Kiss the Dragon - May Sparkle - E-Book
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May Sparkle

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Beschreibung

Fantasy Gay Romance für Frauen.     Archäologie war für die Studentin Zoe bis jetzt bloße Theorie. Unerwartet wird sie auserwählt, ihre Professorin Milena auf eine Ausgrabungsstätte nach Kreta zu begleiten.   Gemeinsam begeben sich die beiden Frauen auf eine mystische Entdeckungsreise, die sie zu ihrem wahren Schicksal führt. Denn auf den Spuren der mächtigen Drachenkrieger, die einst in Griechenland den Göttern gedient haben sollen, begegnen sie nicht bloß einigen angestaubten Funden, sondern einer zu Fleisch gewordenen Kriegerin aus längst vergangenen Zeiten, die ihr (Liebes)leben auf den Kopf stellt.            Weitere Gay-Romane von May Sparkle:   Frühling, Darling, Chaos und Sam (American Gay Romance) Sommer, Darling, Schicksal und Kate (American Gay Romance) She is the one? Was wäre wenn ... (erotische Gay Romance)  

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Sammlungen



1. Glaube
2. Erwartung
3. Schlaf
4. Erkenntnis
5. Reise
6. Erwachen
7. Irrglaube
8. Unglaube
9. Zuneigung
10. Flucht
11. Wahrheit
12. Dunkelheit
13. Vollmond
14. Befangenheit
15. Prüfung
16. Donner
17. Sonne
18. Regen
19. Sturm
20. Welle
21. Besinnung
22. Verwirrung
23. Verbindung
24. Asche
25. Wächter
26. Vergangenheit
27. Rettung
28. Spiegel
29. Körperlos
30. Leblos
31. Substanz
32. Liebe

1. Glaube

„Draconis Imperialis. Der Legende nach die vorherrschende Spezies der Königsgarde“, erklärte Milena ihren Studenten. „Meiner Schätzung nach, ließ sich das griechische Götterreich Siebenhundert vor Christus von übermenschlichen Kriegern beschützen.“ Sie klickte auf die kleine Fernbedienung. Das Bild eines mächtigen Drachen prangte auf der Leinwand.

„Ähm, entschuldigen Sie“, murmelte eine Studentin aus der ersten Reihe, die vorsichtig ihre Hand hob. Es handelte sich um Zoe. Eine ihrer besten Studentinnen.

„Ja, bitte?“, forderte Milena sie auf, ihre Frage zu stellen.

„Aber in den Geschichtsbüchern steht über diese Königsgarde gar nichts geschrieben. Kein einziges Wort.“

Milena schmunzelte triumphal. „Das ist vollkommen richtig, Sie haben recht. Denn was ich Ihnen heute präsentiere, sind die Ergebnisse meiner jahrelangen Arbeit als Archäologin. Ich forsche nun schon seit über einem Jahrzehnt daran, einen Beweis für die Existenz der Drachengarde zu finden. Eigentlich wollte ich mit der Bekanntgabe meines erfolgreichen Fundes bis zum Ende der Vorlesung warten, aber da es hier sehr ungeduldige Studenten zu geben scheint, weihe ich Sie sofort in meinen Plan ein.“

Milena warf der angespannt dreinblickenden Studentin einen herausfordernden Blick zu. „Direkt im Anschluss an diese Vorlesung mache ich mich auf den Weg zu einer neuen Ausgrabungsstätte, die ich höchstpersönlich leiten werde. Ich biete einem meiner besten Studenten an, gemeinsam mit mir an der Ausgrabungsstätte zu arbeiten und das Geheimnis der Draconis Imperialis durch unseren Fund der Welt zu offenbaren.“

Zoe schluckte schwer, ihre Finger zitterten vor Anspannung. „Und wie werden Sie sich für einen Studenten entscheiden?“

Milena schloss die Augen, balancierte auf ihren Zehenspitzen und vollführte eine geschmeidige Drehung. Sie hob ihren filigranen Zeigefinger und deutete wahllos in die Menge der erstarrten Studenten. Dann öffnete sie ihre Augenlider. „So wie es aussieht, zeigt das Rad des Schicksals geradewegs auf Sie, Zoe.“

Die Studentin mit der Milena das Gespräch führte, erschrak.

„Ich soll Sie begleiten?“

„Betrachten Sie diese Mission als ihr persönliches Los in die Welt der Archäologie, meine Liebe.“

Zoe blickte Milena an, als suche sie in ihrem Gesicht nach einem Anker, an dem sie sich festhalten konnte. „Meinen Sie ... also, sofort?“

„Nein, nein“, beschwichtigte Milena ihre Studentin, „Sie haben eine Woche Zeit, um mir zu folgen. Was sagen Sie? Nehmen Sie die Herausforderung an, die mächtigste Königsgarde in der Geschichte Griechenlands zu erforschen?“

„Ja ... natürlich“, murmelte Zoe unsicher.

Milena schüttelte den Kopf. „Wie bitte?“ Der Studentin mangelte es offensichtlich an Selbstbewusstsein. Das würde Milena ihr an Ort und Stelle austreiben.

„Ja, ich begleite Sie“, sagte Zoe nun etwas lauter.

