Klassiker der Erotik 62: Der Lebemann - Andréa de Nerciat - E-Book

Klassiker der Erotik 62: Der Lebemann E-Book

Andréa de Nerciat

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Beschreibung

Dieser galante Roman schildert die Liebesabenteuer eines jungen Lebemannes in Paris. Dessen Wahlspruch heißt: liebe alle Frauen! Und so erliegt eine nach der anderen seinen Verführungskünsten. Reiche Witwen und junge Ehefrauen, schüchterne Mädchen und raffinierte Mätressen sagen "nein" und flüstern "ja" - später im Alkoven. Denn der Lebemann à la mode bedient sich zweier unfehlbarer Methoden: entweder er geht so kühn und dreist vor, dass seine Opfer überrumpelt sind; oder sein Witz und sein Geist veranlassen eine Frau zuerst zum Erröten - und schließlich zur Aufgabe ihrer Sittsamkeit. Der Autor, bekannt als Meister des erotisch-galanten Romans, zeichnet ein höchst pikantes und sehr treffendes Sittengemälde der französischen Gesellschaft des Ancien Regime.

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ANDREA DE NERCIAT

Der Lebemann

Roman

Deutsche Erstübersetzung von Helmut Werner

Inhalt

Einführung

Band 1

Band 2

Einführung

Das französische Original dieses galanten Romans erschien 1784 anonym unter dem Titel: „L'Etourdi“. Darunter versteht man im allgemeinen einen Wirrkopf oder Leichtfuß, wie eine gleichnamige Komödie von Molière zeigt. In der erotischen Literatur wird dieses Wort als Bezeichnung für das männliche Gegenstück der Kokotte benutzt. Lebemann dürfte deshalb die passende deutsche Übersetzung sein.

Dieser galante Roman, der die Jugend eines solchen Lebemannes schildert, zeichnet ein treffendes Sittengemälde der französischen Gesellschaft des Anden Régime unmittelbar vor der Revolution. Wenngleich dieser Roman auch anonym erschienen ist, dürfte A. de Nerciat der Verfasser sein. An dieser Zuschreibung, die uns durch die Tradition überliefert ist, haben wir keinen Grund zu zweifeln, weil auch stilistische und sprachliche Gründe dafür sprechen. Wir finden in dem Werk die Bemerkung, daß der Verfasser auch einen „Almanach de nuit“ 1776 herausgegeben habe. Dieser Almanach weist als Verfasserangabe nur: „M. de la Chevaliere de Rou…“ auf, was ebenfalls nur ein Pseudonym sein dürfte. Wir wissen aber, daß A. de Nerciat solche Almanache geschrieben hat.

Der Autor wählte die Form des Briefromans, der sich im 18. Jahrhundert größter Beliebtheit erfreute, weil der Brief am besten geeignet ist, um Stimmungen und intime Erlebnisse zu schildern. Die herrschende Moralauffassung, die Ehe, Eltern und die Kirche des Ancien Régime werden einer scharfen Kritik unterzogen. Man spürt, daß der Autor ein leidenschaftlicher Anhänger Rousseaus ist. Er zeigt, wie der junge Chevalier F… sich den Sitten seiner Umwelt anpaßte, so zu einem Lebemann wird und am Ende scheitert. Der Lebemann à la mode sucht nicht die echte und wahre Liebe, sondern oberflächliche Liebesverhältnisse, die nur zur Befriedigung der Begierden dienen. Die Maxime eines solchen Lebemannes hieß: Liebe alle Frauen. Es ist Brauch, seine Ehegattin mit einer Mätresse zu betrügen. Wer von dieser Norm abweicht, gilt als Sonderling. Ein solches Verhalten ist in gewisser Hinsicht nur verständlich, wenn man berücksichtigt, daß die Ehen auf Betreiben der Eltern wegen des Vermögens oder des gesellschaftlichen Ranges eines Partners geschlossen wurden. Ja, man ging sogar so weit, daß man eine Tochter gegen ihren Willen zu einer Nonne machte, nur damit das Vermögen des Erstgeborenen nicht verringert wurde.

