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Olga Kobylanska, eigentlich Olha Yulianivna Kobylianska war eine ukrainische Schriftstellerin der Moderne und Frauenrechtlerin. Ihre Schriften wurden von George Sand und Friedrich Nietzsche beeinflusst. Kobylanska interessierte sich sehr für die ukrainische Bauernschaft und schrieb oft über das Leben dieser Menschen. In vielen ihrer Erzählungen über das bäuerliche Leben schilderte sie den Kampf zwischen Gut und Böse sowie die mystische Kraft der Natur, die Vorbestimmung, die Magie und das Irrationale. Ihre Werke sind bekannt für ihre impressionistischen, lyrischen Naturbeschreibungen und subtilen psychologischen Schilderungen und wurden in zahlreichen Ausgaben veröffentlicht. In diesem Band findet sich eine Auswahl ihrer schönsten Novellen.
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Seitenzahl: 158
Veröffentlichungsjahr: 2023
Kleinrussische Novellen
OLGA KOBYLANSKA
Kleinrussische Novellen, O. Kobylanska
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849663681
www.jazzybee-verlag.de
Ein Jahrhundert kleinrussischer Litteratur.1
Natur.15
Eine Unzivilisierte.38
Eine Schlacht.74
Das kleinrussische Volk, welches die Hauptmasse der Bevölkerung in der russischen Ukraine, dem östlichen Teile Galiziens, der Bukowina und den angrenzenden Gebieten Ungarns bildet, ist eines der Stiefkinder der Geschichte. Früh schon wurde es der staatlichen Selbständigkeit beraubt, es unterlag den beiden mächtigen stammesverwandten Nachbarn, den Polen und Russen. Politisch zerrissen und unterdrückt, brütete das Volk dahin in dumpfer Ergebenheit und seiner selbst unbewußt, während die höheren Schichten sich bald bemühten, ihren Herren, den Polen und Russen, sich zu assimilieren. So schien es Jahrhunderte lang, als sei jede litterarische Bewegung, abgesehen von der reichen alten Volkspoesie, welche im Munde des Volkes fortlebt, bei den Kleinrussen erstorben; ja, die Sprache selbst, die ja nur noch die Sprache der ungebildeten Bauern geblieben, schien in ihrer Existenz in Frage gestellt. Als im Jahre 1818 die erste Grammatik der kleinrussischen Volkssprache herausgegeben wurde, fügte der Verfasser erklärend hinzu, daß dies aus rein historischem Interesse geschehe, denn die kleinrussische Sprache sei im Aussterben begriffen, eine nicht lebendige und nicht tote Sprache. Doch als diese Worte geschrieben wurden, da waren die ersten Schritte zur Wiedererweckung der kleinrussischen Litteratur bereits gethan.
Das erste Werk, welches — abgesehen von einigen früheren Versuchen, die jedoch meist ungedruckt blieben und nicht genügende Beachtung vor der Öffentlichkeit fanden — in kleinrussischer Sprache erschien und dabei Anspruch auf litterarischen Wert machen konnte, war die Travestie der Vergilschen Aeneis von Iwan Kotlarewski. Das war im Jahre 1798 — und im Jahre 1898 da wurde allerorten, wo Kleinrussen wohnen, in Kiew, Odessa, Lemberg, Czernowitz u. v. a., das Andenken jenes ersten kleinrussischen Dichters und der hundertste Geburtstag der kleinrussischen Litteratur als hoher Festtag begangen.
Sehen wir, was diese Litteratur in ihrem ersten Jahrhundert geschaffen hat.