„Wunderbar, dann sehe ich Sie nach der Vorlesung“, schloss Milena die Diskussion ab und wandte sich wieder an den gesamten Vorlesungssaal, ohne die auserwählte Studentin nochmals direkt anzusehen.

Sie predigte weiterhin über ihre Forschung und berichtete über ihre jahrelange Suche nach den Draconis Imperialis, der wahrscheinlich mächtigsten Rasse der Vorzeit, deren Existenz bis vor Kurzem ein gut behütetes Geheimnis war. Doch Milena hatte es endlich aufgedeckt. Die letzte Ausgrabung, die sie in Griechenland geleitet hatte, brachte erstaunliche Funde zum Vorschein. Sie grub schon seit langem nach einem Beweis und dieses Mal hatte sie ihn tatsächlich gefunden. Sie schilderte ihr Erlebnis den Studenten, die allesamt an ihren Lippen hingen.

„Während der Ausgrabung schimmerte der Himmel für den Bruchteil einer Sekunde smaragdgrün und die Sonne verfinsterte sich für einen kurzen Moment, als ich meine Hand nach dem verborgenliegenden Schatz ausstreckte.“ Milena übertrieb natürlich maßlos. Sie liebte es, ihre Klasse zu foppen. Ein weiterer Klick auf die Fernbedienung folgte und zeigte ein Bild einer Ansammlung von wirr aussehenden Lederriemen. „Dieses Gewand konnten wir wohlbehalten freilegen“, erklärte sie den Studenten, während sie auf die Abbildung in ihrer Präsentation deutete. „Ich weiß, auf den ersten Anblick erscheint der Fund wie eine konfus verknotete Ansammlung alter Gürtel. Aber beim genaueren Hinsehen ...“ Milena klickte erneut und zeigte eine Vergrößerung des knappen Gewandens. „Wie Sie sehen, trug die Königsgarde die Kleidung von Amazonen. Mein Team und ich nehmen an, dass es sich eventuell um einen, uns bis dato unbekannten Kriegerstamm handeln könnte. Diese Lederkluft bedeckte lediglich die wichtigsten Stellen des Körpers. Durch das geringe Gewicht der Montur entstanden wichtige Vorteile im Kampf. Bewegungsfreiheit zum Beispiel.“

„Aber ...“

Milena sah in die Runde. Erneut war es Zoe, die ihren Vortrag störte.

„Ja?“

Zoe kiefelte an ihrer Unterlippe. Sie schluckte, fand aber doch kurz darauf ihre Stimme. „Aber, ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese Kriegerrasse ihren Körper dermaßen wenig Schutz gab? Ich meine ... diese Lederriemen ... sie geben null Sicherheit.“

Milena nickte. Weshalb sie vermutete, dass die Königsgarde keinerlei Schutz brauchte, wollte sie jedoch nicht vor der gesamten Klasse verraten. Deshalb deutete sie auf einen weiteren Studenten, der seine Hand erhoben hatte.

„Was erwarten Sie, bei der nächsten Ausgrabung zu finden?“, fragte der Student, dessen Namen sie nicht kannte. Sie deutete Zoe, ihr Gespräch später fortzusetzen, und widmete sich der Beantwortung der anderen Frage.

„Dieses Mal führt mich die Reise nach Kreta. Durch die Ausgrabungen in Thessaloniki konnte ich Spuren auf die umliegenden Inseln Griechenlands nachverfolgen. Denn so wie es aussieht, schlug dieser Stamm seine Wurzeln bereits Sechstausend vor Christus auf Kreta. Stellen Sie sich das vor. Wie Sie daraus schließen können, hat dieser Stamm schon sehr weit vor der Gründung der Königsgarde existiert. Sie wurden also nicht als Krieger in diese Welt geboren, sondern dazu gemacht. Eine höchst spannende Erkenntnis, finden Sie nicht? Ich erhoffe mir von der vor mir liegenden Ausgrabung, einen endgültigen Beweis für die Existenz der Draconis Imperialis zu finden. Einen unwiderlegbaren Beweis, um genau zu sein, der gleichzeitig die Macht dieser überaus beeindruckenden Spezies aufzeigt. Denn bis jetzt baue ich lediglich Wolkenschlösser, die immer wieder zu Staub zerfallen, müssen Sie wissen. Meine Kollegen nehmen mich aktuell nicht gerade ernst.“ Aufgrund ihrer letzten Worte sah sie verlegen auf die Uhr. Die Zeit verlief wie immer auf Hochtouren, wenn sie vor ihren Studenten sprach. „Unsere Zeit ist leider um, ich breche an dieser Stelle ab und danke Ihnen fürs Zuhören. Weitere Berichte erhalten Sie in der nächsten gemeinsamen Vorlesung, nachdem ich gefunden habe, wonach ich suche.“

