männlich-weibliche Partnerschaft allmählich aus der Mode kommen? Frauen brauchten Männer bis vor Kurzem zum Überleben, das war ein handfestes Motiv. Männer brauchten Frauen zum Sex und auch zum Ansehen im Dorf. Und heute? Lebensnotwendig oder auch nur gesellschaftlich nützlich waren feste Bindungen eigentlich nicht mehr. War diese Diagnose richtig? Jedenfalls war es kein Wunder, dass so selten Kinder geboren wurden.

Elisabeth setzte sich wieder hin und nahm einen großen Schluck. Sie war stolze 172 Zentimeter groß, aber hatte zu ihrem Kummer in den letzten Jahren einige Rundungen angesammelt. Alkohol stand nicht auf dem Diätplan. Na, wenn schon! Sie hatte über solche Themen immer wieder nachgedacht. Erst vor Kurzem hatte ein junger Künstler ihr auf ihre Frage, was er für Erwartungen an eine Partnerin habe, geantwortet: „Aus der Sicht des Mannes sieht es so aus: Es gibt nur Frauen, die ich als Mann nach der Güte ihrer Weiblichkeit, sprich Sexualität und Kochkunst und anderer femininer Qualitäten beurteile. Wenn sie da super sind, sind sie super.

Ihre beruflichen Qualitäten interessieren mich nicht.“

Was würden solche Worte bei ihrer Nichte bewirken? Der Künstler war ja kein Fossil, sondern im gleichen jugendlichen Alter wie sie. Da sieht man es ja wieder, alles hoffnungslos, würde sie rufen. Aber was war mit diesen Worten eigentlich gemeint? Elisabeth ging zum Rechner und zum Telefon.

Gegen Abend klingelte es. Als Magdalena gleich darauf in Elisabeths neue Wohnung trat, blieb sie auf der Schwelle sprachlos stehen. Eine Diele gab es nicht, sie stand gleich in einem großen Raum und darin lag nur ein riesiger chinesischer Teppich, buttergelb mit dunkelblauen Schmetterlingen und Vögeln, darauf standen zwei kleine Sessel und ein Tisch mit Getränken. Sonst nichts. Dem Eingang gegenüber sah man einen großen Balkon zum Innenhof.

Magdalena war Tänzerin, in Berlin geboren, aber inzwischen Staatsangehörige Georgiens. Ihr Vater war mit seiner deutschen Frau 1991 im Jubel der Begeisterung über die Loslösung seines Landes aus der Sowjetunion von Berlin nach Georgien zurückgegangen. Helena hatte Magdalena auf dem August-Bebel-Platz getroffen, als Magdalena ihren Ballettmeister aus Tiflis bei dessen Besuch des Intendanten der Berliner Staatsoper begleitet hatte. Magdalena war den Verhandlungen für einen Moment entwischt, saß auf denStufen der St.-Hedwigs-Kathedrale und bewunderte die geschwungene Fassade des gegenüberliegenden Gebäudes. Friedrich der Große hatte dort die königliche Bibliothek bauen lassen, die die Berliner halb liebevoll, halb spöttisch „Kommode“ nannten.

Als Elisabeth vor drei Jahren aus dem prunkvollen Hotel Roma an der Südseite des Platzes getreten war, gelangweilt und erschöpft von der mühseligen Besprechung mit anderen Literaten, war ihr Blick auf die Stufen vor der Kathedrale gefallen. Da saß, elegant und drahtig, eine junge Frau mit rotblonden Haaren wie ein Feuerschein. Das Gesicht erinnerte Elisabeth an Botticelli, der Frauen oft so malte, als ob sie von innen weinten. Elisabeth setzte sich neben sie und lächelte. Magdalena lächelte auch. Elisabeth wurde nicht nur Magdalenas Freundin, sondern auch ihre Patin, als diese ein Jahre später zurück nach Deutschland wollte und ohne Einladung und Unterhaltszusage als Ausländerin kein Visum erhalten hätte. Inzwischen, mit einer festen Anstellung im Staatsballett Berlin, wurde Magdalena offiziell „Aufenthalt“ gewährt.

