Kiss me in Palm Springs - Catherine Rider - E-Book
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Kiss me in Palm Springs E-Book

Catherine Rider

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Beschreibung

Wenn du plötzlich dein Handtuch mit einem Fremden teilen musst …

Die 18-jährige Sasha (alias Quinn Jackson) ist auf der Flucht vor einem viralen Video. Da kommt der Urlaub in Palm Springs gerade recht. Sommer, Sonne und Entspannung, soweit der Plan. Der 19-jährige Jay (Jackson Quinn) plant, einen Knüller für seine Zeitung zu landen und seiner Familie damit endgültig zu beweisen, dass er das Zeug zum Journalisten hat. Doch schon im Flieger nach Palm Springs landet er auf einem Economy-Platz, Sasha dagegen in der Business-Class. Offenbar eine Namensverwechslung – und Antipathie auf den ersten Blick. Ein paar Fehlbuchungen später finden sich Sasha und Jay allerdings gar nicht mehr so unausstehlich …

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Seitenzahl: 341

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Catherine Rider

A Summer Romance

Aus dem Englischen von Franka Reinhart

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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© 2020 by Working Partners Ltd

With special thanks to James Noble

© 2020 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Franka Reinhart

Lektorat: Catherine Beck

Umschlaggestaltung: Geviert, Grafik & Typografie, unter Verwendung von Gettyimages (wundervisuals (2x), Westend61, Clara Ciszynski), Shutterstock (bbernhard)

he · Herstellung: aj

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-25572-5V002

www.cbj-verlag.de

1

Jay

Boston, Logan Airport Freitag, 10. Mai 07:02 Uhr

»You gotta jump in the saddle,

grab hold of the reins,

hang on real tight,

don’t have to stay in one lane.

The open road is yours,

and you can set your own course.

Can ride fast, can ride slow, just as long as

you ride your own horse.«

Hoffentlich fallen diese Nervensägen bald von ihrem Scheißpferd und brechen sich dabei die Ohren.« Die Kassiererin bei Dunkin’ Donuts ist auf hundertachtzig. Missmutig äugt sie hinüber zu den vier Mädchen in Jeans-Shorts und kurzärmeligen Karohemden an Gate 17. Ihre Outfits wären eigentlich nicht besonders auffällig, wenn sie dazu nicht auch noch mit Strass verzierte Cowboyhüte in den verschiedensten Farben auf den Köpfen hätten – und obendrein nicht ununterbrochen singen und tanzen würden.

Obwohl ich unsicher bin, ob man ihre Performance ernsthaft als Tanz bezeichnen kann. Sie besteht aus dem angedeuteten Sprung in einen unsichtbaren Sattel, von dem sie beinahe wieder herunterfallen, sich jedoch gerade noch an imaginären Zügeln festhalten können, um anschließend die Augen gegen die nicht vorhandene Sonne abzuschirmen und den Blick durch die Abflughalle mit lauter genervten, leicht reizbaren Bostonern schweifen zu lassen.

Normalerweise würde mich diese Bemerkung einer erwachsenen Frau, die ein paar harmlosen Teenagern schwere Verletzungen wünscht, sehr irritieren. Aber im Moment löst sie bei mir vor allem Begeisterung darüber aus, wie gut sich dieser O-Ton als Einstieg für meinen Beitrag eignen würde, den ich gerade für das Magazin The Hunt schreibe.

»Flamingo Rose ist wohl nicht so ganz Ihr Ding, oder?«, frage ich daher, obwohl kein Zweifel daran besteht, dass die Dame solche Countrypop-Hymnen zutiefst verabscheut.

»Definitiv nicht.« Sie reicht mir mein Wechselgeld und hantiert dann an der Kaffeemaschine herum. Normalerweise trinke ich gar keinen Kaffee, aber so früh am Morgen, nach nur knapp vier Stunden Schlaf, halte ich ein bisschen Koffein für eine ziemlich gute Idee.

Während sie meinen Kaffee zubereitet, werfe ich erneut einen Blick in Richtung Gate, wo die »Flamingoheads« (so nennen sich die Hardcore-Fans tatsächlich) gerade ihre imaginären Rösser synchron zu einem Kreis formieren. Also zumindest drei von ihnen: Die vierte, ein auffallend großes Mädchen mit welligen dunklen Haaren und einer riesigen Katzenaugen-Brille, die ihr blasses Gesicht mehr als zur Hälfte bedeckt, merkt erst nach dieser Drehung ihrer Freundinnen, dass es der nächste Move ist. Wahrscheinlich leidet sie von allen in der Gruppe am meisten unter Müdigkeit oder Jetlag.

»Nicht zu fassen, dass dieser Schrott ernsthaft Headliner beim Scorchella-Festival in Palm Springs ist«, merkt die Kassiererin an und stellt meinen Kaffee auf den Tresen.

»Dort will ich übrigens auch hin«, antworte ich.

Sie sieht mich mitfühlend an. »Im gleichen Flieger? Na dann viel Spaß.«

Ich erwidere ihr Lächeln. Eigentlich könnte ich ihr jetzt erzählen, dass ich mich sogar darauf freue, fünf geschlagene Stunden inmitten von Flamingoheads zu verbringen, obwohl sie permanent viel zu laut sind und furchtbar falsch singen. Das ergibt einen großartigen ersten Akt für meinen Artikel, der zudem einen vernichtenden dritten Akt enthalten wird, wenn sich die Band nach einem garantiert grauenhaften Starauftritt am Sonntag auflösen wird (laut einer gut informierten Quelle). Aber im Moment zieht es mich zu sehr hinüber zum Gate, um sie ein wenig zu belauschen …

Unvermittelt hört das Singen auf.

Ich gehe auf einen Tisch am Donut-Stand zu – den letzten, der noch frei ist, denn anscheinend sucht gerade mindestens die Hälfte der Passagiere unseres Fluges bei Dunkin’ Donuts Zuflucht vor dem nervigen Geträller. Dort platziere ich Kaffee, Notizblock und Bordkarte auf dem Tisch, ehe ich mich hinsetze. In diesem Moment vibriert mein Handy in der Hosentasche dreifach. Schlagartig bin ich noch vor dem ersten Schluck Kaffee hellwach. Hoffentlich ist es Sarah, meine Redakteurin, die mir mitteilt, dass sie sich nach reiflicher Überlegung auf meinen Artikel freut, den ich über Scorchella schreiben will … und dass es ihr leidtut wegen ihrer verärgerten Nachricht von gestern, weshalb ich nicht im Büro sei. Offenbar hatte sie völlig vergessen, dass ich ein paar Tage frei genommen habe, um nach Palm Springs zu fliegen, wo ich die (hoffentlich dramatische) Trennung des meistverspotteten Musik-Acts in ganz Amerika dokumentieren will. Leider war ihr meine Abwesenheit wohl nur deshalb aufgefallen, weil Amber – die andere Ferienpraktikantin – die morgendliche Kaffeebestellung vermasselt hatte.

