Kinder psychisch kranker Eltern stärken - Albert Lenz - E-Book

Kinder psychisch kranker Eltern stärken E-Book

Albert Lenz

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Beschreibung

Trotz belastender Lebensumstände und Probleme entwickeln sich viele Kinder psychisch kranker Eltern zu selbstsicheren, sozial kompetenten und leistungsfähigen Persönlichkeiten. Solche resilienten Kinder verfügen über Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, mit den Belastungen erfolgreich umzugehen und auftauchende Probleme zu lösen. Der Ratgeber liefert umfangreiche Informationen dazu, wie die Resilienz, also die seelische Widerstandskraft von Kindern, in der Familie, im Kindergarten und in der Schule gefördert werden kann. Der Ratgeber informiert im ersten Teil über psychische Erkrankungen, die Anzahl der Betroffenen, über Erkrankungsrisiken der Kinder, über die Belastungsfaktoren und das Belastungserleben der Kinder und der Eltern. Der zweite Teil des Ratgebers beschäftigt sich mit der Frage, was Kinder stärkt und welche Besonderheiten resiliente Kinder auszeichnen. Der letzte Teil des Ratgebers gibt Eltern praktische Anregungen, wie sie die Resilienz ihrer Kinder stärken können. Zudem enthält der Ratgeber auch zahlreiche Hinweise für Lehrkräfte sowie für Erzieherinnen und Erzieher, wie sie betroffene Familien unterstützen können.

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Albert Lenz

Kinder psychisch kranker Eltern stärken

Informationen zur Förderung von Resilienz in Familie, Kindergarten und Schule

2., vollständig überarbeitete Auflage

Prof. Dr. Albert Lenz,Studium der Psychologie, Soziologie und Pädagogik in München. 1994–2017 Professor für Klinische Psychologie und Sozialpsychologie an der Kath. Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Paderborn, Fachbereich Sozialwesen. Mitbegründer des Instituts für Gesundheitsforschung und Soziale Psychiatrie (igsp) an der Kath. Hochschule Nordrhein-Westfalen.Arbeits- und Forschungsschwerpunkte:Kinder psychisch kranker Eltern, Kooperation Psychiatrie und Jugendhilfe, Empowerment und Soziale Netzwerke, psychosoziale Beratung und Krisenintervention.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autor:innen bzw. den Herausgeber:innen große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autor:innen bzw. Herausgeber:innen und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Die erste Auflage des Ratgebers ist 2013 unter folgender Autorenschaft und mit folgendem Titel erschienen: Albert Lenz/Eva Brockmann: Kinder psychisch kranker Eltern stärken. Informationen für Eltern, Erzieher und Lehrer

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Das E-Book einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

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Umschlagabbildung: © stock.adobe.com / Yakobchuk Olena

Satz: Franziska Stolz, Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

mediaprint solutions GmbH, Paderborn

Format: EPUB

2., vollständig überarbeitete Auflage 2022

© 2013 und 2022 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3017-1; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3017-2)

