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KI einfach verstehen Alle reden über Künstliche Intelligenz (KI). Doch wenige können erklären, was KI eigentlich ist. Unsere Sprache reicht oft einfach nicht aus, um alle Aspekte dieser Revolution zu erfassen – oder darüber mitzureden. Stattdessen flüchten wir uns in Schlagworte und wedeln mit Fachbegriffen. Eine schlechte Strategie. Der KI-Experte Stefan Holtel weiß: Es braucht kein Fachwissen, um bei KI mitzureden. Uns fehlen nur die richtigen Worte, geeignete Bilder und eingängige Vergleiche. Deshalb hilft er Entscheidern wie Anwendern, Profis wie Laien, KI als das zu verstehen, was sie eigentlich ist: Die Automation des Entscheidens. Ein ungewöhnlicher Ansatz, um uns die Konsequenzen von künstlicher Intelligenz für Arbeit und Alltag vor Augen zu führen. Und ganz nebenbei ein Weg, die eigene Schneise in den digitalen Dschungel zu schlagen. » Die Lösung eines Problems liegt meist schon auf dem Tisch. Oft braucht es nur jemanden, der den anderen die Augen öffnet. « – Stefan Holtel
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Zeit:7 Std. 20 min
Sprecher:STEFAN HOLTEL
KI-VOLUTION
STEFAN HOLTEL
KI-VOLUTION
Künstliche Intelligenz einfach erklärt für alle
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
1. Auflage 2020
© 2020 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Redaktion: Desirée Simeg
Umschlaggestaltung: Marc Fischer
Umschlagabbildung: BAIVECTOR/Artificial Intelligence Logo/Shutterstock
Satz: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe
Druck: GGP Media Pößneck
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-86881-799-7
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-229-4
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-230-0
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.redline-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Was Sie erwartet. Und was nicht
Das Orchestrion des 21. Jahrhunderts
Faktor g und künstliche Intelligenz
Was dieses Buch erzählt
Eine andere Geschichte der künstlichen Intelligenz
Von Fliehkraftreglern zu neuronalen Netzen
Raffinerien des 21. Jahrhunderts
Bösartige Probleme
Blinde Flecken der künstlichen Intelligenz
Künstliche Intelligenz ist ein bewegliches Ziel
Künstliche Intelligenz verstehen – ohne Expertenwissen
Die Allmacht der Sprache
Metaphern für das Denken
Der Mensch in der Schleife
Die Grenzen von Automation
Die Automation des Entscheidens als Landkarte
Wie eine Entscheidung fällt
Der Ablauf einer Entscheidung
Organisationale Entscheidungen
Die Entscheidung zur Entscheidung
Sechs Stufen der Automation des Entscheidens
Die Matrix der Entscheidungsallokation
Die Automation des Entscheidens in der Praxis
Ouvertüre
Beef im Selbstmord-Quadranten
Was macht Beef?
Von Beef zu BOnco
Wie hast Du‘s mit der künstlichen Intelligenz?
Beef und BitKoin 2030
Augmentieren statt Automatisieren
Dialoge über die künstliche Intelligenz
Das Perspektivenprisma
Dialoge gestalten
Dialoge des Verstehens
Dialoge des Untersuchens
Dialoge des Erprobens
Dialoge des Umsetzens
Über den Autor
Literaturverzeichnis
Anhang
6-Stufen-Modell der Automation des Entscheidens
Matrix der Entscheidungsallokation
Weitere Fragen für Dialoge über die Automation des Entscheidens
Anmerkungen
Tabelle 1: Einige Definitionen der menschlichen Intelligenz
Tabelle 2: Fliehkraftregler und neuronale Netze im Vergleich
Tabelle 3: Beispiele für Definitionen der künstlichen Intelligenz
Tabelle 4: Langweilige und bösartige Probleme im Vergleich
Tabelle 5: Einige Metaphern für künstliche Intelligenz
Tabelle 6: Fitts Liste
Tabelle 7: Vier Schritte zur Entscheidung
Tabelle 8: Definitionen für Stufen der Automation
Tabelle 9: 10 Stufen der Automation in Anlehnung an (Sheridan & Verplank, 1978, S. 8-17)
Tabelle 10: Die Stufen der Automation des Fahrens in Anlehnung an (SAE International, 2014)