Heute Abend ließ sich Magdalena auf einem der beiden Sessel nieder. Sie hätte gern die ewig müden Beine einer Tänzerin auf dem Teppich ausgestreckt. „So, und nun schieß mal los. Am Telefon warst du ganz aufgeregt.“

„Ich war seit Wochen trüber Stimmung, wie immer, wenn ein Buch fertig ist. Heute schlug das in Wut um und Kampfgeist. Ich wollte ja schonlange zu einer Tafelrunde einladen und jetzt ist mir die Idee gekommen, als Generalthema das Ranggefälle zwischen Männern und Frauen zu verwenden. Die Menschheitsgeschichte beginnt ja in den meisten Fernsehsendungen damit, dass brave Frauen vor der Hütte kochen und stolze Männer auf die Jagd gehen und das Feuermachen erfinden. Diese Urgeschichte rumort im Hinterkopf der meisten Menschen. Das berühmte Unbewusste produziert daraus immer neu die Selbstverständlichkeit, dass Frauen Männern folgen müssen, aber nie umgekehrt. Es ist eigentlich ein Wunder, dass der Zeitgeist heute die Gleichwertigkeit von Frauen toleriert.“

„Willst du etwa Männer finden, die über solche Themen diskutieren?“ Magdalena hatte sich auf den Teppich gleiten lassen.

„Ja, es gibt auch unter ihnen Neugierige. Wo und wie Männer von Frauen verschieden sind, interessiert sie auch, spätestens dann, wenn wieder mal eine Beziehung in die Brüche ging und sie nach Rechtfertigungen suchen.“

„Frauen sind aber doch gar nicht so verschieden von Männern. Sie werden verschieden ‚gemacht’, sagte Simone de Beauvoir.“

Elisabeth wippte mit dem Fuß: „Gemacht, ja, aber vor allem gezüchtet, und Männer auch – seit vielen tausend Jahren. Nicht nur die heutige Umwelt macht beide Geschlechter zu verschiedenen, sondern die in den Neuronen gespeicherte Erfahrung vieler Generationen.“

Magdalena setzte sich mit einem Ruck auf: „Mensch, damit ärgerst du aber Alice Schwarzer!“

„Vielleicht. Umwelt ist bei mir eben nicht nur das rosa Baby-Bändchen in der Wiege oder der geringere Lohn heute, sondern ein mächtiger historischer Raum, mit dem wir vernetzt sind. Haben auch Frauen den Faustkeil geschwungen? Das gilt bei Archäologen als unwahrscheinlich, aber wir wissen es nicht. Wir wissen, dass es Frauen waren, die als Erste Körner anbauten und damit die Sesshaftigkeit möglich machten. Wenn wieder mal eine Studie berichtet, dass Mädchen sehr viel seltener technische Fächer wählen, stelle ich mir solche Fragen. Steckt die jahrtausendelange Arbeitsteilung so fest in ihrem Unbewussten, dass sie bis heute fühlen: Technik, das kann ich nicht? Das eifrige Zureden des Bewusstseins – von Lehrern und bald auch Arbeitgebern – ändert das offenbar nicht.“

„Da hab ich ja Glück gehabt mit meinem Beruf. Tanzen war immer schon Frauensache, allerdings in der Antike auch eine minderwertige Kunst“, lachte Magdalena, setzte sich wieder in den Sessel und versuchte, ihre Füße dort unterzubringen, „aber werden sich Leute finden, denen solche Fragen nicht peinlich, zu anstrengend oder einfach zu uncool sind?“

„Verlass dich drauf, wir finden welche. Schließlich sind wir in Deutschland, wo der Tiefsinn noch immer zu Hause ist. Deshalb nenne ich unsere Treffen auch Tafelrunde und nicht ‚Diskussion’. Dabei denken viele nur an den endlosen Austausch bekannter Standpunkte. Es soll ja hier nicht darum gehen, einander auszustechen, sondern in einer geschützten Atmosphäre gemeinsam zu philosophieren und dabei einander interessante Gedanken zu entlocken. Den Abend wird ein kleines Gastmahl beschießen.“

Magdalena kräuselte die Stirn und nippte am Sekt. „Und wie willst du verhindern, dass wir ohne Meister zu einer kläglichen Talk-Runde verkommen?“

„Ganz einfach: Wir haben kein Publikum. Wer dennoch Fensterreden hält, landet im Abseits. Der runde Holztisch zwingt dazu, dass jeder jeden ansieht. Das fördert die Konzentration. Außerdem werde ich jedes Gespräch einleiten.“

„Und wo ist der Tisch?“

„Der wird geliefert, und der erste Gast hat sogar schon zugesagt, einZeitungsmann(59), belesen, kritisch, weltläufig und manchmal etwas zynisch. Ich kenne ihn schon lange. Damals war er beim ‚Spiegel’. Entlarvungssüchtig ist er bis heute auch als politischer Redakteur einer Tageszeitung geblieben. Er ist immer noch lang und dünn und kann unerwarteterweise plötzlich wütend werden.

