Kleines Zuhause ─ große Freiheit - Julia Seidl - E-Book
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Kleines Zuhause ─ große Freiheit E-Book

Julia Seidl

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Beschreibung

Weniger ist mehr – dies wird für immer mehr Menschen zum Leitspruch für die eigenen vier Wände. Tiny Houses und Minimalismus sind Trend. Ob Mini-, Mikro- oder Kleinhaus, Wohnwürfel, ausgebauter Bauwagen oder Austragshaus, ob aus der Not geboren oder freie und bewusste Entscheidung: Der Verzicht auf viel Platz und viele Sachen ist befreiend und macht glücklich. Die BR-Journalistin Julia Seidl hat 10 Menschen besucht und erzählt, wie sie den Weg in ihr jeweiliges (kleines) Zuhause fanden. Der preisgekrönte Fotograf Stefan Rosenboom liefert Bilder dazu und fängt damit die besonderen Stimmungen ein, wie erfülltes Leben auf kleinem Raum aussehen kann. Einfach faszinierend.

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Seitenzahl: 171

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Weniger ist mehr – dies wird für immer mehr Menschen zum Leitspruch für die eigenen vier Wände. Tiny Houses und Minimalismus sind Trend. Ob Mini-, Mikro- oder Kleinhaus, Wohnwürfel, ausgebauter Bauwagen oder Austragshaus, ob aus der Not geboren oder freie und bewusste Entscheidung: Der Verzicht auf viel Platz und viele Sachen ist befreiend und macht glücklich. Die BR-Journalistin Julia Seidl hat 10 Menschen besucht und erzählt, wie sie den Weg in ihr jeweiliges (kleines) Zuhause fanden. Der preisgekrönte Fotograf Stefan Rosenboom liefert Bilder dazu und fängt damit die besonderen Stimmungen ein, wie erfülltes Leben auf kleinem Raum aussehen kann. Einfach faszinierend.

JULIA SEIDL

KLEINES ZUHAUSEGROSSE FREIHEIT

Erfüllt leben auf weniger Raum

10 Porträts minimalistischer Lebensmodelle

Mit Fotos von Stefan Rosenboom

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Originalausgabe 5/2019

Copyright © 2019 by Ludwig Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Angelika Lieke

