Kiss me in Mykonos - Catherine Rider - E-Book

Kiss me in Mykonos E-Book

Catherine Rider

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Beschreibung

Griechischer Wein und Sonnenuntergänge ...

Ihr Gap-Jahr hat sich Izzy anders vorgestellt: Statt als Entertainerin arbeitet sie auf einem mediterranen Kreuzschiff als Babysitterin. Als ihr Ex Tyler sich dazu noch mit einer neuen Flamme vergnügt, geht Izzy in Mykonos erstmal an Land. Zach ist zwar auf Mykonos geboren, doch in Chicago aufgewachsen, und als er jetzt in den Schoß seiner großen griechischen Familie zurückkehrt, steht Ärger an: Seinen Anteil am riesigen Großeltern-Haus will er verkaufen. Als Izzy und Zach sich zufällig über den Weg laufen, sprühen die Funken. Doch keiner der beiden plant eigentlich, sich zu verlieben …

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Seitenzahl: 318

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Catherine Rider

A Summer Romance

Aus dem Englischen von Franka Reinhart

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© 2021 by Working Partners Ltd

With special thanks to James Noble.

© 2021 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Franka Reinhart

Lektorat: Catherine Beck

Umschlaggestaltung: *zeichenpool, München, unter Verwendung mehrerer Motive von Stocksy (TARA ROMASANTA PHOTOGRAPHY); Gettyimages (WALTER ZERLA, Tuul & Bruno Morandi, WIN-Initiative, Emilija Manevska, Alessandro Biascioli / EyeEm); Shutterstock.com

he · Herstellung: bo

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-25573-2V001

www.cbj-verlag.de

Für all meine Cousins und Cousinen

1 Zach

Mittwoch, 14. Juli, 12:07 Uhr

Kalós órises spití.«

Willkommen zu Hause.

Ich lächle die ältere Griechin an, während ich den Ankunftsbereich des Flughafens von Mykonos durchquere. Sie steht neben einem älteren – ebenfalls griechischen – Mann und begrüßt alle erschöpften Reisenden, die an ihnen vorbeitrotten, während die beiden offenbar jemanden erwarten. Ich nicke und schaue so freundlich wie möglich, zögere allerdings mit meiner Antwort – »Efcharistó, allá eímai pragmatiká Amerikanós.« (Vielen Dank, ich bin übrigens Amerikaner) – weil ich total aus der Übung bin. Bis zu meinem sechsten Lebensjahr habe ich auf Mykonos gelebt und meine Gene sind durch und durch griechisch: zu 100 Prozent, wie ein Test ergab, den mein Vater unserer Familie vor einigen Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte. Mit einer derart trivialen Konversation sollte ich daher problemlos klarkommen.

Trotzdem lächle ich einfach nur und laufe weiter, so wie alle anderen auch. Zum letzten Mal war ich vor sechs Wochen auf Mykonos, zur Beerdigung meiner Großmutter. Wenn ich daran zurückdenke, bekomme ich gleich wieder einen Kloß im Hals. Die Frau hier im Flughafen sieht zwar meiner Großmutter kein bisschen ähnlich – sie ist klein und weißhaarig, während Oma recht groß war und bis zum Schluss noch überwiegend dunkle Haare und Haut hatte –, doch ihr herzlicher Tonfall klingt so vertraut, dass ich an die vielen Telefonate mit meiner Oma denken muss, in denen sie sich immer darüber amüsierte, »wie amerikanisch« ich mich anhöre.

Und damit hatte sie auch völlig recht, denn mein Griechisch ist ziemlich eingerostet. Früher habe ich mich auf Mykonos ganz heimisch gefühlt, doch heute komme ich mir hier vor wie ein Fremder.

Ich trete durch die Automatiktür nach draußen und reihe ich mich in die Warteschlange am Taxistand ein. Sobald ich den klimatisierten Flughafen verlasse und mich die drückende griechische Hitze empfängt, bilden sich binnen Sekunden Schweißperlen auf meiner Stirn und im Nacken. Diese Hitze ist so ganz anders als die Sommerwärme, die ich aus Chicago gewohnt bin. Ich merke, wie mir ein Schweißtropfen beinahe spöttisch den Nacken hinunterrinnt. Der Kragen meines Poloshirts klebt unter den Schultergurten des Rucksacks auf meiner Haut. Beides ist eine denkbar schlechte Wahl, und ich fühle mich reichlich deplatziert in diesem Land, das gerade als mein »Zuhause« bezeichnet wurde.

Der Taxifahrer, der mich vom Flughafen zum Haus meiner Großeltern bringt, bemerkt sogleich, wie müde ich nach dem Nachtflug aus den Vereinigten Staaten bin, und lässt mich während der fünfzehnminütigen Fahrt in Ruhe, sodass ich entspannt aus dem Fenster schauen kann. Genau wie die griechische Sprache ist mir die Küstenlandschaft von Mykonos zutiefst vertraut – und gleichzeitig auch nicht. Selbst als ich auf das leuchtend blaue, bis zum Horizont reichende Meer blicke und die steil abfallenden Klippen betrachte, die hier und da mit den typisch weiß-blauen Häusern bebaut sind (deren Wert ich unweigerlich in Gedanken überschlage), kommt mir das alles seltsam unwirklich vor. Wie ein Traum, an den ich mich nur noch verschwommen erinnern kann. Genauso geht es mir mit der Zeit, als ich mit meinen Eltern noch auf Mykonos lebte. Nachdem wir ausgewandert waren, verbrachten wir, bis ich vierzehn war, noch jeden Sommer hier – was mittlerweile fünf Jahre her ist. Mein Vater und seine Geschwister kamen dann zu dem Schluss, dass ihre Eltern wohl nun etwas zu alt seien, um den ganzen Sommer nonstop die gesamte Großfamilie um sich zu haben, die aus ihren vier Kindern plus fünf Enkeln bestand. Hinzu kam noch ein Urenkel – und mit weiteren war zu rechnen. Meine Großeltern sahen das natürlich anders, doch trotzdem fanden die jährlichen Begegnungen aller Verwandten nicht mehr statt, sondern die einzelnen Familien sprachen von nun an miteinander ab, wer wann zu Besuch kam. Und da mein Vater mit uns nach Chicago übergesiedelt war, wurde es für uns deutlich schwieriger herzukommen als für seine Geschwister, von denen zwei auf Mykonos lebten und eine in Berlin. Das führte am Ende dazu, dass ich in den letzten Jahren nur noch selten in meiner griechischen Heimat gewesen war.

