Kleine Wunder - Anne Booth - E-Book

Kleine Wunder E-Book

Anne Booth

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Beschreibung

Aus heiterem Himmel: Drei Nonnen auf Mission Die malerische englische Kleinstadt Fairbridge lebt von dem altehrwürdigen Kloster im Stadtzentrum. Doch der alte Bau steht kurz vor dem Verfall, und Cecilia, Margaret und Bridget sind die einzig übriggebliebenen Nonnen. Margaret, Oberin wider Willen, sieht keine Zukunft für den Orden, doch so schnell geben sich die drei aufgeweckten Nonnen nicht geschlagen! Ein kleiner Lottogewinn – ein Fingerzeig von ganz oben? – ermöglicht dem Dreiergespann eine langersehnte Pilgerfahrt nach Rom. Das trifft sich gut, denn Schwester Margaret hat ein mysteriöses Foto gefunden, das ebenfalls in die ewige Stadt führt. Auf den Spuren des rätselhaften Bildes retten die munteren Schwestern ganz nebenbei ihren Orden ...

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Kleine Wunder

Die Autorin

ANNE BOOTH ist Kinderbuchautorin. Ihr erster Roman für Erwachsene, Kleine Wunder, handelt von drei Nonnen, die im Lotto gewinnen. Sie hat einen Abschluss in Englisch von der University of York, ein Postgraduierten-Diplom in Pastoraltheologie, einen MA in Kinderliteratur vom Roehampton Institute und einen MA in Kreativem Schreiben von der Canterbury Christ Church University.  Sie ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt in Kent.

Anne Booth

Kleine Wunder

Roman

Aus dem Englischen von Barbara Ostrop

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Deutsche Erstausgabeim Ullstein Taschenbuch1. Auflage Juli 2022© 2022 Anne Booth© für die deutsche AusgabeUllstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Die englische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel Small Miracles bei Harvill Secker, London.Umschlaggestaltung: © Sabine KwaukaTitelabbildung: Kathedrale: shutterstock / © Canicula; Fond: shutterstock / ©  Charunee Yodbun; Regenschirm: shutterstock / ©  Olga Save; Snackbox: shutterstock / © ONYXprj; Thermoskanne: shutterstock / © VectorCO; Bild im Rahmen: shutterstock / © Ironika; Bilderrahmen: shutterstock / © Victoria Sergeeva; Koffer: shutterstock /© LittleMiio; Rosen: shutterstock / © Naddya; Nonnen: shutterstock / © vectorara; Rosenkranz: shutterstock / © FishPouchAutorenfoto: © Andy CraigE-Book-Konvertierung powered by pepyrusAlle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-8437-2687-0

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

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Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Prolog

Und jetzt flog sie, stieg auf, getragen von einer nahezu unerträglichen Zärtlichkeit. Grüne Blätter und Sonnenschein, Vogelgesang und blauer Himmel, höher und höher – das Gefühl erfüllte sie, bis ihr war, als müsste sie vor Liebe zerbersten, als könnte sie es nicht länger ertragen. Und dann löste sich die Umarmung, die Freude aber blieb.

1

Verflixt! Was hat Schwester Basil sich nur dabei gedacht, o Herr? Schwester Margaret blickte verzweifelt auf den Stapel unbezahlter Rechnungen und hingekritzelter Notizen, der auf ihrem Schreibtisch im Kloster St. Philomena, Fairbridge, England, lag.

Das Kassenbuch, das Schwester Basil als Schatzmeisterin des Klosters über Jahre hinweg unter den Stichworten »Einnahmen« und »Ausgaben« gewissenhaft mit langen Zahlenkolonnen gefüllt hatte, war nur noch ein mit Tinte bekleckstes Chaos, und in den letzten Monaten schien Basil ihre Bemühungen endgültig eingestellt zu haben. Hinter einer kleinen Plastikstatue ›Unserer Lieben Frau von Lourdes‹ auf dem Fensterbrett steckte ein Stoß Rechnungen, und mehr davon lagen in einer Plastiktüte am Boden eines alten Aktenschranks.

»Was hat sie denn erwartet? Dass Unsere Liebe Frau sich der Rechnungen annehmen würde?«, murmelte Margaret gereizt, doch dann beruhigte sie sich wieder. »Verzeih, Herr. Schwester Basil ruhe in Frieden. Ich danke dir, dass die Buchführung erst vor Kurzem im Chaos versunken ist.« Margaret hatte Schuldgefühle, weil die letzten Monate von Schwester Basils Leben offensichtlich von Angst und Unruhe geprägt gewesen waren. Verzeih, dass ich nichts bemerkt habe, o Herr. Aber du weißt ja, dass ich nie etwas mit der Buchhaltung zu tun hatte, und außerdem hatte ich meine eigenen Probleme. Letztes Jahr hast du es uns nicht gerade leicht gemacht. Das letzte Jahr war, ehrlich gesagt … Doch bevor Margaret genau aufzählen konnte, was für die Schwestern von der Heiligen Philomena sonst noch alles schiefgelaufen war, ertönte aus der Küche ein lauter Knall, gefolgt von verzweifeltem Gejammer. Margaret rannte in einem Tempo aus dem Büro, das selbst bei einer weit jüngeren und schlankeren Nonne eindrucksvoll gewesen wäre.

Mit hämmerndem Herzen riss sie die Küchentür auf und entdeckte Schwester Bridget, die unglücklich auf ein paar verkohlte Objekte auf einem Teller schaute.

»Was ist passiert?«, fragte Margaret außer Atem.

»Ich hatte gehört, dass der Bischof Pavlova ganz besonders gern mag. Weil der Herd kaputt ist, wollte ich die Meringen in der Mikrowelle backen«, erklärte Schwester Bridget. »Aber es hat geknallt, Rauch stieg auf, und jetzt sind sie hinüber.«

Margaret lehnte sich leicht keuchend an die Wand. »Gott sei Dank! Ganz ehrlich, Schwester Bridget. Du hast mir einen Riesenschreck eingejagt. Ich dachte, es wäre etwas Furchtbares passiert.«

»Aber es ist furchtbar«, entgegnete Schwester Bridget, empört, dass die Tragödie so schnell abgetan wurde. »Heute Abend kommt der Bischof zum Essen, und wir brauchen einen extra leckeren Nachtisch. Father Hugh will ihn um Geld für die Reparatur des undichten Kirchendachs bitten und außerdem um einen Kaplan. Die Meringen sind notwendig.«

Herr, verleihe mir Geduld. Muss sie wirklich schreien? Wenn ich anfangen würde, wegen der Buchhaltung zu schreien, würde ich gar nicht mehr damit aufhören, und wo kämen wir dann hin?

»Kannst du nicht im Pfarrhaus kochen und backen?«, fragte Margaret, die mit ihrer jahrelangen Erfahrung als Lehrerin ruhiger wirkte, als ihr zumute war.

»Der Ofen dort ist schon mit dem Braten belegt«, jammerte Bridget in ganz untypischer Verzweiflung. »Ich wollte, dass das Essen perfekt wird. Wir müssen den Bischof weichkriegen.«

»Kannst du keinen anderen Nachtisch machen?«, fragte Margaret.