ISBN 978-3-8017-3017-8

https://doi.org/10.1026/03017-000

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Einführung

1 Was Sie über Kinder und ihre psychisch erkrankten Eltern wissen sollten

1.1 Wie häufig sind psychische Krankheiten?

1.2 Wie häufig sind psychisch Erkrankte auch Eltern?

1.3 Wie hoch ist das Risiko der betroffenen Kinder, selbst zu erkranken?

1.4 Belastungsfaktoren – Welche Rolle spielen Vererbung und Umwelt?

1.4.1 Sind es die Gene?

1.4.2 Welche familiären Lebensumstände belasten die psychische Entwicklung von Kindern?

1.4.3 Welche Rolle spielen individuelle Faktoren beim Kind?

1.4.4 Welche weiteren bedeutsamen Faktoren beeinflussen die Entwicklung von Kindern?

1.5 Wie erleben Kinder ihre Situation?

1.6 Wie erleben psychisch erkrankte Eltern ihre Situation?

2 Resilienz – Was stärkt die Kinder psychisch erkrankter Eltern?

2.1 Was heißt Resilienz?

2.2 Was zeichnet resiliente Kinder aus?

2.2.1 Persönliche Schutzfaktoren des Kindes

2.2.2 Familiäre Schutzfaktoren

2.2.3 Soziale Schutzfaktoren

2.3 Schutzfaktoren bei Kindern psychisch erkrankter Eltern

2.4 Resilienz ist mehr als die Summe von Schutzfaktoren

3 Wie kann die Resilienz von Kindern gefördert werden? Was können Sie als Eltern tun?

3.1 Vermitteln Sie Ihrem Kind Nähe und gefühlsmäßige Sicherheit

3.1.1 Sichere Bindung entwickelt sich durch feinfühliges Verhalten der Bezugspersonen

3.1.2 Was brauchen Kinder, um eine sichere Bindung an Mutter und Vater aufbauen zu können?

3.2 Vermitteln Sie Ihrem Kind gefühlsmäßige Sicherheit und Verbundenheit durch Lob und Anerkennung

3.3 Unterstützen Sie Ihr Kind bei der Bewältigung seiner Probleme

3.4 Ermöglichen Sie Ihrem Kind Kontakte zu anderen Personen

3.4.1 Suchen Sie gemeinsam eine „Patin“ bzw. einen „Paten“ für Ihr Kind

3.4.2 Wie können Sie Ihr Kind bei der Suche nach einer Vertrauensperson einbeziehen?

3.4.3 Erstellen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind einen Krisenplan

3.5 Sprechen Sie mit Ihrem Kind über die Krankheit

3.5.1 Welche Fragen beschäftigen Ihr Kind?

3.5.2 Altersabhängige Fragen und Informationsbedürfnisse

3.5.3 Schwierigkeiten, die beim Gespräch mit Ihrem Kind über die Krankheit auftreten können

3.6 Suchen Sie professionelle Hilfe auf, wenn Sie sich Sorgen um die Entwicklung Ihres Kindes machen

3.6.1 Wo finden Sie Hilfe für Ihr Kind?

3.6.2 Mutter-Kind-Behandlung – eine Hilfe für junge erkrankte Mütter

4 Spezielle Hinweise für Erzieher_innen und Lehrkräfte

4.1 Achten Sie auf Veränderungen im Verhalten der Kinder

4.1.1 Wie können sich Veränderungen im Verhalten und in den Gefühlsäußerungen bei den Kindern zeigen?

4.1.2 Wie können sich psychisch erkrankte Eltern im Kindergarten oder in der Schule verhalten?

4.1.3 Was können Sie tun, wenn Sie Veränderungen im Verhalten des Kindes wahrgenommen haben? Wie können Sie auf Verhaltensweisen der Eltern reagieren?

4.1.4 Wie können Sie auf die Aussagen der Eltern reagieren?

4.1.5 Welche persönliche Einstellung haben Sie gegenüber psychischen Krankheiten?

4.1.6 Was können Sie tun, wenn Eltern nicht oder abweisend reagieren?

4.2 Sensibilisieren Sie die Eltern für die Gefühle und Bedürfnisse ihrer Kinder

4.3 Suchen Sie den fachlichen Kontakt zu anderen Fachleuten

4.3.1 Wo können Sie fachliche Unterstützung bekommen?

4.3.2 Von der Kooperation zur Vernetzung

Anhang

Zitierte Literatur

Literaturempfehlungen

Wichtige Weblinks

|9|Einführung

„[…] die haben schon versucht, mir das zu erklären, aber ich kann’s nicht im Kopf behalten, und ich weiß selbst nicht, was das ist so […]. Wenn einer krank ist, dann geht er zum Arzt und dann wird er wieder gesund. Was überhaupt so eine psychische Krankheit ist, das ist für mich unglaublich schwer zu verstehen, weil das ist ja nicht irgendwo, wo man eine Spritze gibt, und dann ist alles wieder gut, oder wo man sich ein paar Tage ins Bett legt.“

(Mädchen, 10 Jahre)

Bei dieser Aussage eines 10-jährigen Mädchens, dessen Mutter an einer Depression erkrankt ist, wird deutlich, welche Gedanken und Gefühle Kinder begleiten, wenn Mutter oder Vater unter einer psychischen Erkrankung leidet. Sie können Verhaltensweisen ihrer Eltern nicht verstehen, ihre Probleme nicht einordnen, sind verunsichert und verwirrt.

