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Ki-Karate — Karate mit Einsatz von Ki — ist eine Schulungsmethode, mit der auch im fortgeschrittenen Alter und unabhängig vom Geschlecht Karatetechniken verbessert und in ihrer Effektivität gesteigert werden können — ganz gleich, wie alt oder jung, groß oder klein eine Person ist. Dies ist ein Buch, das gleichwohl für weit mehr Menschen als nur Karateka und Kampfkünstler/innen vielfältige, interessante Verbindungen aufzeigt und mit anschaulichen Beispielen erklärt. Wer Persönlichkeitsentwicklung anstrebt oder lehrt, mit Theorien und praktischen Übungen für Körper und Geist arbeitet oder einfach neugierig ist und Spaß hat an Verbindungen zwischen Konzepten aus dem Westen und dem Osten, wird hier einen ganz besonderen Ansatz und viele fruchtbare Ideen finden. Die grundlegenden Prinzipien, die im Ki-Karate vermittelt werden, gehen weit über eine Stilrichtung oder eine bestimmte Kampfkunst hinaus. Es sind Prinzipien, die der Lebenskunst der alten Großmeister aus China und Japan entstammen. Auch oder gerade heute kommen uns diese Weisheiten und Lebenspraktiken zugute. In der Deutschen Dan-Akademie ist Ki-Karate seit Beginn der Seminarreihen ein fester Bestandteil der Ausbildung zum Karatelehrer. Petra Schmidt ist promovierte Philosophin und Mentalcoach für systemische Kurzzeitkonzepte. Sie trägt derzeit den 4. Dan im Shōtōkan-Karate, ist tätig als Referentin für den Deutschen Karateverband und arbeitet als Business-Coach, Trainerin und Dozentin.
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Seitenzahl: 159
Veröffentlichungsjahr: 2022
Petra Schmidt
Ki-Karate
Zur Philosophie von Ki, Karate und Kampfkunst
Verlag Werner Kristkeitz
Digitale Ausgabe der 2., vollständig überarbeiteten Auflage. Copyright © 2012-2022 by Verlag Werner Kristkeitz. Alle Rechte für sämtliche Medien und jede Art der Verbreitung, Vervielfältigung, Speicherung oder sonstiger, auch auszugsweiser, Verwertung bleiben vorbehalten. ISBN 978-3-948378-18-9 ISBN des gedruckten Buchs 978-3-932337-54-3www.kristkeitz.de
Danke
Worte vorweg
1. Auf dem Weg zum Ki-Karate
Das Konzept ki氣 – i意 – tai体
Bedeutung der japanischen Begriffe ki氣, i意, tai体
Sensibilität, Wahrnehmungsfähigkeit und Gesundheit
Was ist denn eigentlich ki氣?
2. Schärfe das Messer, spitze die Gabel!
Karada体
Kokoro心
Jinkaku人格
Exkurs in die Hirnforschung
3. Ein Stock im Gleichgewicht
Was bedeutet seichūsen正中線?
Die richtige Haltung: die Krone auf dem Kopf
Übung: Stabiles Sitzen im seiza正座
Haltungen entstehen aus Erfahrungen
4. Wie ein Blatt im Wasser
Über die Atmung
Unser Schwerpunktzentrum: tanden丹田
Übung: Finger verlängern
5. Bequem, flüssig und effektiv
Trainings-Ziel: Eine bequeme, flüssige und effektive Technik
Stichworte zum Fauststoß: tsuki突き
Fußsohlen, Gegen-Erdanziehungskraft und Gewicht
Einsatz der Fußsohlen: der Auftritt
Erdanziehungskraft und Gegen-Erdanziehungskraft
Übung: Gewicht fallen lassen
6. Praktische Anleitungen
Karate und Ki-Übungen
Das Fünf-Schritte-System
Körper ausrichten
Geist zentrieren
Bewegen
Atmen
Kommunizieren: Dialoge und Monologe
7. Wohin führt der Weg?
Weg (dō道) und Essenz (honshitsu本質) im Japanischen
Das Wesentliche (honshitsu本質) im karate-dō空手道
Wege brauchen Be-Wegung
Wohin führt der Weg des Ki-Karate 氣空手?
