Kleinstadt des Verbrechens - Frankfurt - Stefan Behr - E-Book

Kleinstadt des Verbrechens - Frankfurt E-Book

Stefan Behr

0,0

Beschreibung

Kuriose kleine Kriminelle! Vor Frankfurter Gerichten werden häufig große Strafverfahren verhandelt. Stichworte: Baulöwe Schneider, Kindsmörder Gäfgen oder auch die Toten im Westend-Edelbordell. Neben diesen großen Prozessen bietet die Metropole am Main allerdings auch ein vielfältiges Panorama kleiner Vergehen, die Bizarres, Merkwürdiges, Banales und oftmals gar Heiteres umfassen. Glück, Trauer, Wahnsinn und Elend des Alltags begegnen darin in unvermuteten Alliancen, die nur das Leben selbst zu bieten vermag. Als langjähriger Gerichtsreporter der Frankfurter Rundschau ist Stefan Behr tagtäglich und hautnah mit den eher unscheinbaren Fällen in der Frankfurter Unterwelt vertraut. Folgen Sie ihm in eine Welt voller unglaublicher Geschichten. In eine Welt, in der 84-jährige Bankräuber sich und anderen beweisen, dass sie im Altersheim völlig falsch aufgehoben sind.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 137

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Stefan Behr
Kleinstadt des Verbrechens
Frankfurt
Alle Rechte vorbehalten • Societäts-Verlag
© 2015 Frankfurter Societäts-Medien GmbH
Satz: Julia Desch, Societäts-Verlag
Umschlaggestaltung: Julia Desch, Societäts-Verlag
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
ISBN 978-3-95542-208-0

Inhalt

Vorwort
Aura macht Aua
Islam, Sport & Kochen
Tommi und Dani bekommen aufs Maul
Horst wird noch gebraucht
Die Geschichte des A.
Der Anwalt der Prinzessin
Siegreich ist der General
Pflegestufe IV
Uff Frankfodderisch
Ganovenehre
Härtere Gangart
Beklopft & behämmert
Meister Eder und sein Pumuckl
Alles für die Katz
Herr M. wird laut
Von Musen & Mäusen
Wenn der Chabo mit dem Notz dratst
Sport ist Diebstahl
Der Hamster des Ibykus
Der Revisor
Der Dämon
Benzin im Blut
Weißer Schimmel
Der Zorn des Khan
Zehn Freunde
Die Nacht des Jägers
Feuerteufelchen
Tramhochzeit
Hallo TÜ-Wagen
Via Mala
Fiat iustitia
Über allen Wipfeln ist Dürre
Überrolldrama
Mecki Messer
Abortkombi & Fitch
Busentführer der Herzen
Nicht ohne meine Tochter
U-Bahn nach Auschwitz
Denkpause
Der getürkte Tod
Urteil mild wie Becher leer
Daniel der Held
Falsche Pfade zum rechten Weg
Hurensohn raus, Troglodyte rein!
Herr Specht singt