Viele Kinder sind der Überzeugung, sie seien an den Problemen der Eltern schuld: „Mama ist so traurig und ängstlich, weil ich mich nicht genug um sie gekümmert habe“ oder „Ich war frech und habe mein Zimmer nicht aufgeräumt, obwohl Papa es gesagt hat. Deshalb ist er immer ärgerlich, gerät oft in Panik und verliert schnell die Geduld.“ Kinder bemerken, dass sie weniger Zuwendung und Aufmerksamkeit erhalten, weil die Eltern mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind. Gemeinsame Aktivitäten und Unternehmungen am Wochenende finden kaum noch statt. Es gibt mehr Spannungen in der Familie. Mutter und Vater streiten häufiger und suchen in den Auseinandersetzungen Unterstützung bei den Kindern. Die erkrankten Eltern möchten nicht, dass andere Kinder zu Besuch kommen, weil sie die Unruhe und den Lärm nicht ertragen können. Die Kinder erleben, dass andere Personen, z. B. Großeltern, Onkel und Tanten oder auch Freund_innen der Eltern, der Mutter oder dem Vater Vorwürfe machen und weniger zu Besuch kommen oder sich sogar ganz zurückziehen. Die Kinder fühlen sich für die Eltern und die Familie verantwortlich. Sie helfen der Mutter bei der Hausarbeit, beim Kochen und Putzen, gehen Einkaufen und unterstützen jüngere Geschwister bei den Hausaufgaben. Kinder haben das Gefühl, die erkrankte Mutter möchte gerne, dass sie mehr zu Hause bleiben und darauf verzichten, sich am Nachmittag mit Freund_innen zu verabreden oder zum Sport zu gehen. Obwohl die Mutter oder der Vater es nicht offen ausspricht, haben die |10|Kinder den Eindruck, dass sie über die Probleme in der Familie mit niemandem sprechen sollten. Da aber auch in der Familie nicht über die Krankheit gesprochen wird, trauen sich die Kinder nicht, Fragen zu stellen. Sie wissen nicht, an wen sie sich mit ihren Fragen wenden könnten, haben niemanden, mit dem sie über ihre Probleme sprechen könnten. Sie bleiben allein mit ihren Ängsten, Sorgen und Nöten.

Diese Belastungen führen bei vielen Kindern zu psychischen Problemen. Wir wissen, dass Kinder psychisch erkrankter Eltern ein höheres Risiko haben, psychische Auffälligkeiten und Störungen zu entwickeln als Kinder psychisch gesunder Eltern. Viele Kinder können sich schlechter konzentrieren und sind unruhig, haben Schulprobleme oder zeigen Ängste und depressive Zustände, neigen zu starken Schuldgefühlen, haben ein geringes Selbstwertgefühl oder reagieren aggressiv und sind leicht erregbar.

Trotz vielfältiger Belastungen entwickeln nicht alle Kinder psychische Störungen – vor allem nicht anhaltende psychische Störungen. Die Schwierigkeiten vieler Kinder sind anderer Art: Sie machen sich Sorgen um die erkrankten Eltern, fühlen sich allein und müssen mit ihren Problemen und Nöten selbst fertig werden. Bei etwa der Hälfte der auffälligen Kinder treten Störungen vorübergehend, d. h. über einen bestimmten Zeitraum hinweg, auf. Etwa ein Drittel der Kinder entwickelt längerfristige Störungen.

Was unterscheidet die Kinder psychisch erkrankter Eltern, die gesund bleiben oder vorübergehende Störungen entwickeln, von denen mit länger andauernden Auffälligkeiten und Störungen? Was macht diese Kinder widerstandsfähiger? In der Forschung konnte eine Reihe von persönlichen, familiären und sozialen Schutzfaktoren gefunden werden, die das Risiko für die Entwicklung von Störungen schwächen und negative Folgereaktionen auf Belastungen reduzieren. Diese Schutzfaktoren stärken maßgeblich die psychische Widerstandsfähigkeit – in der Psychologie spricht man von Resilienz – der belasteten Kinder.

Die Ergebnisse der Resilienzforschung machen Mut, weil sie Antworten darauf liefern, was Kinder stärkt, damit sie besser mit Belastungen und Problemen fertig werden können. Resilienz ist keine feste oder sogar angeborene Persönlichkeitseigenschaft, sondern entwickelt sich in einem Zusammenspiel von Personenmerkmalen des Kindes, wie Tempera|11|mentseigenschaften, und den Reaktionen der Eltern und anderer enger Bezugspersonen des Kindes. Die sozialen Beziehungen sind für die Entwicklung von Resilienz entscheidend.