Der Lebemann bedient sich zweier Verführungskünste, die er schon frühzeitig durch die sexuelle Pädagogik des Ancien Régime lernt: Es gibt die kühne und dreiste Art, die man besser als Vergewaltigung bezeichnen sollte, und das Verführen durch geistreiche Überredung. Es bereitet nämlich einem Lebemann einen besonderen Genuß, durch seine Überredungskünste die Frau zum Erröten zu bringen und sie schließlich zur Aufgabe ihrer Sittsamkeit zu veranlassen.

Empfindung und Gefühl ist alles. Es werden tausend bis dahin unbekannte Gefühle gepflegt. Man rührt sich und andere und schwelgt in Tränen und Seufzern. Heftige Gefühlsausbrüche sind guter Ton. Umarmungen, Küsse, Tränenströme und Ohnmachtsanfälle gehören zu den täglichen Umgangsformen beider Geschlechter. Aber natürlich handelt es sich dabei nicht um echte Gefühle, sondern um bloße Verhaltensweisen.

Der Autor schildert ausführlich das Leben der höheren Stände, die Atmosphäre in den Salons und auf den Bällen. Man langweilt sich zu Tode und vertreibt sich die Zeit durch Spiele, Albernheiten und dumme Späße, die uns heute als äußerst geschmacklos erscheinen. Auf jeden Fall bietet das Werk eine geistreiche Satire der Gesellschaft des Ancien Régime und beschreibt eindrucksvoll deren Niedergang und moralischen Verfall kurz vor der französischen Revolution.

Helmut Werner

Band

1

Mein lieber Despras, was verlangst Du von mir? Weshalb möchtest Du, daß ich Dir in einem wahren Bericht all meine Liebesabenteuer und die stürmische Zeit meiner unbesonnenen Jugend schildere, die ich dazu benutzt habe, um diesem trügerischen und vergänglichen Zustand nachzujagen, den man Glück nennt und der mir immer nur in Spuren zuteil wurde?

Wünschst Du, wie Du sagst, all meine Narreteien kennenzulernen? Ohne Zweifel ist es eine große Torheit, sie Dir zu erzählen. Aber Du wünschst es! Na schön! Lerne mich samt all diesen heftigen Leidenschaften und diesen wilden Begierden kennen, denen ich mich nicht widersetzen konnte. Wegen Dir nur greife ich zur Feder.

Keineswegs will ich bei Dir mit meinen Vorfahren renommieren. Für Dich ist es unwichtig zu wissen, wer sie gewesen sind. Ich denke nicht so wie der größte Teil der Kavaliere, die zwar stolz sind auf eine große Ahnengalerie, aber an den zukünftigen Nachkommen weniger Interesse haben als an ihren Vorfahren. Ich habe immer geglaubt, daß es besser ist, sich durch eigene Verdienste hervorzuheben und diesen Ruhm auf seine Nachkommen zu übertragen, als ihn sich von seinen Eltern zu borgen.

Mein Vater hatte eine führende Stellung in der Stadt XXX inne. Mein ältester Bruder lebte mit seiner Frau in unserem Elternhaus, ein anderer war Offizier im Regiment von XXX. Ein dritter diente bei der Kavallerie und eine Schwester stand vor der Heirat. Das waren die Mitglieder der Familie des Monsieur de Falton. So hieß mein Vater.

Ich war sechzehn Jahre alt, als ich die Schule verließ, um nach XXX an die Universität zu gehen, um dort Mathematik zu studieren. Die Reden meiner Kameraden, die Begierden meines Alters, all das sagte mir, daß es auf der Welt ein Glück gab, das mir unbekannt war und das ich nur durch die köstlichste aller Erfahrungen kennenlernen konnte.

Dies geschah mit Hilfe einiger Bücher, die man mir lieh. Durch sie erwarb ich mir gewisse Kenntnisse, die unendlich interessanter und mit der Natur mehr in Beziehung standen als das hochtrabende Geschwätz der Algebra, das ich Tag und Tag über mich ergehen lassen mußte.

Eines Nachts, nach der Lektüre des Buches „Themidor“, träumte ich von „Rosette“, welche die Hauptfigur darin ist. Durch die schönste aller Illusionen - ich befand mich in den Armen des Gottes des Schlafes - genoß ich Freuden, die einem Liebhaber nur an der Brust seiner Geliebten zuteil werden.

Die Erlebnisse eines Traumes sind noch lange danach zu spüren. Tatsächlich genoß ich nach meinem Traum die köstlichen Nachwirkungen der Wollust. Die Liebesfreuden hatten all meine Sinne erregt und riefen bei mir Unruhe und Lust hervor.