Tabelle 11: Sechs Stufen der Automation des Entscheidens
Tabelle 12: Allokation von Entscheidungsautonomie
Tabelle 13: Matrix der Allokation von Verantwortung in Entscheidungen
Tabelle 14: Beef verorten für verschiedene Märkte
Tabelle 15: Beispiele für Suchworte um das Konzept der Automation des Entscheidens
Tabelle 16: Fragebogen zur Ermittlung des Reifegrads der Automation des Entscheidens
Tabelle 17: Vier Szenarien zur Zukunft des Finanzwesens (angelehnt an (Grattoni, 2017)
Tabelle 18: Vier Perspektiven auf die Automation des Entscheidens
Tabelle 19: Beispielagenda für einen Wissensdialog mit der Automation des Entscheidens
Tabelle 20: Beispielfragen aus den vier Perspektiven auf die Automation des Entscheidens
Abbildung 1: Piano-Orchestrion im Deutschen Museum
Abbildung 2: Statistische Verteilung des Intelligenzquotienten in der Gesamtbevölkerung
Abbildung 3: Wattsche Dampfmaschine im Deutschen Museum
Abbildung 4: Zuse Z4 (Nachfolger der Z3) im Deutschen Museum
Abbildung 5: Ein Husky wird (nicht) erkannt (Besse, Castets-Renard, Garivier, & Loubes, 2018, S. 22)
Abbildung 6: Datenwachstum in den Jahren 2005 bis 2015
Abbildung 7: Maschinenhalle des 19. Jahrhunderts
Abbildung 8: Das Investitionsparadox der künstlichen Intelligenz
Abbildung 9: Beispiel für Mensch in der Schleife
Abbildung 10: Fähigkeiten von Menschen und Maschinen in Anlehnung an (Price H. E., 1985, S. 37)
Abbildung 11: Die kognitiven Ebenen der Bloom-Taxonomie
Abbildung 12: Verschiedene Grade der Automation, angelehnt an (Parasuraman, Sheridan, & Wilkens, 2000, S. 288)
Abbildung 13: Der Kontrollraum von Cybersyn
Abbildung 14: Entscheidungen fallen in Mülltonnen
Abbildung 15: Der Ablauf einer Entscheidung im Mülltonnen-Modell (Garbage Can Model)
Abbildung 16: Marmeladenauswahl in einem Supermarkt
Abbildung 17: Ein Zylinder als Sinnbild für erklärbare und nicht erklärbare Algorithmen
Abbildung 18: Apollo Guidance Computer
Abbildung 19: Der Roboteraufstand in R.U.R.
Abbildung 20: Sechs Stufen der Automation des Entscheidens (BITKOM, 2017, S. 14)
Abbildung 21: Der Selbstmord-Quadrant, angelehnt an (Sarasvathy, 2003, S. 206)
Abbildung 22: Automation des Entscheidens für Pädagogik
Abbildung 23: Beef im Kundendialog einer Bank
Abbildung 24: Automation des Entscheidens für die partizipative Entscheidungsfindung in Anlehnung an BITKOM, 2017, S. 14
Abbildung 25: 2×2-Matrix für Szenarien des Finanzwesens im Jahr 2030
Abbildung 26: Tätigkeiten der Anlageberatung für Anlageberater und Robo-Advisor (in Anlehnung an (Price H. E., 1985, S. 37))
Abbildung 27: Ein Prisma bricht Sonnenlicht in Spektralfarben
Abbildung 28: Vier Perspektiven auf die Automation des Entscheidens
Abbildung 29: Vier Dialogtypen über die Künstliche Intelligenz in Anlehnung an (Eppler & Mengis, 2004, S. 18)
Abbildung 30: Verstehen erklärt die Metapher
Abbildung 31: Dialoge des Untersuchens gehen dem Verhältnis von Mensch und Maschine auf den Grund
Abbildung 32: Dialoge des Erprobens loten die Möglichkeiten der Mensch-Maschine-Interaktion aus
Abbildung 33: Dialoge des Umsetzens legen das Vorgehen fest, welche Optionen erprobt werden sollen
Das Orchestrion wurde um die letzte Jahrhundertwende erfunden. Es war ein Apparat, der das Spielen von Musikinstrumenten automatisierte. Der Musiker wurde überflüssig; Die Automation des Musizierens war geboren. Um dieselbe Zeit entstand mit dem Phonographen die erste Möglichkeit, Musik aufzuzeichnen. Beide Maschinen veränderten die Beziehung zwischen Menschen und die Kunst des Musizierens.
Künstliche Intelligenz ist die Erfindung der Automation des Entscheidens. Sie verändert die Beziehung zwischen Mensch und Maschine – diesmal aber für das Denken und Handeln. Radikal und unumstößlich.
Wissenschaftler streiten seit über 100 Jahren darüber, was menschliche Intelligenz sei.