Wie können Eltern die Widerstandsfähigkeit ihrer Kinder fördern und was können Erzieher_innen und Lehrkräfte dazu beitragen? Diese Fragen werden im vorliegenden Buch ausführlich behandelt.

Der erste Teil des Buches vermittelt grundlegende Informationen über psychischen Erkrankungen und deren Auswirkungen auf die Familie. Auf das Erkrankungsrisiko der Kinder und über die Rolle verschiedener Belastungsfaktoren – die Rolle der Vererbung sowie familiäre und soziale Lebensumstände – wird anschließend eingegangen. Was es für Kinder heißt, wenn die Mutter oder der Vater psychisch erkrankt sind, und wie die erkrankten Eltern ihre Situation erleben, damit beschäftigen sich die beiden letzten Abschnitte des ersten Teils. Kenntnisse über das subjektive Erleben schaffen ein tieferes Verständnis dafür, wie sich Belastungen auf die Entwicklung der Kinder auswirken können und wie Hilfen gezielt ansetzen sollten.

Mit der Frage, was Kinder psychisch erkrankter Eltern stärkt, beschäftigt sich der zweite Teil des Buches. Ausführlich werden die persönlichen, familiären und sozialen Schutzfaktoren vorgestellt, die Kinder gegenüber Belastungen widerstandsfähiger und robuster machen. Studien belegen, dass den familiären Schutzfaktoren eine große Bedeutung für eine gesunde Entwicklung von Kindern zukommt. Dies lenkt den Blick auf die Familie als Schutzfaktor und auf die familiäre Resilienz.

Eingegangen wird darüber hinaus auf spezifische Schutzfaktoren für Kinder psychisch erkrankter Eltern. Wir wissen, dass neben den allgemeinen Schutzfaktoren ein aktiver und offener Umgang mit der Erkrankung in der Familie sowie eine altersgemäße Informationsvermittlung und Aufklärung der Kinder über die Erkrankung und Behandlung der Eltern eine spezifische Schutzwirkung für die Kinder entfalten. Wie es den Kindern gelingt, Schutzfaktoren als Puffer einzusetzen, darauf wird im letzten Abschnitt eingegangen.

Auf der Grundlage der Befunde der Resilienzforschung werden im dritten Teil des Buches zahlreiche Anregungen und Hinweise gegeben, wie |12|Eltern die Resilienz von Kindern fördern können. Was Sie als Eltern tun können ist:

Ihrem Kind Nähe und gefühlsmäßige Sicherheit vermitteln,

es bei der Bewältigung seiner Probleme unterstützen,

ihm Kontakte zu anderen Personen ermöglichen,

mit Ihrem Kind über die Krankheit sprechen und

rechtzeitig professionelle Hilfe suchen, wenn Sie sich Sorgen um Ihr Kind machen.

Die Anregungen und Hinweise sollen Sie ermutigen, aktiv zu werden und Ihr Kind frühzeitig bei der Bewältigung der Belastungen und Schwierigkeiten zu unterstützen.

Durch die Begleitung meist über mehrere Jahre hinweg und den nahezu täglichen Umgang lernen Erzieher_innen und Lehrkräfte die Kinder kennen. Sie können sowohl ihre Stärken und Fähigkeiten als auch ihre Schwächen und Probleme gut einschätzen. Dies ermöglicht es ihnen, Veränderungen im Verhalten der Kinder – in der Kindergarten-Gruppe oder in der Schulklasse – wahrzunehmen. Im vierten Teil des Buches werden spezielle Hinweise für Erzieher_innen und Lehrkräfte gegeben, worauf im Verhalten der Kinder besonders geachtet werden sollte, wie sie mit psychisch erkrankten Eltern ins Gespräch kommen und wo sie fachliche Unterstützung für sich finden können.