Vorwort

Bei Gericht ist es mitunter zutiefst grausig. Meist allerdings ganz lustig. In seltenen Momenten gehen Grauen und Komik Hand in Hand. Das sind die großen Momente, in denen Sätze für die Ewigkeit entstehen. Als Beispiel sei der Vorsitzende Richter am Frankfurter Landgericht genannt, der den Prozess gegen den „Kannibalen von Rotenburg“ führte. Der Menschenfresser hatte einen anderen Mann, den er auf einer Fetisch-Plattform im Internet kennengelernt hatte, mit dessen Einverständnis getötet und verspeist. Die Tat war auf Video dokumentiert, es war wohl einer der für das Publikum nervenzerfetzendsten Fälle, die das Landgericht je verhandelt hat. Aber den Richter, einen harten Hund der alten Schule, packte dennoch mitten in der Beweisaufnahme wohl ein leichtes Hungergefühl, und mit Blick auf die Armbanduhr sprach er den legendären Satz: „Wir machen jetzt noch weiter bis zur Penisamputation – und dann machen wir Mittag.“
Der Schrecken des Kannibalen hat sich längst verflüchtigt. Der Satz aber schwebt nach wie vor in singulärer Schönheit durch die Flure der Frankfurter Justiz und ersetzt zuweilen das landläufige „Mahlzeit“.
In einer ähnlichen Liga kickt wohl auch die resolute Gerichtsdienerin, die in einem Mordprozess gegen ein Mitglied des Rockerclubs Hells Angels die Saiten ultrahart aufzog. Der Rocker hatte einen Türsteher, der ihn nicht in die Disco reinlassen wollte, erstochen. Doch auch große starke Rocker müssen mal für kleine Jungs, und als den Angeklagten während einer Verhandlungspause das menschliche Bedürfnis überkam, wurde er mit Handschellen von zwei Justizwachtmeistern zum Abort eskortiert – und fand dessen Tür wegen Renovierung verschlossen. Der Gang zur nächsthöheren Instanz wurde dem Bedürftigen durch die Gerichtsdienerin verwehrt. Den Einwand der Wachtmeister, dass der arme Kerl nun mal dringend müsse, konterte sie mit dem Argument: „Das hätte er sich überlegen sollen, bevor er einen absticht.“ Erneut war eine goldene Regel der Frankfurter Justiz geboren.
Mehr frommer Wunsch als gängige Praxis hingegen ist die „Lex Otto“, die gerichtsprotokolierte Aussage eines zitatesprudelnden Greises, der auf Seite 59 noch einmal sein Unwesen treiben wird. Der stand mit mehr als 80 Lenzen auf dem Buckel einmal mehr vor dem Kadi, weil er einen anderen Mann beleidigt und mit nur einem Fausthieb zu Boden gestreckt hatte, der sich darüber echauffiert hatte, dass der Rentner mit seinem Cadillac falschrum die Einbahnstraße entlanggefahren war. Den Faustschlag bedaure er, beteuerte er auf der Anklagebank, nicht aber die Beleidigung. „Herr Richter, es muss in einem Rechtsstaat doch möglich sein, ein Arschloch ein Arschloch zu nennen!“, rief Otto ins Leere, denn der Richter beschied ihm, dass dem nicht so sei und verurteilte ihn wegen Körperverletzung und Beleidigung. Der Legende tat das keinen Abbruch.