Faktor g
nannte sich der erste Versuch, natürliche Intelligenz zu definieren. Trotzdem wollen sich Akademiker wie Praktiker bis heute nicht auf eine eindeutige Definition festlegen. Seit 1955 weitet sich der Zwist über die Intelligenz des Menschen auch auf die Intelligenz der Maschinen aus. Zum Glück ist das eine wie das andere egal, um beim Thema künstliche Intelligenz, kurz KI, mitzureden. Denn man muss nicht wissen, was sie ist. Man muss nur wissen, was sie tut.
Dieses Buch ist eine Einführung in die künstliche Intelligenz - aber eine ungewöhnliche. Es verschont Sie mit Fachbegriffen; Algorithmen werden nur allgemein beschrieben und technische Finessen zum Programmieren bleiben außen vor. Stattdessen erzähle ich eine Geschichte über die künstliche Intelligenz, die Sie noch nicht gehört haben. Und ich erkläre danach ein Denkinstrument, mit dem Sie über künstliche Intelligenz nachdenken und mitdiskutieren können, ohne ins Fegefeuer der KI-Technik zu fallen. Zum Schluss geht es darum, wie jedes Unternehmen dieses Denkinstrument nutzen kann, um die vielfältigen Konsequenzen künstlicher Intelligenz für die organisationale Praxis zu meistern.
»Ich habe etwas darin gefunden, das mich an einige neue Orte geführt hat.«
– PAT METHENY
Pat Metheny ist Gitarrist. Einer meiner Lieblingsmusiker einer melodischen Variante des Jazz. Ich folge seinem Oeuvre seit Jahrzehnten. Als Namensgeber der Pat Metheny Group tourt er durch eine Nische der Musikwelt. Aber er verfolgt auch Soloprojekte. Dort sucht Metheny nach experimentellen Zugängen zur zeitgenössischen Jazzmusik. Eines dieser Projekte nennt sich »Orchestrionics« und startete im Jahr 2009.1 Metheny erfüllte sich einen Jugendtraum: Der Jazzgitarrist verband die Idee des mechanischen Orchestrions aus der Zeit der 19. Jahrhunderts mit Technologien, die erst im 21. Jahrhundert verfügbar waren. Das Ziel des Musikers war eine Plattform, um andersartige Kompositionen zu schreiben, nie dagewesene Improvisationen zu ergründen und radikale Aufführungsformate zu erproben.
Dafür baute Metheny Musikinstrumente, deren Klang einerseits auf akustisch oder akustik-elektrischen Mechanismen beruhte. Andererseits ordnete er Luftdruckschläuche und Magnetventile so an, dass er parallel zum eigenen Musizieren das Bedienen anderer Instrumente aussteuern konnte.
Während das Zusammenspiel vieler solcher Instrumente die Grundlage eines mechanischen Orchesters bildet, improvisiert Metheny selbst mit der Jazzgitarre über den von ihm mechanisch erzeugten Klangteppich. Er fragte sich, wie dieses Zusammenspiel aus Musikmaschinen und Musikern seine Idee des Solospiels befeuern würde.
Etwa um das Jahr 1880 entsteht mit »mechanischen Klavieren« eine neue Gattung von Musikinstrumenten: Eine Papierrolle wird perforiert, die beim Vorbeiziehen an einer Mechanik die Klaviertasten anschlägt. Der nächste Schritt besteht darin, die Idee der über Lochbänder codierten Musik auf andere Instrumente zu übertragen. Damit kann die gesamte Palette einer Orchesterbesetzung mechanisch bespielt werden. Das Orchestrion ist geboren.2 Die Blütezeit des Orchestrions geht fließend über in den Beginn einer anderen Ära: die Erfindung der Tonaufzeichnung. Metheny erkennt in diesem Übergang eine »interesting middle zone«: Die erste Technik macht den Musiker überflüssig, die zweite konserviert die Qualitäten der musikalischen Interpretation.
Abbildung 1: Piano-Orchestrion im Deutschen Museum
Ab dem Jahr 1978 experimentiert Metheny mit dem Übereinanderlegen kurz nacheinander aufgezeichneter Takte, was eine Ensemble-Musik möglich macht. Im Studio funktioniert das gut, erweist sich aber als wenig praktikabel bei einem Live-Konzert. Aber selbst das, was heute als Sampling (in Echtzeit übereinandergelegte Rhythmen) gang und gäbe ist, hätte Methenys Ansprüchen nicht genügt. Über die Jahre sinniert er über eine Musiktechnologie, die sich aus der direkten mechanischen Interaktion akustischer Instrumente entwickeln soll.