Stelle Dir vor, ein kräftiger und schlanker Zuchthengst mit feurigem Blick und einem hocherhobenen Kopf, der vor Geilheit hochspringt, entflieht seinem Gestüt. Unter seinen Hufschlägen dröhnt die Erde und die Luft, die er durchschneidet, ist elektrisch geladen. Aus seinen Nüstern schnaubt er Feuer. Beinahe befand ich mich in einem solchen Zustand, als der Chevalier de Nanlo in diesem Augenblick zu mir kam.

Nanlo war jener von meinen Kameraden, mit dem ich in sehr enger Freundschaft verbunden sein wollte. Er hatte Erfahrung. Sogleich bemerkte er meine Erregung und fragte mich nach deren Ursache. Ich gestand ihm meinen Traum ein. Er machte sich deshalb über mich lustig und ließ sich von der Meinung nicht abbringen, daß ich den Traum gewollt hatte und daß ich die Ursache dieses Stromes von Wollust, in dem ich auch jetzt noch zu schwimmen schien, keineswegs dem Gott des Schlafes verdankte. Aber die Art und die Naivität meiner Antworten überzeugten ihn schließlich doch, daß ich gar nicht zu dem fähig war, was er mir vorwarf. Dieser gute Kamerad hatte Mitleid mit meiner Unwissenheit und lehrte mich die Kunst, die Rechte der Ehe im voraus ohne Risiko in Anspruch zu nehmen und meinen Traum zu verwirklichen, ohne daß ich die Hilfe des Gottes des Schlafes benötigte.

Nanlo war in eine Kostgängerin des Klosters von XXX verliebt und seine Leidenschaft war um vieles heftiger als die, die ihm seine Angebetete entgegenbrachte. Als er die Order erhielt, sich nach Paris zu begeben und dort ein Examen zu machen, war er gezwungen, mir seine Liebe anzuvertrauen und in meine Hände die Interessen seines Herzens zu legen. Er bat mich, seiner Geliebten die Briefe zu bringen, die er an mich für sie schickte und ihm die Briefe zuzuleiten, welche seine Geliebte für ihn schrieb. Von dieser Vereinbarung hatte er sie vorher in Kenntnis gesetzt, als er sie mir vorstellte. Beim Abschied drückte er sie so fest in seine Arme, wie das Klostergitter es erlaubte.

Kaum war er in der nächsten Stadt angekommen, da hatte er nichts Eiligeres zu tun, als mir einen Brief für seine liebe Euphrosyne de Therfort zuzuschicken. Dies war der Name seiner Schönen.

Da ich die Pflichten der Freundschaft und die Vereinbarung, die ich mit meinem Freund getroffen hatte, genauso erfüllen wollte, eilte ich zu dem Kloster. Nie hätte ich geahnt, daß ich ihm die Zuneigung seiner Freundin nehmen würde. Ja, ich behaupte sogar, daß ich damals keinen Augenblick gezögert hätte, mein Vergnügen seinem Glück zu opfern, wenn ich dies vorausgesehen hätte.

Wir beide standen uns gegenüber. Es verschlug mir die Sprache. Auch sie sagte kein Wort. Unsere Augen drückten die Unruhe aus, die wir spürten. Da Schweigen im Sprechzimmer der Nonnen nicht so recht paßte, gab ich der schönen Kostgängerin das Schreiben meines Freundes. Dabei machte ich ihr ein Kompliment, das den Zustand meines Herzens ausdrückte. Ihre Antwort verriet ihre eigene Unruhe. Wenn sie sich auch einiger zärtlicher Worte bediente, als sie mit mir über Nanlo sprach, schienen ihre Augen mich doch zu der Annahme zu berechtigen, daß ihr Interesse nur mir galt. Sie bat mich, am nächsten Tag das Antwortschreiben abzuholen, das sie für den Chevalier abfassen wollte. Ich versprach es ihr und dachte im geheimen an die Liebe, die in mir geweckt wurde.

Bald befand ich mich in einer sehr schlimmen Lage und wurde von schrecklichen inneren Kämpfen gequält.