Selten aber doch geschah es, dass sich ihre Studenten erhoben und Applaus auf Milena niederregnen ließen. So auch heute. Sichtlich beeindruckt von ihrem Forscherdrang, wie sie um jeden Preis versuchte, ihre Theorie über die Königsgarde aus längst vergangener Zeit zu beweisen, klatschten sie zum Abschied auf ihre Tische. Doch längst nicht jedem erging es wie ihren fleißigen Studenten. Kollegen, unter anderem ihr eigener Vater, ebenfalls Archäologe, hielt ihre Mutmaßungen für puren Schwachsinn. Er behauptete, sie hätte sich in ein Hirngespinst verrannt, dem nun ihre Karriere demnächst komplett zum Opfer fallen würde. Immerhin hatte man sie bereits an einen Lehrstuhl gebunden, den sie gar nicht haben wollte. Doch Milena wusste, dass sie recht behalten würde. Sie würde ihrem Vater und der restlichen Welt beweisen, dass sie keineswegs falsch lag. Und das würde ihr mit der Hilfe ihrer besten Studentin gelingen. Natürlich hatte sie ihre Begleiterin nicht durch reine Willkür ausgewählt. Milena wusste genau, auf wen ihr Finger zeigen würde. Denn Zoe hatte sich bereits letztes Semester durch ihr Talent und ihren Wissensdurst hervorgehoben, als Milena die halbstarke Klasse ihres Vorgängers übernahm.

Sie unterrichtete noch nicht lange, nicht einmal ganz ein Jahr. Doch ihre Studenten vergötterten sie bereits innerhalb weniger Vorlesungen. Jedenfalls durchwegs die männlichen, wobei sie sich für deren Beifall kaum interessierte. Gerade ihre beste Studentin schien nicht völlig von Milena überzeugt zu sein. Ständig warf sie Kritik ein, sobald Milena von neuen Funden berichtete. Zoe verhielt sich in ihrer Gegenwart zwar stets zurückhaltend, als hätte sie etwas zu verbergen. Als wolle sie Milena nicht die Wahrheit spüren lassen, wie Zoe über sie dachte. Doch nun bekam Milena die einmalige Chance, Zoe bei dieser Ausgrabung zu beweisen, was sie alles erreichen konnte, wenn sie an Milenas Seite stand. Zoe würde sie nach der Zeit in Kreta niemals wieder dermaßen zweifelnd ansehen. Dessen war sich Milena sicher.

„Entschuldigung“, murmelte Zoe wie aufs Stichwort in Milenas Rücken. Milena wandte sich ohne zu zögern zu ihr um. Ihre schokoladenbraunen Korkenzieherlocken sprangen bei der Drehung förmlich durch den Raum. Leider erwischte sie Zoe mit ihrer Haarpracht mitten im Gesicht.

„Oh, Verzeihung“, sagte Milena mit vorgehaltener Hand. Selten war ihr etwas peinlich. Doch jetzt gerade würde sie am Liebsten im Boden versinken.

Zoe hielt die Augen geschlossen und zog eine verkniffene Grimasse. „Nichts passiert“, nuschelte sie und unterdrückte ein Niesen. „Sie haben wirklich schönes Haar.“ Zoe hielt sich hastig eine Hand vor den Mund. „Entschuldigung, ich wollte nicht aufdringlich wirken.“Nun standen sie sich beide mit vorgehaltener Hand gegenüber.

Milena konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Na, immerhin wissen Sie jetzt schon, wie meine Haare schmecken“, lachte sie auf und ihre Locken hüpften auf ihren Schulter auf und ab. „Glauben Sie mir, das wird bei der Ausgrabungsstätte sicherlich des Öfteren passieren.“ Zoe riss ungläubig die Augen auf. „Wegen dem Wind“, erklärte Milena schnell, bevor ihre Studentin noch dachte, sie wäre verrückt.

„Oh“, entkam es Zoe, „kein Problem. Verzeihen Sie.“

„Sind Sie ein schüchterner Mensch?“, fragte Milena ganz offen. „Denn Sie dürfen bei unserer Suche nicht so kurz angebunden sein, Zoe. Und bitte entschuldigen Sie sich nicht ständig. Wir werden gemeinsam im Dreck wühlen, da ist nicht viel Platz für Höflichkeiten.“ Milena kramte in ihrer Tasche und überreichte Zoe ein Stück Papier. Doch die Studentin kam nicht auf die Idee, danach zu greifen. „Das Flugticket.“ Dann streckte sie ihr die leere Hand auffordernd entgegen. „Ich heiße übrigens Milena. Wir werden uns ab sofort die höfliche Anrede verkneifen. Denn nun sind wir gleichgestellte Kolleginnen, die -wie bereits erwähnt- demnächst gemeinsam im Dreck nach uralten Schätzen wühlen werden.“

Zoe grabschte nach dem Ticket und griff nach Milenas Hand. Ihr entwischte ein Lächeln. Das erste, seit sie Milenas Vorlesung besuchte. Dieses Mädchen schien selten glücklich zu sein. Das war Milena bis heute noch gar nicht richtig aufgefallen. Doch jetzt, wo sie Zoe mit dem Lächeln im Gesicht direkt vor sich sah, wurde ihr diese eigentlich unübersehbare Tatsache bewusst. Zoe zog meist eine ernste Miene.

„Dann freue ich mich auf unsere gemeinsame Ausgrabung, Milena. Und ich verspreche ... etwas offener zu sein“, sagte Zoe mit stolz erhobenem Kinn. Doch die Hand, die Zoe ihr zur Besiegelung reichte, zitterte wie Espenlaub.