Metheny will akustische und elektrische Instrumente miteinander verbinden. Ihm geht es nicht um Entweder-oder, sondern um Sowohl-als-auch: Musiker spielen zusammen mit Musikmaschinen. Darum sucht er Experten, die ihm diese Art von Instrumenten bauen können. Im Laufe der Jahre schart er ambitionierte Erfinder und Techniker um sich. Damit wächst die Palette seiner Instrumente. Das »Orchestrion für das 21. Jahrhundert« nimmt Gestalt an.
Wie kaum eine andere Musik steht Jazz in der Tradition, Grenzen auszuloten und neue Spielformen und Kompositionsstile zu entwickeln. Jazz zeigt, wie rastlose Seelen es verstehen, die Wurzeln dieser Musik durch neue Möglichkeiten ihrer jeweiligen Zeit evolutionär weiterzubringen. Methenys Instrumentenbauer loteten die technischen Möglichkeiten aus. Derweil experimentierte der Jazzer mit Prototypen, um zu verstehen, was möglich war und wie er das Zusammenspiel der Musikautomaten mit seinem Spiel in Einklang bringen konnte.
In Erklärungen bezieht sich Metheny mit der Bedeutung seines Projekts auf einen Vordenker der künstlichen Intelligenz: den Unternehmer und Erfinder Ray Kurzweil.3 Dieser sagte, dass neuartige Werkzeuge es dem Menschen erlauben würden, die Grenzen des Möglichen immer weiter hinauszuschieben. Hier trifft der Jugendtraum von Pat Metheny auf die Geschichte der künstlichen Intelligenz: Automaten wie das Orchestrion produzieren neue Musik. Die Automaten der künstlichen Intelligenz produzieren neue Gedanken.
Die Erkundung, die Metheny mit dem Orchestrion unternahm, betraf das Ausbalancieren von Entscheidungen, im Musikkontext zwischen Mensch und Maschine. Er fragte sich, welche Entscheidungen ein Musiker an eine »Instrumentmaschine« übertragen sollte, wo ein Musiker die Kontrolle behalten sollte und an welchen Stellen Zufälle zu neuen Entdeckungen führen könnten und so weiter. In diesem Experiment hat der Jazzmusiker sein Verhältnis zu Musikinstrumenten neu verortet. Er schob dafür die Grenzen des Machbaren durch Technik weit hinaus. Metheny fragte sich für die Domäne der Musik, wie Maschinen den Jazz verändern könnten.
Metheny arbeitet sich daran ab, wie es sich anfühlt, mit Maschinen Musik zu machen. Wir werden ähnliche Fragen aufwerfen, richten sie aber an die Domäne des Denkens und Handelns. Wir sprechen heute davon, dass Maschinen »denken wie Menschen«. Was heißt das genau? Die Möglichkeit, dass eine Maschine den Vorgängen und Tätigkeiten eines Gehirns nacheifert, begeistert und erschreckt gleichermaßen. Denn es tun sich schnell eine Reihe von Fragen auf:
Welche Konsequenzen hat es, wenn Maschinen denken? Müssen wir ihnen Eigenschaften zubilligen, die wir bisher Menschen vorbehalten, zum Beispiel Verantwortung – oder sogar Bewusstsein?
Wie fühlt es sich an, wenn maschinelles Denken das menschliche überflügelt? Ist das Fortschritt oder müssen wir uns Sorgen machen oder sogar fürchten?
Welche Konsequenzen wird Maschinendenken nach sich ziehen? Für den Benutzer dieser Maschine? Für die Unternehmen, in denen Menschen und Maschinen sich zuarbeiten? Für die Gesellschaft, die von diesen Entscheidungen geprägt oder abhängig sein wird?
Wie können wir die Chancen nutzen? Können wir die Risiken begrenzen oder müssen wir tatenlos zusehen, was die künstliche Intelligenz anrichtet?
Die Fähigkeit zum Musizieren lässt sich ermessen an der Fingerfertigkeit des Musikers und seinem Talent, das Notenblatt zu lesen und zu interpretieren. Die Fähigkeit zu denken lässt sich ablesen am Intelligenzquotienten (IQ). Damit hätten wir ein gutes Maß, um auch die Intelligenz von Maschinen zu vermessen. Oder vielleicht doch nicht?
