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Das Heft 5 der Reihe Kellion widmet sich den Erfahrungen und Erlebnissen spiritueller Frauen. Die Beiträge des Bandes beginnen bei den ältesten biblischen Zeugnissen von Frauen in der Nachfolge Jesu, gehen über die Wüstenmütter Ägyptens und die die Rezeption der biblischen Frauengestalten bei den Kirchenvätern und beleuchten die Wirkung dieser Erfahrungen spiritueller Frauen bis in die heutige Zeit. Mit Beiträgen u. a. von Gabriele Ziegler, Fidelis Ruppert, Anselm Grün, Carmen Tatschmurat, Johanna Domek und Eva M. Synek.
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Seitenzahl: 270
Veröffentlichungsjahr: 2024
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Printausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2022
ISBN 978-3-89680-750-2
E-Book-Ausgabe
© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2024
ISBN 978-3-7365-0662-6
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher
Gestaltung: Matthias E. Gahr
Covermotiv: akg-images / André Held; Relief der Thekla mit Flammen, Wasserwogen und wilden Tieren, Ägypten, 6. Jahrhundert (The Brooklyn Museum)
www.vier-tuerme-verlag.de
Kellion
Magdaolena, Thekla, Synkletika und Frauen von heute
Schriftreihe zu Leben und Erfahrung der Wüstenväter und Wüstenmütter Heft 5
Vier-Türme-Verlag
KELLION HEFT 5: DIE AUTOREN UND IHRE BEITRÄGE
Dr. Gabriele Ziegler
geboren 1958, ist Theologin/Patrologin mit dem Schwerpunkt Alte Sprachen; Psychoanalyse bei Aniela Jaffé in Zürich, orienterfahren mit dem Schwerpunkt Naher Osten; Mitglied der Bayerischen Benediktiner-Akademie.
»Dienerin Gottes zu sein, Diákonos und Apóstolos, hieß für die Frauen, unter der Führug des Evangeliums die Wege des Herrn zu gehen.«
P. Dr. Fidelis Ruppert OSB
geboren 1938, war von 1979 bis 1982 Prior, und von 1982 bis April 2006 Abt der der Benediktinerabtei Münsterschwarzach.
»Jesus hat sich von einer heidnischen Frau belehren und bekehren lassen.«
P. Dr. Anselm Grün OSB
geboren 1945, war 36 Jahre lang wirtschaftlicher Leiter (Cellerar) der Abtei Münsterschwarzach. In den 1970er-Jahren entdeckte er neu die Tragweite der Spiritualität der Wüstenmütter und Wüstenväter.
»Von Jesus können wir lernen, reife Frauen und Männer zu werden.«
P. Christoph Gerhard OSB
geboren 1964, ist Cellerar der Benediktinerabtei Münsterschwarzach und Geschäftsführer der Vier-Türme GmbH. Er entwickelte für das Benediktinische Antiphonale die digitalen Choralschriftarten, betreibt die Klostersternwarte und ist Leiter des »Energie-Projektes« der Abtei.
»Jesus spricht uns Mut zu, von uns selbst nicht klein zu glauben.«
Ellen Stüttgen
geboren 1967, ist Cellistin, Organistin und Klavierpädagogin, und auf dem kontemplativen Weg.
»In biblischen Texten sind große Taten geschildert, aber den Taten vorausgegangen sind feine Wahrnehmungen.«
Sr. Prof. Dr. Carmen Tatschmurat OSB
geboren 1950, ist promovierte Soziologin und war bis 2010 Professorin an der Katholischen Stiftungshochschule München. Sie ist Benediktinerin der Abtei Venio in München und Prag, der sie bis Ende 2020 als Äbtissin vorstand. Ihre Schwerpunkte liegen derzeit in der Seelsorge und im Schreiben.
»Es gilt, im winzigen Moment zwischen Erlebnissen und einer affektgeladenen Reaktion ›Stopp!‹ zu sagen.«
Äbtissin Franziska Lukas OSB
geboren 1954, ist seit 2007 Äbtissin der Benediktinerabtei Burg Dinklage. Seit 2014 ist sie Mitglied im Administrativrat der Internationalen Gemeinschaft der Benediktinerinnen.