„Nur zu, Zoe. Du bist eine wirklich intelligente und wunderschöne Frau, die eine große Zukunft vor sich hat. Ein wenig Selbstbewusstsein steht dir sicherlich ausgezeichnet.“ Milena hielt inne. Hatte sie ihrer Studentin gerade ernsthaft gesagt, sie sei wunderschön? Sie klopfte Zoe in väterlicher Manier auf die Schulter, um ihre eigene Verlegenheit zu überspielen. „Wir sehen uns dann in Griechenland“, schloss sie ihre Ansprache.

Zoe nickte, lächelte kaum merklich und trottete mit dem Ticket in der Hand davon.

Ließ dieses Mädchen ständig den Kopf dermaßen hängen? Milena wurde schmerzlich bewusst, dass sie ihre Studenten meist nicht richtig wahrnahm. Sie saßen in den Bänken vor ihr, aufgereiht wie Sardinen in einem viel zu engen Glas, und verschwammen meist zu einem formlosen Einheitsbrei. Selten nahm sie ein Gesicht, gar die dazugehörige Körperhaltung wahr. Wenn einer ihrer Studenten depressiv wäre, würde Milena diese Tatsache mit Sicherheit entgehen. Sie nahm sich vor, ab sofort aufmerksamer zu sein, wenn sie von der Ausgrabung zurückkam. Im Unterrichten war sie noch eine blutige Anfängerin und mit zwischenmenschlichem Kontakt hatte sie generell ihre kleinen Problemchen. Milena galt als direkter Mensch, der Smalltalk keineswegs in irgendeiner Form beherrschte. Nicht nur, dass sie keine Lust darauf hatte, über das Wetter zu sprechen. Sie konnte es schlicht und einfach nicht. Die hohlen Phrasen klangen aus ihrem Mund wie Lügen, die aus einer aufgesetzten Maske drangen, von ihrer Umgebung meist sofort durchschaut und als unangenehm empfunden wurden. Deshalb strich sie die Worthülsen lieber komplett aus ihrem Repertoire. Doch ihre direkte Art schlug leider meist ebenso auf Missverständnis, weshalb Milena soziale Kontakte im Alltag eher vermied. Doch im Falle ihrer Studenten, die zu ihr aufschauten, wollte sie sich bessern. Ihnen eine gute Mentorin sein und auf jedes Individuum versuchen einzugehen. Mit Zoe würde sie beginnen. Während der Ausgrabung wollte sie Zoes Inneres ergründen, ihr nicht nur eine Lehrerin, sondern auch eine Freundin sein.

Milena packte hoch motiviert ihre Aktentasche, sortierte ihre Erkenntnisse, die sie bis jetzt gesammelt hatte in ihrer geistigen Ablage und ließ den Verschluss zuschnappen.

Sie wandte sich ein letztes Mal zum leeren Vorlesungssaal um, bevor sie durch die Tür schritt. „Na, dann ... nichts wie los, ins nächste Abenteuer“, verließ sie den Raum mit den Worten ihres Vaters auf den Lippen, der nicht an die Existenz der Draconis Imperialis glaubte.

2. Erwartung

Beinahe eine Woche war seit Milenas letzter Vorlesung vergangen. Ihre Umgebung hatte sich drastisch verändert. Die Kühle der Universität war der Intensität der südländischen Sonne gewichen. Die Hitze Griechenlands brannte auf ihrem Gesicht, als sie ihre Hand schützend über die Stirn hielt, um den Palast von Festos zu bewundern. Milenas Ausgrabungsstätte, die sich in Reichweite des Palastes befand, war bereits zur Gänze aufgebaut. Der letzte Sand wurde vor einer Stunde aufgeschüttet, und somit bot die Fläche genügend Platz für das Archäologenteam, das sich heute noch an die Arbeit machen wollte. Milena vermutete die Wohnstätte der Königsgarde unweit des Palastes, genau an der Stelle, an der sie mit ihren Ausgrabungen begann. Und sie war sich sicher: Hier würde sie finden, wonach sie bereits seit so langer Zeit suchte. Denn die Minoer, die einstigen Einwohner Kretas, die dieses Reich erbaut hatten, waren kluge Leute gewesen. Über der ausgedehnten Messara-Ebene, die damals wie heute zur Kornkammer Kretas zählte, bauten sie auf einem Alles überblickenden Hügel ihr zentrales Heiligtum und den imposanten Palast ihres Herrschers. Es war ein italienisches Archäologenteam, das den Palast des Festos freigelegt hatte. Zwar war dieser viel kleiner als der von Knossós, jedoch schien er größere Geheimnisse zurückzuhalten. Dessen war sich Milena sicher. Ihr kleiner Zeh vibrierte und das war ein eindeutiges Anzeichen, dass sie richtig lag. Von weitem beobachtete sie die Touristen, die ihren Rundgang vom Parkplatz aus durch den Tempel starteten. Niemand von ihnen konnte sich vorstellen, dass heute eine Ausgrabung bevorstand, die eventuell die gesamte Geschichte Kretas auf den Kopf stellen würde. Direkt beim Kassenhäuschen erschloss sich der prächtige Blick auf die Hochebene, in deren Richtung Milena den Ursprung der Draconis Imperials vermutete. Der Palast lag gut geschützt zwischen dem Massiv des Psiloritis im Norden, und dem vom wilden, über tausend Meter hohen Asteroussia-Gebirge, im Süden, das bis unmittelbar an die Küste reichte. Die gut durchdachte Palastanlage, von der Milena vermutete, ein Mitglied der Königsgarde hätte sie mitgeplant, bestand aus dem tiefer gelegenen Westhof, an den heutzutage besonders viele Gebäudereste aus der Altpalastzeit grenzten. Auf seiner Nordseite fungierte eine breite Stufentribüne den Teilnehmern aus längst vergangener Zeit an kultischen Festen als Zuschauerrang. Kreisrunde Schächte dienten höchstwahrscheinlich der Aufnahme von Opfergaben, die für die Götter erbracht wurden. Auf der Ostseite stand noch der Rest des Mauerwerks aus der neuen und aus der alten Palastzeit, welche man gut unterscheiden konnte: Das Bruchsteinmauerwerk ist das ältere, die Fassadenteile aus gut behauenen Steinblöcken gehören in die jüngere Epoche. Unter den modernen Schutzdächern, die für die Touristen erbaut wurden, lagen die sogenannten königlichen Quartiere aus der Neupalastzeit verborgen. Sie konnte die Vergangenheit beinahe vor ihren Augen auftauchen sehen. Menschen, die in blütenweißen Gewändern durch den Palast schritten, ihre Bewacher, die mit Argusaugen nach Feinden Ausschau hielten.

