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Sonja Hinterschartner ist nicht mehr die Jüngste, als sie doch noch unter die Haube kommt. Aber das Eheglück währt nicht lange, ihr Mann, der Italiener Vito, ist nur allzu schnell wieder Witwer. Hat er dabei etwas nachgeholfen? Die Kärntner Polizisten Obiltschnig und Popatnig gehen der Sache nach. In der Tat wirkt vieles an Vito verdächtig. Allerdings findet sich partout kein Motiv. Und dann ist da noch eine überaus mysteriöse Einbruchsserie, die Villach in Atem hält. Obiltschnig und Popatnig haben alle Hände voll zu tun.
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Seitenzahl: 290
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Andreas Pittler
Kärntner Hochzeit
Kriminalroman
Bis dass der Tod sie scheidet Neuer Einsatz für Obiltschnig und Popatnig. Ein Kollege aus Villach bittet sie, sich eines merkwürdigen Falles anzunehmen. Unter mysteriösen Umständen kam in der Draustadt eine Frau ums Leben, die erst kurz zuvor geheiratet hat. Ihre Freundinnen verdächtigen Vito, den italienischen Ehemann, des Mordes an seiner Gattin. Tatsächlich stoßen die beiden Polizisten bald auf einige Ungereimtheiten, doch Beweise lassen sich zumindest vorerst nicht finden. Obiltschnig und Popatnig tappen im Dunklen. Des Ungemachs nicht genug, erschüttert auch noch eine Einbruchserie das schöne Villach, und die Kärntner Polizei gerät mehr und mehr unter Druck. Während Obiltschnig eifrig Fakten sammelt, ist sein Kollege Popatnig abgelenkt. Er hat sich doch tatsächlich verliebt, eine völlig neue Erfahrung für den Ferlacher Gigolo. Die Ermittlungen werden dadurch freilich nicht leichter. Können die beiden Kriminalisten Licht in die Angelegenheiten bringen?
Andreas Pittler, geboren 1964, studierte Geschichte und Politikwissenschaft (Magister und Doktor phil.). Ursprünglich als Journalist tätig, wandte er sich im 21. Jahrhundert vermehrt der Belletristik zu und veröffentlichte seit dem Jahr 2000 insgesamt 25 Romane. Seine Werke landen regelmäßig auf den österreichischen Bestsellerlisten und wurden bislang in acht Sprachen übersetzt. In seiner ursprünglichen Profession als Historiker ist er regelmäßig als Experte im Österreichischen Rundfunk zu Gast. Für sein literarisches Wirken erhielt er 2006 das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, 2016 wurde ihm vom österreichischen Bundespräsidenten der Berufstitel »Professor« verliehen.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Satz: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © only_fabrizio / iStock.com
ISBN 978-3-7349-3208-3
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
»Gott sei Dank ist sie endlich unter der Haube!« Sonjas Freundinnen hatten sich an diesem heißen Julitag in der Villacher Innenstadt getroffen, um letzte Vorbereitungen für Sonjas Hochzeit zu besprechen. Sie saßen bei einigen Mojitos im Sem Jeito, der Tapas Bar im Kulturhof. Jede der fünf Frauen bekam dort ihre Aufgabe zugeteilt. Birgit, die eigentlich aus Südtirol stammte, ergriff als Sonjas Trauzeugin gleich die Initiative. So sollte Susanne, eine Deutsche aus Bremerhaven, Kontakt zu einigen Bands aufnehmen, die bei der Hochzeitsfeier aufspielen könnten. Dolores, die bekanntermaßen ein Händchen für Blumen und Raumgestaltung besaß, bekam die Aufgabe, sich um Dinge wie Tischdeko und floralen Schmuck zu kümmern, während die Schwestern Brigitte und Hermine, die als Brautjungfern ausersehen waren, mit Sonja eine Geschenkeliste erarbeiten sollten, die dann in einigen Villacher Geschäften ausgelegt werden sollte, damit sich Sonja nach ihrer Eheschließung nicht über zehn Toaster ärgern musste, während es ihr gleichzeitig an einer Kaffeemaschine mangelte.
Doch naturgemäß verlief die Unterhaltung der Freundinnen nicht konzentriert und zielorientiert wie eine Arbeitssitzung in einem Unternehmen. Immer wieder schweiften die Frauen in ihren Gesprächen ab, wobei sie beinahe leitmotivisch immer wieder auf das Kernthema ihres Treffens zurückkamen.
»Also ehrlich, Mädels, hätten wir geglaubt, dass die Sonja doch noch jemanden findet, der sie nimmt?«, sagte Birgit mit einem Gran Erleichterung in der Stimme. Und die anderen stimmten ihr umgehend zu. Sonja war schon über 40 und symbolisierte auf mannigfache Weise das, was man landläufig unter einem Mauerblümchen verstand. Etwas füllig mit einer Knollennase und viel zu kleinen Augen war Sonja der Inbegriff einer schüchternen, zutiefst verunsicherten Person. Menschenscheu, stets nervös und irgendwie auch ein wenig langsam. Sie lebte in der Lederergasse in einem uralten Gemäuer auf Zimmer-Küche und verdiente das Wenige, das sie zum Leben brauchte, als Änderungsschneiderin. Sonja war die Sorte Mensch, die niemals ausging und das Wort »Spaß« nur aus den Büchern kannte, die sie regelrecht verschlang. Genau deshalb hatten ihre Freundinnen auch ziemlich große Mühe aufwenden müssen, Sonja dazu zu überreden, mit ihnen gemeinsam einen Italienisch-Kurs für Anfänger zu machen. Sonja war zutiefst davon überzeugt gewesen, dass sie schlicht zu blöd sei, sich eine andere Sprache anzueignen, aber als Birgit und Hermi ihr dann eindringlich geschildert hatten, dass eine neue Erfahrung doch ausnahmslos etwas Positives habe, da hatte sie schließlich eingewilligt.