Als Zweites hoffe ich auf eineMathematikerin(35) vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, die kenne ich erst seit zwei Jahren von einer Konferenz. Sie hat einen Tick mit Tüchern,die sie immer um sich hüllt. Ob sie sich darin verstecken will? Vielleicht finden wir das bei den Gesprächen heraus. Mit Worten versteckt sie sich durchaus nicht, sie ist sehr kundig, auch in der Geschichte der Mann-Frau-Thematik. Irgendwann erwähnte sie, dass sie in Kairo geboren ist. Ihr Vater war damals Sicherheitsbeamter in der Deutschen Botschaft. Ob der Tücher-Tick aus Kairo stammt? Ob sie einen Freund hat?“ Elisabeth lächelte vor sich hin.

Magdalena war wieder auf den Teppich gesunken. Sie lag jetzt auf dem Bauch, die Ellenbogen aufgestützt, und betrachtete ihre Freundin nachdenklich. Elisabeth, das wusste Magdalena, liebte keine Partys, nicht den Smalltalk der Verleger und Literaten, der vortragenden Berühmtheiten und nicht die Häppchen, die bei solchen Gelegenheiten herumgereicht wurden und von denen man nie satt wurde, so dass man hinterher notgedrungen mit einigen Gästen ins „Borchardt“ gehen musste. Magdalena begleitete sie manchmal und genoss es. Sie wollte gerne dabeisein und neue Leute kennenlernen. Elisabeth lernte neue Leute offenbar woanders kennen, auf Parkbänken oder bei Vorträgen.

„Also die beiden, die du bisher genannt hast, klingen verdächtig nach Gelehrsamkeit, da kommen Leute vom Schaugeschäft wie ich nicht mit.“

„Warte ab, jetzt wird es gleich populärer: Mein nächster Wunschkandidat ist nämlich einInvestmentbanker(37), eine Heuschrecke, wie Politiker sagen, wenn sie einen Schuldigen für Finanzkrisen suchen. Der ist mein Liebling – schön wie Apoll, wohlerzogen und gerissen wie ein Spitzbub. Er musste seine Familie mal aus einer Pleite retten, deshalb ist er so auf Geld versessen. Anders als seine Berufsgefährten spielt er nicht Golf, sondern vergnügt sich im Segelboot auf den Seen der Mark Brandenburg. Vor allem ist er ein toller Klavierspieler, dabei habe ich ihn kennengelernt. Ich will ihn einladen, weil wir Kontrast brauchen.

Der dritte Mann wird dir Spaß machen: Er istBierbrauer(56), war mal ein Junkie, ging kurz vor dem Einmarsch der Sowjetunion nach Afghanistan, erlebte dort einen großen Schock und ging dann zur Polizei. Vor drei Jahren schied er freiwillig aus dem Dienst bei der Landeskriminalpolizei aus und übernahm eine winzige Bierbrauerei in Berlin, die er geerbt hatte. Die hat er inzwischen mit Spezialgetränken wieder rentabel gemacht. Ich kenne ihn daher, dass er mich mit seinem Auto anfuhr. Freundschaft durch Unfall, sozusagen. Außerdem ist er 1,90 Meter groß, das verschafft beim Reden Respekt. Als Einziger von den drei männlichen Teilnehmern ist er ein Frauenflüsterer, so ist mein Verdacht.“

Magdalena (28) war aufgesprungen und machte Lockerungsübungen. „Das klingt schon besser. Dann wären wir ja schon sechs, mit uns beidendrei Männer und drei Frauen, drei Ältere und drei Jüngere. Kennen sich die Kandidaten untereinander?“