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik·Design, München

Umschlagfoto Cover: © Daniel J. Glasl;Umschlagfoto Rückseite: © Stefan Rosenboom

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN: 978-3-641-23223-8V001

www.Ludwig-Verlag.de

INHALT

VORWORT

BETTINA – HANDWERKERIN MIT FANTASIE

28 m2, Schiffscontainer

REINHARD – BOOTSBAUER MIT VISION

12,5 m2, Tiny House

MICHAEL – EREMIT AUF ZEIT

25 m2, Scheune

NICKI – NEUSTART IM »FAST HOUSE«

46 m2, Modulhaus

CORINNA UND THERESA – BÜFFELN IM CONTAINER

7 m2, Mini-Wohnwürfel

BERTHOLD – LEBEN OHNE ADRESSE

6 m2, Kiste

MARIA – MIT LIEBE ZUM DETAIL

85 m2, Kleinbauernhaus

ANDI – REBELL MIT PLAN

28 m2, Lifthütte

KATHARINA UND JOSEF – GROSSFAMILIE UNTER ZWEI DÄCHERN

75 m2, Austragshaus

SELBSTVERSUCH MIT »MAX«

15 m2, Tiny House

BILDTEIL

VORWORT

Es gibt Themen, die einen Journalisten durch sein berufliches Leben begleiten wie ein roter Faden, wie ein treuer Hund, der ihm nie von der Seite weicht. Ich habe mich in meiner Laufbahn zielsicher immer wieder mit Menschen beschäftigt, die im landläufigen Sinne arm sind, extrem wenig Dinge besitzen oder auf besonders kleiner Fläche wohnen. Vor fast 20 Jahren zum Beispiel habe ich einen Dokumentarfilm über eine bescheidene alte Frau mit Namen Resi gedreht, die eine besondere Begabung hatte: wunderschöne filigrane Sterne aus einem speziellen Gras zu basteln. Als »einschichtige Frau« – wie man in Bayern zu Alleinstehenden sagt – lebte sie in einem Kleinbauernhaus mit nur zwei Zimmern. Ihre winzige Küche, ausgestattet mit einem quadratischen Tischchen und einem alten Kanapee, war gleichzeitig auch ihr Ess- und Wohnzimmer. In diesem Raum kochte und aß sie, schrieb Briefe und bastelte ihre Sterne – immer mit Blick auf eine weiß-blaue Lourdes-Madonna aus Gips, die von ihr sehr verehrt wurde. Nur eine Holztüre trennte dieses multifunktionale Zimmer vom Stall, wo sie täglich ihre drei Ziegen molk. Im Erdgeschoss dürfte die Resi insgesamt nicht mehr als 25 Quadratmeter zur Verfügung gehabt haben. Im Obergeschoss, am Ende einer uralten, etwas abenteuerlichen Holztreppe, hatte sie noch ein nicht beheizbares Schlafzimmer, das wir als Fernsehteam aber nie betreten durften. Resis Haus war winzig, geradezu ärmlich. Für sie alleine reichte es, aber einst hatte sie dort auch mit ihren Eltern zusammengewohnt. Wie das gehen konnte, ist mir heute noch schleierhaft.

Schon damals hat mich der einfache Lebens- und Wohnstil und die Reduzierung auf das Wesentliche fasziniert. So sehr, dass ich immer nach Menschen gesucht habe, die sich freiwillig von ihrem Besitz lösten und meistens auch auf kleiner Wohnfläche lebten. Diese jahrelange Suche brachte mich bei eisigen Minustemperaturen in den alten Lieferwagen von Paula, das sie selbst ausgebaut hatte und mit dem sie auf dem Wagenplatz von »Stattpark Olga« in München lebte. An einem frischen sonnigen Frühlingsmorgen landete ich bei Michael, dessen Saison als »Teilzeit-Eremit« in einer alten Scheune gerade begann. Heiße Sommernachmittage verlebte ich bei dem Besitzer eines Schäferwagens, der damit alleine quer durch Deutschland fuhr, um den Unfalltod seines Sohnes zu verarbeiten. All diese Menschen habe ich zu einer Zeit porträtiert, als in Deutschland noch niemand von Tiny Houses sprach.

Da ich als Journalistin gerne dem Zeitgeist nachspüre – mit langen Dokumentationen über Urban Gardening, Wildpflanzen oder die Situation der Bienen –, begegnete mir schon sehr früh das Thema »Tiny Houses« oder »Small House Movement«. Vor sechs Jahren war das noch ein Trend, der mich sofort neugierig machte. So war ich die erste Journalistin im Bayerischen Rundfunk, die Filme über Tiny-House-Besitzer machte. Ein schwieriges Unterfangen: Denn damals war es nicht ganz einfach, Protagonisten zu finden, die schon in Tiny Houses wohnten. Und wenn, dann wollten sie nicht in den Medien erscheinen, da sie meist illegal oder nur geduldet ihre Wagen aufgestellt hatten. »Wenn das rauskommt« oder »Das darf keiner sehen« – diese Sätze habe ich auf der Recherche allzu oft gehört.

Die Menschen, die in diesem Buch wie in einem bunten Blumenstrauß versammelt sind, habe ich dann über die verschiedensten Wege und Kontakte gefunden. Schreiner, Architekten, Facebook-Gruppen oder Kräuterfrauen brachten mich zu ihnen. Stets freundlich unterbrachen sie für mich eine Zeit lang ihr zurückgezogenes Leben und gewährten der Öffentlichkeit einen Blick auf ihren Alltag.