Ebenso ungewollt unsterblich wurde das eigentlich bedauernswerte Opfer einer besonders skurrilen Körperverletzung. Seine eher zierliche Ehefrau hatte den stattlichen Kerbeburschen, Feuerwehrmann und Modelleisenbahner über Monate gequält, indem sie ihm Sinnsprüche und Verhaltensempfehlungen mit einer Heißklebepistole auf den Leib tätowiert hatte. Der Richter, dem solcherlei Rituale eher befremdlich erschienen, konnte es kaum fassen. Warum er sich denn nicht gewehrt habe, wollte er von dem Opfer und Zeugen wissen. „Weil sie mich dann noch mehr gequält hätte“, lautete die Antwort des Mannes. Aber er sei doch ein großer, starker Mann, er hätte doch etwas tun können und müssen. Habe er ja auch, sagte der Mann – „ich habe in mein Kissen geweint“. Um dann noch einmal den Lauf der Dinge aus seiner ganz persönlichen Weltsicht heraus zusammenzufassen: „Normal ist es ja, dass der Mann die Frau schlägt. Bei uns war‘s eben annersrum.“
Natürlich ist es nicht komisch, wenn Männer Frauen schlagen, genausowenig wie umgekehrt. Aber mit dem Gerichtsprozess verhält es sich ähnlich wie mit David-Lynch-Filmen: Sie zeigen uns, dass hinter der bürgerlichen Fassade das Grauen steckt. Manchmal in schockierend realistischer, oft aber auch in dermaßen überzeichneter Form, dass es schon wieder Laune machen kann. Dieses Buch soll kein repräsentativer Querschnitt von mehr als einem Jahrzehnt Berichterstattung aus den Frankfurter Gerichtssälen sein. Es sind die kleinen Prozesse, die es vielleicht gerade mal in die Tageszeitung schaffen, aber eine Woche später aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht sind, die einem als Chronisten am meisten im Gedächtnis haften bleiben. Und sie sind es auch, die tägliche Arbeit dominieren. Mord und Totschlag sind auch in Frankfurt die Ausnahme. In Wirtschaftsstrafsachen, das muss der Neid uns lassen, hat diese Stadt die Nase weit vorn. Aber das ist zumeist eine furztrockene Materie.
Frankfurt wird oft „Hauptstadt des Verbrechens“, eine Bezeichnung, die genauso falsch und doof ist wie der Titel „Main-Metropole“. Frankfurt liegt zwar am Main, wer aber eine Metropole will, am Ende noch eine Verbrechens-Metropole, der soll gefälligst nach New York oder Moskau fliegen. Frankfurt ist ein groß gewordenes Konglomerat aus von Stadtluft angezogenen hessischen Landeiern und Bankern, die es nicht ganz bis nach London geschafft haben, aber solvent genug sind, den Mietspiegel zu versauen. Kurz gesagt: Der ideale Humus aus Spießbürgerlichkeit, Großmannsgetue und aus Not geborener Prekariatskriminalität, in dem Fälle wie die folgenden prächtig gedeihen können.
Wobei nicht das Geringste gegen Frankfurt gesagt sein soll. Man kann dem ruppigen Charme und der Bauernschläue dieser Stadt durchaus verfallen und sie lieben lernen. Und nirgendwo ist der Job eines Gerichtsreporters so interessant und facettenreich wie in diesem beschaulichen Mainstädtchen. Und das sagt einer, der aus Offenbach kommt!