„Nein, genau das will ich nicht. Um die Diskretion noch zu erweitern, soll jeder Tafelgefährte hier nur mit einem von ihm selbst gewählten historischen Namen auftreten. Vorab bekommen alle aber eine schriftliche Mitteilung, wie die anderen Teilnehmer mit bürgerlichem Namen heißen.“

Magdalena, die inzwischen wieder auf dem Rücken lag, richtete sich auf: „Ich werde Salome heißen, Tochter der Herodia, damit bin ich sicherlich die einzige Jüdin in der Tafelrunde. Aber vielleicht nennt sich ja einer Moses! Sag mal, soll ich wirklich nicht versuchen, so zu argumentieren wie die historische Salome?“

„Nein, bloß nicht. Die Namen sind dazu da, um jeden aus dem Alltagsdenken herauszuheben, also seine festsitzenden Meinungen zu dynamisieren und sich höflich zu benehmen. Jeder soll authentisch bleiben, und seine Argumente sollen seine eigenen sein.“

„Ich glaube, schon das Aussuchen der Namen wird allen Spaß machen. Aber worüber werden wir denn so abgehoben reden?“

„Darüber habe ich eine ganze Weile nachgedacht. Über die Gleichrangigkeit von Mann und Frau natürlich, aber auch über andere Lebensfragen, auch solche, die sich aus neuen Forschungen ergeben. Philosophie kommt wieder in Mode und reibt sich an der Wissenschaft, zurzeit besonders an der Gehirnforschung. Nicht nur Gott ist tot, sondern auch das Ich und der eigene Wille. Lauter spannende Fragen. Wir fangen mit dem Thema an: ‚Wo sind Männer und Frauen eigentlich wirklich verschieden?’ Das wird alle so richtig in Fahrt bringen.“

„Und weiter?“

„Alles hab ich noch nicht im Kopf. Bis wir beginnen, im nächsten Januar, wird mir noch einiges einfallen. Die Emotionen und die Moral werden sicherlich vorkommen.“

„Moral – davon wollen Männer aber sicher nichts hören!“

„Hast du eine Ahnung! Kein Verein und kein Unternehmen kommen heute ohne Moral aus. Sie nennen es Ethik und veranstalten Seminare überManagement-Ethik, Führungsethik, Personalführungsethik. Gemeint ist immer Moral, aber Ethik klingt vornehmer und individualistischer. Insgesamt werden es sechs Themen sein.“

Magdalena kräuselte die Nase, auf der ein paar zarte Sommersprossen saßen: „Huh, Patrona mia, das ist ja richtig schwere Kost. Wissen deine Gäste, was sie erwartet?“

„Sie haben keine Ahnung.“

1. Tafelrunde: Wie verschieden sind Mann und Frau?

Wie verschieden sind Mann und Frau?

Januar

Sie hatten artig Konversation gemacht, Prosecco getrunken, die sparsam, aber erlesen eingerichtete Wohnung bewundert und sich vor allem gegenseitig aus den Augenwinkeln gemustert. Die Gastgeberin hatte sie einander mit ihren Berufen vorgestellt. Die bürgerlichen Namen waren ihnen mit der Einladung geschickt worden und sollten hier nicht erwähnt werden.

Da standen also der Bierbrauer, der eher aussah wie ein großer Ordnungshüter; die Mathematikerin, klein und in viele Tücher gehüllt; der Investmentbanker, frisch aus dem Ei gepellt; die Tänzerin mit goldroter Haarmähne und Balthasar der Zeitungsmann, lang, dünn und etwas vorgebeugt.

Die Gastgeberin unterbrach die Plauderei und rief zur Tafelrunde. Wie so oft trug sie auch diesmal ein weites königsblaues Gewand. Alle setzten sich um den Holztisch, der Bierbrauer strich anerkennend über die Maserung. Sie nahmen duftende Teetassen entgegen und sahen die Dame in Blau neugierig an:

„Unsere Tafelrunde in Berlin greift eine alteÜbung wieder auf, das Gespräch über aktuelle Lebensfragen, besonders über das Männlicheund das Weibliche. Da ich gerne mit alten Geschichten aufwarte, erinnere ich an Platons ‚Gastmahl’, in dem Gespräche des Sokrates mit seinen Schülern aufgezeichnet sind – zum Beispiel über den Eros und die Unbeständigkeit der Verliebten. Sie wurden weltberühmt und sind sicher nicht das erste Vorbild, aber genauso wenig das letzte. Bei all diesen Vorbildern waren Frauen nicht zugelassen, obwohl Sokrates schon damals zugab, dass er über das Wesen des Eros von Diotima von Mantinea belehrt worden war, die später in Delphi lebte. In unserer Tafelrunde in Berlin denken und reden Männer und Frauen miteinander, nicht übereinander.