Doch das wird sich nach diesem Wochenende ändern. Sobald ich meinen Beitrag bei ihr abgegeben habe, wird Sarah bei meinem Namen nicht mehr nur an Latte macchiato denken, sondern mich in die Riege der freien Mitarbeiter von The Hunt aufnehmen. Und dann bin ich endlich ein richtiger Musikjournalist.

Doch als ich mein Handy hervorhole und den Namen auf dem Display sehe, bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen und mir wird leicht schwindlig. Die Nachricht kommt nicht von Sarah, sondern von meiner Mutter …

Und die hat nicht die leiseste Ahnung, dass ich gerade unterwegs an die Westküste bin, sondern vermutet mich für ein paar Tage bei einem Freund. So hatte ich es meinen Eltern mitgeteilt – angeblich, weil wir lernen müssen. Außerdem weiß sie nicht (und wird es hoffentlich auch nie erfahren), dass ich für diesen Spontantrip einen nicht ganz unbeträchtlichen Betrag aus meinem für das Studium bestimmten Sparguthaben entnommen habe – eigentlich ist das vollkommen tabu. Das lag vor allem daran, dass so kurz vor Beginn des Festivals nur noch VIP-Tickets erhältlich waren, die derart teuer sind, dass ich mindestens fünf Artikel bei The Hunt unterbringen müsste – obwohl bislang nicht mal klar ist, ob auch nur ein einziger veröffentlicht wird. Ängstlich öffne ich die Nachricht, doch es ist nur ein weitergeleitetes Bild vom neugeborenen Baby meiner Cousine. Vorsichtshalber antworte ich nicht darauf, um nicht versehentlich irgendetwas preiszugeben, das mich hinsichtlich meiner Wochenendpläne der Lüge überführen könnte.

Ich versuche, mein schlechtes Gewissen abzuschütteln. Wenn ich erst einen publizierten und vergüteten Beitrag vorweisen kann, wird sich schon alles finden. Dann müssen meine Eltern zugeben, dass sie zwar nicht ganz nachvollziehen können, was mich am Thema Musik so begeistert, dass ich unbedingt Musikjournalist werden will, statt in unser Hotelunternehmen einzusteigen, wie meine ältere Schwester Natalie. Aber es ist halt total mein Ding. Und meine Eltern müssen eingestehen, dass sie stolz auf mich sind. Nun gut, so weit werden sie vermutlich nicht gehen (in unserer Familie geht es nicht so wahnsinnig herzlich, liebevoll und kommunikativ zu), aber vielleicht schaffen sie es zumindest, mich dafür zu respektieren, dass ich meine Interessen konsequent verfolge.

Und das kann ich eben nur machen, wenn ich Jobs auf diesem Gebiet habe. Von daher muss ich dringend mit den Flamingoheads reden, die alle anderen Passagiere am Gate gerade sehr froh machen, indem sie eine kleine Pause von ihrem schrägen Konzert eingelegt haben.

Jetzt steuern sie den Stand von Dunkin’ Donuts an. Die Kassiererin mustert sie skeptisch und fragt sich vermutlich, was sie in einem früheren Leben wohl Schlimmes getan haben mag, dass sie nun von ihnen heimgesucht wird. Als sie am Tresen ankommen, bestellen sie schwarzen Kaffee. Ihre Aussprache hört sich britisch an, was mich dann doch irgendwie beeindruckt. Wenn jemand extra eine so lange Anreise in Kauf nimmt, ist das schon bemerkenswert.

»Wir sind nämlich seit ungefähr sechsundzwanzig Stunden wach, wissen Sie?« Die große Rothaarige, die offenbar als eine Art Sprecherin der Vierergruppe fungiert, verzieht das Gesicht, als ob sie es selbst nicht ganz fassen könnte. »Zu Hause in Manchester ist jetzt gerade Mittag.«

»Ach so?« Die Kassiererin gibt sich große Mühe, besonders gelangweilt zu wirken. Sie kümmert sich um die Bestellung, während die Mädchen Ausschau nach Sitzplätzen halten. Die Rothaarige entdeckt meinen Tisch – es ist der einzige, an dem noch Stühle frei sind. Fragend sieht sie mich an: Könnten wir …?

Ich beiße mir von innen in die Wange, um nicht in breites Grinsen zu verfallen, und nicke: Klar doch.

Die vier setzen sich und türmen auf dem Tisch einen kleinen Wall aus Taschen auf. Dabei rutschen mehrere Pässe und Bordkarten heraus, die teilweise auf meinen Reiseunterlagen landen oder beinahe vom Tisch fallen, während die Mädchen sich aufgeregt versichern, wie unendlich sie sich auf Scorchella freuen.

Wenn ich ganz ehrlich sein soll, fällt es mir normalerweise nicht so leicht, mit Mädchen ins Gespräch zu kommen. Da bei mir immer Schule und Karriere im Vordergrund standen, sind meine Skills in Sachen Smalltalk und Dating leicht unterentwickelt, und ich muss mich zwingen, nicht verlegen den Blick abzuwenden, als die vier so unmittelbar neben mir sitzen. Doch wie soll ich jemals ein unerschrockener Reporter werden, wenn ich nicht lerne, mit fremden Leuten zu reden, ihr Vertrauen zu gewinnen und mir coole O-Töne von ihnen zu holen? Kontakte knüpfen und einen Draht zu Fremden finden ist so ziemlich der Kern dieses Berufs.

Also kann ich auch gleich damit anfangen.

»Freut ihr euch auf …?«

Die Rothaarige, die sich direkt neben mich gesetzt hat, fällt mir ins Wort und zeigt atemlos auf die Buchungsbestätigung, die aus meiner Tasche herausschaut. Darauf sind leuchtend pink die Vermerke »VIP« und »ALL INCLUSIVE« aufgedruckt.

»Wie viel hast du denn dafür investiert?«, erkundigt sie sich.

»Oh, tja, also …« Ich muss dringend besser lügen lernen. »Das hab nicht ich bezahlt …« Wenigstens das entspricht der Wahrheit.

»Jetzt bin ich echt neidisch«, kommentiert sie.