Aura macht Aua

Die Staatsanwaltschaft sieht das so: Im Oktober 2012 klaute die Historikerin im Sachsenhäuser Bio-Supermarkt wie ein Rabe – Kosmetika, Duftspray, Dinkelstollen, Granatapfelsaft und biodynamisches Allerlei im Gesamtwert von 313 Euro und 98 Cent. Als die Verkäuferin sie festhalten wollte, haute sie ihr auf den Arm. Diebstahl mit Körperverletzung könnte man das nennen, und die Staatsanwaltschaft tut ebendieses. Aber wer glaubt, Ladendiebstahl sei dermaßen profan, der kennt die Historikerin schlecht.
Die Historikerin trägt vor dem Amtsgericht ein Kostüm mit Spitzenkragen und einen Doppelnamen. „Heute ist der schwärzeste Tag in meinem Leben“, sagt die 62-Jährige, aber der damals im Oktober 2012 war auch nicht sonderlich helle. Jetzt muss man wissen, dass die Historikerin nicht immer Historikerin war. Früher nämlich war die nach eigenen Angaben studierte Soziologin und Diplomdesignerin mal Kommunikationsberaterin. So habe sie etwa irgendwann mal den „europaweit größten Zuckerhersteller“ beraten – seit dieser leidvollen Erfahrung habe sie Süßes aus ihrem Speiseplan gestrichen und kaufe nur noch in Bio-Supermärkten, „man kriegt ja sonst keine Frischware mehr“. Sie habe aber auch die Deutsche Bahn mal kommunikationsberaten und anschließend ihr Auto abgeschafft.
Jedenfalls beschloss die Historikerin vor nunmehr 13 Jahren, „das Vermächtnis meines Vaters zu erfüllen“ und Historikerin zu werden. Was zumindest monetär kein Thema gewesen sei, da sie früher so klotzig verdient habe, dass sie heute von 3.000 Euro Zinsen im Monat leben könne. Seitdem laboriere sie an ihrer Dissertation, aber am Abend vor dem Vorfall, da sei ihr der Computer abgestürzt. Der Doktor futsch, das Vermächtnis perdu, da könne man schon mal hibbelig im Geiste werden.
Zudem, sagt die Historikerin, arbeitete sie nebenher „seit Jahren ehrenamtlich mit Senioren und Jugendlichen“. Zu dieser Arbeit zählt offenkundig auch Vergnügen, denn in jenem düsteren Oktober habe sie mit ihrer Klientel eine Halloween-Party feiern wollen, „da hatte ich auch schon die Choreografie im Kopf“. Also habe sie in ihrem Heimatstadtteil Bockenheim alles gekauft, was man für eine zünftige Halloween-Party braucht, etwa Augencreme und Bio-Dinkelstollen. Später, in Sachsenhausen, sei ihr dann siedend heiß eingefallen, dass sie die Bio-Kekse vergessen habe, und da sei sie eben noch mal fix in den Bio-Supermarkt gehüpft. Und ja, es könne sein, dass sie die Kekse im Eifer des Gefechts in ihre Tasche gesteckt habe, zu den anderen Käufen, die sie aber zuvor ordnungsgemäß in Bockenheim erworben habe.
Und dann sei da diese Verkäuferin gekommen „und in meine Körperebene getreten“. Und wie das mit Ebenen so ist: Schnell sei die Situation von der „Sprachebene“ auf die „Körperaffektebene“ gewechselt, und da habe sie die Verkäuferin vielleicht mal ganz leicht am Arm gestreift. Denn eigentlich sei sie strikt gegen Gewalt und eine überzeugte Anhängerin radikalpazifistischer Thesen: „Ich habe meinen Klienten sogar immer gewaltfreie Kommunikation empfohlen.“ Und überhaupt sei sie erfüllt von einer „Grundehrlichkeit“, manchmal vielleicht getrübt durch „geistigen Hochmut und eine gewisse innere Arroganz“, die sich „aus meiner Intellektualität“ generiere und so weiter und so fort.
Das ist, in Kurzform, die Geschichte der Historikerin. Die der Verkäuferin geht so: „Die Kundin war komisch.“ Und hat geklaut wie ein Rabe. Das Amtsgericht folgt eher der Version der Verkäuferin. Die Historikerin wird zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 100 Euro verurteilt. Sie werde „das Urteil innerlich akzeptieren“, hatte die Historikerin schon zu Prozessbeginn dem Gericht versprochen. Am Ende tut sie es auch äußerlich, was heißt, dass sie das Urteil auf allen Ebenen akzeptiert. Jedenfalls wird es ihr nicht langweilig werden, denn jetzt hat sie wieder Zeit für ihre Dissertation, die nach dem Computerabsturz und dem anderen Trubel doch etwas auf Eis lag, und dann klappt es vielleicht doch noch mit dem Vermächtnis. Und außerdem ist ja bald wieder Halloween.