Zuerst soll sich jeder vorstellen, und zwar mit der Person, die er gewählt hat. – Du, fang bitte an“, sagte sie zu dem großen Mann mit kahlem Schädel, der an ihrer linken Seite saß. Er erinnerte mit seiner wohldurchbluteten Haut und seinen großen Augen an einen Mann, der viel an der frischen Luft war. Im Moment sah er verlegen aus.

„Lug, nach dem ich mich hier nenne, war ein Heiler und König der Kelten. Die Kelten waren nicht nur wilde Krieger, sondern auch gute Bauern und Bierbrauer. Außerdem sind in ihren Sagen die Übergänge zwischen Irdischem und Himmlischem sehr viel durchlässiger als bei den Mittelmeervölkern. Heute Abend bin ich unter euch Stadtbürgern der Landmann.“

„Meine NamenspatroninHypathia“, sagte die Nächste, „war um das Jahr 400 Mathematikerin und Philosophin in Alexandria, eher dem Licht der Vernunft als der Gläubigkeit zugeneigt. Die Christen rissen sie deshalb vor Wut in Stücke. Das wird hier hoffentlich nicht passieren.“ Ihr spitzbübisches Lächeln bildete einen überraschenden Kontrast zu ihrem strengen Gelehrtengesicht, aber es passte zu den wallenden Tüchern, die sie immer neu um sich schlug. „Ach übrigens“, fügte sie hinzu, „Hypathia geriet in Vergessenheit, bis sich Umberto Eco in seinem Schelmenroman ‚Baudolino’ wieder an sie erinnerte. Hier vertrete ich eine Querdenkerin und Wissenschaftlerin wie meine Patronin aus Alexandria.“

Der Investmentbanker zupfte an den Manschetten seines hellblauen Hemdes, Knopf oben offen, Armani-Jackett darüber. Lug beäugte ihn kritisch aus den Augenwinkeln: Der Mann war genau der Typ, der ihm immer schon zuwider gewesen war, gutaussehend, lässig, mit viel Haar – und überall beliebt, das auch noch!

Als der so kritisch Gemusterte mit dem Zupfen fertig war, sagte er: „Alexandervon Makedonien war mein Held, schon als ich klein war. Was ich bewundere, ist, dass er seine Mannschaft auch in verzweifelten Lagen hinter sich brachte. Außerdem war er der Erste, der global dachte. Heute sind Schwerter aus der Mode, wir kämpfen auf den Weltmärkten, meistens als Einzelkämpfer, so wie ich einer bin. Was ich hier vertreten soll, weiß ich noch nicht, ich werde einfach meine Meinung sagen, wenn ich eine habe.“

Die Tänzerin schlug mit einer routinierten Bewegung das rotblonde Haar zurück: „Salome, kennt ihr ja alle, Tochter der Herodia, tanzte vor dem König. Angeblich schlug sie Johannes demTäufer das Haupt ab, nach einer anderen Überlieferung war sie aber eine Jüngerin des Johannes, was ihr Stiefvater Herodes nicht wissen durfte. Hier am Tisch will ich dafür sorgen, dass wir uns nicht in der Vernunft verlaufen, sondern“ –sie stockte – „dass wir Sinne und Geist, Verstand und Eingebung mitbenutzen müssen.“

Spinnt die ein bisschen, dachte Alexander, oder ist sie auf einem Esoterik-Trip? Dann sah er den Zeitungsmann an, den Einzigen, den er kannte. Dessen Mundwinkel unter der randlosen Titan-Brille verzogen sich spöttisch. Immerhin grinste er Alexander beruhigend an.