»Könnt ihr euch noch an die erste Italienisch-Stunde im Februar erinnern?«, rief Susanne den anderen zu, »die Sonja ist dagesessen und hat wie Espenlaub gezittert vor Aufregung.« Sie erntete ein kollektives Lachen. »Ja, da hast glaubt, es geht um Leben und Tod für sie«, ergänzte Hermine.
»Wer hätte damals gedacht«, griff Brigitte den Faden auf, »dass ausgerechnet sie sich den Lehrer angelt!« Unter dem allgemeinen Gekicher relativierte Dolores Brigittes Worte. »Na ja, wenn, dann nur sie. Immerhin war sie als Einzige von uns unverheiratet.« Birgit lachte vielleicht eine Spur lauter als die anderen: »Aber, Dolores, für den Vito hätten wir uns doch alle jederzeit scheiden lassen, oder?« Dabei zwinkerte sie rasch mit dem rechten Auge.
Vito, der Italienisch-Lehrer, der in wenigen Tagen den Bund der Ehe mit Sonja schließen würde, stammte aus einem trostlosen Kaff hinter der Grenze, das nicht ohne Grund auf Deutsch »Hinterbergen« hieß. Vor allem aber war Vito ein sportlicher Typ mit einer üppigen Portion Humor und einer engelsgleichen Geduld gegenüber den Lernfortschritten seiner Schülerinnen.
»Aber echt jetzt«, meldete sich noch einmal Susanne zu Wort, »der Vito könnte ja fast ihr Sohn sein.« Und damit hatte sie beileibe nicht unrecht, denn Vito zählte kaum mehr als 20 Lenze. Angesichts dieser Tatsache blieb der eigentliche Satz, der allen durch den Kopf ging, taktvoll ausgespart: Was fand ein attraktiver Twen an einem 20 Jahre älteren Mauerblümchen? »Was soll’s«, gab Birgit daher Linie vor, »freuen wir uns einfach, dass die Sonja doch noch jemanden gefunden hat, und hoffen wir, dass die beiden glücklich werden.«
Was an diesem heißen Juli-Abend noch keine der fünf wissen konnte, war das Faktum, dass sie nur einen Monat später wieder zusammenkommen würden. Beim Leichenschmaus. Im Anschluss an Sonjas Begräbnis.
Drei Wochen waren ins Land gezogen, seit Popatnig und Obiltschnig zufrieden den Fall um die Morde bei der Burg Hochosterwitz als gelöst zu den Akten hatten legen können. Kärnten war ein ruhiges Land, sodass die beiden mit einiger Gewissheit davon ausgehen durften, nicht allzu bald wieder in Aktion treten zu müssen. Vor allem nicht auf so spektakuläre Weise. Denn anders, als die vielen TV-Krimis es suggerierten, waren die meisten Morde, die im wirklichen Leben begangen wurden, stümperhaft ausgeführt, sodass es in der Regel keine zwei Tage dauerte, den Täter oder die Täterin zu überführen. Dies auch deshalb, weil der Mensch eben nicht dafür geschaffen ist, seinesgleichen ums Leben zu bringen. Eine solch radikale Tat blieb nie ohne erkennbare Folgen für denjenigen, der sie begangen hatte, und so verrieten sich die Mörder ohnehin selbst. Wenn sie nicht überhaupt sofort gestanden, eben, weil sie mit dem Geschehenen nicht klarkamen.
Rein statistisch geschahen die allermeisten Tötungsdelikte im Familienverband. Ehemänner erstachen oder erschossen ihre Frauen, Ehefrauen vergifteten ihre Männer. Mitunter wollte auch eine verzweifelte Seele schneller an ihr Erbe kommen, weshalb dann auch Eltern oder Schwiegereltern zu Opfern wurden, doch die mörderischen Kunstwerke von Serientätern oder die großen Rache- und Vergeltungstaten, sie blieben in der Regel den Autoren einschlägiger Manuskripte vorbehalten. Obiltschnig hatte sich nicht nur einmal darüber geärgert, dass ihm im Fernsehen eine Gestalt als Mörder präsentiert wurde, die sich den gesamten Film über fröhlich und unbeschwert verhalten hatte, ganz so, als ob sie nicht einmal das allerkleinste Wässerchen trüben könnte. »Wenn das wirklich so wär’«, sagte er dann immer zu Resi, seiner Frau, »dann würden wir nie einen Mörder kriegen. Aber stell dir nur einmal vor, es wäre so: dann wären die Menschen allesamt Psychopathen.« Dass sie einmal mit »Wer weiß, vielleicht sind sie’s ja auch« geantwortet hatte, war freilich nicht nach seinem Geschmack gewesen.