Anhang
Glossar
Bibliografie
Die Autorin
Für all diejenigen, die danach streben aufrichtig und ehrlich, offen und mutig und wahrhaftig zu leben und zu lieben.
«Was ist für dich das Wichtigste bei einer Kampfkunst?», fragte mich ein alter Karatefreund. «Liebe, Harmonie und Weltfrieden», antwortete ich grinsend. «Du spinnst», meinte er, «das Wichtigste ist, die Absichten und Wünsche der anderen Person lesen zu lernen. So wie meine Rose es schon kann.» Ich antwortete: «Ja, du hast Recht. – Und warum kann sie das, obwohl sie nicht einmal Karate macht?
… Weil sie dich liebt.»
Petra Schmidt
Als Erstes möchte ich mich wieder bei Osamu Aoki bedanken. Ohne ihn wäre ich heute nicht dort, wo ich jetzt bin. Meinen Eltern Elke und Ernst-Dieter Schmidt danke ich für all die Unterstützung, die sie mir in meinem Leben immer und immer wieder zukommen lassen.
Für ihre medizinischen Hinweise und die endlosen Telefonate danke ich meiner lieben Freundin und Co-Autorin des Übungsbuches Ki-KarateTanja Mayer. Anette B. Christl danke ich für die tolle und fruchtbare Zusammenarbeit und für ihre unbedingte Loyalität auch in turbulenten Zeiten. Walter Gomm danke ich für sein Sosein, dafür, dass er uns besuchen kam und sich hat überreden lassen, oben in das Café auf dem Maritim mitzukommen. Vielen, vielen Dank für alles an Beate Schad, Lars Draack und Andreas Schröck (www.phoenix.berlin).
Ricard Giralt (www.ricardgiralt.com) und Dirk Prautzsch (www.lichtwanderer.com) danke ich für die Fotos. Muriel Mondy danke ich dafür, dass sie mir für selbige als Partnerin zur Verfügung stand. Jens Halbeck danke ich für die Zeichnungen. Die Ideen für die Gestaltung des Buches sind von Alicia Gomez (www.villuendasgomez.com). Für die rechtliche Beratung danke ich Gerrit Koch (www.gerrit-koch.de).
Martin Fritz ist ein großartiger Vater für unseren Sohn, dafür danke ich ihm von Herzen.
Auf fast all meinen Kursen empfinde ich es als großes Glück, immer wieder von so vielen wundervollen Menschen umgeben zu sein, und kann euch allen gar nicht genug danken dafür. Danke für eure Offenheit und euren Mut, so sonderbare Übungen mit mir zu machen! Ich habe großes Glück, dass es euch gibt in meinem Leben.
Petra Schmidt, im September 2012
Fünf Jahre ist es her, dass mein Buch ki-Karate. Zur Philosophie von Ki, Karate und Kampfkunst erschienen ist. Viele Kurse und Seminare habe ich seitdem in ganz Deutschland gegeben. In der Deutschen Dan-Akademie ist das Modul Ki-Karate ein fester Bestandteil in der Ausbildung zum Karatelehrer 1 und 2 geworden. Mittlerweile hat diese Schulungsmethode eine breite Anhängerschaft. Zu den Kursen kommen nicht nur Karateka aus dem Shōtōkan, sondern auch aus dem Shitō-Ryū, Wadō-Ryū und anderen Stilrichtungen. Die grundlegenden Prinzipien, die im Ki-Karate vermittelt werden, lassen sich nicht auf eine Stilrichtung und nicht einmal auf nur eine Kampfkunst begrenzen.