Dennoch erfüllte sich der Wunsch meiner Großeltern, dass die Familie wieder einmal vollständig zusammenkam – allerdings leider nur zu ihrer Beerdigung: vor einem Jahr, als mein Großvater starb, und vor sechs Wochen nach dem Tod meiner Großmutter.

Nach knapp zehn Minuten biegt das Taxi von der Küstenstraße ab und fährt einen Berg hinauf, von wo aus man einen noch viel besseren Ausblick auf das im Sonnenlicht glitzernde Meer hat (als ob es diesen kosmischen Scheinwerfer nötig hätte!). Die Häuser am Hang sehen aus, als ob sie beim Sturz in Richtung Wasser unterwegs erstarrt wären. Dabei lassen sich die Häuser der Einheimischen ganz leicht von Ferienhäusern unterscheiden, denn bei Letzteren hängt draußen weder Wäsche, noch liegen Spielsachen chaotisch herum. Eine Villa hier ist locker mehrere Millionen Euro wert und für jedes zusätzliche Zimmer kann man eine halbe Million dazurechnen. Doch selbst die einfacheren Häuser kratzen schon fast an der Millionengrenze. Ein atemberaubender Ausblick, ganzjährig fantastisches Wetter und ein äußerst angenehmer Lebensstil haben eben ihren Preis.

Und ich bin fest entschlossen, alle drei Aspekte ausgiebig zu genießen, während ich hier bin.

Selbst wenn ich mich noch nicht ganz zugehörig fühle, ist es schön, wieder zu Hause zu sein.

Das Taxi fährt vor dem Haus ganz oben auf dem Berg vor. Es ist ein großzügiges, herrschaftliches Gebäude mit zwei Etagen inmitten eines weitläufigen Grundstücks, auf dem hier und da Olivenbäume wachsen und Bougainvilleen blühen, die wie explodierende rote Sterne anmuten. Zwei kleinere weiße Häuser umgeben das Hauptgebäude ähnlich wie Satelliten.

Der Fahrer dreht sich zu mir um und redet in rasantem Griechisch auf mich ein, sodass ich zunächst ein wenig Panik bekommen, bis meine Muttersprache zurückkehrt, als ob ich sie nie vergessen hätte, und seine Worte nach und nach verständlich werden. Er zeigt sich beeindruckt von der Größe des Anwesens meiner Großeltern, und ich erzähle ihm daraufhin, dass dieses Haus meiner Familie schon seit drei Generationen gehört. Es ist der Schauplatz nahezu sämtlicher schöner Erinnerungen meiner Kindheit.

Ich bezahle den Fahrpreis, runde dabei großzügig auf und sage dann: »Eínai to agapiméno mou méros ston kósmo.« – Das ist mein Lieblingsort auf der Welt – und es ist mir nur ein winziges bisschen peinlich, als meine Stimme dabei vor Rührung leicht zittert. Denn mit diesem Lieblingsort könnte es bald vorbei sein.

Ich steige aus und das Taxi fährt davon, während ich vor dem Tor stehe und die lange, gewundene Einfahrt zum Haupthaus betrachte. Ich tippe den Code für den Türöffner ein: 170*569. Den kenne ich schon, seit ich denken kann; er hat sich nie geändert.

Nun bin ich zum ersten Mal hier auf Mykonos, ohne hier meinen Großeltern zu begegnen.

Ich werde Oma und Opa niemals wiedersehen.

Bei diesem Gedanken bekomme ich einen solchen Kloß im Hals, dass ich beinahe nicht durch das Tor treten will. Doch als ich zum Haus schaue, geht die Tür auf, und ein großer, kräftiger Grieche in Khakishorts und einem blau-weißen Fußballtrikot von AO Mykonos tritt heraus. Ich winke ihm zu.

»Hallo, Onkel Cy!«

»Zach!« Er reißt die Arme hoch, als sei er vollkommen überrascht, mich hier zu sehen, obwohl wir meinen Besuch seit zwei Wochen gemeinsam geplant hatten. In diesem Moment schwindet all meine Befangenheit dahin.

Im Handumdrehen werde ich ins Haupthaus geholt und (freundlich) in die Küche gezerrt, die das Zentrum des Erdgeschosses bildet. Von hier aus gehen satellitenartig die anderen Räume ab, ähnlich wie die beiden kleineren Gebäude auf dem Grundstück um das Haupthaus herum angeordnet sind. Zunächst bin ich mit Cy allein in der Küche, doch binnen Sekunden strömen durch alle drei Türen meine ganzen Verwandten herein. Tante Talia, Cys Ehefrau, taucht aus dem hinteren Esszimmer auf. Sie trägt ein fließendes pinkfarbenes Sommerkleid, in dem sie förmlich in den Raum schwebt. Cys Sohn, mein Cousin Spiro, kommt durch den Haupteingang, durch den sein Vater und ich kurz zuvor ebenfalls das Haus betreten haben. Er ist ein gutes Stück kleiner als ich, allerdings vier Jahre älter, also schon dreiundzwanzig. Deshalb wird er wahrscheinlich für immer mein »großer« Cousin bleiben. Als ob er mich daran erinnern wollte, begrüßt er mich nicht wie seine Eltern mit einer Umarmung, sondern wuschelt mir spielerisch durch die Haare, als wären wir noch Kinder. (Obwohl ich das heute genauso wenig mag wie damals.)

Zuletzt erscheint Effie, Dads Schwester, durch eine der Seitentüren. Sie ist etwas außer Atem, woraus ich schließe, dass sie direkt aus ihrer Wohnung kommt, die sie zugleich als Atelier nutzt. Sie trägt ein helles T-Shirt voller Farbflecken, die teilweise auf mich übergehen, als sie mich umarmt.