Auch die zehn Porträtierten, die ich für dieses Buch ausgesucht habe, bewegen sich abseits vom üblichen Weg. Sie wagen es, in sich selbst hineinzuhorchen und sich Fragen zu stellen wie: Wie will ich leben? Welche Wohnform passt zu mir? Mit einer gewissen Sturheit und einem starken Willen haben sie aus dieser Reflexion heraus mutige Lebensentscheidungen getroffen. Sie haben eingefahrene Bahnen verlassen: Heute trifft man sie in Schiffscontainern, Tiny Houses, Modulhäusern oder Wohnwürfeln an. Ihr gemeinsames Ziel ist: wenig Besitz und eine Wohnform, die finanziell und zeitmäßig nur minimal belastet, für einige von ihnen ist darüber hinaus die Nähe zur Natur ein wichtiger Aspekt. Mein Buch erhebt dabei aber keinen Anspruch, alle Facetten des Tiny-House-Lebensgefühls zu beleuchten. Die Leser werden keine Bauanleitungen und nur wenig technische Details finden. Auch habe ich den Begriff »Kleines Zuhause« bewusst dehnbar gehalten, um eine große Bandbreite von kleinen Wohnformen aufzeigen zu können.

Das Ankommen in einem kleinen Zuhause bringt gleichzeitig den Abschied von vielen Dingen mit sich. Egal ob man es Downsizing, Minimalismus, Magic Cleaning oder Death Cleaning nennt – die Frage, »Wie viele Dinge braucht der Mensch?« haben sich alle Porträtierten gestellt. Da ich als Kind von Sammlern aufgewachsen bin, war mir diese Welt fremd. Ich kannte eher Wände, die bis auf jeden Zentimeter mit Ölgemälden und Hinterglasbildern vollgehängt waren. Schränke voller Wachskunst, bemalten Gläsern, antiken Textilien. Volle Garagen mit bemalten Schränken, Truhen oder Vitrinen. Beim Sammeln gibt es kein Limit nach oben. Mich hat dieser Überfluss an Dingen so gesättigt, dass ich dieses Gericht mein Leben lang nur noch in geringen Dosen zu mir nehmen kann. Den Anblick meiner wenigen schönen Antiquitäten genieße ich dafür umso mehr.

Gerade deshalb hat mich die freiwillige Dinge-Diät, das Nicht-besitzen-Wollen, das Wegwerfen, das Aussortieren immer interessiert. Was würden Sie denn mitnehmen, wenn Sie freiwillig »verschlanken« müssten? Was würde übrig bleiben von Ihrem Leben? Eine anrührende Antwort darauf gab 2015 die Ausstellung »Mitgenommen. Heimat in Dingen« im Haus des Deutschen Ostens in München. Dort bestanden die Exponate aus Gegenständen, die die Menschen auf ihrer Flucht aus dem östlichen Europa vor 70 Jahren begleitet hatten. Die ausgestellten Sachen waren erstaunlich: Da fanden sich ein ganzes Kaffeeservice, ein kleiner Kinderstuhl, ein Zeiss-Fotoapparat, ein kompletter Geburtshilfekoffer oder eine Meerschaumpfeife. Alles Dinge, die dem Besitzer so viel bedeuteten, dass er dafür fast alles andere in der Heimat zurückließ.

In diesem Buch werden Sie viel über Reduzieren, Verkleinerung und Befreiung lesen. Die zehn Menschen, die sich hier in ihrer Verschiedenheit bunt entfalten, haben diese Erfahrungen alle gemacht. Die wenige Wohnfläche hat ihren Verbrauch an Gütern, Geld und Ressourcen verringert.

Oft habe ich mir beim Filmen und Schreiben die Henne-Ei-Frage gestellt. Was war zuerst da: die Henne oder das Ei? Was ist Ursache, was ist Wirkung? Haben sich die Gedanken bereits um Vereinfachung gedreht, und ist deshalb die Entscheidung für eine kleine Wohnform gefallen? Oder hat das kleine Zuhause die Befreiung, das Downsizing befördert? Vielleicht hat mich das am Ende zu dem Selbstversuch in einem Tiny House verleitet, weil ich dort meine eigene Antwort finden wollte. Fruchtbar war dieser Aufenthalt ebenso wie die vielen inspirierenden Gespräche, die ich mit den Porträtierten führen durfte. Es ist nur ihrer Geduld zu verdanken, dass ich meinem Lebensthema wieder näher gekommen bin. Dafür bin ich ihnen allen unendlich dankbar.

