Kates Abenteuer in York - Sandra Goldoni - E-Book

Kates Abenteuer in York E-Book

Sandra Goldoni

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Beschreibung

Jack lädt seine Freunde, die er auf den Malediven kennengelernt hat, zu sich nach York ein. Das Treffen findet auf Eboracum, einem stattlichen Castle statt. Nachdem unsere dreizehn Freunde die erste Nacht bis in die frühen Morgenstunden gefeiert hatten, erfahren sie bei einem verspäteten Frühstück, dass ein Terroranschlag das Vereinigte Königreich erschüttert hat. Durch Zufall bekommen sie mit, dass sich im Gewölbekeller des Castles Terroristen eingenistet haben. Sie haben sich unbemerkt ein kleines Labor eingerichtet, in dem sie einen tödlichen Virus herstellen und in Umlauf bringen. Kate und ihre Freunde wollen das Castle so schnell wie möglich verlassen, doch Jack hat von seinem Vorgesetzten Wellesley die Anweisung erhalten, das Anwesen nicht zu verlassen. Auf den Straßen herrscht Ausnahmezustand. Die British Army hat veranlasst, dass Konvois die Straßen in York auf- und abfahren, um Menschen, die sich nicht an die Ausgangssperre halten, einzusammeln. Ungeachtet ihres gesundheitlichen Zustandes werden sie in große Sammellager gebracht. Kate und ihre Freunde wissen, dass sie dort dem tödlichen Virus nicht mehr entkommen könnten. Gemeinsam versuchen sie, sich gegen die Terroristen zu wehren, die sie zu ihrem Zweck als Selbstmordattentäter nutzen wollen. Weil nun auch die Funkverbindung ihrer Handys nicht mehr funktioniert, können sie die Antiterroreinheit der SAS nicht erreichen. Ein Katz-und-Maus-Spiel lässt Kate und ihre Freunde an ihre Grenzen geraten.

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EPUB
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Seitenzahl: 491

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Copyright: Sandra Goldoni

1. Auflage

Verlag & Druck by tredition GmbH

Halenreie 40-44

20359 Hamburg

Die Handlung dieses Romans ist frei erfunden. Alle Namen und Personen wurden ebenfalls frei erfunden. Die Geschichte ist keine wahre Begebenheit.

Nachdruck, Speicherung, Sendung und Vervielfältigung in jeder Form, insbesondere Formate, Farbverfremdung sowie Bearbeitung und Übertragung des Werkes oder von Teilen desselben in andere Medien und Speicher sind ohne vorgehende schriftliche Zustimmung des Verlages oder des Autors unzulässig und werden strafrechtlich verfolgt.

Alle Rechte am Werk liegen beim Autor:

Sandra Goldoni

ISBN: 978-3-7482-1526-4(Paperback)

978-3-7482-1527-1(Hardcover)

978-3-7482-1528-8 (e-Book)

Kates Abenteuer in York

London

Liebe Kate,

wie im letzten Sommer gemeinsam vereinbart, würde ich mich freuen, Dich in York auf Eboracum Castle willkommen zu heißen.

Geplant ist ein verlängertes Wochenende von Freitag, den 25. bis Montag, den 28. November mit einzigartigen Ausflügen zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten von der Ewigen Stadt; York. Selbstverständlich werden wir auch einen Bummel über den viktorianischen Weihnachtsmarkt machen, damit Ihr noch fehlende Geschenke für Eure Lieben einkaufen könnt.

Wie Du Dich sicher erinnern kannst, werden auch unsere geschätzten Freunde, die wir auf den Malediven kennengelernt haben, anwesend sein.

Anbei findest Du eine Anfahrtsskizze, die Dich zu einem ansässigen Gasthof führt. Von dort werdet Ihr, wie es sich für York und seine Geschichte ziemt, um vier Uhr am Freitagnachmittag mit Droschken zum Castle kutschiert.

(Außerdem liegt Eboracum Castle etwas versteckt und wird Dir per Routenplaner nicht angezeigt.)

Ich freue mich ganz besonders auf ein Wiedersehen mit Dir sowie eine schöne vorweihnachtliche Adventszeit mit unseren Freunden.

Alles Liebe,

Dein Jack McGallon.

Kate las den Brief, auf ihrer gemütlichen roten Ledercouch im Wohnzimmer ihrer kleinen Wohnung in der North Audley Street von Mayfair zum x-ten Mal.

Nett von Jack dachte sie sich, dass er sich so zeitig gemeldet hat, jetzt kann ich für meine Großmutter Paratti tatsächlich noch ein kleines Weihnachtsgeschenk in York besorgen.

Sorgfältig faltete sie den Brief zusammen und nahm sich die Skizze, auf der die Anreise beschrieben stand.

Auch diese hatte sie schon mehrfach auseinandergefaltet und betrachtet, nun wollte sie jedoch für die morgige Anreise sicherheitshalber noch einen Blick darauf werfen.

Kate wusste, dass sie ungefähr vier bis fünf Stunden mit ihrem Auto brauchen würde, um den Gasthof GUY DICK TURPIN zu erreichen, von dem aus sie mit dieser Kutsche zu Jack gebracht werden sollten.

In Gedanken sah sie schon ihre Freunde vor sich, mit denen sie im Sommer so viel erlebt hatte. Irre dachte sie sich, die alle wiederzusehen kann ich kaum mehr abwarten.

Sie sah kurz an die Wand, an der ein großer Jahreskalender hing. Mit einem dicken schwarzen Edding-Stift hatte sie sich den morgigen Tag mit einem großen Kreuz markiert. Jetzt würde es nur noch ein paar Stunden dauern, bis sie sich endlich alle treffen würden.

Kate hatte heute noch schnell in ihrem Lieblingskaufhaus Burlington Arcade in London – Piccadilly ein Geschenk für Jack gekauft. Es war nichts Besonderes, doch hatte sie einige Zeit gebraucht, um dieses exquisite Präsent zu finden. Es war eine Flasche Brandy, in Form eines alten Castles, die sie ihm kurz nach der Ankunft auf Eboracum überreichen wollte.

Gähnend schwang sie sich zu ihrem kleinen Beistelltisch, auf dem ihr Handy lag. Wie sie es immer tat, bevor sie auf Reisen ging, rief sie ihre Großmutter an und weil es bereits halb neun am Abend war, wartete sie nicht noch länger, denn immerhin war Paratti schon etwas älter und würde gewiss zeitig schlafen gehen.

Am nächsten Morgen wachte Kate schon früh auf.

Sie hatte sich ihren Wecker auf sieben Uhr gestellt, damit sie in aller Ruhe duschen und Frühstücken konnte. Spätestens um neun wollte sie abfahren, damit sie nicht zu spät bei diesem Gasthof in York ankommen würde.

Ihr Gepäck, für das verlängerte Wochenende hatte sie schon im Kofferraum ihres Fahrzeugs.

Sie fuhr einen geleasten Continental GTC von Bentley. Auf dem Beifahrersitz lag die Brandy-Flasche für Jack, die sie in einer Glassichtfolie mit weißer Schleife sorgfältig verpackt hatte.

Sie befand sich inzwischen kurz vor Peterborough und wollte kurz ihr Handy aus ihrer Handtasche holen, da bemerkte sie, dass sie die Tasche zu Hause liegen gelassen hatte.

Mist dachte sie sich.

Immerhin war sie jetzt schon fünfzig Meilen weit gefahren, aber das brachte alles nichts. Ihre Personalien und ihr Geld mitsamt ihren Kreditkarten befanden sich ebenfalls in dieser Tasche, daher blieb ihr nichts anderes übrig, als umzudrehen und die gleiche Strecke noch einmal zu fahren.

Erst um zwanzig vor vier konnte Kate endlich das Schild vor sich sehen, auf dem York zu lesen war. Die Stadt selbst lag in einem flachen Tal, im Vale of York. Im Hintergrund konnte sie das Mittelgebirge Penninen sehen, das auch als das Rückgrat Englands bezeichnet wird.

Nach einer kleinen Irrfahrt durch die Stadt kam sie genau um fünf vor vier auf dem Parkplatz des Gasthofes Guy Dick Turpin an.

Die Gaststätte wirkte mit ihren weißen Sprossenfenstern, dem stattlichen Eingang und den dunkelroten Klinkersteinen unwahrscheinlich einladend.

»Kate!«, rief eine männliche Stimme. »Seht doch, sie ist doch noch gekommen. Ich wusste es!«

Um sich blickend stieg sie aus ihrem Wagen aus und stellte erfreut fest, dass ihre Freunde schon alle da waren. Auch die Kutschen standen wartend vor dem Gasthof.

»Rooie«, rief Kate, nachdem sie den jungen Mann erkannt hatte, der sich gerade so über ihre Ankunft gefreut hatte. Er hatte strohblondes kurzes Haar, das ihm zu allen Seiten abstand. »Es ist so toll, dich wiederzusehen.«

»Kate«, rief eine japanisch aussehende Frau, die neben Rooie stand. »Komm schon, beeil dich, die Kutschen fahren gleich los.«

Zehn bekannte Gesichter standen vor ihr, die sie nur zu gerne in Ruhe begrüßt hätte, doch musste sie sich nun beeilen, um ihr Gepäck aus dem Kofferraum zu holen.

»Warte ich helfe dir«, bot sich ein weiterer junger Mann an, der ebenfalls blondes kurzes Haar, dazu aber stahlblaue Augen hatte, an die sich Kate sogleich erinnern konnte.

»Danke Bowen«, sagte sie grinsend. »Seit wann bis du denn schon hier?«

»Oh, ich habe mir den Spaß nicht nehmen lassen und bin zeitig angereist. Ich kam schon heute Mittag an. So konnte ich mich noch ein klein wenig umsehen. York ist wirklich faszinierend. Ich bin gespannt, was Jack alles geplant hat. Sicher kennt er alle mystischen Geschichten, die sich um diese Stadt ranken.«

»Ja. York hat eine ziemlich interessante Vergangenheit, die Jack garantiert kennt. Sind denn schon alle abfahrbereit?«, fragte Kate, wobei sie die Klappe ihres Kofferraums wieder zuwarf.