Mein Freundschaftsgefühl tadelte alles, was es an Verwerflichem bei meiner beginnenden Leidenschaft gab, doch die Zuneigung und die Reize Euphrosysnes ließen in mir kein Schuldgefühl entstehen. Sollte ich mich, sagte ich zu mir selbst, den Freuden der Liebe hingeben und dadurch das Vertrauen meines Kameraden verlieren? Konnte die Liebe Rechte auf mein Herz geltend machen, welche die Freundschaft hatte? Oh, Liebe hat immer ihre eigenen Rechte, auf die Amor und Venus nie verzichten werden. Sie können ein Herz in Beschlag nehmen und Gefühle der Zärtlichkeit für sich beanspruchen, mit denen die Natur unsere Seele geschmückt hat. Also war ich verliebt, wo doch die Freundschaftsgefühle mich zur Zurückhaltung hätten auf fordern müssen.

Aber wir wollen aus unserem Herzen keine Mördergrube machen! Die Stimme der Vernunft ist nun einmal schwächer als der Wunsch nach Befriedigung unserer Leidenschaften.

Nur wenige Männer haben sich so sehr unter Kontrolle, daß sie den Reizen einer schönen Frau widerstehen können. Verrät doch schon ein wohlwollender Blick von ihnen, welche Macht sie ausüben können.

Ich hatte Mademoiselle de Therfort versprochen, daß ich das Antwortschreiben abholen würde, welches sie dem Chevalier schicken wollte. Diese Gelegenheit schien mir günstig. Ich zog mich besser als sonst an, parfümierte mich und verschönerte mehr als eine Stunde vor dem Spiegel mein attraktives Äußeres, mit dem ich vor dieser Person erscheinen wollte, in die ich mich zum erstenmal in meinem Leben verliebt hatte.

In Windeseile führten mich die Sehnsucht und die Hoffnung in das Sprechzimmer. Euphrosyne ließ mich nicht warten. Auch sie hatte an diesem Tag all die Hilfsmittel ihrer Toilette zur Anwendung gebracht, weil sie beabsichtigte, meine Eroberung zu vollenden. Aber wir beide hatten es nicht nötig, uns solcher Hilfsmittel zu bedienen. Unsere Herzen waren zu sehr füreinander geschaffen, ja von Natur aus füreinander bestimmt. Es fehlte nur an einer Gelegenheit, um sie miteinander zu verbinden. Aber jetzt bot sie sich an, und Amor vereinigte sie noch mehr. Ich liebte sie und ich erklärte es ihr. Ich gefiel ihr, dies gestand sie mir ein. Eine zweite Zusammenkunft war deshalb selbstverständlich. Sie war den Interessen des Chevaliers so abträglich, daß er schließlich nach seiner Abreise keine Geliebte mehr hatte.

Es war nun an der Zeit, irgendeinen glaubwürdigen Vorwand zu finden, um uns seiner lästigen Aufträge zu entledigen. In jedem seiner Briefe überhäufte er uns mit Lobsprüchen. Euphrosyne, die mehr Erfahrung als ich hatte, übernahm diese Aufgabe. Sie schrieb ihm, ihre Eltern wünschten, daß sie zu ihnen käme. Für ihre Abreise seien alle notwendigen Vorbereitungen schon getroffen worden. Sie schilderte ihm, wie sehr dieses Erlebnis ihre Wünsche durchkreuzte und wie schwer es sie getroffen habe, daß nun ihr Briefwechsel zu Ende sei.

Welch ein Schlag für Nanlo, der seine Geliebte abgöttisch verehrte! Er würde dies kaum verkraften können, wie er mir mitteilte. Er verfluchte abwechselnd die Heiligen des Paradieses und die Teufel der Hölle. Wenn er über das oberflächliche Wesen der Frauen nachgedacht hätte, dann hätte er sicherlich unsere Treulosigkeit geahnt oder hätte den Sinn des alten Sprichwortes verstanden, daß die Abwesenden nur Nachteile haben. Vielleicht erlag er auch der Last seines Schmerzes. Kurzum:

Ich habe von ihm nichts mehr erfahren und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.