Obwohl alle Englisch sprechen, verstehe ich beinahe genauso wenig wie zuvor beim Taxifahrer, weil alle wild durcheinanderreden.

Typisch griechische Großfamilie halt.

Zwischen den ganzen Umarmungen und Küssen bemühe ich mich, so viele Fragen wie möglich zu beantworten.

»Ja, ich hatte einen guten Flug.«

»Klar bin ich ein bisschen müde, aber ist schon okay.«

»Dad tut es natürlich auch leid, dass er diesmal nicht mitkommen konnte, aber ihr wisst ja, sein Job …«

»Theía, Gyros wäre super!«

Und …

»Ach ja … Maddie und ich, wir haben uns übrigens getrennt, vorigen Herbst.«

»Oje«, antwortet Effie, die nach meiner Freundin gefragt hat. Vier Augenpaare wechseln verlegene Blicke. »Entschuldige, Zach. Ich wollte nicht …«

Beschwichtigend winke ich ab. »Konntest du ja nicht wissen.«

»Tut mir sehr leid«, sagt Effie noch einmal.

»Das hättest du uns sagen sollen«, merkt Spiro an.

Ich zucke die Schultern. »Ach, ich dachte, das ist nicht so wichtig.«

Nun sehen mich die vier Augenpaare erwartungsvoll an, damit ich es ihnen genauer erkläre. Offenbar spielt es jetzt doch eine Rolle, warum auch immer.

»Das mit der Fernbeziehung hat auf Dauer nicht so gut funktioniert«, erkläre ich ihnen. »Mein Studium zu Hause in Chicago und Maddies in Massachusetts. Wir haben uns oft wochenlang nicht gesehen …« Wieder zucke ich die Schultern, um anzudeuten: Es ging einfach nicht mehr. Wie seltsam sich unsere letzte Begegnung angefühlt hatte, spare ich lieber aus; dass unsere Hände nicht mehr wie von selbst zueinanderfanden und es allmählich kein bisschen aufregend mehr war, wenn wir …

Tja, über manche Sachen redet man wohl besser nicht mit seiner Familie.

»Es hat einfach nicht mehr gepasst«, sage ich daher abschließend.

»Dann bist du jetzt bestimmt schrecklich einsam«, stellt Talia mitfühlend fest. Und ehe ich einwenden kann, dass ich im Moment gar kein Interesse an einer Beziehung habe, klatscht sie begeistert in die Hände und ruft: »Dann suchen wir dir ein nettes griechisches Mädchen, während du hier bist!«

Genervt verdrehe ich die Augen. »Mykonos ist doch noch viel weiter weg als Boston, Theía«, entgegne ich lachend. »Und außerdem bin ich im Moment gar nicht auf der Suche nach der großen Liebe. Ich hab ganz andere Sachen im Kopf.«

Bei dem Gedanken daran, was mir stattdessen durch den Kopf geht, krampft sich in mir alles zusammen. Denn das ist der eigentliche Grund, warum ich nicht zusammen mit meiner Freundin nach Boston ans College gegangen bin und mich entschlossen habe, mein Wirtschaftsstudium für ein Jahr zu unterbrechen: Ich möchte mich selbstständig machen und als Finanzierung mein Erbe verwenden.

Talia entgegnet vorwurfsvoll: »Für die Liebe hat man immer den Kopf frei.«

Sie dreht sich zum Kühlschrank um und holt Lammfleisch, Salat und Tsatsiki heraus. Dann nimmt sie noch etwas Pitabrot aus dem Schrank und schaltet den Grill an. Cy legt seine fleischige Hand auf meine Schulter und zwingt mich förmlich auf einen Stuhl am Küchentisch. Wir setzen uns und Effie und Spiro nehmen ebenfalls am Tisch Platz. Alles läuft so synchron ab, dass ich mich beinahe wie eine Geisel in den Händen ausgesprochen freundlicher Kidnapper fühle, die darauf aus sind, mich ausgiebig zu verpflegen.

»Sieh dir zum Beispiel Spiro an«, sagt Cy. »Seit er sich in Kali verliebt hat, ist er wie ausgewechselt.«

»Ganz bestimmt«, erwidere ich. »Aber für mich ist es einfach nicht der richtige Zeitpunkt.«

Spiro umfasst meine Schulter, wo eben noch die Hand seines Vaters lag, die mich auf meinen Stuhl gedrückt hatte. Zwei Generationen, ein und dieselbe Geste. »Der Zeitpunkt ist immer richtig, Zach. Du musst nur bereit dafür sein. Vor zwei Jahren hab ich noch genauso gedacht wie du. Ich wollte einfach mein Ding machen und dabei Spaß haben. Ich dachte, ich muss mich überhaupt nicht beeilen, eine Freundin zu finden, weil sie mir schon von ganz allein über den Weg laufen würde.«

»Aber so funktioniert das nicht«, wirft Talia über die Schulter ein, während das Fleisch auf dem Grill brutzelt.

»Lass ihn mal selbst erzählen, Schatz«, sagt Cy auf Griechisch. »Schließlich ist es seine Geschichte.«

»Und die von Kali«, ergänzt Spiro, ebenfalls auf Griechisch. Dann fügt er auf Englisch hinzu: »Sie wird gleich da sein.« Als ob ich seine Verlobte nicht kennen würde. Dabei hatte ich sie schon auf der Beerdigung unserer Großmutter getroffen und sie außerdem bei etlichen Videotelefonaten mit meiner Familie im Hintergrund gesehen. Wieder schildert er mir die romantische Liebesgeschichte der beiden, als ob ich sie zum ersten Mal hören würde. Und natürlich gefällt sie mir immer noch, denn sie ist wirklich bezaubernd.