»Klar«, antwortete ihr Bowen. »Stell dir vor, Hurley und Sharon sind inzwischen verlobt!«

»Das ist ja wunderbar.«

Strahlend kam Kate mit Bowen auf ihre Freunde zu, die sie herzlich umarmte.

Für eine Unterhaltung hatten sie jedoch kaum noch Zeit, weil sie jetzt in die wartenden Pferdekutschen einsteigen sollten.

»Ach«, machte Kate. »Ich habe mein Geschenk für Jack auf dem Beifahrersitz liegen lassen.«

»Dann hol es schnell«, riet ihr Bowen. »Ich nehme dein Gepäck mit, beeil dich.«

Kate rannte flink zu ihrem Auto zurück, nahm die Flasche Brandy an sich und eilte wieder zurück zu den Kutschen.

Die ersten zwei Fuhrwerke rollten bereits die gepflasterte Straße entlang, in denen ihre Bekannten laut plaudernd und lachend zusammensaßen.

»Komm, Kate«, rief ihr Sharon, eine hübsche rothaarige junge Frau zu, die, nachdem was Bowen ihr zuvor erzählte hatte, mit Hurley verlobt sein musste. »Wir haben dir ja so viel zu erzählen.«

Schnell stieg Kate bei ihr ein.

»Hurley, Sharon«, begrüßte Kate sie ganz außer Atem. »Schön euch wiederzusehen.«

Nun setzten sich die Pferde in Bewegung und auch ihre Kutsche rollte an.

Sie hatten zu viert genügend Platz in diesem altertümlichen Fuhrwerk, das von weißen Schimmeln gezogen wurde.

»Ich habe Kate schon verraten, dass ihr euch verlobt habt«, meldete sich Bowen.

»Plappermaul«, feixte Sharon grinsend. »Wir hatten schon befürchtet, dass du nicht mehr kommst, Kate.«

»Ach hört mir auf«, antwortete sie. »Ich musste bei Peterborough noch einmal umdrehen, weil ich meine Handtasche vergessen habe.«

»Hauptsache ist doch, dass du noch rechtzeitig angekommen bist«, meinte Hurley.

Er hatte ziemlich dichte Augenbrauen, kurze dunkelbraune Haare und trug einen Dreitagebart.

Kate sah von ihm zu Sharon, die leicht fröstelte.

»Ist dir kalt?«

»Etwas«, antwortete sie. »Ist ja auch kein Wunder, bei dem feuchten Wetter, aber das ist ja normal für diese Jahreszeit und vor allem für England.«

Laut lachend fuhren sie an alten Gebäuden vorbei und durch enge Gassen hindurch. Als sie aus York hinaus in ein kleines Waldstück fuhren wurde der Nebel immer dichter.

»Liegt das Castle von Jack denn nicht mehr in York?«, fragte Kate erstaunt.

»Das hier gehört alles noch zu der Grafschaft Yorkshire«, erklärte ihr Bowen. »Ich habe mich etwas schlaugemacht, bevor ich losgefahren bin. Immerhin befinden wir uns in York, in der Ewigen Stadt.«

»Grusel, grusel«, schäkerte Hurley.

Kate zog ihre Stirn in Falten.

»Was meinst du denn damit?«

»Na kennst du denn nicht die vielen Geschichten, die man sich von York erzählt?«, fragte Hurley verdutzt.

Kate sah ihn verwundert an.

»Sie hat eine altertümliche Geschichte, aber das ist doch nicht zum Gruseln?«

»Oh doch«, sagte Hurley. »Überall wird diesen Häusern nachgesagt, dass die Toten hier noch immer ihr Unwesen treiben!«

Kate lachte laut.

»Das ist nicht dein Ernst.«

»Aber ja«, mischte sich Bowen ein. »Ich habe davon gelesen und in der Schule haben wir damals auch schon darüber gesprochen.«

»Du machst Witze. In der Schule, …, ich bitte dich!«

»Doch ehrlich«, sagte Bowen bestimmt. »Gut, wir hatten damals Halloween, aber-«

»Lass mal hören«, unterbrach ihn Hurley neugierig. »Was weißt du alles über diese gruselige Stadt?«

Hurley grinste die beiden Frauen breit an.

»Ihr wollt mir und Sharon doch nur Angst einjagen?«, murrte Kate naserümpfend.

»Nein«, beharrte Bowen. »Die Bewohner dieser Stadt glauben sogar, dass York die am meisten bespukte Stadt Europas ist. So wird ein Wohnhaus im Stonegate vom Geist eines sechsjährigen viktorianischen Mädchens heimgesucht, das auf der Treppe in den Tod gestürzt sein soll, und in der College Street kann man das Weinen eines Mädchens hören, das damals verhungert sein soll.«

Kate schüttelte grinsend ihren Kopf.

»Ach was. Das passt sicher zu diesem Nebel und dieser Kutschfahrt, aber an so etwas glaubt ihr doch nicht im Ernst?«

»Ich habe gehört«, murmelte Hurley, »dass Passanten an nebligen Abenden in der Malton Road eine Geisterfrau mit einem Kind in ihrem Arm gesehen haben, die der Legende zufolge von ihrem untreuen Liebhaber ermordet wurden.«

»Ihr seid ja verrückt«, meinte nun auch Sharon. »Was sind das denn für Ammenmärchen?«

Sie fuhren inzwischen auf eine Lichtung, die etwas höher lag, als York.

»Ihr glaubt uns das nicht?«, fragte Hurley mit großen Augen. »Habt ihr denn nie davon gehört?«

»Nein«, antwortete ihm Kate. »Mich wundert aber, dass deine Verlobte nichts davon weiß, obwohl ihr zusammen hier seid.« Sharon zwinkerte Kate zu.

»Ja, wie kommt das?«

»Ich dachte, du wüsstest das alles«, sagte Hurley überrascht. »Aber von dem Mädchen, das heute noch bei Beerdigungen dabei sein soll, hast du doch sicher schon gehört?«

»Was?«, fragte Sharon, die davon genauso wenig Ahnung hatte, wie Kate.

Bowen hingegen nickte eifrig.

»Ja Hurley«, bekräftigte er die Aussage seines Freundes. »Das ist sicher die bekannteste Geschichte. In der All Saint’s Church wurde mehrfach ein von einer leuchtenden Aura umgebenes Mädchen beobachtet, wie es von der Kirchentür aus Beerdigungen belauscht hat. Allerdings verschwindet es sofort, wenn sich ihr jemand nähert.«

Jetzt fuhren sie durch ein breites geschwungenes Tor, hinter dem es stetig bergauf ging.

»Ich glaube, wir kommen in Kürze an«, beendete Sharon diese gruseligen Geschichten. »Ja seht doch! Man kann das Castle von hieraus schon sehen. Sieht ein bisschen unheimlich aus, oder?« Kate sah ebenfalls den Hang hinauf.

Durch dichten Nebelschwaden hindurch, konnte sie das steinerne schwarzgraue burgartige Gebäude vor sich aufragen sehen. Es war imposant und glich einer Festung, weil es an allen vier Ecken je einen emporragenden Turm mit Bogenscharten zwischen den Zinnen hatte. Die Fenster wirkten mickrig und doch beleuchteten sie den rabenschwarzen Himmel, sodass es tatsächlich etwas geisterhaft wirkte. Mehr konnte Kate bei diesem Nebel jedoch nicht erkennen.

»Sieht toll aus«, murmelte Bowen beeindruckt. »Wie kommt Jack nur an so was ran?«

»Soviel ich weiß«, sagte Sharon, deren Blick auf dem herrschaftlichen Gebäude ruhte, »gehört es seiner Mutter, die hier ab und an ihre Freizeit verbringt.«

Hurley starrte sie verwundert an.

»Woher weißt du das?«

»Ich hatte Jack damals danach gefragt, als er den Vorschlag gemacht hat, uns hierher einzuladen.«

Die ersten beiden Droschken hielten jetzt auf einem hell, breit geschotterten Platz direkt vor dem Castle.

»Wir sind da«, jauchzte Kate.

Es war ziemlich dunkel, einzig durch die vielen Fenster drang schwaches Licht zu ihnen auf den Hof, abgesehen von den kleinen Lampen, die vorne an den Kutschen angebracht waren. Als Kate mit ihren Freunden ausstieg, waren sie von dem Anblick der Burg sichtlich überwältigt.

Sie standen vor einer breiten Steintreppe, die zu dem hoch aufragenden Bollwerk führte, welches auf massivem Felsgestein thronte. Das Eingangsportal bestand aus massiver Eiche, es war mindestens drei Meter hoch und dementsprechend breit.

»Hallo Kate«, sagte eine ältere Frau.

»Granny!« Kate erkannte die Frau sofort. Sie trug einen langen hellgrauen Haarzopf, der ihr beim Laufen ständig hin- und herbaumelte. »Wie geht es dir?«

»Wie immer gut«, antwortete ihr Granny strahlend, dann sah sie zu dem Castle auf. »Müssen wir irgendwo anklopfen?«

»Nein, das ist nicht nötig«, beantwortete ihr Bowen die Frage. »Uns wird soeben geöffnet, seht doch!«

In diesem Moment öffnete sich die schwere Eichentür. Gleißend helles Licht fiel vor sie, auf die feuchten Steinstufen.

Ein Mann in Livree erschien an der Tür.

Er hatte kurze weiße Haare, die glatt zurückgekämmt waren.

Sein Alter schätzte Kate auf Anfang sechzig. Strahlend sah er auf sie herab.