»Das Miteinander von Priestern und Laien in den Gemeinden ist ja glücklicherweise an vielen Orten besser, als die großen Diskussionen vermuten lassen. Und doch sind die Grenzen, die in den gegenwärtigen Strukturen erfahrbar sind, für viele ein Schmerzpunkt.«
Sr. Johanna Domek OSB
geboren 1954, war von 1986 bis 2010 Priorin des Benediktinerinnenklosters von der Ewigen Anbetung in Köln-Raderberg. Sie ist Co-Leiterin der Jahreskurse »Benediktinisch leben« in Münsterschwarzach.
»Von dem, was du zu leben hast, muss nichts fertig werden. Vollendung ist nicht Menschenwerk. Menschenwerk ist: mittun, anfangen, das Unvollkommene im Blick auf Gott zu wagen.«
Ordensfrauen für Menschenwürde
ist eine Gruppe von zehn Ordensfrauen aus verschiedenen, überwiegend international wirkenden Gemeinschaften. Sie setzen sich für die Würde eines jeden Menschen, für Solidarität mit Geflüchteten und Reformen in der Kirche ein.
»In der Corona-Krise hatten wir keine Wahl, und genau das eröffnete echte Alternativen.«
Anja Sauerer
geboren 1973, ist Diplom-Sozialpädagogin, Systemische Beraterin, Traumapädagogin und Traumafachberaterin. Von 2005 bis 2013 war sie Erziehungsleiterin, seit 2014 ist sie Geschäftsführerin und Gesamtleiterin der Antonia-Werr-Zentrum GmbH in St. Ludwig, Kolitzheim, einer heilpädagogisch-therapeutischen Einrichtung für Mädchen und junge Frauen.
»Junge Frauen beschreiben ihre Entwicklung hin zum Selbstverstehen und die Erkenntnis, dass sie normal auf ›Unnormales‹ reagieren, auch als spirituellen Moment.«
Mag. Gertraud Schmid
geboren 1954, ist katholische Theologin und war viele Jahre Jugendleiterin, Religionslehrerin und in der Erwachsenenbildung. Sie ist Sozialberaterin mit dem Schwerpunkt Suchtarbeit und in der Begleitung von geflüchteten Menschen ehrenamtlich aktiv.
»Das Lachen der Sara am Rande der ernsten Männergespräche drückt tiefen Frieden mit den eigenen menschlichen Grenzen und Dankbarkeit aus.«
Sr. Anke Langmaack
1928–2018, wurde 1956 eine der ersten ordinierten Pastorinnen der evangelischen Kirche. 1953 war sie Mitbegründerin der evangelischen Schwesternschaft Ordo Pacis, die sie viele Jahre leitete. Die Schwestern von Ordo Pacis führen deutschlandweit verstreut ein einfaches kontemplatives Leben.
»Verringertwerden durch Gott bedeutet: Loslassen.«
Prof. Dr. Eva Maria Synek
geboren 1963, ist Theologin und Assistenzprofessorin am Institut für Rechtsphilosophie und Mitglied im interdisziplinären Forschungszentrum »Religion and Transformation in Contemporary Society« in Wien.
»Eine ›Matrologie‹ hätte die Aufgabe, die Beiträge der Väter und Mütter zur Entwicklung der frühen Christenheit gemeinsam zu würdigen.«
Mattâ al-Maskîn
1919–2006, war koptischer Mönch und geistlicher Schriftsteller. Ab 1969 Leitung, innerer und äußerer Aufbau des Klosters Abu Maqar in der Wüste Sketis in Ägypten.
HÄUFIG VERWENDETE ABKÜRZUNGEN VON LITERATURANGABEN
BKV
Bibliothek der Kirchenväter, München 1831–1938 bkv.unifr.ch
coll.
Die Collationes Patrum des Johannes Cassian werden zitiert mit Nummer und Abschnitt der Collatio aus:
Johannes Cassian, Unterredungen mit den Vätern. Collationes Patrum, Teil I: Collationes 1 bis 10, übersetzt und erläutert von Gabriele Ziegler (Quellen der Spiritualität, 5), Münsterschwarzach, 2. Aufl. 2018.
Johannes Cassian, Unterredungen mit den Vätern. Collationes Patrum, Teil II: Collationes 11 bis 17, übersetzt und erläutert von Gabriele Ziegler (Quellen der Spiritualität, 9), Münsterschwarzach 2014.