Milenas innere Anspannung zerriss ihre Konzentration. Sie sah zu ihren Füßen, wo der Sand schon darauf wartete, von ihr beiseite geschaufelt und mit dem Pinsel bearbeitet zu werden. Eigentlich wollte sie mit der Arbeit beginnen, doch Zoe war noch nicht eingetroffen. Die blonde Studentin mit dem traurigen Blick ging Milena nicht mehr aus dem Kopf. Milena winkte einem der Arbeiter zu und fragte ihn auf Englisch, ob das Flugzeug bereits gelandet sei. Dieser bestätigte die Landung und berichtete, dass ihre Studentin in Kürze hier eintreffen sollte. Milena bedankte sich bei ihrem griechischen Angestellten, der nur gebrochen Englisch und kein Wort deutsch verstand. Zwar beherrschte sie die gängigsten Phrasen der griechischen Sprache, jedoch war Milena noch nie ein Sprachengenie gewesen. Ihr mangelte es an der Fähigkeit, sich Vokabel einzuprägen. Außerdem tat sie sich in ihrer Muttersprache schon schwer genug, sich mit anderen Menschen zu unterhalten. Da würde ihr eine Fremdsprache nicht gerade dienlich sein. Sie verachtete sich zwar für ihre Unfähigkeit neue Sprachen zu erlenen, da sie diese gut für ihre Ausgrabungen gebrauchen könnte, doch dafür stand ihr zum Glück Personal zur Verfügung. In diesem Fall hieß ihr Experte für die griechische Sprache Anastassios, der von allen Tasso gerufen wurde. Der Grieche hatte Sprachwissenschaft studiert und beherrschte neben allen romanischen Sprachen auch Altgriechisch, weshalb er regelmäßig an Ausgrabungen teilnahm und über die letzten Jahre ein guter Freund Milenas geworden war. Aus diesem Grund hatte sie Tasso losgeschickt, Zoe vom Flughafen abzuholen. Sie sollte bei ihrer Ankunft in ein freundliches Gesicht blicken können, das ihre Sprache verstand. Zoe sollte sich unter keinen Umständen verloren fühlen. Milena wusste ja mittlerweile um ihren zerbrechlichen Charakter und wollte das arme Mädchen nicht mehr als nötig mit befremdenden Dingen konfrontieren. Es reichte doch schon, dass sie in ein unbekanntes Land reiste und an der Seite einer Frau arbeiten sollte, die sie im Grunde gar nicht kannte. Milena biss sich auf die Unterlippe. Sie hoffte inständig, Tasso würde Zoe nicht allzu sehr mit seinem Charme verzaubern. Sie sollte sich doch schließlich auf die Arbeit konzentrieren. Und seltsamerweise verpasste ihr der Gedanke an Zoe, die in Tassos Armen lag, einen Stich ins Herz. Milena konnte sich diese Gefühlsregung nicht erklären. Doch ihr blieb keine Zeit, über diesen unerwarteten Impuls nachzudenken. Denn Tasso parkte gerade seinen blitzroten Fiat Panda, hüpfte eilig heraus, lief ums Auto und hielt Zoe die Beifahrertür auf. Die Studentin kletterte in gebückter Haltung aus dem Fahrzeug, richtete sich auf und krallte die Nägel ihrer grazilen Finger umgehend in den Sonnenhut, der in der aufkommenden Windböe davonzufliegen drohte. Anstatt sich von Tassos nettem Lächeln vereinnahmen zu lassen, sah sie sich um.

Zoes himmelblaues Sommerkleid flatterte im Wind und legte für einen kurzen Moment ihre Oberschenkel frei. Milena erkannte trotz der relativ großen Entfernung, die Makellosigkeit ihrer Haut. Tasso winkte Milena zu und nahm der sich immer noch umsehnenden Zoe ihre Tasche ab. Sie lächelte ihm dabei freundlich, jedoch mechanisch entgegen. Tasso schien also eindeutig nicht ihr Typ zu sein. Milena fühlte einen Anflug von Erleichterung in sich aufsteigen. So wäre Zoe zumindest nicht von ihrer Arbeit abgelenkt. An einen weiteren Grund für ihre Erleichterung zu denken erlaubte Milena sich nicht.

