Kinder Zions - Henryk Grynberg - E-Book

Kinder Zions E-Book

Henryk Grynberg

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Beschreibung

Das noch weithin unbekannte Schicksal der "Teheran-Kinder". In Henryk Grynbergs "dokumentarischer Erzählung" kommen mehr als 70 jüdische Kinder aus Polen zu Wort, die 1943 nach Palästina gerettet wurden. Ihre Geschichten eröffnen eine schwindelerregende Topographie: von Städten und Städtchen Vorkriegspolens über entlegene Nord- und Südgebiete der Sowjetunion bis in den Iran, den Irak und nach Indien. Nüchtern schildern die verwaisten Überlebenden ihre Erfahrungen, die sie im September 1939 aus dem Raum einer geschützten Kindheit herausgerissen hatten: die mörderische Wucht der deutschen Angreifer, Tod, Raub, Zerstörung und Vertreibung sowie die vermeintliche Rettung, erneute Verfolgung und Verschleppung in der Sowjetunion. Schlicht und sachlich bleibt der vielstimmige Erzählduktus, doch sein Rhythmus stockt, versetzt mit monotonen Wiederholungen, die sich zu einer gewaltigen Klage erheben. In jeder Geschichte ist das gleiche Muster erkennbar, das die individuelle Tragödie in ein Henryk Grynberg kollektives Los wandelt. Doch Henryk Grynberg lässt die Stimmen Kinder Zions der Einzelnen erklingen, die als Ich-Erzähler von Vätern, Müttern, Dokumentarische Erzählung Brüdern, Schwestern, Tanten und Onkeln sprechen. So werden sie vor dem Vergessen in der Masse anonymer Opfer bewahrt.

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Seitenzahl: 289

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Henryk Grynberg

Kinder Zions

Dokumentarische Erzählung

Herausgegeben von Ewa Czerwiakowski, Sascha Feuchert und Lothar Quinkenstein

Mit einem Nachwort von Ewa Czerwiakowski und Lothar Quinkenstein

Aus dem Polnischen vonRoswitha Matwin-Buschmann

Zum Gedenken an die Väter, Mütter und Kinder, deren Gebeine Wege und Stationen des Leids in den unmenschlichen Gefilden Osteuropas, Sibiriens und Mittelasiens bezeichnen.

Es ging uns nicht schlecht

Mein Vater kaufte in den Dörfern Heu auf, das er nach Warschau und in andere Städte fuhr. Wir hatten ein eigenes Haus, und es ging uns gut.

Mein Vater hatte Obstgärten in der Gegend von Czerniaków gepachtet, und er verkaufte das Obst nach Warschau.

Mein Vater handelte mit Vieh. Seine Kunden waren Gutsbesitzer und Bauern.

Mein Vater war Viehhändler, wir wohnten in unserem eigenen Häuschen, und es ging uns nicht schlecht.

Mein Vater hatte eine Molkerei in Czarny Dunajec, wo hundert jüdische Familien lebten, und alle verdienten gut.

Mein Vater war Besitzer einer Mühle.

Mein Vater war Bracker, seine Arbeit bestand darin, Wald zu begutachten.

Mein Vater war Forstverwalter. Wir hatten ein dreistöckiges Mietshaus in Biłgoraj gegenüber dem Kloster.

Mein Vater hatte ein Landgut bei Łuniniec, achtzehntausend Hektar mit einem Sägewerk und einer Tischlerei, aber wir wohnten in Warschau.

Mein Vater war Schuster und hatte zwei Lehrlinge. Seine Kundschaft bestand aus reichen Gutsbesitzern und Beamten.

Mein Vater hatte eine Schuhfabrik, wo zwanzig Arbeiter arbeiteten.

Mein Vater war Besitzer einer Textilfabrik, die sich in der Piotrkowska-Straße 220 befand und über hundert Arbeiter beschäftigte. Wir wohnten in Łódź.

Mein Vater war Besitzer einer Kerzenfabrik und eines Großhandelslagers für Lebensmittel. Wir wohnten in Różan.

Mein Vater führte gemeinsam mit meinem Onkel eine Brauerei im Fabrikviertel von Tarnów, neben der unser Haus stand.

Mein Vater war ein wohlhabender Mann. Wir hatten in Wieliczka ein Mietshaus und ein Großhandelslager für Mehl.

Mein Vater hatte in Jarosław ein Papierlager, das einzige in der ganzen Gegend.

Mein Vater hatte Rohwollelager, und wir gehörten zu den wohlhabendsten Juden in Majdan.

Vater war Besitzer einer Schenke, und meine Eltern haben nie geklagt, dass es ihnen schlecht geht.

Vater war Besitzer eines Autobusses, der zwischen Stoczek und Łuków verkehrte.

Vater war Chauffeur.

Vater hatte einen kleinen Laden, wir wohnten in unserem eigenen Haus, und es ging uns nicht schlecht.

Vater hatte eine Maschine zur Herstellung von Trikotagen. Meine Schwester und mein älterer Bruder halfen ihm, und ich ging zur Schule.

Vater war Kassierer in der Fabrik. Meine Schwestern, die sechzehn Jahre alte Helka und die fünfzehn Jahre alte Irka, gingen zur Schule, um eine gute Stelle zu bekommen, denn der Verdienst meines Vaters reichte nicht aus.