Spiro und Kali waren an der Highschool jahrelang ein Paar gewesen und hatten vorgehabt, direkt nach dem Schulabschluss zu heiraten. Doch Kali wollte unbedingt in Athen studieren, was zwar keine gigantische Entfernung war, aber zumindest so umständlich, dass sie beschlossen, ihre Hochzeit noch etwas aufzuschieben. Denn welches frisch getraute Paar würde die ersten Ehejahre getrennt verbringen wollen?

»Doch schon bald sahen wir uns immer seltener«, berichtet Spiro.

Ich staune, wie euphorisch und emotional er das schildert – als Außenstehender würde man niemals auf die Idee kommen, dass er das alles schon x-mal erzählt hat. Ich könnte ihn jederzeit unterbrechen und seinen Bericht fortsetzen, wenn ich wollte.

»Es fühlte sich immer mehr an, als ob wir nicht nur unsere Hochzeit aufgeschoben hätten, sondern noch viel mehr. Aber keiner von uns wollte das richtig wahrhaben. Ohne Kali fühlte ich mich total verloren und Mykonos kam mir plötzlich vor wie eine Gefängnisinsel – eine wunderschöne zwar, aber trotzdem ein Gefängnis.«

Ich habe mich nie getraut, ihn zu fragen, warum er nicht einfach mit nach Athen gezogen ist. Dort hätten sie ja dann sehen können, wie es weitergeht.

Als die Stelle kommt, wo sie beide am selben Tag zum Flughafen mussten, Spiro zu einer Parisreise mit seinen Kumpels und Kali nach London zu ihrer Schwester, höre ich kaum noch zu. Stattdessen sehe ich mehr oder weniger durch Spiro hindurch, nicke in regelmäßigen Abständen und lächle immer breiter, je romantischer sich das Geschehen entwickelt, das ich nun schon so oft gehört habe. Bis zu jenem Punkt, an dem Spiro sagt: »Da steh ich also, will gerade einchecken und überlege, ob ich’s vielleicht noch mal zu Kalis Gate und wieder zurück schaffen könnte …«

»Weil du es ihr einfach sagen musstest«, werfe ich ein, und das Ganze wird zu einer Art Stichwort-Pingpong.

»Genau, ich musste es ihr einfach sagen«, fährt er nickend fort. »Du kennst das ja.«

Ich spüre einen Stich in der Herzgegend. Nein, das kenne ich leider nicht.

»Und meine Freunde alle so: ›Das schaffst du niemals.‹ Aber ich hab nur zu ihnen gesagt …«

»›Manchmal muss man einfach die Beine in die Hand nehmen.‹«

Diesen Satz spricht der gesamte Tisch im Chor mit. Wir haben diese Geschichte inzwischen alle schon so oft gehört und dieser Spruch war ein Favorit meiner Großmutter. Sie brachte ihn immerzu an – bei jeder passenden (oder unpassenden) Gelegenheit.

Morgens zur Schule spät dran? Nimm die Beine in die Hand.

Bist du unschlüssig? Nimm die Beine in die Hand.

Knöchel verstaucht? Nimm die Beine in die Hand.

Okay, das letzte Beispiel ist frei erfunden. Aber sie hat diesen Satz wirklich sehr oft gesagt.

»Zwischen uns hat es einfach auf Anhieb gepasst«, sagt er dann. »Kali war von Anfang an wie ein fehlender Teil von mir.«

Weil er das so noch nie gesagt hatte, höre ich mit halbem Ohr wieder zu, um nicht zu verpassen, was als Nächstes folgt und wie er es verpackt. Möglicherweise macht es meinen Aufenthalt hier noch heikler, als er ohnehin schon ist.

»Ich kann’s kaum erwarten, den nächsten Schritt zu gehen.« Er lässt seinen Blick durch die Küche schweifen und vollführt dabei eine raumgreifende Geste, als ob es um das Haus unserer Großeltern ginge. »Mein Leben, mit Kali.«

Sein Leben, mit Kali? Meint er hier, in diesem Haus?

Ich beuge mich nach vorn. »Wie meinst du …«

Doch ich komme gar nicht dazu, meine Frage zu stellen, denn Cys Hand liegt schon wieder auf meiner Schulter. »Es ist so schön, dass du da bist, mein lieber Neffe.« Dann fügt er an alle gewandt hinzu: »Und vergesst nicht, dass wir uns heute Abend im Selene treffen. Die ganze Familie.«

Allgemeines Gemurmel auf Englisch und Griechisch. Natürlich hatte niemand vergessen, dass wir alle zu einem großen Abendessen in dem Restaurant zusammenkommen würden, das schon länger im Besitz unserer Familie ist als das Haus und der Grund, warum sich meine Großeltern dieses Anwesen damals überhaupt leisten konnten. In Gedanken male ich mir jetzt schon aus, wie ich im Kreis meiner Verwandten sitze, die mich allesamt entsetzt anstarren, nachdem ich ihnen die denkbar heikelste Frage gestellt habe.

Ich weiß nicht, ob das Selene der geeignete Ort für ein solches Gespräch ist.

Allerdings eignet sich die Küche meiner Großeltern dafür wohl ebenso wenig. Und ich bin nach wie vor in einem seltsam aufgekratzt-übermüdeten Jetlag-Zustand, wodurch meine Verwandten und der Raum um uns herum lebhaft und zugleich irgendwie verschwommen wirken, wie die Kopie einer Nahaufnahme.

»Ich bring dich in meine Wohnung«, sagt Effie nun. »Du willst ja bestimmt vor dem Essen deine Sachen auspacken.«

»Deine Wohnung?« Ich mache ein ganz verwirrtes Gesicht, während Effi mich von meinem Stuhl hochzieht.

»Aber beeilt euch, ja?«, ruft Talia uns nach, und Effie lotst mich nach draußen.

»Wieso soll ich denn bei dir übernachten?«, will ich von Effie wissen, als wir den Hof überqueren und auf das größere der beiden Nebengebäude zugehen, wo sich ihre Atelierwohnung befindet. Im anderen, kleineren Gebäude befand sich früher das Büro meines Großvaters. Heute wird es kaum noch genutzt. »Und wo schläfst du?«

»In einem von den Gästezimmern im Haupthaus«, antwortet sie.