Schon seit zwei Monaten machte ich eifrig der schönen Kostgängerin den Hof, als ihre Eltern den Entschluß faßten, sie mit einem dieser Menschen zu verheiraten, deren einziges Verdienst darin besteht, einen berühmten Namen zu haben und Erbe eines erfolgreichen Finanziers zu sein. Sie erzählten mir davon und dies nahm ich natürlich zum Anlaß, um von ihr ein unwiderrufliches Unterpfand ihrer Liebe zu fordern. Dieser Vorschlag war ohne Zweifel unpassend, aber das Temperament und ebenso die Neigung sprachen zu meinen Gunsten und zwar so heftig, daß das Sprechgitter für uns nur ein schwaches Hindernis bildete.

Drei Monate, die uns das große Vergnügen schenkten, gingen schnell vorüber. Aber Unruhe folgt den Liebesfreuden nach und Kummer dem Vergnügen. Das Ausbleiben der Regel, die immer wieder zur bestimmten Zeit bei den Frauen auf tritt, zeigte meiner Geliebten bald an, daß sie in Kürze Mutter werden würde. Sie teilte mir ihren Kummer mit, doch es war mir unmöglich, sie davon zu befreien. Mein Alter und mein Vermögen erlaubten es nicht, in den heiligen Stand der Ehe zu treten. So willigte sie schließlich ein, Monsieur de XXX zu heiraten, und da alles vorbereitet war und die Eltern sich einig waren, wurde wenige Tage später die Hochzeit gefeiert. So endeten unsere Sorgen und auch unsere Liebe.

Seit dem Weggang Euphrosynes, die zwei Tage nach ihrer Hochzeit in die Stadt XXX zog, wo ihr Ehemann wohnte, ließ ich nichts unversucht, um sie zu vergessen. Aber all meine Bemühungen war nutzlos. Sie riefen bei mir nur die Erinnerung an die schönen Augenblicke wach, die vorbei waren, und an die Leidenschaft, die nicht mehr sein durfte. Mein lieber Despras, so groß ist die Kraft unserer ersten Leidenschaften, besonders wenn sie uns glücklich gemacht haben. Sie haben in unserer Seele einen tiefen Eindruck von der Person hinterlassen, welche sie zuerst in uns geweckt hatte. Alle Mittel, die unser Verstand anwendet, um sie auszulöschen, sind nutzlos und überflüssig. Die Erinnerung an die Liebesfreuden, die wir genossen haben, ist gleichsam ein Stachel, der uns weiter quält. Nur bei einer neuen Leidenschaft kann man die Schmerzen der Trennung vergessen. Aber diese neue Leidenschaft entsteht gewöhnlich nur, wenn die Zeit und die Trennung die erste abgeschwächt haben. Es sei denn, daß man auf Reize trifft, die jede Vorstellung übertreffen, so daß diese Veränderung eintritt. Es dauerte nicht lange, bis ich dies erlebte.

Als ich eines Tages in einem kleinen Wald nahe der Stadt XXX spazieren ging, den man die Seufzer-Allee nannte, entriß mich für einen Augenblick der Lärm einer Kutsche - sie fuhr über die Landstraße, die durch den Wald führte - meinen Träumen, in die ich versunken war. Infolge meiner Geistesabwesenheit oder eher aus Neugierde warf ich einen Blick in die Kutsche.

Aber was erlebte ich? Welche köstliche Erregung spürte ich in meinem Herzen, als ich eine Frau sah, die auf dem Rücksitz der Kutsche saß. Eine seltsame Unruhe bemächtigte sich all meiner Sinne. Mein lieber Despras, was soll ich Dir sagen? Der unwiderstehliche Zauber eines Blicks aus ihren Augen machte sie zur Herrin meines Herzens und entfernte daraus das Bild der Euphrosyne. Man soll nie behaupten, daß keine unerwartete Liebe im Herzen eines Menschen entstehen kann! Jeder, der in der Welt herumgekommen ist, wird daran nichts Wunderbares entdecken.

Ich folgte der Kutsche und hatte nichts Eiligeres zu tun, als mich nach dem Namen ihres Ehemannes zu erkundigen. So erfuhr ich, das dies der Comte de Larba war. Er stammte aus Paris, wo er diese hübsche und schöne Frau geheiratet hatte, die bei ihm war. Sie wollten den Winter in XXX verbringen. Als ich diese gute Nachricht erhielt, kann man sich meine Freude und Erregung vorstellen.