Doch dieser unerfreuliche Wortwechsel lag bereits wieder lange genug zurück, sodass Obiltschnig beschwingt das Büro betrat, wo er Popatnig bei der Lektüre der Tageszeitung antraf. »Und, was ist so alles passiert in der Welt?«, fragte er daher, nachdem er dem Kollegen einen guten Morgen gewünscht hatte. »Die Austria hat gestern die Rapid paniert. Vier zu null! Alle Achteln!«, rapportierte Popatnig. »Welche? Die aus Wien oder unsere?« Obiltschnigs Frage war nicht ohne Hintergrund, denn in der österreichischen Fußballbundesliga kickten zwei Mannschaften, die sich Austria nannten. Popatnig sah kurz verwundert auf. »Na unsere natürlich. Glaubst ernsthaft, ich hätt’ es sonst überhaupt erwähnt?« Obiltschnig setzte sich an seinen Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. Popatnig hatte natürlich recht. Warum sollten einen Kärntner die Wiener interessieren? Andererseits: Warum sollten einen Ferlacher die Klagenfurter interessieren? »Weißt eh«, antwortete Obiltschnig daher nach einer kleinen Pause, »für mich gibt’s nur ATUS.« Dabei lächelte er. Popatnig blätterte um. »Drei zu null gegen den Slowenischen AK verloren«, konstatierte er emotionslos. »In der Tabelle auf Rang elf abgerutscht.« Obiltschnig quittierte die Nachricht mit einem Seufzer. Beinahe wehmütig erinnerte er sich an die seinerzeitigen hochfliegenden Pläne für ein eigenes Bundesligastadion in Kirschentheuer, in dem ATUS auf höchstem Niveau hätte mitspielen sollen. Stattdessen bestand einmal mehr die Gefahr, nicht einmal mehr in der Landesliga zu überleben. »Leck Fettn«, entfuhr es ihm daher, »die machen einem echt keine Freud’!« Popatnig zuckte mit den Achseln. »Was willst? Der Bürgler hat aufg’hört, den Ogris-Martic haben s’ an die Klagenfurter verkauft, Jaklitsch und Mak verletzt, da kannst nichts reißen.« Dem konnte man schwerlich widersprechen. »Schad’, dass der Glock nicht so fußballnarrisch war wie seinerzeit der Mateschitz und der Stronach. Sonst spielerten wir statt gegen den SAK gegen Real oder wenigstens gegen Liverpool.« Popatnig gluckste. »Ja, aber da müsstest du zuerst den Schatzl exhumieren und wiederbeleben, damit der uns doch noch das Stadion hinstellt, das du für solche Gegner brauchst.«
»Ich weiß eh …« Weiter kam Obiltschnig nicht, da das Amtstelefon läutete. Er hob ab und meldete sich. »Ja, grüße Sie, Kollege, Chefinspektor Lassnig vom Posten Villach-Stadt am Apparat.« Obiltschnig war ganz Ohr! Die Villacher hatten seit geraumer Zeit gehörigen medialen Druck, da die Stadt von einer Einbruchsserie heimgesucht wurde, bei der zuletzt ein älteres Ehepaar zu Tode gekommen war, da die Einbrecher in deren Haus eingestiegen waren, ohne zu wissen, dass die Besitzer zugegen waren. Seitdem wetteiferten Kleine und Krone darum, wer der Villacher Polizei mehr Feuer unter dem Hintern machte. Obiltschnig rechnete daher damit, von den Villachern um Hilfe gebeten zu werden.
»Ich habe da ein paar nette Damen bei mir, die der Überzeugung sind, ihre Freundin sei von ihrem Gatten ins Jenseits befördert worden.« Lassnig machte eine Pause, um seinen Satz wirken zu lassen. »Jetzt sind wir aber, wie ihr euch denken könnt, mit dem Doppelmord am Rasenweg voll angehängt, weshalb wir einfach keine Kapazitäten mehr haben, dieser Sache auch noch nachzugehen. Und deshalb wollte ich fragen, ob ihr euch nicht vielleicht der Damen annehmen könnt. Ihr hättet echt was gut bei uns!« Lassnig klang beinahe flehentlich.
Obiltschnig überlegte kurz. Eigentlich hatten sie zurzeit nichts zu tun. Und eine kleine Plauderei mit einem Teekränzchen mochte da sogar eine willkommene Abwechslung sein. Dies umso mehr, als die Damen wahrscheinlich ohnehin einem Hirngespinst nachjagten. Denen war sicher fad, und so reimten sie sich etwas zusammen, um ihrem trostlosen Dasein ein wenig Glamour zu verleihen. Wahrscheinlich hatten auch sie ganz einfach zu viele Krimis gesehen und kamen deshalb auf krude Gedanken. Substanz würden ihre Verdächtigungen natürlich nicht haben. Aber so ein kurzer Ausflug zum kleinen Nachbarn brachte immerhin Abwechslung in den Büroalltag. Ohne weiteres Zögern stimmte Obiltschnig zu. »Wir sind in einer halben Stunde bei euch.«
Popatnig klappte resigniert die Zeitung zu. »Ich hab’s gehört, wir fahren nach Villach.« Zehn Minuten später bahnten sie sich ihren Weg zur A2, brausten bald an Pörtschach und Velden vorbei und hatten nach weiteren 20 Minuten Villach erreicht. Als sie das dortige Polizeigebäude betraten, wartete Lassnig schon am Empfang auf sie. »Ich bin euch echt dankbar, dass ihr uns das abnehmt. Ich glaub’ ja eh nicht, dass da was dran ist. Ein paar Weiberleut’, die sich was zusammenreimen, aber man weiß ja nie.«
»Stimmt«, bekräftigte Obiltschnig, »wo gehören wir hin?« Lassnig deutete auf den Fahrstuhl. »Wir haben sie in der Cafeteria platziert. Da könnt ihr euch in Ruhe mit ihnen unterhalten. Eure Konsumation geht natürlich auf uns, also keine falsche Bescheidenheit, gell.« Popatnigs Miene hellte sich auf. Sie begaben sich in das entsprechende Stockwerk und sahen, kaum, dass sie die Kantine betreten hatten, bereits die fünf Damen am Fenster sitzen. Zu Obiltschnigs Überraschung waren sie allesamt wesentlich jünger, als er erwartet hatte. Es warteten keine alten Schachteln auf ihn, die mangels sonstiger Ansprache wie ein Wasserfall drauflossprudeln würden. Und so gesehen war es durchaus möglich, dass ihr Anliegen doch eine gewisse Berechtigung haben mochte.
