Klaus Mehring - ein zerbrochenes Leben - Helmut Lauschke - E-Book

Klaus Mehring - ein zerbrochenes Leben E-Book

Helmut Lauschke

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Beschreibung

Es war in Lublin, wo ich einem Erschießungskommando zugeteilt wurde. Einige hundert Menschen, es waren Männer aller Altersgruppen, hoben etwa einen Kilometer von der Straße entfernt ein Massengrab aus. Weniger als hundert Meter weiter standen Hunderte von alten und jungen Frauen, die jungen Frauen mit ihren Kindern. Sie alle sollten erschossen werden. Ich fragte den Kommandeur, was das für Menschen sind und warum sie erschossen werden sollen. Der Kommandeur, ein junger, bissiger Sturmführer des SS-Wachbataillons, schrie mich an, dass ich nicht zu fragen, sondern seine Befehle auszuführen habe. Die Mütter mit ihren Kindern schauten voller Entsetzen, was die Männer unter scharfer SS-Bewachung hackten und schaufelten. Kinder schrien von den Armen ihrer weinenden Mütter. Der Sturmführer befahl, die Gewehre zu entsichern und in einer Stunde Aufstellung zur Straßenseite längs des ausgehobenen Grabens zu beziehen. Ich war mir meiner Sache sicher, dass ich auf die wehrlosen Menschen nicht schießen werde. In dieser Stunde der Vorbereitung zur Massenerschießung ging ich zum Mannschaftswagen zurück, entsicherte mein Gewehr und schoss mir in den rechten Fuß. Der Vorfall wurde dem bissigen Sturmführer gemeldet, der herbeieilte, auf mich einschrie und mich zur Minna machte. Er versicherte mir auf der Stelle das Disziplinarverfahren. Nach einem Partisanenüberfall bei der Rückfahrt, bei dem es Tote auf beiden Seiten gab, saß ich am nächsten Morgen in anderer Uniform mit meinem durchschossenen Fuß am Straßenrand auf einem Holzkasten, der mit Sand und Streusalz gefüllt war. Ich versuchte zu gehen und hielt es nach hundert Metern vor Schmerzen nicht aus. Ich wartete auf ein Militärfahrzeug, das mich mitnahm, und saß auf einer Anhöhe, von der ich die Kurven der ansteigenden Straße gut übersah. Es kamen Fahrzeuge der SS. Denen musste ich aus dem Blickfeld gehen und hockte mich hinter die Sand- und Streusalzkiste. Dann kam ein Sanitätsauto. Das Licht der Wahrheit, der Berichtigung und die ethische Läuterung, das ist vonnöten. Wie du dich auch anhängst an den vorbeistreifenden Sternen und dich an ihren Flugenden verrenkst entlang glimmend-gleißender Laternen, die Welt hat sich von dir gelöst.

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Seitenzahl: 86

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Helmut Lauschke

Klaus Mehring - ein zerbrochenes Leben

Eine aus vielen Geschichten - Unum exemplum multarum

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Zwei ungewöhnliche Soldaten

Durchsuchung des Pommritzer Hofes nach einem Deserteur

Aufbruch nach Kriegsende und dem Wahnsinn der Zerstörung

Unerwarteter Besuch

Zwischenstationen ohne Matratze

Bekanntschaft mit einem versteckten Philosophen

Klaus Mehring in der Selbstreflexion und Meditation

Klaus Mehring und die Interessen der Partei

Impressum neobooks

Zwei ungewöhnliche Soldaten

Eine aus vielen Geschichten - Unum exemplum multarum

Im Gedenken mit Dank und Hochachtung

Dr. jur. Fritz Bauer (1903-1968), Generalstaatsanwalt, Frankfurt/M.

Dr. jur. Gerhard Lauschke (1931-2001), Rechtsanwalt, Frankfurt/M. und Oberursel

und ihr Wirken für Wahrheit, Gerechtigkeit und die Menschheit in Wahrung der Menschenwürde

Alea iacta est GaiusJulius Caesar am 10. Januar 49 v.Chr. beim Überschreiten des Rubikon, Grenzfluss zwischen Gallia cisalpina und dem italischen Kernland

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K.M.: Klaus Mehring A.F.: Anna Friederike (O): Obersturmführer (U): Untersturmführer

Draußen war es dunkel, stockfinster war es gegen halb neun. Das Geräusch eines Motorrades war zu hören, das mal lauter, mal leiser wurde, dann ganz stockte, bis es wieder zu hören war. Das Geräusch wurde schließlich lauter, und das Licht der Lampe war durch das kleine Küchenfenster zu sehen. Das Motorrad kam auf den Hofeingang zugefahren. Eckart Dorfbrunner, der wie die andern bei den Bratkartoffeln war, verließ den Tisch, zog sich eine warme Jacke an, die neben dem Herd aufgehängt war, und ging nach draußen. Der Motor war ausgestellt und das Licht abgedreht. Man hörte draußen, wie zwei Männer zu Eckart sprachen. Doch was sie sprachen, das hörte man in der Küche nicht. Es dauerte lange, bis Eckart mit einem verstörten Gesicht zurückkam. Er berichtete im Stehen, dass zwei Landser mit dem Motorrad gekommen seien, die sich von der Truppe in Nisky abgesetzt hätten und sich nun verstecken müssten. Sie sagten, dass sie auf der Stelle erschossen würden, wenn sie von der Feldgendarmerie aufgegriffen würden. „Was sollen wir tun?“, fragte Eckart und sagte: „Die stehen draußen, es sind zwei junge Männer. Ich habe ihnen gesagt, dass ich erst mit meiner Mutter sprechen muss.“ Es kam zum langen Schweigen. Die Bratkartoffeln auf den Tellern wurden kalt. Dann sagte Wilhelm Theißen, dass es für alle gefährlich sei, Deserteuren Unterschlupf zu gewähren. Die würden von der Truppe mit Sicherheit gesucht. Da würde auch jeder Bauernhof in der näheren Umgebung von der Gendarmerie abgeklappert werden. Marga Dorfbrunner sah mit großen Augen auf den Tisch. Sie konnte sich nicht entscheiden, weder zur einen Seite der Hilfe noch zur andern Seite der Ablehnung. „Was würdest Du tun?“, fragte sie Eckhard Hieronymus. „Wenn es mein Hof wäre“, sagte er, „würde ich den beiden Männern helfen, die doch in großer Not sind.“ Wilhelm Theisen warf ein, dass sie die Gründe nicht wüssten, warum sich diese Männer von der Truppe abgesetzt hätten. „Darüber muss mit ihnen gesprochen werden“, erwiderte Eckhard Hieronymus. Marga Dorfbrunner, die Frau von Haus und Hof, sagte ihrem Sohn Eckart, die beiden Männer mit dem Motorrad in den Hof zu bringen und die Hofeinfahrt zu schließen. Eckart tat, was ihm aufgetragen war. Die beiden Männer in den verdreckten Wehrmachtsuniformen setzten sich auf die Außenbank neben dem Hauseingang. Das Motorrad stellte Eckart im Pferdestall ab. Nachdem in der Küche fertig gegessen war, räumte Anna Friederike die Teller und Bestecks vom Tisch in die Spüle. Frau Dorfbrunner stellte die Kanne mit frisch gebrühtem Pfefferminztee auf den Tisch, dazu die Tassen mit Teelöffeln und die Zuckerdose. Während sie den Tee in die Tassen goss, gab sie dem Sohn auf, die beiden Männer in die Küche zu führen. Sie traten ein. Beide waren jung, und beide hatten ausgezehrte Gesichter. Der Jüngere von ihnen trug einen Kopfverband. Eckart brachte zwei Stühle. Die beiden Männer setzten sich an die freien Tischseiten. Jedem von ihnen schenkte Frau Dorfbrunner eine Tasse Tee ein. „Wo kommt ihr denn so spät noch her?“, fragte Wilhelm Theisen die beiden Soldaten. „Wir mussten die Dunkelheit abwarten“, sagte der Ältere. „Das Motorrad stand auf einem Platz in der Nähe des Bahnhofs in Nisky. Es war nicht abgeschlossen, und der Schlüssel steckte. Ich habe den Kickstarter durchgetreten, und der Motor lief. Da bin ich mit dem Motorrad abgehauen.“ „Und warum bist du abgehauen?“, fragte Eckhard Hieronymus. „Das ist eine lange Geschichte“, sagte der Ältere und fing an, seine Geschichte zu erzählen: „In zwei Wochen ist es ein Jahr her, dass ich mit den anderen Klassenkameraden, wir standen vor dem Abitur, von der Napola Grimma zur SS-Panzerdivision „Großdeutschland“ eingezogen wurde. Nach kurzer Ausbildung im Schießen wurden wir an die Ostfront befördert. Es war in Lublin, wo ich einem Erschießungskommando zugeteilt wurde. Einige hundert Menschen, es waren Männer aller Altersgruppen, hoben etwa einen Kilometer von der Straße nach Warschau entfernt ein Massengrab aus. Weniger als hundert Meter weiter standen Hunderte von alten und jungen Frauen, die jungen mit ihren Kindern. Sie alle sollten erschossen werden, obwohl sie den gelben Stern nicht trugen. Ich fragte den Kommandeur, was das für Menschen sind und warum sie erschossen werden sollen. Der Kommandeur war ein junger, bissiger Sturmführer des SS-Wachbataillons. Er schrie mich an, dass ich nicht zu fragen, sondern seine Befehle auszuführen habe. Die Mütter mit ihren Kindern schauten voller Entsetzen, was die Männer unter scharfer SS-Bewachung hackten und schaufelten. Kinder schrien aus ihrer Not von den Armen ihrer weinenden Mütter. Der Sturmführer befahl uns, die Gewehre zu entsichern und in einer Stunde Aufstellung zur Straßenseite längs des ausgehobenen Grabens zu beziehen. Ich war mir meiner Sache sicher, dass ich auf diese wehrlosen Menschen nicht schießen könne und nicht schießen werde. In dieser Stunde der Vorbereitung zur Massenerschießung ging ich zum Mannschaftswagen zurück, entsicherte mein Gewehr und schoss mir in den rechten Fuß. Der Vorfall wurde dem bissigen Sturmführer gemeldet, der herbeieilte, auf mich einschrie und mich zur Minna machte. Er versicherte mir auf der Stelle ein Disziplinarverfahren. Wutschnaubend ging er zur Grabung mit den wartenden Menschen zurück. Ein Kollege entfernte mir dann den Schuh und die Socke, säuberte die Wunde und legte einen Notverband an. Die Grabung dauerte länger als erwartet. Dann befahl der Sturmführer das Antreten der zu Erschießenden vor dem ausgehobenen Graben und der Mordschützen hundert Meter hinter der stehenden Reihe vor dem Graben. Ich wurde Zeuge dieses fürchterlichen Geschehens. Erst wurden die Männer, dann die alten Frauen und schließlich die jungen Frauen mit ihren Kindern von hinten und von links nach rechts erschossen. Sie fielen tot oder nicht ganz tot in den Graben, der sich mit mehreren Lagen von Erschossenen füllte. Ich hörte das Wimmern der Kinder und das Stöhnen von Erwachsenen, als die Erde von Männern eines mitgeführten Gefangenenzuges über die Lagen geworfen, das Massengrab zugeschaufelt, und der lockere Boden von einem Kettenfahrzeug festgedrückt wurde. Dann stieg die Mannschaft mit ihren Gewehren auf die Wagen, die sie nach Lublin zurückbringen sollte. Ihnen folgten die Fahrzeuge mit den Gefangenen unter schwerer Bewachung.“ Er trank einen Schluck Tee, setzte die Tasse mit zittriger Hand auf den Tisch zurück und führte seine Geschichte fort: „Es war dunkel, und die Wagenkolonne hatte Lublin noch nicht erreicht, als die Kolonne von Partisanen überfallen wurde. Sie waren mit Maschinengewehren ausgerüstet und griffen in einer engen Straßenkurve von einem Hügelabhang aus an. Es kam zum heftigen Schusswechsel, bei dem es Tote in der eigenen Mannschaft gab und drei der acht Fahrzeuge zerstört wurden. Ich nutzte die Gelegenheit und verschwand in einen nahe gelegenen Wald. Dort wartete ich, dass die restlichen Fahrzeuge mit den SS-Leuten nach Lublin weiterfuhren. Die kalte Nacht verbrachte ich im Wald, und der Fuß schmerzte. Ich wusste, dass mir in Lublin die standrechtliche Erschießung wegen Befehlsverweigerung drohte, wie sie an vielen jungen Soldaten ausgeführt wurde, weil sie keine wehrlosen Menschen, insbesondere keine Mütter mit ihren Kindern, erschießen konnten. Ich musste mich von dieser Einheit so schnell wie möglich absetzen. Dabei half mir die Tatsache, dass es bei den Deutschen Tote gegeben hat, und der Sturmführer mich unter den Toten wähnte und mir den Tod auch doppelt gönnte. Nur musste ich die schwarze Uniform über Nacht loswerden. Da auch Soldaten in grauen Uniformen bei der Erschießung waren, hoffte ich unter den erschossenen Deutschen eine noch tragbare Wehrmachtsuniform zu finden. Am frühen Morgen, dichter Nebel zog durch den Wald, fand ich zwei Tote in den gewünschten Uniformen. Ich wechselte im Nebel meine gegen die ihre aus, vom einen die Hose, die Socken und Schuhe und vom andern das Hemd, die Jacke, den Mantel und das Koppel mit einigen Patronen in den Taschen. Auch wechselte ich mein modernes Gewehr gegen ihr älteres aus. Das kleine Aluminiumschildchen mit der Feldpostnummer entfernte ich vom Hals des Gefallenen und hängte es mir um. In die Jackentasche fand ich außer der halbleeren Zigarettenschachtel und dem Feuerzeug einen Brief der Eltern, so dass ich mir zur Feldpostnummer auch den dazugehörigen Namen aneignete. Es war die Gunst der Stunde, dass uns Spätgezogenen die SS-Nummer und die Blutgruppe nicht in die Haut an der Arminnenseite eintätowiert worden war.