»Die Meringen werden in der Diözese mit Gold aufgewogen«, fuhr Bridget fort, die gar nicht hinhörte. »Wir wissen, dass Monsignor Wilson in St. Anna ebenfalls einen Kaplan haben möchte, und er spielt Golf mit dem Bischof. Father Hugh, der Gute, kann nicht Golf spielen. Diese Meringen könnten ihn den Kaplan kosten. Und das undichte Dach macht ihn ganz krank vor Sorge. Es ist kein Geld da.« Bei diesen Worten glänzten Bridgets blaue Augen beunruhigt.

Das weiß ich. Father Hugh ist nicht der Einzige mit diesen Sorgen. Ich weiß genau, wie das ist, wenn kein Geld da ist.

»Könnten wir die Meringen im Nachtisch nicht ersetzen? Vielleicht verkauft Mr Abidi ja welche in seinem Laden?«, hakte Margaret noch einmal nach.

»Ja, das geht«, antwortete Bridget betrübt. »Nur wollte ich eben alles selbst zubereiten. Es ist ein so wichtiges Essen. Ich bringe nicht gern fertig Gekauftes auf den Tisch. Hätte ich doch nur einen Kuchen gebacken.«

Sie klang so enttäuscht, dass Margaret das Herz blutete. Bridget führte Father Hugh mit viel Engagement den Haushalt, und ohne ihr Zutun würde so manches in der Gemeinde nicht laufen.

»Der Bischof wird das gar nicht merken«, sagte Margaret. »Komm, Bridget, lass uns schauen, ob wir im Laden Meringen bekommen.« Sie umarmte die Nonne rasch.

Sie marschierten so schnell sie konnten über die lange Zufahrt, die von dem großen viktorianischen Haus wegführte. Eine Amsel flog mit erschrecktem Rufen auf. Ohne das Problem anzusprechen, bemühten sie sich, die schrecklichen Schlaglöcher und Risse im Asphalt gleichzeitig zu ignorieren und zu umgehen und das wuchernde Unkraut am Wegesrand zu übersehen. Nein, sagte Margaret sich wieder einmal, so ging es nicht weiter. Der Garten wuchs ihnen über den Kopf, und dasselbe galt für das Haus. Im Obergeschoss des Klosters gab es zu viele leer stehende, kalte Schlafzimmer mit schwerem, gegen den Staub abgedecktem Mobiliar; und auch unten hatten sie mehr Zimmer, als sie benutzen konnten. Das alles war einfach zu viel. Das Kloster St. Philomena hatte über viele Jahre hinweg zwölf Nonnen beherbergt, sowie eine Anzahl junger Frauen, die erprobten, ob sie fürs Klosterleben berufen waren. Viele von ihnen waren abgesprungen, manche aber, wie Margaret selbst, geblieben. Doch trotz der Neuzugänge hatten die Jahre ihren Tribut gefordert, auf dem Friedhof waren neue Kreuze hinzugekommen, und die Gesamtzahl der Bewohnerinnen war auf sechs zusammengeschrumpft. Im Verlauf eines einzigen Jahres, des letzten, schrecklichen Jahres, waren dann Helen, Frances und Basil gestorben, und nur drei Nonnen – Margaret, Bridget und Cecilia – waren übrig geblieben. Und da sonst niemand dafür in Frage kam, hatte Margaret widerstrebend das Amt der Oberin und der Buchhalterin in Personalunion übernommen.

Sie bogen nach rechts in die London Road ein, gingen an weiteren großen Häusern vorbei, die ebenfalls aus der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts stammten und inzwischen überwiegend in Wohnungen unterteilt oder zimmerweise an Studenten vermietet waren, und kamen schließlich zu Mr Abidis Laden. Dort fanden sie Schwester Cecilia vor, das dritte verbliebene Mitglied der Gemeinschaft, die wie jeden Freitag betend für die Lotterie anstand. Seit Schwester Cecilia im vergangenen November mit der Teilnahme begonnen hatte, war sie überzeugt, dass Gott einen Spielschein benutzen würde, um ihnen zu helfen, und fünf Monate, in denen sie keinen Penny gewonnen hatte, hatten ihren Glauben nicht erschüttert. Sie stand hinter Thomas Amis, der seinerseits hinter einem Studenten anstand, der gerade bedient wurde. Thomas, früher Postbote und seit Neuestem in Rente, war mit den Nonnen von St. Philomena befreundet und kam seit einiger Zeit regelmäßig zum Kloster. Dieses Jahr tat er sein Bestes, um den Garten wieder in Schuss zu bringen, doch so sehr er auch schuftete, eine einzige Person konnte die viele Arbeit nicht bewältigen, und ein großer Teil des Grundstücks, das früher von den vielen Schwestern gepflegt worden war, war inzwischen verwildert.

»Hallo Thomas, noch einmal tausend Dank für die Gartenarbeit heute«, begrüßte Schwester Bridget ihn. »Die Mikrowelle ist kaputt, und ich kaufe Meringen für den Nachtisch des Bischofs«, erklärte sie Schwester Cecilia, die ehrlich gesagt nicht besonders interessiert wirkte und sich so weit vorn in der Schlange nicht gern bei ihren Gebeten stören ließ.

»Tut mir schrecklich leid, Schwester«, sagte Mr Abidi, der die Bemerkung mit angehört hatte, »wir haben keine Meringen da, aber soll ich Ihnen welche besorgen?«

»Danke, Mr Abidi, aber ich brauche sie leider schon heute Abend«, antwortete Schwester Bridget.

Mr Abidi nahm das Geld des Studenten entgegen und prüfte den Betrag mit leichtem Stirnrunzeln. Der Student wartete ab. Mit Mr Abidi stritt man sich nicht.

»Ich verstehe das nicht. Warum kaufst du nicht einfach ein paar Joghurts?«, fragte Cecilia, die sich mit der Tatsache abgefunden hatte, dass nun keine Zeit mehr blieb, ein weiteres Ave Maria hinzuzufügen, bevor sie an die Reihe kam. Sie hatte schon die ganze Woche intensiv gebetet, und so würde es nun wohl reichen müssen.

Margaret zuckte unwillkürlich zusammen, als Bridget empört zu einer Antwort ansetzte. Doch als Mr Abidi ihm seine Einkaufstüte reichte, drehte Thomas Amis sich in der Schlange um und mischte sich mit seinem weichen Newcastle-Akzent ein, bevor Schwester Bridget etwas entgegnen konnte.

»Ich habe noch den Schokoladenkuchen, den Sie mir heute Morgen geschenkt haben, Schwester Bridget. Es ist ein wunderbarer Kuchen. Bestimmt ist er gut genug für den Bischof?« Er wandte sich Schwester Cecilia zu. »Schwester, möchten Sie gern vor? Ich hab es nicht eilig.«

Schwester Cecilia nickte dankbar, froh, einem Gespräch über Kuchen zu entkommen, nahm ihre Liste mit den Lottozahlen heraus und diktierte sie Mr Abidi feierlich. Der respektierte ihr hohes Alter, und es wäre ihm im Traum nicht eingefallen, sie wegzuschicken, damit sie ihren Lotterieschein selbst ausfüllte. Er bewunderte die Nonnen, mochte sie gern und stellte das kleine allwöchentliche Ritual nicht infrage. Hätte es in seiner Macht gestanden, hätte er mit Sicherheit dafür gesorgt, dass die Schwestern gewannen. Dank Schwester Helen, die seine Töchter vor all diesen Jahren in der Schule von St. Philomena aufgenommen hatte, und da seine Frau und er alle von Gott gegebenen Stunden im Laden arbeiteten, um ihre Kinder nach Kräften zu unterstützen, hatten die Mädchen eifrig gelernt, waren auf die besten Universitäten gegangen und inzwischen Apothekerin, Ärztin und Rechtsanwältin. In Mr Abidis Augen konnten die Nonnen nichts falsch machen.