Johannes Cassian, Unterredungen mit den Vätern. Collationes Patrum, Teil III: Collationes 18 bis 24, übersetzt und erläutert von Gabriele Ziegler (Quellen der Spiritualität, 12), Münsterschwarzach 2015.
inst.
Die Instituta des Johannes Cassian werden zitiert mit Buchnummer und Abschnitt aus:
Johannes Cassian, Die Klostergründungen der Ägyptischen Väter. De Institutis Coenobiorum, übersetzt und erläutert von Gabriele Ziegler (Quellen der Spritualität, 16), in Bearbeitung [enthält inst. 1 bis 4].
Johannes Cassian, Die Heilmittel der acht Hauptlaster. De Octo Principalium Vitiorum Remediis, übersetzt und erläutert von Gabriele Ziegler (Quellen der Spritualität, 15), Münsterschwarzach 2020 [enthält inst. 5 bis 12].
Kellion
Die Bände der Reihe Kellion werden mit ihrer Bandnummer zitiert:
Gabriele Ziegler (Hrsg.), Aufbruch durch Rückbesinnung auf die Quellen (Kellion, 1), Münsterschwarzach, 2. Aufl. 2021.
Gabriele Ziegler (Hrsg.), Feuer in der Wüste (Kellion, 2), Münsterschwarzach, 2. Aufl. 2021.
Gabriele Ziegler (Hrsg.), Jesusgebet (Kellion, 3), Münsterschwarzach, 2. Aufl. 2021.
Gabriele Ziegler (Hrsg.), Tabernakulum – Innere Liturgie (Kellion, 4), Münsterschwarzach, 2. Aufl. 2021.
PG
Die Texte der Patrologia Graeca sind angegeben mit Band- und Spaltennummer nach:
Patrologiae Cursus Completus, Series Graeca, hg. von Jacques-Paul Migne, Paris 1857–1866.
PL
Die Texte der Patrologia Latina sind angegeben mit Band- und Spaltennummer nach
Patrologiae Cursus Completus, Series Latina, hg. von Jacques-Paul Migne, Paris 1855–1865.
RB
Die Texte der Benediktsregel werden zitiert mit Kapitel- und Versnummer aus:
Die Regel des heiligen Benedikt, hg. im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, Beuron, 17. Aufl. 2006.
Der Abdruck aus diesem Band erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Beuroner Kunstverlages, www.klosterkunst.de
SC
Sources Chrétiennes, Paris
Schweitzer
Die Apophthegmata Patrum werden zitiert mit Band und Seitenzahl aus:
Apophthegmata Patrum (Teil I): Das Alphabetikon, übersetzt und kommentiert von Erich Schweitzer (Weisungen der Väter, 14), Beuron 2012 [Schweitzer I].
Apophthegmata Patrum (Teil II): Die Anonyma, übersetzt und kommentiert von Erich Schweitzer (Weisungen der Väter, 15), Beuron 2011 [Schweitzer II].
Apophthegmata Patrum (Teil III): Aus frühen Sammlungen, übersetzt und kommentiert von Erich Schweitzer (Weisungen der Väter, 16), Beuron 2013 [Schweitzer III].
Der Abdruck aus diesen Bänden erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Beuroner Kunstverlages, www.klosterkunst.de
Unterredungen
Die als Unterredungen zitierten Stellen entstammen
den unter der Abkürzung coll. angegebenen Bänden.
DAS ÄLTESTE BIBLISCHE ZEUGNIS VON FRAUEN IN DER NACHFOLGE JESU
Gabriele Ziegler
Markus verdeutlicht an den Frauen, was Jüngersein bedeutet: trotz des Versagens aller Jünger gerufen zu sein, die Auferstehung des Herrn zu bezeugen.
Wir können unser Thema nicht anders beginnen als auf den ältesten Evangelientext von der Nachfolge der Frauen einzugehen, auf Mk 15,40 bis 16,8. Für die folgenden Ausführungen beziehe ich mich sehr auf die Arbeit von Luise Schottroff: Maria Magdalena und die Frauen am Grabe Jesu12, die ich ergänze.
