Kinderköpfe ticken anders - Kate Silverton - E-Book

Kinderköpfe ticken anders E-Book

Kate Silverton

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Beschreibung

Wutausbrüche, Trotzanfälle, Streit und Tränen: Besonders in den ersten fünf Jahren haben Eltern häufig mit dem Verhalten ihrer Klein- und Vorschulkinder zu kämpfen. Stress, Enttäuschungen und Unzufriedenheit sind nicht selten die Folge solcher Situationen – auf beiden Seiten.

Doch so muss es nicht sein. Kate Silvertons bahnbrechend neues Erziehungskonzept erklärt Eltern, warum kleine Kinder sich „so unmöglich aufführen“. Wichtig ist es zu verstehen, dass sich das noch entwickelnde Kindergehirn von dem Erwachsener unterscheidet und das Verhalten von Kindern entscheidend beeinflusst.

Mit Kate Silvertons praktischen Strategien können Eltern rücksichtsvoll und einfühlsam reagieren und die Basis für die psychische Gesundheit und das emotionale Wohlbefinden ihrer Kinder in der Zukunft schaffen.

Denn Kinderköpfe ticken anders – und das ist gut so.

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Seitenzahl: 445

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Buch

Wutausbrüche, Trotzanfälle, Streit und Tränen: Besonders in den ersten fünf Jahren haben Eltern häufig mit dem Verhalten ihrer Kinder zu kämpfen. Stress, Enttäuschungen und Unzufriedenheit sind nicht selten die Folge solcher Situationen – auf beiden Seiten.

Doch so muss es nicht sein. Kate Silvertons bahnbrechend neues Erziehungskonzept erklärt Eltern, warum kleine Kinder sich »so unmöglich aufführen«. Wichtig ist es zu verstehen, dass sich das noch entwickelnde Kindergehirn von dem Erwachsener unterscheidet und das Verhalten von Kindern entscheidend beeinflusst. Mit Kate Silvertons praktischen Strategien können Eltern rücksichtsvoll und einfühlsam reagieren und die Basis für die psychische Gesundheit und das emotionale Wohlbefinden ihrer Kinder in der Zukunft schaffen.

Autorin

Kate Silverton ist studierte Entwicklungspsychologin und beliebte BBC-Journalistin. Sie setzt sich seit Jahren leidenschaftlich für Kinderrechte und Kindeswohl in der Welt ein. Inzwischen selbst Mutter von zwei Kindern absolvierte sie eine Weiterbildung zur Kinder-Psychotherapeutin. Heute berät sie Eltern und Erziehende. Ihre therapeutische Erfahrung mit Kindern sowie intensive Gespräche mit führenden Neurowissenschaftlern, Psychiatern und Psychotherapeuten inspirierten sie zu diesem Buch. Ihr Motto: »Einfach von der Schwangerschaft bis zum fünften Lebensjahr alles richtig machen, dann gehen unsere Kinder fit ins Leben.«

KATE SILVERTON

KINDERKÖPFE

ticken anders

EINFACH VERSTEHEN, WIE SICH DAS GEHIRN ENTWICKELT

Aus dem Englischen von Karin Wirth

Die englische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »There’s No Such Thing As ›Naughty‹« bei Piatkus, London.

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe März 2023

Copyright © 2021 der Originalausgabe: Kate Silverton

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Illustrationen: Korda Ace (www.korda-ace.com) © Pangolin Media Ltd 2021

Umschlag: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München; Illustration: Korda Ace (www.korda-ace.com) © Pangolin Media Ltd 2021

Redaktion: Dagmar Rosenberger

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

EB ∙ IH

ISBN 978-3-641-2-9435-9V001

www.goldmann-verlag.de

Für Mike, Clemency und Wilbur,

meine See und meine Sterne.

Inhalt

Einleitung – Warum ich dieses Buch geschrieben habe

Teil I: Unser Kind verstehen – mit der Eidechse, dem Pavian und der Eule

1 Die Eidechse, der Pavian und die kluge Eule

2 Was im Gehirn passiert, bleibt nicht dort

Teil II: Erziehen – mit der Eidechse, dem Pavian und der Eule

3 Mit Gefühlsausbrüchen umgehen und STOP3N anwenden

4 Emotionsregulation und die SAB-Erziehung

5 Weinen als Kommunikation

6 Sternsprünge, Stress und »Salsa Shimmy«

7 Der Weihnachtsmann und Alarmstufe Rot

8 Verträge, Grenzen und Konsequenzen

9 Warum Etiketten »böse« sind

10 Zehn Bonusminuten und Heldenstunden

11 Warum wir zum Spielen immer »Ja« sagen sollten

12 Wie man Streitschlichter wird

13 Große Veränderungen im Leben sicher bewältigen

14 Aus einem leeren Becher kann man nichts ausschenken

Anmerkungen und Quellen

Weiterführende Informationen

Dank

Register

Ich widme dieses Buch allen Eltern, überall. Ich zolle denen Achtung, die als Team oder allein Kinder aufziehen, die ihren Partner durch Tod, Scheidung oder Trennung verloren haben, die Großeltern, Pflegeeltern, Stiefeltern, Adoptiveltern und Hauptsorgeberechtigte sind.

Sie sind alle wunderbare, empathische, freundliche und fürsorgliche Menschen, die die Aufgabe übernommen haben, ein Kind aufzuziehen – oft die schwierigste Aufgabe der Welt und zweifellos die wichtigste.

Das ist die Geschichte von drei Tieren und einem Baum – der Eidechse, dem Pavian, der klugen Eule und dem Baobab – und davon, wie sie gemeinsam unser Gehirn repräsentieren, und wie jedes von ihnen das Verhalten unserer Kinder und unser eigenes beeinflusst.

Es ist eine Geschichte, die erklärt, warum es für unsere Kinder unter fünf Jahren das Etikett »böse« nicht gibt. Und warum wir unsere Kinder gut für das Leben rüsten können, wenn wir ihnen in den ersten fünf Lebensjahren das Richtige mitgeben.

Ich freue mich so, Ihnen zeigen zu können, wie man das macht.

Einleitung – Warum ich dieses Buch geschrieben habe

Als ich – nach vielen schmerzlichen Erfahrungen, vier gescheiterten künstlichen Befruchtungen, zwei Fehlgeburten und totaler emotionaler Erschöpfung – endlich Mutter wurde, war ich außer mir vor Freude! Ich war mit 40 auf natürlichem Weg schwanger geworden, was angesichts der Tatsache, dass sogar die Ärzte die Hoffnung scheinbar schon aufgegeben hatten, erstaunlich war. Mit 43 wurde ich noch einmal auf natürlichem Weg schwanger. Meine Kinder, Clemency und Wilbur, fühlten sich wirklich wie Geschenke des Universums an. Es gab Euphorie und absolute Dankbarkeit, aber auch viele Fragen:

Erstens: Wow – warum hat uns niemand gesagt, dass es so schwierig sein würde?

Zweitens: Äh – warum war es so schwierig?

Und drittens: Finden es alle anderen auch so schwierig?

Sechs Wochen nachdem wir Clemency zu Hause willkommen geheißen hatten, rief sogar mein Mann, ein Ex-Marine, aus: »Mein grünes Barett zu bekommen war einfacher als das!« Und eine Weile später: »Ich habe mehr Ratschläge bekommen, als ich mir einen Welpen zugelegt habe!«

Es ist wahr: Über die harte Realität des Elternseins tauschen sich Freunde selten aus. Mein Mann scherzt, dass man sonst wahrscheinlich nie Kinder bekommen würde. Ich glaube, dass es vielleicht daran liegt, dass wir unsere Kinder heute zunehmend isoliert aufziehen, ohne die Unterstützung der traditionellen Gemeinschaft, der wir früher angehört hätten. Damals konnten wir noch instinktiver erziehen, als wir noch nicht so sehr unter Schlafmangel litten und den Vorteil einer erweiterten Familie hatten, die beim Kochen und bei der Betreuung des Babys half, und die Älteren ihre Weisheiten und praktischen Ratschläge von Generation zu Generation weitergaben.

Wir leben vielleicht in anderen Zeiten, aber wir haben immer noch dieselben Hoffnungen und Wünsche und denselben Traum, die besten Eltern zu sein. Wir wünschen uns immer noch die Bestätigung, dass wir »es richtig machen«, und wir wollen sicher sein, dass unsere Kinder sich wertgeschätzt, beschützt und geliebt fühlen, während sie heranwachsen.

Und natürlich bekommen wir Ratschläge, aber in den letzten Jahrzehnten scheinen sie sich (verständlicherweise) manchmal eher an den erschöpften Eltern zu orientieren als daran, was für unsere Kinder am besten wäre. So hat es zum Beispiel »die stille Treppe« gegeben, auf der die Kinder zur Strafe sitzen mussten, oder das »Verbannen« in ihr Zimmer oder das »Schreienlassen« von Babys. All das wurde in bester Absicht getan und sollte Eltern, die wenig Zeit hatten, helfen, sich über Wasser zu halten. Aber was wäre, wenn wir die besten unserer alten Weisheiten mit modernster Wissenschaft kombinieren könnten – und zwar so, dass es nicht nur zu unserem Vorteil, sondern auch zum Vorteil unserer Kinder wäre?

Angesichts der psychischen Probleme vieler Kinder wollen wir mehr denn je sicher sein können, dass wir empathische, rücksichtsvolle und freundliche Kinder aufziehen; Kinder, die als Erwachsene emotionale Abenteurer sind, Schwierigkeiten überwinden und sich auf das Leben in seiner ganzen bunten Vielfalt einlassen können.

Nachdem ich Mutter geworden war, wollte ich mehr darüber erfahren, wie ich die geistige und auch die körperliche Gesundheit meiner Kinder fördern kann. Als Journalistin habe ich den Vorteil, Zugang zu einigen der besten Psychoanalytiker, wie Professor Peter Fonagy, Neurowissenschaftler und Psychiater, wie Dr. Bruce Perry, Kliniker und Psychotherapeuten, wie Dr. Gabor Maté, Dr. Margot Sunderland und Liza Elle, zu haben. Ich lud Kinderpsychiater auf eine Tasse Tee zu mir nach Hause ein und bat sie, »ihr Gehirn mitzubringen«. Ich hatte so viele Erziehungsratgeber gelesen und mir so viele unterschiedliche Theorien angeschaut (und war dabei auf einige Mythen gestoßen), dass ich von ihnen hören wollte, warum sich unsere Kinder so verhalten, wie sie es tun. Und vor allem, wie wir als Eltern am besten darauf reagieren.Ich wollte lernen, wie ich zur Entwicklung eines gesunden Gehirns beitragen konnte.

Aus meiner Ausbildung als Kinderberaterin und meiner eigenen Psychotherapieerfahrung wusste ich, dass unsere Erfahrungen in frühester Kindheit uns als Erwachsene prägen. Was ich nicht gewusst hatte und was mich förmlich umgehauen hat, war, dass unsere Kindheitserfahrungen ALLES, von der Gehirnentwicklung bis hin zur Biologie und zu unserem Verhalten, beeinflussen können. Wie wir als Eltern auf das Verhalten unserer Kinder reagieren, beeinflusst direkt ihre Gehirnentwicklung.

Plötzlich sah ich meine Kinder in einem völlig anderen Licht, oder genauer gesagt, sah ich ihr Verhalten in einem völlig anderen Licht. Ich stellte fest, dass ich ganz einfach mit ihren Gefühlsausbrüchen umgehen und Streitereien innerhalb von Sekunden beilegen konnte, und sah, dass Geschwisterrivalität auf Ängste zurückzuführen ist. Kindererziehung war auf einmal so viel einfacher – und meine Kinder waren auch zufriedener! Durch all das, was ich lernte, konnte ich sicherer und intuitiver erziehen, statt im Dunkeln herumzutappen. Das war eine absolute Offenbarung. Und auch für meinen Mann, der nach dem Prinzip »Wer die Rute spart, verwöhnt das Kind« erzogen worden war, war dieser neue Ansatz ein Augenöffner. Und all das ohne eine »stille Treppe« in Sicht!

Ich habe dieses Buch geschrieben, um das, was ich gelernt habe, weiterzugeben, denn es ist zu wichtig, um es für mich zu behalten. Ich glaube, dass alle Eltern erfahren sollten, wie man emotional gesunde Kinder erzieht. Denn das bekommt nicht nur unseren Kindern gut, sondern macht auch unser Leben einfacher und sehr viel angenehmer!

Wissenschaftler wissen schon seit Jahrzehnten, wie das Kindergehirn funktioniert und sich entwickelt. Aber das, was sie wissen (und durchaus auch weitergeben wollten), hat noch nicht wirklich den Erziehungsmainstream erreicht. Warum nicht? Wie die Experten mir auf meine diesbezügliche Frage erklärt haben, liegt es daran, dass »Wissenschaftler Etiketten lieben« und »Wissenschaft kompliziert ist«. Professor Fonagy forderte mich deshalb auf, »es wie eine Geschichte zu erzählen, es einfach zu halten«. Und so nahm ich es in Angriff.

Ich nahm mir die Freiheit, die (sehr komplizierte) Struktur des Gehirns umzubenennen, und entwickelte ein (sehr einfaches) Konzept, um zu erklären, wie das sich entwickelnde Gehirn unserer Kinder ihr Verhalten beeinflusst.

Das Konzept beinhaltet nur drei Tiere und einen Baum: die Eidechse, den Pavian, die kluge Eule und den Baobab-Baum. Es ist super einfach zu erklären und supereinfach umzusetzen.

Ich wollte ein Konzept, das sogar für unsere Kinder leicht zu verstehen ist, und das wir Eltern innerhalb von Sekunden umsetzen können.

Ich möchte betonen, dass dieses Buch wirklich auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Das sage ich, weil ich will, dass Sie sich dadurch gestärkt fühlen. Ich habe das Konzept auf eine vereinfachte und leicht verständliche Art beschrieben, weil es mir wichtig ist, dass jeder es verstehen kann. Denn mit wissenschaftlicher Unterstützung können Sie zuversichtlich voranschreiten, Ihren Instinkten vertrauen und das Konzept Eidechse-Pavian-Eule in der Gewissheit anwenden, dass das, was Sie für Ihre Kinder tun, überprüft und erwiesen ist und auf einem soliden Fundament steht.

Sie finden auch überall im Buch Kästen mit dem Titel »Wissenswert«. Diese enthalten Elemente meiner wissenschaftlichen Recherche, der klinischen Studien, die ich gelesen habe, sowie der Analysen und Kenntnisse der Menschen, die ich interviewt habe und die mich inspiriert haben. Am Ende des Buches finden sich auch viele Quellen und Unterstützungsnetzwerke, falls Sie noch tiefer in das Thema eintauchen wollen.

TEIL I

In den ersten beiden Kapiteln wird der Grundstein gelegt. Hier wird erklärt, wie wir durch unsere Erziehung den Menschen formen, zu dem unser Kind heranwächst: seine Haltung in Bezug auf Risiken, seine Resilienz und sogar seine zukünftigen Beziehungen. Es ist so wichtig, das zu wissen! Das Verhalten Ihres Kindes wird anhand der drei Tiere und des Baobab-Baums erklärt, sodass Sie schon am Ende des ersten Kapitels das nötige Wissen erworben haben, um als »Neurowissenschafts-Ninja« mit jeder Art von Verhalten Ihres Kindes umzugehen – von Gefühlsausbrüchen und Tränen bis hin zu Kämpfen und Ängsten. Mein Ehrenwort, so wird es sein. Also bleiben Sie dabei … auf diesem Erziehungs-Ninja-Anstecker steht schon Ihr Name!

TEIL II

Ich beschäftige mich mit all den typischen Erziehungsszenarien. Sie wissen schon, mit denen, die wir alle fürchten: mit Gefühlsausbrüchen in der Öffentlichkeit, Wutanfällen, »Gehorsamsverweigerungen« (wie mein Mann Mike es ausdrückt) und vielen anderen, zum Beispiel dem Umgang mit dem Kindergarten- oder Schuleintritt, mit Trauer, Trennung oder Scheidung. Ich berichte auch von vielen Szenarien aus meiner persönlichen Erfahrung (auch wenn sie für mich eher peinlich sind), damit Sie wissen, dass Sie damit nicht allein sind. Sie hören auch von anderen Eltern, die ihre Erfahrungen teilen, darunter auch mein Ehemann, was wichtig ist, da er ursprünglich in dieser Hinsicht eine etwas andere Perspektive hatte!

Sie finden in jedem Kapitel einfache und praktische Tipps und Werkzeuge sowie einige Anleitungen, weil ich weiß, dass wir uns in bestimmten Situationen, wenn wir am Ende unserer Kräfte sind, oft einfach nur noch wünschen, dass uns jemand sagt, was wir tun sollen! Und zwar jetzt!

Kindererziehung kann schwierig sein. Wir sind oft auf uns allein gestellt und völlig ausgepowert. Ich bin eine berufstätige Mutter, die spät Kinder bekommen hat. Ich weiß, wie anstrengend es sein kann. Ich weiß, mit welchen Schwierigkeiten Eltern heute konfrontiert sind. Ich verstehe jetzt, warum das Aufziehen von Kindern als die schwierigste Aufgabe der Welt gilt.

Aber dank allem, was ich in den letzten zehn Jahren gelernt habe, verstehe ich auch, dass wir viel stärker sind, als wir denken, und viel kompetenter, als wir glauben, und dass wir alle in der Lage sind, Kinder aufzuziehen, die gesund und glücklich sind, und zu denen wir ein Leben lang eine starke Bindung haben.

Ich hoffe, dass Ihnen dieses Buch hilft, die Eltern zu werden, die Sie immer sein wollten. Ich hoffe, dass Sie sich dabei unterstützt und gestärkt fühlen, Ihre eigene Reise zu genießen und vor allem Ihrem Kind zu helfen, eine glückliche und fröhliche Kindheit zu erleben. Ich hoffe, dass es uns allen hilft, eine bessere Zukunft für unsere Kinder zu gestalten und uns selbst dabei wohlzufühlen.

Sollen wir loslegen? Tauchen wir ein – ich bin die ganze Zeit bei Ihnen.

Kate Silverton, Februar 2021

TEIL I

Unser Kind verstehen – mit der Eidechse, dem Pavian und der Eule

Ich glaube, dass es für uns Eltern am hilfreichsten ist, wenn wir uns in unsere Kinder hineinversetzen und wirklich verstehen können, wie sie denken und wodurch ihr Verhalten motiviert ist. Und das ist viel einfacher, wenn wir wissen, wie sich ihr Gehirn entwickelt. In Teil I dieses Buches erkläre ich Ihnen deshalb das Gehirn Ihres Kindes anhand eines supereinfachen Konzepts, das auf drei Tieren basiert: einer Eidechse, einem Pavian und einer klugen alten Eule. Das Gehirn mag komplex sein, aber unser Verständnis des Gehirns muss es nicht sein.

Mit diesen neuen Erkenntnissen werden Sie alles am Verhalten Ihres Kindes verstehen und einsehen, dass es nicht »böse« ist.

KAPITEL 1

Die Eidechse, der Pavian und die kluge Eule

»Sie ist gerade im Trotzalter!«

»Mein Baby klammert so sehr.«

»Meine Tochter will nicht teilen.«

»Mein Sohn beißt.«

»Unsere Zwillinge können nicht stillsitzen.«

»Warum kommen wir nicht rechtzeitig aus dem Haus?!«

»Meine Tochter ist so zornig. Sie schlägt immer wieder ihre Schwester.«

»Wieso tun sie nicht einfach, was man ihnen sagt?!«

Warum verhalten sich unsere Kinder so? Nach der traditionellen Auffassung würde man sagen, dass unsere Kinder »böse« sind. Aber ich sage, dass diese Auffassung falsch ist! Unsere Kinder sind nicht »böse«, sie versuchen nur, uns etwas zu sagen. Auf die einzige Art, die sie kennen.

Kinder unter fünf Jahren zeigen ihre Gefühle durch ihr Verhalten, weil sie oft noch nicht die richtigen Wörter kennen, um sie zu erklären. Und ihre Gefühle können überwältigend sein, so als ob die ganze Welt zum Stillstand kommt, weil sie in diesem Alter noch keinen hoch entwickelten »emotionalen Filter« besitzen, keine Möglichkeit, sich selbst auszuschalten oder zu dimmen. Wenn wir das verstehen und ihr Verhalten interpretieren können (was Sie am Ende dieses Kapitels können werden!), wird Ihnen klar werden, warum ich sage, dass Kinderköpfe anders ticken als die von Erwachsenen. Und dann können wir Eltern sein, die nicht fragen: »Was stimmt nicht mit dir?«, sondern »Was passiert gerade bei dir, bei dem ich dir helfen muss?«

Darum geht es!

Ich weiß, dass es einfach klingt, aber Ihren Kindern zu helfen, mit ihren starken Gefühlen umzugehen, wird eine der größten und besten Investitionen sein, die Sie als Eltern tätigen werden. Sie müssen sich wirklich nicht unter Druck gesetzt fühlen, einen kleinen Einstein oder Mozart zu erschaffen. Wenn wir uns geerdete, glückliche Kinder wünschen, bestätigt die Wissenschaft, was die Natur schon weiß: Unsere Kinder zu lehren, mit ihren Gefühlen umzugehen, ist wichtig für ihr zukünftiges mentales und emotionales Wohlbefinden. Und das Schöne ist, dass die Natur uns alles mitgegeben hat, was wir brauchen, um ihnen dabei zu helfen.

Wissenswert

»Statt einem Baby Lernkarten hinzuhalten, wäre es seinem Entwicklungsstand angemessener, es einfach zu halten und zu genießen.«

Psychotherapeutin Sue Gerhardt in ihrem Buch Die Kraft der Elternliebe

Unsere Emotionen sind das, was wir in unserem Innern spüren. Sie zeigen uns, was im Leben sicher ist und was nicht, worauf wir uns zubewegen und wovor wir weglaufen sollen.

Wie unsere Kinder die Welt erleben und unsere Rolle als Eltern prägen die Person, zu der sie sich entwickeln. Nicht nur ihre körperliche Gesundheit, sondern auch ihr mentales und emotionales Wohlbefinden. Wir können ihnen am besten helfen, wenn wir uns klarmachen, dass sich das Gehirn unserer Kinder noch entwickelt, das heißt, dass sie sich vielleicht ganz anders verhalten und Dinge ganz anders wahrnehmen als wir.

Um es zu verdeutlichen: Was sehen Sie in dieser Abbildung?

Und das sieht unser Kind …

In diesem Alter erleben unsere Kinder die Welt anders, weil ihr Gehirn anders ist. Ihr Gehirn ist mit Wachsen, mit Erkunden, mit Lernen beschäftigt. Weil das Gehirn unserer Kinder noch nicht so weit entwickelt ist wie unseres. Die Arbeit von Professor Peter Fonagy und vielen Forschern auf diesem Gebiet lässt darauf schließen, dass die Entwicklung des menschlichen Gehirns erst mit etwa 25 Jahren abgeschlossen ist. Das heißt, dass das Gehirn Ihres Kindes unter fünf Jahren noch sehr unfertig ist, und das gilt auch für sein Verhalten.

Als ich etwas über die Gehirnentwicklung gelernt hatte, ergab alles, was meine Kinder betraf, plötzlich einen Sinn – warum sie nicht gern teilten, warum mein Sohn seine Schwester schlug und warum wir es alle so schwierig fanden, rechtzeitig aus dem Haus zu kommen!

Ich konnte Wutanfälle abwenden und liebevoll auf Tränen reagieren, Streitereien beenden und erleben, wie meine Kinder Freunde wurden, ohne auf altmodische Strafen wie »Sitzen auf der stillen Treppe« oder »Verbannen« in ihr Zimmer zurückgreifen zu müssen. Ich stellte fest, dass ich mich nun in meine Kinder hineinversetzen konnte, um die Dinge aus ihrer Perspektive zu betrachten und zu verstehen, was sie fühlten und vor allem auch, warum.

Zu verstehen, wie sich das Gehirn unserer Kinder entwickelt, ist unerlässlich, wenn wir ihnen – und auch uns selbst! – helfen wollen, glücklich durchs Leben zu kommen, mit welchen Schwierigkeiten es uns auch konfrontieren mag.

Aber das Gehirn ist ein komplexes Organ, und wenn es um Neurowissenschaften geht, bin ich ein Bär mit einem ziemlich kleinen Gehirn. Als ich anfing, etwas über das Gehirn zu lernen, beschwor all das Gerede von Amygdalas, limbischen Systemen und dorsalen Vagusnerven eher Bilder von Programmierkursen in mir herauf als von dem unglaublichen Organ, das uns am Leben erhält.

Also fing ich an, das Wesentliche herauszudestillieren und ein sehr einfaches Konzept zu entwickeln, das mir half, das Verhalten meiner Kinder auf eine für mich – und ich hoffe, auch für Sie – sinnvolle und leicht nachvollziehbare Weise zu verstehen.

Die Eidechse, der Pavian und die kluge Eule

Als unsere Vorfahren anfingen, auf zwei Beinen zu gehen, konnten sie ihre Hände besser gebrauchen. Die Wissenschaftler glauben, dass der durch die Fähigkeit, mehr Aktivitäten nachzugehen, bedingte Zuwachs an Intelligenz zu einer dramatischen Vergrößerung des Gehirns führte. Aber der aufrechte Gang hatte für uns Menschen noch eine weitere Konsequenz.