Was die Nonnen betraf, und insbesondere Schwester Bridget, konnte auch Mr Abidi nichts falsch machen. Er arbeitete hart, war immer früh auf, um die Zeitungen zu sortieren, und machte erst spät abends Feierabend. Er war streng mit schwierigen Kunden und jugendlichen Aushilfen, gegenüber allen anderen trat er energisch, aber gütig auf, wie erschöpft er auch sein mochte. Er war immer für ein Schwätzchen mit Schwester Bridget zu haben, die regelmäßig vorbeikam, fest entschlossen, ihn gegen die Konkurrenz der großen Supermärkte zu verteidigen, die aus Habgier inzwischen auch an Sonntagen öffneten und den kleinen Läden das Leben damit noch schwerer machten. Mr Abidi war noch nie in Irland gewesen und Schwester Bridget noch nie in Pakistan, doch sie versprachen einander regelmäßig und ernsthaft, wenn auch völlig unrealistisch, das Geburtsland des anderen eines Tages zu besuchen. Wann immer einer der beiden einen Besuch in seiner alten Heimat ankündigte, ließen sie Grüße an die Verwandtschaft ausrichten. Nach einem interessanten Gespräch über schwer erhältliche Lebensmittel hatte Mr Abidi, der nie vor einer Herausforderung zurückscheute, sogar ein kleines Wunder vollbracht und für Schwester Bridget irische Kimberley-Kekse aufgetrieben. Bald nahm er sie mit Profit in sein Sortiment auf, denn sie waren sehr beliebt bei seinen älteren irischen Kunden, die die Kekse in keinem anderen Supermarkt bekamen. Schwester Bridget wollte ihn auch dazu bewegen, Tayto-Chips anzubieten, doch die erwiesen sich als etwas schwerer zu beschaffen.

Im Moment ging es Schwester Bridget jedoch nicht um irische Kekse oder Chips, sondern um einen Nachtisch für den Bischof, und diesmal wirkte Thomas Amis das Wunder.

»Oh, Gott sei Dank! Thomas, das wäre riesig nett!«, rief sie und klatschte vor Begeisterung in die Hände. »Natürlich ist er gut genug für den Bischof. Um Ihnen für all das zu danken, was Sie für uns tun, habe ich mir mit dem Kuchen große Mühe gegeben! Ich backe Ihnen einen neuen. Im Kloster geht das zwar noch immer nicht, weil der Herd kaputt ist, aber Sonntagnachmittag backe ich Ihnen einen in der Küche des Pfarrhauses.«

»Machen Sie sich deswegen mal keine Sorgen«, sagte Thomas so ruhig wie immer. »Eins nach dem anderen, genau wie Rose es immer gesagt hat. Konzentrieren Sie sich erst einmal auf das Dinner für den Bischof. Der Philomenakirche einen Kaplan zu besorgen, hat Vorrang. Father Hugh kann die Last nicht mehr allein tragen. Ich laufe gleich im Anschluss nach Hause, hole den Kuchen und bringe ihn ins Pfarrhaus. Wenn Sie wollen, kann ich mir auch den Herd einmal anschauen.«

»Tausend Dank, Thomas!«, sagte Bridget strahlend. »Beim Bischof haben wir vielleicht noch Chancen. Er ist ein Feinschmecker.«

»Ich kann mir nichts Leckereres vorstellen als einen Ihrer Kuchen«, sagte Thomas, während er höflich eine junge Frau in der Schlange vorließ, um das Gespräch nicht abbrechen zu müssen.

»Vielen Dank, Thomas«, sagte nun auch Margaret aufrichtig. »Es wäre eine große Hilfe, wenn Sie nach dem Herd schauen könnten.« Das Dessert des Bischofs war ihr nicht so wichtig, und wie Schwester Cecilia war sie der Meinung, der Bischof könne genauso gut einen Joghurt verspeisen wie jeder andere Mensch, doch da sie, wenn auch wider Willen, die Oberin des Klosters von der Heiligen Philomena war, lag es ihr sehr am Herzen, einen fürchterlichen Streit zwischen zwei der drei verbleibenden Schwestern zu vermeiden. Auch so schon fand sie es schwierig, Bridget und Cecilia im Griff zu behalten. Und der Gedanke, wie viel ein neuer Herd kosten mochte, machte ihr Angst.

Thomas sah den drei hinausgehenden Nonnen nach, während die junge Frau vor ihm einen Lotterieschein erwarb. Das Kloster und die Schule daneben waren ein enorm wichtiger Bestandteil des katholischen Lebens von Fairbridge gewesen. Es war traurig, wie es dann gelaufen war. Rose und er waren so stolz und glücklich gewesen, als ihre Tochter Linda in die Klosterschule aufgenommen wurde, und dann Jahre später wiederum Lindas Tochter Sophie. Nichts hatte ewig Bestand, das war ihm klar, aber es war eine Schande, dass in der Schule keine Nonnen mehr unterrichteten. Schwester Helen war eine außerordentlich gute Direktorin gewesen, und seiner Meinung nach hatte man Schwester Margaret nicht lange genug als Nachfolgerin belassen, um ihr eine Chance zu geben. Aber natürlich wurden sie alle älter, genau wie er selbst.

Schwester Helen hatte sehr viel von Linda gehalten, selbst nach dem, was geschehen war. Und Sophie hatte in der Klosterschule geglänzt. Sie hatte den Fehler ihrer Mutter nicht wiederholt und studiert, bevor sie eine Familie gründete.

Wenn Rose ihm doch nur einen Rat geben könnte. Sie hätte gewusst, was zu tun war. Vielleicht würde er Schwester Bridget fragen, wenn er nächstes Mal im Kloster oder im Pfarrhaus half. Sie und Rose hatten in den Fünfzigerjahren im Fairbridge House gearbeitet, zwei irische Mädels, und waren sich so nah gewesen wie Schwestern. Rose hätte sich mit Sicherheit Bridget anvertraut. Ja, genau das würde er tun. Denn er war ratlos. Linda zog sich von allen zurück, nicht einmal Sophie kam an sie heran. Um das in Ordnung zu bringen, wäre schon ein Wunder nötig. Vielleicht könnte ja Schwester Bridget die Dinge wieder einrenken. Nach diesem Entschluss fühlte er sich wesentlich besser.

»Ganz lieben Dank«, sagte die junge Frau zu Thomas, als sie von der Theke wegtrat. Zu seiner Überraschung zeigte sie ihm stolz ihren kleinen Verlobungsring. »Hoffentlich gewinne ich. Wir heiraten bald, und es wäre eine riesige Hilfe.«

»Stimmt, Hochzeiten sind teuer«, pflichtete Thomas ihr bei.