»Guten Abend«, begrüßte er sie volltönend. »Ich heiße Sie, auf Eboracum Castle herzlich willkommen.«

Jetzt stiegen drei weitere Bedienstete die Treppe zu ihnen herunter, um das Gepäck an sich zu nehmen.

Der Butler an der Tür verbeugte sich leicht und bat sie mit einer kurzen Handbewegung herein.

»So fürstlich hatte ich mir das nicht vorgestellt«, zischelte Granny. »Sind wir hier überhaupt richtig? Ist das tatsächlich Jacks Haus oder wohnt er womöglich ganz woanders?« Neugierig tuschelnd kamen sie die Steinstufen herauf, sahen sich aufmerksam um und traten nun einer nach dem anderen ein. Gemeinsam mit Bowen schritt Kate in den hohen, geräumigen Korridor, der sich hinter der schweren Holztür befand, die der Butler nun laut ins Schloss fallen ließ.

»Hach«, machte ein leicht untersetzter Mann, der vor Kate innehielt. »Mollig warm haben sie es hier.«

»Zum Glück«, sagte seine Frau neben ihm. Sie war sehr hager, hatte eine markante Nase und kurze brünette Haare. »Dieses neblige Schmuddelwetter sollten wir lieber draußen lassen.«

»Despina, …, Allen«, erkannte Kate die beiden. »Habt ihr eure Söhne denn nicht dabei?«

»Hallo Kate«, begrüßte Allen sie. »Nein die beiden müssen doch in die Schule. Despina war der Meinung, ihre Mutter könnte für die paar Tage nach den beiden sehen.«

Der Butler räusperte sich kurz.

»Mister McGallon erwartet Sie bereits im Salon«, sagte er. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«

Aufgeschreckt blickte Kate zu dem weißhaarigen Mann.

Er wandte sich um und ging ihnen voraus.

Leise murmelnd, die Bilder an den Wänden betrachtend liefen ihm die Ankömmlinge hinterher.

Vier Meter über ihnen, hingen an der mächtigen Decke alle paar Meter, flammend helle Kronleuchter.

Kate fiel auf, dass das Castle farbenprächtig weihnachtlich geschmückt war. Dicht geflochtene rot goldene Bänder mit Stechpalmenzweigen spannten sich geschmackvoll von der einen Deckenseite zur anderen. Vor den kleinen Sprossenfenstern, am Ende des Flurs, hingen künstliche Eiskristalle, die glitzernd funkelten.

Sie kamen an mehreren schweren Türen vorbei, durchliefen den langen Korridor, in dem ihre Schritte laut an den hohen Wänden widerhallten, und gelangten schließlich zu dem Salon, in dem ein warmes Feuer in einem beachtlichen Kamin brannte. Gleich neben dem Kamin stand ein prächtig geschmückter Weihnachtsbaum.

»Es freut mich, euch hier, auf Eboracum Castle endlich willkommen heißen zu können«, sagte Jack, der in diesem Augenblick hinter dem Christbaum hervortrat.

Ihr Gastgeber war Ende dreißig, hatte leicht gelockte dunkle Haare, die ihm bis auf seine Schultern fielen, einen Dreitagebart und strahlte sie alle mit einem frechen Grinsen an. »Ich hoffe, die Anfahrt hier herauf hat euch gefallen? Leider konntet ihr nicht annähernd so viel sehen, wie ich es gehofft hatte. Dieser dichte Nebel ist außergewöhnlich zäh, aber für diese Jahreszeit in England eben ganz normal. Morgen soll es zum Glück sonniger werden.«

»Ach was«, rief ein etwas älterer Herr, den Kate als Hurleys Vater wiedererkannte. »Das hast du Teufelskerl doch genau so geplant.«

Lachend umarmten sich die beiden Männer.

»Jon«, sagte Jack erfreut. »Schön, dass du es doch noch schaffen konntest. Ich habe, ehrlich gesagt, gar nicht mehr mit dir gerechnet. Dein Sohn hat mir gesagt, dass du nicht freibekommst. Wie war dein Flug hierher?«

»So eine Party lasse ich mir doch nicht entgehen«, sagte Jon gut gelaunt. »Der Flug verging schnell, …, ich habe ihn einfach verpennt und meinen Dienst hat Nelson übernommen.«

»Das freut mich«, sagte Jack. »Aber nehmt doch erst einmal Platz.«

Eboracum Castle

Er deutete drei Stufen hinauf, auf eine Empore, die den Raum abteilte. Dort stand eine stattliche Tafel, die bereits für sie eingedeckt war. Auf jeder Seite des Tischs befanden sich sechs Stühle mit weihnachtlichen rot-weißen Hussen.

Kate sah sich neugierig um.

Hinter einem aufwendig geschnitzten Mahagoni Armlehnstuhl stand ein weiterer Mann.

»Will«, rief sie.

Flink rannte sie zu ihm, um ihn zu begrüßen.

»Kate«, sagte der Mann, der mit seinen siebenundzwanzig Jahren nur zwei Jahre älter war als sie und unwahrscheinlich gut aussah. Er hatte eine sportliche Figur, kurze braune Haare, maß etwa einen Meter achtzig, und wirkte in seinem maßgeschneiderten Anzug, wie ein junger Graf. »Ich habe es kaum abwarten können, dich endlich wiederzusehen.« Er zog ihr den Stuhl vor. »Komm, nimm doch bitte neben mir Platz.«

Ihm gegenüber am anderen Tischende nahm Jack Platz. Auch die restlichen Gäste setzten sich jetzt laut schwatzend zu ihnen.

»Du bist schon hier, Will?«, wunderte sich Kate. »Ich dachte, du wärst mit uns zusammen in einer der Kutschen hier heraufgekommen?«

»Nein«, murmelte er. Verhalten sah er zu Jack, der mit seinem silbernen Messer sachte an sein Glas geschlagen hatten, um eine Rede zu halten. »Ich war Jack hier gestern schon bei den Vorbereitungen behilflich.«

Jetzt sahen sie gespannt zu ihrem Gastgeber.

»Ich möchte euch nicht langweilen«, feixte er, nahm seinen kristallenen Sektkelch in die Hand, prostete ihnen damit zu und meinte: »Auf ein tolles Wiedersehen und viel Spaß. Lasst es euch schmecken und fühlt euch wie zu Hause. Um euer Gepäck braucht ihr euch keine Gedanken zu machen, das wurde bereits auf eure Zimmer gebracht, die ihr nach dem Essen von Paul gezeigt bekommt.«

Er deutete mit seiner freien Hand auf den Butler, der neben ihm stand, dann erhob er erneut sein Glas, blickte in die Runde und trank von seinem Sekt.

Seine Gäste erhoben ebenfalls ihre Gläser.

»Auf dich Jack«, rief Bowen.

Er zwinkerte Kate, die ihm gegenübersaß, schalkhaft zu. Gemeinsam tranken sie nun auf ihr Beisammensein.

Die Dienerschaft begann jetzt, ihnen das Essen zu servieren. Kate sah sich um.

Neben Jack saß zur Rechten ein großer braun gebrannter Mann mit hellbraunen Haaren. Es war Dave. Kate musste sofort an seine O-Beine denken, die ihr auf den Malediven aufgefallen waren. Dave war ein ausgezeichneter Leistungsschwimmer. Auf der linken Seite von Jack blieb ein Stuhl frei, gleich daneben saß Jon, der, wie Jack beim Special Air Services arbeitete, jedoch in der Nähe der Malediven stationiert war. Gleich neben Jon saß Hurley, sein Sohn mit seiner Verlobten Sharon. Zwischen Kate und Sharon hatte Granny Platz genommen. Die ältere Frau mit ihrem langen grauhaarigen Zopf hatte feuerrote Wangen und unterhielt sich angeregt mit ihren Tischnachbarn gegenüber. Dort saß die kleine Japanerin mit dem Namen Mo und ihr Freund Rooie, der diese strohblonden verwuschelten Haare hatte. Auch Allen und Despina saßen auf dieser Tischseite und unterhielten sich ohne Pause mit Hurley über ihre beiden Kinder.

Erst als sie anfingen zu essen, wurde es ruhiger.

»Der Platz neben dir ist eingedeckt«, erkannte Bowen, wobei er auf den Teller seitlich von Jack deutete. »Wer fehlt denn noch? Ich dachte, dass wir vollzählig wären?«

»Hier sollte eigentlich meine Mutter sitzen. Ihr gehört dieses Anwesen.« Jack schnitt sich noch ein Stück von seinem Truthahn ab, blickte zu seinen Freunden auf, die ihn erwartungsvoll ansahen und fügte hinzu: »Sie ist leicht verärgert, weil sie ihren Schlüssel zu diesem Castle nicht finden kann und kommt einfach nicht zur Ruhe.«

»Aber deswegen hätte sie doch trotzdem herkommen können«, sagte Mo. »Du hättest ihr doch sicher die Tür aufgemacht?«

Jack lachte laut.

»Natürlich. Aber meine lobenswerte Mutter möchte in Colton, dort hat sie noch einen Wohnsitz, lieber alles noch einmal absuchen. Sie ist sehr gewissenhaft. Außerdem kränkt es sie, wenn sie nicht mehr weiß, wo sie etwas hingelegt hat. Solltet ihr also unerwartet, hier irgendwo einen Schlüssel finden, dann sagt mir bitte Bescheid.«

Nach dem Hauptgang wurde die Nachspeise serviert, wobei es dazwischen noch einen Digestif in Form eines Drambuie gab.

»Seht doch!«, sagte Despina plötzlich. Sie deutete zum Fenster. »Es hat angefangen zu schneien.«

»Dann kann es ja nur traumhaft werden«, freute sich Kate. »Zur Adventszeit in einem rustikalen Castle, das übrigens sehr stimmungsvoll weihnachtlich geschmückt ist und dazu noch eine weiße Schneelandschaft, … was will man mehr?«

»Das stimmt«, bestätigte sie Bowen, der nun noch einmal sein Glas erhob. »Auf ein fröhliches Treffen, das wir so schnell nicht vergessen werden!«

»Dass wir nicht vergessen werden«, wiederholten seine Freunde geräuschvoll.