Vater arbeitete im Büro der Firma »Stock«. Ich und meine ältere Schwester Gerda gingen aufs Gymnasium.

Vater war Buchhalter in der Landeskonservenfabrik.

Vater war Schächter, und wir hatten eine Fleischerei mit koscherem Fleisch. Die größeren Kinder arbeiteten nicht, sondern gingen zur Schule.

Vater war Schächter, und wir hatten ein eigenes Häuschen. Wir waren fünf Kinder, wir gingen alle zur Schule, und es fehlte uns an nichts.

Mein Vater, ein bekannter Rabbiner, hatte in Siedlce viele Anhänger, die ihm ein Haus kauften. Darin befand sich das Bet ha-Midrasch voller wertvoller Bücher und unsere private Wohnung.

Mein Großvater war Rabbiner in Leżajsk. Weil er sehr alt war und nicht mehr allen seinen Pflichten nachkommen konnte, vertrat ihn mein Vater.

Mein Vater war ein frommer Mann und Besitzer einer Bonbonfabrik. Er gehörte zu den geachtetsten Bürgern von Jarosław.

Mein Vater war ein schwächlicher Mann, er war herzkrank, und er tat nichts, sondern lernte nur den ganzen Tag. Wir lebten von der Unterstützung , die uns unsere Verwandten aus Amerika zukommen ließen.

Vater war Stiefelmacher. Er hatte eine Werkstatt, in der mehrere Arbeiter arbeiteten, und es ging uns nicht schlecht.

Mein Vater war Hutmacher, und es ging uns nicht schlecht.

Wir hatten eine Bude auf dem Basar und zu Hause eine Werkstatt, wo Vater Mützen und Hüte machte.

Mein Vater war Gerber, und er verdiente gut.

Mein Vater stellte Bürsten her, wir waren nie reich.

Mein Vater war Tischler, und wir wohnten in unserem eigenen Häuschen bei Leżajsk.

Mein Vater war Tischler. Meine Mutter starb, als ich drei Jahre alt war, und mein Vater heiratete zum zweiten Mal, aber meine Stiefmutter war gut zu mir wie eine Mutter.

Meine Eltern hatten ein Konfektionsgeschäft. Wir wohnten in Warschau.

Mein Vater war Bäcker, und wir wohnten in Oświęcim. Wir hatten eine eigene Bäckerei und einen Brotladen am Markt, und wir führten ein ruhiges Leben.

Mein Vater war Besitzer eines Galanteriewarengeschäfts in Krakau. Ein Jahr vor dem Krieg zogen wir nach Rozwadów, weil wir dort nach Großvaters Tod eine Erbschaft machten.

Wir hatten ein Galanteriewarengeschäft in Köln. 1938 siedelten uns die Deutschen aus, und wir waren in einem Lager bei Zbąszyn. Mein Vater starb dort, und ich fuhr mit meiner Mutter nach Rozwadów, wo wir Verwandte hatten.

1939 wohnte ich in Warschau im Internat der Jeschiwa, wo ich Unterricht nahm.

Mein Vater war Buchhalter, verstand sich auf Politik und sah voraus, dass es Krieg mit den Deutschen geben würde.

Wir wohnten in der Kościuszko-Straße in Bielsko-Biała. Vater arbeitete bei einem Rechtsanwalt. Er war Oberst der Reserve, und jedes Jahr wurde er zu Übungen geholt. Zwei Wochen vor Kriegsausbruch ging er ins Büro und fand dort den sofortigen Einberufungsbefehl vor. Er hatte nicht einmal Zeit, sich von uns zu verabschieden.

Zwei Wochen vor Kriegsausbruch schickten mich meine Eltern aus Krakau nach Przemyśl, weil sie das Eintreffen der Deutschen voraussahen.

Zehn Tage vor Kriegsausbruch wurde die Evakuierung der Bevölkerung von Bielsko befohlen. Es war nicht erlaubt, größeres Gepäck in den Zug mitzunehmen, und wir kamen fast ohne Sachen in Lwów an. Wir bekamen eine Wohnung in der 3.-Mai-Straße, aber Vater wusste nicht, was er weiter tun sollte, weil wir keine großen Ersparnisse hatten.

Eine Woche vor Kriegsausbruch verließen wir Nowy Sącz, das nicht weit von der Grenze entfernt lag , und fuhren zu Großvater nach Rozwadów.

Wir flüchteten aus Przasnysz nach Pułtusk, weil mein Vater den Ausbruch des Krieges voraussah und meine Stiefmutter kurz vor der Entbindung stand.

Die Juden flohen aus Pułtusk, aber wir blieben, weil Mama nicht bei Kräften war und Vater sich fürchtete, mit den kleinen Kindern von daheim aufzubrechen.

Eines Tages, als ich mit den Kindern spielte, bemerkte ich, dass sie Zettel an die Hauswände klebten. Ich konnte noch nicht lesen und rannte zu Mama, damit sie nachsah, was das ist. Als Mama hinkam, standen schon viele Leute dort, und es hieß, es gibt Krieg. Vater kam aufgeregt aus dem Büro heim. Er sagte, dass alle flüchten und er nicht weiß, ob wir ein Fuhrwerk bekommen.

Bevor der Krieg ausbrach, fuhr Vater nach Łuck zu seinem Bruder, und Mama verkaufte die Kleider aus dem Laden.