»Falls ich gewinne, möchte ich meinen Verlobten überraschen und für die Flitterwochen eine tolle Reise buchen, zum Beispiel nach Italien«, vertraute ihm die junge Frau an. »Ich weiß, er sorgt sich, dass wir uns eine Auslandsreise nicht leisten können. Aber mir ist es eigentlich egal. Ich möchte einfach nur mit ihm verheiratet sein, das ist die Hauptsache.«

»Meinen Glückwunsch.« Thomas lächelte sie an. Hier wusste er genau, was er sagen sollte. So ein Verlobungsring bereitete ihm immer große Freude. Die junge Frau hatte dieselbe entwaffnende Offenheit und Wärme wie damals Rose. Wen auch immer sie heiraten würde, der Mann war ein Glückspilz. Thomas selbst jedenfalls hatte mit seiner Frau ein Riesenglück gehabt.

Thomas stellte seinen Korb auf die Theke.

»Guten Morgen, Mr Abidi«, sagte er.

»Guten Morgen, Mr Amis«, antwortete Mr Abidi, der seine Stammkundschaft beim Namen kannte, und scannte die Waren.

»Sie sind Sophies Großvater, oder?«, fragte die freundliche junge Frau plötzlich und wandte sich Thomas wieder zu. »Vor Jahren hab ich mit Sophie bei Millers Arms gearbeitet. Ich erinnere mich noch, wie Sie dort Geburtstag gefeiert haben. Wie geht es Sophie?«

»Ja, ich bin ihr Großvater«, antwortete Thomas. »Danke, Sophie geht es gut. Sie ist verheiratet, hat ein kleines Kind und ist sehr glücklich.«

»Würden Sie ihr Grüße von mir ausrichten?«, bat die junge Frau. »Sagen Sie ihr, Sie hätten Emily vom Miller’s Arms getroffen.«

»Das mache ich. Bestimmt freut sie sich. Hätten Sie gern ihre Telefonnummer?«

Emily zog ein kleines Adressbüchlein aus ihrer Jackentasche und schrieb sich Sophies neue Nummer auf.

»Nach der Hochzeit melde ich mich bei ihr, ganz bestimmt«, versprach sie.

»Dann viel Glück Ihnen!«, rief Thomas ihr nach, als sie mit dem Lotterieschein in der Hand hoffnungsvoll den Laden verließ.

»Bitte entschuldigen Sie die Verzögerung«, sagte Thomas zu Mr Abidi, der nickte. Thomas nahm seinen Einkaufsbeutel heraus, um die Lebensmittel darin zu verstauen. Es war Roses Beutel gewesen. Die Mädchen hatten ihn ihr einmal zu Weihnachten geschenkt, weil er mit Rosen bedruckt war, und er benutzte ihn gern. Hoffentlich wäre sie zufrieden damit, wie er zurechtkam. Roses Tod lag jetzt zwei Jahre zurück. Sie hatte noch erlebt, wie Sophie Ben heiratete, einen Hausarzt, und im Hospiz hatte sie ihren Urenkel James noch als Neugeborenen im Arm gehalten. Eine Woche später war sie gestorben. Thomas schluckte, denn bei der Erinnerung daran, wie ihr Gesicht vor Liebe für ihren Urenkel geleuchtet hatte, den sie niemals heranwachsen sehen würde, erfasste ihn der vertraute Schmerz. Ach, Rose. Es kam ihm noch immer wie gestern vor, und heimzukommen, ohne von ihrem Lächeln begrüßt zu werden, war noch immer hart. Es verletzte ihn, dass Linda so verschlossen und in sich gekehrt war. Letzthin arbeitete seine Tochter entweder bis spät abends oder blieb in ihrem Zimmer. Sie redeten einfach nicht mehr miteinander. Linda verhielt sich eher wie ein launischer Teenager als wie eine einundvierzigjährige Frau. Zum Glück konnte er wenigstens Father Hugh und den Nonnen als Handwerker und Gärtner helfen. Es war schön, das Haus zu verlassen und sich nützlich zu machen.

Später am Abend versammelten sich die drei Schwestern im Wohnzimmer und stärkten sich mit einem Becher Kakao. Schwester Bridget strahlte. Ihr Menü für den Bischof hatte großen Anklang gefunden, und er hatte sogar zwei Stücke Schokoladenkuchen gegessen und sie gebeten, den Rest mit nach Hause nehmen zu dürfen. Offensichtlich bekam seine eigene Köchin keinen solchen Kuchen hin. Bridget wusste, dass Stolz eine Sünde war, aber die Erkenntnis tat ihr dennoch gut. Sie war kein scheues Mäuschen und hatte begriffen, dass es keineswegs etwas Schlechtes war, seine eigenen Stärken zu kennen. Das hatte ihr Schwester Frances beigebracht. »Sie ruhe in Frieden«, fügte Bridget voll Liebe und Dankbarkeit automatisch hinzu. Im Jahr 1968, das war jetzt fast dreißig Jahre her, war Schwester Frances eine energische sechzigjährige Oberin gewesen. Befeuert durch die riesigen Veränderungen, die das Zweite Vatikanische Konzil in der katholischen Kirche ausgelöst hatte, war damals die alte Trennung zwischen ›Laienschwestern‹ und ›Chorschwestern‹ im St.-Philomena-Orden aufgehoben worden. Schwester Frances hatte Schwester Bridgets Potenzial erkannt und ihre Begabung gefördert: Bridget, die die Schule mit vierzehn verlassen und seitdem immer im Haushalt gearbeitet hatte, hatte nach sechzehn Jahren, in denen sie sich als ›Laienschwester‹ fröhlich um Haus und Wäsche gekümmert hatte, während nur die gebildeteren ›Chorschwestern‹ in der Schule unterrichteten, die Erlaubnis erhalten, sich weiterzubilden.

Dank Schwester Frances hatte der Orden Bridget ein Kulinarik-Studium absolvieren lassen. Am College war sie zwar schon relativ alt gewesen, doch sie war aufgeblüht und hatte alle mit ihrer raschen Auffassungsgabe und Kochbegabung beeindruckt, besonders aber mit ihrer Fähigkeit, betörend köstliche Kuchen zu backen. Anschließend war sie die Klosterköchin geworden und hatte nebenher Hauswirtschaftslehre an der Schule unterrichtet. Bis zu ihrem Rückzug aus dem Schulbetrieb mit sechzig war sie eine sehr beliebte Lehrerin gewesen. Seitdem war sie die kirchliche Gemeindeschwester und bekochte den Pfarrer. Tief in ihrem Inneren wusste Bridget, dass der liebe Father Hugh, Gott segne ihn, keinen Begriff davon hatte, wie gut sie wirklich war, doch er aß alles auf, was sie ihm vorsetzte, und bedankte sich dafür.