»Aber ich will dich nicht vertreiben. Warum soll ich denn nicht …?«

»Ist schon okay«, beruhigt sie mich, öffnet die Tür und lässt mir dann den Vortritt. Als ob es schon mir gehören würde. »Du hattest eine weite Reise. Da kannst du einen Rückzugsort bestimmt gut gebrauchen. Außerdem ziehe ich ja sowieso bald aus, da kann ich mich schon mal dran gewöhnen, in einem fremden Zimmer und einem fremden Bett zu schlafen. Die Zwillinge und du, ihr müsst euch ja ohnehin daran gewöhnen, in den Gästehäusern zu übernachten, wenn ihr hier seid und nicht mehr im Haupthaus.«

»Du … du ziehst aus?« In mir macht sich eine Mischung aus Ärger und Anspannung breit. Wenn Effie vorhat auszuziehen, deutet es darauf hin, dass dieses Thema innerhalb der Familie bereits besprochen wurde. Ohne mich dabei einzubeziehen.

»Ja, schon«, sagt sie. »Ist irgendwie gerade der richtige Zeitpunkt, weißt du?«

»Aber wann habt ihr das alles …?«

Sie fällt mir ins Wort, indem sie mich umarmt. »Ach, es ist so schön, dass du wieder da bist, Zach.« Dann küsst sie mich auf die Wange und schlägt vor, dass ich mich kurz ein bisschen frischmachen soll, ehe wir uns in ein paar Minuten wieder in der Küche treffen.

Ich betrete Effies Reich. Dabei muss ich seitwärts gewandt durch den Flur gehen, weil dort schon etliche, chaotisch gestapelte Umzugskartons im Weg stehen. Es stimmt also, Effie zieht tatsächlich aus.

Ich steige die Treppe hinauf und stelle mein Gepäck in ihrem Zimmer ab. Anschließend gehe ich ins Bad und spritze mir etwas Wasser ins Gesicht, um wach zu werden. Das hilft zwar ein klein wenig, ändert aber nichts an meiner inneren Anspannung angesichts der bevorstehenden Gespräche, die ich jedoch noch nicht gleich führen kann, um den anderen nicht das Mittagessen und das Festmahl heute Abend zu verderben. Gemeinsame Mahlzeiten sind heilig. Trotzdem duldet die Sache wenig Aufschub …

Ich hoffe nur, dass ich meiner Großfamilie damit kein Zerwürfnis beschere.

Während des Mittagessens habe ich kaum etwas gesagt, weil ich mir nicht sicher war, ob ich nicht doch gleich mit der Tür ins Haus falle mit dem Thema, über das wir reden müssen, aber noch nicht gleich. Nach dem Essen wollte sich Talia von mir partout nicht beim Aufräumen der Küche helfen lassen, und alle Anwesenden bestanden darauf, dass ich mich ein wenig hinlege. Am liebsten hätte ich mich geweigert, denn eigentlich wäre es ein recht günstiger Zeitpunkt gewesen, um mit allen zu reden, damit sich die Aufregung bis zum Abendessen wieder hätte legen können und kein böses Blut zwischen uns entstand. Doch plötzlich überkam mich eine heftige Müdigkeit und zugleich fühlte ich mich total verunsichert, sodass ich schließlich klein beigab. Ein so wichtiges Gespräch wie das bevorstehende zu führen, während ich vor Erschöpfung kaum geradeaus denken konnte, war sicher keine gute Idee.

Als ich aus meinem Mittagsschlaf wieder aufwachte (definitiv die richtige Entscheidung), kam eine weitere Verwandte aus einem der Nebengebäude hinzu: Ana, meine älteste Cousine ersten Grades. Sie freute sich genauso wie die anderen, mich zu sehen, und entschuldigte sich überschwänglich, weil sie das Mittagessen versäumt hatte. Sie ist mit ihren drei Kindern hier, wobei jedoch ihr Mann Christian ständig Anrufe aus seinem Büro in Berlin bekommt und somit keine allzu große Hilfe für sie ist. Bei drei Kindern gibt es ziemlich oft Streit, sagt sie.

»Was machst du denn, wenn Nummer 4 da ist?«, hatte ich sie irgendwann mit Blick auf ihren gewölbten Bauch gefragt. Baby Nummer 4 kommt zwei Jahre nach Baby Nummer 3, das zwei Jahre nach Nummer 2 geboren wurde, das wiederum zwei Jahre nach Baby Nummer 1 zur Welt kam. Ich kann mich kaum erinnern, Ana – im realen Leben oder bei Videoanrufen – jemals nicht schwanger gesehen zu haben.

Daraufhin hatte sie nur die Augen verdreht und geantwortet, dass sie darüber lieber gar nicht nachdenken wollte.

Nun laufen wir Arm in Arm ganz am Ende der lang gezogenen Gruppe aus Familienmitgliedern die Strandpromenade entlang zum Restaurant. Dabei bombardiert sie mich geradezu mit Fragen und wirft dabei immer wieder besorgte Blicke nach vorn, ob Kind Nummer 1 – ihre sechsjährige Tochter Elsa – nicht zu weit vorausrennt. Die Kinder Nummer 2 und 3 werden von Cy und Spiro getragen.

»Und, wie läuft’s so am College?«, erkundigt sie sich auf Englisch.

Ich muss mir ein Lachen verkneifen. Von allen Verwandten verstehe ich Ana zumeist am schlechtesten – wahrscheinlich weil sie zur Hälfte auf Mykonos und zur Hälfte in Berlin aufgewachsen ist, jeweils die Hälfte des Jahres hier und die andere dort. Deshalb stehen bei ihr Griechisch und Deutsch im permanenten Widerstreit – genauso wie ihr griechischer Teint mit ihren leuchtend blauen Augen und ihren blonden Locken.