BETTINA – HANDWERKERIN MIT FANTASIE

28 m2, Schiffscontainer

Natürlich wird es bei ihr wieder eine gerade Linie. Noch dazu eine ziemlich lange. Zwanzig kleine Vasen aus Bleikristall reiht Bettina hintereinander auf – von einem Tischende zum anderen. Jeden Morgen nach ihrem kurzen Spaziergang durch die benachbarte Wiese dekoriert sie diese kleine feste Ordnung aus Glas mit weißen Margariten, lila Wiesensalbei, pinken Pechnelken oder gelbem Labkraut. Still, entschieden und gekonnt. Um sie herum wachen bereits ihre Feriengäste aus aller Welt auf, gähnen, strecken sich. In Flip-Flops und Batik-T-Shirts werden sie sich bald das Terrain von Bettina erobern. Aber noch hat sie Ruhe bei ihrer morgendlichen Übung, ihrer Aufgabe, ein wenig Ordnung in eine chaotische Welt zu bringen. Und wenn es auch nur auf einem vier Meter langen Tisch ist.

Der große Holztisch steht unter freiem Himmel und ist das Herzstück ihrer so ganz eigenen Bettina-Welt. Eine verrückte, andere Welt – jenseits von Baugenehmigungen, Erschließungsplänen und Architektenentwürfen. In der Nähe eines oberbayerischen Dorfes hat sich die resolute 55-Jährige ihre Welt einfach selbst gebaut. So wie sie ihr gefällt. Mit eigenen Händen, ohne jegliche Hilfe. Selbst gemachte Haus- und Wohnideen auf 1500 Quadratmetern. Individuell, ausgefallen, verschroben – meist aus Weggeworfenem, Unnützem, Ungeliebtem angefertigt. Und jetzt hat sie auf dieser großen Spielwiese für ihre Fantasie zwei Bauwagen, einen Schiffscontainer, viele kleine Hütten und ihr neu gebautes Tiny House auf Rädern stehen. Sie vermietet die kleinen Häuser Jahr für Jahr in den Sommermonaten an ungefähr 600 junge Feriengäste aus aller Welt – ein Eldorado für Unangepasste, Abenteuerlustige und Andersdenkende. Fast täglich wechseln ihre Mitbewohner, denn länger als vier Tage darf kein Gast bleiben; das wird Bettina dann zu familiär, zu eng. Lieber umgibt sie sich ständig mit neuen Gesichtern, Sprachen, Charakteren. Andererseits müssen vielleicht gerade deshalb einige Dinge bei ihr jeden Tag nach dem gleichen Muster ablaufen.

»Im Leben braucht man gerade Linien«, sagt sie, während sie die Blumen für die Vasen mit einem scharfen Messer kürzt. »Ins Chaos musst du eine Linie reinbringen, damit du nicht das Gefühl hast, dass sich alles auflöst«, sinniert Bettina weiter und rückt die ersten gefüllten Vasen wie kleine Zinnsoldaten in ihre Marschordnung. Zwanzig kleine bunte Blumensträußchen in Reih und Glied. Ein sommerlich dekorierter Tisch, ein optischer Ruhepol inmitten ihrer sich stets wandelnden quirligen Welt.

Die gerade Linie hat Bettina immer wieder gerettet. Wie ein Seil, das man jemandem zuwirft, der verzweifelt am Abgrund hängt. Denn Bettinas Leben klingt wie eine Seemannsgeschichte: starke Stürme, Kollisionen, Auflaufen auf Grund – alles ist ihr im übertragenen Sinne widerfahren. Sie hat Abenteuerliches und Schreckliches mitgemacht – mehr, als viele Menschen ertragen könnten.