Nachdem sie auch ihre Nachspeise gegessen hatten, sollte der Butler sie zu ihren Zimmern führen.

»Wir treffen uns später im Rittersaal«, sagte Jack, der damit die Runde aufhob.

»Und wo befindet sich dieser Saal?«, wollte Mo wissen. »Doch hoffentlich nicht im Keller?«

»Nein«, antwortete ihr Jack. »Aber ihr solltet ihn selbst finden, damit ihr das Gebäude etwas besser kennenlernt.«

»Gut«, sagte Mo mit hochgezogenen Augenbrauen, »denn in den Keller gehe ich nicht.«

»Wieso?«, fragte Granny neugierig. »Was ist denn da unten?«

»Nichts«, mischte sich Roooie ein. »Mo hat einfach nur Angst vor Gespenstern und denkt, sie würden unten im Gewölbe herumspuken.«

Lauthals fingen die Freunde an zu lachen, nur Kate machte ein bekümmertes Gesicht. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, dass Mo tatsächlich Angst vor Geistern hatte und fest an Spukgestalten glaubte.

»Wenn Sie mir nun bitte folgen würden?«, sagte Paul.

Er hielt ihnen die Tür auf, durch die er sie auf den Korridor bat. Kate lief mit Bowen hinter den anderen her.

Sie mussten jetzt eine breite Steintreppe hinaufsteigen, die spiralförmig nach oben führte. An den Wänden hing, dem Anschein nach, die ganze Ahnengalerie von Jack.

»Nette Bilder«, sagte Bowen, der, wie seine Freunde, fasziniert die Personen auf den Gemälden betrachtete. »Und sehr freundlich, uns in solch ein Domizil einzuladen. Ich hoffe nur, dass Jack keine Gegenleistung von uns erwartet.«

»Unmöglich«, murmelte Kate, als sie die letzten Stufen hinaufgestiegen waren. »Wo sollte ich schon so viele Personen bei mir unterbringen? Ich habe doch nur eine Zweizimmerwohnung.«

Sie standen jetzt in einem langen düsteren Flur.

Hier hingen keine Kronleuchter an der Decke, nur spärlich beleuchteten Wandlampen den Gang.

»Von hieraus gelangen Sie zu Ihren Zimmern«, sagte der Butler höflich. Er hielt Kate eine Zimmertür auf. »Ihr Gepäck wurde bereits heraufgebracht. Um neun Uhr erwartet Sie Mister McGallon im Rittersaal.«

Kate sah ihn sprachlos an, ging in die Stube hinein und hörte hinter sich kurz darauf die Tür zufallen.

Der Raum, in dem sie stand, war nicht sehr groß, dafür aber hell und freundlich eingerichtet.

Auf der rechten Seite befand sich eine große Spiegelfront, hinter der sich ein geräumiger Wandschrank verbarg. Vor ihr stand ein modernes Polsterbett, auf dem eine cremefarbene Tagesdecke lag und an der Wand, über dem Bett hing ein großes, antikes Bild mit einer Winterlandschaft darauf. Kate wandte sich dem Fenster zu, vor dem ein kleiner Schminktisch mit einem runden Schemel stand.

Hübsch dachte sich Kate, schob die Spiegeltür des Schranks auf und packte gemächlich ihr Gepäck aus.

Nachdem sie ihre Kleider sorgfältig aufgehängt hatte und sich in einem kleinen Bad, das zu ihrem Zimmer gehörte, frisch gemacht hatte, klopfte es an ihrer Tür.

Sofort fiel ihr Blick auf ihre Armbanduhr. Sie dachte, dass sie sich verspätet hätte, doch stellte sie erleichtert fest, dass es erst halb neun war.

Ihre Abendgarderobe hatte sie glücklicherweise schon an, nur ihre Haare hatte sie noch nicht fertig. Sie wickelte sich rasch ein Handtuch um die nassen Haare und öffnete die Tür.

»Will?«, japste sie. »Komm rein. Ich bin aber noch nicht ganz fertig, du-«

Will nahm sie sofort in seine Arme, zog ihr das Handtuch vom Kopf, strich ihr die feuchten Haare aus dem Gesicht und gab ihr einen heißblütigen Kuss.

»Aber Will«, hauchte sie, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten.

»Ich habe dich vermisst«, sagte er. »Wenn du möchtest, begleite ich dich nach unten in den Rittersaal, sowie du fertig bist?«

»Ach?«, machte sie neckisch, nahm sich ihren Föhn und ging auf den Schminktisch zu. »Ich dachte, wir sollten diesen Saal alleine finden?«

Will machte es sich auf ihrem Bettrand gemütlich.

»Das kannst du natürlich«, sagte er schulterzuckend. »Allerdings wären wir schneller dort, wenn ich dich hinführen würde.«

»In Ordnung, aber ich brauche noch fünf Minuten.«

Nach zehn Minuten war Kate fertig.

»Jack erwartet uns schon«, sagte Will, wobei er ihr die Tür aufhielt.

»Lass mich raten«, sagte Kate, wobei sie gemeinsam den langen Gang entlangliefen. »Der Rittersaal liegt sicher in der Nähe des Eingangs?«

»Äußerst scharfsinnig«, meinte Will.

Sie gingen jetzt die Stufen hinunter.

» Ich könnte mir vorstellen«, überlegte sich Kate, »dass Ritter mit ihren Rüstungen nicht unbedingt Stufen hinauf oder hinunterlaufen konnten, daher gehe ich davon aus, dass sich dieser Raum irgendwo im Erdgeschoss befindet.«

Unten angekommen sah Kate rechts und links den Flur entlang.

»Aber nichtsdestotrotz hast du keine Ahnung, hinter welcher Tür sich der Saal befindet«, sagte Will.

Sie standen unter einem großen Kronleuchter, an dem ein Mistelzweig hing. Will sah hinauf, zog Kate sanft zu sich und gab ihr erneut einen leidenschaftlichen Kuss.

»Du siehst umwerfend aus«, murmelte er.

Grinsend wandte sich Kate von ihm ab und sah sich auf dem Korridor um.

Gleich rechts neben ihr, führte ein runder Durchgang in den felsigen Gewölbekeller.

Ein lang gezogener Schatten huschte dort unten vorbei.

Sicher einer der Dienstboten, der seiner Arbeit nachgeht, dachte sich Kate, dann sah sie vor sich, den Gang entlang bis zum Hauptportal.

Langsam wanderte ihr Blick wieder zurück.

»Es ist bestimmt diese Tür hier«, sagte sie, wobei sie auf eine Holztür mit Eisenbeschlägen deutete. »Die sieht ganz so aus, als würden hier Ritter ein und ausgehen.«

Will lachte.

»Nicht übel, Kate. Komm, wir sollten Jack nicht länger warten lassen.«

Er öffnete ihr die Tür.

Gespannt, wie es dort drinnen aussehen würde, ging Kate hinein. Es war ein länglicher Saal, der ebenfalls weihnachtlich geschmückt war. Auf der gegenüberliegenden Seite standen mehrere glänzende Ritterrüstungen. Ganz hinten befanden sich zwei Fenster, vor denen Tische standen, auf denen diverse Getränke angeboten wurden. Unter anderem gab es heiße Glühweine, Punsche sowie weitere leckere nach Zimt, Orange und Nelke duftende Köstlichkeiten, die Kate nicht alle kannte. Zusammen mit einem Dienstboten stand Jack lachend vor einer Feuerzangenbowle.

»Hallo Kate«, sagte er, als er sie bemerkt hatte. »Schön, dass ihr da seid. Was möchtest du trinken?«

Kate sah sich die unterschiedlichen Getränke an.

»Oh Jack, das ist so viel, was du hier auftischst. Ich kann mich gar nicht entscheiden. Biete mir doch einfach etwas Leckeres an.«

»Dann empfehle ich dir am besten das Lieblingsgetränk von Will«, sagte er, nahm ein bauchiges großes Glas, in das er mit einer Kelle eine bräunliche dampfende Flüssigkeit füllte. »Hot buttered Rum.«

Kate nahm es entgegen und schnupperte daran.

»Das schmeckt prima«, versicherte ihr Will augenzwinkernd. Er nahm sich ebenfalls ein Glas und schenkte sich auch etwas davon ein.

»Hm«, machte Kate, nachdem sie davon gekostet hatte. »Schmeckt nach Zimt und Nelken.«

In diesem Moment öffnete sich die Tür und Granny kam gefolgt von Allen und Despina herein.

»Gefunden«, trällerte sie. »Allen wollte doch tatsächlich runter in den Keller gehen, aber ich habe ihn daran erinnert, was du Mo gesagt hast, Jack.«

»Ihr hättet euch dort unten auch gerne umsehen können«, antwortete er ihr. »Kommt zu uns. Was möchtet ihr trinken?« Kate sah sich indes noch einmal in dem Saal um.

Erst jetzt bemerkte sie eine kleine Tanzfläche, die hinter dem Eingang platziert war. Mittig der Tanzfläche hing an der Decke ein großer Mistelzweig und aus den Lautsprechern, die an den Wänden hingen, klang leise Weihnachtsmusik hervor. Auch hingen dort Girlanden aus Stechpalmen und Tannenzweigen. Nun öffnete sich erneut die Tür.

Mo, Rooie, Hurley und Sharon kamen herein.

Mo sah etwas blass aus.

Jack gab einem Bediensteten ein Handzeichen, woraufhin er die Musik etwas lauter stellte.

»Rooie«, rief Jack und winkte ihn herbei. »Du siehst mir ganz danach aus, als würdest du von der guten alten Feuerzangenbowle etwas haben wollen?«

Rooie kam kräftig nickend auf ihn zu.