»Gut«, antworte ich. »Aber ehrlich gesagt überlege ich, ein Jahr zu pausieren.«

»Wirklich? Warum denn?«

Ich seufze. »Ich bin halt anders als meine Freunde, weißt du? Die hoffen alle, irgendwann während des Studiums rauzukriegen, was sie später machen wollen. Aber ich weiß das schon ziemlich genau. Und deshalb geht bei mir viel zu viel Geld für Studiengebühren drauf, was ich eigentlich lieber gleich in meine berufliche Zukunft investieren würde.«

»Und was genau hast du vor?«

Ich komme nicht dazu zu antworten, weil wir unser Familienrestaurant Selene schon fast erreicht haben und in diesem Moment eine Vespa aus dem träge dahinfließenden Verkehr ausschert, den Straßenrand ansteuert und abrupt direkt neben uns zum Stehen kommt. Ich betrachte die beiden schlanken und relativ kleinen jungen Frauen, die jeweils einen Sturzhelm tragen, aus dem schwarze Locken hervorwallen. Außerdem sind sie mit identischen violetten Bikinioberteilen und hellblauen, fließenden Sarongs bekleidet und sehen damit aus, als ob sie direkt vom Strand kämen, was – wie ich meine Cousinen Stevi und Zina kenne – vermutlich sogar stimmt.

Sie setzen ihre Helme ab und beugen sich zur Seite, um ihre Haare auszuschütteln. Ihre Bewegungen sind dabei ganz synchron – Stevi beugt sich nach links und Zina nach rechts, sodass es aussieht wie eine einzige Frau mit ihrem Spiegelbild. So waren die beiden schon immer. Außenstehende können sie praktisch nicht auseinanderhalten und ich kann gar nicht erklären, wie ich sie immer richtig erkenne. Ich weiß nur, dass ich es kann. Sie sind eben meine Cousinen.

Stevi, die Fahrerin der Vespa, bemerkt mich als Erste. Ihre Augen leuchten auf, und sie springt so schnell von ihrem Motorroller, dass Zina hastig den Lenker packen muss, damit er nicht umkippt. Während sie den Ständer ausklappt, stürmt Stevi schon auf mich zu und lächelt mich genauso breit an, wie sie ihre Arme öffnet. Ich muss sie regelrecht auffangen, damit wir nicht beide der Länge nach hinfallen. So begrüßt sie mich jedes Mal, wenn ich nach Mykonos komme – ihre Umarmungen knüpfen nahtlos an jene an, mit denen ich mich immer im Haus unserer Großeltern von ihr und Zina verabschieden musste. Dabei umarmten mich die beiden so fest, als wollten sie mich nie wieder loslassen. Einmal hatten sie sogar meinen Vater gefragt, ob ich nicht dableiben könnte, und waren anschließend in Tränen ausgebrochen, als er verneinte. In unserer Generation waren wir immer »die drei Kleinen«, da Spiro und Ana fünf und acht Jahre älter sind als wir. So jäh auseinandergerissen zu werden, konnten wir alle nur schwer verkraften.

Einen Augenblick später gesellt sich Zina zu uns, sodass ich gar nicht mehr weiß, von welcher der beiden ich gerade geherzt und geküsst werde.

Stevi nimmt mein Gesicht in ihre Hände, lehnt sich zurück und sieht dann kurz hinüber zu den anderen. »Wo hast du denn deine Freundin gelassen?«, erkundigt sie sich. Als sie bemerkt, dass alle verlegen auf ihre Schuhe starren, fragt sie: »Wie jetzt?«

»Wir haben uns getrennt«, erkläre ich. »Hab ich dir das nicht geschrieben?«

»Doch, hast du«, antwortet Stevi. »Ich hätte nur nicht gedacht, dass es auch dabei bleibt.«

»Im Gegensatz zur dir«, wirft Zina ein und löst sich aus unserer Gruppenumarmung, »schaffen es andere Leute, länger als ein paar Wochen am Stück Single zu sein.«

Stevi will ihrer Zwillingsschwester einen Klaps verpassen, verfehlt jedoch ihren Kopf und bringt nur ein paar dunkle Locken in Unordnung. »Laber doch keinen Quatsch.«

»Du weißt genau, dass ich recht hab«, kontert Zina und gesellt sich zu den anderen Familienmitgliedern. Sie hebt Anas vierjährigen Sohn Noah hoch und wirbelt ihn im Kreis herum.

»Dann mal rein mit euch«, sagt Onkel Cy auf Griechisch und zeigt auf das Restaurant.

Stevi hat ihren Arm eng um meine Taille geschlungen und legt kurz den Kopf an meine Brust, während wir zum Eingang des Selene gehen. »Tut mir leid wegen Maddie«, sagt sie dann. »Aber ich muss zugeben, dass ich es auch ein bisschen cool finde.«

»Wieso das denn?«, will ich wissen.

»Jetzt kann ich jemanden nach meinem Geschmack für dich aussuchen. Ein Mädchen mit Sinn für den Spaß im Leben.«

Von unserer Familie kommen skeptische Kommentare, während wir hineingehen.

»Ich brauch aber keine Spaßfreundin«, sage ich zu Stevi, während Spiro uns über die Schulter zuruft: »Partymädels sind nicht das Richtige für Zach.«

Cy begrüßt so ziemlich alle Gäste im Restaurant, indem er ihnen zunickt, zuwinkt oder die Hände schüttelt, während wir einen separaten Raum im hinteren Teil ansteuern. Immer wenn ich hier bin, kommen wir in diesem Hinterzimmer zusammen. Ich weiß nicht, ob er jederzeit für uns reserviert ist, aber seit unsere Großeltern dieses Lokal vor fünfzig Jahren eröffnet haben, steht uns dieses Privileg wahrscheinlich auf ewig zu.

Im bogenförmigen Eingang steht ein großer, stämmiger, älterer Grieche mit nach hinten gegelten Haaren, so weiß wie seine Kochmütze, die er zur Begrüßung abnimmt. Genauso weiß ist auch der Vollmond auf den Bildern an den Wänden.

»Hallo Nick«, sage ich, ehe er sich unter die Familienmitglieder mischt, als ob er dazugehören würde – was im Grunde auch stimmt. Er ist schon länger Chefkoch im Selene, als wir Jüngeren allesamt auf der Welt sind. Mein Vater witzelt immer, dass Nick »zum Inventar gehört«.