Auf den wenigen Kinderfotos sieht man Bettina als rotbäckiges, blondgelocktes kleines Mädchen im hellblauen Mäntelchen. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf im Allgäu, eine typische Kindheit auf dem Land. Aber sie ist schwer überschattet: Der dominante Vater tyrannisiert alle in seiner Familie, die Mutter, die drei Kinder. Die Mutter, eine schmale Frau, darf nicht einmal alleine einkaufen gehen oder am Zaun mit der Nachbarin reden. Auswege, oder gar Flucht, gibt es damals nicht. Im Alter von 39 Jahren stirbt Bettinas Mutter an Krebs. Bettina sagt: »Sie ist zerbrochen an dieser Situation, aus der sie nicht rauskam.« Und mit dem chinesischen Sprichwort »Ein einfacher Zweig ist dem Vogel lieber als ein goldener Käfig« im Hinterkopf entschließt sich Bettina mit nur 15 Jahren, von zu Hause wegzulaufen. Ohne Geld, ohne Ausbildung. Es wird ein harter Überlebenskampf: Mit 15 darf sie nirgends offiziell arbeiten, aber sie braucht Geld. Ein junges hübsches Mädchen – völlig verloren und oft verzweifelt. Mit 17 wird das heimatlose Wesen schwanger, heiratet, wird Mutter. Aber alles geht schief: Die Ehe zerbricht, und ihr Sohn wächst vorwiegend bei dem älteren Vater auf. Eine Heimat kennt Bettina lange nicht mehr. Sie jobbt in der Gastronomie, macht eine Ausbildung zur Hotelfachfrau. Steinig ist der Weg, oft weiß sie nicht, wovon sie ihre Miete zahlen soll.

Der Fixstern am Himmel – bei allem Übel – bleibt für sie ihre »Freiheit«. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Und sie definiert diese Freiheit für sich so: »Freiheit ist aus einer Situation rausgehen zu können, wenn sie für mich nicht mehr tragbar ist.« Das ist ihr kategorischer Imperativ, ihre Handlungsmaxime. Und auch wenn es viel Arbeit ist, ihre jungen Gäste zu beherbergen, Betten zu beziehen, viel Wäsche zu waschen, zu putzen, alles instand zu halten, so ist es für sie dennoch eine Form von Freiheit. Blumen gießen, Pferde füttern, die Außenküche sauber halten – Entspannung. Kochkurse und Handwerkerkurse für Frauen geben – ein Vergnügen.

Inmitten dieser lässig-lockeren Gäste, die ihre jugendliche Freiheit genießen, wohnt sie seit sieben Jahren in einem Schiffscontainer, den sie – auf der Suche nach einer neuen Heimat – online für einen Euro gekauft hat. Mit seinem flachen Dach ist ihr extravagantes Zuhause ein Meisterwerk der geraden Linien. Fenster und Türen hat die kräftige Bettina mit der Flex einfach aus dem Korpus rausgeschnitten – beherzt und entschlossen, wie es ihrem Wesen entspricht. Isoliert hat sie den Container mit Trockenbauwänden und Steinwolle, eine kleine Fotovoltaikanlage auf dem Dach versorgt sie mit kostenlosem Strom. Auf eine Toilette im Container musste sie wohl oder übel verzichten, aber nur wenige Meter entfernt von ihrem kleinen Häuschen steht eine Komposttoilette.

28 Quadratmeter Wohnfläche im Rechteck – das ist Bettinas Rückzugsort, wo sie sich mit ihren Lieblingssachen ein kleines individuelles Zuhause geschaffen hat. Alte lederne Reisekoffer, ein Vintage-Tisch, vier Stühle, ein alter Polstersessel, eine gusseiserne Badewanne und ihre selbst gemalten Bilder. Der Raum ist liebevoll dekoriert und wirkt voll, denn hier wohnt kein Minimalist, der möglichst wenig Dinge besitzen will.