Einige Tage vor Kriegsausbruch hieß es im Städtchen, die Gefahr rücke näher, und Vater fuhr über die Dörfer wegen dem Geld, das ihm für das Vieh zustand, aber kaum einer bezahlte, und Vater stand fast mit leeren Händen da.

Ich war acht Jahre alt und ging in die Volksschule in Kałuszyn. Mein Vater floh nach Brześć.

Zwei Tage vor Kriegsausbruch verließen wir Bielsko und fuhren zu Großvater nach Grzymałów.

Bielsko lag an der Grenze, viele Deutsche wohnten bei uns und drohten den Juden dauernd, also packte Mama die Sachen, und wir flüchteten. Mein ältester Bruder Abram war damals fünfzehn Jahre alt, und meine jüngeren Schwestern Marta und Róża waren zehn und acht.

In Różan wurden Truppen konzentriert, und man ordnete die Evakuierung der Zivilbevölkerung an, also flüchtete meine Familie nach Długosiodło, wo wir Verwandte hatten.

Als die Evakuierung von Różan angeordnet wurde, flüchteten wir nach Długosiodło, wo wir Juden aus vielen anderen Grenzstädtchen trafen.

Als die Evakuierung angeordnet wurde, flüchteten wir nach Ostrów Mazowiecka, wo ein Cousin von uns wohnte.

Als der Krieg ausbrach

Als die Bekanntmachungen geklebt wurden, dass die Deutschen Polen überfallen haben, entstand im Städtchen Panik, und die Leute begannen zu flüchten, aber Vater wollte das Haus nicht im Stich lassen.

Am Freitag , dem 1. September, bombardierten die deutschen Flugzeuge Oświęcim. Neben uns schlug eine Bombe ein, und es gab drei Tote. Die Leute flüchteten. Vor unserm Haus stand schon ein mit zwei Pferden bespannter Wagen, aber in der Stadt waren Truppen stationiert, für die Brot gebacken werden musste. Die Soldaten sagten, sie würden sich vor der Stadt verteidigen, und es gäbe keinen Grund zur Flucht.

Am Freitag , dem 1. September, brach eine Panik aus. Polen, Juden, jeder, der konnte, flüchtete in Richtung Lwów. Vater wollte nicht fliehen, wie soll man sich auch mit sechs Kindern und ohne Geld auf die Wanderschaft machen ? Außerdem glaubte er, das polnische Militär werde erfolgreich Widerstand leisten. Aber als es hieß, die Deutschen stehen schon in Podhajce und der letzte Zug geht ab, änderte Vater seinen Entschluss. Im Zug war ein schreckliches Gedrängel, man konnte weder sitzen noch stehen, man lief über Leute hinweg , trampelte auf Kindern herum. Auf jeder Station kamen neue Passagiere dazu, und es gab Schlachten zwischen den Hinzugekommenen und denen, die vorher da waren. Immer wenn Flugzeuge auftauchten, hielt der Zug an, und die Leute trampelten sich gegenseitig nieder und sprangen heraus, um in den Gräben in Deckung zu gehen. Wenn ein Angriff vorbei war, drängte man sich wieder in den Zug , man verlor seine Familie und seine Sachen. Die ganze Zeit hörte man das Geschrei von Bestohlenen, das Weinen von Kindern und Rufe. Auf diese Weise fuhren wir zwei Tage und zwei Nächte nach Lwów. Es hieß, Lwów wird verteidigt, hier findet eine große Schlacht statt. Sie hoben Gräben aus, selbst alte Juden mit Schläfenlocken hoben mit aus.

Am Tag , als der Krieg ausbrach, rannten die Leute hin und her und wussten nicht, was sie anfangen sollten. Der Rabbi war so aufgeregt, dass er uns nach Hause schickte, doch am Sonntag ging ich wie sonst in den Cheder. Es kamen nicht sehr viele Kameraden, aber der Unterricht fand statt. Plötzlich ertönten fürchterliche Schläge, und wir sahen, dass die Zimmerdecke brannte. Der Lehrer befahl uns, aus dem Fenster zu springen, einer nach dem andern. Wir wollten nach Hause laufen, aber der Rabbi erlaubte es nicht, weil der Himmel schwarz war vor Flugzeugen, und er führte uns in ein Steinhaus, wo sich ein Luftschutzkeller befand. An diesem Tag brannte unser Haus mit allen Sachen ab, und Vater sagte, wozu unser Leben in der Stadt aufs Spiel setzen, verstecken wir uns lieber auf dem Land. Wir kamen bei einem Bauern in der Scheune unter. Er baute aus ein paar Ziegelsteinen einen Herd für uns, auf dem Mama Kartoffeln kochte, aber vor Rosch ha-Schana schickte man nach Vater, weil die Stadt ohne Schächter war, also kehrten wir nach Tomaszów zurück und wohnten bei Verwandten.

Am Freitag , dem 1. September, flohen die Schüler der Jeschiwa zu ihren Familien, aber ich konnte nicht weg , weil die Bahnverbindung nach Różan unterbrochen war.