Zunächst jene Aeneis, deren erste Auflagen in Petersburg erschienen. Der Dichter hatte die Anregung dazu in einer russischen Bearbeitung von Blumauers »Aeneis« gefunden, aber die Art, wie Kotlarewski seinen Stoff behandelte, läßt sein Werk im Lichte der Geschichte als eine grundlegende That erscheinen. Zum ersten Male wurde hier das Volkstümliche, das Nationalkleinrussische mit voller Kraft zu seinem Rechte geführt, und von nun an nahm die kleinrussische Nation selbständig Teil an den gesamt-europäischen litterarischen Bewegungen. Nicht nur, daß hier zum ersten Male die Sprache des kleinrussischen Volkes mit Erfolg in die Litteratur eingeführt wurde, während man sich bisher einer Sprache bedient hatte, welche aus polnischen, großrussischen und vorwiegend altkirchenslawischen Bestandteilen zusammengeflickt war, auch das Volk selbst tritt hier treu und lebendig auf die Bühne. Denn die ganze Geschichte von den trojanischen Helden, den bunten antiken Götterhimmel benutzt Kotlarewski nur, um unter ihrer Maske seine eigenen Volksgenossen zu schildern. So sind die Götter mit Zeus an der Spitze nichts anderes als die kleinrussischen, polnischen und russischen Adligen und Beamten, die sorglosen Herren des arbeitenden Volkes, die in Saus und Braus dahinleben und keine höheren Ideale kennen als Essen und Trinken, und Trinken vor allem, während Aeneas und seine Gefährten echte fahrende Kosaken sind, welche in ihren Schiffen die Lieder der alten Saporoger singen von der Herrlichkeit ihres Sicz. — Wohl hat ein Kritiker Kotlarewski einen strengen Vorwurf daraus gemacht, daß er das kleinrussische Leben nur im Spott und von der lächerlichen Seite behandle, doch ganz zu Unrecht; denn mit dem, was er in diesem heiteren Gewande erzielen will, ist es dem Dichter heiliger Ernst, und überall leuchtet herzliche Humanität und wahre Liebe zum Volke hervor. Kotlarewski, welcher, im Jahre 1769 in Poltawa als Sohn eines kleinen Beamten geboren, im Jahre 1838 als Major und Leiter einer Erziehungsanstalt in seiner Heimat starb, ist auch der Schöpfer des nationalen Dramas geworden. Dies letztere stand damals in Kleinrußland noch ganz im Banne des Kirchentums, etwa auf der Stufe der mittelalterlichen Mysterien. Auch hier trat Kotlarewski als bahnbrechender Neuerer auf, indem er mit mächtigem Griff sein kleinrussisches Volk und kleinrussisches Leben auf die Bühne stellte. Und noch heute wird seiner »Natalka Poltawka« und dem »Moskauer Zauberer« in kleinrussischen Theatern zugejubelt.
So wird Kotlarewski nicht nur als Begründer der Litteratur, sondern auch als Erwecker des nationalen Bewußtseins in seinem Volke gefeiert. Ja, es lassen sich in seinem Werke im Keime bereits jene Züge erblicken, welche die gesamte kleinrussische Litteratur fernerhin charakterisieren: die scharfe Betonung des Nationalen, die schwärmerische Kosakenromantik, die streng demokratische Volkstümlichkeit. Dieser demokratische Zug, welcher sich in allen slavischen Litteraturen bemerkbar macht, liegt bei den Kleinrussen besonders fest begründet in den äußeren Verhältnissen. Denn da die wenigen Vertreter der höheren Schichten, der Intelligenz dem eigentlichen Volke in Sitte und Sprache fast völlig entfremdet waren, so mußte die nationale Litteratur sich vornehmlich an die Bauern als alleinige Stütze wenden, und eine große Zahl ukrainischer und galizisch-ruthenischer Dichter ist auch selbst aus dem Bauernstande hervorgegangen. Die ukrainische Litteratur ist eine Bauernlitteratur von Geburt, und sie hat auch durch fremde Einflüsse sich in ihrem Wesen nicht wandeln lassen; daher spielte in ihr das Bauerntum seine natürliche Rolle, schon Jahre bevor man in West-Europa sich auf diesen für die litterarische Welt fast vergessenen Stand zu besinnen begann und bevor die russische Litteratur sich zu voller, starker Selbständigkeit hindurchgerungen hatte.
Jahre vergingen, ehe die Arbeit Kotlarewskis recht ihre Wirkung that und Nachfolger zu zeugen vermochte. Und als diese sich fanden, da bestand, wie das ja so zu kommen pflegt, die Nachfolgerschaft nur in täppischer, oberflächlicher Nachahmung, welche nicht die Kraft besaß, sich in Geist und Herz des Meisters hineinzuleben.