»Das Gleiche würde ich auch gerne mal probieren«, sagte Sharon. »Ich habe das ehrlich gesagt noch nie probiert.«

Lustig schwatzend standen sie beisammen, bis auch Jon, Bowen und Dave bei ihnen im Rittersaal ankamen.

»Gibt’s hier auch eine Folterkammer?«, fragte Jon neugierig, wobei er von Jack einen Holunderglühwein gereicht bekam.

»Ja«, antwortete er ihm. »Aber da gibt es nichts, was einen interessieren könnte. Mutter hat die alten Folterutensilien quasi verschenkt.«

»Oh nein«, warf Mo ein.

Sie wurde noch ein wenig blasser.

»Aber, was hast du denn, mein liebes Kind?«, wunderte sich Granny.

In diesem schummrigen Licht der Wandbeleuchtung kam es Kate so vor, als würden Mos Augen feucht glänzen.

»Die werden alle böse, sowie sie wach werden«, keuchte Mo. »Was?«, fragte Granny. »Wer?«

»Die Seelen, die geschundenen Wesen, denen man solche Qualen auferlegt hat-«

»Mo!«, herrschte Rooie sie an. Er sah reihum zu seinen Freunden. »Mo hat oben aus dem Fenster gesehen. Es war sicher die Anstrengung der langen Fahrt hierher und-«

»Ich weiß was ich gesehen habe, Rooie«, fauchte sie ihn an. »Ich war nicht übermüdet oder was du dir sonst einreden möchtest!«

»Aber um Himmelswillen«, sagte Jack. Er gab Dave seinen Sandorngrog, den er zuvor in ein Tulpenförmiges Glas gefüllt hatte, und wandte sich Mo zu. »Was hast du denn gesehen, dass es dich dermaßen erschreckt haben könnte?«

»Sie meint-«, fing Rooie an, doch Mo unterbrach ihn.

»Zwei Männer!«

»Sicher Dienstboten«, entgegnete ihr Granny schmunzelnd.

Mo schüttelte den Kopf.

»Die beiden standen unten vor dem Eingang.« Sie schnippte mit den Fingern. »Dann waren sie plötzlich weg!«

»Ach herrje«, entfuhr es Hurley grinsend, doch machte er sofort wieder ein ernstes Gesicht, als er Mos Blick bemerkte.

»Die beiden standen vor dem Eingang und eine Sekunde später waren sie weg«, wiederholte sie aufgeregt. »Es waren Geister!«

»Ach was«, gluckste Granny. »Sicher hast du nicht richtig hingesehen. Es gibt keiner Geister, Mo.«

»Na dann unterhalte dich mal mit Bowen und Hurley«, sagte Sharon mit einem spöttelnden Augenspiel zu Kate. »Stimmt doch, oder? Die haben uns schon auf der Kutschfahrt hierher so einiges erzählt.«

»Ach lass doch«, murmelte Kate verlegen.

Sie wollte nicht, dass Mo noch mehr Angst bekam.

Sharon fand es hingegen belustigend.

»Erzähl uns doch noch einmal die Geschichte mit dem Kind und dem Friedhof«, bat sie ihren Verlobten.

»Es ging dabei um Beerdigungen«, korrigierte sie Hurley.

»Ach«, machte Jack. »Ihr redet von diesem merkwürdigen Mädchen, das in der All Saint’s Church mehrfach beobachtet wurde?«

»Jetzt fang du nicht auch noch davon an«, murrte Kate.

Sie sah zu Mo, die mit erschrockener Miene dem Gespräch folgte.

»Oh das geht unendlich so weiter«, sagte Bowen. Er nippte an seinem Glas und meinte: »Diese Geschichten könnten von den kopflosen Geistern fortgesetzt werden, von herumgeisternden Kindern, von grauen Damen, die plötzlich in Treppenhäusern erscheinen und von Kampfgeräuschen, die der Sage nach unvermittelt in der Church Street zu hören sind.«

»Sag ich doch«, zischte Mo, wobei sie Granny herausfordernd ansah. »Geister!«

Kate konnte diesem albernen Gespräch nicht länger zuhören. Sie ging hinüber zum Fenster und sah hinaus.

Es war eine rabenschwarze Nacht. Tief unten im Tal konnte sie durch die vielen kleinen Lichter, die Ortschaft York liegen sehen. Der Anblick wirkte beruhigend. Die Einwohner der Stadt wussten sicher nichts, von diesen gruseligen Geschichten, die sie sich hier erzählten.

»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Will. Er stand hinter ihr und sah auch auf die Stadt hinab. »Ein atemberaubender Ausblick.«

»Ja. Schade nur, dass es diese gruseligen Hirngespinste gibt.« Jetzt wurde die Stimme von Mo lauter.

Kate wandte sich zu ihr um.

Mit erhobenem Zeigefinger stand sie drohend vor Granny, die sie belustigt ansah.

»Sie wachen auf«, rief sie. »Nachts wirst du sie hören können, wenn sie klagen und jammern wegen der Schmerzen, die man ihnen zugefügt hat.« Sie sah zu Jack. »In den Tiefen der Schlösser und Burgen, …, in den Folterkammern werden ihre Schreie immer wieder an den Wänden widerhallen!«

Hurley schüttelte ungläubig den Kopf und zog Sharon mit sich auf die Tanzfläche, auf der sie, ausgelassen anfingen zu tanzen.

»Mo glaubt wirklich an Geister«, murmelte Kate. »Ich hoffe nur, dass es ihr hier auch ein wenig Spaß macht. So, wie sie im Moment aussieht, kann ich das kaum glauben.«

»Du machst dir viel zu viele Gedanken«, meinte Will. »Sieh sie dir doch alle an. Sie haben Spaß und ich glaube, Mo gefällt es, im Mittelpunkt der Unterhaltung zu stehen.«

Der Salon

Der Abend verging durch die vielen Geschichten, die man sich zu erzählen hatte recht schnell. Um Mitternacht jedoch bekam Mo noch einmal eine Heidenangst, weil sie dachte, die Geister würden jetzt erwachen.

»Woher meint ihr denn sonst, kommt der Spruch, dass um Mitternacht-«

»Mo!«, unterbrach Granny sie unwirsch. »Das war ja jetzt wirklich lustig, aber irgendwann reicht es auch mal mit deinen Gespenstern.«

»Ich kenne keine Sprüche für Mitternacht«, sagte Bowen mit hochgezogener Augenbraue. »Von was sprichst du denn?«

Mo sah überheblich von Granny zu Bowen, der sie interessiert ansah.

»Wenn die Turmuhr zwölfe schlägt«, sagte sie hochnäsig, »ist es meistens schon zu spät. Die Geisterstund hat angefangen.« Nun hauchte sie leise, so, dass die anderen um sie herum ihre Ohren spitzen mussten. »Jetzt beginnt das große Bangen!«

Mit geweiteten Augen sah sie reihum zu ihren lauschenden Freunden.

Weil sie alle Mos Geschichten lauschten, nutzte Hurley den Moment und sprach Will an.

»Könnte ich mich mal kurz mit dir unterhalten?«, fragte er. »Klar«, antwortete ihm Will, worauf Kate sich verdünnisieren wollte, doch Hurley hielt sie zurück.

»Du kannst ruhig bleiben. Ich möchte nur nicht, dass Sharon etwas davon mitbekommt.«

Gemeinsam stellten sie sich ein klein wenig abseits, in die Nähe der Ritterrüstungen.

»Um was geht es denn?«, wollte Will wissen.

»Du weißt doch, dass ich als Bodyguard arbeite?« Will nickte. Hurley sah sich nach seiner Verlobten um, die weiterhin bei Mo in der Nähe stand und ihren Geistergeschichten lauschte. »Mit mir und Sharon ist es schon was Ernstes, wisst ihr?«

»Das ist doch klasse«, freute sich Will für ihn.

»Ja schon, aber wir planen auch eine eigene kleine Familie, …, ähm und daher, … «

»Wo ist das Problem, Hurley?«

»Als Bodyguard lebt man nun mal gefährlicher und ich dachte, also, …, hm.«

»Raus damit!«, brummte Will.

»Na ja, du arbeitest doch bei Jack. Ich dachte, vielleicht, wenn dort, bei der SAS, durch Zufall noch eine Stelle frei wäre und-«

»Toll«, freute sich Will, wobei er Hurley sachte auf die Schulter schlug. »Ich werde ihn gleich Morgen darauf ansprechen oder wenn du möchtest heute noch?«

»Du findest das gut?«, murmelte Hurley verlegen.

»Klar, wir brauchen immer geeignete Leute. Ich könnte dir fast versichern, dass sich da was machen lässt. Immerhin wissen wir ja, dass man sich auf dich verlassen kann. Und dann hast du noch deine Kampfsportausbildung, soweit ich mich erinnern kann?«

»Ja. Vater wollte eigentlich nie, dass ich mich damit selbstständig mache.«

»Aber der arbeitet doch auch beim Special Air Services«, fiel Kate ein. »Wieso hast du ihn nicht einfach gefragt?«

»Er ist im Pazifik stationiert und außerdem hat Jack doch wesentlich mehr Einfluss, als er. Daher dachte ich, ich frage ihn einfach mal, aber da du hier bist, Will, wollte ich erst mal von dir hören, ob es-«

»Sich lohnt?«, beendete Will den Satz, wobei er mit seinem Daumen über seinen Zeigefinger strich. »Finanziell?«

»Ja, wie ich euch schon gesagt habe, wollen wir Kinder haben und das kostet eben.«

»Da brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Jack sorgt eigens dafür, dass man einen besonderen Auftrag bekommt, sollte man mal größere Ausgaben haben. Das wird dann extra honoriert. Aber eins solltest du vorab kennen, wenn du es nicht schon von deinem Vater gehört hast?«, sagte Will breit grinsend. Hurley sah in fragend an.