Zoe stakste etwas unbeholfen durch die sandige Erde. Milena erkannte sofort, warum.

„Du trägst die falschen Schuhe“, rief Milena ihr zu.

„Ich tue was?“

Zoe schien sie nicht zu verstehen. „Unpassendes Schuhwerk“, sagte Milena und deutete auf Zoes Füße.

„Oh.“ Zoe blieb stehen und schaute an sich hinab. Die Ledersandalen bedeckten lediglich ihren Schaft. Sie wackelte mit den freiliegenden Zehen.

„Flache Schuhe reichen nicht.“ Milena deutete auf ihre Füße. „Siehst du? Du brauchst geschlossene, vor allem bequeme Schuhe.“

„Das lernt man in keinem Seminar“, äußerte Zoe verlegen. „Ich habe keine anderen Schuhe eingepackt.“

„Welche Schuhgröße?“

„Wie bitte?“

„Sag mir, welche Schuhgröße du hast.“

„Siebenunddreißig.“

Milena deutete auf eines der Zelte, die hinter Zoe mit dem Horizont verschmolzen. „In meinem Spind stehen meine Ersatzschuhe. Du kannst sie dir leihen.“

Zoe nickte und marschierte zurück, hielt jedoch plötzlich inne. „Wie erkenne ich deinen Spind?“

„Die Spinde sind alle beschriftet. Du kannst dir übrigens auch gleich einen aussuchen. Es sei denn, Tasso hat das schon für dich erledigt, indem er deine Tasche einfach in einen freistehenden Spind gestopft hat.“

Zoe sah sie verwirrt an. Ein in den Wind gehauchtes „Okay“ blieb ihre einzige Antwort, bevor sie den Weg zu dem Zelt in Anlauf nahm.

Milena blieb verdutzt zurück. Zoe war der erste Mensch, den sie nicht deuten konnte. Zwar lagen ihr oberflächliche Gespräche nicht, doch in die Seele eines Menschen zu blicken, war für Milena eine Kleinigkeit. Doch Zoe schien ihren Spiegel gut zu verhängen. Milena erahnte ihre Zerbrechlichkeit, konnte sich auf ihr seltsames Benehmen jedoch keinen Reim machen.

Nur wenige Minuten vergingen, bis Zoe ihren Kopf aus dem Zelt streckte. Sie hatte sich in eine kleine Forscherin verwandelt. Den Sonnenhut hatte sie gegen eine Schirmmütze getauscht. Ihr offenes Haar hatte sie zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden, ihr Sommerkleid hatte für eine knielange Jeans und ein eng sitzendes Top weichen müssen. Nun würde ihr der Wind nicht mehr viel anhaben können, dachte Milena stolz. Auch wenn ihre Studentin einen Fehlgriff bei den Schuhen begangen hatte, hatte sie die restliche Kleidung wie ein kleiner Profi ausgewählt.

„Hey, du hast dich ja von der Studentenraupe in einen richtigen Buttterfly der Archäologie verwandelt. Ich bin stolz auf dich“, zog Milena die verdattert dreinblickende Zoe auf. „Ich glaube so nenne ich dich jetzt jedes Mal, wenn ich stolz auf dich bin.“

Zoe trug eine dunkelgetönte Sonnenbrille, weshalb Milena ihre Augen nur erahnen konnte. Milena hätte gerne gewusst, wie Zoe auf ihre Aussage reagierte, denn unter Smalltalk fiel das Gespräch nun wirklich nicht. Zoes Blick schien durch den Schutz der Unsichtbarkeit standfester zu sein. Denn sie wandte Milena ihr Gesicht direkt zu, und sprach ohne ihr übliches Zittern in der Stimme.

„Hast du denn schon etwas gefunden?“

Zoe ignorierte ihr Angebot. Vielleicht sogar ein gutes Zeichen. Milena schüttelte den Kopf. „Noch nichts, das uns weiterbringt. Einzelne Knochenfragmente, die jedoch aus der falschen Epoche stammen. Eventuell ist das Loch noch nicht umfangreich genug und wir müssen tiefer graben. Ich dachte eigentlich, wir hätten die richtige Erdschicht bereits erreicht.“

„Dann lass uns genauer nachsehen“, sagte Zoe und kniete sich direkt vor Milena zu Boden. „Ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass sich ein zweiter Blick meist lohnt.“

Auch ein weiterer Blick auf Zoes strohblonden Hinterkopf lohnte sich, befand Milena, die Zoes Haar aus einem Impuls heraus gerne berührt hätte. Doch stattdessen tastete sie nach einer ihrer dunkelbraunen Locken und spielte daran herum. Diese Verlegenheit kannte sie an sich gar nicht. Männern gegenüber war sie stets als taffe Frau, die gerne auch die männliche Rolle übernahm entgegengetreten. Doch aus irgendeinem ihr unbekannten Grund machte Zoe, dieses kleine schüchterne Mädchen, sie wahnsinnig nervös.