»DIE FRAUEN ABER SCHAUTEN AUS DER ENTFERNUNG«
Nach Markus (Mk 15,40–41)13 sind es vier Frauen, die, namentlich genannt, sich in der Nähe des Kreuzes aufhalten:
Die Frauen aber schauten aus der Entfernung. Unter ihnen waren Maria aus Magdala, Maria, die Frau des Jakobus des Kleinen, die Mutter des Joses und Salome. Damals als Jesus in Galiläa war, waren sie ihm gefolgt und hatten ihm gedient, so wie viele andere Frauen, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgestiegen waren.
Maria, die Mutter des Joses, wird beim Geschehen am Ostermorgen Mk 16,1 nicht erwähnt. Sie schaut aber zusammen mit Maria aus Magdala bei der Grablegung Jesu zu (Mk 15,47). Mk 15,41 spricht davon, dass noch »viele andere Frauen« nach Jerusalem und in die Nähe des Kreuzes Jesu folgten.
Dass die Frauen von weitem schauen, hat einen gewichtigen Grund. Die Römer verboten Angehörigen und Freunden von Hingerichteten jedes Zeichen von Trauer. Sie durften sich den Getöteten nicht nähern, sie nicht einmal betrachten, geschweige denn sie bestatten. Jedes Anzeichen von Nähe oder Trauer konnte auch für Trauende den Tod bedeuten. Gekreuzigte wurden sogar bewacht, damit Angehörige den Leichnam nicht stehlen konnten.14 Die Frauen stehen also unter Lebensgefahr in der Nähe Jesu. Sie stehen »als Schauende«, lat. contemplantes, grch. θεωροῦσαι. Damit ist mehr als nur äußeres Sehen ausgesagt. Sie schauen in Trauer und Hingabe und nehmen Jesus in ihr Herz auf, so wie es das Lied von Valerius Herberger singt: »In meines Herzens Grunde dein Nam’ und Kreuz allein funkelt all Zeit und Stunde.«15 Unwillkürlich erinnert dieses Bild der schauenden Frauen an Sach 12,10: »Sie schauen auf den, der durchbohrt wurde.« Das Johannesevangelium (Joh 19,37) erinnert daran. In der Offenbarung heißt es dann vom wiederkommenden Herrn: »Jedes Auge wird ihn sehen« (Offb 1,7). In den Frauen, die stehen und schauen, haben wir ein Urbild von Kontemplation16 vor uns: Auf den Herrn schauen und seinen Fußspuren im irdischen Weg folgen (vgl. 1 Petr 2,21).
Zunächst aber waren die Frauen wie alle Jünger im Schrecken der Verhaftung Jesu geflohen. Die Szenen aus Mk 14,50–52, als sich ein Jünger nur durch nackte Flucht der Verhaftung entziehen kann, genauso wie die Verleugnung der Jesuszugehörigkeit des Petrus (Mt 26,69–75) zeigen, in welcher Gefahr Männer und Frauen waren, die sich um Jesus scharten. Für die römische Besatzungsmacht waren sie politische Aufwiegler, die es auszuschalten galt. Aber Männer wie Frauen folgten Jesus nach Golgotha.
Maria aus Magdala hat wohl keinen Verwandten, den die christliche Gemeinde kennt. Deshalb wird ihr Herkunftsort genannt. Die anderen Frauen werden mit dem Verweis auf ihre Familien charakterisiert, so dass die Gemeinde sie aufgrund der Familienzugehörigkeit einschätzen kann.
Dass der Evangelist Markus Namen, Herkunft oder Familie der Frauen eigens nennt, heißt nicht, dass er sie in besonders herausragender Position sieht. Er will »verdeutlichen, wer diese Frauen waren, ... nicht die Rolle der Frauen in der Begleitung Jesu ... erklären. Das heißt, Markus gibt hier zu erkennen, dass er bisher [in seinem Evangelium] den in der Antike üblichen patriarchalischen Sprachgebrauch verwendet hat, der bei summarischen Berichten Frauen nicht eigens nennt. Er gibt auch zu erkennen, dass er diesem Sprachgebrauch nicht kritisch gegenübersteht«.17 Normalerweise werden in den Evangelien Frauen mitgerechnet, wenn von »Männern« oder »Brüdern« die Rede ist. Dass Mt 14,21 und 15,38 eigens von fünftausend beziehungsweise viertausend Männern spricht, »Frauen und Kinder nicht mitgerechnet« belegt diese Praxis. Wenn umgekehrt Mk 6,44 von fünftausend Männern spricht, müssten wir besser sagen: fünftausend Leute, dann wären Frauen und Kinder mitgedacht.