Die anderen nicken und murmeln etwas von Gemeinschaftszelten.

»Und wehe, wenn deine Flossenfüße in meinem Gesicht landen!« Das hochgewachsene dunkelhäutige Mädchen gegenüber zeigt mit spitzem Zeigefinger auf die Rothaarige, die unschuldig die Hände hebt.

»Meine Füße sind gar nicht so groß!«

Ihre Freundinnen schütteln übertrieben die Köpfe. Gut gelaunt empört sie sich darüber. Dann sieht sie wieder zu mir und mustert mich von oben bis unten. »Wenn du auch zum Scorchella fährst, welche Konzerte hast du denn geplant? Bist du auch Flamingohead?«

Mist, schon die erste Stolperfalle. Ihre Frage macht mir mein Outfit sehr bewusst. Ich trage dunkle Jeans und ein seriöses Oberhemd – was nicht ansatzweise sommerlich oder Flamingo-mäßig daherkommt. Ehe ich mir eine Antwort überlegen kann, merkt ihre Freundin, die recht klein ist und südasiatisch aussieht, spöttisch an: »’türlich nicht, Hayley. Oder sieht er irgendwie nach ›rattle the world‹ aus?« Vermutlich eine Anspielung auf einen Song von Flamingo Rose.

Die angesprochene Hayley lacht auf, rückt ihren rosa Cowboyhut zurecht und fängt an, ein Lied zu summen, das möglicherweise von Flamingo Rose stammt. Das ist allerdings schwer zu sagen, da die Band weniger für einprägsame Musik bekannt ist, sondern eher für haarsträubende Bühnen-Outfits, die man vielleicht wohlwollend als »Interpretationen« klassischer Cowboy-Kleidung beschreiben würde. Weniger wohlwollend könnte man sie als heillos übertrieben und kitschig bezeichnen.

»Ich bin sozusagen ein Neu-Flamingohead«, antworte ich hastig, um eine erneute Gesangs- und Tanzeinlage zu verhindern, die ich weder der Kassiererin noch mir antun will. »Also, ich gehöre erst seit Kurzem zur Fangemeinde, wisst ihr?«

»Aha?«, erwidert die Kleine. »Und da machst du so ’ne weite Reise nach Kalifornien, um eine Band zu hören, auf die du noch gar nicht so lange stehst?«

Verdammt, damit ist meine Legende praktisch schon geplatzt. Meine gute Erziehung – mit dem Grundsatz, nicht zu lügen – ist für meine Karriere wohl ein echtes Hindernis.

Hayleys Blick fällt auf meinen Notizblock. »Schreibst du ein Buch oder so?«

»Einen Artikel«, berichtige ich sie. »Also, für ein Blog.« Ich nippe an meinem Kaffee, um meine Nervosität zu überspielen. Denn das ist nicht nur eine handfeste Lüge, obendrein verkaufe ich mich hier gerade auch noch als Reporter, obwohl das momentan allenfalls ein Wunschtraum ist.

»Oooh, das ist ja cool!« Hayley beugt sich nach vorn. »Heißt das, die Firma bezahlt dir dein Scorchella-Ticket?«

»Schön wär’s«, antworte ich und stelle meinen Becher in einer kleinen Lücke zwischen den Taschen und Reiseunterlagen ab. »Nee, das muss ich selbst zahlen, wie alle anderen auch.« Allerdings nicht von meinem eigenen Geld. Also, nicht so richtig.

Die Mädels bemitleiden mich ein bisschen dafür, dass ich die Kosten selbst tragen muss. Dann hole ich tief Luft und strecke die Hand aus. »Ich bin übrigens Jay.«

Allgemeines Händeschütteln. Das relativ kleine Mädchen heißt Aisha und die mit dem rosa Hut ist Jess. Und die Vierte im Bunde – die vorhin beim Tanzen aus dem Takt gekommen war und bisher noch kein Wort gesagt hat – rückt ihre riesige Brille zurecht und murmelt, ihr Name sei Sasha (glaube ich zumindest). Dann beginnt sie freiwillig, alle leeren Kaffeebecher einzusammeln. Als sie damit zum Tresen geht, blicke ich ihr nach. Sie hat etwas Besonderes an sich – was nicht nur damit zu tun hat, wie die Locken über ihre Schultern fallen, sondern auch, wie sie zuvor meinem Blick standhielt …

»Wie heißt dein Blog denn?«, will Hayley nun wissen und lenkt damit meine Aufmerksamkeit zurück zum Tisch.

»Ähm, also …« Notiz an mich: Legenden künftig vor der nächsten Recherchereise zu Ende denken. »Es gibt noch keinen richtigen Namen. Mein ›Scorchella-Tagebuch‹ wird so was wie der Eröffnungseintrag.«

Ich wappne mich gegen die Reaktionen, wobei ich nicht so genau weiß, was mir lieber wäre: mitleidige Blicke oder allzu offensichtlich gespielter Zuspruch. Doch verblüffenderweise tun die Britinnen weder das eine noch das andere.

»Find ich ja toll«, sagt Aisha, »dass du so was ganz allein startest.«

Ihre Freundinnen nicken.

»Kaffee ist fertig!«

Als Sasha am Tresen ankommt, wendet die Kassiererin ihr den Rücken zu. Trotzdem bedankt sie sich bei der schlecht gelaunten Dame und kommt zurück an den Tisch, wo ihre Freundinnen schon nach den Bechern greifen, ehe sie das Tablett abstellen kann.

Hayley nimmt den Deckel ab und pustet den heißen Dampf weg. »Den brauch ich jetzt ganz dringend. Wer hatte noch mal die geniale Idee, im Flughafen zu übernachten?«

»Du!«, rufen die anderen drei im Chor, diesmal einschließlich Sasha, deren grüne Augen plötzlich durch die Katzenaugenbrille leuchten. Hayley macht ein betroffenes Gesicht und ihre Freundinnen kichern.

»Ihr habt die ganze Nacht hier zugebracht?«, frage ich an Sasha gewandt.

Doch sie macht keinerlei Anstalten zu antworten. Nach einer Weile verdreht Aisha theatralisch die Augen.

»Eigentlich war das anders geplant«, erklärt sie. »Wir hatten ein Hotel gebucht und alles. Aber dann war unser Flug total verspätet, sodass wir erst nach Mitternacht in Boston gelandet sind. Deshalb fanden wir es sicherer, gleich hierzubleiben. Ansonsten hätten wir um fünf Uhr morgens wieder aufstehen müssen, um den Anschlussflug nach Kalifornien zu schaffen. Das war uns einfach zu riskant, falls eine von uns so früh nicht aus dem Bett kommt.«

»Eine von uns?« Diesmal sprechen nur Hayley und Jess gleichzeitig und sehen dabei Sasha streng von der Seite an.