„Sieh nur“, riss Zoe sie aus ihren Gedanken. „Ich glaube, ich habe etwas gefunden.“

Milena ließ sich auf ein Knie sinken. Sie siebte den Sand an der Stelle, auf die Zoe zeigte. In der Hoffnung, endlich einen Beweis für die Existenz einer unbekannten Spezies zu entdecken, ließ sie den Sand durch das Sieb rinnen. Nichts. Nicht einmal der Hauch eines Fundes.

Doch Zoe ließ sich davon nicht aus dem Konzept bringen. „Versuch es noch einmal“, befahl sie Milena beinahe, so ungewöhnlich standfest äußerte sie ihre Bitte.

Sie tat, wonach Zoe verlangte. Der Sand rann erneut durch das Sieb. Wieder nichts. Doch an der Stelle, an der sich eben noch Sand befunden hatte, reflektierte die Sonne an einem Gegenstand. Milena musste die Augen zu Schlitzen zusammenkneifen, so hell funkelte das Ding plötzlich.

Zoe streckte die Hand danach aus.

„Warte!“, rief Milena und Zoe erstarrte in der Bewegung. Milena schob die Hand ihrer Studentin beiseite. Vorsichtig griff sie nach dem Ding, das sie für einen Glassplitter einer Getränkeflasche hielt. Sie wollte sich nicht daran verletzen. Und ebenso wenig hatte sie gewollt, dass Zoe sich daran schnitt.

Ihre Finger tasteten nach dem grünfunkelnden Glas. Und da geschah es erneut. Ebenso wie beim Fund der Kriegerkleidung ergoss sich ein smaragdgrüner Schimmer aus dem wolkenlosen Himmel. Die Sonne, die eben noch auf sie herunterbrannte, verlor schlagartig an Intensität. Eine grünglänzende Wolkenwand hatte sich vor den brennenden Lichtball geschoben. Milena berührte das Glas mit ihrem Zeigefinger. Der Wind trieb ihr Tränen in die Augen, als wolle er ihr verbieten, den Glassplitter an sich zu nehmen. Doch sie ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen, dieses funkelnde Ding aus dem Sand zu ziehen.

Die zunehmende Strömung peitschte ihre Locken in Zoes Gesicht, die jedoch nicht daran dachte, Abstand zu nehmen. Milena umschloss den Gegenstand mit ihren Fingern und drückte ihn fest in ihre Faust.

„Ein Smaragd“, brüllte Zoe gegen den Wind“, es ist ein Smaragd!“

Milena sah ihre Studentin siegessicher an. „Wir haben den Beweis gefunden“, rief sie ihr mit einem Lächeln im Gesicht entgegen, bevor sich ihr Blick verdunkelte. Es war nicht der Himmel, der sich weiter zuzog, sondern Milenas Augenlicht, das langsam im Nichts der Dunkelheit versickerte. Das Gefühl von immerwährender Schwärze legte sich über ihre Lider und Zoe verschwand schlagartig aus ihrer Welt. Es blieb nur noch diese intensive alles überlagernde Dunkelheit, die sich mit der Stille ihres eigenen Herzschlages paarte. Kein anderer Ton drang mehr an Milenas Ohr. Und nach kurzer Zeit verebbte auch dieses Geräusch zu einem klanglosen Nichts.

 

3. Schlaf

 

„Milena?“, rief Zoe, die ihre Professorin an den Schultern packte und heftig rüttelte. Milena war von einer Sekunde auf die nächste in eine tiefe Ohnmacht gefallen. Zoe kniete hilflos neben ihr und konnte nichts tun, außer Milena abzustützen, bevor sie unsanft auf dem sandigen Boden zusammenbrach. In ihrer Hand hielt sie weiterhin den winzigen Gegenstand fest umschlossen, den Zoe als Smaragd erkannt zu haben glaubte.

Zoe presste ihre Wange an Milenas Lippen. Ein seichter, aber gleichmäßiger Strom drang aus ihrem Mund und kitzelte auf Zoes Haut. Sie lebte.

„Was ist passiert?“, hörte sie Tasso, der auf sie zueilte, rufen.

„Ich weiß es nicht. Der Himmel hat sich verdunkelt, als sie dieses Ding aus dem Boden gezogen hat. Und dann ist sie ohne Vorwarnung zusammengebrochen. Ich glaube, sie ist bewusstlos.“

Tasso kniete sich neben Milena und tastete nach ihrem Puls.

„Sie atmet“, bestätigte Zoe unnötigerweise. Doch in dieser Situation fühlte sie sich dermaßen hilflos, dass sie dankbar für die Tatsache war, dass sie ihre Stimme nicht zur Gänze verlor. Also sprach sie lieber unnötige Dinge aus, als gar nichts zu sagen.

„Es dürfte ihr soweit gutgehen“, erwiderte Tasso. „Hilf mir, sie ins Zelt zu tragen.“

Zoe umschloss Milenas Knie mit ihren Armen, während Tasso ihren Oberkörper stützte. Einige Male drohte Zoe zur Seite wegzuknicken, doch sie hielt ihr Gleichgewicht, fest darauf bedacht, Milena unbeschadet zum Zelt zu bringen.