»Wer wagt, gewinnt!«, sagte Will. »Das ist das Motto unserer Spezialeinheit.«

Daraufhin ließ er Hurley mit Kate stehen und lief schnurstracks zu Jack hinüber, der gerade dabei war, Mo zu beruhigen.

»Warum soll Sharon davon denn nichts mitbekommen?«, fragte Kate. »Das ist doch was wirklich Gutes, was du vorhast.«

»Ich weiß nicht, ob sie das genauso sieht. Immerhin, die SAS lebt auch ziemlich gefährlich. Denk doch nur an die verschiedenen Einsätze, zu denen die Männer gerufen werden.« »Und was ist es dann, dass du dorthin wechseln willst?«

»Das Geld ist schon wichtig, Kate. Aber sollte mir was passieren, wäre meine Familie wesentlich besser abgesichert. Dann wären Sharon und unsere Kinder-«, er brach mitten im Satz ab, als er Jack mit Will auf sich zukommen sah. »Oh je«, murmelte er verlegen.

Will nickte Kate unmerklich zu, als er mit Jack bei ihnen ankam. Er nahm sie an seine Hand und führte sie zur Tanzfläche.

Sie tanzten ausgelassen, tranken von den köstlichen Getränken, die ihnen von Jack angeboten wurden und unterhielten sich bis in die frühen Morgenstunden.

Kate hatte gar nicht mitbekommen, dass Despina mit ihrem Mann schon auf ihr Zimmer gegangen war. Nun wollte sich auch Granny verabschieden.

»Es ist gleich halb vier«, sagte sie. »Jack hat für Morgen doch sicher einiges geplant und wir sollten ausgeschlafen sein.«

»Natürlich habe ich mir ein Programm ausgedacht«, betätigte er sie. »Aber wir machen ein verspätetes Frühstück, so gegen elf Uhr, wenn es euch recht ist?«

Doch weil auch die anderen für den kommenden Tag fit sein wollten, löste sich die Party jetzt langsam auf.

»Danke, dass du mich begleitest, Will«, sagte Kate. Sie verließ jetzt auch mit ihm den Rittersaal. »Nach den gruseligen Geschichten von Mo möchte ich nicht unbedingt alleine hier herumstromern.«

»Glaubst du etwa an solche Märchen?«

»Natürlich nicht. Aber das Gebäude wirkt schon ein wenig-«, sie hielt inne. Aus dem Gewölbekeller konnte sie ein klapperndes Geräusch hören. »Was war das?«, hauchte sie.

»Was?«, fragte Will.

»Da unten ist jemand«, murmelte sie. »Ich habe deutlich gehört, dass da jemand gelaufen ist.«

»Machst du jetzt weiter?«, fragte Bowen, der auch die Party verlassen hatte und hinter ihr die Treppe hinauf wollte. »Pass nur auf, dass Mo dich nicht hört. Sie wird hier auch gleich auftauchen.«

Weil Kate sich nicht lächerlich machen wollte, beließ sie es dabei und machte sich mit Will auf den Weg nach oben.

Er begleitete sie noch bis zu ihrer Tür.

»Gute Nacht«, murmelte Kate. Sie blickte an Will vorbei, zu ihren Freunden, die ebenfalls ihre Zimmer in dieser Etage aufsuchten. Verlegen sah sie ihn an.

»Schlaf gut«, sagte er, dann blickte er verstohlen über seine Schulter und bemerkte, dass sich Bowen, vor seiner Zimmertür noch leise mit Dave unterhielt. »Wir sehen uns beim Frühstück«, murmelte Will, gab Kate einen kurzen Kuss auf die Wange und machte sich dann auf den Weg zu seinem Zimmer.

Bevor Kate ins Bett ging, warf sie noch einen Blick aus dem Fenster.

Die Nacht war windig und kalt. Sterne waren keine zu sehen, dafür fielen dicke Schneeflocken von dem pechschwarzen Himmel herab. Schnell wandte sie sich von diesem eisigen Anblick ab.

Sie ging auf ihr Bett zu, zog sich ihre Kleider aus, kuschelte sich unter die warme Decke, unter der sie kurz darauf einschlief.

Es war bereits zehn Uhr, als Kate sich schlaftrunken aus dem mollig warmen Bett kämpfte, sich ihren champagnerfarbenen Morgenmantel überstreifte und zum Fenster hinüberging.

Draußen hatte es aufgehört zu schneien.

Kate konnte von hieraus nicht über die Stadt York hinwegsehen, sondern sah auf das Eingangsportal und den geschotterten Weg hinab.

Ihre Augen suchten die Pferdekutschen oder wenigstens die Stallungen, in denen die Tiere untergebracht waren, doch da war nichts. Nur vereinzelt standen ein paar kahle Bäume herum, auf denen nicht einmal der Schnee liegen geblieben war. Trostlos wirkte das Bild. Dann konnte sie zwei Männer sehen, die sich flüsternd unterhielten. Der eine wisperte dem anderen hinter vorgehaltener Hand etwas ins Ohr.

Kurz darauf hörte sie einen dumpfen Schlag vor ihrer Tür.

Sie wandte sich rasch um.

Jetzt war wieder alles still.

Neugierig blickte sie wieder zum Fenster hinaus. Die Männer waren weg. Sogleich fiel ihr die Geschichte ein, die Mo ihnen gestern erzählt hatte.

Kate musste grinsen, denn sicher war es bei ihrer Freundin nichts anderes gewesen. Diese Kerle waren in der kurzen Zwischenzeit nur irgendwohin gelaufen. Sie sah sich noch einmal auf dem Hof um, bemerkte nun jedoch, dass es hier nichts gab, wohin die Männer hätten gehen können, außer vielleicht zum Haupteingang hinein.

Ich habe doch nur einen ganz kurzen Moment zur Tür gesehen, überlegte sich Kate. So schnell hätten sie doch niemals diese Steintreppe hoch rennen können?

Gedankenverloren ging sie in das kleine Bad, um sich frisch zu machen. Sie hatte nicht mehr viel Zeit und wollte nicht zu spät zum Frühstück kommen.

Kurz vor elf betrat sie den Salon.

Im Kamin knisterte bereits ein Feuer, sodass es hier behaglich warm war.

Ihre Freunde saßen schon alle an dem massiven Esstisch, der sich auf der kleinen Empore befand.

»Guten Morgen«, wurde Kate von Jack begrüßt, als sie am Weihnachtsbaum vorbei, die Stufen zu ihm hinaufkam. Auch die anderen wünschten ihr einen guten Morgen. Sie hatten sich schon von dem reichhaltigen Frühstück genommen, das auf dem Tisch angeboten wurde.

»Guten Morgen«, erwiderte ihnen Kate.

Sie sahen alle fröhlich und ausgeschlafen aus, nur Mo und Rooie sahen aus, als hätten sie sich gestritten.

Kate nahm auf dem gleichen Stuhl Platz, auf dem sie gestern gesessen hatte; neben Will und gegenüber von Bowen.

Granny zu ihrer Rechten butterte sich gerade ein Croissant.

»Habe ich schon was verpasst?«, fragte Kate.

»Kann nicht sein«, antwortete ihr Allen. »Ich bin ja auch eben erst mit Despina hier hergekommen.«

Schmunzelnd biss er in sein Brötchen.

»Lass es sein«, fauchte Rooie mit geröteten Wangen.

»Was hast du denn, Mo?«, erkundigte sich Jack. »Ich hoffe, du hast gut geschlafen oder war die Matratze zu hart?«

»Habt ihr denn heute Nacht Überhaupt nichts gehört?«, fragte Mo.

»Was soll denn gewesen sein?«, wollte Jack wissen.

Rooie verdrehte seine Augen, was Mo jedoch nicht mitbekam. Sie widmete sich lieber ihren interessierten Zuhörern.

»Ständig war was anderes«, brummte sie. »Zuerst konnte ich jemanden auf dem Gang herumschleichen hören.« Mit großen Augen sah sie über den Tisch hinweg zu Sharon. »Hier laufen fremde Leute durch das Castle und dann habe ich draußen auch noch ein Motorgeräusch gehört-«

»Dann waren das schon mal keine Geister«, unterbrach sie Granny schmunzelnd. »Die fahren keine Autos.«

»Hier war ein Fahrzeug?«, vergewisserte sich Jack.

»Das war sicher heute in aller Herrgottsfrühe«, murmelte Rooie verlegen. »Als Paul oder einer der anderen Dienstboten hierherkam.«

»Es war noch dunkel«, beharrte Mo eisern.

»Natürlich«, fauchte Rooie zurück. »Die fangen ihren Dienst ja nicht erst um neun Uhr an!«

»Ach da fällt mir ein«, murmelte Despina. »Ich habe auch was gehört, aber Allen meinte, es wäre das Dienstpersonal gewesen, das im Rittersaal aufgeräumt hat?«

»Könnte durchaus sein«, antwortete ihr Jack. »Paul ist sehr gewissenhaft, was die Sauberkeit angeht. Doch wundert es mich, weil er das eigentlich immer ziemlich leise macht.«

»Wie viele Bedienstete habt ihr hier eigentlich?«, wollte Bowen wissen.

Er sah interessiert zu Jack und biss in sein Erdbeermarmeladenbrötchen.

»Eigentlich nur Paul.«

»Was?«, kam es sofort von Granny. »Aber da waren doch noch mehr?«

»Die sind nur auf Abruf hier«, erklärte ihnen Jack. »Mutter kennt eine Firma, die solche Dienstboten vermittelt, sowie man sie braucht. Wenn wir nicht hier sind, kümmert sich Paul um das Anwesen. Dafür reicht eine Person völlig aus. Die anderen Dienstboten hat Mutter angefordert, nachdem ich ihr erzählt habe, dass wir uns hier treffen.«

»Das hört sich überaus sinnvoll an«, meinte Bowen.