Zu eigener Bedeutung erhob sich aus der Schule Kotlarewskis Petro Artemowski-Hulak, der Sohn eines Geistlichen aus dem Gouvernement Kiew, welcher von 1790 bis 1866 lebte und in seinen Fabeln und Satiren die kleinrussische Litteratur durch feine künstlerische Gebilde bereichert hat. Besonders bezeichnend ist seine Geschichte »Der Herr und der Hund«, in welcher der Hund, der für alle seine Treue nur gequält und geschlagen wird, der Repräsentant des kleinrussischen Volkes ist. Zu hoher Entfaltung brachte die satirische Fabel in den dreißiger Jahren Eugen Hrebinka (1812 bis 1848).
Alle Zeitgenossen überragte jedoch Gregor Kwitka-Osnowjanenko (1778 bis 1843), welcher, aus einer Charkower adligen Gutsbesitzerfamilie stammend, sich schließlich, nachdem er sich im Militär- wie Zivildienst versucht hatte, sodann einige Jahre im Kloster zugebracht, von allem anderen unbefriedigt der Litteratur zuwandte. Er verließ die bis dahin vorherrschende Form der Humoreske und Satire und schuf in seinen Erzählungen, welche vom warmen Hauche tiefen Gefühls durchweht sind, das allerdings zuweilen als Sentimentalität erscheint, Bilder aus dem Leben des Volkes voll packender Natürlichkeit und Wahrheit. Auch einige volkstümliche Theaterstücke von Kwitka gelangten zu großer Popularität. Vor allem aber durch seine Erzählungen, welche überall gerade wegen ihrer Lebenswahrheit offene Herzen fanden, übte er einen außerordentlichen Einfluß auf sein Volk aus, welches seine Werke zu den Perlen heimischer Litteratur zählt.
Neue Stoffe, die nationale Geschichte und Tradition des kleinrussischen Volkstums, kamen gegen Ende der dreißiger Jahre zur Geltung, und zwar im Zusammenhang mit dem allgemein europäischen Entwickelungsgange der Litteratur. Das Zeitalter der Romantik brachte in der polnischen und russischen Litteratur eine schwärmerische Begeisterung für die Ukraine und das alte Kosakentum. In Polen bildete sich eine ganze ukrainische Schule. Deren glänzendste Vertreter sind Anton Malezewski mit seiner tragischen Erzählung aus der Ukraine »Maria«, Sewerin Goszzynski, welcher in seiner erschütternden Dichtung »Das Schloß von Kaniow« (Zamek kaniowski), das grausige Bild eines kleinrussischen Bauernaufstandes im 18. Jahrhundert schildert, und der feine, zartlyrische Bohdan Zaleski, welcher seine zauberhafte Dichtung »Der Geist der Steppe« (Duch od stepu) mit den Worten voll glühender Heimatbegeisterung beginnt:
Mich auch, Mutter Ukraine, Mich auch hat sie, ihren Sohn, Mit dem Lied genährt am Busen . . . Zauberin, im Morgendämmer Ahnend mein ätherisch Leben In der Zukunft fernem Reich, Sprach sie mild und zärtlich weich: »Warte du mein Kind, Rusalka! Milch der Lieder, Mark der Blumen Nähr’ zum Flug den schwachen Leib; Meines Ruhmes Sonnenzeiten Leih als Bilder seinen Träumen! Daß in Gold und Azur ihm Regenbogengleich erblühen Alle Sagen meines Volkes.« . . .
Doch auch andere, nicht eigentliche »Ukrainer« wie der phantasiegewaltige polnische Romantiker Julius Slowacki mit seiner von Byronschem Geiste erfüllten poetischen Erzählung von dem Kosakenhetman Zmija und der große russische Romantiker Puschkin, sodann Nikolai Gogol, der im Gouvernement Poltawa geboren wurde und dessen Vater, Wassili Afanasjewitsch Gogol, sich selbst in der kleinrussischen Litteratur durch einige Komödien bethätigt hat, konnten sich dem Zauber der Ukraine nicht entziehen. Und wirklich, kein anderes Land bietet der Romantik ein reicheres Feld als jene Ukraine mit ihren weiten, ewigen Steppen, die bis zum blauen Meer sich dehnen, »wo Hügel sich an Hügel reiht, und jeder Hügel ist ein Grab,« ein Grab und zugleich ein Denkmal der wilden, ruhmreichen Vergangenheit, da die Kosaken unter ihren tapfren Atamanen gegen Polen, Russen und Tataren fochten, die Saporoger in ihren leichten, flinken Booten bis vor die Kaiserstadt Konstantinopel fuhren und den Feind der Christenheit in seinem goldenen Palast erbeben machten, da die Tschumaken frei das Land durchzogen und der stolze Kosak keinen Herrn über sich erkannte.