Zur Neuauflage

Die vorliegende zweite Auflage ist vollständig überarbeitet worden. Aufgenommen wurden neue wissenschaftliche Erkenntnisse und relevante fachliche Entwicklungen in den letzten Jahren. So rückte in der Resilienzforschung zunehmend die Beschäftigung mit den der Resilienz zugrunde liegenden Prozessen und Mechanismen in den Vordergrund. Wie gelingt es den Kindern und der Familie, Schutzfaktoren als Puffer in belastenden Lebensumständen wirksam einzusetzen? Bei der Suche nach Antworten auf diese Frage ist man auf die große Bedeutung reflexiver Kompetenzen und der Mentalisierungsfähigkeit gestoßen. Mentalisieren wird als eine basale Interaktions- und Kommunikationskompetenz betrachtet, die Menschen befähigt, Schutzfaktoren bei Belastungen situations|13|angemessen und wirksam einzusetzen. Zugleich spricht vieles dafür, dass die Förderung des Mentalisierens einen fundamentalen Wirkfaktor bei allen Interventionen darstellt. Die neuen Erkenntnisse und die Entwicklungen in der Resilienzforschung bilden das Grundgerüst für die Zweitauflage des Buches.

Danksagung

Mein Dank gilt meiner Frau Dr. Silvia Lenz für die wertvollen fachlichen Anregungen und Frau Dipl.-Psych. Susanne Weidinger vom Hogrefe Verlag für die Betreuung des Buches und die langjährige Zusammenarbeit.

München, im November 2021

Prof. Dr. Albert Lenz

|14|1 Was Sie über Kinder und ihre psychisch erkrankten Eltern wissen sollten

1.1 Wie häufig sind psychische Krankheiten?

Psychische Erkrankungen kommen in der Gesamtbevölkerung sehr häufig vor, sie gehören zu den häufigsten Erkrankungen insgesamt. Man kann davon ausgehen, dass in Deutschland ca. 30 % der Erwachsenen, statistisch gesehen also in etwa jede dritte Frau oder jeder dritte Mann, im Laufe eines Jahres unter einer psychischen Störung leiden. Psychische Erkrankungen beeinträchtigen die Lebensqualität der betroffenen Menschen in hohem Maße. Gleichzeitig betreffen die Folgen dieser Erkrankungen die Familie und das soziale Umfeld der erkrankten Menschen sowie auch die gesamte Gesellschaft. Psychische Erkrankungen gehören zu den häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeitstage und sind oft mit langen Ausfallzeiten verbunden. Sie stellen auch die häufigste Ursache für vorzeitige Berentungen in Deutschland dar und stehen z. T. in Wechselwirkung mit verschiedenen chronischen und körperlichen Erkrankungen.

Man spricht von psychischer Krankheit bzw. Störung, wenn die Betroffenen unter psychischen Zuständen, wie z. B. Ängsten oder depressiven Gefühlen, leiden, der Kontakt zur Realität, wie z. B. durch Stimmenhören und Wahnvorstellungen, oder die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, wie z. B. bei Essstörungen und Suchterkrankungen, andauernd verloren gegangen ist. Man spricht auch von psychischer Krankheit bzw. Störung, wenn Veränderungen im Erleben und Verhalten nicht nur eine verständliche Reaktion auf ein Ereignis sind, wie z. B. bei einer schweren körperlichen Erkrankung oder eine normale Trauerreaktion bei Verlust eines geliebten Menschen. Eine psychische Krankheit ist wissenschaftlich nicht eindeutig definierbar. Zur Einschätzung, ob eine psychische Störung vorliegt, werden die Stärke und Anzahl der Symptome, das Ausmaß der mit den Symptomen einhergehenden psychischen und sozialen Beeinträchtigungen, das Ausmaß der Leistungsbeeinträchtigungen sowie die Dauer der Symptomatik und der Beeinträchtigungen herangezogen.

|15|Im Folgenden wird ein Überblick über die Verbreitung psychischer Erkrankungen in Deutschland gegeben. Dazu werden Prävalenzraten beschrieben. Die Prävalenz ist eine Kennzahl für die Krankheitshäufigkeit in einem bestimmten Zeitraum. Tabelle 1 bietet einen Gesamtüberblick die prozentuale Häufigkeit psychischer Störungen in der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland im Verlauf eines Jahres (12-Monats-Prävalenz). Betrachtet man die Gruppen von psychischen Erkrankungen, so stellen die Angststörungen die größte Störungsgruppe dar, gefolgt von den affektiven Störungen.