»So schlimm ist es bei mir doch gar nicht«, murmelt sie.

Jess prustet los. »Nee, überhaupt nicht! Abgesehen von dem einen Mal, als du ’nen Feueralarm verschlafen hast!«

Entrüstet verschränkt Sasha die Arme. »Am Ende bin ich doch aufgewacht!«

»Ja genau, nachdem wir noch mal zurückgerannt sind und dich geweckt haben!«

So sticheln sie noch ein bisschen hin und her, bis mich Jess irgendwann ansieht und sich erkundigt, warum ich so erfreut vor mich hin grinse.

Ich entscheide mich (weitestgehend) für die Wahrheit: »Tut mir leid, aber als Autor muss ich die ganze Zeit nur denken, was das alles für meinen Artikel hergeben würde.« Ich zeige auf meinen Block. »Wär es okay, wenn ich …? Also, ihr könnt natürlich auch Nein sagen, aber …«

Drei von ihnen sind sofort einverstanden, dass ich mir Notizen zu unserem Gespräch mache, und berichten obendrein ganz aufgeregt, wie »vier kleine Außenseiterinnen« (laut Jess) durch Flamingo Rose zueinander gefunden haben – und wie »FR« ihnen gezeigt habe, dass das Leben auch dann Sinn haben kann, wenn es nicht immer nur todernst zugeht.

»Weil es totalen Spaß macht, einfach mal nur rumzualbern«, ergänzt Aisha zusammenfassend – ehe Hayley anfängt zu schildern, wie die gesamte Gruppe gespart und geknausert habe, um genügend Geld für Scorchella zusammenzukratzen.

»Kann sein, dass ich jetzt für den Rest meines Lebens pleite bin«, fügt sie hinzu, »aber das ist mir egal!«

Ich komme beim Mitschreiben kaum hinterher und habe schon beinahe einen Krampf in der Hand, als die Durchsage ertönt, dass in Kürze das Boarding für unseren Flug beginnt. Ich bedanke mich bei den Mädchen. Sie antworten, dass es ihnen eine Freude gewesen sei, weil sie Flamingo Rose gern noch bekannter machen wollten. Außerdem seien sie sehr gespannt auf mein Blog, da dieses Wochenende garantiert so unvergesslich wird, dass sie alles gern noch mal nachlesen wollen.

Da bin ich mir allerdings nicht so sicher.

Ich stehe auf und greife nach meinen Sachen. Drei der Mädchen kündigen an, dass sie auf dem Festival nach mir Ausschau halten wollten. Sasha ist immer noch wie abwesend. Sie hat die Brille hochgeschoben und kritzelt etwas in ein kleines Notizbuch. Ich ertappe mich dabei, wie ich sie länger ansehe als nötig. Als ich ihr Gesicht genauer betrachte, kommt sie mir plötzlich irgendwie … bekannt vor.

Oder vielleicht fällt mir auch nur jetzt erst richtig auf, dass sie wirklich auffallend gut aussieht.

Natürlich muss sie ausgerechnet in dem Moment, als ich sie regelrecht anstarre, den Kopf heben und mir direkt in die Augen sehen. Dabei wird mir wieder mal bewusst, dass ich schon neunzehn bin und noch nie eine richtige Freundin hatte. Hastig wende ich den Blick ab und halte in dem Durcheinander auf dem Tisch Ausschau nach meiner Bordkarte. Zum Glück entdecke ich rasch meinen Familiennamen, Quinn. Ich ziehe meine Unterlagen aus dem Stapel, nehme sie an mich und wünsche den Mädels einen guten Flug – in der Hoffnung, dass keine von ihnen mitbekommt, dass ich die erste Klasse gebucht habe.

Auch wenn die Quinns aus Boston äußerst wohlhabend sind, zeigen wir das im Normalfall nicht.

So höflich wie möglich schlängele ich mich durch die verschlafenen Fluggäste. Auf keinen Fall möchte ich »einer von denen« sein, die andere Leute anrempeln, um zu ihrem Platz in der ersten Klasse zu gelangen. Im Gegensatz zu meiner Schwester Nat war ich noch nicht mit Fotografen konfrontiert, die Fotos von mir schießen wollten, wenn ich abends in der Stadt unterwegs war (vermutlich weil das bei mir ohnehin selten vorkommt). Allerdings erkennen mich in Boston die meisten Leute aufgrund meines Aussehens – blonde Haare, hellblaue Augen, markante Gesichtszüge – auf Anhieb als Spross der Quinns und fangen dann immer an zu tuscheln, ob ich wohl genauso viel feiern gehe wie meine Schwester Nat in meinem Alter … und warum die Zimmer in unseren Hotels eigentlich so unverschämt teuer sind.

»You can run,

you can fly

you can soar through the sky.

Put your hands out, girl

You’re gonna rattle the world.«

Eine weitere Gruppe Flamingoheads fängt an zu singen, wobei die Mitglieder mindestens zehn Jahre älter sind als die jungen Britinnen von gerade. Ich trete ein Stück beiseite, um ihnen zuzuhören, ohne dass man es mir ansieht. Und frage mich, ob ich den Artikel stilistisch vielleicht als »disaster piece« anlegen sollte. Das würde definitiv für Aufmerksamkeit sorgen. Was auch immer man von der Zeitschrift The Hunt hielt – ob man sie mochte oder zu bösartig fand –, die meisten Leute würden sicher zugeben, dass sie ziemlich witzig ist.

Wieder ertönt eine Durchsage, mit der nun alle Passagiere zum Einsteigen aufgefordert werden, was mich daran erinnert, dass ich schon längst im Flieger sein sollte. Also reihe ich mich erneut in die Warteschlange ein und zeige dem Flugbegleiter am Gate meine Bordkarte. Er sieht aus, als hätte er von allen Anwesenden am wenigsten geschlafen – oder er ist einfach nur schwer genervt von der ständigen Singerei.