Ich hatte mich bis dahin ganz dem Schmerz hingegeben. Mein Herz brauchte aber Freude! Die Liebe und die Hoffnung, die Nahrung für unsere Seele sind, begannen die meinige zu beleben, die schon verzweifeln wollte. Wenn mir einige Augenblicke vorher jemand gesagt hätte, daß ich die liebenswerte Mademoiselle de Therfort vergessen würde, dann wäre ich bestimmt fähig gewesen, ihn zu erdolchen. Aber unsere Schwachheit hängt nur allzusehr von den Umständen ab, in denen wir uns befinden. Niemals habe ich die Frauen wegen ihrer Leichtfertigkeit getadelt. Die Treue ist nur eine unnütze Tugend. Sie hört auf eine Tugend zu sein, wenn sie, statt uns glücklich zu machen, unser Glück beeinträchtigt.

Ich verehrte also Madame de Larba und lebte ihretwegen so genügsam wie ein Spanier. Das Glück, sie zu sehen, war mir nur in der Kirche oder im Theater vergönnt. In großen Zügen hatte ich dieses brennende Gift hinuntergeschluckt, welches ihre Reize in meinem ganzen Körper verbreitete. Meine Seele war bisweilen in einer so heftigen Erregung, daß sie sich bemühte, die Grenzen zu durchbrechen, welche ihr der Körper entgegensetzte, um auf die Lippen meiner teuren Comtesse zu eilen und dort ganz von der höchsten Wollust durchdrungen zu werden.

Ich hätte sicherlich nicht die körperliche Kraft besessen, die Leidenschaft, die mich verzehrte, auszuhalten, wenn der zärtliche Amor, der über das Glück der Liebenden wacht, nicht Mitleid mit mir gehabt hätte. Er zeigte mir nämlich einen der seltsamsten Auswege, die man sich denken kann.

Am 1. April ist es Brauch, sich auf Kosten eines anderen zu amüsieren, indem man versucht, ihn auf den Leim zu locken. Dieser Brauch war meine Rettung. Er befreite mich von dem Zustand der Schwäche, in welchem ich dahinsiechte, indem ich mich dieser Gelegenheit bediente, um die Frau kennenzulernen, die ich abgöttisch liebte. Denn niemals wäre mir das Glück vergönnt gewesen, ihr einen Besuch abzustatten, weil ich in ganz anderen Kreisen als sie verkehrte.

Es schlug zwölf Uhr. Ich faßte mir ein Herz und ließ alle Hemmungen fallen. Die Liebe und das Unglück verleihen Beredsamkeit und Kühnheit. Ohne jede Furcht ging ich zu Madame de Larba. Man meldete mich. Sie willigte ein, mich zu empfangen, obgleich sie mit ihrer Toilette beschäftigt war und nur ein Négligé anhatte, das keineswegs dezent war.

»Ich stehe Ihnen zu Diensten, Madame«, sagte ich, indem ich einen Seufzer ausstieß und mit meinen Augen geradezu ihre Reize verschlang, die entblößt waren.

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte mich Madame de Larba erregt, ganz erstaunt, mich zu sehen und von mir einen solchen Vorschlag zu hören. »Erklären Sie sich, Monsieur! Sie haben sich bei mir angemeldet mit dem Namen eines Verwandten, der Offizier bei Ihrer Einheit ist. Was bedeutet diese List und diese Kühnheit?«

»Dies ist weder eine List noch Kühnheit!« antwortete ich mit gesenkten Augen und ein wenig verwirrt. »Ich habe mir keinen fremden Namen zugelegt. Es ist mein Name, wie man Ihnen gesagt hat. Entweder hat man ihn falsch ausgesprochen oder mir wurde das große Glück zuteil, daß Ihr Verwandter denselben Namen hat. Madame, wenn ich es gewagt habe, Ihnen einen Besuch abzustatten, dann nur im Vertrauen darauf, daß dies von Ihnen gewünscht wurde. Wenigstens ist mir dies so von einem Lakai gesagt worden, der an diesem Morgen zu mir kam und sich als einer Ihrer Bediensteten vorstellte.«

»Monsieur, ich versichere Ihnen«, antwortete mir die Comtesse, »daß ich niemanden zu Ihnen geschickt habe. Auch bin ich nicht sehr glücklich, dies zu erfahren! Ohne Zweifel handelt es sich um eine Verwechslung, oder Sie haben sich verhört! - Victoire«, sagte sie zu ihrer Kammerzofe, »stellen Sie fest, ob jemand vom Personal zu diesem Monsieur gegangen ist und mit welcher Nachricht!«

»Ich bin glücklich über diesen Irrtum«, sagte ich mit verehrungsvoller Miene.