Der Begriff ‹Ki-Karate› hat sich in der Karateszene etabliert und geht jetzt leicht von den Lippen. Deshalb verwende auch ich ihn nicht mehr klein und kursiv geschrieben, wie noch in der ersten Auflage dieses Buches, sondern als eingedeutschten Namen großgeschrieben. Letztes Jahr ist auf Drängen vieler Karateka das Übungsbuch Ki-Karate. Vorbereitung, Ki-Übungen, Karate-Techniken erschienen, welches ich gemeinsam mit Tanja Mayer verfasst habe. Damit sind wir dem Wunsch vieler unserer Schülerinnen und Schüler nach einer Übungshilfe nachgekommen. Die Entwicklungen im Ki-Karate sind in den letzten Jahren spürbar vorangeschritten und es wird Zeit für eine Überarbeitung dieses ersten Werkes.
Viele Male wurde ich nach dem Unterricht gefragt, ob es nicht ein Buch gäbe über dieses besondere Konzept von ki氣 im Karate und in den Kampfkünsten allgemein, welches ich vor allem bei Osamu Aoki lernte. Ich wurde gefragt, ob es nicht ein Buch gäbe, das helfen könnte, das neu Erlernte besser zu verstehen und weiter zu üben.
Dieses Buch erschien erstmalig 2007 als Beginn einer systematischen Zusammenfassung einer neuen Schulungsmethode. Sein Charakter als Handbuch für Interessierte und Neugierige, für Leute, die sich auskennen im Karate oder in einer anderen Kampfkunst, und solche, die einfach Spaß am Entdecken haben, ist auch in dieser zweiten Auflage erhalten geblieben.
Das japanische Sprach- und Denksystem unterscheidet sich grundlegend vom deutschen Sprach- und Denksystem. Um unzulängliche Übersetzungen und ein Hineinquetschen wichtiger Begriffe ins Deutsche zu vermeiden, führe ich deshalb an mehreren Stellen die japanischen Termini ein und erkläre ihre Bedeutung. Im Folgenden verwende ich dann diese japanischen Ausdrücke. Sie sind kursiv gesetzt und klein geschrieben. In der Regel folgt das entsprechende japanische Schriftzeichen, das kanji漢字. Sämtliche japanischen Begriffe sind wie im Übungsbuch auch hier im Glossar am Ende des Buches zu finden.
Personennamen, auch japanische Personennamen, schreibe ich gemäß der deutschen Norm, das heißt, zuerst den Vornamen dann den Nachnamen.
Titel wie Meister, Großmeister (shihan師範) oder sensei先生 werden oft missbraucht. Deshalb verzichte ich, außer in der kurzen, jetzt folgenden Präsentation, darauf. Ich möchte jedoch ausdrücklich betonen, dass dies keinesfalls meine aufrichtige Bewunderung für die immensen Leistungen der jeweiligen Personen schmälern soll!
Das besondere Konzept von ki氣 in den Kampfkünsten, welches ich in diesem Buch vorstelle, lernte ich vor allem durch shihan [→ 1] 師範Osamu Aoki kennen. Dieser wurde 1948 in Yokohama, Japan, geboren. Während seiner Studienzeit trainierte er unter der Aufsicht von shuseki shihan [→ 2] 首席師範Masatoshi Nakayama. Im Jahr 1970 ging Osamu Aoki als Chief Instructor und Delegierter der Japan Karate Association [→ 3] nach Spanien, um dort Karate zu unterrichten. Seitdem hat er in diversen Ländern Europas Karate und später auch Aoki Bio Energy [→ 4] unterrichtet. Seit dem fünften Oktober 2002 ist er Träger des siebten Dan des JKA. Seit 1990 ist er Leiter der von ihm gegründeten Aoki Bio Energy & Karate School. Als eine der wichtigsten Inspirationsquellen für seine vertiefenden Kampfkunststudien nannte er mir das Buch Die transparente Kraft [→ 5] , welches Tatsuo Kimura [→ 6] schrieb. [→ 7]