Natürlich konnte diese Romantik gerade auf die eigentlichen Nachkommen jener alten Kosaken, das kleinrussische Volk, ihre Wirkung nicht verfehlen, und im Munde der neuen kleinrussischen Dichter erwachten die Lieder und der Geist der Sänger, der Teorbaspieler der Vorzeit, zu neuem, frischem Leben. Zu diesen kleinrussischen Romantikern gehört zunächst Ambrosius Metlynski (1814 bis 1870), dessen melodische Lieder wehmütig über den Ruinen der Vergangenheit klagen und schwärmerisch vom Ruhme des alten Kosakentums singen. In derselben Richtung bewegen sich einige Werke von Artemowski-Hulak und die Balladen von Borowikowski.
Zur höchsten Blüte entfaltete sich die kleinrussische Romantik, die kleinrussische Poesie überhaupt, in Taras Schewtschenko. Taras Schewtschenko wurde am 9. März (25. Februar) 1814 als Sohn eines Leibeigenen des Kiewer Gutsbesitzers Engelhardt geboren. Nach einer außerordentlich traurigen Kindheit — schon im Alter von 8 bis 9 Jahren wurde er Waise — wurde er im Jahre 1832 von seinem Herrn bei einem Petersburger Maler in die Lehre gegeben. Hier lenkte er die Aufmerksamkeit von Petersburger Künstlern auf sich, welche, unterstützt von dem berühmten Dichter Shukowski, im Jahre 1838 seinen Loskauf ermöglichten. Nun besuchte Schewtschenko die Akademie und wurde einer der Lieblingsschüler des Geschichtsmalers Brylow (Brüllow). Seine Thätigkeit teilte sich jedoch zwischen Malerei und Poesie. Im Jahre 1840 gab er seine erste Gedichtsammlung heraus unter dem Titel »Kobzar« (Der Spielmann), welche ihm sofort den ersten Rang in der kleinrussischen Litteratur erwarb. Nachdem er 1844 als freier Künstler in die Heimat zurückgekehrt war, ereilte ihn dort im Jahre 1847 ein trauriges Geschick: er wurde als Mitglied eines kleinrussisch-patriotischen Geheimbundes, welcher die Aufhebung der Leibeigenschaft, eine freie Verbrüderung aller Slaven u. a. als Ziel verfolgte, verhaftet, unter das Militär gesteckt und als gemeiner Soldat nach dem Orenburger Gonvernement, fern an die Grenze Asiens geschickt. Dabei war ihm streng verboten, zu schreiben! Nach zehn Jahren des Elends wurde er endlich auf Fürsprache von Petersburger Freunden freigegeben, doch seine physische Kraft war gebrochen; nachdem er abermals, im Jahre 1859, seine Heimat aufgesucht, starb er am 10. März (26. Februar) 1861. Bei Kaniew am Dnjepr wurden seine Gebeine beigesetzt, mitten in der weiten Steppe seiner Ukraine, wie er es gewünscht, ein neuer Grabhügel, der sich an die vielen andern des ukrainischen Landes reiht, in denen die ruhmreichen Söhne des kleinrussischen Volkes schlummern. Und zu ihnen gehört Schewtschenko wie kein andrer. Für sein Volk ist er der Sänger, der Genosse seiner Leiden, der Tröster und Führer; für die Weltlitteratur ist er eine der eigenartigsten und anziehendsten Dichtergestalten.