Zumindest den Bingo-Spielern in der Gemeinde war es jedoch sehr wohl bewusst: Sie waren immer fest entschlossen, den Hauptpreis zu gewinnen, einen Kuchen, den Bridget jede Woche buk und der Gemeinde spendete. Und Schwester Bridget waren diese Leute genauso wichtig wie nur irgendein Bischof. Sie machte jeden Kuchen so gut sie konnte, und so wusste sie, dass das Exemplar, das sie Thomas geschenkt hatte, selbst gut genug für den Papst gewesen wäre. Sie dankte Gott, dass sie ihr Bestes gegeben hatte, denn heute war sie dafür belohnt worden. Sie wusste, dass es bei einer religiösen Berufung nicht um ausgefallene Kochkünste ging – und dass irgendein Postbote in Rente in den Augen Gottes genauso viel wert war wie ein Bischof –, aber es verschönerte einem dennoch den Tag, wenn ein hochkultivierter Mann wie der Bischof die eigene Kochkunst lobte und zu schätzen wusste.

Margaret betrachtete Schwester Bridget. So ganz ohne Herd waren es für Bridget letzthin schwere Wochen gewesen. Heute Abend war Thomas ins Kloster gekommen, hatte das Problem als Kurzschluss in dem Element an der Rückwand des Herds identifiziert, das Teil herausgenommen und die Sicherung wieder eingeschaltet (Margaret hatte sich vorgenommen, diesen Kniff so bald wie möglich selbst zu erlernen – solche Reparaturen waren immer Schwester Helens Domäne gewesen). Thomas sagte, er werde versuchen, ein Ersatzteil für den Herd zu finden. Vorläufig hatten sie zwar immer noch keinen funktionierenden Ofen, aber immerhin vier Herdplatten, auf denen Schwester Bridget kochen und Wasser aufsetzen konnte, um die Reparatur mit einer Kanne heißem Tee zu feiern.

»Ihr wisst, wir können uns nicht darauf verlassen, dass Thomas immer alles repariert«, schnitt Margaret widerstrebend das Thema an, über das keiner, sie selbst eingeschlossen, gern reden wollte. »Ich habe ihn gebeten, mir ein bisschen grundlegendes Handwerkerwissen beizubringen, aber das Problem ist zu groß für eine einzige Person. Thomas sagt, im ganzen Haus müssten neue elektrische Leitungen verlegt werden, und das wird Tausende kosten. Ich warte immer noch auf den Kostenvoranschlag der Baufirma wegen der Feuchtigkeit und der Risse. Früher oder später werden wir das Kloster verkaufen müssen.«

»Das geht nicht«, erklärte Schwester Cecilia energisch. »Edward Mortimer hat uns das Haus geschenkt, damit wir uns um die spirituellen Bedürfnisse der Bewohner von Fairbridge kümmern.«

»Darüber haben wir doch schon gesprochen. Das war 1920, Cecilia«, erklärte Margaret, bemüht, nicht verärgert zu klingen. »Vor fünfundsiebzig Jahren. Als wir noch viel mehr Schwestern waren. Und als die Leute in Fairbridge uns brauchten.«

»Der Orden wurde gegründet …«, begann Schwester Cecilia, doch Margaret unterbrach sie, recht unhöflich, das musste man leider sagen.

»Ich brauche keinen Vortrag über die Gründung des Ordens, Schwester Cecilia. Als Stellvertretende Direktorin und dann als Schulleiterin habe ich den Mädchen diese Rede an jedem Gründungstag gehalten.« Margaret stand auf und rezitierte aus dem Gedächtnis:

»Der Schwesternorden von der Heiligen Philomena wurde von acht belgischen Nonnen gegründet, die während des Ersten Weltkriegs nach England geflohen waren und von zwei Katholiken, Lord und Lady Mortimer, Räume in einem Flügel von Fairbridge House am Rande der Stadt Fairbridge erhielten. Damals wurden im Haus zahlreiche verwundete Soldaten gepflegt, und die Nonnen boten sich der Familie als Krankenschwestern an. Als der Erste Weltkrieg endete, beschlossen die Nonnen nach langem Gebet und voll Dankbarkeit für ihre freundliche Aufnahme, nicht nach Belgien zurückzukehren. Mit der Unterstützung des Bischofs wurde ihnen genehmigt, sich in England niederzulassen und einen neuen religiösen Orden zu gründen, der sich dem moralischen Wohlergehen und der Bildung der Einwohner Fairbridges widmete. Die Schwestern von der Heiligen Philomena benannten sich nach der bestehenden Kirchengemeinde, und 1920 zog der Orden aus Fairbridge House aus und ließ sich im gegenwärtigen Klostergebäude nieder. Edward Mortimer, der älteste Sohn der Familie, schenkte ihnen das Haus aus Dankbarkeit für sein Überleben im Krieg. Die Oberschule wurde auf dem Nachbargrundstück erbaut und wird bis heute von den Ordensschwestern von der Heiligen Philomena geführt.«

Margaret setzte sich wieder. »Nur dass es nicht mehr stimmt. Wir führen die Schule nicht mehr, und wir werden nicht mehr gebraucht.«

»Natürlich braucht man uns noch, Margaret«, sagte Bridget schockiert.

»Sie brauchen uns mehr denn je«, stimmte Schwester Cecilia ihr zu. »In den heutigen Zeiten.«

Margaret saß da und sah die beiden an, die wiederum zu ihr zurückschauten.

Margaret hätte kaum zwei unterschiedlichere Persönlichkeiten betrachten können. Bridget, siebzig, außergewöhnliche Köchin, klein, rundlich, hübsch, herzlich, mit sprühenden Augen und einem warmen irischen Akzent, die Sorte Mensch, mit der jeder sich gern an der Bushaltestelle unterhielt. Den Ordenshabit – einen schwarzen Schleier mit weißem Saum und ein schlichtes blaues, gegürtetes Kleid mit weißem Kragen – trug sie so freudig, dass allein schon ihr Anblick genügte, um einen aufzumuntern. Sie war die Klosterköchin, kochte aber außerdem noch für die Priester der Philomenakirche – das war allerdings seit einigen Jahren nur noch Father Hugh. Sie leitete das Bingo und die Kleinkindgruppe, machte Krankenbesuche und half in der Suppenküche. Von ganz allein flogen ihr alle Herzen zu, und es war wirklich unheimlich, wie oft sie bei Tombolas und Verlosungen gewann. Father Hugh behauptete, ohne sie würde das Gemeindeleben zum Stillstand kommen. Wahrscheinlich hatte er recht.

Und dann war da Cecilia, oder Schwester Cecilia, wie alle sie nennen mussten – ob nun Mitschwestern oder nicht. Sie war dünn, hatte einen elfenbeinbleichen Teint und trug das Haar streng unter dem Schleier verborgen. Aus jeder Pore verströmte sie jederzeit Missbilligung und gab sich jetzt, mit neunzig, noch genauso hoheitsvoll und abweisend wie zu der Zeit, als sie dem Kloster mit zwanzig Jahren beigetreten war. Sie hatte das Gelübde der Armut, Keuschheit und des Gehorsams abgelegt und in siebzig Jahren nie darum kämpfen müssen, es zu halten. Sie hörte auf ihre Oberen, als wären sie die Stimme Gottes, zeigte lobenswert wenig Interesse an Geld oder Besitz, und Margaret konnte sich nicht vorstellen, dass ein Mann je eine große Rolle für sie gespielt hatte. Sie würde auch niemals wagen, Cecilia danach zu fragen. Cecilia hatte eine lange Laufbahn als gefürchtete, wenn auch gerechte Lehrerin an der Klosterschule hinter sich und war in den dreißig Jahren seit ihrem Rückzug aus dem Berufsleben bei Bedarf immer wieder in aller Strenge in der Schule eingesprungen. Unterdessen hatte sie sich auch einen Ruf als Kennerin der lokalen katholischen Geschichte erworben und schrieb Artikel für die von der Kirchengemeinde herausgegebene Zeitschrift. Niemand käme auf die Idee, Schwester Cecilia an der Bushaltestelle anzusprechen. Mit vernünftigen flachen Schuhen an den Füßen ging sie im blauen Mantel unter dem Nonnenschleier durch Fairbridge, so entschlossen und energisch wie eh und je, wenn auch ein wenig langsamer als früher.