Auch Verbindungen zwischen dem hier vorgestellten Konzept und der Methode von Kōzō Nishino werden immer wieder sichtbar. Kōzō Nishino wurde 1926 in Ōsaka, Japan, geboren. Er begann ein Medizinstudium an der Ōsaka City University, ging dann zur Takarazuka Musical Dance Revue und wurde professioneller Tänzer, Ballett-Lehrer und Choreograf. Nach einem Aufenthalt in den USA gründete er in Japan die erfolgreiche Nishino Ballett-Gruppe. Sein Interesse für die Kampfkünste aikidō合氣道 und kung fu功夫 begann, als er schon über fünfzig Jahre alt war. In dieser Zeit entwickelte er die Nishino Breathing Method (NBM). Seit 1985 gibt es in Japan in den Städten Ōsaka und Tōkyō Trainingsschulen für NBM. [→ 8]
Da es in diesem Buch wiederholt um die Wechselwirkungen zwischen körperlichen und emotional-geistigen Haltungen geht, ziehe ich auch Studien von Dr. Moshe Feldenkrais heran. Dieser wurde berühmt durch seine Untersuchungen über den Einfluss des körperlichen Verhaltens auf psychische Befindlichkeiten und die Frage, wie eine gezielte Veränderung des körperlichen Verhaltens die Psyche beeinflussen könne. Moshe Feldenkrais wurde 1904 in Russland geboren und starb im Jahr 1984 in Tel Aviv. Als Fünfzehnjähriger wanderte er ins damalige Palästina aus. Er erwarb als erster Europäer den schwarzen Gürtel in Jūdō. Später studierte er Physik in Paris und forschte über Neuro- und Verhaltensphysiologie und Neuropsychologie. Er unterrichtete an diversen Hochschulen der USA, an der Sorbonne, in Israel und in England. [→ 9]
Der im Mai 2011 verstorbene Aikidōka Kōichi Tōhei war Gründer und Präsident der internationalen Ki-Organisation Ki no Kenkyūkai und des Kiatsu®-Lehrinstituts in Tōkyō und Amsterdam. Er trug den zehnten Dan im aikidō合氣道. [→ 10] Geboren wurde er 1920 in Shitaya/Tōkyō, Japan. Kōichi Tōhei hat in fast allen europäischen Staaten ki氣, Kiatsu® und aikidō合氣道 unterrichtet. Er verfasste mehrere Bücher, unter anderem Ki im täglichen Leben, Das Ki-Buch: Der Weg zur Einheit von Geist und Körper und Kiatsu: Heilung mit Ki. [→ 11] 1983 gründete er die erste Ki-Aikidō-Schule. Auf dem Weg des Ki-Karate sind seine Lehrmethoden und Erkenntnisse unverzichtbar.
Neu in dieser Auflage sind die Verbindungen zwischen einem Weltbild, welches neue Erkenntnisse der Hirnforschung und der modernen (Quanten-)Physik berücksichtigt und dem Weltbild, mit welchem wir bei den Ki-Übungen konfrontiert werden. Zudem habe ich meine Erfahrungen vor allem aus den zahlreichen Lehrgängen und Trainings in Unternehmen in den Text eingearbeitet.
氣
ki
Lebensenergie, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Atmosphäre, Ausstrahlung, Atem
My doctor told me I would never walk again. My mother told me I would. I believed my mother.
Wilma Rudolph
Mit vier Jahren hatte Wilma Rudolph eine doppelte Lungenentzündung und Scharlach, woraufhin ihr linkes Bein gelähmt blieb. 1960 war sie die erste Frau überhaupt, die bei den Olympischen Spielen drei Goldmedaillen (Leichtathletik, Laufen) gewann.
«Was ist denn eigentlich ki氣? Und was sind diese Ki-Übungen?», werde ich häufig gefragt.
Für eine Person, die in Japan aufwächst, besteht keine Notwendigkeit zu fragen oder zu erklären, was ki氣 ist. In Deutschland fragen wir auch nicht, was eine «gute Stimmung» ist oder was wir damit meinen, wenn wir sagen, dass wir uns heute so «energiegeladen» fühlen. Und genauso ist für Asiatinnen und Asiaten in der Regel klar: Ki氣 ist unsere Lebensenergie. Ki氣 ist in uns Menschen wie in jedem Lebewesen. Die Fragen «Was ist das?» oder «Wie lässt sich ki氣 wissenschaftlich nachweisen?» stellen sich einem Japaner ebenso wenig, wie eine deutsche Person sich fragt: Was ist «gute Laune»? Sie fragt sich eher: Was kann ich machen, um gute Laune zu bekommen?