In großen Häusern wohnen will Bettina nicht mehr. Ihr reicht es jetzt so. Bevor sie in den Schiffscontainer zog, hatte sie fünf Jahre lang einen riesigen Gutshof mit 600 Quadratmeter Wohnfläche gepachtet. Ein gigantischer Irrsinn. »So viel Platz braucht kein Mensch«, sagt sie, während sie barfuß am Laptop in ihrem »Wohnzimmer« sitzt. An einem rechteckigen alten Holztisch nimmt Bettina täglich ihre Online-Buchungen an, füttert ihre große Facebook-Gemeinde mit schönen romantischen Fotos aus ihrer Welt, und bei Regen und Schnee schreibt sie einfach an einem ihrer Romane weiter. Zu ihren Füßen liegt Jake, eine alte riesige schwarz-weiße Dogge, der Bettina hier ihr Gnadenbrot gewährt. Jake, der anhängliche sanfte Riesenhund, der nie von ihrer Seite weicht, hat es sogar geschafft, dass Bettina im letzten Winter in Deutschland geblieben ist. Sonst verbringt sie die Wintermonate nämlich regelmäßig in Melbourne, im warmen Australien. Aber Jake alleine lassen, das brachte sie nicht übers Herz. Ein Herz, das immer für Hilfsbedürftige schlägt, auch wenn die Hülle, die es umgibt, manchmal ziemlich rau wirkt.

»Wenn man jung ist, sammelt man erst mal Sachen, aber später werden sie zum Ballast«, behauptet Bettina, während sie – die Lesebrille hoch ins Haar geschoben – mit leuchtend blauen Augen ihr kleines Reich überblickt. Sie ist hier die Chefin, die Regentin; daran besteht nicht der geringste Zweifel. Und durch ihr großes Fenster behält sie das Geschehen auf dem Innenhof immer im Blick. Entgleiten, über den Kopf wachsen tut Bettina nichts mehr. »Wir haben zu viel Überfluss, zu viel Zeug«, sagt sie empört. Und als ob es ein persönlicher Affront wäre: »Das muss man dann alles behalten, pflegen, darauf aufpassen. Das brauch ich nicht mehr!« Entschlossen klappt sie ihren Laptop zu.

Lange hält es Bettina sowieso nicht in geschlossenen Räumen aus. Vielleicht reicht ihr deshalb so ein kleines Häuschen. Die meiste Zeit verbringt sie draußen, unterwegs. Meist mit ihrem Fotoapparat – schöne Momente, stimmungsvolle Bilder sammeln. Echte Werte, die keinen Stellplatz brauchen und auch nicht abgestaubt werden müssen. Wie ein Pilzsucher seine besten Sammelplätze kennt, so hat auch sie ihre eigene Landkarte der schönsten Ausblicke gespeichert. Unterwegs ist sie immer alleine, was sonst. Da redet keiner mit ihr oder will was von ihr. »Draußen macht glücklich«, so ist das Credo der braun gebrannten Bettina. »Räume sind immer abgeschlossen, abgesperrt – aber Sonne, Luft, das Wetter – ist Freiheit!«

Aber diese Freiheit hat natürlich auch ihre Grenzen, zum Beispiel wenn es in Strömen regnet. Dann zieht Bettina sich gern in ihre »Frauenwerkstatt« – wie sie es nennt – zurück. Eine Werkstatt voller Bohr- und Fräsmaschinen, Kettensägen und Akkuschrauber, aber das Fenster schön dekoriert mit einem weißen Gardinchen. Mittendrin steht Bettina in einem karierten Arbeitshemd, die Ärmel hochgekrempelt. Jetzt geht es los. Sie greift in die Kisten, zieht alte Holzreste heraus. Dann am Fensterbrett weiße Glaskugeln, die niemand mehr braucht. Ihre Schätze vom Wertstoffhof, aus Haushaltsauflösungen oder Geschenke von Freunden. Bettina wird still, sie bohrt, sie feilt. Hunderte von Stunden hat sie hier schon verbracht. Immer alleine. Manchmal gern, manchmal nicht. Denn Handwerker kann sie sich nicht leisten, und wer soll dann das undichte Dach oder die lockeren Zaunlatten reparieren? So wurden Dübel, Schrauben und Bohrer ihre Kameraden. Ob sie wollte oder nicht. Aber irgendwann wollte sie auch. Sie ist eine starke Frau, kräftig gebaut, eine, die zupackt.