„Vor Kurzem“, sagte der Zeitungsmann, „war ich mal wieder im Pergamon-Museum, bei den Assyrern diesmal. Da hat meine Begleiterin mich wiedererkannt, in einer Vitrine: ein dünner Mann mit spitzer Nase, gepflegtem Bart, nackter Brust und langem Priesterrock. Gar nicht so schlecht. Also will ich hierBalthasarheißen, nach einemder drei Magier aus dem Morgenland, die längst zur Geschichte des Abendlandes gehören. Die nackte Brust schenke ich mir und den Bart habe ich gerade abgelegt, aber Magier bin ich als Zeitungsmann auch, obwohl ich das offiziell nie zugeben würde.“ Dann rieb er seine langen Finger aneinander und sah die Runde zufrieden über die Brille hinweg an. „Ach so: Hier am Tisch werde ich abwechselnd die Rolle des Fachmanns und die des Provokateurs einnehmen.“

Die Gastgeberin lächelte ihm zu. Nach Priestergewand sahen Balthasars Jeans zwar nicht aus, aber der schwarze Kaschmirpullover unter der dünnen Lederjacke passte zum Air des Unangepassten, mit dem er sich gerne umgab.

„Hei“, sagte die Tänzerin, „dann haben uns die Tafelgefährten hier eine ziemlich orientalische Versammlung beschert, einen Mann aus Babylon, eine Jüdin, eine Frau aus Alexandria in Ägypten, einen Makedonen und eine Gerstengöttin, soviel ich weiß. Nur Lug, der Kelte, vertritt das nördliche Europa.“

„Einspruch“, rief die Gastgeberin, „Hypathia ist auch Griechin, das macht schon drei, und der Makedone stammt immerhin aus einem heutigen EU-Erwartungsland! Außerdem sagen die Griechen, Alexander sei einer von ihnen, was ja nicht ganz falsch ist. Dass du, Tänzerin, mich einfachGerstenfrau nennst, ist respektlos, denn ich heiße hier Helena, nach einer Vegetationsgöttin aus Sparta. Frauen waren in Sparta sehr viel freier als in Athen. Erst viel später wurde aus Helena eine Tochter des Zeus und der Leda. Die griechischen Männer haben sich ja für alle Göttinnen Mythen ausgedacht, in denen sie Spielball des männlichen Ehrgeizes wurden. Das gilt erst recht für den Trojanischen Krieg, der mit der albernen Geschichte über Paris und den Apfel beginnt, obwohl – wie heute vermutet wird – tatsächlich der Salzhandel das Motiv des Krieges war. Es gibt eine noch viel interessantere und selbständigere Helena, die Mutter von Kaiser Konstantin, der sie zur Augusta ernannte. Sie lebte später in Trier an der Mosel und in Jerusalem und hatte bis ins hohe Alter großen Einfluss. Ich vertrete bei unseren Gesprächen die Hoffnung, dassMännliches und Weibliches sich von der Über-und Unterordnung weg und hin zu einem neuen Gleichgewicht im privaten und sozialen Leben entwickeln werden.

Jetzt geht es los mit meiner Einleitung für unser erstes Tafelgespräch über das Thema:

Wie verschieden sind Mann und Frau?

Die erste Frage lautet:

Wird man als Frau geboren oder wird man zur Frau gemacht?

Simone de Beauvoir hat hierzu 1949 als Erste mit Nachdruck eine Aussage in die öffentlicheArena geschleudert – ‚On ne naît pas femme – on le devient’, das heißt: ‚Man wird nicht als Frau geboren, sondern zur Frau gemacht.’ Es war der Mann, der der Frau die Rolle des ‚Zweiten Geschlechts’ zugewiesen hat und sie damit als Abhängige definierte. – Beauvoirs Thesen haben inzwischen mehrere Jahrzehnte die Gender-Forschung belebt. Die Schlussfolgerung lautet: Die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Leistungen und Verhaltensneigungen gehen überwiegend auf Erfahrungen und Bewertungen zurück, die Frauen in einer männlich geprägten Welt zu schlechter angepassten Lebewesen macht. Da dieser Zustand seit etwa 56000 Jahren besteht, kann ein Einfluss dieser Erfahrung auf die Erbmasse nicht ausgeschlossen werden.

Diese Diagnose der Genderforschung ist eine Provokation für eine ganze Reihe männlicher und weiblicher Forscher. Inzwischen kamen Biologen, Genetiker, Entwicklungspsychologen und Hormonspezialisten zu Wort, die die andersartige Fitness von Männern und Frauen eher auf natürliche, von der Umwelt unabhängige Faktoren zurückführen. Man wird doch als Frau geboren! Manchmal schwingt dabei ein Hintergedanke mit: Es ist die mindere biologische Ausstattung, die die geringere Fitness weiblicher Menschen bewirkt.