Als Schüsse ertönten, packten wir die Sachen und versteckten uns im Luftschutzkeller. Einige Stunden später gaben die polnischen Behörden Befehl, das Städtchen zu verlassen, aber die Bahnstation war zerbombt, und wir mussten zu Fuß nach Nowy Targ gehen. Sie bombardierten den Zug , und wir kamen erst nach drei Tagen in Podhorce an, wo wir Bekannte hatten.

Als der Krieg ausbrach, war ich mit Mama in der Sommerfrische in Falenica. Als die Deutschen das Waisenhaus in Otwock bombardiert und viele Kinder getötet hatten, ließen wir alles stehen und liegen und kehrten mit der Bahn nach Warschau zurück. Die dunkle Stadt machte einen schrecklichen Eindruck, und ich hatte Angst, dass ich Mama verliere.

Als der Krieg ausbrach, befanden wir uns in einem Obstgarten bei Skolimów und kehrten zu Fuß nach Warschau zurück. Die Wohnung fanden wir aufgebrochen und geplündert vor. In unserem Viertel waren die meisten Bomben gefallen und die meisten Menschen umgekommen.

Mein Onkel war nach Warschau gefahren, um Ware zu holen, und an dem Tag , an dem er zurückkam, brach der Krieg aus. Der Zug wurde bei Garwolin bombardiert, und der Onkel kehrte zu Fuß, mit verletztem Arm zurück. Er riet uns, aus Chełm wegzugehen, wo sich Rüstungswerke befanden. Am Sonnabendabend bestiegen wir zusammen mit Großvater, Großmutter, den Onkeln, Tanten und ihren Kindern einen Wagen, insgesamt elf Personen. Die Straße war von kaputten Autos und toten Pferden verstopft. Die deutschen Flugzeuge flogen tief und beschossen die Leute. Wir gingen in Gräben in Deckung und hörten das Wimmern der Verwundeten, für die sich keiner interessierte.

Am Sonnabend, dem 2. September, bombardierten die Deutschen Limanowa.

Am Sonnabendmorgen kam Vater sehr aufgeregt aus dem Bethaus heim und sagte, die Deutschen kommen angeblich nach Rabka. Mama ließ alles auf dem Herd stehen und packte die Kissen ein. Meinem Bruder Meir, der zwölf Jahre alt war, gab sie einen kleinen Koffer und mir ein Päckchen. Alle Juden gingen auf die Flucht, und es blieben nur ein paar alte Männer zurück, die nicht mehr reisen konnten. Unterwegs gab es so viele Menschen mit Bündeln auf dem Rücken, Pferdewagen und Autos, dass wir nur mit Mühe bis Wiśniowiec kamen. Dort mietete Vater ein Fuhrwerk, für das wir viel Geld bezahlten, aber nach ein paar Stunden sagte der Bauer, weiter fährt er nicht, und befahl uns abzusteigen. Vater flehte ihn an, er solle Mitleid mit den Kindern haben, Mama weinte, aber es half nichts, er stieß uns vom Wagen und fuhr weg. Vater hatte nicht die Kraft, das Bettzeug zu tragen, er warf es also an den Straßenrand, Mama warf den Koffer weg. Wir langten in Rzeszów an, wo wir am nächsten Tag in den Zug nach Jarosław stiegen.

Die Deutschen bombardierten Wyszków schon einen Tag nach Kriegsausbruch. Die Menschen sprangen aus den Fenstern der brennenden Häuser.

Am Sonnabend, dem zweiten Kriegstag , begann die Bombardierung von Siedlce. Die Piękna-Straße, wo sich die schönsten Geschäfte befanden und die reichen Juden wohnten, brannte vollständig ab. Auch die Kozia-Straße, die Straße der Handwerker.

Die Deutschen bombardierten Siedlce Tag für Tag. Um acht Uhr morgens kamen die Erkundungsflugzeuge und um neun Uhr die Bomber, und die Bombardierung dauerte bis elf Uhr. Ähnlich war es nach dem Mittagessen. Die Stadt brannte. Die Leute flüchteten aufs Land, legten sich auf dem Feld hin oder unter Bäume, weil die Keller zu Gräbern wurden. Im Laufe von zehn Tagen wurden zweitausendfünfhundert Tote gezählt. Am Sonnabend, dem 9. September, um neun Uhr morgens rannten wir wie die anderen aus dem Haus und suchten Deckung in den für die Verteidigung vorbereiteten Schützengräben. Als wir zurückkamen, hatten wir kein Dach mehr über dem Kopf. Unsere ganze Habe war verbrannt, zusammen mit den Büchern und den Erinnerungsstücken, die von Generation zu Generation weitergegeben worden waren. Am schlimmsten waren die von Juden bewohnten Straßen zerstört. Wir sahen flüchtendes Militär. Auch viele Zivilisten, besonders junge Leute, flohen. Wir kamen unter in einem verschont gebliebenen Haus und dachten voller Furcht an das Morgen.