Das Gleiche gilt für die Lebensenergie, für ki氣. In Japan geht es nicht darum, zu erklären, was ki氣 ist, sondern darum, zu ergründen, wie es funktioniert. Es geht darum, mit dem ki氣 zu arbeiten und den Ki-Fluss weiterzuentwickeln.
Und genau das ist auch das Wichtigste beim Ki-Training. Hilfreich, aber nicht notwendig dafür ist es, erst einmal zu akzeptieren, dass es ki氣 oder Lebensenergie gibt. Doch auch diejenigen, die sich nicht darauf einlassen möchten, diejenigen, denen es schwererfällt, diese Vorstellung zu akzeptieren, werden mit regelmäßigem Training früher oder später die Erfahrung machen können, dass es da noch etwas Neues gibt – etwas hinter dem Sichtbaren.
Ich selbst habe mehr als eineinhalb Jahre gebraucht, bevor ich auch nur annähernd einen Sinn in diesen merkwürdigen Übungen entdeckt habe. Gespürt habe ich lange Zeit gar nichts – schon gar nicht ki氣. Obwohl Ki-Übungen allgemein nichts Neues für mich waren. Ich hatte bereits Erfahrungen mit Qigong und Taiji. Trotzdem fiel es mir nicht leicht, mich an diese Art des Trainings zu gewöhnen. Als lebenslange Sportlerin wollte ich beim Training schwitzen, mich auspowern und Resultate sehen. Nicht «rumstehen und in mich hineinhorchen». Trotz ständiger Suche habe ich an «solchen Zauberkram» wie ki氣 auch dann noch nicht geglaubt, als ich merkte, dass die Übungen sehr positive Auswirkungen auf meine Verletzungen haben (jahrzehntelange sportliche Aktivitäten sind auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen) und ich mich insgesamt wesentlich ausgeglichener fühlte. Damals ging ich nur deswegen weiter zu den Aoki Bio Energy-Einheiten, weil mich das Karate von Osamu Aoki immer wieder beeindruckte, faszinierte und überzeugte. Irgendwie hatte ich von Anfang an die unbeirrbare Vermutung, dass es einen Zusammenhang mit diesen merkwürdigen Ki-Übungen geben musste und war fest entschlossen, diesen Zusammenhang zu entdecken. Heute kann ich nur sagen: Je mehr ich entdecke, desto spannender ist für mich die Arbeit mit meinem ki氣. Die Trainings-Einheiten haben nichts, aber auch gar nichts mehr mit «rumstehen» gemein. Es ist beeindruckend zu erfahren, wie auch und ganz besonders bei Atemübungen der Schweiß fließen kann.
Mit Ki-Übungen können wir lernen, unser ki氣 sowohl für eine Weiterentwicklung in unserer Kampfkunst, hier speziell im Karate, als auch für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden einzusetzen. Das Lehrsystem Ki-Karate ist weniger ein Trainings-System als viel mehr ein ganzheitliches Schulungs-System. Geschult werden sollen «Körper und Geist». Dabei handelt es sich nicht um ein fertiges, abgeschlossenes System. Der Schulungsansatz befindet sich nach wie vor im Entstehen. Er wurde und wird entwickelt aus den Studien diverser Kampfkünste, Zen-Meditation, aus verschiedenen Methoden der Körperarbeit und aus vielen medizinischen und physiotherapeutischen Ansätzen. Unser Körper ist verbunden mit unserem Geist. Beide gehören untrennbar zusammen. Diese Verbindungen zu spüren, zu nutzen, erlebbar und fruchtbar für unser Leben zu machen: Darum geht es.