Zu dritt gingen sie auf die Frauen zu, Obiltschnig und Popatnig verbeugten sich leicht und stellten sich vor. Die Jüngste in der Runde stellte sich als »Birgit« vor und schien eher von der amikalen Sorte zu sein. »Das sind der Reihe nach die Hermine, die Brigitte, ihre Schwester, die Susanne, und die Dolores.« Obiltschnig replizierte etwas hölzern mit einem »Sehr erfreut.« Popatnig hingegen war wieder ganz Charmeur: »Dürfen wir uns zu Ihnen setzen, die werten Damen?«, fragte er und erhielt umgehend die entsprechende Erlaubnis. Ehe Obiltschnig noch reagieren konnte, saß Popatnig schon neben Birgit und strahlte diese mit einem breiten Lächeln an. »Was können wir von der Exekutive denn für die Villacher Miss-Auswahl tun?« Erwartungsgemäß erntete er huldvolles Lächeln. Nur das Gesicht von Susanne blieb ernst. »Sie müssen entschuldigen, Herr Inspektor«, klärte ihn Birgit, der Susannes Reaktion nicht entgangen war, auf, »die Susanne ist Deutsche.« Popatnig wollte schon wissend nicken, als er unter dem Tisch Obiltschnigs Fußspitze an seinem Unterschenkel spürte. Susanne aber überging Birgits Erklärungsversuch. »Wir sind hier«, ließ sie verlauten, »weil wir allesamt den Verdacht hegen, dass unsere gemeinsame Freundin Sonja ermordet worden ist. Und zwar von ihrem Ehemann.« Popatnig pfiff zwischen den Zähnen. »Und was veranlasst Sie zu dieser Vermutung?«, blieb Obiltschnig sachlich.
Wieder übernahm Birgit das Kommando. »Die Sonja, die war schon eher eine unscheinbare Person, wenn Sie verstehen, was ich meine. Nicht allzu attraktiv und wohl auch ziemlich schüchtern.«
»Eigentlich haben wir ja alle geglaubt, sie bleibt ewig eine Jungfer«, ergänzte Dolores. »Ungeöffnet zurück«, gluckste Hermine. »Wie auch immer«, kehrte Birgit zum Kernthema zurück, »jedenfalls haben wir ab Februar alle gemeinsam einen Italienisch-Kurs besucht. Bei einem Herrn Vito.«
»Blutjung und echt fesch«, grätschte Dolores abermals dazwischen, dafür einen tadelnden Blick von Birgit erntend, die gleich darauf fortfuhr. »Und frei nach dem Motto: ›Wo die Liebe hinfällt‹, haben sich die Sonja und der Vito offenbar ineinander verliebt. Im Juni war der Kurs aus, im Juli haben sie geheiratet, und im August …«
»Geheiratet, obwohl die Sonja mehr als doppelt so alt war wie der Vito.« Wieder hatte Dolores einen Zwischenruf gewagt. Birgit wurde eine Nuance lauter. »… und im August war die Sonja tot.«
»Mit Mitte 40«, ergänzte Susanne. »So etwas ist doch verdächtig.«
»Haben Sie Informationen die Todesursache betreffend?«, wollte Obiltschnig wissen.
»Es hat geheißen, sie ist an einer Pilzvergiftung gestorben«, meldete sich nun Brigitte zu Wort. »So hat es der Arzt in den Totenschein geschrieben«, präzisierte Hermine, »Parasole mit Knollenblätterpilzen verwechselt.«
»Aber so ein Fehler wäre der Sonja nie passiert«, nahm wieder Brigitte den Ball auf, »die war viel zu unsicher in allem, was sie tat. Die wäre selbst mit am Markt gekauften Steinpilzen aufs Amt gegangen, um die dort überprüfen zu lassen.«
»Sie schenken dieser Diagnose also keinen Glauben«, fasste Obiltschnig zusammen, »was ist demnach Ihre Vermutung?«
»Der Vito hat sie vergiftet«, platzte es aus Dolores heraus.
»Und wieso hätte er das Ihrer Meinung nach tun sollen?«
»Das war sicher von Anfang an sein Plan. Ich bitte Sie, Herr Inspektor, ein Mann von knapp über 20 Jahren, sportlich und fesch, der verliebt sich doch nicht in eine vertrocknete alte Jungfer, die seine Mutter sein könnte! Nein, der war sicher auf ihr Geld aus!«
»Hatte sie denn welches?«
Die Damen schwiegen einen Moment. »Nicht direkt«, begann dann Hermine, »aber auf sie wartete ein enormes Erbe.«
»Ja, sie selbst hat zwar spartanisch gelebt wie ein Bettelmönch, aber ihren Eltern gehört eine riesige Landwirtschaft in Ledenitzen«, fügte Brigitte hinzu, »und da sie das einzige Kind ihrer Eltern ist, hätte sie das alles geerbt. Das Anwesen ist mehrere Millionen wert.«
Obiltschnig ertappte sich bei der Frage, ob dieser Vito, nunmehr Witwer geworden, überhaupt noch erbfähig war, wenn seine Frau nicht mehr unter den Lebenden weilte. Da musste er sich wohl bei einem Juristen erkundigen. Doch derlei ließ sich später immer noch klären. »Und wo dieser Vito sich befindet, das wissen Sie?«
»Das ist es ja, was die Sache so verdächtig macht«, verkündete Dolores, »der ist seit Sonjas Begräbnis vorige Woche wie vom Erdboden verschluckt. Keine Spur von ihm. Nirgends!«
»Aber meine Damen, wenn es sich so verhält«, gab Obiltschnig zu bedenken, »dann spricht das doch eher gegen ihn als Täter. Also zumindest, was das von Ihnen offerierte Motiv betrifft. Denn als Verschwundener kommt er ja erst recht nicht an sein Erbe. Wenn er überhaupt Anspruch auf das Erbe hat«, schob Obiltschnig gleich nach, seinen eigenen Zweifel damit auch offen deklarierend.
»Davon verstehen wir nichts. Wir wissen nur, dass die Sonja tot ist und der Vito verschwunden. Und wenn das nicht komisch ist, dann wissen wir auch nicht«, fasste Birgit die Stimmung der Gruppe zusammen.