»Da sind Sie aber eigentlich noch gar nicht dran mit Einsteigen«, murmelt er. Doch dann winkt er mich seufzend durch. »Gehen Sie durch. Je früher wir den Flieger vollkriegen, desto besser.«

»Danke.«

Hinter mir höre ich, wie Hayley die nächste Gesangseinlage ankündigt: »Lasso Your Heart«. Das ist einer der wenigen Songs von Flamingo Rose, von denen ich tatsächlich den Text kenne – es ist ein echter Ohrwurm, obwohl manche Zeilen reichlich skurril sind, z. B. »You won’t catch me with a loose noose, sweetheart«. Insofern bin ich ziemlich froh, dass ich in der ersten Klasse jetzt fünf Stunden meine Ruhe davor habe …

Allerdings lotst mich eine Flugbegleiterin nicht nach rechts, sondern nach links. In die Touristenklasse. Das kann gar nicht richtig sein, denn als ich gebucht habe, gab es nur noch Plätze in der ersten Klasse, weshalb ich auf jeden Fall einen davon gebucht habe. Das weiß ich ganz genau, denn wenn man mal eben drei Riesen (die noch nicht mal hundertprozentig einem selbst gehören) investiert, vergisst man das nicht so schnell. Deshalb brauchte ich auch fünf Anläufe, bis ich genügend Mut hatte, auf der Website der Fluggesellschaft tatsächlich auf »Kaufen« zu klicken. Ich versuche die Flugbegleiterin anzusprechen, doch sie ist gerade mit anderen Passagieren beschäftigt, die offenbar ihren Platz nicht finden.

»Meine Güte, geht’s noch?«

Ich entschuldige mich bei dem Geschäftsmann im schicken Anzug hinter mir und stelle mich seitlich in den Gang, um ihn vorbeizulassen.

»Nein, ich meine nicht Sie, sondern die da«, murmelt er und blickt in Richtung der beiden Flamingoheads, die ganz hinten vor einer der letzten Sitzreihen stehen und sämtliche Gepäckfächer um sie herum mit ihren Taschen vollstopfen, die zweifelsohne allerlei wild glitzernde Accessoires enthalten. »Ich musste mir schon ein Stunde lang ihr Gesinge anhören … Warum können sich diese Kids denn nicht für richtige Musik interessieren?«

»Weil Musik nicht dazu führen soll, dass man seinen Kopf gegen die Wand schlagen will.« Ein weiteres Fangirl sitzt direkt neben mir und blättert in einer Scorchella-Hochglanzbroschüre.

»Aber genauso geht’s mir bei eurer Musik«, kontert der Typ und will eilig weitergehen, doch das Mädchen lässt die Broschüre sinken, beugt sich in den Gang und ruft ihm hinterher: »Nur weil Sie keine Freude in Ihrem Leben haben, müssen Sie noch lange nicht alle Leute beleidigen, bei denen das anders ist.«

Der Typ denkt zwar nicht daran, sich umzudrehen, hebt aber missbilligend die Hand. Das Mädchen lehnt sich zurück und blickt wieder in ihre Broschüre, ist aber offensichtlich zu aufgebracht, um sich noch darauf zu konzentrieren. Flamingo Rose scheinen ihr wirklich sehr am Herzen zu liegen.

Nach diesem Erlebnis komme ich zu dem Schluss, dass ich es vielleicht doch ein Weilchen in der Touristenklasse aushalten kann, da sie möglicherweise eine wahre Fundgrube an Material für mich ist.

Die Verwechslung meiner eigentlichen Buchung kann ich immer noch klären, nachdem wir gestartet sind.

2

Sasha

Boston, Logan Airport 07:52 Uhr

Glücklicherweise kommt Hayley mit »Lasso Your Heart« zum Schluss, bevor wir zum Gate müssen. Hinter uns klatschen ein paar vereinzelte Passagiere Beifall, aber vielleicht sind sie auch einfach nur froh, dass der Song zu Ende ist. (Wie üblich hat Hayley mal wieder den Tonartwechsel beim letzten Refrain vermasselt. Doch das traut sich ihr natürlich niemand von uns zu sagen – obwohl sie vermutlich ganz genau weiß, dass sie es einfach nicht schafft, diesen Ton zu treffen!)

Während Aisha und Jess in Richtung Gate laufen, dreht sich Hayley um und sieht mich an. O nein, hoffentlich zwingt sie mir jetzt nicht auch noch ein Duett auf!

»Aufgeregt?«, fragt sie mich. »Scorchella! Flamingo Rose! Jetzt geht’s endlich los!«

»Genau! Ich kann’s kaum erwarten.« Das meine ich tatsächlich ernst – auch wenn die Gründe dafür mit denen meiner Freundinnen nicht ganz identisch sind. Mein kleines Geheimnis ist nämlich, dass ich gar nicht so verrückt nach Flamingo Rose bin wie sie. Ihre Musik – etwas anstrengend fröhlicher Country-Pop – ist … also eigentlich ja völlig okay, aber ich … ähm … kann mich irgendwie nicht so ganz dafür erwärmen.

Was mir dagegen wirklich das Herz erwärmt, ist mein Freundeskreis. Alle meine Freunde an der Uni sind echte Fans, absolute Flamingoheads. Rein zufällig hatten sie voriges Jahr zur Weihnachtszeit für ein Konzert in der Arena Manchester noch eine Karte übrig. Ohne vorher auch nur ein einziges Album des Duos anzuhören, sagte ich zu. Nachdem ich mich durch ihre gesamte Backlist gehört hatte, war mir klar, dass ich selbst nie zum Flamingohead werden würde. Doch das geht völlig in Ordnung, denn auf jeden Fall bin ich ein Riesenfan von Hayley, Aisha und Jess. Zu Beginn meines Studiums hatte ich (aus Gründen) große Sorgen, wie es wohl klappen würde, neue Freunde zu finden. Deshalb konnte ich mein Glück kaum fassen, als ich diese drei herzlichen und offenen Mädels kennengelernt habe. Die drei sind ungefähr so, als hätte die Musik von FR menschliche Gestalt angenommen, und sie wollten tatsächlich mit mir befreundet sein. Deshalb ist diese Reise sämtliche Kosten für Flug- und Festivalticket wert, denn ich bin mit meinen drei besten Freundinnen zusammen und genieße mit ihnen das Festival ihres Lebens. Obwohl ich mich dabei auffälliger kleiden muss, als mir lieb ist – mit farbigen Jeans, buntem Karohemd und Glitzer-Cowboyhut. (Als FR-Fan muss man lernen, die Stimme im Kopf zu ignorieren, die beim Blick in den Spiegel anmerkt, dass man wie ein Paradiesvogel aussieht.)

Hayley grinst mich verschmitzt an. »Wir haben ja auch die eine oder andere Überraschung geplant, weißt du?«

»Was denn für Überraschungen?«, frage ich zurück.