»Ein schwaches Glück!« antwortete Madame de Larba.

Victoire, die eintrat und das bestätigte, was ich nur zu gut wußte, hinderte mich daran, fortzufahren. Sie hätte mich beinahe völlig um den Gewinn meiner Kühnheit gebracht. Als ich mich wieder gefaßt hatte, sagte ich in einem demütigen Ton, daß ich ohne Zweifel auf einen Aprilscherz hereingefallen wäre und daß dies ein Streich von einem meiner Kameraden sei.

»Ah!« unterbrach die Comtesse, indem sie lauthals in Lachen ausbrach. »Ja, das ist wahr, ja, es ist nichts anderes als ein Streich, den man mit Ihnen gespielt hat!«

»Aber, Madame, ein für mich sehr angenehmer. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn Sie mir erlauben würden, Ihnen den Hof machen zu dürfen!«

»Es hängt von Ihnen ab, ob Sie daran Gefallen finden!« sagte Madame de Larba, nachdem sie mich von oben bis unten gemustert hatte.

Ihr Ehemann, der in diesem Moment eintrat, hinderte mich daran, daß ich mich für die Gunst revanchierte, die man mir soeben erwiesen hatte. Sie erzählte ihm mein Abenteuer, und alle drei lachten wir darüber. Dann ging ich, wie man sich vorstellen kann sehr zufrieden über den glücklichen Ausgang meiner List, nach Hause.

Madame de Larba hatte eine schöne und schmale Taille, eine vornehme Haltung, ein ansprechendes Äußeres, muntere und zärtliche Augen und einen Mund, der trotz seiner geringen Größe ihre elfenbeinfarbenen Zähne sehen ließ. Ihr ganzes Wesen zeichnete sich durch eine besondere Vornehmheit aus. Dazu kamen noch der liebliche Klang ihrer Stimme, ein Kinn, dessen Konturen von der Hand der Grazien geformt worden war, dichtbuschige, kastanienbraune Haare, die auf ihren alabasterweißen Hals fielen, zwei Brüste, die Amor nach denen seiner Mutter geformt hatte, zarte Füße und schlanke Beine, die einen sehr günstigen Eindruck von dem vermittelten, was man nicht sah. Sie besaß viel Temperament und einen Hang zum vergnügten Leben. Sie ließ sich in ihren Wünschen und Gedanken nicht beeinflussen. Das ist das Porträt der Comtesse de Larba.

Frage mich nicht weiter nach ihrem Ehemann und begnüge Dich damit, nur soviel zu wissen, daß er ganz im Gegensatz zu jenem Brauch verliebt und eifersüchtig war, der zwar die Ehemänner davon bewahrt, ihre Frauen zu lieben, aber den Frauen verbietet, sich einen anderen Mann nach ihrem Geschmack auszuwählen. Man glaubt, daß das Gefühl von uns abhängt und daß es in unserer Macht liegt, es zu unterdrücken. Glücklicherweise mußte ich mich nicht sehr anstrengen, um jeglichen Verdacht bezüglich meiner Person zu zerstreuen. Meine Jugend, oder eher mein kindliches Aussehen, befreiten mich auch von dem Schatten eines Verdachtes. Er selbst hatte mich liebgewonnen und dankte seiner Frau für all die Freundschaftsbeweise, mit denen sie mich überhäufte.

Um sich dem Willen ihres Mannes zu fügen, empfing mich die Comtesse also mit großer Vertraulichkeit und Ungezwungenheit. Dazu gesellte sich bei ihr das Gefühl der Überlegenheit, die man eben kraft der fünf oder sechs Jahre zu haben glaubt, die man älter als der 18 jährige Student ist.

»Sie sind mein kleiner Freund, mein kleiner Schüler«, kurzum unzählige Koseworte kamen über ihre Lippen, und dabei verstärkte sich noch die rosarote Farbe ihrer Wangen, die ein Geschenk der Natur war. Ja, das war Musik in meinen Ohren, so daß bei mir dieselbe Wirkung eintrat und ich ein seltsames Gefühl in meinem Inneren spürte.