Apg 1,14–16 spricht zunächst davon, dass nach Jesu Aufstieg in den Himmel die Jünger zusammen mit den Frauen und der Mutter Jesu im Gebet verharren. Wenn Petrus mit der Anrede »Brüder!« wegen eines neu zu wählenden Apostels das Wort ergreift, fragt man sich, ob auch die Frauen anwesend waren. Zu Beginn der Bergpredigt Mt 5,1 oder Lk 6,20 gehen wir auch nicht davon aus, dass sie nur Männern gilt, nur weil es heißt, dass Jesus seine Jünger anschaut. Zu den »Geringsten«, die Hilfe erhalten sollen, gehören auch die Frauen. Paulus verfolgt laut Apg 8,3 und 9,2 »Männer und Frauen« als »Kirche«. Lk 14,26f »Wer nicht verlässt ...« zeigt sehr schön, dass unter »Jüngern« auch Frauen zu verstehen sind. Worte Jesu an Männer gelten ja nicht nur Männern, Worte an Frauen gelten nicht nur Frauen. Sonst wäre das Evangelium sexistisch.
Den sprachlichen Ausdruck betreffend gilt zu beachten: Für Substantive wie »Jünger«, »Apostel«, »Evangelist« gibt es im Griechischen, in der Sprache des Neuen Testaments, keine eigene weibliche Form. Bei den Quellentexten zu Maria Magdalena und Thekla, die sich diesem Beitrag anschließen, wird uns das noch begegnen. Das Neue Testament will erklären, was Jüngersein bedeutet – ohne Unterschied für Frauen und Männer. Alle »gingen in die Irre« (Jes 53,6). Wie Männer versagen auch Frauen: Sie erinnern sich nicht an die Worte Jesu (Mk 16,8). Laut dem ersten Schluss des Markusevangeliums in Kap. 16,8 fliehen sie voller Furcht vom Grab.
FOLGEN – DIENEN – SCHAUEN
Um noch besser die Frauennachfolge, wie Markus und die Evangelien sie charakterisieren, zu verstehen, sollen noch die griechischen Verben für »folgen«, »dienen« und das schon genannte »schauen« genauer erläutert werden.
Die Frauen »waren Jesus gefolgt«, grch. ἠκολούθουν und »hatten ihm gedient«, grch. διηκόνουν (Mk 15,41). »Sie folgten Jesus nach« wird auch sonst von den Jüngern gesagt, zum Beispiel Mk 1,18; 8,34; 8,34 »... soll mir nachfolgen«; 10,28 »wir sind dir gefolgt«. Nachfolgen schließt »mithinaufsteigen« (Mk 15,42) mit ein. Wenn Markus sagt, dass die Frauen »mit Jesus nach Jerusalem hinaufsteigen« ist einerseits das Hinaufgehen in die konkrete Stadt Jerusalem oben auf dem Berg angesprochen, andererseits das Tragen des Kreuzes und für die erste Gemeinde die Verfolgungssituation. Markus will die Gemeinde trösten, indem er sie daran erinnert, dass der Herr vorangeht zur Auferstehung (Mk 14,28).
Als nächstes heißt es von den Frauen, dass sie Jesus dienten. »Dienen« wird von Frauen öfter gesagt, zum Beispiel Lk 8,3; Mk 1,31; Lk 10,38–42. Nach Mk 9,35 und Mk 10,42–45 kennzeichnet »dienen« den, der »der Letzte« ist und den Sklavendienst verrichtet, im Gegensatz zu dem, der »der Erste« oder »der Größte« ist. Zu dienen ist die Haltung Jesu (vgl. Mt 23,11), der Jünger untereinander und gegenüber den Menschen (vgl. Mk 10,45). Die Engel dienen Jesus (Mk 1,13). Die geheilte Schwiegermutter des Petrus dient Jesus (Mk 1,31). Geheilte verkünden, was Jesus für sie tat Mk 1,45; 5,20; 10,52. »Dienen« ist also nicht spezifischer Frauendienst. Beim Mahl zu bedienen gehört genauso dazu wie das Waschen der Füße oder einen Becher Wasser zu reichen. Dadurch kommt der Verzicht auf Macht und auf Befehlsgewalt über andere, Unmündige, Niedriggestellte zum Ausdruck. Das Verb kennzeichnet im Evangelium in der Vergangenheitsform, mit dem griechischen Imperfekt, die Stetigkeit, eine nicht nur punktuelle Tätigkeit, sondern eine fortdauernde Haltung.