»Also gut«, lenkte Obiltschnig ein, »der Vito, hat der auch einen Nachnamen?« »Pedruzzo«, kam es aus mehreren Kehlen gleichzeitig. »Gut, die Damen, wir werden dem nachgehen. Zuerst stellen wir einmal fest, wo sich der Herr Pedruzzo befindet, dann werden wir einmal ein Wörtchen mit dem Arzt reden, der die Totenbeschau vorgenommen hat, und wenn Ihre Zweifel dadurch nicht zerstreut werden können, dann werden Kollege Popatnig und ich entsprechende Ermittlungen aufnehmen.«
»Die Damen können ganz beruhigt sein«, flötete Popatnig, »auf uns können Sie sich voll und ganz verlassen.« Dabei strahlte er abermals Birgit an, was Obiltschnig zu dem Gedanken veranlasste, dass sein Kollege anscheinend schon wieder auf der Pirsch war.
Und diese Überlegung hatte Obiltschnig auch noch nicht losgelassen, als sie bereits wieder über die Autobahn bretterten, um nach Klagenfurt zurückzukommen. »Sag einmal, täusch ich mich, oder hast du tatsächlich eine Auge auf diese Birgit geworfen?« Popatnig ließ die Straße vor sich nicht aus den Augen. »Wie kommst denn auf so etwas, bitte? Die ist doch sicher zehn, zwölf Jahre älter als ich.« Er überholte einen langsam vor sich hin tuckernden Kleinwagen. »Und außerdem so überhaupt nicht mein Beuteschema, wie du weißt.« Er reihte sich wieder auf der rechten Spur ein. »Aber stimmt schon, wär einmal etwas anderes. Eine gestandene Frau statt immer nur den jungen Hungerhaken.« Ihm schien glatt ein Grinsen zu entkommen. »Aber …«, Popatnig schien den Moment regelrecht zu genießen und zog ihn dementsprechend in die Länge. »Ich kann dich beruhigen. Zurzeit bin ich ganz woanders engagiert.«
Obiltschnig wusste ganz genau, dass Popatnig förmlich danach gierte, sich erklären zu dürfen, und genau deshalb blieb Obiltschnigs Mund geschlossen. Den Triumph wollte er seinem Kollegen einfach nicht gönnen. Doch der ließ sich ohnehin nicht bremsen. »Hungerhaken ist das Stichwort. Fast schon magersüchtig, möchte ich meinen. So dünn, dass beinahe nichts dran ist an ihr.« Dennoch leckte sich Popatnig genießerisch die Lippen. »Sie heißt Niki.« Und nach einer kurzen Pause. »Also eigentlich heißt sie ja Ingrid. Aber sie nennt sich Niki. Ist ihr Künstlername. Du musst nämlich wissen, sie ist Sängerin.«
Obiltschnig seufzte vernehmlich. Doch auch das schien Popatnig nicht zu stören. »Du fragst dich jetzt sicher, wo ich die wieder aufgegabelt habe. Die tritt in dem neuen Lokal bei den City-Arkaden auf, im Flamingo.« Obwohl Obiltschnig gelangweilt auf die Windschutzscheibe starrte, entging ihm nicht, wie Popatnigs Augen zu leuchten begannen. »Ich hab sie gesehen in ihrem Minirock und diesem Nichts von einem Top, und ich hab mir gesagt: Die fick i, die Niki.« Er lachte laut über seinen plumpen Kalauer, während Obiltschnig das Loch in der Bodenplatte suchte, durch welches er verschwinden konnte.
Da es jedoch mit der Dislokation so gar nicht klappen wollte, fragte er schließlich gottergeben. »Und? Hast du?«
»Und wie auch noch«, kam es euphorisiert zurück, »die ist die absolute Kanone im Bett. Ich sag dir, die saugt dich aus, da bleibt kein Auge trocken.«
»Na gratuliere!« Popatnig ignorierte den galligen Unterton und nahm die Worte tatsächlich als Kompliment. »Und jetzt fragst du dich natürlich, wie macht der Ferdi das?« Nichts war weiter von der Wahrheit entfernt, doch um des lieben Friedens willen ließ Obiltschnig den Kollegen gewähren. »Ich weiß auch nicht, die Mädels stehen halt auf mich«, antwortete der auf die nicht gestellte Frage. »Ich hab der Niki lange in die Augen geschaut, und da hab’ ich gewusst, mit der geht’s jetzt in die Federn. Und so war’s auch. Ich sag’ dir, die hat einen Körper, da verschlägt es dir die Sprache. Und gelenkig ist die, habe die Ehre. Und wie sie …« Obiltschnig hob abwehrend die Hände. »Bitte, Ferdl, verschone mich mit Details. Wir stehen am Beginn einer Mordermittlung und nicht am Anfang eines Pornofilms.«
»Wie du das schon sagst, Sigi. Da klingt das alles total schmutzig«, schmatzte Popatnig abschätzig. Um gleich darauf von einem Ohr zum anderen zu grinsen. »Ist es auch. Wie mir die, kaum dass wir nackt waren, einen gebla…« Obiltschnig verlor die Contenance. »Ferdi! Echt jetzt! Aus! Es reicht!« Die Stimme des Vorgesetzten war laut genug gewesen, noch am Mittagskogel ein Echo zu evozieren, und Popatnig schwieg eingeschnappt bis zur Abfahrt Richtung Innenstadt. Sie waren schon fast bei ihrem Büro angelangt, als er ein »Du reagierst ja nur so, weil du zu wenig Sex hast« murmelte.