»Zach, mein Junge!« Er umfasst mein Gesicht und gibt mir einen Kuss. »Wie schön, dich zu sehen.«

Er geht mit mir voran in das Separee, wo auf der langen Tafel ein herrliches Festmahl angerichtet ist: Spanakopita, Lammspieße, Hackbällchen, Feta-Teigtaschen, Calamares, Taramosalata und vieles mehr. Und zwischen alldem stehen mehrere Flaschen Rotwein bereit. Mich überkommt das vertraute Gefühl, dass es ein wunderbarer Abend wird, den ich sehr genießen werde. Alles fällt in diesem Moment von mir ab – Jetlag, Müdigkeit und mein Plan für ein schwieriges Gespräch mit meiner Familie. Das Geschäftliche kann bis morgen warten.

Im Moment möchte ich es einfach nur genießen, wieder zu Hause zu sein.

Während des Abendessens plaudern wir angeregt, trinken reichlich Wein, und ich fühle mich allen Leuten am Tisch wunderbar nahe. Zwei Stunden später kündigt Ana an, dass sie und Christian die Kinder zurück nach Hause bringen müssen, um sie schlafen zu legen. Als ich sie zum Abschied umarme, kommen mir dabei beinahe die Tränen. Mein Herz ist regelrecht überfordert von all den Gefühlen, die ich gerade empfinde – und der Wein tut noch ein Übriges.

Ganz am Ende des Abends, als der Kellner schon den Kaffee serviert, taucht schließlich Kali auf, Spiros Verlobte. Sie tritt hinter meinen Stuhl, beugt sich herunter und schlingt ihre Arme um meinen Hals, als ob sie ebenfalls zu meinen Verwandten gehören würde, was ja im Prinzip auch stimmt – und schon bald offiziell besiegelt wird.

Dabei fällt mir ein …

»Da ist sie ja«, ruft Spiro, der auch schon merklich angeheitert ist, und zieht Kali auf seinen Schoß. »Die Liebe meines Lebens und Königin in meinem künftigen Schloss.« Er drückt ihr einen langen Kuss auf die Wange. Danach macht er ein gerührtes Gesicht. »Unsere Oma wäre total aus dem Häuschen, wenn sie wüsste, dass eine neue Familie hier einzieht und ihre eigenen Traditionen entwickelt …«

Ich sehe, wie Zina nervös auf ihrem Stuhl herumrutscht, und merke, wie sie verstohlen gegen Spiros Schienbein tritt, während auf dem Tisch mit Besteck geklappert wird, sodass ich nicht verstehen kann, was Stevi ihm zuraunt.

Dann herrscht erst einmal Schweigen in der Runde.

»Ihr habt vor, ins Haus unserer Großeltern einzuziehen?«, frage ich Spiro, während Kali von seinem Schoß auf den Nachbarstuhl gleitet, wo zuvor Ana saß. »Wollt ihr es übernehmen?«

»Na ja …« Hilfesuchend schaut er zu seinen Eltern.

Ich folge seinem Blick und sehe, wie Nick hinter Cy in der Tür auftaucht. Er hält eine Flasche Wein in der Hand und will gerade die leere auf dem Tisch ersetzen. Doch als er die gespannte Atmosphäre bemerkt, macht er auf dem Absatz kehrt und verschwindet wieder im Restaurant.

Auch wenn er inoffiziell längst zur Familie gehört, zieht er an dieser Stelle eine klare Grenze.

Cy räuspert sich, schaut einen Moment lang in sein leeres Glas und wägt seine Worte sorgfältig ab. »Wir wollten das alles morgen besprechen«, sagt er und sieht mich dann an. Alle anderen starren auf die Tischplatte oder zu Boden. »Spiro und Kali heiraten bald, und da wäre es doch großartig, wenn sie ihr gemeinsames Leben gleich im eigenen Heim beginnen könnten. Aber du weißt ja, wie die Immobilienpreise hier so sind.«

In der Tat weiß ich das.

»Da käme nur eine winzige Wohnung irgendwo infrage.«

»Und wir wollen ja eine Familie gründen«, wirft Spiro ein, »und zwar bald.«

Kali strahlt ihn an, als ob ihr das erst durch seine Bemerkung wieder einfallen würde. Das ist schon ziemlich entzückend, wie ich zugeben muss.

»Genau«, fährt Cy fort. »Deine Großeltern wären begeistert von der Idee, dass ein junges, verliebtes Paar nach ihnen ihr Haus bewohnt und darin eine neue Familie mit eigenen Traditionen gründet.«

»Ja, das hätte ihnen gefallen«, merkt Stevi an und schaut nach oben. »Es wird ihnen gefallen, wenn sie lächelnd zu uns hinunterschauen.«

Cy nickt seiner kleinen Schwester zu. »Wir haben ja immer noch Effis Wohnung und das Gäste-Apartment, wo ihr alle« – er zeigt in die Runde – »übernachten könnt. Außerdem können wir Papas altes Büro noch zu einer Wohnung umbauen, sodass jeder seine eigenen Räume bekommt.«

»Du kannst jederzeit zu Besuch kommen«, sagt Spiro dann zu mir. »Und auch hier wohnen, wenn du willst. Du weißt, wie sehr ich mich freuen würde, wenn du wieder herziehen würdest.«

Er streckt seine Hand in meine Richtung aus, lässt sie dann jedoch auf den Tisch sinken – als ob er mir eigentlich durch die Haare wuscheln wollte, es sich dann aber doch anders überlegt hätte.

Alle im Raum halten immer noch die Blicke gesenkt und sehen entweder auf die Tischplatte oder in ihr leeres Glas. Ich spiele mit dem Stiel meines Weinkelchs und versuche – vermutlich vergebens – ein unbeschwertes Gesicht zu machen. Noch schwerer fällt es mir, die Emotionen in meiner Stimme zu verbergen. »Dann habt ihr das also schon beschlossen?«, erkundige ich mich.