In Mk 15,47 heißt es: »Maria aus Magdala jedoch und Maria, die Mutter des Joses, beobachteten, wo der Leichnam Jesu hingelegt wurde.« Hier steht für »beobachteten« wieder die Imperfekt-Form des griechischen Verbs »schauen«, θεωρεῖν. Dieses Sehen der Frauen in Mk 15,40.47 ebenso wie die Entdeckung des leeren Grabes durch die Frauen Mk 16,4f will keine Zeugenschaft im juristischen Sinn für Tod und Auferstehung Jesu bekunden. Frauen waren als Zeugen nicht anerkannt.18 Dass ein Toter wieder lebendig wird, war für die Zeitgenossen der ersten Christen kein Problem für die Vernunft. Es geht also nicht um einen Beweis der Auferstehung. Die Frauen kommen möglichst früh zum Grab, um den Toten zu ehren, trotz der damit verbundenen Gefahr. Sie sind beharrlich in ihrer Treue zu Jesus, aber vorsichtig. Es lohnt, in Mk 16,1–5 genauer auf die Varianten des Sehens und die Folgen zu achten:
Vers 4: »als sie aufschauten, sahen sie«.
Vers 5: »als sie in das Grab hineingingen, sahen sie«.
Das Erschrecken der Frauen beantwortet der Engel: »Er wurde auferweckt.« »Seht den Ort wo er hingelegt wurde.« Der Engel verkündet, was geschehen ist und was vorbei ist.
Vers 7 formuliert den Auftrag: »Geht. Sagt.« »Ihr werdet ihn sehen, wie er euch gesagt hat.«
Vers 8 ist der sogenannte erste Markusschluss: »Sie flohen. Sie sagten niemandem etwas. Sie fürchteten sich.«
Die Frauen suchen den Gekreuzigten und sind wie die Jünger noch von Angst beherrscht. Sie können nicht erinnern, was Jesus ihnen gesagt hat: »Der Menschensohn ... wird nach drei Tagen auferstehen.« (Mk 8,31; 9,31; 10,34) Jetzt hören die Frauen, dass sie wie die Jünger ihn sehen werden. Jesus ist auffindbar. Der Auftrag an die verängstigten Frauen lautet: »Geht und sagt [...]: Er wurde auferweckt.« Auch wenn da steht, dass die Frauen flüchten: Markus setzt voraus, dass die Frauen den Auftrag doch ausführten. Der sogenannte zweite und spätere Markusschluss Mk 16,9–20 fasst dann zusammen, was die anderen Evangelien, zum Beispiel Mt 28,8, berichten. Vielleicht hat der Redaktor einfach nicht ausgehalten, dass das Markusevangelium mit Vers 8 endete. Die Botschaft aber ist: Aus vor Angst gelähmten Jüngern wie Petrus oder Maria Magdalena wurden Menschen, die nicht schweigen.
Als die Frauen in der Nähe des Kreuzes stehen, weil es zu gefährlich war, nah bei Jesus zu sein, stehen sie für alle Jünger. Markus »fällt es nicht schwer, die Kreuzesnachfolge aller Jünger in ihnen repräsentativ darzustellen, noch will er damit den niedrig eingeschätzten Frauen eine besondere Ehre erweisen«.19 Es geht ihm auch nicht darum, Maria Magdalena oder einer der Frauen einen besonderen oder hierarchischen Rang zuzuweisen, auch wenn ihr Zeugnis der Auferstehung des Herrn entscheidend war für die Sammlung der Gemeinde. Mit Lukas und Matthäus »stimmt Markus darin überein, dass die Frauen wie die Jünger allgemein nicht heroisiert werden. Hintergrund dieser, was die Rolle der Frauen angeht, sehr entspannten, ganz und gar nicht patriarchalischen Berichterstattung ist die Praxis der christlichen Gemeinden im ersten Jahrhundert. Die Frauen waren, wie wir auch aus Paulus wissen, an der prophetischen Verkündigung der Botschaft voll beteiligt«.20
HIPPOLYT (170–235): KOMMENTAR ZUM HOHEN LIED21
Gabriele Ziegler
Christus sendet die Frauen als Apostel der Apostel.