Tabelle 1: Prozentuale Häufigkeiten psychischer Störungen in der deutschen Bevölkerung im Verlauf eines Jahres: Ergebnisse des Bundesgesundheitssurveys (Deutsche PsychotherapeutenVereinigung e. V., 2020)

Diagnosen

Häufigkeit

Angststörungen

15,4 %

Affektive Störungen

9,8 %

Substanzstörungen (ohne Nikotinabhängigkeit)

5,7 %

Zwangsstörung

3,6 %

Somatoforme Störung

3,5 %

Psychotische Störungen

2,6 %

Posttraumatische Belastungsstörung

2,3 %

Psychische Störungen aufgrund einer körperlichen Erkrankung (z. B. Krebserkrankung)

1,8 %

Essstörungen

0,9 %

Unter Angststörungen wird eine Vielzahl unterschiedlicher Störungen zusammengefasst. Die Gemeinsamkeiten bestehen darin, dass die Angstreaktionen unangemessen sind, wiederholt auftreten und nicht mit realen Gefährdungserlebnissen verknüpft sind. Ein weiteres Kennzeichen ist ein Vermeidungsverhalten als eine dominierende Bewältigungsstrategie. Unterschiede zwischen den Angststörungen bestehen hinsichtlich der Angstinhalte: Bei den Phobien handelt es sich um Ängste, die sich auf be|16|stimmte Objekte, Tätigkeiten oder Situation beziehen: z. B. Angst vor Tieren (Spinnen, Schlangen, Hunde, etc.), Höhenangst, Angst vor geschlossenen Räumen, Angst vor öffentlichen Plätzen, Angst vor Panikattacken sowie Angst vor sozialen Situationen des menschlichen Umgangs bzw. Leistungssituationen. Bei der generalisierten Angststörung bilden ausgeprägte Sorgen und Ängste das Hauptmerkmal der Störung. Die Betroffenen zeigen beispielsweise ein andauerndes Anspannungsgefühl und Sorgen, dass ihren Kindern etwas Schlimmes passieren könnte.

Auch bei den affektiven Störungen handelt es sich um eine Vielzahl von Störungsbildern, die sich hinsichtlich ihrer Schwere der Beeinträchtigungen für die Betroffenen in den Krankheitsphasen unterscheiden. Charakteristisch für affektive Störungen sind niedergeschlagene bzw. traurige Stimmung, Interessen- und Freudeverlust, Schlaflosigkeit oder vermehrtes Schlafbedürfnis, Unruhe oder Verlangsamung, Gefühle von Wertlosigkeit, Schuldgefühle, Konzentrationsprobleme sowie suizidale Gedanken. Bei der sogenannten bipolaren Störung wechseln sich depressive Phasen mit manischen Phasen ab, die mit gehobener, gereizter Stimmung, übersteigertem Selbstwertgefühl, großer Gesprächigkeit oder Rededrang, erhöhte Ablenkbarkeit und Aktivitäten einhergehen.

Gemeinsames Merkmal von somatoformen Störungen sind körperliche Probleme und Beschwerden, für die sich keine eindeutigen organischen Ursachen finden lassen oder starke Ängste um die körperliche Gesundheit. Früher sprach man in diesem Zusammenhang von psychosomatischen Störungen und Hypochondrie. Hauptformen somatoformer Störungen sind Magen-Darm-Symptome, wie z. B. Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, Kloßgefühle im Hals sowie Schmerzsymptome, z. B. im Kopf, Bauch, Rücken oder in den Gelenken. Hinzu kommen anhaltende Ängste oder die Überzeugung, eine ernsthafte Erkrankung (z. B. Krebs oder AIDS) zu haben.

Die Sucht- und Abhängigkeitsstörungen werden unterschieden in substanzinduzierte Störungen und in nicht stoffgebundene Störungen. Zu den substanzinduzierten Störungen zählen Alkoholabhängigkeit, die mit Abstand häufigste Suchtstörung, sowie die Drogenabhängigkeit. Für beide Substanzklassen wird zwischen Missbrauch und Abhängigkeit unterschieden. Zentral beim Missbrauch ist ein hoher „schädlicher“ Gebrauch von Substanzen, der zu verschiedenen sozialen Beeinträchtigungen führt, wie z. B. Versagen am Arbeitsplatz, Probleme mit dem Gesetz oder Streit mit |17|der Partnerin bzw. dem Partner wegen des hohen Konsums. Abhängigkeit ist insbesondere charakterisiert durch Kontrollverlust bei Einnahme der Substanz und Entzugserscheinungen. Bei den nicht stoffgebundenen Störungen handelt es sich um exzessive Verhaltensweisen, die alle Merkmale einer psychischen Abhängigkeitsstörung beinhalten, wie z. B. Kaufsucht, Glücksspielsucht, Internetabhängigkeit und Computerspielsucht.