Auch in der Werkstatt geht es um Klarheit, Entscheidungen. Und um Fantasie. Ein Meter Kupferdraht, ein 30 Zentimeter großes Treibholz, zwei alte Glaskugeln. Und? Was könnte das werden? Bettinas Hände sagen: eine Lampe. Sie bohrt von oben zwei Löcher in das Holz und dreht zwei große Schrauben hinein, die sie ein wenig überstehen lässt, um die weißen Kugeln anschließend daraufzusetzen. Alles wackelt noch ein wenig, aber das ist kein Problem. Bettina holt ihren Kupferdraht hervor und umwickelt dekorativ die gesamte Kreation. Der Plan geht auf: Wieder hat Bettina, die Do-it-yourself-Handwerkerin, ein neues Ding erschaffen aus Altem, Weggeworfenem. Mit solchen Dingen hat sie ihre Bauwagen und ihr hölzernes Tiny House originell und mit viel Geschick möbliert.

Von drinnen hört man ein großes Motorrad auf den Hof fahren. Es könnte der erste Gast heute sein. Schnell schiebt Bettina ihre Lesebrille nach oben und macht sich auf den Weg zur Einfahrt, die auf ihr Grundstück führt. Dort steht der junge Zimmermann Simon, in voller Ledermontur, den Helm unter den Arm geklemmt. Eine herzliche Umarmung folgt, denn man kennt sich. Simon hat hier schon öfter übernachtet, obwohl er auf Komfort wie ein eigenes Bad oder eine normale Toilette verzichten muss. »Hier schau, dein Reich«, sagt Bettina fröhlich und hält ihm den bunten Fransenvorhang auf, der in den Bauwagen führt. Simon wirft nur einen kurzen Blick in sein Feriendomizil, denn er kennt ja Bettinas Wagen.

Der rothaarige, groß gewachsene Mann bewundert Bettina. »Wow, Hut ab! Respekt!«, so purzelt das Lob begeistert aus ihm heraus. »Alleine als Frau – Wahnsinn!«, schickt er noch hinterher. Schon als Kind hat Simon gerne in Bauwagen übernachtet, bei Bettina kann der junge Mann vom Aussteigen träumen, vom einfachen Leben – ohne selbst in seinem Alltag auf irgendetwas verzichten zu müssen.

Voller Anerkennung ist der ausgebildete Zimmermann für das grau bemalte Tiny House, das Bettina fast fertig gebaut hat. Es ist das zweite Häuschen, bei dem sie von A bis Z alles alleine gemacht hat, während sie ihren Schiffscontainer und die Bauwagen »nur« umgebaut hat. Bettina ist eine untypische Bauherrin – denn sie baut ohne Entwurf, ohne Plan. Sie richtet sich nur nach dem, welches Material sie zur Verfügung hat. Denn Kaufen ist viel zu teuer. So ist ihr kleines neues Holzhäuschen auf Rädern ein wahres Musterbeispiel für Recycling. Das Fahrgestell stammt von einem alten Heuwagen, die Bretter sind, ebenso wie die Fenster, Überbleibsel von abgerissenen Häusern. So baut Bettina Schritt für Schritt, manchmal auch mit großen Pausen, wenn ihr das Material ausgeht – immer allein. Dann ist sie zeitunabhängig und kann arbeiten, wann sie will und wenn sie wieder Material zur Verfügung hat. Sogar ein Satteldach mit großen, schweren Platten hat sie aufgesetzt, ein enormer Kraftakt. »Das wird mein erstes und einziges Satteldach bleiben«, seufzt Bettina. Manche Sachen sind auch ihr zu schwer, das kann sie zugeben.

Gesehen hat sie solche kleinen Häuser zum ersten Mal auf ihren monatelangen Reisen durch die USA und Australien. Gerade aus den USA stammt das »Tiny House oder Small House Movement«. Erstaunlich eigentlich bei einer Nation, die für XXL