Und zuletzt kam Margaret selbst, mit achtundfünfzig die jüngste von den Dreien. Als Direktorin der römisch-katholischen Klosterschule von der Heiligen Philomena, einer reinen Mädchenschule, war sie widerstrebend ausgeschieden. Durch eine Verschmelzung war die Lehranstalt in eine gemischtgeschlechtliche katholische Gemeinschaftsschule übergegangen und mit einem futuristischen Anbau aus Glas und Metall erweitert worden. Genauso widerstrebend hatte Margaret sich zur Oberin des Klosters von der Heiligen Philomena ernennen lassen. Nach den Ordensregeln war Cecilia zu alt, um Oberin zu werden, und Bridget hatte zweifellos viel zu viel zu tun. Daher hatte Margaret die Rolle übernommen, genoss sie aber, wie man hinzufügen musste, absolut nicht. Der Umgang mit Backfischen war ein Kinderspiel im Vergleich zur Verantwortung für Bridget und Cecilia. Wie ihre Mitschwestern trug Margaret noch immer einen Habit, und obgleich sie sich vorstellen konnte, sich eines Tages wie viele andere Ordensschwestern für normale Kleidung zu entscheiden, fand sie es doch tröstlich, sich mehr oder weniger gleich zu kleiden wie alle Angehörigen des Ordens seit der Gründung (auch wenn der Schleier früher viel schwerer gewesen war). Außerdem fehlte ihnen das Geld, um sich neue Kleidung zu kaufen, und die Schränke waren voller Habite, Krägen und Schleier, die sie auftragen konnten. Zumindest brauchte man sich so nicht täglich aufs Neue mit der Frage zu beschäftigen, was man anziehen sollte. Margaret musste auch so schon genug Entscheidungen treffen.

»Nun, lasst uns beten«, sagte Margaret.

Sie öffneten die Seitentür, die in den alten Teil der Schule führte, wo sich die Kapelle befand. Mit hallenden Schritten gingen sie über den glänzenden Holzboden des Korridors, vorbei an der bemalten Statue eines Jesus, der auf sein Herz deutete, an einer aus Holz geschnitzten Madonna, die ihrerseits den kleinen Jesus im Arm hielt, an den Vitrinen mit Pokalen und Trophäenschilden, die im Laufe der Jahre von verschiedenen Schulmannschaften gewonnen worden waren, und an den Schwarz-Weiß-Fotos der Gesamtheit von Schülerschaft und Lehrkörper sowie von Theateraufführungen und Schulausflügen. Da hing auch ein Foto einer Pilgerfahrt der Schule nach Rom, der letzten, an der Schwester Helen vor ihrem Tod teilgenommen hatte, und eine reizende Aufnahme von Schwester Helen, Schwester Margaret und den Schülerinnen im Keats-Shelley-House in Rom. Es zeigte sie mit einer Absolventin ihrer Schule, Katy Bradshaw, die im Anschluss an ihren Universitätsabschluss den Sommer über dort gearbeitet hatte. Helen und Margaret waren entzückt und unglaublich stolz gewesen, als sie zufällig auf die Ehemalige stießen, die jetzt in einem berühmten Literaturmuseum in Rom arbeitete. Die ganze Reise war großartig gewesen. Dann kam das letzte Schulfoto, auf dem Schwester Helen und Schwester Margaret erneut von Schülerschaft und Lehrkörper umgeben waren. Es gab so viele Jahresfotos, auf denen Helen und Margaret ganz vorn nebeneinander saßen, lächelnd, entspannt und stolz.

Wir waren ein gutes Team, dachte Margaret düster. Zwanzig Jahre lang waren wir ein richtig klasse Team, Helen und ich.

Es gab nur ein einziges Foto mit Margaret als Schulleiterin. Sie sah angespannt aus, auf eine Weise nervös wie zuvor als Stellvertretende Direktorin niemals. Ihr neuer Stellvertretender Direktor, der ihr nach Helens Tod von ganz oben an die Seite gestellt worden war, blickte ernst. Vielleicht kannte er damals schon die Pläne der Diözese, die Knabenschule und die Mädchenschule zu verschmelzen. Und wusste bereits, dass er selbst der neue Direktor sein würde. Sie hatte ihn nie gemocht.

Ich habe mein Bestes gegeben, dachte sie trotzig und wischte sich wütend die Tränen weg, die ihr in die Augen traten.

Sie stieß die Tür zur Kapelle auf, tastete nach dem Lichtschalter und sah sich, als das Licht anging, kurz im Vorraum um. Beim Anblick eines Stapels Altarwäsche vom Vortag, der dort zurückgeblieben war, erfüllte sie einen Moment lang ein unwürdiges Gefühl der Befriedigung. Zur Zeit der Mädchenschule hatte die ganze Schülerschaft in die Klosterkapelle gepasst, doch die neue, größere Gemeinschaftsschule hielt die Schulmesse in der Philomenakirche ab. Man wollte die Kapelle jedoch weiter nutzen, und Father Hugh hatte sich bereit erklärt, dort die Messe für einzelne Jahrgänge zu zelebrieren. Vom gestrigen Gottesdienst lag noch ein Gewirr von Liederblättern herum, aber die hatte sie am Vorabend nicht beachtet. Das ging sie nichts mehr an.

»Wir hätten die Kapelle niemals so chaotisch hinterlassen«, brummte sie. Diesmal sammelte sie die Zettel trotzdem ein und legte sie in den Schrank, während Schwester Cecilia und Schwester Bridget sich bekreuzigten und schon vorgingen.

Die Kapelle selbst lag still da, in der Luft hing der Geruch von Weihrauch, vermischt mit dem Duft von Blumen und Kerzen. Das Ewige Licht in der Wandlampe, ein Teelicht, flackerte. Als Margaret eintrat, meinte sie einen Moment lang beinah, Helen an ihrem üblichen Platz sitzen zu sehen. Es war ihr fast, als würde sie sich umdrehen und sie anlächeln wie früher immer, dann auf der Kirchenbank zur Seite rutschen und ihr Platz machen. Blinzelnd schüttelte Margaret den Kopf. Von Cecilia und Bridget abgesehen, waren die Bankreihen leer. Sie waren nur zu dritt.

Na ja, nicht nur zu dritt – du bist natürlich ebenfalls hier, Herr, verbesserte sie sich stumm, beugte das Knie und setzte sich.

Schwester Margaret blieb nach dem Abendgebet noch allein sitzen. Schwester Cecilia und Schwester Bridget, letztere noch immer begeistert vom Erfolg ihres Dinners beim Bischof, waren schon auf dem Weg ins Bett. Margaret war jedoch zurückgeblieben, um dem Herrn in Ruhe ihr Herz auszuschütten.