Bei einer Zwangsstörung besteht für die erkrankte Person ein innerer Zwang oder Drang, bestimmte Dinge zu denken oder zu tun. Zwangsgedanken sind Vorstellungen, Gedanken oder Impulse, die der Betroffene als unsinnig oder übertrieben erkennt, die also nicht seine eigene Meinung wiedergeben, die sich ihm aber dennoch immer wieder aufdrängen. Sie lösen unangenehme Gefühle wie Ängste, Unbehagen oder Ekel aus. Zwangshandlungen sind sich wiederholende Verhaltensweisen, die oft immer gleich ablaufen müssen und zu denen sich der Betroffene gedrängt fühlt, obwohl er sie als übertrieben oder sinnlos erkennt. Zwangshandlungen haben oft zum Ziel, Ängste, Unbehagen oder Ekel zu verringern, welche durch Zwangsgedanken ausgelöst worden sind.

Psychotische Störungen sind schwere psychische Störungen, bei denen die Betroffenen zumindest zeitweise den Bezug zur Realität verloren haben. Die Störungen können sich auf sehr unterschiedliche Weise äußern. In akuten Krankheitsphasen überwiegen Symptome wie Halluzination und Wahn. Unter Halluzinationen werden Sinnestäuschungen, das heißt subjektiv erlebte Wahrnehmungen ohne objektiv vorliegende Umweltreize, verstanden. Am häufigsten kommen akustische Sinnestäuschungen vor, das heißt die Betroffenen hören Stimmen, die ihre Gedanken wiederholen, kommentierende Stimmen, die ihr Verhalten beschreiben oder bewerten, und dialogisierende Stimmen, die sich über sie unterhalten oder streiten. Wahnideen sind objektiv falsche Überzeugungen der Betroffenen und Verkennung der Realität. Häufige Wahnphänomene sind, von einer Macht verfolgt zu werden oder dass die eigenen Handlungen oder Impulse von einer äußeren Kraft gesteuert werden. Die nicht akuten Krankheitsphasen gehen einher mit Symptomen wie sozialer Rückzug, Antriebsarmut, Denkhemmung und Sprachverarmung.

Eine Posttraumatische Belastungsstörung kann nach einem Trauma kurzfristig oder zeitlich verzögert auftreten. In manchen Fällen können sogar Jahrzehnte bis zum Auftreten der Symptomatik vergehen. Typisch sind Symptome des Wiedererlebens, d. h. sich aufdrängende, belastende Erin|18|nerungen an das Trauma, Flashbacks, Alpträume sowie Vermeidungssymptome, wie z. B. Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit der Umgebung und anderen Menschen gegenüber, aktive Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Hinzu kommen Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Wachsamkeit und übermäßige Schreckhaftigkeit. Bei vielen Betroffenen ist das Selbst- und Weltbild erschüttert und das Vertrauen in andere Menschen nachhaltig gestört.

Die Diagnose einer chronischen körperlichen Erkrankung, wie z. B. Krebs, AIDS, rheumatische Erkrankungen und chronische Schmerzen oder neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose, stellt für die Betroffenen ein einschneidendes Ereignis dar, weil damit Veränderungen in der Lebensführung oder gar eine Todesbedrohung verbunden sind. Die Auseinandersetzung mit der Erkrankung, die Lebensumstellung und medizinische Behandlung führen oftmals zu erheblichen psychischen Belastungen und bringen das emotionale Gleichgewicht ins Wanken. Beispielsweise müssen an Krebs erkrankte Menschen sich immer neu orientieren, müssen Möglichkeiten finden, mit Schmerzen, den Folgen der Chemotherapie, der Bestrahlung und der Operation zurechtzukommen. Zugleich wirkt im Hintergrund die Lebensbedrohung. Eine Krebserkrankung stellt also enorme Anforderungen an die seelische Verfassung des Einzelnen. Psychische Störungen – insbesondere Depression und Ängste – sind oftmals die Folge. Psychische Störungen treten bei allen chronischen Erkrankungen wesentlich häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung.