Kirchengeschichte als Kirchenkritik - Walter Kardinal Brandmüller - E-Book

Kirchengeschichte als Kirchenkritik E-Book

Walter Kardinal Brandmüller

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Beschreibung

Kirchengeschichte – muss das wirklich sein? Es muss! Der Griff in den Erfahrungsschatz der Kirche ist in der Tat ein Griff »ins volle Menschenleben«, gleichsam in eine Apotheke, die manch heilendes Kraut, manch lindernde Salbe, manch stärkenden Trank bereithält. Die Kirchengeschichte ist weder paradiesisches Panoptikum noch skandalträchtiges Gruselkabinett. Ihr nüchterner Blick auf die vergangene Wirklichkeit bewahrt vor naivem Optimismus ebenso wie vor Verzweiflung angesichts der Gegenwart. In ihrem Licht erscheint so manches Negativ-Clichè als Irrtum, Verzerrung und Gerücht. Es zeigen sich ebenso verborgene Heiligkeit, wie schärfere Konturen des Bösen. Wie dem auch sei, die Wahrheit macht frei – und zeigt zugleich, wie der Herr der Geschichte auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann. Und: Auch in zweitausend Jahren hat die Wut der Hölle es nicht vermocht, das Schiff des Petrus zu versenken. »Fluctuat nec mergitur«, das ist der Wappenspruch der Stadt Paris. Schwankt und wankt es auch, das Schiff geht nicht unter.

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Walter Kardinal Brandmüller

Kirchengeschichte als Kirchenkritik

Propyläen des christlichen Abendlandes

Hrsg. von Michael F. Feldkamp

Gefördert von der »Pfarrer Brachthäuser-Stiftung«

Band 4:

Kirchengeschichte als Kirchenkritik

Walter Kardinal Brandmüller

Kirchengeschichte als Kirchenkritik

Zwischenrufe aus Rom

Herausgegeben von Michael F. Feldkamp

Patrimonium-Verlag 2020

Impressum

1. Auflage 2020

© 2020 Patrimonium-Verlag

In der Verlagsgruppe Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Erschienen in der Edition »Patrimonium Historicum«

Patrimonium-Verlag

Verlagsgruppe Mainz

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

www.patrimonium-verlag.de

Gestaltung, Druck und Vertrieb

Druck & Verlagshaus Mainz

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

www.verlag-mainz.de

Abbildungsnachweise (Umschlag):

© Katholische Nachrichtenagentur (KNA), Archivnummer 181218-93-000042

Druckbuch:ISBN-10: 3-86417-131-8

ISBN-13: 978-3-86417-131-4

E-Book:

ISBN-10: 3-86417-153-9

ISBN-13: 978-3-86417-153-6

Die Reihe »Propyläen des christlichen Abendlandes«

wird gefördert von der »Pfarrer Brachthäuser-Stiftung«.

www.stiftshaus.de

Inhalt

Zum Geleit 7

I. Wir setzen auf eine Generation Benedikt 11

II. Wann ein Konzil ökumenisch ist 15

III. Aus Abrahams Schoß gefallen 27

IV. Church of England, was sind Deine Fundamente? 39

V. Der antirömische Affekt 49

VI. Was man nicht kennt, kann man auch nicht feiern 59

VII. Verfolgt in allerjüngster Zeit 68

VIII. Es gibt Normen, die immer und für alle gelten 72

IX. Der hohe Preis der Unauflöslichkeit 84

X. Wollte Luther die Spaltung der Kirche? 94

XI. Als das Papsttum am seidenen Faden hing 102

XII. Gott lässt Prüfungen zu 112

XIII. Wenn ein Apparat den Episkopat entmachtet 116

XIV. Homosexualität und Missbrauch 130

XV. Das Ziel aller Geschichte 138

XVI. Liturgischer Nationalismus oder Universalismus? 142

XVII. Kirchengeschichte in Deutschland 150

XVIII. Renuntiatio Papae – einige historisch-kanonistische Überlegungen 171

XIX. Eine Kritik des Instrumentum Laboris für die Amazonas-Synode 189

XX. Ehelosigkeit ist Dienst am Evangelium 195

XXI. Ohne Juda, ohne Rom bauen wir Germaniens Dom 201

XXII. Es geht nicht um Amazonas – es geht ums Ganze 209

Anhang 1 215

Anhang 2 230

Zum Geleit

Der vorliegende vierte Band der Schriftenreihe Propyläen des christlichen Abendlandes führt 22 Beiträge von Walter Kardinal Brandmüller zusammen. Diese Aufsätze sind durchweg in Rom, also nach seiner Emeritierung als Professor für Neuere und Mittelalterliche Kirchengenschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg (1970–1998) entstanden. Die hier vereinten Beiträge kennzeichnet größtenteils, dass sie nicht in fachwissenschaftlichen Zeitschriften publiziert worden sind, sondern sich durchweg an einen größeren Leserkreis wendeten.

Die ersten der hier erneut veröffentlichten Beiträge sind in Brandmüllers Zeit als Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft in Rom (1998–2009) entstanden, dem er schon seit 1981 als Mitglied angehörte. Die Großzahl der Beiträge stammt aber tatsächlich aus seiner Zeit nach seiner Erhebung zum Kardinal im Konsistorium am 20. November 2010. So ist das zehnjährige Jubiläum seiner Ernennung zum Kardinal und seiner zuvor erfolgten Bischofsweihe am 13. November 2010 in der deutschen Nationalkirche zu Rom nur der äußere Anlass, seine Beiträge dieser Jahre aus dem Vatican magazin, Die neue Ordnung, dem Internetportal kath.net, 30 Tage – In Kirche und Welt, der Festschrift zum 70. Geburtstag von Petar Vrankić sowie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zusammenzutragen.

Trotz des Jubiläums von Walter Kardinal Brandmüller wurde ein Festschriftcharakter für dieses Buch vermieden. Es bestand allein die Absicht, die verstreuten Beiträge in einer allgemein zugänglichen Form zur Verfügung zu stellen und nicht dem Vergessen des tagespolitischen Geschehens zu überlassen. So gilt mein besonderer Dank an dieser Stelle den Herausgebern der genannten Zeitungen, Zeitschriften und Internetportale für die ausdrücklich erteilte Erlaubnis des Wiederabdrucks.

Ergänzt wurden die Textsammlung von Kardinal Brandmüller durch einen dokumentarischen Anhang mit zwei Schreiben, bei denen er nicht als alleiniger Urheber, sondern als Mitunterzeichner fungierte. Es handelt sich zum einen um das Dubia-Schreiben der Kardinäle Walter Brandmüller, Raymond Leo Burke, Carlo Caffarra (1938–2017) und Joachim Meisner (1933–2017) vom 19. September 2016 an Papst Franziskus, das unbeantwortet blieb und im November 2016 öffentlich bekannt geworden war. Zum anderen haben sich Walter Brandmüller und Raymond Leo Burke am 20. Februar 2019 in einem öffentlichen Schreiben an die Präsidenten der Bischofskonferenzen anlässlich des Gipfeltreffens im Vatikan zur Problematik des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker geäußert, der der Vollständigkeit halber hier ebenfalls dokumentiert wird.

Interviews mit Kardinal Brandmüller wurden nicht in den Band aufgenommen.

In ihrer Zusammenschau mag dieses Buch mit den Beiträgen von Kardinal Brandmüller manchem als eine Streitschrift erscheinen. Doch sind auch seine Zwischenrufe aus Rom – so der Untertitel – von solcher profunden Kenntnis der Kirchen- und Kirchenrechtsgeschichte, dass sie über den aktuellen Kontext hinaus, in dem sie entstanden sind, lesens- und erwägenswert sind.

Walter Kardinal Brandmüller formulierte in Vorbereitung zu diesem Sammelband auf die Frage: Kirchengeschichte – muss das wirklich sein?

Es muss! Der Griff in den Erfahrungsschatz der Kirche ist in der Tat ein Griff »ins volle Menschenleben«. Auch Zugriff auf eine Apotheke, die manch heilendes Kraut, manch lindernde Salbe, manch stärkenden Trank bereithält.

Die Kirchengeschichte ist wahrlich weder paradiesisches Panoptikum noch skandalträchtiges Gruselkabinett. Ihr nüchterner Blick auf die vergangene Wirklichkeit bewahrt vor naivem Optimismus ebenso wie vor Verzweiflung ob der Gegenwart.

In ihrem Licht erscheint so manches Negativ-Clichè als Irrtum, Verzerrung und Gerücht.

Es zeigt sich ebenso verborgene Heiligkeit, wie schärfere Konturen des Bösen.

Wie dem auch sei, die Wahrheit macht frei – und zeigt zugleich, wie der Herr der Geschichte auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann. Und: Auch in zweitausend Jahren hat die Wut der Hölle es nicht vermocht, das Schiff des Petrus zu versenken.

»Fluctuat nec mergitur«: das ist der Wappenspruch der Stadt Paris. Schwankt und wankt es auch, das Schiff geht nicht unter.

Berlin, den 23. April 2020

Michael F. Feldkamp

I. Wir setzen auf eine Generation Benedikt

Plädoyer für ein Vorbereitungsjahr vor dem eigentlichen Beginn der Priesterausbildung

Aus: Vatican magazin, Heft 5, Dezember 2006, S. 47–49

Als vom 6. bis 18. November 2006 die deutschen Bischöfe zu ihrem ad limina-Besuch in Rom waren, ging der Heilige Vater Papst Benedikt XVI. in seiner Ansprache an sie auch auf die Frage der Priesterausbildung ein. Davon abgesehen, dass er dabei die vielerorts in Seminarien üblichen gruppendynamischen Übungen, Selbsterfahrungsgruppen und so weiter ablehnte, forderte er auch nachdrücklich die Einführung des im Konzilsdekret Optatam totius über die Priesterausbildung vorgeschriebenen Jahrs der Vorbereitung vor Beginn des eigentlichen philosophisch-theologischen Studiums. Es ist doch in der Tat erstaunlich, dass gerade in den so konzilsfreudigen deutschen Bistümern diese Forderung vierzig Jahre nach Konzilsende noch immer nicht erfüllt ist.

Die Frage, ob ein solches Vorbereitungsjahr angesichts des doch so leistungsfähigen deutschen Schulsystems überhaupt nötig sei, ist inzwischen durch die sattsam bekannten Pisa-Studien eindeutig beantwortet.

So ist festzustellen – wer in den letzten Jahrzehnten an Universitäten Examens- oder Seminararbeiten zu korrigieren hatte, weiß davon ein Lied zu singen –, dass selbst die Beherrschung der deutschen Muttersprache, von Ausnahmen abgesehen, sehr zu wünschen übrig lässt. Mehr noch gilt dies von der für jedes geisteswissenschaftliche Studium unentbehrlichen Kenntnis der lateinischen und griechischen Sprache. Und – was noch erstaunlicher ist – von der Kenntnis der elementaren Katechismuswahrheiten und religiöser Vollzüge.

Es ist eine Tatsache, dass dies in den Gymnasien und in den Elternhäusern weithin nicht mehr vermittelt wird. Hinzu kommt, dass eine wachsende Zahl von Interessenten für das Priestertum naturwissenschaftliche, technische, musische, ökonomisch orientierte höhere Schulen besucht hat, deren Lehrpläne weder Latein-­ noch Griechisch-Unterricht vorsehen.

Man kann nur von einem Feigenblatt sprechen, wenn dann während der Priesterausbildung Latinums- beziehungsweise Graecums-Kurse angeboten werden, die die ersten beiden Studienjahre belasten.

Weder kann auf diese Weise ein halbwegs befriedigender Kenntnisstand erzielt, noch können die eigentlichen Fächer in der gebotenen Weise studiert werden. Was dabei herauskommt, ist eine Farce.

Muttersprache – klassische Sprachen und Literatur – Katechismus und solide religiöse Praxis: Das alles sind aber elementare Voraussetzungen für die erfolgversprechende Aufnahme des zum Priestertum hinführenden Studiums. Voraussetzungen wohl gemerkt, die gegeben sein müssen, ehe man mit diesen Studien überhaupt anfängt.

Da wie gesagt in vielen Fällen seit langem weder Schule noch Elternhaus noch Pfarreien in der Lage sind, die genannten Voraussetzungen zu schaffen, liegt die Verantwortung hierfür nun bei den Bistümern, bei den Priesterseminaren.

Was aber wäre zu tun? Es wäre von jedem jungen Mann, der Priester werden möchte, zu erwarten, dass er ein vom jeweiligen Seminar einzurichtendes Vorbereitungsjahr erfolgreich absolviert, ehe er in das eigentliche Seminar aufgenommen wird. Wie aber könnte, sollte das Programm dieses Vorbereitungsjahrs aussehen?

Zunächst wäre angesichts der religiösen Unwissenheit jeden Tag eine Stunde der Lektüre und Erklärung des Katechismus der Katholischen Kirche zu widmen. Sodann wäre gleichfalls eine Stunde täglich für den Unterricht in der deutschen Sprache vorzusehen, der auch die Lektüre bedeutender Dichter und Schriftsteller umfassen müsste. Nicht zu vergessen wäre die Übung in gehobenem schriftlichen Ausdruck, im Rede-­ beziehungsweise Briefstil.

Die dritte und vierte Stunde des Vormittags wäre den beiden klassischen Sprachen vorzubehalten, und in die fünfte könnten sich eine moderne Sprache, Kunst- und Musikgeschichte teilen.

Von Kunst- und Musikgeschichte war die Rede. Wie notwendig wenigstens grundlegende Kenntnisse auf diesen Gebieten sind, ergibt sich – was die Kunst anlangt – aus der einfachen Tatsache, dass wir sehr viele und künstlerisch sehr wertvolle Kirchen haben, die zudem häufig auch eine kostbare historische Ausstattung besitzen. Denken wir an Statuen, Gemälde, liturgische Gefäße und Gewänder. All dies ist zu pflegen, zu erhalten, gelegentlich zu restaurieren. Ein verantwortlicher Pfarrer, der alle diese Dinge nicht einzuordnen, ihren Wert nicht zu erkennen vermag, wird nicht nur viel verderben, sondern auch vor künftigen Gesprächspartnern – Restauratoren, Denkmalpflegern – eine schlechte Figur abgeben.

Nicht anders verhält es sich mit der Musik, deren unterschiedliche Funktion in der Liturgie besonderer Aufmerksamkeit des Klerus bedarf. Die Auswahl und Zusammenstellung von Kompositionen und Liedern für den Gottesdienst sollte der Pfarrer dem Kirchenmusiker nicht einfach überlassen müssen. Er sollte in der Lage sein, mit diesem auch ein sachkundiges Gespräch zu führen.

Der Nachmittag bliebe frei für Sport und persönliches Studium. Im Laufe des Jahres sollten auch die Unterweisung in gehobenen Umgangsformen sowie musische Aktivitäten ihren Platz finden.

Bedenkt man, welchen Anforderungen kirchliche Verkündigung und Seelsorge unter den Bedingungen der Gegenwart zu begegnen haben, wird man kaum hinter dieses Programm zurückkönnen. Was heute wieder (!) notwendig ist, ist ein überdurchschnittlich gebildeter und kultivierter Klerus, der das Gespräch mit den anspruchsvollsten unter den Zeitgenossen nicht scheuen muss. Wie soll man dem Priester die Botschaft des Evangeliums glauben, wenn er es schon an Allgemeinbildung fehlen lässt. Und: Von einer solchen Startbasis aus verläuft dann auch das eigentliche Philosophie- und Theologiestudium viel gewinnbringender als ohne die so vermittelten Kenntnisse, Einsichten und Fähigkeiten.

In diesem Jahr könnten die jungen Männer vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben das liturgische Jahr der Kirche mit seinen Festen erleben, die verschiedenen Formen der Volksfrömmigkeit kennen lernen und sich auch um ihre sittliche, charakterliche Formung bemühen. Wenn dann noch die eine oder andere Exkursion, ein Opernbesuch, eine gemeinsame Wallfahrt und so weiter hinzukommen könnten, würden die jungen Leute ein reiches und schönes Jahr erleben.

Ein großer Vorteil dieses dem eigentlichen Seminareintritt vorgeschalteten Jahres bestünde auch darin, dass eine erste Klärung der Frage nach der Echtheit der Berufung zum Priestertum stattfinden könnte. Sollte am Ende es zu einer negativen Antwort hierauf kommen, so hätte er doch eigentlich nichts verloren, sondern einen Zuwachs an Bildung, vielleicht auch an religiösem Gewinn erfahren.

Wird hingegen diese frühe Chance nicht geboten, sondern die Berufsentscheidung während des Studiums getroffen, dann wäre allerdings viel verloren. Ein Vorteil dieses Vorbereitungsjahrs wäre auch für die Seminarvorstände dadurch gegeben, dass sie die jungen Leute während eines ganzen Jahres begleiten und kennenlernen könnten, was für eine seriöse Beurteilung der Kandidaten nur hilfreich wäre.

Zum Schluss sei noch auf eines hingewiesen: Noch nie hat es zur Verbesserung bestehender Verhältnisse gedient, wenn man Hürden abbaute. Im Gegenteil! Es gilt die Latte couragiert höher zu legen. Intelligente, kraftvolle Jugend will gefordert werden. Forderungen schrecken nur den Schwachen ab. Den Starken, Mutigen ziehen sie an. Wir setzen auf eine Generation Benedikt!

II. Wann ein Konzil ökumenisch ist

Wer das Pentarchie-Modell als Kriterium nimmt, versucht den römischen Primat auszuhebeln

Aus: Vatican magazin, Jahrgang 1/Heft 6/7, Sommer 2007, S. 28–34

Am Vorabend des Zweiten Vatikanischen Konzils hatte eine Gruppe jüngerer Historiker – ihr allseits verehrter Nestor war Hubert Jedin – die glückliche Idee, den Konzilsvätern und der nunmehr am Thema Konzil zunehmend interessierten Öffentlichkeit in einem Band gesammelt die Beschlüsse der vorhergehenden Konzilien in ihrem Originaltext zugänglich zu machen. In der Tat, ein wichtiges Unternehmen, war doch das bevorstehende Konzil ohne seine Vorgänger nicht denkbar – und nicht verstehbar.

So entstand die erste Auflage der Conciliorum Oecumenicorum Decreta, bei Herder 1962 erschienen – und im Bologneser Istituto per le scienze religiose von Giuseppe Alberigo, Perikle P. Joannou, Claudio Leonardi und Paolo Prodi erarbeitet.

Bald folgte eine zweite 1972 und im Jahre 1973 die dritte Auflage. Schließlich erschien eine zweisprachige Ausgabe (1998), für welche Josef Wohlmuth unter Mitarbeit von Gabriel Sunnus und Johannes Uphus die deutsche Übersetzung erstellt hat. Im gleichen Jahr folgte dann eine durchgesehene zweite Auflage. Diesmal im Verlag Schöningh. In allen Fällen war auf vorliegende Texteditionen zurückgegriffen worden, eigene editorische Anstrengungen wurden nicht unternommen.

Nun aber ist soeben der erste Band einer neuen Edition erschienen, die zwar vom gleichen Institut für Religionswissenschaften in Bologna verantwortet wird, aber nun den TitelOecumenicorum Generaliumque Conciliorum Decreta trägt.

Über den Inhalt und die Gliederung der weiteren Bände – es sind deren vier geplant – unterrichtet ein Prospekt des Verlags, diesmal Brepols in den Niederlanden, der die Bände in die Reihe Corpus Christianorum aufgenommen hat. Der Wechsel des Titels springt sofort ins Auge und gibt zu Fragen Anlaß.

Schon der Titel Oecumenicorum Conciliorum Decreta hatte die Frage aufgeworfen, welche Konzilien damit gemeint, welche als ökumenisch zu bezeichnen seien. Die damaligen Herausgeber waren sich der Problematik durchaus bewusst, haben aber ihre Entscheidung, welche Konzilien aufzunehmen beziehungsweise zu übergehen seien, offenbar ohne tiefer greifende Reflexion getroffen.

So sind die im Wesentlichen seit der Konzilienliste des Kardinals Roberto Bellarmin (†1621) üblicherweise ökumenisch genannten Konzilien aufgenommen worden. Noch in der Ausgabe von 1998 finden wir die Einteilung in die Konzilien des ersten Jahrtausends, die Konzilien des Mittelalters und die Konzilien der Neuzeit. Eine Änderung erfolgte erst in der Neuausgabe von 2006.

Nunmehr aber wird zwischen ökumenischen und Generalkonzilien unterschieden – eine Unterscheidung, die durchaus problematisch ist. Ein Blick in die Geschichte zeigt nämlich, wie unterschiedlich der Sprachgebrauch in Spätantike und Mittelalter war. Jedenfalls werden ökumenisch – general – universal häufig synonym verwendet, wobei diesen Begriffen nur der des concilium particulare gegenübersteht. Die von den Herausgebern getroffene Unterscheidung findet also weder in der Geschichte noch im kanonischen Recht eine Stütze.

Im Sinne dieser Unterscheidung, für die keine Begründung geliefert wird, sind auch Konzilien, die nicht nur in der Geschichtsschreibung, sondern auch in Dokumenten des kirchlichen Lehramtes als ökumenisch bezeichnet beziehungsweise als solche zitiert wurden, von den Herausgebern nicht als solche angesehen worden. Insbesondere wären unter dieser Voraussetzung weder das Tridentinum noch die beiden Vatikanischen Konzilien als ökumenische zu betrachten.

Doch nun zum Einzelnen: Da macht sich das Problem schon beim Trullanum und den beiden so genannten Photianischen Konzilien bemerkbar, von denen in der Ausgabe von 1998 nur jenes von 869/70 zu finden war. Bezüglich des Trullanums ist festzustellen, dass bis heute keine eindeutige Aussage über dessen ökumenischen Charakter zu machen ist. Das Hauptproblem scheinen dabei weniger die verabschiedeten Kanones – mit einigen Ausnahmen – dargestellt zu haben, als die besonders in der Subskriptionsliste zu Tage tretende Konzilsidee, die dem römischen Primat entgegengesetzt war.

Was nun die beiden Photianischen Konzilien von 869/70 und 879/80 anbelangt, so war bisher nur deren erstes aufgenommen worden. Dass hierüber eine bis heute nicht abschließend geklärte Kontroverse geführt wurde (Vittorio Peri und Claudio Leonardi), hätte zur Vorsicht beziehungsweise zu einer gründlichen Erörterung führen sollen. Das gilt auch für das Konzil von 879/80, das die Beschlüsse des ersteren aufgehoben und Photios rehabilitiert hat. Dieses Konzil weist durchaus Kriterien der Ökumenizität auf. Es wurde von allen patriarchalen Sitzen rezipiert – aber von keinem derselben wurde es je als ökumenisch bezeichnet. Was aber begründet seine Aufnahme unter die Zahl der Generalkonzilien?

Dann werden alle vier Laterankonzilien aufgeführt, es folgen Lyon I und II sowie Vienne. Bezüglich der ersten drei Lateranensia stellen sich allerdings einige Fragen hinsichtlich ihrer Ökumenizität. Sie werden traditionell zu den ökumenischen Konzilien gezählt und haben für die ganze Kirche verbindliche Rechtsnormen gesetzt. Lehramtliche Entscheidungen beziehungsweise Aussagen sind von ihnen jedoch nicht ergangen.

Andererseits waren diese Konzilien durchaus zahlreich beschickt. Am Zweiten Lateranense nahm auch der lateinische Patriarch von Antiochien, am dritten neben Bischöfen aus dem lateinischen auch ein Abgesandter aus dem griechischen Osten teil. So ist es nicht eindeutig zu bestimmen, welcher kanonische Charakter ihnen zukommt. Und wiederum stellt sich die Frage: Was ist ein Generalkonzil?

Überraschenderweise ist nun auch Pisa 1409 aufgenommen. Über dessen Legitimität kann man – und hat es auch getan – trefflich streiten, mag man es General- oder ökumenisches Konzil nennen. Dass das Constantiense folgt, ist selbstverständlich. Dies gilt auch von Pavia-Siena, das zu Unrecht ebenso wie das Pisanum in allen bisherigen Ausgaben gefehlt hatte.

Bezeichnend und sehr problematisch alsdann ist, dass vom Basiliense auch alle jene Sessionen aufgenommen wurden, die nach der Verlagerung des Konzils durch Eugen IV. von den in Basel verbliebenen Konzilsteilnehmern abgehalten wurden.

Trient und die beiden Vatikanischen Konzilien folgen selbstverständlich. Nicht selbstverständlich ist hingegen der Titel des dritten Bandes: The General Councils of the Roman Catholic Church. Wieso dieser Zusatz of the Roman Catholic Church?

Qualifizierte Mitwirkung des Papstes

Nach all dem ist nun die Frage nicht zu umgehen, nach welchen Kriterien diese Auswahl erfolgt, was denn ein Konzil zu einem ökumenischen mache und ob denn und weshalb ein Generalkonzil etwas von diesem Verschiedenes sei?

Die Beantwortung beider Fragen ist deshalb nicht sehr einfach, weil dabei zwei Argumentationsebenen zu berücksichtigen sind – nämlich die historische und die kanonische –, wenn man nicht auch noch von einer ekklesiologischen sprechen will.

Historisch anzumerken ist, dass sich der Begriff der Ökumenizität von Konzilien im Laufe der Geschichte herausgebildet und dann auch gewandelt hat. In diesem Prozess gab es jedoch auch Konstanten, die sich durchgehalten haben. Im Einzelnen bedeutete ökumenisch anfänglich Konzilien, deren Teilnehmer aus der Ökumene, das heißt dem Imperium Romanum, kamen, alsdann aber, vor allem nach dem Zerfall des Imperiums, bezog man ökumenisch auf die Gesamtkirche. Bislang waren beide Bereiche ja nahezu identisch gewesen, sieht man von den außerhalb des Imperiums im Osten existierenden Kirchen ab. Ökumene wurde – und wird – in der Folge als die Ecclesia universalis verstanden.

Ökumenische Konziliensind infolgedessen Versammlungen des Collegium episcopale zum Zwecke der kollegialen Ausübung des kirchlichen Lehr- und Hirtenamtes, deren Dekrete für die ganze Kirche verbindlich und, wenn es sich um Lehrdekrete handelt, unfehlbar und darum unwiderruflich sind. Es gibt also dieses Element, das ungeachtet allen historischen Wandels das Wesen eines Ökumenischen Konzils ausmacht.

Darüber besteht durchaus Einvernehmen. Ein gewisser Dissens ist hingegen festzustellen, wenn es um die Kriterien geht, die erfüllt sein müssen, damit ein Ökumenisches Konzil zu Stande kommt.

Hier ist an erster Stelle nicht so sehr die Instanz zu nennen, durch die die Einberufung erfolgt – das waren für lange Zeit die oströmischen Kaiser –, als vielmehr der Umfang der Einladung: Es müssen die Bischöfe der ganzen Kirche eingeladen sein. Ob sie dann und in welcher Zahl anwesend waren, ist eine sekundäre Frage. Von Gewicht, wenn auch nicht letzt­entscheidend, ist auch die Rezeption der Dekrete vor allem durch die nicht anwesenden beziehungsweise nicht repräsentierten Teilkirchen. Wesentlich ist allerdings – und unentbehrlich – eine Bestätigung durch den Papst. Ohne das Haupt des bischöflichen Kollegiums beziehungsweise dessen Placet ist eine kollegiale Aktion des Collegium episcopale nicht denkbar. Seine Zustimmung ersetzt die der nichtanwesenden Teilkirchen.

Auch von Seiten der Anhänger einer Pentarchieverfassung wurde stets die Rezeption durch den Papst als wesentlich erachtet.

So schreibt Vittorio Peri: […] für alle Bischöfe dieser Zeit [es ist die Rede vom Pontifikat Damasus I.] setzte ein vollständiges und generales [plenum et generale] Konzil unabhängig von den durch die wechselhaften Umstände der Kirchenpolitik bedingten Standpunkte voraus, dass es, um ein solches zu sein, auch der qualifizierten Mitwirkung des Bischofs von Rom oder seiner Bevollmächtigten bedurfte. Von Nizäa bis zum letzten ökumenischen Konzil, das in dieser Stadt nach dem kaiserlichen Modell abgehalten wurde, wie es in den von Konstantin dem Großen gewünschten Versammlungen Gestalt angenommen hatte, wäre diese Art von Konzilien einfach undenkbar geblieben ohne die Mitwirkung des Bischofs von Rom (I, S. 27f.). Das heißt nichts anderes, als dass die Zustimmung des Bischofs von Rom nicht nur unentbehrlich für das Zustandekommen eines Allgemeinen Konzils ist, sondern auch die Mitwirkung beziehungsweise Zustimmung der anderen ersetzt, denn eine solche Unentbehrlichkeit wurde von keinem anderen behauptet als vom Bischof von Rom.

Was aber geschieht, wenn ein Konzil ohne Papst zusammentritt? Diese Situation war – einmalig in der Kirchengeschichte – entstanden, als infolge der Wahl Clemens VII. am 20. September 1378 zu Fondi das Große Abendländische Schisma ausgebrochen und wegen der zunehmend undurchsichtigen Rechtslage de facto Sedisvakanz eingetreten war.

Nun sollte diese unhaltbare Situation durch ein Konzil – ohne Papst – bereinigt werden. In diesem Fall war mit der Einberufung durch die beiden und schließlich sogar drei Contendentes de papatu nicht zu rechnen. Viel weniger war deren Konzilsteilnahme zu erwarten. Der Versuch der Kardinäle, die in der Überzahl ihrePäpste verlassen und sich zusammengeschlossen hatten, ein Konzil einzuberufen, führte zu der Versammlung von Pisa. Und dieses Konzil figuriert nun in unserer Edition. War dieses Konzil aber einökumenisches beziehungsweise legitimes?

Gewiss, es gab einige Stimmen, die für Pisa angesichts der Schisma-Situation die Ökumenizität beanspruchten. Folge davon wäre die Gültigkeit der Wahl Alexanders V. durch dieses Konzil samt der Erklärung der Ungültigkeit der Wahl Gregors XII. und Benedikts XIII. Dem steht aber ein gewichtiges Moment im Wege. Wenn schon angesichts der undurchsichtigen kanonistischen Situation von einer De-facto-Sedisvakanz auszugehen war und es sich deshalb um ein papstloses Konzil handeln würde, war die entscheidende Frage – ob expressis verbis je gestellt, ist nicht bekannt –, wer oder was den für ein ökumenisches und darum die oberste Lehr- und Hirtengewalt innehabendes Konzil konstitutiven Papst ersetzen konnte. Dieses im Extremfall einer papstlosen Kirche konstitutive Element konnte allein die nicht nur ideale Repräsentation der Gesamtkirche (die ja durch den Papst gegeben gewesen wäre), sondern nur die De-facto-Repräsentation der ecclesia universalis sein. Das aber hätte erfordert, dass die miteinander konkurrierenden Obedienzen in unbezweifelbarer Weise in Pisa versammelt beziehungsweise repräsentiert gewesen wären. Dies war zweifellos nicht der Fall, da mit Ausnahme der von Benedikt XIII. abgefallenen Kardinäle niemand aus dessen Obedienz gekommen war. Die Iberische Halbinsel, Teile Frankreichs und Italiens und ganz Schottland blieben dem Konzil fern. Es hat denn auch die Spaltung nicht bereinigt, sondern vermehrt und verschärft.

Darum ist es unverständlich, dass diese Versammlung von einigen als ökumenisch beziehungsweise von den Herausgebern unserer Sammlung als Generalkonzil bezeichnet werden konnte.

Allein der als Advocatus ecclesiae über den Parteien stehende Rex Romanorum und spätere Kaiser Sigismund konnte fünf Jahre nach dem Scheitern von Pisa das Konzil von Konstanz zustande bringen. Erst als im Spätsommer 1417 auch die Obedienz Benedikts XIII. – von einigen Resten abgesehen – sich dem Konzil anschloss, war dessen De-facto-Okumenizität und damit die Legitimation für die Bereinigung des Schismas durch die allgemein anerkannt Wahl Martins V. gegeben.

Interessant alsdann, wie unsere Herausgeber mit dem Folgekonzil von Pavia-Siena (1423–1424) verfahren sind. Obwohl es doch auf dem Konzil von Konstanz durch Martin V. dem Dekret Frequens entsprechend als ökumenisches Konzil nach Pavia einberufen und von päpstlichen Konzilspräsidenten geleitet worden war, obwohl von diesem Konzil vier Dekrete verabschiedet wurden und obwohl Martin V. es durch eine Bulle bestätigt hat, hat dieses Konzil erstaunlicherweise erst in die vorliegende Auflage derOecumenicorum Generaliumque Conciliorum Decreta Eingang gefunden.

In ähnlicher Weise – jedoch aus anderem Grund – erstaunt die Aufnahme jener Sitzungen beziehungsweise Dekrete, die dasBaseler Rumpfkonzil, nach der Verlegung des Konzils durch Eugen IV. nach Ferrara im Schisma verharrend, verabschiedet hat. Meinen die Herausgeber in der Tat, dass ein Konzil ohne, ja gegen den legitimen Papst möglich sei? In Ferrara zuerst und dann in Florenz und Rom jedenfalls tagte unter dem Vorsitz des Papstes das wahre Konzil – ein Konzil, das mehr als alle bisherigen den Namen ökumenischverdient. An ihm haben doch neben den lateinischen Bischöfen und dem Papst, Patriarch, Kaiser und zahlreiche Hierarchen des byzantinischen Reiches, aber auch Delegationen der armenischen, koptischen, syrischen, chaldäischen und maronitischen Kirchen teilgenommen und entsprechende Unionsdekrete unterzeichnet.

Dennoch wird das Konzil nicht als ökumenisch bezeichnet.

Das Konzil im Strom der Überlieferung

Ein besonderes Problem stellt alsdann die Bezeichnung der Konzilien von Trient sowie des Ersten und Zweiten Vatikanums als Generalkonzilien der römisch-katholischen Kirche dar.

Weshalb diese Bezeichnung, mit welcher diese Konzilien offenbar von den Generalkonzilien des Mittelalters unterschieden werden sollen? Nun aber bezeichnen sowohl das Konzilsdekret über den Abschluss des Konzils als auch die Bestätigungsbulle Pius IV. die tridentiner Versammlung alssacra oecumenica synodus beziehungsweise als oecumenicum synodum. Weshalb also Generalkonzil der römisch-katholischen Kirche? Das Gleiche ist vom Ersten Vatikanum festzustellen, das allein schon wegen der Tatsache, dass nicht nur die orthodoxen Kirchen, sondern auch die Protestanten dazu eingeladen waren, und wegen der Teilnahme von über sechshundert katholischen Bischöfen als ökumenisch gelten müsste.

Dann aber geht es um das Zweite Vatikanum, wahrhaft ein Konzil der Superlative – und das soll trotz seinen mehr als zweitausend Konzilsvätern aus aller Welt kein Konzil gewesen sein, das verbindlich sprechen könnte?

Allein diese Einordnung zeigt, ein wie widersprüchliches Verhältnis die Herausgeber zu diesem Konzil haben. Die mehrbändige Geschichte dieses Konzils, die vom Bologneser Institut herausgegeben wurde, ist ein Zeugnis für die Einschätzung dieses Konzils durch die Herausgeber. Auf der einen Seite redimensionieren sie es, auf der anderen stilisieren sie es zu einem Neubeginn des kirchlichen Lebens, der einen Bruch mit der Vergangenheit bedeutet. Damit ist zugleich der hermeneutische Horizont abgesteckt, vor dem sie das Konzil interpretieren, wobei sogar zwischen dem Wortlaut der Texte und dem so genannten Geist des Konzils unterschieden wird. Demgegenüber hat die seriöse Wissenschaft, hat insbesondere Benedikt XVI. mehrfach und mit Nachdruck (besonders in seiner Ansprache an die römische Kurie vom 22. Dezember 2005) hervorgehoben, dass das Zweite Vatikanum wie jedes andere Konzil im Strom der Überlieferung der Kirche steht und in deren Gesamtzusammenhang zu interpretieren ist.

Hier stellt sich nun die grundsätzliche Frage, nach welchen Kriterien die Edition angelegt worden ist. In der Tat scheinen darüber kontroverse Diskussionen innerhalb des Mitarbeiterkreises stattgefunden zu haben. Der Verlagsprospekt spricht ausdrücklieh davon, dass ursprünglich außer den dann tatsächlich ausgewählten Konzilien eine Reihe anderer Versammlungen ins Auge gefasst worden waren.

Allem Anschein nach hat aber dann – von bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen – die übliche im Wesentlichen auf Bellarmin zurückgehende Liste ohne weitere Diskussion den Ausschlag gegeben. In dieser Liste findet sich allerdings keineswegs der Unterschied zwischenökumenischem und Generalkonzil. Auch sind darin weder das Konzil von 879/80 noch das Pisanum von 1409 noch jenes von Pavia-Siena oder das Basiliense nach 1436 enthalten.

Die eine heilige Kirche besteht weiter

Es scheint also so zu sein, dass unsere Herausgeber im Allgemeinen dessen ungeachtet lediglich jene Konzilien als ökumenisch bezeichnen wollten, die dem byzantinischen Pentarchie-Modell entsprachen. In der Kirchengeschichte versteht man unter Pentarchie die vom byzantinischen Kaiser Justinian I. kodifizierten fünf Patriarchate des frühen Christentums: Erstens Rom, gegründet durch die Apostel Petrus und Paulus, aus dem das römisch-katholische Papsttum hervorging; zweitens Konstantinopel, gegründet durch den Apostel Andreas, das führende Bistum der Orthodoxen Kirchen. Drittens Alexandria, gegründet durch den Evangelisten Markus, Ursprung der Koptischen und Äthiopisch-Orthodoxen Kirchen, viertens Antiochia, gegründet durch die Apostel Petrus und Paulus, woraus sich die Syrische und die Armenische Kirche entwickelten, und fünftens Jerusalem, gegründet durch alle Apostel in der allen Christen gleichermaßen heiligen Stadt.

An der Sachgemäßheit dieses Kriteriums sind freilich erhebliche Zweifel angebracht. Von der grundsätzlichen Problematik beziehungsweise Unhaltbarkeit dieses ekklesiologischen Konzepts einmal abgesehen – es hat weder in der Heiligen Schrift noch in der apostolischen Tradition eine Stütze – würde dessen Anwendung bedeuten, dass die gesamten nicht-chalkedonensischen, das heißt orientalischen Kirchen aus der christlichen Ökumene ausgeschlossen würden.

Wenn man dazu bereit ist, weil man der Überzeugung ist, dass deren Dissens die Einheit der Kirche nicht tangiert und deshalb ökumenische Konzilien auch ohne sie möglich sind, dann darf man auf der anderen Seite auch nicht behaupten, ökumenische Konzilien seien nach der Trennung der byzantinischen Kirche nicht mehr möglich.

Demgegenüber ist mit Nachdruck festzuhalten, dass auch nach der Verfestigung des östlichen Schismas die Una sancta catholica et apostolica Ecclesia besteht und ökumenische, das heißt die gesamte Kirche verpflichtende Lehraussagen und kanonische Normen erlassen kann. Diese Möglichkeit kann nicht dadurch zunichte gemacht werden, dass sich Teilkirchen vom Corpus ecclesiae vom Inhaber des für die Einheit der Kirche konstitutiven Petrus-Amtes trennen.

III. Aus Abrahams Schoß gefallen

Das Drama des Schönen: Kluft zwischen Kunst und Kultur

Aus: Vatican magazin, Jahrgang 3/Heft 4, April 2009, S. 45–54

Kunst in jedem ihrer Zweige verdankt ihren Ursprung dem urmenschlichen Impuls zur Anbetung und zum Lobpreis der Gottheit – dem Kult. Dies bezeugen uns nach dem Aufweis der Ethnologen bereits die ersten Höhlenzeichnungen, früheste Spuren menschlichen Geistes überhaupt. Keinem anderen Zwecke diente etwa das Gold der Thraker. Es waren Kultgefäße und Kultgeräte des sechsten und fünften vorchristlichen Jahrhunderts, die uns in der bekannten Ausstellung des Jahres 1983 einen frühen Höhepunkt der Goldschmiedekunst erleben ließen.

In gleicher Weise entstammt die Dichtkunst des antiken Hellas dem Kult, die Tragödie der Griechen war kultisches Sprechen, kultisches Geschehen, es waren Bildnisse von Gottheiten, die die Bildhauerei in ihren Anfängen schuf.

IsraelsPsalmen, älter noch als Sophokles, gestalten in kaum zu übertreffender inhaltlicher Dichte und dichterischer Kraft das Gespräch Israels und des alttestamentlichen Frommen mit Jahwe, seinem Gott. In der Begegnung mit dem Evangelium Jesu Christi erklomm die abendländische Kunst sodann ihre unüberbietbaren Gipfel. Um Gottes Wort im heiligen Buch zu bewahren und es liturgisch zu verkünden, wurde die große Buchkunst des Mittelalters geschaffen. Die Lindisfarne-Gospels des ausgehenden siebten und des achten Jahrhunderts erregen höchste Bewunderung der Besucher des Britischen Museums. Noch heute beeindrucken uns zutiefst die Schöpfungen der Reichenauer Buchmaler der Ottonenzeit, denen in den Skriptorien der Spätgotik und Renaissance in Gestalt der berühmten livres d’heures in gewandeltem Stil ebenbürtiges folgte. Dass etwa der Codex Aureus von Echternach – Ende des 10. Jahrhunderts – die Texte der vier Evangelien in lauter Goldschrift enthält, von der glanzvollen Ornamentik und Miniatur ganz zu schweigen, verleiht der Ehrfurcht vor dem geoffenbarten Gotteswort bewegenden Ausdruck.

Dienten Buchmalerei und in zunehmendem Maße die Malerei überhaupt zuallererst der christlichen Botschaft, so forderte die Liturgie der Kirche würdiges Gefäß und Gerät, aus Künstlerhand, aus edlem Stoff, in kunstvoller Gestalt. So gingen die Goldschmiede ans Werk. Hinzu kommt das Lied, kommt die Musik, die ebenfalls im Lobpreis der Gottheit ihren Ursprung hat, wovon der Gregorianische Choral als edelste und tiefste Schöpfung mediterraner und abendländischer Musik eindrucksvoll Zeugnis ablegt.

Es gibt schlechterdings in der gesamten Kunstentwicklung der Menschheit keinen Zweig künstlerischen Schaffens, der nicht im Kult der Götter und dann im Christentum seine Ursprünge hätte. Sogar das, was an künstlerischem Werk der Selbstdarstellung herrscherlieher Gewalt und Würde diente, hat ebenso wie diese selbst seine Wurzeln im Sakralen. Das aber bedeutet, dass die Kunst, vor allem die Kunst der christlich gewordenen Welt, ihre größten Leistungen im Dienst und im Raume der kirchlichen Liturgie vollbracht hat. Nur ein Tor könnte dies als Ergebnis von Zufall bezeichnen, die geistesgeschichtlichen Quellgründe dieser Kunst liegen offen zutage. Es ist die christliche Schau von Gott, Mensch und Welt, die deren künstlerische Darstellung in Wort, Ton, Form und Farbe bestimmt.

Schönheit als Abglanz der Wahrheit

Damit ist über das Inhaltliche hinaus auch eine formalästhetische Aussage gemacht, insofern Augustinus, ausgehend vom Buch der Weisheit des Alten Testaments, mit seinem Wort Du hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet jene Ästhetik formuliert hat, die das ganze Mittelalter hindurch maßgeblich war. Ihr zufolge war in Dichtung und Musik ebenso wie in der bildenden Kunst die auf Maß und Proportion gegründete Harmonie – sichtbar besonders in der Architektur – eine Darstellung der inneren Ordnung und damit der Schönheit des Seins.

Bezeichnenderweise begegnet einem sowohl in der Buchmalerei als auch in der Literatur Gott der Schöpfer in Gestalt eines Architekten, und im Anschluss an die Platoniker sieht man die Mathematik als Bindeglied zwischen Schöpfer und Schöpfung. Und so formuliert Kurt von Simson: Für den damaligen Denker war Schönheit nicht ein unabhängiger Wert, sondern die Ausstrahlung der Wahrheit, der Glanz der Vollkommenheit des Seienden und diejenige Eigenschaft der Dinge, die ihren göttlichen Ursprung widerspiegelt. Licht und leuchtende Gegenstände gewährten – nicht anders als die musikalischen Harmonien – Einblick in die Vollkommenheit des Kosmos und ließen etwas von der Macht des Schöpfers ahnen. Schönheit ist also in metaphysischer Wahrheit verankert, ist – wie Thomas von Aquin sagt – Abglanz der Wahrheit, splendor veritatis.

Gäbe es auch keinen anderen Beweis für die Wahrheit dieser Philosophie – es genügte die nach Jahrhunderten noch von uns bewunderte Schönheit jener Kunst, die in solcher Philosophie ihre Wurzeln hatte, um uns von ihrer Wahrheit zu überzeugen. Es war aber niemand anderer als die Kirche, in deren Schoß diese Wahrheit gedacht und gelehrt und für deren Gottesdienst diese Kunst vor allem andern geschaffen wurde.

Kunst und Kirche trennen sich

Im Grunde hat auch die letzte große christlich-kirchliche Kunstepoche, der Barock, keine anderen geistesgeschichtlichen Gründe. Freilich war inzwischen der Sturm – auch der Bildersturm – der Reformation über die spätmittelalterliche Kirche hinweggegangen. Aber das Konzil von Trient hatte in seinen Dekreten über die Erbsünde und über die Rechtfertigung, die beide in der ersten Sitzungsperiode des Konzils, Ende 1546 bis Anfang 1547, verabschiedet wurden, eine theologische Rehabilitierung der Schöpfung, insbesondere der menschlichen Natur inauguriert. Das in diesem Zusammenhang immer wieder zitierte und auch interpretierte Dekret über die Bilderverehrung spielt hier eine weit geringere und vor allem peripherere Rolle als die genannten grundsätzlichen Glaubensaussagen.

Aus der durch sie neu bekräftigten katholischen Schau des Verhältnisses von Gott und Welt, Gott und Mensch, erwuchs also die gewaltige und seither durch nichts übertroffene Kunst des Barocks.

Gibt es nun einen groteskeren Kontrast als den, der zwischen der beschriebenen Kunstauffassung und natürlich der Kunst der Vergangenheit und dem heutigen Verständnis von Kunst besteht? Die Situationsanalysen, die dem heutigen Kunstschaffen und Kunstverständnis auf den Grund kommen wollen, sind Legion. Das Thema Kirche und Kunst ist in hohem Grad kontrovers. Und jenseits aller Kontroverse begegnet man sich in der Feststellung einer tief greifenden Entfremdung zweier Lebensbereiche, die jahrtausendelang zu beider Nutz und Frommen nahezu deckungsgleich gewesen sind.

Diese Entfremdung äußert sich in schmerzlich empfundenen Mangelerscheinungen im Leben der Kunst und der Kirche. Aus dieser sind auf breiter Front die Künste, aus jener in ebensolchem Maße der christliche Glaube ausgezogen. Nun ist hier eine Einschränkung anzubringen: Es gibt nach wie vor religiöse Kunst, deutlich weniger jedoch solche, die sich bewusst in den Dienst des Kultes stellt.

Enttäuschung breitet sich auf beiden Seiten aus. Die Künstler sprechen von ästhetischem Analphabetentum kirchlicher Kreise, diese hingegen vermögen die Werke vieler moderner Künstler nicht als Ausdruck und Darstellung ihres Glaubens und Betens anzuerkennen. Nicht wenige moderne Kunstwerke, vor allem Bau- und Bildwerke, verfallen der Ablehnung oder dem Spott der Gläubigen. Wie war eine solche Entwicklung, die ganz und gar im Kontrast zu unserer kulturgeschichtlichen Erfahrung steht, möglich? Wo liegen die Ursachen dafür? Sie liegen genau auf dem gleichen Felde, auf dem die die kulturelle Vergangenheit bestimmende Harmonie von Kunst und Kirche einstmals gewachsen war: Auf dem philosophisch­ weltanschaulichen Felde.

In dem Maße, in dem das seit der christlichen Antike und der mittelalterlichen Scholastik von den größten Geistern der Christenheit erarbeitete metaphysisch-theologische Weltbild zerbrochen wurde, die Welt nicht mehr als Kosmos, sondern als Chaos erschien, und der Mensch sich nicht mehr als Geschöpf und Kind Gottes in die göttliche Ordnung von Schöpfung und Erlösung und damit in die Gemeinschaft der Kirche einfügen wollte, zerbrach auch die Harmonie von Kunst und Kirche.

Hatten die Väter eine Kunst der ganz selbstverständlichen kirchlichen Glaubenssicherheit geschaffen und sich darin wie in Abrahams Schoß geborgen gefühlt, so müssen die Söhne bekennen: Wir sind aus Abrahams Schoß gefallen (Eberhard Roters, Gründungsdirektor der Berlinischen Galerie). Es sind die beiden Begriffe Emanzipation und Individualismus, aus deren Gemisch jene Sprengladung entstand, welche die in beider Wesen begründetet Zuordnung von Kunst und Kult beziehungsweise Kirche zerriss.

Eine Kunst, die vielfach weh tut

Das ist leicht nachzuvollziehen. Erschwert es der seit der Aufklärung