Die deutschen Flugzeuge bombardierten die Eisenbahnstation in Mrozy und am nächsten Tag unsere Stadt. Eine Bombe schlug neben der Kirche ein und tötete zweiunddreißig Juden, die in der Schlange nach Brot anstanden. Unter den Toten erkannte ich den sechsjährigen Mendele. Überall brachen Brände aus. Vater nahm mich an der Hand, und wir rannten in die Eisfabrik, die aus Stein gebaut war und vor der Stadt stand, aber bald mussten wir weiter flüchten, weil auch dort das Feuer hinkam. Dann verlor ich Vater und hockte die ganze Nacht mit meinem Bruder Abram auf einem Feld. Ganz Kałuszyn brannte, und es war taghell. Die Kinder weinten vor Hunger, ein Jude rannte ins Dorf und brachte uns Brot. Er trug ein wenige Monate altes Kind auf dem Arm, dessen Mutter umgekommen war. Am dritten Tag gingen wir nachsehen, was von unserem Haus übriggeblieben war. Wir sahen schwarze Schornsteine. Es roch schrecklich, viele Pferde und Kühe waren in den Ställen lebendig verbrannt. Viele Alte und Kranke konnten nicht rechtzeitig fliehen. An dem Bach, der dort vorbeifloss, erkannten wir die Stelle, wo vorher unser Haus gestanden hatte. Wir wühlten in den Trümmern, und Abram stieß einen Freudenschrei aus, weil er die Nähmaschine entdeckt hatte. Es war eine neue Maschine, die das ganze Vermögen meines Vaters darstellte. Auch ein paar Töpfe fanden wir. Wie wir so in den Trümmern unseres Hauses herumstocherten, kam Vater verweint zu uns, weil er eben erfahren hatte, dass unser Großvater in den Flammen umgekommen war. Großvater war achtzig Jahre alt, er war blind und wohnte im Obergeschoss, in den Brandresten hatte man seinen Leichnam gefunden. Verschont geblieben waren ein paar Steinhäuser in der Warszawska-Straße und das Bethaus. Darin suchten alle Obdachlosen Zuflucht, das Gedränge war schrecklich, und die Kinder weinten unablässig.

Als unser Haus in Kałuszyn abgebrannt war, wohnten wir vor der Stadt bei einem Bauern, und dort bekam Mama ein Kind. Die Bauern brachten uns Milch, Kartoffeln und Grütze, und Mama weinte den ganzen Tag.

Die Bombardierung von Brok dauerte einen ganzen Tag , und die meisten Häuser brannten ab. In unserer Straße blieb nur unser Haus verschont.

Als sie anfingen, Goworowo zu bombardieren, flüchteten wir aufs Land und streunten mehrere Tage lang herum, aber am Sonnabend beschloss Vater, nach Hause zurückzugehen.

Die Schlacht um Różan dauerte drei Tage und drei Nächte, und das Städtchen wurde so zerstört, dass es sinnlos war, dorthin zurückzugehen.

*

In Lwów hieß es, es wird keinen Krieg geben und wir kommen mit dem Schrecken davon, als sie Alarm gaben, dachten also alle, das ist zur Probe, und ein paar tausend Menschen kamen um, ehe sie in die Luftschutzkeller gelangen konnten.

In Mielec befanden sich Flugzeug- und Munitionsfabriken, die mehrere tausend Arbeiter beschäftigten, aber nicht einen einzigen Juden. Die Arbeiter waren furchtbare Antisemiten und vergifteten die Atmosphäre in der Stadt. Die Deutschen bombardierten die Stadt mehrere Tage lang , und dann erfolgte ein konzentrierter Fliegerangriff auf die Munitionsfabrik, und es kamen siebzig Personen ums Leben. Am andern Tag wurden zwanzig Leute aus der Fabrik wegen der Weitergabe von Informationen an den Feind erschossen, darunter der Direktor und die Meister. Einen ertappte man, wie er in der Nacht auf einem Baum saß und den Flugzeugen Zeichen gab.

Als die Bombardierung des Klosters anfing , flüchteten wir an das andere Ende von Biłgoraj zum Onkel. Der stärkste Fliegerangriff erfolgte am Montag , dem 4. September. Auf die Nachricht hin, dass die Synagoge und das Bet ha-Midrasch brennen, lief Vater los, um nach unserm Haus zu sehen, und er sah es in Flammen stehen. Von mehreren hundert Häusern blieben nur zwanzig verschont.

Unser Städtchen wurde am 8. September bombardiert, vierzehn Flugzeuge nahmen an der Bombardierung teil. In Nachal wohnten dreitausend Menschen.

In Izbica lebten eintausendzweihundert Juden. In der zweiten Kriegswoche begann die Bombardierung.

In Krzeszów lebten hundertundfünfzig Juden. Die Polen bezogen Stellung im nahe gelegenen Stalowa Wola und feuerten vom Frycz-Berg aus auf die Deutschen. Um sie besser sehen zu können, brannten sie unser Städtchen nieder.

Neben unserem Haus und der Brauerei befand sich die Munitionsfabrik, die Ziel der Bombenangriffe war, und die Bomben fielen auf unser Haus.

Als sie unser Haus bombardierten, zogen wir zur Tante in die Gęsia-Straße. Vor Rosch ha-Schana, als Mama in die Synagoge wollte, begann wieder ein Bombenangriff, und das Haus der Tante brannte ab. Wir gingen zu einem Cousin in die Pańska-Straße. Ums Essen stand es immer schlechter, und Mama weinte, weil sie kein Brot für uns hatte. Eines Tages kam Vater heim und brachte eine Menge Brot mit. Wir aßen drei Tage an diesem Brot.