»Das wirst du dann schon sehen«, antwortet sie und weicht demonstrativ meinem Blick aus. »Wir wollten dir gern ein bisschen was Gutes tun. Weil du fast deinen gesamten Geburtstag im Flieger verbringen musst.«

Jetzt bin ich es, die ihrem Blick ausweicht. Manchmal sind meine Freundinnen derartig toll, dass mir vor Rührung beinahe die Tränen kommen.

»Oh!« Hayley springt auf. »Jetzt sind wir dran.« Nachdem alle ihr Gepäck und ihre Pässe gefunden haben, gehen wir gemeinsam zum Schalter.

Ich habe etwas Mühe, Cowboyhut und Tasche zu bewältigen, und beobachte aus dem Augenwinkel, wie Hayley sich leise mit der Flugbegleiterin unterhält und dabei mit dem Daumen in meine Richtung zeigt. Hoffentlich bittet sie jetzt nicht darum, dass mein Geburtstag während des Flugs durchgesagt wird oder alle ein Ständchen für mich singen. Hayley lächelt mich erneut an und folgt dann unseren Freundinnen in den Flieger. Ich bin so nervös, was mich wohl an Bord erwartet, dass ich aus Versehen total unhöflich bin, als meine Bordkarte kontrolliert wird und die Dame am Gate mir einen guten Flug wünscht, ehe sie mich durchwinkt.

Um die anderen einzuholen, eile ich im Laufschritt durch den Verbindungsgang, wobei mein Rucksack schmerzhaft gegen mein Steißbein schlägt. An der Kabinentür schaut eine Flugbegleiterin auf die Bordkarten meiner Freundinnen und dirigiert sie mit einem Nicken nach links.

»Willkommen an Bord«, sagt sie zu Aisha, dann zu Jess und schließlich zur Hayley.

Als ich ihr meine Bordkarte reiche, wirft sie einen kurzen Blick darauf, dann blinzelt sie und stutzt kurz. Als sie mich wieder ansieht, lächelt sie mich noch strahlender an als zuvor. »Guten Morgen. Bitte hier entlang.« Dann zeigt sie mit dem Arm nach rechts …

In die erste Klasse.

Wie bitte?

Ich sehe zur Hayley, die im Gang stehen geblieben ist – direkt vor Jay, dem ziemlich gut aussehenden Amerikaner, mit dem wir vorhin Kaffee getrunken haben. Er diskutiert gerade mit einem mürrischen Anzugträger, offenbar demselben, der uns in der Abflughalle die ganze Zeit genervte Blicke zugeworfen hat. Hayley macht ein verblüfftes Gesicht und signalisiert mir dann, dass ich weitergehen soll. Ich versuche mir mein Erstaunen nicht anmerken zu lassen, als ich mich bei der Flugbegleiterin bedanke, die offenbar einen Hinweis von ihrer Kollegin am Gate bekommen haben muss. Oder vielleicht waren es auch Aisha und Jess, als ich vorhin noch kontrolliert wurde. Ich habe keine Ahnung, wie meine Freundinnen das hinbekommen haben. Plätze in der ersten Klasse kosten doch garantiert so viel wie unsere Studiengebühren. Ob sie einfach nur sehr, sehr nett darum gebeten haben? Oder hat Aisha irgendwie die Bonusmeilen ihrer Mutter eingesetzt, einer vielfliegenden Anwältin? (Vielleicht sogar heimlich?)

Wie auch immer. Diese Chance lasse ich mir nicht entgehen!

Bei meinem Platz angekommen, nehme ich den Cowboyhut ab, den ich den ganzen Morgen getragen habe, und merke, wie meine Kopfhaut erleichtert aufatmet. Zusammen mit meiner Tasche verstaue ich ihn im Gepäckfach. Als die Flugbegleiterin sich erkundigt, ob ich gern einen Gratis-Orangensaft hätte, nicke ich nur und versuche krampfhaft zu verbergen, wie irre ich das alles finde. Stattdessen tue ich so, als ob das hier alles ganz normal für mich wäre und ich andauernd in der ersten Klasse fliegen würde.

Und dann denke ich, wenn meine Freundinnen mich für erstklassig halten, bin ich es wohl auch.

Anschließend nehme ich Platz, wie ich es mit meiner Körpergröße seit jeher im Flieger gewohnt bin. Ich schnalle mich an, lehne mich zurück und strecke die Beine so weit wie möglich aus. Selbst in der ersten Klasse berühren meine Füße dabei den Vordersitz – allerdings nur ganz knapp. In der Touristenklasse ist es dagegen immer so eng, dass Knie und Gesicht sich oft bedrohlich nahe kommen.

Meine Freundinnen sind wirklich die Besten, denke ich und sehe zu, wie einer der Flugbegleiter die dunkelblauen Vorhänge schließt, die unsere noble Kabine vom Bereich für die normalen Passagiere trennt. Ich drücke ein bisschen an der Armlehne meines Sitzes herum, woraufhin ein kleiner Bildschirm zum Vorschein kommt. Dabei komme ich mir sofort ein wenig besonders vor, denn ich weiß genau, dass die anderen diesen Luxus nicht genießen können. (Seit zwei Minuten sitze ich in der ersten Klasse und schon benehme ich mich wie ein Snob!)

Da der Vorhang mittlerweile zu ist, könnte ich ganz in Ruhe ein wenig schreiben, ohne dass die anderen andauernd neugierig alles lesen wollen. Sie würden lauter Fragen stellen, die mir unangenehm wären, woraus sie sofort schließen würden, dass es um etwas besonders Interessantes gehen muss. Das würde sie zu weiteren Fragen anstacheln – die ich nicht beantworten könnte. Doch ich lasse meinen Notizblock erst mal im Gepäckfach.

Ein Stück entfernt in Richtung Cockpit betreten gerade zwei weitere Fluggäste – ein Paar, schätzungsweise Mitte zwanzig – die erste Klasse. Vermutlich sind sie superreich, da extra der Vordereingang für sie geöffnet wurde, während alle anderen in der Mitte eingestiegen sind. Außerdem tragen sie Sonnenbrillen, obwohl es noch so früh am Morgen ist. Vielleicht sind sie ja berühmt – wobei ich sie auf den ersten Blick nicht erkenne. Aber ich kann sie auch nicht allzu direkt ansehen, da sie gerade im Flüsterton miteinander streiten.

»Na, ganz toll gebucht: ein Flug mit lauter Flamingoheads an Bord«, murmelt der Typ – ein unverschämt attraktiver Latino – sarkastisch und schüttelt seine lockige Mähne.