Obiltschnig richtete seinen Blick ganz auf den Mann am Fahrersitz aus. »Kollege Popatnig, zu Ihrer Information: Ich habe mit der Resi ein überaus erfüllendes Sexualleben. Aber darum geht es gar nicht. Vielmehr geht es darum, dass ich von deinen Ausschweifungen ganz einfach nichts wissen will. Ist das jetzt angekommen?« Popatnig maulte ein kaum hörbares »ja« und machte noch eine Viertelstunde später, als sie schon längst an ihren Schreibtischen saßen, auf beleidigt.
Obiltschnig versuchte, die Haltung seines Mitarbeiters zu ignorieren und gab erst einmal den Namen »Vito Pedruzzo« in die Suchmaske ein. Laut Meldedaten war dieser seit wenigen Wochen in der Villacher Lederergasse wohnhaft und am 15. Juni 2000 in der Nähe von Venzone im Kanaltal geboren worden. Offiziell war er 2019 nach Villach gekommen, um an der dortigen Fachhochschule Wirtschaftspsychologie zu studieren. Obiltschnig hielt inne. Wirtschaftspsychologie? Was für ein neumodischer Quatsch war das schon wieder? Was lernte man da? Wie man potenzielle Kunden am besten über den Tisch zog? Egal, das brauchte ihn nicht zu interessieren. Relevant war lediglich, dass der Mann vollkommen unbescholten war. Und dass nichts darauf hindeutete, dass er nicht immer noch in der Lederergasse hauste.
Schwieriger war freilich, den Arzt ausfindig zu machen, der den Totenschein unterschrieben hatte. Dazu musste er sich wohl mit der Abteilung in Verbindung setzen, die in Kärnten für Sterbefälle zuständig war. Automatisch blickte er auf die Uhr. Noch genügend Zeit bis zur Mittagspause. Also rief er kurz entschlossen an.
»Ja, begrüße Sie. Bezirksinspektor Obiltschnig, LKA Klagenfurt, am Apparat. Ich hätte eine Frage bezüglich einer vor Kurzem angeblich an einer Pilzvergiftung verstorbenen Villacherin.«
»Aha«, antwortete die Beamtin, ohne sich ihrerseits vorzustellen. »Und was wollen S’ da wissen?« Obiltschnig räusperte sich. »Freundinnen der betreffenden Dame haben uns gegenüber Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Todesursache geäußert, und dem gehen wir jetzt nach. Dazu würden wir gerne mit dem Arzt sprechen, der den Totenschein ausgestellt hat.«
Die Beamtin war hörbar not amused. »Sie tun mir was an«, seufzte sie, »okay, wie heißt die Guteste?« Obiltschnig gab die Daten durch. Er wartete eine gute Weile, in der er wenig mehr als das Knattern von Keyboardtasten hörte. Endlich drang wieder eine menschliche Stimme an sein Ohr. »Doktor Robert Scharinger. Udo Jürgens-Platz.«
»Udo Jürgens Platz? Wollen Sie mich häkerln?« Obiltschnig blies gepresst Luft aus. »Ganz und gar nicht. Wir sind hier ein Amt. Das häkerlt nicht«, kam es empört zurück. »Wir auch, also was soll das mit dem Bockelmann?«
»Ich kann nichts dafür, der Platz heißt seit 2019 wirklich so. Benannt nach dem Musiker. Aber bitte, wenn es Ihnen so besser gefällt: Draulände 3.«
Obiltschnig verdrehte die Augen. Er atmete kurz durch und bedankte sich anschließend recht einsilbig. Die Telefonnummer des Doktor Scharinger war rasch gefunden, und da er noch ordinierte, rief Obiltschnig kurzerhand in der Praxis an. Eine süßliche Stimme meldete sich. »Ordination Doktor Scharinger, was kann ich für Sie tun?« Obiltschnig schmunzelte in den Hörer. »Sie können mir den Herrn Doktor ans Telefon holen«, sagte er dann. »Das geht jetzt leider nicht, weil der Herr Doktor gerade Patienten behandelt. Aber Sie können gerne mit mir einen Termin machen«, blieb die Stimme unverändert süßlich. »Na, dann mache ich das einmal. Der Termin ist jetzt«, griff Obiltschnig den Vorschlag der Assistentin auf, selbige offenkundig verwirrt zurücklassend. »Wie jetzt?«, replizierte sie, nachdem sie sich gefangen hatte. »Na jetzt jetzt. Sie stellen mich einfach durch.« Endlich verschwand das Süßliche aus dem Ton der Frau. »Ich habe Ihnen erklärt, dass das nicht geht.«
»Und ich habe Ihnen anscheinend noch nicht erklärt, dass das doch geht. Hier spricht nämlich die Polizei. Bezirksinspektor Obiltschnig am Apparat. Wenn Sie also vermeiden wollen, dass wir in ein paar Minuten mit Blaulicht und Folgetonhorn vor Ihrer Praxis auffahren und den Herrn Doktor zu einer Befragung aufs Revier mitnehmen, dann drücken Sie flink die entsprechende Taste und stellen mich durch.«
Anscheinend war die Botschaft diesmal angekommen. »Einen Augenblick, ich verbinde«, kam es eisig aus dem Hörer. Dann knackte es, ehe sich ein ärgerlicher Bariton vernehmen ließ. »Ich bin mitten in einer Behandlung! Mit welchem Recht machen Sie sich da wichtig?«, schnarrte Scharinger ins Telefon.
»Mit dem Recht eines Polizeibeamten, der in einem möglichen Verbrechensfall ermittelt.«
»Und was, bitte schön, habe ich damit zu tun?«
Obiltschnig hielt kurz inne. »Jetzt schicken Sie einmal Ihren Patienten aus dem Behandlungszimmer, und dann werden Sie meine Fragen beantworten. Sind wir uns so weit einig?«
»Wie kommen Sie darauf, ich würde …«
»Ich kann Sie auch gerne mit der Funkstreife abholen lassen. Das macht sicher einen guten Eindruck auf die Leute im Wartezimmer.«
»Ich werde mich über Sie beschweren, Sie …«
»Ja, machen S’ das. Aber zuerst beantworten Sie meine Fragen, verstanden? Was sagt Ihnen der Name Sonja Pedruzzo?«
»Gar nichts! Wieso sollte er?«
»Weil Sie ihren Totenschein ausgefertigt haben.«
»Ich? Wann soll das gewesen sein?«
»Ungefähr vor drei Wochen. Die Pilzvergiftung«, half Obiltschnig Scharinger auf die Sprünge.