Während der Bombardierung von Warschau saßen wir ganze Nächte und Tage lang im Keller. Mama erlaubte nicht, dass Vater wegen Essen nach draußen geht. Sie sagte, besser, die Kinder sind hungrig , als dass sie den Vater verlieren. Dann zerstörte eine Bombe die Konservenfabrik, und wir holten Büchsen mit Sprotten, Gurken und Tomaten dort heraus. Am schlimmsten war es, wenn es kein Wasser gab. Die Leute gingen an die Weichsel, und viele kamen nicht wieder.

Eine Woche nach Kriegsausbruch, als der Befehl herauskam, dass alle Männer Warschau zu verlassen haben, fuhren wir mit Pferden nach Brześć und von dort mit der Bahn nach Łuniniec. Einen Tag vor dem Einmarsch der Russen riet man uns, das Gut zu verlassen, aber Vater wusste nicht, wohin wir flüchten sollten. Die Offiziere, die zu uns kamen, waren apathisch und desorientiert, und die Züge wussten nicht, in welche Richtung sie fahren sollten. Wir fuhren auf einem Fuhrwerk nach Sarny.

Herr Bluman, der Besitzer der Firma, in der Vater arbeitete, bekam irgendwo Benzin und nahm uns in seinem Auto nach Warschau mit. Auf der von Flüchtlingen verstopften Landstraße brauchten wir eine ganze Nacht nach Lublin. Da die Regierung in Lublin war, bombardierten die Deutschen die Stadt auf schreckliche Weise, und wir mussten auf den Feldern in Deckung gehen. Zusammen mit den Truppen brachen wir zur rumänischen Grenze auf, aber wir kamen so langsam voran, dass wir es nicht schafften, sie zu überqueren.

Die Deutschen bombardierten unsere Stadt auf schreckliche Weise, also mieteten wir uns ein Fuhrwerk und fuhren los. Wir sahen eine Menge Flüchtlinge. Fuhrwerke verbauten den Weg , neue Autos standen verlassen da, weil es kein Benzin gab. Nach drei Tagen langten wir in Dubienka an, wo Mamas Vater wohnte.

Tag für Tag bombardierten sie unsere Stadt, also luden wir unsere Sachen auf ein Fuhrwerk und fuhren los, aber gleich vor der Stadt beschlagnahmten sie unser Fuhrwerk für das Militär, und wir mussten zu Fuß gehen, die Bündel auf dem Rücken. Die Soldaten vertrieben uns von der Landstraße, sie behaupteten, unsere Bündel dienten den deutschen Flugzeugen als Zeichen. Um ein Uhr nachts kamen wir endlich in Bochnia an. Am Morgen waren wieder Flugzeuge im Anflug. Sie kamen tief herunter, warfen Brandbomben und feuerten aus Maschinengewehren. Wir versteckten uns in einem eingestürzten Haus. Als es ruhiger geworden war, kaufte mein Vater ein Pferd und einen Wagen, und wir fuhren weiter, aber wir wussten nicht wohin, denn wo wir auch ankamen, gleich waren wieder Deutsche da, als würden sie uns verfolgen.

Wir konnten kein Fuhrwerk bekommen, weil alle Pferde für das Militär beschlagnahmt worden waren, aber die Soldaten waren gut und nahmen uns auf die Wagen. Der eine Wagen war so mit Lebensmitteln vollgeladen, dass er nur drei Kinder mitnehmen konnte, also setzten sie mich auf einen anderen, und Mama lief hinterher. In der Nacht bog der Wagen in einen Seitenweg ab, und am Morgen sah ich, dass ich allein war. Flugzeuge waren im Anflug. Sie flogen so tief, dass ich die Menschen darin sitzen sah. Die Soldaten zerstreuten sich in den Wald, und ich zog die Plane über mich und dachte bei mir, es wäre besser, sie töten mich, als dass ich allein bleibe. Dann rannte ich über die Landstraßen und weinte. Die Soldaten nahmen mich auf einem Fuhrwerk mit und sagten, vielleicht finde ich meine Mutter in Krakau wieder. Ich fand Mama nicht in Krakau, aber ich traf unsere Nachbarn, die auch aus Bielsko geflüchtet waren. Krakau wurde beschossen, also fuhren wir nach Wisznice. Weiter waren alle Wege abgeschnitten, und man befahl uns, uns in einem Keller zu verstecken.

Die Deutschen, die Deutschen, die Deutschen

Eine Woche nach Kriegsausbruch kam meine Tante angerannt und schrie, die Deutschen kommen. Wir erschraken, weil wir nicht vermutet hatten, dass sie so nahe sind. Mein Vater, der religiös war und einen Bart trug , fürchtete sich, im Dorf zu bleiben, und floh nach Łańcut. Einige Stunden später klopfte es an unsere Tür. Onkel Lejb machte auf, und es kamen fünf Deutsche herein. Sie fragten, wer der Besitzer ist. Der Onkel antwortete, der Besitzer ist geflohen. »Und warum seid ihr nicht geflohen ?«, rief ein Deutscher und fing an, mit der Reitpeitsche auf alle einzuschlagen. Dann fragte er, wo noch Juden wohnen. Meinem Bruder gelang es, durch die Seitentür zu entwischen, er warnte die Nachbarn, und wie die Deutschen also unser Haus verließen, sahen sie die Juden über die Felder in Richtung Stadt rennen. Sie schossen, aber sie trafen niemanden. Dann gaben die Deutschen Befehl, dass bis um sechs Uhr abends kein einziger Jude mehr im Dorf zu sein hat, und wenn sie einen treffen, dann erschießen sie ihn auf der Stelle, also packten wir rasch unsere Sachen und flüchteten nach Łańcut.