Wenn wir die Automation von Musik auf die Idee der Automation von Denken übertragen, stoßen wir auf ein Problem: Musikalische Fertigkeit lässt sich zurückführen auf das Fingerspitzengefühl, ein Instrument so zu bedienen, dass die Interpretation von Notenmaterial gelingt. Denken müsste sich demnach erklären lassen als eine »Fingerfertigkeit des Denkens«. Und die gilt es durch Intelligenztests zu ermitteln. Solch ein Test ergibt den Intelligenzquotienten, ein Maßstab, der die Intelligenz eines Menschen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung repräsentiert. Liegt der IQ bei 100, ist die Person durchschnittlich intelligent. Und wie erkennt man, wie intelligent Maschinen sind? Die Antwort liegt auf der Hand: Wenn der Intelligenzquotient die Intelligenz eines Menschen misst und künstliche Intelligenz die natürliche simuliert, sollte sie ebenfalls durch Intelligenztests abzugreifen sein.
Laut einem Test liegt mein IQ bei 1334. Damit gehöre ich laut Auswertung zu den 14 Prozent der Teilnehmer, die man als »begabt« bezeichnet (IQ von 120 bis 140). Das Ergebnis schmeichelt mir – sonst hätte ich es unterschlagen –, aber es ist leider wertlos. Denn der Intelligenzquotient ist nur sehr begrenzt geeignet, um etwas über die Intelligenz eines Menschen zu erfahren, geschweige denn über künstliche Intelligenz. Warum das so ist, erfahren Sie im nächsten Abschnitt.
In dem Film Rain Man aus dem Jahr 1988 spielen Tom Cruise und Dustin Hoffman die Brüder Charlie und Raymond Babbit: Der Erste ist ein selbstverliebter Autohändler, der Zweite ein autistischer Savant mit einer besonderen Begabung. Eine Szene spielt in einem Restaurant. Die Bedienung lässt einen Behälter mit Zahnstochern fallen und Raymond erkennt schlagartig, dass auf dem Boden 246 Zahnstocher verstreut liegen.5
Das Savant-Syndrom beschreibt Menschen, die eine geistige Behinderung zeigen und damit an alltäglichen Tätigkeiten scheitern. Gleichzeitig überraschen sie mit Inselbegabungen im Erinnern, Musizieren, Rechnen oder bei Fremdsprachen.6 Künstliche Intelligenz ist so etwas wie die technische Lösung einer Inselbegabung: Sie zeigt Fähigkeiten, die für sehr eng begrenzte Aufgaben »übermenschlich« zu sein scheinen.7 Im Umkehrschluss müsste gelten: Eine Inselbegabung zeigt Intelligenz. Aber das ist keineswegs der Fall!
Abbildung 2: Statistische Verteilung des Intelligenzquotienten in der Gesamtbevölkerung
Sie selbst haben Intelligenz. Ihre Kinder haben Intelligenz geerbt. Meine reicht zumindest, um dieses Buch zu schreiben. Doch selbst Forschern, denen man schon von Berufs wegen Intelligenz zugesteht, quälen sich mit der Frage: Was ist Intelligenz überhaupt?
Die Anfänge des Begriffs reichen zurück ins Jahr 1904. Der britische Psychologe Charles Spearman lässt Probanden mehrere kognitive Tests durchführen. Dabei entdeckt er, dass bestimmte Faktoren über alle Tests leicht voneinander abhängen.8 Daraus folgert Spearman, es müsse etwas geben, das das Ausmaß an Intelligenz einer Person erfasst. Er nennt dieses Phänomen Faktor g.
Spearmans Idee ist von Anfang an umstritten und es gibt weitere Versuche, um der Intelligenz auf die Schliche zu kommen, aber bis heute hat sich keine Definition durchgesetzt. Auch im 21. Jahrhundert wird weiter zur Intelligenz geforscht. Das hat viele Gründe.
Intelligenz lässt sich nicht so einfach von anderen Fähigkeiten der Psyche abgrenzen: Ist jemand schon intelligent, wenn er schnell rechnen kann? Oder wenn er kreative Lösungen für Probleme entdeckt? Oder sich besonders gut in andere hineinversetzen kann?
Moderne Ansätze unterteilen Intelligenz gerne in mehrere Domänen wie die mathematische, die sprachliche oder die emotionale.9 Tatsächlich nahm der Variantenreichtum an Vorschlägen zur Definition von Intelligenz über die vergangenen Jahrzehnte zu. Eine Definition, auf die die Mehrheit der Wissenschaftler sich einigen konnte, kam trotzdem nicht heraus. So verharrt die Forschung in vielen Ansätzen, die das Konstrukt der Intelligenz erklären wollen (siehe Tabelle 1