»Ach so, ja, die Geschichte. Ich erinnere mich.«
»Und? Wie kamen Sie zu Ihrer Schlussfolgerung? Haben Sie die Pedruzzo obduziert? Ihren Mageninhalt untersucht?«
Scharinger schnaubte. »Natürlich nicht. Hören Sie, ich bin, weil ich Bereitschaft hatte, zu dieser Adresse – in die Lederergasse, glaube ich, war das – gerufen worden. Als ich ankam, war die Frau zweifelsfrei mausetot. Und ihr Ehemann ist völlig gebrochen neben der Leiche gesessen und hat immer wieder gejammert: die Schwammerl, die gottverdammten Schwammerln. Dann ist er aufgestanden, ist in die Küche gegangen und mit einem Reindl zurückgekommen, in dem sich unverkennbar die Reste von einem Schwammerlragout befanden. Ich habe natürlich eine Probe genommen und die später im Labor untersuchen lassen. Es handelte sich um Knollenblätterpilze.«
»Na gut«, lenkte Obiltschnig vordergründig ein, »aber was war mit der Toten? Hatte die tatsächlich besagtes Gericht in sich?«
»Ich bitte Sie, Herr Inspektor. Wenn etwas so offensichtlich ist, dann bemüht man doch nicht erst die Gerichte. Wissen Sie, was eine Obduktion dem Steuerzahler kostet? Wissen Sie das?«
»Ich darf also zusammenfassen«, blieb Obiltschnig kühl, »der Ehemann hat Ihnen einen Topf mit einem Pilzgericht gezeigt, und Sie haben daraus messerscharf geschlossen, die Frau sei an der Konsumation eben dieser Speise verstorben. Ist das so richtig?«
Man hörte förmlich, wie Scharinger zu transpirieren begann. »Also wenn man es … so … darstellt, dann ergibt das … natürlich … keine gute Optik. Aber … Sie müssen verstehen, das Offensichtliche, das ist eben auch die Regel. Da …«
»Jetzt seien Sie nicht naiv, Herr Doktor. Wissen Sie, wie viele Tötungsdelikte es im engsten Familienkreis jedes Jahr gibt? Und da fällt Ihnen nichts anderes ein, als den Beteuerungen eines Ehemannes blind Glauben zu schenken, der Ihnen buchstäblich ein vergiftetes Essen auftischt? Ein Ehemann übrigens, der seitdem flüchtig ist.«
Obiltschnig wartete auf die Wirkung seiner Worte. Tatsächlich benötigte der Mediziner einige Augenblicke, ehe er sich wieder im Griff hatte. »Hören Sie, Herr Bezirksinspektor, wir sind dazu angehalten, alles zu melden, was uns verdächtig vorkommt. Und dieser Fall wirkte auf keine Weise auch nur annähernd verdächtig. Ich weiß schon, hinterher ist man immer klüger, und ich will auch nicht bestreiten, dass uns Totenbeschauern jedes Jahr etliche Morde entgehen, weil sie eben clever ins Werk gesetzt wurden. Aber wenn wir wirklich jedes Mal mit dem großen Besteck antanzen würden, dann hätten Sie in der Gerichtsmedizin einen Rückstau von mehreren Jahren.«
Obiltschnig musste, wenn auch nur ungern, zugeben, dass die Argumentation des Arztes etwas für sich hatte. Darum gab er sich eine Spur konzilianter. »Mit anderen Worten, die Dame hätte an sonst was gestorben sein können, es wurde aber einfach nicht überprüft?«
»An sonst was würde ich jetzt nicht sagen. Es gab keinerlei Gewalteinwirkung auf ihren Körper. Keine Blutergüsse, keine Einstiche, nichts. Eine Vergiftung war daher naheliegend. Aber ich gebe zu, theoretisch könnte sie auch an einem Herzstillstand, an einem Gehirnschlag oder einem Infarkt verstorben sein. Ja, ich gehe sogar so weit zu sagen, theoretisch könnte sie auch erstickt worden sein. Aber angesichts der Umstände, unter denen ich sie angetroffen habe, schien all das vollkommen unrealistisch zu sein.«
»Na gut, Herr Doktor. Belassen wir es vorerst dabei. Behandeln Sie Ihren Patienten, wenn ich noch eine Frage an Sie habe, werde ich mich melden.« Ohne weiteres Wort legte Obiltschnig auf.
»Hast du das mitbekommen? Die ist gar nicht richtig untersucht worden. Die könnte an sonst was gestorben sein«, fasste er für Popatnig noch einmal zusammen. »Der Quacksalber hat dem Ehemann einfach sein Ammenmärchen abgekauft.«
»Das heißt, wir wissen gar nicht, woran die wirklich gestorben ist?«
»Stimmt auffallend, Kollege«, erwiderte Obiltschnig aufgeräumt. »Ich gebe zu, die Geschichte der fünf Freundinnen beginnt an Substanz zu gewinnen.«
»Irgendwie erinnert mich das an die Geschichte mit der Faschaunerin«, ließ sich Popatnig plötzlich vernehmen.
»Wen?« Obiltschnig verstand nur Bahnhof.