Gemeinsam betteten sie Milena auf eine Pritsche, direkt neben ihrem Schreibtisch. Dabei fiel ihr der grüne Splitter aus der Hand. Zoe bückte sich danach. Zuerst fürchtete sie, dass sie ebenso die Ohnmacht heimsuchen würde, wenn sie den Stein berührte, doch belehrte sie ihr logischer Menschenverstand eines Besseren. Gekoppelt mit einem Hauch von Ehrgefühl berührte sie den Smaragd. Und tatsächlich schien es sich in der Tat um ebendiesen wertvollen Stein zu handeln, den sie nun in ihren Händen hielt. Zwar hatten die letzten Jahrzehnte an ihm gezehrt und er hatte etliches an seiner Wirkung eingebüßt, jedoch erkannte Zoe sogleich den Wahrheitsgehalt in ihrer Vermutung. Der Stein schien sogar geschliffen worden zu sein und für eine Fassung angefertigt worden zu sein. Mit ihrem Zeigefinger wischte sie über das beschlagene Glas.

„Ist das eine Inschrift?, „fragte sie den Sprachexperten Tasso und hielt ihm den Stein entgegen.

„Das ist Altgriechisch. Warte einen Moment.“ Tasso setzte ein nachdenkliches Gesicht auf. Dann las er vor. „Die Bestimmung erweckt den Drachen.“

„Was soll das bedeuten?“, fragte Zoe schulterzuckend.

„Ich weiß es nicht. Ich kann es nur übersetzen, für die Deutung ist unsere bewusstlose Milena zuständig.“

„Ich studiere erst seit zwei Semestern Archäologie. Ich habe echt noch keine Ahnung von dem ganzen Zeug. Und Milena hat mir im Vorfeld kaum etwas über die Draconis Imperialis erzählt.“ Dann starrte sie ihre Mentorin hilflos an. „Was ist, wenn sie verflucht ist?“

Tasso sah sie direkt an. Er schien Zoes Äußerung ernst zu nehmen. „Flüche sind eine reale Sache, Zoe. Du solltest keine Scherze darüber treiben.“

„Das tue ich nicht. Ich glaube zwar nicht unbedingt an das Übernatürliche. Aber an eine höhere Macht. Und Zauberei ist teilweise sehr wohl durch Physik erklärbar. Und ich kann mir auch gut vorstellen, dass es für Flüche und Verwünschungen eine durchaus nachvollziehbare Erklärung gibt.“ Sie beobachtete Milenas Brustkorb, der sich stetig hob und senkte. „Aber momentan habe ich dafür keine Erklärung.“

„Wir benötigen keine Rätsellösung, sondern schlicht einen Arzt“, sagte Tasso, der erneut nach Milenas Unterarm griff, um ihren Puls zu überprüfen.

„Es geht ihr gut“, hielt Zoe ihn von einer weiteren Kontrolle ab. „Sie schläft nur.“ Sanft strich sie über Milenas zerzaustes Haar. „Wir müssen jetzt nur herausfinden, wie wir sie wieder aufwecken können.“

„Ich kümmere mich sicherheitshalber um einen Arzt und du versuchst sie in der Zwischenzeit zu wecken. Einverstanden?“

„Alles klar“, bestätigte Zoe. Kaum hatte Tasso das Zelt verlassen, erhob sie sich und begab sich zu Milenas Schreibtisch. Ihre Aufzeichnungen lagen überall auf der Oberfläche verstreut, und schienen keinem System zu folgen. Wunderbar, anscheinend handelte es sich bei Milena um eine Chaotin wie sie im Buche stand. Zoe hingegen liebte feste Strukturen und die Dominanz der Ordnung. Sie konnte nicht anders, als Milenas Unterlagen nach Datum zu ordnen, während sie versuchte, aus ihrem Gekritzel schlau zu werden. Milenas Handschrift glich dem Chaos auf ihrem Schreibtisch. Sie schien nichts vom Einhalten von Zeilen und Regeln zu halten. Manche Notizen hatte sie nachträglich auf den Rändern des Papiers festgehalten. Und andere wiederum hatte sie auf Klebezettel geschrieben und einfach über den Text geheftet. Zoe war sich nicht einmal sicher, ob die Notizen auch wirklich dorthin gehörten, wo sie Milena angebracht hatte.

Zoe überflog die unsauber ausgefüllten Zeilen und wurde nicht schlau aus dem, was sie las. Anscheinend schien Milena davon auszugehen, dass die Draconis Imperialis immer noch unter uns lebten. In der Gegenwart.

Doch wozu sollte eine Spezies, die dazu bestimmt war Königen zu dienen, noch immer hier auf der Erde wandeln? Zoe las weiter und fand eine ältere Randnotiz, in der Milena noch angenommen hatte, die Königsgarde wäre mit dem letzten gottgleichen König ausgestorben. Doch der Fund des Kriegergewandes hatte sie auf eine neue Spur gebracht. Auch auf dem Leder befand sich eine Inschrift, die Tasso übersetzt hatte. Eine Randnotiz über der Randnotiz verwies Zoe auf eine weitere Notiz, die irgendwo in Milenas Unterlagen herumschwirren musste. Es handelte sich um einen der Klebezettel, die aufgrund der trockenen und sandigen Luft nicht besonders gut auf dem darunterliegenden Papier haftete und sich deshalb verselbständigt hatte.