Aber auch diese Lehren haben einen Haken: Umfangreiche Studien versuchen, den Einflussdes XX- oder XY-Chromosoms und der daraus entstehenden Hormone in den Griff zu kriegen. Biochemische Unterschiede zwischen Mann und Frau sind in Fülle vorhanden, aber ihre Wirkung auf das konkrete Verhalten lässt sich nur undeutlich ausmachen. Die spannende Frage nach der Intelligenz ist bisher nicht sauber zu beantworten, weil zu viele Faktoren hierbei mitwirken. Einige Forscher geben zu, dass bei den Untersuchungen Männer sich individuell genauso voneinander unterscheiden wie von Frauen. Die Unterschiede in den Mess-Ergebnissen sind oft so gering, dass sie nicht als relevant gelten können.

Im realen Leben stellen wir fest, dass bis heute Spitzenleistungen häufiger von Männern und Spitzennoten häufiger von Frauen erreicht werden. Die Gene sind dafür nicht alleine maßgebend, schon deshalb, weil sie nach der neuesten Forschung erst von bestimmten Umweltbedingungen aktiviert oder unterdrückt werden. Vielleicht wird die Forschung eines Tages mit neuen Ergebnissen aufwarten. Zurzeit werden männlich/weibliche Unterschiede an kognitiven Leistungen gemessen: Fragebogen beantworten, geometrische Formen erkennen etc. Wenn eines Tages auch emotionale Leistungen abgefragt werden sollten, könnte sich eine neue Dimension eröffnen.

Die Genderforschung sagt: Leistung und Verhalten von Frauen wird überwiegend durch die soziale Umwelt und weniger durch die genetische Ausstattung beeinflusst. Dabei wird selten zwischen langfristigen historischen Prozessen und kurzfristigen Moden unterschieden. Ein nachhaltiger historischer Prozess wurde zu Beginn der Bronzezeit eingeleitet. Die frühen Kriegergesellschaften in Mesopotamien um 4-3000 v. Chr. verdrängten die auf Blutsverwandtschaft gegründeten Familien mit freier Partnerwahl. Von da an beruhten Familien auf Sexualität und nicht auf Blutsverwandtschaft. Ein Mann konnte jetzt eine Frau als Eigentum erwerben und bekam damit das exklusive Recht auf Beischlaf mit ihr. Die Rechtsstellung der Frau verwandelte sich von da an in die eines Mündels. Sie war seit dieser Zeit von Geburt an weniger wert als jeder Mann.

Die hier sehr kurz geschilderten historischen Fakten untermauern die Aussage von Simone de Beauvoir. Sie zeigen nicht nur, dass Frau-Sein gemacht wurde, sondern auch, wo und wann. Aber was heißt ‚gemacht wurde’? Vereinfacht kann man das so beschreiben: Seit Frauen zu Mündeln ihrer Ehemänner wurden, erhielten sie Belohnungen, wenn sie sich an die Rolle anpassten, die von der männlichen Elite als weiblich definiert wurde. Die massive Wirkung solcher Belohnungssysteme auf die Gestaltung der eigenen Identität ist inzwischen gut erforscht.

Hierzu ein pikantes Beispiel von heute: Zur Definition von Weiblichkeit gehörte in patriarchalen Gesellschaften die Bescheidenheit. Heute leben wir nicht mehr im Patriarchat. Aber siehe da: Wir lesen in einer Umfrage aus 2010, dass Frauen es durchaus in Ordnung finden, wenn sie weniger verdienen als Männer!2 Das ist die Generationen übergreifende Nachhaltigkeit des sozialen Einflusses auf das Verhalten der Geschlechter!

Mit den Schlagworten ‚angeboren’ oder ‚erworben’ wird ein heikler philosophischer Punkt berührt. Er geht über die Frage männlich/weiblich weit hinaus. Wenn eine Eigenschaft für angeboren erklärt werden kann, ist keiner für ihr Entstehen verantwortlich – höchstens Gott oder die Evolution. Dies macht die an Genen orientierte Verhaltensforschung sehr anziehend: Ursachen-und Schuldfragen werden auf eine neutrale Instanz verlagert.