Es mag zunächst verwundern, dass hier ein Kommentar zum Hohen Lied, das im Hebräischen, Griechischen und Lateinischen »Lied der Lieder« heißt, zur Sprache kommen soll. Der Grund dafür ist, dass Hippolyt wie andere altkirchliche Autoren die Traditionen um Maria Magdalena mit dem »Ich« der Sängerin des Hohen Liedes verbindet. Hippolyt bezeichnet Maria von Magdala, aber nicht nur sie, als »Apostel«. Um dies jedoch richtig verstehen zu können, bedarf es einiger Vorbemerkungen zur Schriftauslegung der Alten Kirche. Ganz grundsätzlich, so formuliert zum Beispiel Gregor der Große, wird die Heilige Schrift eingeteilt in Buchstabe und Allegorie22, also in wörtlichen Sinn und übertragenen Sinn. Paulus verwendet den Begriff »Allegorie« in Gal 4,21–31, wenn er unter Hagar und Sara »die beiden Testamente« versteht und in Gal 4,31–5,1 dies auf die Gemeinde bezieht: »Wir sind nicht Sklavenkinder, sondern frei. Zur Freiheit aber hat uns Christus befreit.«
ÖKONOMIE DER GNADE
Nach der allegorischen Methode wird auch das Hohe Lied ausgelegt. »Braut« ist die menschliche Seele, die Seele, die sich nach Christus sehnt.23 Die Braut-Allegorie will sagen: Dem Menschen, der Durst hat nach Gott und nach Leben (vgl. Psalm 42,3), der innerlich verwundet und geschwächt ist, der zur Ruhe kommen möchte, kommt Gott in Jesus Christus entgegen. In der Begegnung mit dem Herrn ist jede Seele schwach und überwältigt.
Im weiteren Sinn ist mit »Braut« die Kirche gemeint. Das Hohe Lied wird somit hinsichtlich der Heilsgeschichte (Oikonomia) Gottes mit dem Menschen ausgelegt. Im Zusammenhang mit dem Hohen Lied ist oft auch von »Brautmystik« die Rede. Ein »μύστης«, mýstes, ist jemand, der eingeweiht ist in die Oikonomia, der wie Paulus niedrig oder hoch sein kann, »in alles eingeweiht« (Phil 4,12), der weiß, dass »nichts trennen kann von der Liebe Gottes« (Röm 8,35).
Das Hohe Lied darf nicht verengend missverstanden werden, als wäre unter »Braut« nur eine Frau zu verstehen, die sexuell enthaltsam lebt, oder Christus erotisierend als »Bräutigam« anspricht. Dann würden wir dem Fehlschluss erliegen, eine Christusbeziehung in menschliche Gefühls-Kategorien einzupassen. Von seiten eines Mannes her gesehen bestünde der Fehlschluss darin, Gottesliebe mit der Liebe zu einer Frau zu vergleichen.
Was will Hippolyt? Er möchte die »neue Ökonomie«, die »Ökonomie der neuen Gnade«, das Handeln Gottes zur Rettung des Menschen aufzeigen. 24 Maria Magdalena und die Frauen als Zeugen des Ostermorgens lässt er in Worten des Hohen Liedes sprechen und den Dialog mit Christus führen. Das ist naheliegend, denn wie die »Braut« im Hohen Lied suchte Maria von Magdala und fand den Herrn.25 Hippolyt gestaltet die Gespräche aber frei, eindringlich, fügt Assoziationen hinzu und erinnert an andere Worte aus der Heiligen Schrift, die dadurch Gegenwart werden. Denn sooft ein Mensch ein Wort Gottes hört, ist es sein »Jetzt«. »Auch jetzt, während ich in der Heiligen Schrift lese, wandelt Gott im Paradies« sagt Ambrosius.26