Jack wandte sich wieder Mo zu.

»Willst du uns nicht verraten, was dich bedrückt?«

»Da war jemand, der herumgeschlichen ist«, murmelte sie. »Ich bin sogar aufgestanden und habe die Tür einen Spaltbreit aufgemacht. In der Nähe der Treppe war ein glatzköpfiger Mann. Ich habe ihn nur kurz gesehen. Er muss dann gleich die Treppe hinauf oder hinuntergegangen sein.«

»Das hast du sicher nur geträumt«, meinte Granny. »So viel Angst, wie du vor Gespenstern hast, …, jetzt haben wir schon einen kahlen Geist.« Sie schüttelte grinsend ihren Kopf. »Du hättest doch niemals selbst die Tür geöffnet. Stattdessen hättest du Rooie vorgeschickt.«

Zeitgleich hörten sie ein merkwürdig klingendes Geräusch.

Jack stand auf. Vielsagend sah er von Will zu Jon, dann stieg er die wenigen Stufen der Empore hinunter und zog sein Handy aus der Innentasche seines Jacketts.

Kate fiel auf, dass Will plötzlich ziemlich steif wirkte.

»Was ist los?«, fragte sie.

Will hatte Jack keine Sekunde aus den Augen gelassen.

»Dieser Klingelton«, murmelte er. »Daran erkennt Jack sofort, dass die SAS anruft. Es muss was Wichtiges sein, sonst würden sie ihn nicht in seiner Freizeit anrufen.«

Kate musste sich auf ihrem Stuhl umdrehen, damit sie Jack sehen konnte. Er stand auf der gegenüberliegenden Seite des Raums, vor einer holzvertäfelten Wand und wirkte ziemlich angespannt. Es dauerte nicht lange, bis Jack sein Handy wieder einsteckte, dann zog er an einem roten Band, das gleich neben der Tür hing und kam wieder zu ihnen herauf.

»Und?«, fragte Jon. »Was ist los?«

»Es gibt schlechte Neuigkeiten«, antwortete ihm Jack. Er setzte sich, nahm sich die Kaffeekanne und schenkte sich noch etwas nach. »Es gab einen Anschlag.«

»Verdammt«, brummte Dave. »Kurz vor Weihnachten, das war ja abzusehen. Bestimmt auf einem unserer Weihnachtsmärkte? War es ein Selbstmordattentäter mit einer Bombe unter seiner Jacke?«

»Wo?«, interessierte es Allen. »In London?«

Jack zog seine Augenbrauen hoch.

»Gar nicht übel, für Privatpersonen, die damit nicht andauernd konfrontiert werden. London ist richtig und Selbstmordattentäter auch. Allerdings war es keine Bombe.«

»Müssen wir los?«, wollte Jon wissen.

»Nein«, beruhigte ihn Jack.

»Aber warum haben sie dich dann überhaupt angerufen?«, wunderte sich Will.

»Weil es keinen Weihnachtsmarkt betrifft, sondern einen Flughafen und die Notaufnahme eines Krankenhauses«, erklärte ihm Jack.

Entsetzt legte Bowen den Rest seines Brötchens beiseite.

»Aber was sucht ein Selbstmordattentäter denn in einem Krankenhaus?«

»Und was macht so einer ohne eine Bombe?«, wollte Hurley wissen.

Jack nickte ihm anerkennend zu.

»Er hatte eine Spritze.« Jack blickte über den langen Tisch hinweg zu Will. »Pandemiewarnstufe fünf.«

»Scheiße«, japste Will.

Kate wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Ratlos sah sie wieder zu Jack, der sich nun mit Jon unterhielt.

»Was ist es?«, erkundigte sich Jon bei ihm.

»Sie wissen es noch nicht. Es ist nicht eindeutig ein Lassavirus, aber auch nicht das Marburgvirus.«

»Ebola?«, fragte Jon beunruhigt.

»Was?«, fiepte Mo. »Davon haben wir schon gehört, Rooie. Denk nur an diesen Film, …, der mit Dustin Ho-«

»Outbreak«, unterbrach Dave sie. »Den Film kennen wir sicher alle.« Erwartungsvoll sah er zu Jack. »Aber was hat das mit einem Selbstmordattentäter zu tun?«

Auch Bowen konnte Jacks Gespräch nicht ganz folgen.

»Richtig. So welche jagen sich doch für gewöhnlich selbst in die Luft?«

»Nun lasst Jack doch endlich mal ausreden!«, forderte sie Granny auf.

»Hm«, machte Jack. »Dieser Attentäter hat Passanten eine Spritze, mit einem bisher unbekannten Virus injiziert und soll dann selbst daran gestorben sein.«

»Ach du meine Güte«, keuchte Granny.

»Entschuldige bitte, Jack«, sagte Will. »Aber die Inkubationszeit liegt bei diesen Krankheiten doch mindestens bei zwei Tagen.«

»Ich weiß. Bei diesem Virus verhält es sich aber anders, doch bevor ich euch viel erzähle, …, es soll schon in den Nachrichten kommen«, sagte er. Suchend blickte er sich um. »Wo steckt denn überhaupt Paul? Ich habe den Kerl heute noch gar nicht gesehen.«

»Was willst du denn von ihm?«, fragte Rooie, der unbedingt mehr von diesem Vorfall erfahren wollte. »Erzähl uns doch lieber, was man dir gesagt hat, oder ist das etwa geheim?«

»Nein. Ich sagte ja, dass es schon in den Nachrichten kommt. Paul sollte uns nur den Fernseher anmachen, …, ach was soll’s.« Jack stand auf, stieg erneut die Stufen hinunter und ging auf die Wand zu, die mit hellem Eichenholz vertäfelt war. »Ich kann das auch ohne einen Butler«, sagte er.

Kate wandte sich neugierig zu ihm um.

Die Holzwand schob sich plötzlich zur Seite und offenbarte dahinter einen riesigen Flachbildfernseher.

»Wow«, machte Bowen beeindruckt.

Jack drückte auf diverse Knöpfe der Fernbedienung.

»Ich muss ihn nur hier irgendwo anschalten, …, mal sehen.« »Klasse«, rief Rooie, als kurz darauf ein Bild mit den live Nachrichten erschien.

Schnell rückten diejenigen, die mit dem Rücken zum Fernseher saßen ihre Stühle herum, damit sie alles genau mit verfolgen konnten.

»… es handelt sich demnach um eine Killermikrobe, die zurzeit in einem Labor in der Nähe von London untersucht wird«, sagte ein Nachrichtensprecher. Am unteren Rand des Bilds konnte Kate in roten Buchstaben; Terror in London lesen. »Am Flughafen Heathrow herrschte heute Morgen, um kurz nach sieben, schreckliche Panik. Mehrere wartende Passagiere wurden von einem Mann mit einer Spritze angegriffen, der kurz darauf von Sicherheitskräften in Gewahrsam genommen werden konnte. Wie uns berichtet wurde, brach bei diesem Mann, noch auf der Fahrt im Polizeiwagen eine unbekannte Krankheit aus. Die Polizisten, die bei dem Attentäter im Auto saßen, wurden auf eine Isolierstation gebracht und werden derzeit untersucht. Weitere Informationen liegen uns darüber noch nicht vor.«

»Das ist vor knapp fünf Stunden passiert«, wunderte sich Granny. »Die müssten inzwischen doch schon etwas mehr wissen?«

»Das waren sicher wieder solche radikalisierten-«

»Pst«, unterbrach Granny Dave, weil sie nichts verpassen wollte.

Ein Bild eines bekannten Krankenhauses wurde nun in den Nachrichten gezeigt.

»…, gleichzeitig befand sich ein Attentäter in der Notaufnahme im Royal London Hospital«, sagte der Nachrichtensprecher. »Auch hier wurden zahlreiche Passanten mit einer Spritze infiziert, dessen Wirkstoff noch nicht bekannt ist. Soweit es der gesundheitliche Zustand der infizierten Personen zuließ, wurden sie vorsorglich isoliert. Da es sich hierbei jedoch um eine Notaufnahme handelt, mussten wenige der Patienten, direkt in einen der Operationssäle gebracht werden. Auch hier liegen uns noch keine genauen Informationen vor. Wir werden Sie jedoch auf dem Laufenden halten.«

»Wir müssen los, Jack«, sagte Will.

Er legte seine Serviette neben seinen Teller und stand auf.

»Nein«, brummte Jack. Vielsagend sah er auf Wills leeren Stuhl. »Setz dich wieder hin! Wir haben die strikte Anweisung hierzubleiben, weil wir hier im Moment am sichersten sind.«

»Was?«, sagte Jon. »Aber, Jack! Das spielt sich doch in London ab. Wir sind in York! Wir sind hier nicht in Gefahr.«

»Was haben sie dir vorhin noch am Telefon erzählt, Jack?«, wollte Will wissen. »Du hast gesagt, dass dieser eine Attentäter den Virus in sich trug und bereits tot sei. Was weißt du noch?« Jack holte tief Luft.

»Die beiden Attentäter trugen das Virus bereits in sich, als sie die Anschläge auf Passanten in dem Flughafengebäude und in der Notaufnahme gemacht haben. Das war mit großer Sicherheit schon lange geplant. Zum einen kommt man nicht von heute auf Morgen an solch ein Virus und zum anderen, bricht so eine Krankheit, nachdem man sich damit infiziert hat, nicht kontrolliert nach zwei, drei Tagen, um genau diese Uhrzeit aus. Dieser Mann in dem Polizeiauto sollte heute erkranken, Will.«

»Was willst du damit sagen?«, fragte Bowen irritiert.

»Ich gehe davon aus, dass diese Kerle ein Virus geschaffen haben, das sich genau berechnen lässt.«

Jussuf

Durch den schrecklichen Vorfall, der sich in London ereignet hatte, zog sich das Frühstück im Salon in die Länge.