»Die sind doch alle am anderen Ende des Fliegers.« Die Frau gibt sich betont nachsichtig. Ihre langen und welligen roten Haare verdecken fast ihr ganzes Gesicht, aber ich kann mir lebhaft vorstellen, wie sie die Augen verdreht.

»Ich hab dir schon voriges Jahr zu Weihnachten gesagt, dass wir die Sache abblasen sollten.« Der Typ wirft das auf dem Sitz bereitliegende Kissen samt Decke achtlos auf den Boden und lässt sich dann auf seinen Platz fallen.

»Es ist doch nur das eine Wochenende«, sagt die Frau und setzt sich neben ihn. Sie hat den Platz am Gang, schräg gegenüber von mir. Ich widme mich meinem Bildschirm, um nicht weiter aufzufallen, bis sie ihre geflüsterte Auseinandersetzung endlich unterbrechen und ich mich zurücklehnen kann.

Danach geht der Streit natürlich noch endlos weiter, während der gesamten Sicherheitshinweise vor dem Flug, sodass ich bis zum Start weiter konzentriert auf den leeren Bildschirm starre, bis der Lärm der Triebwerke für ein wenig Entspannung sorgt und ich es mir erneut bequem machen kann. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie die beiden dasitzen und sich unterkühlt anschweigen, während die anderen Passagiere um uns herum krampfhaft so tun, als würden sie niemals auf die Idee kommen, die beiden zu belauschen. Ich überlege, eine von meinen am Flughafen gekauften Zeitschriften herauszuholen, um etwas zu tun zu haben, sobald das Anschnallzeichen ausgeschaltet wird.

Doch wenn ich das Gepäckfach öffne, kann es durchaus sein, dass der blöde Cowboyhut dabei herausfällt … was in der ersten Klasse nun wirklich unpassend wäre! Außerdem scheint der Latinotyp etwas gegen Flamingoheads zu haben.

Als das Anschnallzeichen erlischt, öffnet der gut aussehende junge Mann seinen Sicherheitsgurt und steht auf. Ohne ein Wort dreht er sich um, geht durch den Gang in Richtung Cockpit und setzt sich auf einen freien Platz neben die streng aussehende Frau im grauen Hosenanzug – vermutlich kennen sich die beiden, denn sie hebt nicht mal den Blick von ihrem Buch. Aber wie wahrscheinlich ist es …

»Entschuldigen Sie bitte?«

Neben meinem Platz steht ein weiterer Flugbegleiter. Er ist groß und relativ kräftig, und ich bekomme einen Riesenschreck, weil er vielleicht derjenige ist, den sie immer losschicken, um Leute aus der ersten Klasse zu holen, die unrechtmäßig hier sitzen.

»Dürfte ich bitte einmal kurz Ihre Bordkarte sehen?«

O nein. O nein, o nein, o nein. Wusste ich’s doch, es war viel zu schön, um wahr zu sein.

»Vielen Dank … Miss Jackson«, sagt er schließlich. »Darf ich Ihnen jetzt Ihr Essen servieren?«

»Ja gern, vielen Dank«, erwidere ich und bemühe mich um eine gleichmütige Miene. Natürlich bekommt man in der ersten Klasse kostenloses Essen!

Als er wiederkommt und mir einen Couscous-Salat mit Rosenkohl und Mandarinen serviert, hat mein Herzrasen allmählich nachgelassen. Das entspricht zwar nicht so ganz meinem Geschmack, aber erstens möchte ich dem Personal keinen weiteren Anlass geben, meine Anwesenheit in der ersten Klasse infrage zu stellen, und zweitens bin ich nach knapp vierundzwanzig Stunden unterwegs so ausgehungert, dass ich nahezu alles essen würde. Möglicherweise seufze ich beim Essen sogar ab und zu entzückt vor mich hin.

»Lecker, oder?«

Die rothaarige Frau mir gegenüber beugt sich nach vorn und grinst mich schelmisch an.

Da mein Mund voll mit Couscous und Rosenkohl ist, kann ich nicht antworten. Deshalb zeige ich ihr nur meinen hochgestreckten Daumen, woraufhin sie sich ein Stück zur Seite dreht, um den Flugbegleiter auf sich aufmerksam zu machen. Beinahe im Laufschritt kommt er durch den Gang geeilt. Verrückt.

»Ja bitte«, sagt er, »wie kann ich Ihnen helfen?«

»Können Sie mir bitte das Gleiche bringen?«, fragt die Frau und zeigt auf meinen Salat.

Der Mann nickt nicht nur, sondern verbeugt sich regelrecht. »Selbstverständlich. Wird umgehend serviert.« Und so schnell, wie er gekommen ist, verschwindet er wieder.

Da er offenbar akzeptiert hat, dass ich hier richtig bin, wird er sich vielleicht das nächste Mal, wenn ich etwas bestelle, auch so beeilen.

Ich sehe zu der Frau hinüber und unsere Blicke treffen sich. Sie verdreht die Augen, als wollte sie sagen: Irre hier in der ersten Klasse, oder? Ich erwidere ihr Lächeln und schiebe mir nun eine deutlich kleinere Portion Salat in den Mund.

Wieder beugt sie sich nach vorn. »Wenn es nur überall so zuvorkommend zugehen würde«, flüstert sie – allerdings so laut, dass ich sie über den Lärm der Triebwerke hinweg verstehen kann.

»Ich weiß nicht so recht, ob mir das gefallen würde«, entgegne ich. Auch wenn ich das Upgrade sehr genieße, gerade an meinem Geburtstag, frage ich mich schon, wie es meinen Freundinnen in der Touristenklasse wohl so geht. Vielleicht schlendere ich nach dem Essen kurz zu ihnen hinüber.

»Gefällt es dir nicht, sich als etwas Besonderes zu fühlen?«, erkundigt sie sich.

Ich starre auf meinen Salat und überlege einen Moment, um eine Antwort zu formulieren, ohne dabei meine Gefühle preiszugeben. »›Besonders‹ ist ja nicht immer etwas Gutes.«

»Da hast du nicht ganz unrecht«, entgegnet sie und senkt den Blick, während ihr Kinn für einen kurzen Moment nach rechts zuckt, als ob sie zu dem Mann blicken wollte, mit dem sie eben flüsternd gestritten hatte. Sie schürzt leicht die Lippen und starrt immer noch zu Boden. Ich weiß nicht, worum es in ihrer Auseinandersetzung ging, aber offenbar war es etwas sehr Ernstes, denn sie sieht wirklich traurig aus. Und ich kann es wirklich extrem schwer aushalten, wenn jemand traurig ist – selbst bei völlig fremden Leuten. Sofort habe ich das Bedürfnis, sie irgendwie zum Lachen zu bringen, doch abgesehen von dem albernen Hut, den ich gerade im Gepäckfach verstaut habe, weiß ich überhaupt nicht, wie ich das hinbekommen könnte.