Ich weiß, dass das kleinlich ist, Herr, betete sie, und ich bin nicht stolz darauf, aber ich muss mit dir über Schwester Cecilias Gebiss reden. Es liegt daran, wie es beim Beten pfeift, o Herr. Manchmal denke ich, ich ertrage das keine Stunde länger. Es hat mir das Beten heute Abend absolut unmöglich gemacht. Beim Aufblicken zu dem schlichten Kreuz auf dem Altar wurde ihr bewusst, dass sie vielleicht nicht ganz aufrichtig gewesen war.

Na gut, das Gebet war mir nicht wirklich unmöglich, gab sie zu. Ehrlich gesagt, sind es nicht so sehr die Zähne – sondern sie selbst. Wenn ihr Gebiss pfeift, wissen wir beide, du und ich, dass sie wegen der Zahlen für ihren verflixten Lotterieschein betet. Und damit bin ich nicht einverstanden. Und du bestimmt auch nicht.

Bitte mach, dass sie morgen nicht gewinnt. Ich weiß, dass sie erneut enttäuscht sein wird. Ich sehe sie nicht gern jeden Samstag in Elend versinken. Aber sie gibt einfach nicht auf, das ist das Problem. Sie hört einfach nicht auf mich. Ich hätte von Anfang an einschreiten sollen, aber bei allem, was hier los war, war ich der Sache nicht gewachsen. Sie behauptet, du würdest sie ermutigen, trotz allem weiterzumachen, und es macht die Dinge nicht besser, dass Schwester Bridget für die Kirchengemeinde wöchentlich ein Bingo veranstaltet und bei jeder Tombola absahnt, bei der sie mitmacht. Als Kirche sind wir beim Glücksspiel nicht gerade konsequent. Das weiß ich. Aber ich finde wirklich, dass du da mitreden solltest. Belehre Cecilia eines Besseren.

Das Ewige Licht vor dem Tabernakel flackerte, die kleine Holzmadonna daneben drückte ihr Baby an sich, und da eine direkte Offenbarung ausblieb, fühlte Schwester Margaret sich zum Weiterbeten genötigt.

Es geht auch nicht wirklich um die Lotterie. Aber es ärgert mich, dass Cecilia anscheinend glaubt, nur weil sie die Zahlen nach dem Heiligenkalender auswählt, gäbe es kein religiöses Problem. Aber die Sache ist doch die, es liegt gar nicht bei ihr, das zu entscheiden. Manche Menschen halten das Glücksspiel für eine Sünde. Sie hätte mich fragen sollen, was ich darüber denke, Herr. Seit Helens Tod bin ich die Oberin, auch wenn ich das gar nicht wollte. Wenn du mich aber schon zur Oberin gemacht hast, solltest du wenigstens Cecilia ermuntern, mir zu gehorchen. Tut mir leid –, aber da ich versuche, ehrlich zu sein, solltest du das wissen. Natürlich weißt du es schon. Du weißt alles. Da bin ich mir sicher. Aber es hilft mir, es auszusprechen. Nicht dass ich eine eindeutige Position zum Glücksspiel hätte, aber … darum geht es nicht. Du verstehst schon. Es geht um Autorität.

Von dem wenn auch einseitigen Gespräch ermutigt, fuhr Margaret fort.

Und was ist das nur wegen unserem Mobiliar, Herr? Da hat sie auch solche Rosinen im Kopf. Im Fernsehen schaut sie ständig Antiques Roadshow und ist überzeugt, dass dort einmal ein Stuhl oder Tisch vorgestellt wird wie einer von unseren, der dann ein Vermögen wert ist und das Kloster rettet. Sie behauptet, du hättest ihr das eingegeben. Es macht mich wahnsinnig. Selbst wenn es uns gelingen sollte, ein paar Stühle oder Schreibtische zu verkaufen, dürfte dadurch kaum die Geldsumme hereinkommen, die wir brauchen.

In der Kapelle blieb es stumm, und Margaret war einer Entscheidung nicht näher gekommen.

Was soll ich ihr sagen, Herr?Wie kann ich sie davon überzeugen, von dem ewigen Beten um ein Wunder abzulassen? Wie kann ich sie überzeugen, dass das Geld nun mal nicht auf uns herabregnen wird und wir das Haus verkaufen sollten? Wie bringe ich sie dazu, einzusehen, dass wir nur noch zu dritt sind und der Orden von der Heiligen Philomena an seinem Ende angekommen ist? Und dass es Zeit ist, einen anderen Orden zu suchen, dem wir uns anschließen können? Wie kann ich ihr klarmachen, dass nicht etwa du ihr Hoffnung eingegeben hast, sondern dass es einfach nur Wunschdenken ist?

Ihr Gebet war zu Ende und sie verstummte bedrückt.

Es würde helfen, Herr, wenn du mir manchmal eine direktere Antwort auf mein Gebet geben würdest, sagte sie schließlich.

Keine Engelsstimmen, keine Vision, nichts dergleichen. Nicht dass Schwester Margaret etwas Derartiges in ihrem religiösen Leben schon einmal erfahren hätte. Aber so verlassen und hilflos wie jetzt, so sehr eines Zeichens bedürftig, fühlte sie sich auch erst seit wenigen Jahren.

Vielleicht sollte ich sie einfach segnen, dachte sie. Das hat doch Father Hugh letzte Woche in seiner Predigt gesagt. Segnet eure Feinde. Natürlich ist Cecilia nicht meine Feindin. Aber wir sollten einander gewiss gegenseitig segnen. Vielleicht möchtest du das von mir, statt dass ich mich über sie und ihr Gebiss beklage. Tut mir leid, dass ich so viel klage. Ich sollte das Gute, das ich habe, schätzen. Ich sollte dir wohl zumindest dafür danken, dass du sie nicht die Lotterie hast gewinnen lassen.

Schwester Margaret kniete sich nieder.

Bitte segne Cecilia in der kommenden Woche, betete sie. Möge sie sich auf die Zukunft freuen, möge sie sich neuen Gedanken öffnen – und sich sogar dafür begeistern. Ich weiß, dass ich um ein Wunder bitte, Herr. Sie neigte den Kopf. Aber schließlich, fügte sie mit einer gewissen Erbitterung hinzu, bist du doch für Wunder zuständig.

2

Ganz in der Nähe der viktorianischen Philomenakirche und des ein wenig heruntergekommenen, aber immer noch vornehmen georgianischen Pfarrhauses, in dem Father Hugh lebte und in dem Schwester Bridget gerade den Bischof mit einem köstlichen Mahl bestach, saßen George Sanders und Dr. Matthew Woodburn im Swan an der Market Street zusammen und genehmigten sich einen Drink. Freitagabends nach der Probe gingen die Mitglieder des Fairbridge-Chors immer zusammen in den Pub, doch heute hatten alle Sangesbrüder der beiden etwas anderes zu tun (Arbeiten benoten, Baby baden oder zu einer Geburtstagsfeier gehen), und so waren sie nur zu zweit.