Es war bereits halb eins, als Kate verlegen meinte: »Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hat. Ich kenne diese Krankheiten gar nicht. Was genau ist denn das mit diesem Marburgvirus?«

Jack deutete auf Will.

»Ich glaube, dass kannst du uns am besten erklären.«

Will blickte in die Runde, wählte sorgsam seine Worte und fing an, sie über die Viren aufzuklären.

»Marburgfieber oder auch Marburgvirus wird, ähnlich wie das Lassavirus und das Ebolavirus über Tröpfchen- und Wundinfektion übertragen. Es kommt nach drei bis neun Tagen zum hämorrhagischen Fieber mit hohen Temperaturen und starken Blutungen. Dann kommt es schnell zu Schädigungen der inneren Organe, wie Milz, Leber und Darm.«

»So ist es«, bestätigte ihn Jack. »Die Inkubationszeit beträgt bei diesen Krankheiten zwei bis neun Tage. Es gab jedoch schon Fälle, bei denen es bis zu drei Wochen gedauert hat.«

»Inkuba was?«, fragte Mo.

»Inkubationszeit«, wiederholte Jack. »Das ist die Zeit von der Ansteckung bis zum Ausbruch einer Krankheit. Das ist genau das, was uns viele Fragen aufwirft. Diese Männer, die in der Notaufnahme und am Flughafen waren, sind beide kurz darauf erkrankt. Die Krankheit ist noch im Polizeifahrzeug auf dem Weg zur nächsten Wache ausgebrochen. Einer von ihnen ist bereits tot, das hat mir die SAS mitgeteilt. Aus diesem Grund wurden auch die Beamten sofort isoliert. Die Attentäter müssen ganz genau gewusst haben, zu welchem Zeitpunkt die Krankheit ausbricht.«

»Aber so kontrolliert?«, fragte Jon. »Das ist unmöglich, das weißt du, Jack.«

»Soll das etwa bedeuten, dass sich diese beiden Personen absichtlich damit infiziert haben?«, fragte Dave.

»Sieht ganz danach aus«, antwortete ihm Bowen. »Deshalb nennst du sie also Selbstmordattentäter?«

»Genau«, sagte Jack. »Das eigentliche Problem ist aber, dass einige Passagiere unser Land verlassen haben, die ebenfalls infiziert wurden.«

»Am Flughafen?«, fragte Will bestürzt. »Die sind einfach in ihren Flieger gestiegen, ohne sich vorher untersuchen zu lassen?«

»Manche sollen den Einstich gar nicht bemerkt haben«, erklärte ihm Jack. »Die werden sich in Kürze wundern.«

»Soll das etwa heißen«, fragte Bowen, »das dieses mutierte Virus jetzt auf der ganzen Welt verteilt sein könnte?«

»Nicht nur das«, sagte Jack mit belegter Stimme. »Keiner weiß, ob sich noch mehr Attentäter mit solchen Giftspritzen da draußen herumtreiben.«

»Sieh doch, Jack«, hauchte Despina.

Käseweiß deutete sie auf den Bildschirm.

Schnell machte Jack den Ton wieder lauter.

»… zwischenzeitlich mitteilen, dass die Polizisten, die beim Ausbruch der Krankheit mit dem Attentäter im Fahrzeug saßen, ebenfalls von dem mysteriösen Virus infiziert wurden. Wir fordern die Bevölkerung daher auf, in ihren Wohnungen zu bleiben. Aus Sicherheitsgründen wird die gesamte Bevölkerung gebeten, ihre Wohnungen nicht zu verlassen!«

Jacks Telefon klingelte erneut.

Er stieg abermals die Stufen hinunter und nahm das Gespräch entgegen.

»Ich muss nach London zurück«, murmelte Kate. »Paratti ist alleine. Meine Großmutter weiß sicher nicht, wie es jetzt weitergehen soll. Ich muss zu ihr.«

Auch Despina bettelte ihren Mann an.

»Unsere Kinder, Allen. Wir müssen unbedingt zu unseren Kindern. Jojo wird wahnsinnige Angst haben, Derek wollte heute auf eine Geburtstagsparty von einem Schulfreund gehen und meine Mutter, denk doch nur, was für eine Verantwortung sie jetzt trägt.«

Mit polternden Schritten kam Jack die Stufen wieder zu ihnen herauf.

»Wo ist verdammt noch mal Paul?«, brummte er.

Will trank noch einen Schluck Kaffee, dann stand er auf.

»Ich schaue mal nach ihm.«

»Warte ich komme mit«, sagte Allen. Verdutzt sahen die anderen zu ihm auf. »Ich muss nur mal auf die Toilette«, erklärte er ihnen.

Daraufhin verließen die beiden den Salon.

Auf dem Korridor blickte sich Allen suchend um.

»Ich war zwar gestern Abend auch kurz auf der Toilette, aber wo war die noch gleich?«, murmelte er verlegen.

»Dort vorne«, antwortete ihm Will. »Gegenüber von dem Treppenaufgang. Ich zeige es dir.« Gemeinsam gingen sie darauf zu. Als sie vor der Tür der Herrentoilette stehen blieben, meinte Will: »Ich schaue am besten erst mal in der Küche nach Paul. Er wird sicher das Mittagessen vorbereiten.«

»Mach das«, sagte Allen und öffnete die Toilettentür. »Den Weg zum Salon finde ich alleine zurück.«

Allen beeilte sich. Er wollte schnell zurück, um noch etwas mehr über diese Anschläge zu erfahren.

Als er die Toilette wieder verließ, hörte er etwas rascheln.

Er sah den Korridor entlang.

Da war nichts.

Neugierig wandte er sich der Treppe zu, die in den Keller hinunterführte.

Erneut hörte er ein Geräusch, das er nicht recht zuordnen konnte. Vorsichtig schlich er sich die Steinstufen hinab.

Ihm fiel ein, dass hier unten auch eine Folterkammer sein sollte. Im Salon würden ihn die anderen für diesen kurzen Moment ganz sicher nicht vermissen.

Als er die letzte Stufe erreicht hatte, konnte er ein lautes Knarzen hören, so, als wenn jemand eine Tür entriegelt hätte.

Hier unten war es stockdunkel.

Behutsam tastete er an der klammen Wand nach einem Lichtschalter.

»Mist«, murmelte er, weil er keinen Schalter finden konnte.

Im Gang ziemlich weit hinten schimmerte ein schwacher Lichtstrahl unter einer Tür hervor.

»Vielleicht ist Paul ja dort vorne?«, murmelte er und ging neugierig darauf zu.

Er kam an weiteren Türen und an einer Abzweigung vorbei. Verworren sah er nach rechts in den Gang hinein.

»Verdammt, wie groß ist dieser Keller denn nur?«

Er langte an die steinerne Wand.

Sie war feucht.

Ein leises Scharren ließ ihn aufschrecken.

Schnell sah er wieder zu dem Licht, das unter der Tür hervorschimmerte. Dort war alles ruhig.

Er wollte gerade weitergehen, da hörte er ein quiekendes Geräusch. Sein Blick fiel auf eine große braune Ratte, die neben seinem Fuß auf dem Kopfsteinpflaster saß.

»Nette Untermieter«, murmelte er und ging weiter.

Vor der Tür blieb er stehen und linste in den Raum hinein.

Überall standen Reagenzgläser und Utensilien herum, die Allen von Laboreinrichtungen her kannte. Ein Mann in einem weißen Kittel lief hektisch von einem Glaskolben zum Nächsten. Er hatte schulterlange graue Haare, die wild nach allen Seiten abstanden. Seine Brille drohte ihm, bei seiner flinken Bewegung, die er zwischen den einzelnen Gläschen und Flüssigkeiten machte, herunterzufallen.

»Du wirst noch abwarten müssen«, zischte der Mann kaum hörbar.

»Wir sind nicht mehr im Zeitplan!«, hörte Allen eine rauchige Stimme sagen, die ihm äußerst nahe war. Der Mann musste direkt hinter der Tür stehen. »Jussuf kommt nicht mehr.«

»Er muss kommen«, sagte der Laborant. Er nahm sich einen grünen Mundschutz, zog zwei blaue Gummihandschuhe aus einer Box, die auf einem Tisch stand und streifte sich die Handschuhe über. Danach konnte Allen sehen, wie er eine orangefarbene Flüssigkeit in einen gläsernen Zylinder füllte.

»Und wenn er Muffe bekommen hat, Sedat? Was dann?«, fragte ihn diese rauchige Stimme. »Ich habe keinen Ersatz und ich werde seine Aufgabe auf keinen Fall übernehmen! Du weißt, dass ich wichtigeres zu erledigen habe?«

»Natürlich, Tarek«, der Mann mit dem weißen Kittel wandte sich um. Er stockte unmerklich, dann fuhr er fort. »Du wirst auf keinen Fall die Rolle von Jussuf übernehmen.«

Er kam nun langsam auf Tarek zu, zog seine Brille ab und betupfte sich seine Augen mit einem weißen Tuch.

Allen bemerkte es eine Sekunde zu spät.

Der Mann ruckte mit seinem Kopf in seine Richtung. Im gleichen Atemzug wurde die Tür weit aufgerissen.

»Aber wen haben wir denn da?«, sagte Tarek.

Vor Allen stand ein großer bärtiger dunkelhäutiger Mann, dessen Körperbau einem Türsteher glich. Auch er trug einen weißen Kittel.

Erschrocken wich Allen zurück.

»Aber, aber«, flötete der Laborant. Er setzte sich seine Brille wieder auf die Nase und betrachtete ihn interessiert. »Kommen Sie doch herein. Sicher möchten Sie genauer wissen, was wir hier machen?«

Allen wusste nicht, ob er erleichtert sein sollte, dass diese Männer so freundlich waren, oder eher misstrauisch.