»Eva Faschauner. Ein in der Spittaler Gegend bekannter Fall aus dem 18. Jahrhundert, wo eine Frau des Giftmordes an ihrem Mann verdächtigt wurde, was sie unter Folter dann auch gestand. Sie wurde geköpft, soweit ich mich erinnern kann.«
»Aha, und was hat das jetzt bitte mit unserem Fall zu tun?«
»Man geht heute allgemein davon aus, dass die ganze Geschichte getürkt war. Nur dass es in dem Fall umgekehrt war. Um an das beachtliche Erbe der Faschaunerin zu kommen, wurde sie des Mordes bezichtigt, anstatt dass sie selbst ermordet worden wäre.«
»Ferdl«, schüttelte Obiltschnig den Kopf, »manchmal machst du mir Angst. Wie soll uns eine 200 Jahre alte Räuberpistole in unserer Sache weiterbringen.« Der Bezirksinspektor war von Kopf bis Fuß ein einziger tadelnder Blick. »Fakt ist, dass wir nicht wissen, woran die Pedruzzo wirklich gestorben ist. Was bedeutet, dass wir wahrscheinlich eine Exhumierung werden beantragen müssen, damit man den Leichnam doch noch obduziert.«
»Das wird schwierig werden«, dämpfte Popatnig Obiltschnigs Enthusiasmus. »Erstens wird die Staatsanwaltschaft die Dinge ähnlich sehen wie unser Villacher Doktor, und zweitens stellt sich die Frage, ob das Gift, wenn denn welches im Spiel war, jetzt überhaupt noch nachweisbar ist.«
Der Bezirksinspektor schnaufte. Sein Kollege hatte so unrecht nicht. Mit beiden Annahmen. Betrachtete man die Angelegenheit von neutraler Warte, ohne die Einflüsterungen der Freundinnen, dann klang die Giftmordthese tatsächlich weit hergeholt. Möglicherweise würde sie nicht einmal von Oberst Dullnig geteilt werden, womit der Staatsanwalt gar nicht erst bemüht zu werden brauchte. Obiltschnig warf einen prüfenden Blick auf die Amtsuhr. Zehn vor zwölf. »Weißt was, gemma was essen«, schlug er vor.
Zehn Minuten später, man hörte aus der Ferne die Glocken des Klagenfurter Doms, saßen sie im Gastgarten des Asia-Restaurants in der Gabelsberger Straße und orderten zweimal das Mittagsbuffet. Während sich Popatnig erst einmal Frühlingsrollen besorgte, balancierte Obiltschnig eine übervolle Schale mit süßsaurer Suppe über die Stufen ins Freie. Als sie ein Weilchen später vor einem Curryhuhn beziehungsweise vor einem Huhn Szechuan saßen, griff der Bezirksinspektor die Thematik wieder auf. »Wie sollen wir deiner Meinung nach vorgehen? Das Ganze vergessen, oder wie?«
Popatnig spießte eine Karottenscheibe auf. »Also zuerst würde ich mich einmal um den Witwer kümmern. Stimmt es, dass er wirklich verschwunden ist? Ich meine«, er kaute inbrünstig an dem orangefarbenen Gemüse herum, »vielleicht ist er einfach nur heim ins Kanaltal, um dort bei Mama und Papa seinen Verlust zu betrauern. Wäre doch möglich.«
»Ja, dem sollten wir nachgehen, du hast recht«, pflichtete Obiltschnig dem Kollegen bei. »Zuerst kontaktieren wir gleich nach dem Mittagessen den Lassnig. Der soll eine Funkstreife in der Lederergasse schicken, damit die sich dort unter den Nachbarn umhören, ob der Göttergatte wirklich ausgebüxt ist. Und wenn es stimmt, was unser Damenkränzchen vermutet, dann machen wir zwei Hübschen morgen eine kleine Dienstreise nach Italien.«
Popatnigs Gesicht hellte sich auf. »Bei der Perspektive hole ich mir gleich noch einen Nachschlag.« Er verschwand kurz im Inneren des Restaurants und kehrte wenig später mit einem Teller Nudeln und einer kleinen Schale zurück. Wie Obiltschnig feststellen konnte, handelte es sich bei deren Inhalt um Pfirsichkompott. »War ökonomischer, die Nachspeise gleich mitzubringen. Dann brauch ich nicht noch einmal aufstehen«, erklärte er.
Obiltschnig fühlte sich inspiriert und ließ nun seinerseits den Kollegen kurz allein. Am Buffet sah er sich im Dessert-Bereich um und entschied sich nicht nur für das nämliche Kompott, sondern auch gleich für einen kleinen Teller Bananen in Schokoladensoße. »Na ja«, erklärte er nach seiner Rückkehr dem Kollegen, »Obst soll ja sehr gesund sein, heißt es.« Dabei zwinkerte er vergnügt. Und für eine kleine Weile gaben sich beide schweigend dem Genuss hin.
Schließlich schob Popatnig die leere Schüssel beiseite, angelte nach dem Aschenbecher und steckte sich eine Zigarette an. Postwendend belferte die dicke Dame am Nebentisch los und wedelte dabei demonstrativ mit der Hand. Ihr so offensichtlich zur Schau getragener Husten hatte etwas Tuberkulöses, und Obiltschnig begann sich ernsthafte Sorgen zu machen, ob die Frau nicht noch vor Beendigung ihrer Mahlzeit ersticken würde. Mitfühlend sah er in ihre Richtung, und ihre Blicke trafen sich. Abrupt stoppte ihr Husten, und sie erklärte mit heiserer Stimme, sie sei Nichtraucherin. Obiltschnig bemühte sich um einen möglichst ernsten Gesichtsausdruck. »Da müssen Sie aber aufpassen, Gnädigste. Mein Kollege hier raucht eine ganze Schachtel am Tag, aber so einen Keuchhusten wie Sie hatte der noch nie.« Ihr »Unverschämtheit« interessierte ihn schon nicht mehr. Stattdessen wandte er sich wieder ihrem Fall zu.