Wissenswert

»Gleichzeitig führte das Stehen auf zwei Beinen bei den Frauen zu einem engeren Becken und Geburtskanal. Der größere Kopf und das kleinere Becken bedeuteten, dass das Menschenbaby sehr unreif geboren werden musste.«

Dr. Margot Sunderland, Director of Education and Training, Centre for Child Mental Health, London, in ihrem Buch The Science of Parenting

Ein relativ »unfertiges Gehirn« zu haben, bedeutet, dass wir bei der Geburt und während eines deutlich längeren Zeitraums als unsere Säugetier-Verwandten viel verletzlicher sind. Zum Beispiel können Zebras schon eine Stunde nach der Geburt vor Raubtieren weglaufen; ein Giraffenbaby fällt 1,80 Meter tief aus dem Geburtskanal der Mutter und kann fast unmittelbar danach gehen, wenn auch etwas wackelig, und Delphine können von Geburt an schwimmen. Im krassen Gegensatz dazu werden unsere Babys sehr hilflos geboren. Es dauert ungefähr ein Jahr, bis Kinder einigermaßen sicher gehen können, und noch länger, bis sie selbstständig essen und ihren Körper pflegen können.

Unsere Kinder sind in Bezug auf ihr Überleben vollkommen von uns abhängig, bis ihr Gehirn »aufgeholt« hat. Deshalb findet in den ersten Lebensjahren ein so starkes Gehirnwachstum statt. Das Gehirn muss schnell arbeiten, um die zum Überleben in der jeweiligen Umgebung notwendigen Fähigkeiten zu erwerben.

Das Gehirn entwickelt sich hierarchisch – sozusagen von unten nach oben. Um das Verständnis zu erleichtern, haben Wissenschaftler das Gehirn in verschiedene Regionen eingeteilt. Alle Regionen sind von Geburt an vorhanden und miteinander verbunden, aber jede Region hat auch ihre eigenen, klar abgegrenzten Funktionen. Wenn wir unsere Kinder und die Gründe für ihr Verhalten verstehen wollen, müssen wir zuerst diese verschiedenen Regionen und ihren Einfluss auf das Verhalten unserer Kinder verstehen.

Die ersten Gehirnregionen, die sich entwickeln, sind das sogenannte Stammhirn und das Kleinhirn. Das Stammhirn, auch »Reptiliengehirn« genannt, hat die Aufgabe, unsere Kinder am Leben zu erhalten. Es steuert Herzschlag und Körpertemperatur, Schlafmuster, Atmung, Gleichgewicht, Appetit und Verdauung. Das Überlebenshirn reagiert auf alles, was lebensbedrohlich sein könnte, sei es im Körper, zum Beispiel, wenn unser Kind hungrig ist, oder extern, zum Beispiel, wenn jemand Fäuste schwingend und brüllend auf es zu läuft.

Unter solchen Umständen reagiert das Stammhirn instinktiv und automatisch. Seine Reaktionen sind nicht bewusst ausgewählt und beinhalten das, was wir als Kampf- bzw. Flucht- und Erstarrungsreaktionen bezeichnen. Im Mutterleib sind unsere Babys weitgehend vom Stammhirn abhängig, und es steuert einen Großteil ihres Verhaltens im ersten Lebensjahr.

Als Nächstes kommt das limbische System. Es ist die Zentrale unserer Emotionen und maßgeblich an der Verarbeitung und Regulierung der Gefühle unserer Kinder, wie Wut und Freude, sowie ihres Sozialverhaltens, ihrer Interaktion mit anderen Menschen, beteiligt. Es steuert auch, wie unsere Babys und Kleinkinder verarbeiten, was um sie herum passiert – was sie sehen, hören, schmecken, riechen und spüren. Das lymbische System ist der Ort, an dem sich ein Großteil ihres Gedächtnisses und ihrer Sprache »befindet« und von dem ihre Stressreaktion (also ihr Verhalten bei einer wahrgenommenen Gefahr) ausgeht.

Stammhirn und limbisches System werden oft als »niedere Gehirnareale« bezeichnet und sind eng miteinander verbunden.

Schließlich kommen wir zum Cortex, speziell zum präfrontalen Cortex (kurz PFC). Er ist die oberste Steuerungszentrale und der Teil des Gehirns, der uns von anderen Tierarten abgrenzt. Der PFC hilft unseren Kindern, zu lernen, empathisch zu sein (Dinge aus dem Blickwinkel anderer Menschen zu betrachten), über Vergangenheit und Zukunft nachzudenken, Probleme zu lösen und »Konzepte« zu verstehen.

Alle Teile des Gehirns sind von Geburt an vorhanden, aber weil sich die Teile nacheinander entwickeln (das Stammhirn zuerst und der präfrontale Cortex als Letztes), können manche Teile das Verhalten unserer Kinder in den ersten Lebensjahren stärker beeinflussen.

Das, was wir heute über die Gehirnentwicklung unserer Kinder, besonders in den ersten Jahren, wissen, ist von grundlegender Bedeutung für ihre zukünftige geistige Gesundheit und ihr Wohlbefinden und kann auch äußerst hilfreich bei der Erziehung sein. Darum habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, die Ergebnisse jahrzehntelanger wissenschaftlicher Forschung in einem einfachen Konzept zusammenzufassen.

Es geht um … die Spannung steigt … einen Baum, eine Eidechse und eine kluge Eule.

Denken Sie daran, dass es sich hier um ein vereinfachtes Modell handelt – natürlich hat Ihr Kind nicht wirklich eine Eidechse, einen Pavian oder eine kluge Eule im Kopf, aber ich finde diese Symbolbilder sehr hilfreich, wenn es darum geht, all das zu erklären, was ich aus meinen Recherchen und den von mir geführten Interviews gelernt habe.

Natürlich wäre es wunderbar, wenn Sie sich in die unglaublichen Neurowissenschaften und die Pionierarbeit von Wissenschaftlern wie Professor Peter Fonagy, Dr. Bruce Perry und Dr. Margot Sunderland und vielen anderen vertiefen würden (Sie finden die vollständige Liste am Ende des Buches). Aber hier können wir von jetzt an Begriffe wie »bilaterale Integration« und »Cerebellum« beiseitelassen. Ich möchte Sie mithilfe von nur drei Tieren und einem Baum feierlich mit dem Gehirn Ihres Kindes (und übrigens auch Ihrem eigenen) bekannt machen.

Und es ist nicht einfach nur irgendein Baum, sondern ein unglaublich alter Baobab-Baum aus meinem geliebten Zimbabwe. Dort ist er als Baum der Weisheit bekannt. Es ist der Baum, um den sich die Ältesten versammelten, um uraltes Wissen an die Kinder des Dorfes weiterzugeben.

Der Baobab soll hier unser gesamtes Gehirn symbolisieren. Ganz unten am Stamm sitzt eine kleine Eidechse. Sie steht für unser Stammhirn. Ich stelle es mir als Eidechse vor, weil diese älteste Gehirnregion auch bei Reptilien vorhanden ist, und zwar schon seit Hunderten Millionen von Jahren! Es ist sehr primitiv, aber wie wir gesehen haben, spielt es eine wichtige Rolle bei der Sicherung unseres Überlebens.

Die Eidechse

Stellen Sie sich eine Eidechse in freier Natur vor. Sie handelt instinktiv. Wenn sie hungrig ist und eine Fliege vorbeischwirrt, schießt ihre Zunge heraus, und das war’s. Mittagessen fertig. Wenn sie im hohen Gras in der Nähe ein Rascheln hört, rennt sie sofort los oder sie verharrt stocksteif, in der Hoffnung, mit dem Hintergrund zu verschmelzen und nicht entdeckt zu werden. Nun, genauso ist es bei uns: Unser Reptiliengehirn hilft uns zu überleben und reagiert blitzschnell, wenn wir hungrig oder durstig sind, schwitzen oder frieren oder wenn es glaubt, dass wir angegriffen werden.

Unsere Eidechse ist an dem beteiligt, was als »Stressreaktion« bezeichnet wird. Die Angstsymptome entstehen zuerst im Stammhirn, und hier kann der Flucht-Kampf-Erstarrungsmodus ausgelöst werden. Das heißt, wenn wir uns bedroht fühlen, können wir uns behaupten und kämpfen oder uns umdrehen und fliehen wie die Eidechse, oder einfach erstarren, in der Hoffnung, dass die Bedrohung verschwindet. Die Eidechse entscheidet sich nicht willentlich für ein bestimmtes Verhalten, sondern reagiert instinktiv. Wir sehen das in Form von »blitzartigem« Verhalten bei unseren Kindern, wenn sie zum Beispiel in der Öffentlichkeit einen Wutanfall haben und sich auf den Boden fallen lassen, woraus man schließen kann, dass ihre »Eidechse« völlig überwältigt von dem ist, was sie gerade erleben. Ebenso können wir Erwachsenen ohnmächtig werden oder wie gelähmt sein, wenn wir von einer besonders stressigen Situation überfordert sind. 

Das Eidechsengehirn ist im Spiel, wenn unser Baby steif wird, weil es erschrickt. Wenn es vor einem lauten Geräusch Angst hat, zappelt es vielleicht auch mit Armen und Beinen, als ob es versucht wegzulaufen. Wenn Ihr Baby laut geschrien hat, als Sie es zum ersten Mal baden wollten, können Sie sich vorstellen, wie ihm die Eidechse wegen der plötzlichen Temperaturveränderung zu Hilfe geeilt ist. Und die Eidechse steckt auch hinter dem dringlichen Schreien unseres Babys, mit dem es uns unmissverständlich mitteilt, dass es hungrig ist.

Die Eidechse ist nicht listig oder manipulativ. Sie sitzt nicht da, reibt sich die kleinen Pfötchen und denkt: »Hmmm, ich lasse das Baby schreien und schreien, weil ich weiß, dass das Mama und Papa auf die Nerven geht!«

Nein! Absolut nicht. Die einzige Aufgabe der Eidechse besteht darin, das Überleben Ihres Kindes zu gewährleisten. Sie handelt dabei instinktiv und weist Sie auf das hin, was Ihr Kind braucht, und zwar genau dann, wenn es es braucht. Die gesunde Entwicklung der Eidechse ist extrem wichtig, und zwar nicht nur für die körperliche Gesundheit Ihres Kindes, sondern auch für seine zukünftige geistige Gesundheit.

Denn die Entwicklung der Eidechse kann das zukünftige Verhalten unserer Kinder, ihre Risikobereitschaft und ihre Neigung zu Ängstlichkeit – sowohl als Kinder als auch als Erwachsene – prägen. Die Entwicklung der Eidechse und der zugehörigen Assoziationen (also ob die Welt ein beängstigender oder ein angenehmer, sicherer Ort ist) beginnt ganz früh.

Wissenswert

»Die Hirnentwicklung beginnt schon zwei Wochen nach der Empfängnis. Und von der Empfängnis an haben wir alle zwei Grundbedürfnisse: stabile, fürsorgliche Beziehungen und bereichernde Erfahrungen. Diese beiden Grundbedürfnisse sind wesentliche Elemente der Umgebung, in der wir uns entwickeln – und sie sind für eine positive Entwicklung ebenso wichtig wie Nahrung und Sicherheit.«

Professor Peter Fonagy, Anna Freud Centre for Children and Families

Es hat mich umgehauen, als mir zum ersten Mal klar wurde, dass unsere Erfahrungen im Mutterleib und in unserem ersten Lebensjahr direkten Einfluss auf uns als Erwachsene haben. Darum sagt meine wunderbare Hebamme, die berühmte Jenny Smith, dass jeder das wissen muss: »Wir müssen Frauen zum Zeitpunkt der Empfängnis das Wissen vermitteln, dass sie schon in den ersten Wochen der Schwangerschaft nicht nur das körperliche Wachstum ihres Kindes, sondern auch seine Gehirnentwicklung unterstützen und beeinflussen können. Diese Entwicklung beginnt im Mutterleib und setzt sich in der Kindheit fort, und diese Einflüsse prägen den Erwachsenen, zu dem ihr Kind wird.«

Die vielen neuen Erfahrungen im ersten Lebensjahr können sich für unsere Babys ziemlich beängstigend anfühlen, vor allem, weil sie buchstäblich in ihrem Körper »gefangen sind«, hilflos, nicht in der Lage, vor einer Bedrohung zu fliehen oder sich selbst Nahrung zuzuführen, wenn sie hungrig sind. Die Eidechse ist in ihrem Bemühen, das Überleben der Kinder zu sichern, anfangs vollkommen von uns abhängig. Wenn Sie Ihr Baby (oder Kleinkind) im Arm halten, es bei sich tragen und dafür sorgen, dass es warm und geborgen ist, dann versichern Sie diesem uralten Teil seines Gehirns (unserer metaphorischen Eidechse), dass Sie da sein werden, um Ihrem Kind zu helfen, für seine Sicherheit zu sorgen und es am Leben zu erhalten, wenn es hungrig, durstig oder verängstigt ist oder Schmerzen hat.

Jedes Mal, wenn Sie auf Ihr Baby reagieren, wenn es nach Ihnen ruft, jedes Mal, wenn Sie es beruhigen und trösten und seine Bedürfnisse befriedigen, tragen Sie dazu bei, positive Assoziationen in seinem Gehirn aufzubauen.

Wissenswert

»Sich in der Nähe anderer Menschen sicher fühlen zu können, ist wahrscheinlich der wichtigste Aspekt geistiger Gesundheit; tragfähige Beziehungen sind eine grundlegende Voraussetzung für ein sinnvolles und befriedigendes Leben.«

Bessel A. van der Kolk, Psychiater, Forscher und Autor von Verkörperter Schrecken: Traumaspuren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann

Je mehr positive Assoziationen die »Eidechse« Ihres Kindes herstellt (dass Sie da sind, wenn es Sie braucht), desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Kind in Zukunft Herausforderungen bewältigen kann und Selbstvertrauen hat. Denken Sie daran, wie wir unseren Kindern das Fahrradfahren beibringen. Wir schicken sie beim ersten Versuch nicht einfach allein los, sondern wir halten sie und helfen ihnen, das Rad zu stabilisieren, bis sie das Gleichgewicht allein halten können. Wir üben immer wieder mit ihnen, und nach einer Weile halten wir uns zurück, spornen sie nur noch von der Seitenlinie aus an, aber wir sind immer noch da, um sie zu trösten, wenn sie fallen und sich das Knie aufschürfen. Wenn wir am Anfang ihrer Lebensreise ebenso als Stabilisatoren da sind, können sie die nötige Sicherheit gewinnen, um seelisch »im Gleichgewicht zu bleiben«, neue Dinge auszuprobieren und ihr Leben schließlich allein zu bewältigen.

So entstehen die Wurzeln der Resilienz. Resilienz entsteht nicht dadurch, dass wir unsere Kinder »ins kalte Wasser werfen«, sondern dass wir in dieser verletzlichen Lebensphase zuerst sichere Grundlagen aufbauen und ihnen bedingungslose Liebe und Unterstützung geben. So helfen wir unseren Kindern, starke, gesunde Grundlagen im Gehirn zu entwickeln, die ihnen ein Leben lang erhalten bleiben.

Noch einmal zusammengefasst:

Das Stammhirn oder Reptiliengehirn unserer Kinder (die »Eidechse«) hält sie am Leben.Das Stammhirn entscheidet sich nicht bewusst dafür, auf eine bestimmte Art zu handeln, sondern es reagiert instinktiv und automatisch und weist uns auf die Bedürfnisse des Kindes hin.Es übt – vor allem in den ersten Jahren, aber auch später und ein Leben lang – einen starken Einfluss auf unsere Kinder aus.Es beeinflusst die Risikobereitschaft unserer Kinder, ihre Neigung zur Ängstlichkeit und ihre zukünftige geistige Gesundheit.

Und was ist mit dem restlichen Gehirn? Nun, schauen wir uns noch einmal unseren Baobab an, und da, weiter oben im Geäst, sitzt ein weiteres Tier!

Der PAVIAN

Bei meinem Konzept steht der Pavian für das limbische System. Dieser Teil des Gehirns findet sich auch bei anderen Säugetieren, zum Beispiel bei Ihrem Hund oder Ihrer Katze. Der »Pavian« ist für das Sozialverhalten unserer Kinder, wie Fürsorge, Spielen und Bindungsfähigkeit, zuständig. Ebenso wie für seine Gefühle, wie Angst und Wut, Freude und Vertrauen. Der »Pavian« Ihres Kindes kennt keine Konzepte wie Zeit (er trägt keine Uhr!) und denkt auch nicht logisch. Er ist ein Affe und lebt ganz im Hier und Jetzt. Wie die Eidechse sorgt der Pavian für die Sicherheit und das Überleben unserer Kinder. Ich sehe in ihm ein wachsames Selbstverteidigungssystem. Ich stelle mir vor, wie der Pavian auf dem Ast des Baobab-Baums sitzt und den Horizont nach potenziellen Bedrohungen absucht. Wenn er irgendetwas Auffälliges sieht, kreischt er laut und durchdringend und zeigt seine scharfen Eckzähne, um jeden abzuschrecken, der zu nahe kommen könnte.

Wie andere Säugetiere, zum Beispiel Hunde, orientieren sich die »Paviane« unserer Kinder an der Körpersprache anderer Menschen, insbesondere an den Augen. Der Pavian hilft unseren Kindern, gute Beziehungen aufzubauen, sich an andere zu binden, was auch ein Überlebensmechanismus ist, weil es mehr Sicherheit bietet, Teil eines größeren Rudels oder Stammes zu sein.

Der Pavian kommt in den ersten drei Lebensjahren unserer Kinder so richtig zur Geltung. Darum ähnelt das Verhalten unserer Kleinkinder manchmal mehr dem eines frechen Äffchens als dem eines Menschen. (Was glauben Sie wohl, was mich als Mutter eines jetzt sechsjährigen Sohnes inspiriert hat?) Das ganze Umherwerfen und Wegschnappen von Essen oder Spielzeug, das Herumtrommeln auf dem Boden – ein Verhalten, das man ein bisschen »übertrieben« finden kann.

Sich unsere Kinder als primitivere Geschöpfe vorzustellen, hinter denen eine »Eidechse« oder ein »Pavian« steckt, dem es mehr um das Überleben als um »Bitte und Danke« geht, kann uns helfen, bei Tränen- oder Wutausbrüchen die Ruhe zu bewahren. Indem wir uns bewusst machen, dass das Verhalten unserer Kinder von einem noch in der Entwicklung steckenden Gehirn gesteuert wird, können wir es vielleicht leichter akzeptieren, wenn sie sich nicht immer so benehmen, wie es unseren Wünschen oder Erwartungen entspricht.

Wenn wir verstehen können, wodurch das Verhalten unserer Kinder gesteuert wird, und wir sie beruhigen und unterstützen, wenn sie sich bedroht oder verängstigt fühlen, trägt dies zum Aufbau positiver Assoziationen in ihrem Gehirn bei und stärkt die liebevollen Verbindungen zwischen uns. Es führt zu dem, was wir in der Psychotherapie als »sichere Bindung« bezeichnen. Der britische Psychiater John Bowlby hat Bindung als eine »bleibende psychologische Verbundenheit zwischen Menschen« definiert.

Das bedeutet, dass unsere Kinder, wenn sie unter Stress stehen, sich bedroht oder verängstigt fühlen, nach uns rufen oder zu uns kommen, weil sie gelernt haben, dass wir ihnen helfen können. Sie können darauf vertrauen, dass wir ihnen ihre Ängste nehmen und ihre starken Gefühle im Zaum halten. Eine sichere Bindung zu haben fördert das zukünftige emotionale und geistige Wohlbefinden unserer Kinder. Es beeinflusst alles, vom Umgang mit Stress später im Leben bis hin zu ihren künftigen Beziehungen – ja, auch den Liebesbeziehungen!

Wissenswert

»Erkenntnisse der Neurowissenschaften stützen die Bindungstheorie und deuten darauf hin, dass die ersten fünf Lebensjahre eine wichtige Lebensphase für den Aufbau von Bindungen sind. Wenn in dieser Zeit keine feste Bindung entstanden ist, ist mit Lern-, Gesundheits- oder Kontaktproblemen zu rechnen, wie wir es bei Kindern sehen, die in einer Umgebung mit großen emotionalen Defiziten aufgewachsen sind.

Eine Möglichkeit, Bindungen zu fördern, besteht in ›Pingpong-Interaktionen‹ zwischen Kleinkindern und ihren Eltern oder anderen Betreuungspersonen. Wie bei einem Ballwechsel beim Tischtennis suchen Babys und Kleinkinder ganz natürlich die Interaktion mit Erwachsenen durch Brabbeln, Zeigen, Nachahmen von Mimik und so weiter.

Dieser Prozess fördert die Entwicklung wichtiger sprachlicher, kognitiver und sozialer Fähigkeiten und ist einer der Hauptfaktoren bei der Entwicklung des kindlichen Gehirns.«

Professor Peter Fonagy, Anna Freud Centre for Children and Families

Professor Fonagy veranschaulicht auch im Folgenden: »Eine solide Grundlage in den ersten Jahren erhöht die Chancen auf Gesundheit und gute Lernerfolge im späteren Leben, während eine schwache Grundlage die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass später Probleme auftreten.« Wie wir jetzt mit unseren Kindern interagieren, ist also sehr wichtig.

In diesem Buch werden wir uns viele Beispiel für Pavianverhalten (Klauen, Schlagen und heftige Gefühlsausbrüche) sowie die optimale Reaktion darauf anschauen, um optimal »Pingpong« mit unseren Kindern zu spielen. Ich gebe Ihnen Tipps, Werkzeuge und Tricks weiter, damit Sie in schwierigen Augenblicken so mit Ihren Kindern arbeiten können, dass sich Ihre kleinen Paviane schnell wieder beruhigen, ohne allzu viele Tränen zu vergießen oder sich auf den Boden zu werfen. Wenn wir die Gehirnentwicklung unserer Kinder (und damit auch unsere eigene) verstehen, betrachten wir ihr Verhalten nicht »böse«, sondern als Folge eines noch nicht ausgereiften Paviangehirns.

Unsere kleinen Paviane handeln oft erst und denken später, besonders wenn sie sich bedroht fühlen, weil ein anderes Kind ihnen das Lieblingsspielzeug wegnimmt, ein Geschwisterkind sich »ihr« Kuchenstück schnappt oder ihnen ein anderes Kind beim Spielen im Kindergarten zu sehr auf die Pelle rückt. In solchen Augenblicken können unsere Paviane als Reaktion um sich schlagen, wenn sie noch nicht gelernt haben, ihr impulsives Verhalten zu zügeln.

Wir können unseren Kindern helfen, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen (was man auch Selbstregulierung nennt), indem wir ihnen helfen, die Gefühle, die sie spüren, zu erkennen. Dr. Allan Schore ist einer der führenden klinischen Psychologen seiner Generation, und er ist der Meinung, dass die Unterstützung der Selbstregulierung eines der grundlegendsten Dinge ist, die wir als Eltern für unsere Kleinkinder tun können.

Wissenswert

»Die Hauptentwicklung von Kindern findet in den ersten beiden Lebensjahren statt: Das Gehirn verdoppelt seine Größe im ersten Jahr, und besonders im zweiten Jahr bilden viele feine Nervenverbindungen Muster im Gehirn. Diese Muster entstehen auf jeden Fall. Die Frage ist, ob es gesunde und stabilisierende Muster sind oder nicht. Vor allem die Teile des Gehirns, die emotionale Stabilität, Selbstkontrolle und Gewissen steuern, entstehen früh.«

Dr. Allan Schore, 2013

Wenn das alles ein bisschen weit hergeholt klingt, denken Sie einfach an Erwachsene in Ihrem Bekanntenkreis, bei denen der Pavian noch immer zu oft zum Einsatz kommt. Denken Sie an Kollegen, die bei der Arbeit »ihre Spielsachen aus dem Kinderwagen werfen«, oder an laut fluchende, mit den Fäusten auf das Lenkrad trommelnde Autofahrer – alles Paviane in Aktion.

Es gibt aber auch schöne Pavianaktionen: soziale Bindungen, Spielfreude, Neugier und verbale Kommunikation, die Fähigkeit, für andere zu sorgen, und das, was ich mir als »Gedächtnissack« vorstelle, in dem unsere Kinder ihre Erfahrungen und die Gefühle, die ihnen Farbe und Textur verleihen, aufbewahren.

Der Pavian hilft unseren Kindern, ihre Erinnerungen – sowohl die guten als auch die weniger guten – in einer Art »Erfahrungsbibliothek« zu speichern. Und er ergänzt jeden Tag die Erfahrungsliste. Der Pavian hält fest, was Spaß macht und was nicht, was ohne unsere Unterstützung sicher ist und was nicht.

Wenn uns unsere Kinder zu einer Kissenschlacht oder einem Ringkampf auffordern oder wenn sie auf das Klettergerüst steigen, ist dieses Verhalten vom Pavian gesteuert, der sie dazu anstiftet, neugierig und verspielt zu sein und gute Erinnerungen zu schaffen, die in diesem wunderbaren Gedächtnissack aufbewahrt werden können.

Mit wachsendem Selbstvertrauen drängt der Pavian unsere Kinder, neue Dinge auszuprobieren und unabhängiger zu werden. Es zeugt von unseren Fähigkeiten als Eltern, wenn unsere Kinder das tun, denn es bedeutet, dass sie darauf vertrauen, dass wir für sie da sind, wenn sie scheitern!

Und noch ein wichtiger Hinweis in diesem Zusammenhang: Wenn unsere Kinder in diesen ersten Jahren manchmal egoistisch und fordernd wirken und nur an sich selbst zu denken scheinen, dann liegt es daran, dass es von der Evolution so vorgesehen ist. Schließlich geht es um ihr Überleben!

Wenn wir das Verhalten unserer Kinder als »Trotzphase« abtun, sie als »böse« titulieren oder ihnen vorwerfen, eine »Show abzuziehen«, übersehen wir, worum es wirklich geht: In diesem Alter ist ihr Gehirn noch sehr unfertig und einfach noch nicht so zu rationalem Denken fähig wie unser eigenes.

Die gute Nachricht ist, dass wir der Eidechse und dem Pavian unserer Kinder helfen können, sich gesund zu entwickeln, und dadurch allmählich das extremere Verhalten reduzieren können.

Wie machen wir das?

Dafür kommen wir zum präfrontalen Cortex, der obersten Steuerungszentrale des menschlichen Gehirns.

Die kluge Eule

Die kluge Eule steht in meinem Modell für den präfrontalen Cortex. Das ist der am höchsten entwickelte Teil des Gehirns, und seine anspruchsvollen Funktionen grenzen uns von anderen Tierarten ab. Der präfrontale Cortex (PFC) ermöglicht uns rationales Denken, schenkt uns die Fantasie und versetzt uns in die Lage, Probleme zu lösen. Darum stelle ich mir diesen Teil des Gehirns als kluge Eule vor, die ganz oben in unserem Gehirn im Blätterdach des Baobab-Baums sitzt.

Die kluge Eule ist für all unsere komplexen Gedanken zuständig. Sie versteht Konzepte wie Zeit und Gewissen, kann analysieren, Geschichten erzählen, Dinge rational betrachten, kreativ sein, starke Gefühle unter Kontrolle halten, argumentieren, freundlich, logisch, mitfühlend und besorgt sein und sogar abstrakte Gedanken und Fantasie erzeugen. Dank der klugen Eule können wir »das große Ganze« im Blick behalten.

Dort oben im Baum hat die Eule den Überblick und kann Situationen einordnen. Wenn sich vom Horizont her ein Fremder nähert, werden unsere Eidechse und unser Pavian vielleicht unruhig und machen sich bereit zum Angriff oder zur Flucht. Die kluge Eule kann von ihrer hohen Warte aus sehen, ob es sich um einen Freund oder Feind handelt, und dann entscheiden, welche Reaktion am besten ist. Sie beruhigt den Pavian und die Eidechse und kann ihr primitiveres Verhalten regulieren. Die Eule versteht, dass die beiden sich manchmal so verhalten müssen, um uns am Leben zu erhalten, aber sie weiß auch, wann sie von ihrem hohen Ast herunterschweben und Eidechse und Pavian unter ihre großen Fittiche nehmen muss, um sie zu beruhigen. Oder wann sie mit ihnen kooperieren muss, um eine potenzielle Bedrohung gemeinsam zu bewältigen.

Unser Eulengehirn lässt uns zwischen Gut und Böse unterscheiden (also moralische Urteile fällen) und schenkt uns viele andere Fähigkeiten, die uns ein harmonisches Zusammenleben in der Gesellschaft ermöglichen.

Im Erwachsenenalter ist die kluge Eule unerlässlich für unsere emotionale Selbstregulierung, also die Fähigkeit, uns selbst und unsere Gefühle zu beruhigen und darauf zu vertrauen, dass wir auf jede noch so schwierige Situation wohlüberlegt und sicher reagieren können.

Aber … jetzt kommt die wichtige Nachricht: Unsere kleinen Kinder haben noch keine kluge Eule! Nein, NADA, null …

Sie haben eher ein flauschiges Eulenbaby als eine kluge Eule.

Ein Eulenbaby, das noch nicht einmal fliegen kann. Es hat nur kleine Stummelflügel, mit denen es noch nicht herunterschweben und Eidechse und Pavian in Schutz nehmen kann. Es kann ihnen noch nicht helfen, sich schnell zu beruhigen, wenn es nötig ist.

Das Eulenbaby braucht noch Zeit, um zu der klugen Eule heranzuwachsen, die wir Erwachsenen haben. Unsere kleinen Kinder treten die unglaubliche Entdeckungsreise des Lebens gerade erst an. In diesen ersten Lebensjahren rennt ihr Gehirn, um aufzuholen. Und trotzdem ist es immer noch sehr unfertig.

In ihrem bisherigen Leben war das Gehirn, die Eidechse, unserer Kinder noch ganz mit dem Überleben beschäftigt, nicht damit, rechtzeitig das Haus zu verlassen, oder mit der Frage, ob es angemessen ist, im Supermarkt einen Wutanfall zu bekommen. Es war darauf konzentriert, Selbstständigkeit zu erlangen, damit unsere Kinder eine bessere Überlebenschance haben, falls sie je draußen in der »Savanne« sich selbst überlassen sein sollten.

Das Konzept der Zeit zu verstehen, ein moralisches Dilemma zu lösen oder richtig von falsch zu unterscheiden, ist zu diesem Zeitpunkt wirklich noch reiner Luxus! Wir können unsere Kinder also nicht als »böse« verurteilen, solange sich ihr Gehirn noch in der Entwicklung befindet.

Kinder können ihre starken Gefühle in diesen ersten Jahren noch nicht unter Kontrolle bringen. Wir müssen ihnen erst beibringen, wie sie es selbst tun können. Wir müssen ihnen helfen, dieses flauschige Eulenbaby zu einer schönen, klugen Eule heranwachsen zu lassen.

Aber wie wir wissen, ist Kindererziehung nicht immer einfach. Wenn wir selbst müde oder ängstlich sind, wird eher unsere eigene Eidechse oder unser Pavian aktiv, bevor unsere kluge Eule auch nur die Chance hatte herbeizuschweben. Aus der evolutionären Perspektive ist es nachvollziehbar, warum unser Pavian wachsamer ist, wenn wir irgendwie »eingeschränkt« (zum Beispiel erschöpft oder gestresst) sind.

Als Eltern kann uns dieses Wissen über die Gehirnfunktionen helfen, unsere Selbstwahrnehmung zu stärken und mit unserer eigenen klugen Eule verbunden zu bleiben, statt uns von unserer Eidechse oder unserem Pavian steuern zu lassen. Vor allem, wenn wir damit beschäftigt sind, E-Mails zu bearbeiten und Popos abzuwischen, und uns fragen, warum wir herumbrüllen, wenn unsere Vierjährigen randalieren.

Nehmen wir ein Beispiel aus dem Alltag: Als unser Sohn Wilbur mit vier in die Vorschule kam, kauften wir ihm stolz seine Schuluniform, einschließlich Poloshirts mit weißem Kragen. Am ersten Tag trug er die Sachen noch fröhlich, aber am zweiten weigerte er sich rundweg. »Ich ziehe das an«, sagte er und zog ein blaues T-Shirt heraus, «aber nicht das da.« Doch das blaue war nicht Teil seiner Schuluniform!

Schon war der Streit in vollem Gang, und ich wandte jede Taktik an, die mir einfiel, um meinen Sohn dazu zu bewegen, das weiße T-Shirt anzuziehen und rechtzeitig zur Vorschule zu kommen. Als uns nur noch fünf Minuten blieben, saß er immer noch mit rotem Gesicht und tränenüberströmt auf der Treppe. Die Schultore schlossen sich um neun Uhr, und ich musste einen Zug erwischen, um rechtzeitig bei meiner morgendlichen Redaktionssitzung zu sein.

Wie man vielleicht nachempfinden kann, kam mir in diesem Augenblick der Gedanke, dass mein Sohn sich irrational und ungezogen verhielt. Dann folgte der ultimative elterliche Tiefschlag: »Okay, dann muss ich die Rektorin anrufen und ihr sagen, dass du dich weigerst, zur Schule zu gehen.« Meine Tochter Clemency, die mit ihrer Schultasche neben mir stand, begann ebenfalls zu weinen, als ihr klar wurde, dass sie jetzt auch zu spät zur Schule kommen würde.

Na toll. Jetzt hatte ich zwei heulende Kinder, mein eigenes Stresslevel ging durch die Decke, und der Gedanke daran, was die Nachbarn denken mochten, war auch nicht gerade hilfreich. Außerdem ärgerte es mich, dass ich gutes Geld für Schulhemden ausgegeben hatte, die mein Sohn jetzt nicht anziehen wollte.

Und dann wurde es mir schlagartig klar: Bei dieser Gleichung stimmte etwas nicht. Ich bedrängte meinen Sohn (wie ein wütender Pavian), drohte ihm und versuchte, ihn zu etwas zu zwingen, obwohl es ihm offensichtlich schlecht ging. All meine Schulungen und Studien als Kinderberaterin waren in den Hintergrund getreten, weil ich mich von meinem eigenen Stress und dem, was ich als unvernünftiges Verhalten meines Sohnes sah, hatte überwältigen lassen.

Ich nahm mir einen Augenblick Zeit, um noch einmal neu anzufangen. Dann kamen wir eben zu spät.

Ich setzte mich neben meinen Sohn und legte den Arm um ihn. Kluge Eule an Eulenbaby: »Wilbur, was gefällt dir denn an dem Shirt nicht?«

Mein Vierjähriger schaute mich an und schluchzte: »Gestern hatten wir Sport, und als ich versucht habe, es auszuziehen, war es zu eng. Es ist an meinem Kopf hängen geblieben, und ich habe keine Luft mehr gekriegt.«

Mein armer kleiner Junge.

Mein eigener Stress hatte dazu geführt, dass mein Pavian voll im Einsatz war, bevor ich mich fragen konnte, ob noch etwas anderes vor sich ging. Indem ich einen Schritt zurücktrat und meine kluge Eule ins Spiel brachte, konnte ich wieder Mitgefühl für Wilbur empfinden und mir bewusst machen, dass er nur ein kleiner Junge war, der erst seit wenigen Jahren auf diesem Planeten lebte. Ich konnte mir klarmachen, dass sein Verhalten ungewöhnlich war, und mich fragen, was da vor sich ging.

Wenn unsere Kinder Angst haben, kommt blitzschnell ihre Eidechse ins Spiel, und wir können die Kampf-Flucht-Reaktion oder sogar die Erstarrungsreaktion beobachten, bei der sich kleine Kinder noch schwerer artikulieren können. Aber Wilburs Verhalten hätte mir zeigen müssen, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.

Es gibt immer einen Grund für das Verhalten unserer Kinder. Und wir können immer helfen.

Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie zu einer Art elterlichem Sherlock Holmes. Sie nutzen das, was Sie über das Gehirn Ihrer Kinder und seine Funktionsweise gelernt haben, und können ihnen helfen zu erklären, wie sie sich fühlen, statt es nur »auszuagieren«.

Statt uns zu fragen, was mit unserem Kind nicht stimmt, können wir uns intuitiv fragen:

Was passiert bei ihm gerade? Und vor allem: wie kann ich ihm helfen?

Kein Wunder, dass Wilbur das weiße Hemd nicht tragen wollte. Angesichts der möglichen Bedrohung seines Überlebens (der Atemprobleme) hatte seine Eidechse verrückt gespielt, als das Shirt am Kopf hängengeblieben war, und diese Erfahrung war als großes »Nein!« im Gedächtnissack seines Pavians aufbewahrt worden. Wenn ich in diesem Augenblick mit Wilbur kämpfte, bestand die Gefahr, dass ich unsere Beziehung und sein Vertrauen zu mir beschädigte. Er hat noch keine kluge Eule, die versteht, dass man einen Zug bekommen und rechtzeitig zur Redaktionssitzung kommen muss. Er konnte nicht verstehen, warum ich so darauf bestand, dass er etwas trug, das er hasste.

Unsere Eulenbabys haben nicht immer den Wortschatz oder die Mittel, um auszudrücken, warum sie sich gerade so fühlen, besonders wenn die Eidechse die Führung übernommen hat. Und wenn sie in den Panikmodus umschalten (was bei dem Shirt passiert war), gibt es keine kluge Eule, die es mir in aller Ruhe erklären könnte. Wenn wir verstehen, was dem Verhalten unserer Kinder zugrunde liegt, können wir mit ihnen zusammenarbeiten, statt gegen sie zu arbeiten.

Wenn wir aus dem Blickwinkel der klugen Eule mit unseren Kindern interagieren, unterstützen wir sie bei der Selbstregulierung. Mit unserer liebevollen Berührung und unserer Umarmung, mit unserem Verständnis, können wir unsere Kinder spüren lassen, dass wir sie nicht nur körperlich halten können, sondern dass wir auch ihre überwältigenden Gefühle »halten« können. Wenn wir ihnen durch unser eigenes ruhiges Verhalten ein Vorbild sind und ihnen zeigen, dass sie auf unsere Hilfe vertrauen können, und dass wir nicht vor ihren heftigen Emotionen zurückschrecken, wird ihr Eidechsen- und Paviangehirn das als positive Erfahrung registrieren. Und wenn unsere Kinder das nächste Mal unsere Hilfe brauchen, werden sie noch schneller zu uns kommen.

Lassen Sie uns in Anbetracht dessen, was Sie jetzt über das sich entwickelnde Gehirn Ihres Kindes (die Eidechse, den Pavian und die kluge Eule) wissen, noch einmal überlegen, was die Kinder der genervten Eltern vom Anfang des Kapitels erklären könnten, wenn sie schon dazu in der Lage wären:

»Sie ist gerade im Trotzalter!«

Pavian: »Ich befinde mich in einer wichtigen Entwicklungsphase, in der ich versuche, selbstständiger zu werden, aber du lässt mich nicht!«

»Mein Baby klammert so sehr.«

Eidechse und Pavian: »Wir haben einfach Angst!«

»Meine Tochter will nicht teilen.«

»Ich bin ein junger Pavian – wenn mir jemand mein Essen wegnimmt, überlebe ich vielleicht nicht. Darum fällt es mir gerade nicht leicht zu teilen.«

»Mein Sohn beißt.«

»Ich bin eine Eidechse, die Angst hat, und ein Pavian hat die Kontrolle über meinen Körper. Wie soll ich sonst zeigen, wie ich mich fühle? Bitte zeig mir, wie!«

»Unsere Zwillinge können nicht stillsitzen.«

»Wir sind Paviane. Wir müssen stärker werden und unsere Muskeln einsetzen, um unsere Energie zu verbrauchen. Wir müssen spielen!«

»Warum kommen wir nicht rechtzeitig aus dem Haus?!«

Eidechse und Pavian (schauen einander fragend an): »Was ist Zeit?«

»Meine Tochter ist so zornig. Sie schlägt immer wieder ihre Schwester.«

»Ich bin ein Pavian. Ich handle zuerst und denke später nach. Ich empfinde Rivalität und Angst und kann mit meinen starken Gefühlen noch nicht umgehen.«

»Wieso tun sie nicht einfach, was man ihnen sagt?!«

»Wir sind Paviane. Wir kennen die weise Eule nicht.«

Und was ist mit diesen schrecklich »wohlmeinenden« Leuten, die den Eltern kleiner Kinder ständig ungebetene Ratschläge erteilen?

»Wenn du ihn immer hochnimmst, verwöhnst du ihn. Du musst ihm seine Grenzen zeigen, damit er aufhört zu weinen.«

»Ich bin ein Baby, dessen Verhalten von einer Eidechse und einem Pavian gesteuert wird – bei mir geht es ums Überleben, nicht um Manipulation!«

Wenn wir als Eltern auf unsere eigene kluge Eule zurückgreifen, können wir nachdenken und entscheiden, wie wir (und niemand sonst) in diesen Augenblicken handeln und auf unsere Kinder reagieren wollen.

Eulenweisheiten

Ihr Kind denkt anders als Sie, weil sein Gehirn noch weniger entwickelt ist.Wir können uns unser Gehirn als Baobab-Baum vorstellen, der Botschaften und Informationen zwischen unserem Körper und unserem Gehirn den Stamm hinauf- und hinabschickt. In diesem Baum sitzen eine (metaphorische) Eidechse, ein Pavian und eine kluge Eule. Diese verschiedenen Tiere sind für unterschiedliche Aspekte unseres Verhaltens verantwortlich.Als Eltern können wir die gesunde Gehirnentwicklung bei unseren Kindern unterstützen.Das gelingt uns, indem wir die Welt so sehen, wie die Kinder sie erleben – durch ihre Augen.Das schaffen wir, wenn wir mithilfe unserer eigenen klugen Eule erziehen. Und indem wir ebenso sehr unsere eigenen Gefühle regulieren, wie wir unseren Kindern helfen, ihre Gefühle zu regulieren.

Als Nächstes werde ich erklären, was im Körper Ihrer kleinen Kinder vor sich geht, denn das ist genauso wichtig wie das, was in ihrem Gehirn passiert. Ohne die regulierende Präsenz der klugen Eule zeigen unsere Kinder oft eine Ganzkörperreaktion auf Ereignisse, von denen sie sich sowohl körperlich als auch geistig überwältigt fühlen. Aber von jetzt an können Sie (da Sie jetzt die Eidechse, den Pavian und die Eule kennen) buchstäblich das Leben Ihres Kindes verändern – und auch Ihr eigenes!

KAPITEL 2

Was im Gehirn passiert, bleibt nicht dort

Ich bin allein zu Hause, und es ist spät. Meine Nackenhaare stellen sich auf, und ich erstarre, als ich ein Klopfen am Fenster höre und mir klar wird, dass etwas – oder jemand – da draußen ist. Meine Gedanken rasen, Adrenalin wird ausgeschüttet, und meine Hände ballen sich zu Fäusten.