»Du musst nicht ebenfalls los?«, fragte George (Bass, klein, vierzigjährig, sehr gutaussehend, dunkle Augen, dunkles Haar, abenteuerlustig, poetisch, musikalisch, unordentlich, gesprächig, in Gruppen witzig. Ein gestresster Reisebürobesitzer, der seine alte Mutter versorgte und unglaublich, beinahe erschütternd einsam war). Bemüht, nicht verzweifelt zu klingen, hob er den Blick zu Matthew (Tenor, hochgewachsen, achtunddreißig, gepflegt, Brillenträger, blond, Professor für Kunstgeschichte. In Gruppen still, trotzdem mit einem großen Freundeskreis. Er war gelassen, bescheiden, musikalisch, vorsichtig und ungemein liebevoll).

»Nein, nein. Es ist keiner zu Hause. Sarah trifft sich mit Freundinnen. Ich hab es nicht eilig«, erwiderte Matthew. Der schüchterne Mann freute sich, dass er mit George allein sein würde. Solche Abende waren selten. Er würde Sarah nichts davon erzählen. Er wollte nicht, dass seine Zwillingsschwester zwei und zwei zusammenzählte und auf fünf kam.

Sie redeten über Musik, über den Chor und über Konzerte, die sie letzthin besucht hatten. Wie immer gelang es George zu seinem Entzücken, Matthew zum Lachen zu bringen. Es war etwas an der Art, wie Matthews ernstes Gesicht aufleuchtete, wenn er etwas lustig fand – und das wollte George immer wieder sehen. Sie saßen in einer ruhigen Ecke des lauten Pubs, und im Verlauf des Abends erzählte George Matthew witzige Geschichten aus der Zeit nach der Uni, als er in Spanien Englisch unterrichtet hatte. Nach einigen Gläsern mehr als üblich berichtete er auch von einer Beziehung, die vor zwei Jahren mit dem Tod der einen Hälfte geendet hatte. Da seine betagte Mutter Unterstützung brauchte, war er nach England zurückgekehrt. Er hatte ein Reisebüro gekauft, samt einer Wohnung, die darüber lag, eine Katze adoptiert und kümmerte sich so gut wie möglich um seine Mutter. Doch es war anstrengend, sowohl für sie zu sorgen als auch seinem Vollzeitjob als Reiseplaner gerecht zu werden.

Matthew hatte ihm stundenlang zugehört, voll Mitgefühl mit diesem ungemein netten, unglücklichen Mann. George hatte sogar geweint. Er hatte es jedoch sorgfältig vermieden, durchblicken zu lassen, dass sein Lebensgefährte ein Mann gewesen war; selbst seinen Kummer musste er zensieren, und niemand in seiner Familie oder in seinem Kreis englischer Freunde wusste Bescheid.

Im Pfarrhaus hatte der gastliche Abend unterdessen geendet, und Father Hugh betete. Nach dem Dinner mit Lammbraten, den Schwester Bridget für sie zubereitet hatte, winkte der Pfarrer dem Bischof nach und nahm sich ohne Rücksicht auf seinen stets wachsenden Bauch noch einen überflüssigen Keks, da ihm leider das Wasser im Mund zusammenlief (warum hatte Gott Schwester Bridget auch mit so viel Talent geschaffen?). Dann entschied er sich, früh zu Bett zu gehen, und sei es auch nur, um der Keksdose zu entkommen. Er setzte sich für sein offizielles Abendgebet hin, ging nach oben, schlüpfte in den großen, bequemen blauen Pyjama mit Tunnelzug, den seine Schwester ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, kniete sich steifbeinig neben seinem Bett nieder und sprach jetzt einige zusätzliche, sehr spezielle Gebete, in denen er um Hilfe bat.

Ich liebe ihre Mahlzeiten, lieber Gott, aber ich bin nur eine einzige Person. Sie müsste für eine ganze Mannschaft kochen. Ich würde sie gern bitten, keine Leckereien mehr für mich zuzubereiten, aber ich habe Angst, dass ich sie damit verletzen könnte. Sie sagt immer wieder, ich müsse bei Kräften bleiben, aber wir beide, du und ich, wissen ganz genau, dass ich nicht noch mehr Pfunde auf den Rippen brauche.

Ich weiß, dass ich schwach bin. Und du weißt das ebenfalls. Ich habe es nicht geschafft, den Nachschlag abzulehnen, und der Keks war vollkommen überflüssig. Ich werde nie jemanden dafür verurteilen können, dass er einer Versuchung nachgegeben hat, und das ist wohl etwas Gutes. Aber eher sterbe ich an einem Herzinfarkt, als dass diese liebe Frau aufhört, mich zu verwöhnen, und das willst du doch bestimmt nicht? Wir sind ohnehin schon zu wenige Priester.

Und bitte, mach, dass der Bischof uns den Kaplan schickt und nicht der Gemeinde St. Anna. Schwester Bridgets Kuchen scheint ihm heute Abend ausgezeichnet geschmeckt zu haben, Gott segne sie. Danke. Ich will einfach nur nicht, dass sie schon wieder einen für mich bäckt, und ich weiß nicht, wie ich sie daran hindern soll. Es war schrecklich für sie, als ich in der Fastenzeit auf Süßes verzichtet habe, aber wenn jetzt alles wieder normal läuft, wird es für mich noch schlimm enden. Bitte hilf uns.

Father Hugh erhob sich mühsam von den Knien und stieg ins Bett. Er brauchte einfach nur eine Woche Urlaub und Zeit zu proben, was er sagen würde. Jeden Abend nahm er sich vor, am nächsten Tag mit ihr zu reden und sie um leichtere Kost und weniger Süßes zu bitten, doch wenn er Schwester Bridget das nächste Mal sah, brachte sie immer einen neuen Kuchen oder frisch gebackene Kekse mit, und dann war sie so begeistert, dass er sie nicht enttäuschen konnte, und sich selbst natürlich auch nicht.

»Ich weiß einfach nicht, wie ich mit ihr umgehen soll, Herr«, sagte er, als er das Licht ausschaltete. »Ich brauche ein Wunder.«

»Was ist mit dir, Matthew?«, fragte George zur gleichen Zeit im Swan, von der ungewohnten Menge Alkohol ein wenig benebelt, und ihm fiel auf, wie blau und freundlich Matthews Augen waren. »Hast du die Liebe immer einfach gefunden?«

»Nein«, antwortete Matthew. »Beziehungen sind … kompliziert. Mit Freundschaften ist es einfacher, ja. Und meine Familie, ich liebe sie … aber …«

»Du hast Glück«, unterbrach George ihn bitter und voll Selbstmitleid. »Wenn meine Mutter mich anschaut … wenn sie mich anschaut, Matthew, sieht sie … sieht sie einen Versager. Genau das bin ich, Matthew.«

»Aber gewiss nicht«, entgegnete Matthew sanft.

»Sie ist so enttäuscht, Matthew«, fuhr George ein wenig lallend fort. »Von dir ist deine Mutter bestimmt nicht enttäuscht. Ich bin kein Professor wie du. Du hast dieses Haus an der London Road und gehst nachher zu deiner Sarah nach Hause – ich dagegen besitze nur eine kleine Wohnung und ein Reisebüro. Ich habe eine Katze, aber keine nette Frau. Meine Mutter … sie hält mich für einen Versager. Und vielleicht bin ich das ja auch.«