Sie rückt ein Stück zur Seite, um ein iPad hervorzuziehen, das zwischen ihrem Bein und der Armlehne klemmt. Als sie es in die Tasche am Vordersitz schiebt, leuchtet das Display auf und auf dem Sperrbildschirm erscheint ein Selfie von ihr. Darauf trägt sie ein leuchtend blaues Basecap und bestaunt bei wolkenlosem Himmel eine beeindruckende Felsformation.

»Wow, das sieht ja toll aus«, merke ich an, um die Chance auf ein unverfängliches Gesprächsthema zu nutzen.

Sie sieht kurz auf das Bild und nickt. »Ja, das bin ich an meinem Lieblingsort.«

»Wo ist das denn?«

Sie überlegt kurz, als wäre sie unsicher, ob sie es mir sagen soll oder lieber nicht. »Das ist auf dem Tumbleweed Trail in Palm Springs.«

»Oh, cool, da will ich auch gerade hin«, antworte ich und widme mich wieder meinem Salat, um etwas zu tun zu haben. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie mich mustert. Hoffentlich hat sie nicht erkannt, dass … Nein, ich bin wieder mal nur paranoid.

»Als wir noch an der Highschool waren«, sagt sie kurz darauf, »bin ich mit meinen Freunden während der Abschlussprüfungen jeden Tag noch vor Sonnenaufgang aufgestanden und wandern gegangen. Es ist wunderbar dort, wenn man sich gestresst fühlt. Zuerst ist es echt anstrengend, weil es steil bergauf geht. Aber wenn man oben ankommt, sind alle Probleme plötzlich total nebensächlich, weil man so erledigt ist. Vom Gipfel aus hat man einen herrlichen Ausblick über die kalifornische Wüste, was dieses Gefühl noch verstärkt. Schule und alle damit verbundenen Sorgen wirken vor diesem gigantischen Hintergrund plötzlich ganz winzig.«

»Dann hast du bei deinen wahrscheinlich ziemlich gut abgeschnitten, oder?«

»Alles mit Bestnote«, bestätigt sie strahlend und legt ihr iPad beiseite. »Außer in Musik, lustigerweise.«

»Warum ist das lustig?«, erkundige ich mich.

Doch sie winkt nur beiläufig ab. »Auf jeden Fall war der Tumbleweed Trail gut, um mich zurückzuziehen, wenn mir alles zu viel war, weil ich an meiner Highschool immer das Gefühl hatte, nicht richtig dazuzugehören.«

»Das Gefühl kenn ich gut«, erwidere ich.

In diesem Moment kommt der Flugbegleiter wieder, um ihren Salat zu servieren. Dabei bleibt er lange genug stehen, sodass ich sein Namensschild erkennen kann. Er heißt Tyler.

»Das wär dann alles, vielen Dank«, sagt die Frau zu ihm, und es klingt, als ob sie solche Sätze öfter äußern würde. Vermutlich ist sie wirklich ziemlich reich. So ein Satz wie Das wär dann alles würde mir wahrscheinlich nie im Leben über die Lippen kommen. Selbst wenn tatsächlich alles erledigt wäre – was auch immer.

»Ich heiße übrigens Sasha«, sage ich schließlich, als Tyler sich wieder entfernt. Ihr die Hand zu reichen, ist leider nicht möglich, da in der ersten Klasse der Abstand zwischen den Reihen einfach zu groß ist. Deshalb winke ich ihr einfach zu, als wäre sie auf der anderen Straßenseite. Was natürlich ein bisschen seltsam wirkt. Deshalb muss sie lachen und verschluckt sich dabei fast an ihrem Salat.

»Jolene«, antwortet sie und winkt zurück. »Freut mich, dich kennenzulernen, Sasha. Wie hast du das gemeint, dass du dieses Gefühl gut kennst?«, fragt sie, und ich bereue meine Geschwätzigkeit. Wenn ich ihr erzähle, warum ich an der weiterführenden Schule todunglücklich war und es bei ihr Klick macht – und Jolene mich von YouTube erkennt (wie so viele andere Leute, wenn sie mich lange genug ansehen) –, könnten die restlichen vier Flugstunden reichlich unangenehm werden.

»Ach, Schule war einfach schrecklich«, sage ich daher nur. »Im letzten Jahr vor dem Studium war ich ziemlich einsam und allein.«

»Das klingt hart.«

»War es auch. Aber an der Uni hab ich echt gute Freunde gefunden. Sie haben sogar irgendwas eingefädelt und mich zum Geburtstag hier in die erste Klasse gelotst. Sie sind wirklich super.«

»Wie süß! Herzlichen Glückwunsch!«

»Danke.«

»Würdest du dann sagen, dass du erst an der Uni deinen Platz gefunden hast, wo du ganz du selbst sein kannst?«

»Wahrscheinlich schon.« Eigentlich musste ich mich dazu nur auf eine Komplettveränderung einlassen und mich zum Beispiel als Fan einer ziemlich nervigen Dance-Country-Band ausgeben, deren Musik ich eigentlich gar nicht mag. Aber das ist ein relativ geringer Preis für meine neuen Freunde, auf die ich mich jederzeit verlassen kann.

Als ich mit meinem Salat fertig bin, hat Jolene ihren erst zur Hälfte gegessen. Schweigend sitzen wir da, weil uns irgendwie die Gesprächsthemen ausgegangen sind. Ich will gerade einen Blick in eine der ausliegenden Bordzeitschriften werfen, als ich sehe, wie sie ganz kurz zu ihrem Freund blickt (den ich während unseres Gesprächs mehr oder weniger vergessen hatte). Als sie sich wieder umdreht, schiebt sie ihren Salat beiseite, als ob ihr der Appetit vergangen wäre. Sie starrt ins Leere und sieht dabei ziemlich verzweifelt aus, was bei mir schlagartig Wut auf diesen Typen auslöst. Jolene ist ja wohl supernett, und so, wie er mit ihr geredet und bei der erstbesten Gelegenheit den Platz gewechselt hat, scheint er ein echter Vollidiot zu sein. Obwohl ich ihn überhaupt nicht kenne, fange ich allmählich an, ihn zu hassen.

Sie bemerkt meinen Blick und ich sehe sie mitfühlend an. »Ich hoffe, alles ist einigermaßen okay?«