In Schewtschenkos Liedern liegt die Seele des kleinrussischen Landes und des kleinrussischen Volkes. Und diese Seele spricht in ihnen frei und ungekünstelt, in der schlichten, herzlichen Sprache des Naturkindes, und doch voll tiefer, zartester Empfindung und Poesie, voll der melancholisch süßen Innigkeit des slavischen Volksliedes. Ja, Schewtschenkos Poesie ist echte Volkspoesie. Und das ist das Große und Seltene an Schewtschenko. Seine Dumki sind nicht Gedichte, welche der Dichter in kluger Erkenntnis des Volkes dessen Verständnis angepaßt hat, es sind Lieder, die, aus dem Herzen des Volkes geflossen, mit urkräftiger Gewalt wieder zum Herzen des Volkes gehen. »Die Poesie Schewtschenkos«, so sagt sein Freund und Gefährte Kostomarow, »ist die Poesie des ganzen Volkes, doch nicht nur die, welche schon das Volk selbst in seinen namenlosen Schöpfungen, den Volksliedern und Dumen gesungen hat, es ist die Poesie, welche das Volk selbst würde anstimmen müssen, wenn es mit selbständiger Schöpferkraft ununterbrochen nach seinen ersten Liedern fortfahren wollte zu singen; oder vielmehr, es war die Poesie, welche das Volk wirklich angestimmt hat durch den Mund seines Auserwählten, seiner wahrhaft leitenden Persönlichkeit.« Wohl sang auch Schewtschenko wie die anderen ukrainischen Romantiker von dem Ruhme der Vorzeit, den Kämpfen der freien Kosaken, den blutigen Bauernaufständen der Haidamaken, wohl träumte auch er über den Grabhügeln der Ahnen und lauschte dem Winde, der bald sanft, bald in wildem Brausen sein düsteres Lied durch die Steppe singt, doch über dem Versenken in die Vergangenheit verlor er nicht den Blick für das Leben der Gegenwart, und das traurige Geschick der Volksgenossen um ihn wirkte nicht minder auf seinen Geist und auf sein Gemüt als die Erinnerung der glanzvollen, in verschönendem Lichte gesehenen Tage der alten Kosakenherrlichkeit. Und dem Volke, mit dem er verwachsen bis in die innersten Fasern seines Wesens, dem allein er angehören wollte, ihm hat er sein ganzes Lebenswerk gewidmet, ihm hat er sein Glück, ihm hat er das höchste der Güter, die Freiheit zum Opfer gebracht. Sein Ideal, das in voller Schärfe und Klarheit aus seinen Liedern leuchtet, war ein freies kleinrussisches Volk, edel an Herz und Geist. Die Verwirklichung dieses Ideals erhoffte er von der Durchführung des panslavistischen Gedankens, doch, wohl verstanden, nicht jenes Panslavismus, den russische Regierungskreise zum willkommenen Vorwand einer Raub- und Eroberungspolitik auszubeuten sich bemühen, nein, frei und brüderlich sollen alle Slaven sich vereinen, »Söhne der Sonne Gerechtigkeit«.
Diese Ideen waren es, welche auch jener Verein ukrainischer Patrioten, die »Brüderschaft des heiligen Kirill und Method«, verfolgte, deren hervorragendste Mitglieder neben Schewtschenko Kostomarow und Kulisch waren. Auch sie fielen im Jahre 1847 der Verfolgung der russischen Regierung zum Opfer und erlitten eine mehrjährige Unterbrechung ihrer Thätigkeit, so daß durch jene Gewaltmaßregel die kleinrussische Litteratur etwa ein Jahrzehnt lang lahm gelegt war. Kostomarow (1817 bis 1885) hat sich, außer einigen geschichtlichen Dramen und Gedichten, hauptsächlich durch seine Arbeiten auf dem Gebiete der Geschichte und Ethnologie, mit denen er eingehende Studien der Volkspoesie verband, um die kleinrussische Litteratur und die nationale Sache hervorragende Verdienste erworben. Ein großer Teil seiner historischen Werke ist zwar in russischer Sprache erschienen, aber die überwiegende Mehrzahl behandelt doch rein kleinrussische Stoffe.
Ein buntes, wechselvolles Bild bietet die Thätigkeit Panko Kulischs. Im Jahre 1819 geboren, lebte er bis 1897, und in seinem langen Leben hat er sich auf allen Gebieten der Litteratur versucht und immer mit reichem Erfolge. Doch seine Vielseitigkeit hat eine starke Schattenseite: sie erstreckte sich auch auf seine Anschauungen und Überzeugungen. Ursprünglich als Freund Schewtschenkos und Kostomarows zum Kreise der Brüderschaft Kirill und Method gehörig, hat er später, obwohl selbst Nachkomme eines alten Kosakengeschlechtes, den Ruhm der Kosaken in mehreren historischen und belletristischen Werken heftig angegriffen und die ganze Kosakenromantik zu vernichten getrachtet. Er that das jedoch aus Liebe zum gemeinen Volke, das von den Kosaken auch nicht wenig zu leiden hatte. Kulisch war kein streng objektiver Historiker, kein umsichtiger Politiker, doch blieb er bei allem bis zu seinem Tode ein treuer Sohn der Ukraine. Ein Meister der kleinrussischen Sprache, veröffentlichte er in derselben seinen besten historischen Roman aus dem 17. Jahrhundert »Der schwarze Rat«, sodann kleinere Erzählungen, Dramen, lyrische und epische Dichtungen, übersetzte viele Werke von Shakespeare, Byron u. a.
Nachdem die Verfolgung der Mitglieder der Brüderschaft Kirill und Method nachgelassen, und nachdem der Krimkrieg in ganz Rußland eine Umwälzung der Gesinnungen hervorgerufen hatte, die zur Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahre 1861 führte, trat ein neuer Aufschwung der kleinrussischen Bewegung ein, man gründete Sonntagsschulen und gab Volksbücher heraus. Großen Eindruck machten durch die Tiefe des Gefühls und Lebendigkeit der Darstellung die Erzählungen aus dem Volksleben von Marko Wowtschok (Opanas Markowitsch), welche vornehmlich das leidenvolle Dasein der leibeigenen Bauern schilderten. Einige von diesen Erzählungen übersetzte Turgenjew, der ja auch in seinen eigenen Werken für die Befreiung der Bauern kämpfte, in die großrussische Sprache. Des weiteren traten in dieser Zeit hervor die Erzähler Danilo Mordowetz (geboren 1830), Hanna Barwinok, die Gattin Panko Kulischs, Alexander Storoshenko, dessen Werke sich durch feine Psychologie und fröhlichen volkstümlichen Humor auszeichnen, der Fabeldichter Hlibow, Rudanski u. a.
Die ungehemmte Entwickelung der kleinrussischen Litteratur sollte jedoch nur ein kurzer Sonnenblick bleiben, denn gerade als die Aufhebung der Leibeigenschaft neue Hoffnungen erweckte, und als die neuen Verhältnisse viel eifrige und ungestörte Arbeit erforderlich machten, damit diese liberale That auch wirklich dem Volke Nutzen bringe, da huben von neuem die Verfolgungen wie der Polen so auch der Kleinrussen an, welche von Jahr zu Jahr immer schärfer wurden. 1863 wurden die Kiewer Sonntagsschulen aufgehoben, der Gebrauch der kleinrussischen Sprache in den Volksschulen wurde verboten, und im Jahre 1876 wurde durch kaiserlichen Ukas kurz und bündig verkündet: »Im ganzen Reiche ist der Druck von Werken in kleinrussischer Sprache, seien es eigene oder übersetzte, verboten!« Die wenigen Ausnahmen, welche zugelassen werden sollten, sind gänzlich belanglos. So wurde die kleinrussische Litteratur in der Heimat, der Ukraine, völlig obdachlos gemacht. Sie flüchtete sich nun hinüber nach dem österreichischen Galizien und der Bukowina, wo, wie wir weiter unten sehen werden, auch schon unter den Ruthenen im Anschluß an die ukrainische Bewegung eine junge kleinrussische Litteratur sich heranbildete. Natürlich konnte von einem über Äußerlichkeiten hinausgehenden Erfolge jener harten Maßregel keine Rede sein, und in den achtziger Jahren griff denn auch in der russischen Regierung eine mildere Stimmung Platz, so daß wenigstens kleinrussische Theater geduldet wurden. Aber auch heutzutage, da das Erscheinen belletristischer Werke in kleinrussischer Sprache gestattet ist, unterliegt diese Litteratur in Rußland noch einer strengeren Zensur als die russische selbst. So kommt es denn, daß die kleinrussische litterarische Bewegung noch jetzt ihr eigentliches Zentrum in den österreichischen Gebietsteilen hat. Die führenden Geister der ukrainischen Litteratur in den siebziger und achtziger Jahren sind Lewytzki-Netschuj, Konyski, Myrnyj und Schtschoholew. Iwan Lewytzki-Netschuj, geboren 1838, ist einer der beliebtesten Erzähler der kleinrussischen Litteratur. Er führt in alle Schichten der Gesellschaft, läßt die verschiedensten Typen seines Volkes ihr Wesen zeigen; wir sehen den Bauer in seiner armseligen Hütte, den Arbeiter in der Fabrik, wir lernen die Kreise der Gebildeten kennen, die Ideen, welche sie bewegen. Bald sind es Bilder voll tiefer Tragik, bald leicht und fröhlich hingeworfene Skizzen. Und auch der Tradition brachte Lewytzki seinen Tribut, indem er in seinen »Saporogern« wieder die alten romantischen Zeiten erstehen ließ. In derselben Richtung bewegen sich auch die Werke des äußerst rührigen Alexander Konyski (1836—1900). Eine schärfere Betonung der sozialen Momente, kraftvollen Protest gegen alle Bedrücker des Volkes finden wir in den Erzählungen von Panas Myrnyj, welcher mit Vorliebe das in Mühsal und Not sich dahinschleppende Bauernvolk mit seinem wilden, ohnmächtigen Grimm gegen die Herren zum Gegenstand seiner lebensvollen, psychologisch scharfen und treuen Schilderung wählt. Dazwischen tönen die Lieder Jakob Schtschoholews, welcher zunächst noch ganz nach seinen Jugendeindrücken und im Sinne der älteren romantischen Schule dichtete. Im Jahre 1824 geboren, lernte er während seiner Studentenzeit in Charkow noch Männer wie Artemowski-Hulak, Metlynski, Kostomarow kennen; er widmete sich nach Beendigung seiner Studien dem juristischen Dienste, welcher ihn zwar viel mit dem Volke in enge Berührung brachte, aber auch viele Jahre hindurch seine ganze Zeit und Kraft in Anspruch nahm. Nach einigen jugendlichen Anfängen beginnt seine dichterische Thätigkeit wieder nach langem Schweigen gegen Ende der siebziger Jahre und setzt sich bis in das letzte Jahrzehnt fort. In seinen späteren Dichtungen wendet er, dem Geiste der Zeit folgend, seinen Blick dem Leben und den Bedürfnissen des Volkes in der Gegenwart zu und verleiht ihnen ein mehr soziales Gepräge. Noch kurz vor seinem Tode, zu Beginn des Jahres 1897, gab Schtschoholew seine letzte Gedichtsammlung heraus.
Höher als bei anderen slavischen Völkern hat sich bei den Kleinrussen das Volksdrama entwickelt; gehört doch schon zu den ersten Äußerungen des kleinrussischen litterarischen Lebens das gefeierte Drama Kotlarewskis »Natalka Poltawka« und ist doch das Theater im russischen Gebiete das freiste Mittel für den ukrainischen Dichter, zu seinem Volke zu sprechen. Mit besonderem Erfolge bethätigt sich auf diesem Gebiete IwanTobylewitsch (Karpenko-Karyj, geboren 1845), welcher in seinen Dramen, zuweilen mit volkstümlichem Humor, treffliche realistische Bilder der sozialen Zustände seiner Heimat entwirft. Nach ihm sind ferner zu nennen M. Kropywnytzki, Starytzki, Myrnyj.
Wie bereits kurz angedeutet, blieb die in der Ukraine beginnende rege litterarische Bewegung der kleinrussischen Nation nicht auf das russische Gebiet beschränkt, sie riß auch die unter etwas anderen Verhältnissen lebenden Stammesgenossen in Galizien und der Bukowina mit sich fort. Den ersten Anstoß zu einer nationalen kleinrussischen Litteratur gab hier im Verein mit einigen Freunden der Geistliche Markian Schaschkewitsch