Meine Mutter buk Brot, als die Bombardierung begann. Sie ließ alles stehen und liegen, und wir flüchteten in den Wald. Am andern Tag kamen die Deutschen nach Izbica – drei Tanks und viele Motorräder. Alle verkrochen sich, und es war keine Menschenseele auf der Straße, nur der Schächter Chaim Falek verschloss gerade sein Tor. Die Deutschen schossen, und sie töteten ihn. Dann riefen sie alle Männer heraus und befahlen ihnen, mit erhobenen Armen dazustehen. Nach einer Stunde kam ein Offizier, und dem fiel einer von Joseks Söhnen auf, der sehr großgewachsen war. Die ganze Familie war so groß, und sie waren im Städtchen beliebt. Der Offizier schoss und verwundete den Riesen. Man brachte ihn ins Spital nach Zamość, aber er starb. Das ganze Städtchen weinte um den schönen Jungen. Unter den Deutschen waren österreichische Offiziere, die uns trösteten, dass bald die Russen kämen.

Zuerst bombardierten deutsche Aeroplane die Bahnstation und ein paar Tage später das jüdische Viertel, also flüchteten wir aus Łuków nach Stoczek. Sechs Tage danach fuhren die Deutschen in Stoczek ein, donnerten an die Haustüren und brüllten : »Juden heraus !« Als wir herauskamen, befahlen sie uns, uns in Reihen aufzustellen. Ein paar Juden erschossen sie auf der Stelle, und den anderen befahlen sie, das Allernotwendigste mitzunehmen und das Städtchen zu verlassen, das sie nach unserem Fortgehen niederbrannten.

Die Deutschen bombardierten Stoczek Łukowski am 7. September. Die Flugzeuge flogen sehr tief und warfen Brandbomben ab, sodass man das Feuer nicht löschen konnte. Mama flüchtete mit uns in das Dorf Gizubek, und mein Vater blieb. Am 12. September sahen wir einen riesigen Feuerschein und am nächsten Morgen Menschenmassen. Das waren Flüchtlinge aus unserem Städtchen, unter anderem unser Vater. Er erzählte, die Deutschen hätten alle Häuser in Brand gesteckt und niemandem erlaubt, seine Habe zu retten. Wir fuhren nach Łuków.

Die ganze Nacht ertönten Schüsse, und am Morgen hörten wir die Deutschen, die brüllten, alle Juden sollen aus ihrem Versteck kommen, wenn nicht, werden sie schießen. Der Mann von Frau Rachela, Herr Wolf, ging hinaus. Sie holten auch ihren Bruder Abram. Am Abend, als die anderen Männer nach Hause kamen, lief Frau Rachela, um sie zu suchen. Ich lief hinter ihr her. Wir fanden sie vor der Kirche unter den toten Juden. Es lagen dort auch tote Soldaten, es hieß, das sind jüdische Kriegsgefangene. Der Platz war rot vor Blut. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen, und ich hörte Jammern und Weinen. Die Deutschen erlaubten nicht, die Toten von dort fortzuholen. Ein paar bekannte Juden gingen zum General und bekamen die Erlaubnis, aber die Deutschen vor der Kirche glaubten das nicht und drohten, wenn sich herausstellt, dass das nicht wahr ist, erschießen sie noch hundert Juden. Erst als es der General bestätigte, erlaubten sie, die Toten wegzuholen. Es waren nicht genug Männer da, um so viele Gräber zu schaufeln, also halfen die Frauen der Getöteten. Ich stand mit den Kindern von Herrn Wolf dabei und sah, wie ihre Mutter das Grab zuschüttete. Auf dem Friedhof waren alle Kinder aus Wisznice, deren Väter erschossen worden waren. Viele Kinder hielten Schokolade in der Hand, die ihnen die Soldaten gegeben hatten. Es hieß, das sind Österreicher, weil sie die Juden nicht schlugen, sondern nur die Waren aus den Geschäften holten. Sie riefen die Jiddisch sprechenden Jungs zu sich und unterhielten sich lachend mit ihnen. Ich sah, wie die Kinder auf dem Friedhof die Schokolade wegwarfen. Ich kehrte mit Frau Rachela, ihrer Schwägerin und Frau Masza, deren Mann sie auch in Wisznice umgebracht hatten, nach Bielsko zurück. Uns schloss sich ein Junge an, der nicht wie ein Jude aussah und gut Deutsch sprach. Er hielt deutsche Soldaten an und bekam Brot und Konserven von ihnen, die er mit uns teilte. Einmal fragte ihn eine deutsche Patrouille, wer wir sind. Er sagte, Waisen, deren Väter sie umgebracht haben. »Wer hat sie umgebracht ?« fragten die Deutschen. »Banditen«, antwortete der Junge.