Auch der Einfluss von Kōzō Nishino [→ 12] und seinen Ideen ist sichtbar: Die Spiralform, welche sich nicht nur in unserer DNS und dem Verlauf unserer Muskeln wiederfindet, spiegelt sich deutlich in den Übungen. Spiralformen werden auch Lebenskurven genannt. [→ 13] Sie werden als Symbol für fortschreitende Entwicklung genutzt. [→ 14] Besonders im aikidō合氣道 und im taiji太極 wird ihre Bedeutung immer wieder hervorgehoben. Ein bekannter Aikidōka, Stefan Stenudd, meint: «Man sagt, Ki sei Spiralen in Spiralen in Spiralen. (…) Wer seinen Ki-Fluss stimulieren will, sollte eher gerundete Bewegungen wählen als direkte und eher einen wiederkehrenden Verlauf als einen sich verlierenden.» [→ 15]
Nach nun fast 15 Jahren, in denen ich mich mit diesen Übungen beschäftige, entdecke ich immer mehr Elemente zur bilateralen Hemisphärenstimulation, also zur Stimulierung beider Hirnhälften durch Bewegungen, die die Körpermitte überkreuzen. [→ 16] Solche Bewegungen fördern die neuronalen Verbindungen zwischen den Hirnhälften, lösen Blockaden, indem neue Verzweigungen entstehen und so unsere Handlungsfreiheit erhöht wird. Auch das ist sicher eines der Geheimnisse der gesundheitsfördernden Wirkung der Ki-Übungen.
Aus all dem wurden und werden Übungen und Methoden sowohl als Vorbereitung für das Karatetraining als auch zur Stabilisierung der Gesundheit entwickelt. Gesucht werden bestimmte Übungen, die für die Verbesserung des Karatetrainings eingesetzt werden können. Verbesserung des Karatetrainings heißt zuerst einmal: Steigerung der Effektivität des jeweiligen Trainings. Kriterium dafür ist: Steigerung der Effektivität der einzelnen Karatetechniken, und zwar unabhängig vom Alter oder Geschlecht der jeweiligen Person.
Die Ausgangsposition für die Schulungsmethode Ki-Karate ist folgende Beobachtung: Diejenigen, die aikidō合氣道 oder kendō剣道 machen, werden auch im fortgeschrittenen Alter immer besser. Ihre Fähigkeiten, effektive Techniken ausführen und anwenden zu können, nehmen zu. Doch gibt es kaum achtzigjährige Karateka, geschweige denn, dass diese gutes oder gar besseres Karate machen würden als die zwanzigjährigen «Karate-Frischlinge». Folglich geht es darum, eine Methode der Körperschulung zu finden, mit der auch im fortgeschrittenen Alter und unabhängig vom Geschlecht die Karatetechniken verbessert werden können. Um ein neues System entwickeln zu können, ist Umdenken erforderlich: Weg von herkömmlichen «Hau-Drauf-Methoden», hin zu intelligenten und angemessenen Übungen. Intelligent und angemessen sind Übungen, die darauf abzielen, unser Material – Körper und Geist – bestmöglich, also möglichst effektiv zu nutzen.
In diesem Konzept werden die drei Begriffe ki, i und tai in eine zeitliche Reihenfolge gesetzt. Ki氣 wird als «Wahrnehmung» und «Aufmerksamkeit» interpretiert. Das entspricht nicht der sonst üblichen Deutung des Begriffs. Oft wird der Begriff ki氣 lediglich im Sinn von «Lebensenergie» genutzt und von der Zeitfolge i, ki, tai gesprochen. Einige Autoren verwenden ki氣 auch im Sinn von «Absicht». [→ 17] Stefan Stenudd schreibt: «Vielleicht kann man Ki den Äther der Intention nennen.» [→ 18]
Im Folgenden stelle ich das Konzept von Osamu Aoki, so wie ich es verstanden habe, vor. Zudem zeige ich das meines Erachtens darin enthaltene Erkenntnispotenzial für eine methodische Weiterentwicklung des Karatetrainings auf.
Im Karate beschäftigen wir uns in der Regel damit, wie wir unsere Ausdauer, Schnelligkeit und Kraft steigern können. Im Grundschul-Training (kihon基本) kommt die korrekte Ausführung einer Technik hinzu. Im Kampftraining (kumite組手) steht der richtige Moment und die Schnelligkeit der Ausführung einer Technik im Vordergrund. Im Formen-Training (kata型) wird Wert auf die kraftvolle, schnelle und «saubere» Technik gelegt.
Es geht also meistens um das tai体, um die Form, um die Gestalt gewordene Technik. Manchmal kommt noch die Absicht, das i意, ins Spiel. Beim kihon基本 stellen wir uns eine Kampfsituation und unsere entsprechende Absicht vor. Im kumite組手 versuchen wir die Absicht der Person uns gegenüber zu erahnen und unsere eigene Absicht zu verbergen. Mit einer kata型 versuchen wir unter anderem unsere Kampfabsicht zu demonstrieren.
Jede Handlung und auch jede Karate-Aktion beginnt jedoch schon einen Schritt früher. Bevor wir unsere Absicht, unser i意, konkretisieren können, müssen bereits unser ki氣, unsere Wahrnehmung und unsere zielgerichtete Aufmerksamkeit in der Situation, in Aktion treten. In diesem Kapitel zeige ich deshalb die Bedeutung von ki氣 in unseren (Karate-)Aktionen.
Die Ausführung einer (Karate-)Technik lässt sich als beabsichtigte, zielgerichtete Re-Aktion bezeichnen. Mit dem bereits oben genannten Konzept kann ich den zeitlichen Verlauf der Handlungsfolgen beschreiben. Als annähernde Übersetzung dieser drei japanischen Begriffe ins Deutsche verwende ich hier: Wahrnehmung, Aufmerksamkeit / Absicht / Gestaltwerdung.
Zeitverlauf des Konzeptes ki氣 – i意 – tai体
Zeit →
ki氣 → Aufmerksamkeit abgeschlossen
i意 → Absicht ausgeführt
tai体 → Gestaltwerdung realisiert
Mit ki氣 beginnt jede Aktion. Ki氣 bedeutet hier Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Ki氣 ist während der ganzen Aktion vorhanden. Es wirkt ständig kontrollierend und überprüfend. Unser ki氣 reguliert unsere Absicht und garantiert so die angemessene Re-Aktion auf oder Anpassung an die jeweilige Situation. Haben wir erst einmal wahrgenommen (ki氣), was geschieht, so können wir die Situation beurteilen und eine Entscheidung über eine angemessene Re-Aktion treffen, das heißt, unsere Absicht (i意) konkretisieren. Sobald wir eine konkrete Absicht haben, können wir diese umsetzen. Während der Umsetzung, das heißt, während der Gestaltwerdung der beabsichtigten (Karate-)Technik (tai体), bleibt unsere Absicht (i意) und unsere Aufmerksamkeit (ki氣) präsent und auf das Handlungsziel gerichtet.
Dieses Konzept kann helfen, die Wichtigkeit von ki氣 in unseren Handlungen sichtbar zu machen und unsere Blickrichtung zu ändern: Unsere Aufmerksamkeit bleibt oft beim tai体, bei dem, was mit den Augen sichtbar ist, haften. Ich möchte diese jedoch auf die Bedeutung, die Funktion, die Aufgaben und die Möglichkeiten von ki氣 lenken. Denn es ist auch im Karate wichtig, «das, was wir mit dem Herzen sehen», zu erkennen. Wie sagt der Fuchs im Kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry so schön: «Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.» [→ 19]
Ein vielleicht vielen bekanntes Bild ist das des «blinden Sehers». Auch dieses zeigt in eine Richtung, die vielleicht gar nicht so unähnlich der ist, die wir finden können, wenn wir mit der Ki-Arbeit beginnen.
Zurück zum Konzept ki氣 – i意 – tai体. Mithilfe eines stark vereinfachten Alltagsbeispiels lässt sich dieses Konzept folgendermaßen darstellen:
Situation A: Ich sitze in einem Zimmer, in dem das Fenster geschlossen ist.
Zeit →
ki氣: Wahrnehmung / zielgerichtete Aufmerksamkeit
i意: Absicht
tai体: Gestaltwerdung
12.00 Uhr
ki氣