»Also, natürlich ist es noch nicht offiziell«, antwortet Cy. »Wir haben nur darüber gesprochen. Wir wollten warten, bis du da bist, damit wir es alle gemeinsam diskutieren können.«

Diskutieren? Es kommt mir eher so vor, als ob für die Familie längst alles klar sei.

»Gut«, sage ich, »dann haben wir ja eine Menge zu besprechen. Aber wir finden bestimmt eine einvernehmliche Lösung, oder?«

Erneut herrscht betretenes Schweigen, während sieben Köpfe nach links und rechts ratlose Blicke wechseln. Schließlich durchbricht Zina die Stille.

»Was heißt das denn konkret?«, erkundigt sie sich. »Willst du nach Mykonos zurückkommen … und hier leben?«

»Nein, das ist nicht …« Dann unterbreche ich mich jedoch, weil ich noch nüchtern genug bin, um zu wissen, dass jedes Weitersprechen von mir darauf hinauslaufen würde, dass ich meinen Cousins und Cousinen am Ende die Frage stelle, ob sie mir meinen Anteil an der Immobilie abkaufen. Damit hätte ich dann genügend Geld, um in Chicago meine eigene Firma zu gründen, weswegen ich mein Studium unterbreche. Häuser kaufen, renovieren und weiterverkaufen – das ist mein Traum und mein ehrgeiziges Ziel.

Allerdings weiß ich auch, dass selbst alle vier zusammen vermutlich nicht so viel aufbringen könnten, wie mein Fünftel wohl wert ist. Und jeder »Familienrabatt« würde dazu führen, dass mir die erforderlichen Mittel fehlen. Deshalb gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir behalten das Haus für Spiro und Kali oder wir verkaufen es und teilen den Erlös unter allen Cousins und Cousinen auf. Doch mit keiner Variante wäre alle zufrieden.

»Wenn du nicht vorhast, wieder auf Mykonos zu leben …«, sagt Zina nun. Der sprichwörtliche Groschen wird eingeworfen. »… was willst du dann?« Sie holt erschrocken Luft. Der Groschen fällt. »Du willst das Haus unserer Großeltern verkaufen?«

Alle starren mich nun an und in ihren Gesichtern spiegelt sich eine Mischung aus Verwirrung und Entsetzen. Das Gemeinschaftsgefühl, wie es während des Essens herrschte, ist schlagartig dahin. Wenn auch nicht ganz, denn alle anderen am Tisch scheinen sich ziemlich einig zu sein. So allein wie in diesem Moment habe ich mich im Kreis meiner Familie wahrscheinlich noch nie gefühlt.

»Ich bin nur überrascht, das ist alles«, erwidere ich. »Ich dachte, wir reden erst mal über alles.«

»Das machen wir doch«, entgegnet Spiro. »Jetzt gerade reden wir miteinander.«

»Und das sollten wir lieber lassen«, meldet sich Cy zu Wort und steht auf. Es sieht ausgesprochen nachdenklich aus. »Es ist spät und wir sind alle müde. Am besten, wir gehen jetzt alle nach Hause und schlafen uns aus. Morgen ist noch genügend Zeit für Gespräche.«

Nacheinander stehen alle vom Tisch auf. Da niemand ein Wort sagt, hört sich das Stühlerücken besonders laut und energisch an. Ich bin der Letzte, der sich erhebt und das inzwischen leere Restaurant verlässt. Ich bemühe mich, nicht allzu viel in die Tatsache hineinzudeuten, dass die anderen schon sehr weit vorausgegangen sind.

Kalós órises spití … oder so ähnlich.

8. Januar 1968 

Ich bin sicher viel zu feige, um diesen Brief an Dich abzuschicken. Trotzdem schreibe ich ihn – in der Hoffnung, dass wir ihn vielleicht eines Tages in ferner Zukunft gemeinsam lesen können.

Ja, in ferner Zukunft. Auch wenn es heute Abend unser erstes Rendezvous war, bin ich mir schon ganz sicher, dass ich den Mann gefunden habe, der für mich bestimmt ist. Das weiß ich so genau wie noch nichts zuvor im Leben. Ich habe den Sinn meines Lebens gefunden. Das bist Du.

Selbst wenn Du diesen Brief niemals liest (falls meine Angst vor einer Blamage zu groß ist), möchte ich trotzdem nicht vergessen, wie ich mich heute Abend gefühlt habe. Nämlich lebendiger als je zuvor …

Und das lag nur an Dir.

(Hoffentlich eines Tages) Deine

L.

2 Izzy

Donnerstag, 15. Juli, 11:01 Uhr

»Viele Leute … lieben Hummer.

Andere dagegen … nicht.

Macht euch keinen Kopf,

und keinen Kummer –

denn Karl das Krustentier …

ist gar kein Bösewicht!«

Als ich mein Studium unterbrach, um mein Glück auf der Bühne zu versuchen, hatte ich natürlich alles andere vor, als an Bord eines Kreuzfahrtschiffs alberne Liedchen über eine nahezu unbekannte Comicfigur zu trällern, noch dazu verkleidet als eben diese. Doch genauso ist es gekommen: In einer abgetrennten Ecke des Schiffsrestaurants mühe ich mich in einem schweren Hummerkostüm aus Schaumstoff redlich, eine Schar von Kindern zu bespaßen, die jedoch nicht ansatzweise Lust darauf haben mitzusingen. Geradezu versessen sind sie allerdings darauf, sich mit vollem Körpereinsatz auf diesen eins achtzig großen Hummer zu stürzen, obwohl sein einziges Vergehen darin bestand, sie unterhalten zu wollen.

Das ist heute Vormittag schon dreimal passiert. Nach und nach kommen endlich die Eltern, um ihren Nachwuchs wieder abzuholen. In fünf Minuten ist es geschafft. Doch der französische Vater blättert ungerührt in seinem Hochglanzmagazin, die britischen Mütter sehen konzentriert auf ihre Handys, und die amerikanische Mom ist voll und ganz in ihr Gespräch mit dem holländischen Papa vertieft, der – nebenbei gesagt – nicht