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Die Deutschen zogen am 6. September in Goworowo ein. Am nächsten Tag schossen sie grundlos auf Türen und Fenster und brannten die Synagoge nieder. Alle Männer zwischen siebzehn und vierzig Jahren holten sie zur Arbeit nach Preußen. Sie machten sich nicht die Mühe, nach denen, die sich versteckt hatten, zu suchen, sondern zündeten die Häuser an. Dabei kamen hundertundfünfzig Personen ums Leben. Mein Vater und mein großer Bruder saßen im Keller. Als uns das Essen ausging , stahlen wir uns in der Nacht nach draußen und gingen in Richtung Bug.

Die Deutschen marschierten vor dem Abend in Brok ein und befahlen allen Juden, sich in der Kirche zu versammeln. Die älteren Juden nahmen die Torarollen mit. Die Deutschen schlossen die Kirche ab und erklärten, sie würden uns mitsamt der Kirche verbrennen. Das Weinen und Wehklagen dauerte die ganze Nacht. Am nächsten Morgen holten sie die jüngeren Männer zur Arbeit, den Rest ließen sie laufen. Viele Juden, deren Häuser niedergebrannt worden waren, kamen zu uns. Dauernd kamen deutsche Soldaten herein und nahmen Sachen mit oder vernichteten sie. Einmal holten sie ein paar Kilo Mehl und verstreuten einen ganzen Sack. Dann zündeten sie in der Nacht unser Haus an, und wir schafften es gerade noch zu fliehen. Nach diesem Feuer blieb nur ein einziges jüdisches Haus übrig , das vom Schächter Szmul, und alle suchten dort Zuflucht. In der Nacht klopften die Deutschen. Man konnte nicht sofort aufmachen, weil die Menschen auf dem Fußboden schliefen. Als man öffnete, schossen sie auf den zunächst stehenden Juden. Er hieß Kaprański. Sie durchsuchten das Haus und nahmen alles mit, was irgendwie von Wert war, und dann führten sie alle Männer, darunter auch meinen Vater, zum Marktplatz und erschossen sie. Nur der Schächter und der Rabbiner konnten sich rechtzeitig verstecken, sie stahlen sich in der Nacht aus dem Städtchen, aber auf dem Weg nach Ostrów stießen sie auf ein deutsches Auto. Zwei Deutsche stiegen aus und erschossen den Schächter, den Rabbiner verwundeten sie und ließen ihn am Weg liegen. Der Rabbiner schleppte sich bis nach Ostrów, und dann schlug er sich bis nach Wilno durch. Mich und meine Mutter brachte ein Mann aus dem Dorf, den wir kannten, ans andere Flussufer, und wir blieben bei dem jüdischen Gutsbesitzer Szczeciner. Als wir erfuhren, dass die Bolschewiken Brok besetzt hatten, kehrten wir ins Städtchen zurück, aber nach vier Tagen erklärten die Bolschewiken, sie ziehen ab, also fuhren wir nach Kosów, wo mein verheirateter Bruder wohnte.

Als die Deutschen in Włodawa einmarschierten, versteckten sich die Juden in den Kellern und auf den Dachböden, weil die Deutschen die Leute zur Arbeit fortholten, wo sie sie zu Tode prügelten. Wir zitterten vor Angst, aber man durfte nicht weinen, weil die Deutschen das hören konnten. Nach mehreren Tagen zerrten die Deutschen die Männer aus den Verstecken, auch unseren Vater, und schlossen sie im Bethaus ein. Sie ließen die Frauen nicht hin und sagten, sie zünden das Bethaus an. Die Frauen standen bis zum Abend, aber dann mussten sie weggehen, denn nach Einbruch der Dunkelheit war es für Juden verboten, sich auf der Straße aufzuhalten. In dieser Nacht taten wir kein Auge zu. Mama stand am Fenster und schaute zum Bethaus hinüber, und im Morgengrauen nahm sie einen Korb mit Essen und ging mit den andern Frauen zum Bethaus. Zu Mittag wurden alle freigelassen, und die Deutschen zogen ab aus Włodawa, dafür besetzten die Russen die Stadt. Als wir nach acht Tagen erfuhren, dass die Russen abziehen, schnürten alle Juden ihr Bündel und setzten über nach Włodawka, auf die andere Seite des Bug.

Wir flüchteten aus Różan nach Włodawa, und als die Deutschen kamen und die Judenverfolgung begann, zogen wir um nach Ostrów Mazowiecka, wo unser Cousin wohnte. In Ostrów veranstalteten die Deutschen Pogrome gegen die Juden, und die Polen halfen ihnen dabei. Viele Juden flüchteten auf die sowjetische Seite. Zurück blieben die Alten, Kranken und Familien mit kleinen Kindern.

Die Deutschen hielten uns bei Ostrów fest und nahmen meinen achtzehnjährigen Bruder Chaim mit nach Komorowo, wo sich die polnischen Kasernen befanden. Drei Tage und drei Nächte befahl man ihnen, im Schlamm zu knien, und man gab ihnen kein Brot und kein Wasser, und in der Nacht schaltete man die Scheinwerfer an, und wenn sich einer vom Fleck rührte, schoss man mit Maschinengewehren. Zwei polnische Kriegsgefangene neben Chaim wurden von Kugeln getroffen, viele Menschen starben vor Erschöpfung. Dann befahl man ihnen, die Landstraße zu pflastern, und erst am fünften Tag gab man jedem ein Stückchen Brot und die Päckchen von den Familien. Als mein Bruder nach drei Wochen heimkam, erkannten wir ihn kaum wieder.