Umweltorientierte Theorien dagegen hinterlassen oft einen bangen Nachgeschmack – keineswegs nur beim Thema Mann/Frau, sondern auch bei Homosexualität, Gewaltbereitschaft, Drogensucht, Depression bei Kindern oder Freunden. ‚Was hab ich falsch gemacht?’, fragen sich Mütter oder Väter. Die Umwelt – das sind wir selbst, Eltern, Lehrer, Bruder, Schwester, soziale Gruppe. Diese Begleitgefühle machen Umwelttheorien unangenehm, weil sie nach Verantwortung fragen.

Ein Beispiel für die entlastende Funktion von Gentheorien ist die Zustimmung weiter Bevölkerungskreise zu Thilo Sarrazins – hier versimpelter – These über Muslime: ‚Nicht wir, die deutsche Mehrheit, sondern eure Gene sind schuld daran, dass ihr Migranten weniger leistungsfähig seid.’

Dieser psychologische Mechanismus –nicht ich, die Gene sind schuld– muss in seiner ganzen Tragweite verstanden werden, weil er das Feld männlich/weiblicher Eigenschaftsuntersuchungen auch in der Wissenschaft beherrscht. Wenn eine Verhaltensneigung als angeboren bezeichnet wird, schwingt damit im kulturellen Gedächtnis die Anmutung mit: Sie ist natürlich oder gottgewollt – so war es immer schon. Genau das, wie es immer schon war, möchten wir aber wissen – beide, Männer und Frauen.

Alle Theorien, die aufzeigen wollen, dass Frauen genetisch das ‚Andere Geschlecht’ sind, stehen als patriarchalisch unter Generalverdacht. Schließlich gibt es seit 3000 Jahren viele Schriften, die das Mündelsein der Frau als notwendig rechtfertigen.Und doch wollen auch Frauen heute wissen, wie sie ‚von Natur aus’ sind.

Nehmen wir die einfache Frage: Soll eine Frau Kinder wollen? Sind genügend Veranlagungen in ihrer Leib/Seele/Einheit vorhanden, um das zu schaffen? Verkümmern diese Zapfstellen, wenn sie kinderlos bleibt? Die gleiche Frage ergibt sich für den Mann. Immer wieder berichten Wissenschaftler von dem genetisch bedingten männlichen Drang, seinen Samen zu verstreuen.Ist Vater-Sein eine angeborene Verhaltensneigung– oder war sie – vor der Pille – lediglich eine unvermeidbare Folge des Beischlafs?

Beide, Männer und Frauen, haben das unbewusste Bedürfnis nach Gewissheit. Der Reiz, das, was männlich oder weiblich ist, an der Natur ablesen zu können, ist die Befriedigung der subjektiven Gewissheit: So ist es und so soll es bleiben. Aus dem Sein, das in Wirklichkeit ständigem Wandel unterworfen ist, wird ein Sollen abgeleitet.

Für die unterschiedliche Häufigkeit von Selbstwertgefühl und Leistungszuversicht zwischen Männern und Frauen, die immer wieder von empirischen Studien gemessen werden, reicht die Konditionierung in einer Generation nicht aus. In der Epigenetik wird neuerdings die Vererbung erworbener Eigenschaften nachgewiesen, zuerst bei Mäusen, die Testaufgaben schneller lösten, wenn ihre Mütter dies gelernt hatten. Im Berliner Max-Planck-Institut für Psychiatrie (Florian Holsboer) wird zurzeit die traumabedingte Angstbereitschaft der Deutschen untersucht, die aus den ererbten Erfahrungen von Eltern und Großeltern stammt.

Die Entdeckung, dass Gene durch die Umwelt beeinflusst werden können, verleitet mich zu der Hypothese, dass viele der als typisch männlich oder weiblich geltenden Verhaltensneigungen das Ergebnis von Züchtungen sind, ähnlich übrigens wie die Mentalitätsunterschiede von Völkern.

Züchtung bedeutet eine bewusste Auswahl und Kreuzung zweier Individuen mit erwünschten Eigenschaften. Dies gilt für Pflanzen und Tiere, beim Menschen ist das verboten. Tatsächlich fin