Islam, Sport & Kochen

Am 13. Februar 2012 kam Keramat G. seinem himmlischen Vater näher als geplant. Der 26-Jährige mixte in seiner Höchster Studentenbude zusammen, was man so für den Heiligen Krieg alles braucht: Feuerwerkskörper, Leuchtkugeln, in Handarbeit abgerubbelte Zündköpfe Tausender Streichhölzer.
Leider ließ Keramat G. dabei die gottgefällige Sorgfalt vermissen, zu der selbst die Macher des Internet-Artikels „Make a bomb in the kitchen of your mom“ („Bastele eine Bombe in Mamas Küche“) ausdrücklich raten. Er mischte den Sprengstoff im Küchenmixer, der Sprengstoff tat das, wozu Sprengstoffe im Küchenmixer neigen. Keramat G.s Zimmerdecke – das Landeskriminalamt hat nachgemessen – lupfte sich um stolze fünf Zentimeter, und G. landete mit schweren Verbrennungen an Gesicht und Händen im Krankenhaus.
Damit ist der ehemalige Maschinenbau-Student beinahe staatlich anerkannter Dschihadist. Für den letzten Schliff könnte das Landgericht sorgen, vor dem sich Keramat G. jetzt wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verantworten muss. Da ist er selbst dran schuld.
Denn in seiner ersten Vernehmung, noch auf der Intensivstation, da hatte Keramat G. den Beamten noch erklärt, dass er sich im Heiligen Krieg befände. Weil er sich ärgere, dass über Muslime so schlecht und bösartig in den Medien berichtet werde, dass jeder gläubige Muslim – und das sei er, inschallah – mit Bombenbastlern in einen Topf geworfen werde. Gegen solche Denke habe er ein Zeichen setzen wollen, und zwar ein unüberhörbares.
Heute klingt sein Motiv nicht unbedingt logischer. Nur anders. Keramat G.s Verteidiger – er hat dero drei – pochen darauf, dass das unter folterähnlichen Bedingungen abgepresste Geständnis nicht verwendet werden dürfe. Schließlich sei der Schwerverletzte viereinhalb Stunden vernommen worden. „Sehr streng“ seien die Beamten gewesen, erinnert sich der Angeklagte, er habe sich „vorverurteilt“ gefühlt und sei „mit der Gesamtsituation“ unzufrieden gewesen.
In Wahrheit habe er sich zwar schon über die Berichterstattung der Medien geärgert. Und vor lauter Ärger mal ins „Inspire“, das interessante Internetmagazin der Al-Kaida, reingeschaut und das dorten gefundene Bombenrezept nachgekocht. „Aus Interesse an Tischfeuerwerk“, wie einer seiner drei Anwälte sagt. Es muss ein großes Interesse gewesen sein, denn Keramat G. kaufte nicht nur Feuerwerkskörper und fuderweise Streichhölzer, sondern auch Wecker, Lichterketten, L-Rohre und eine Bohrmaschine. Es handelte sich aber auch um großes Tischfeuerwerk, laut Gebrauchsanweisung dazu geeignet, „mindestens zehn Menschen zu töten“. Er habe sich lediglich am interessanten Farbenspiel der explodierenden Streichhölzer ergötzen wollen, sagt Keramat G., der sich wie viele seiner Kollegen im Internet in recht kurzer Zeit selbst radikalisiert haben will.
Schuld sei sein Vater, ein Afghane alter Schule, „so gesellschaftlich kulturmäßig und so“, das absolute Oberhaupt der Familie. Sein Vater sei nie zufrieden mit ihm gewesen. Habe ihm immer gesagt, dass er nichts könne, dass andere in seinem Alter schon Geld verdienten oder Kinder zeugten. Da habe er sich was gesucht, „wo die nicht gut sind und wo ich gut sein kann“.
Im Internet habe er sich daraufhin mit den Themen „Islam, Sport und Kochen“ beschäftigt. Sport und Kochen waren wohl nicht so dolle. Der Islam manchmal auch nicht: Die Schriften salafistischer Hetzprediger, die die Polizei auf seinem Computer fand, habe er nur gespeichert, weil er „Bücher so sehr liebe“ – und „Nathan der Weise“ möglicherweise als kostenloser Download gerade nicht zur Verfügung stand.
Er habe seinem Vater, der sein Geld ehrlich verdiene – „mit Internet-Café, Mineralien und Schmuck und so“ – beweisen wollen, dass er auch etwas auf die Reihe bekommen könne, sagt der Sohn. Hat nicht wirklich funktioniert.
Der Vater erzählt im Zeugenstand selbst von seinem Sohn, der ihn schon als kleines Kind oft in den Veitstanz getrieben habe, weil er immer alles hätte reparieren wollen – und alles immer kaputt gemacht habe. Deshalb habe er ihn zum Maschinenbaustudium gedrängt. Vielleicht, überlegt der Vater, sei das falsch gewesen.
Kurz nach der Tat hatte der Vater den Sohn noch in der Klinik überzeugt, bei der Polizei auszusagen. Er reiste ihm nach Pakistan hinterher, wohin Keramat G. nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus ungehindert entflohen war, und überredete ihn zur Rückkehr. Und er hat seinen Sohn, der ihm in jüngster Zeit mehr als nur Kummer bereitet hat, nie aufgegeben. „Ich möchte, dass wir wieder eine glückliche Familie werden können.“ Seinen Sohn, sagt er, wolle er nicht mehr unter solchen Erfolgsdruck setzen.
Die Zeit heilt manche Wunden. Keramat G.s Gesicht hat sich wieder erholt, nur seine vernarbten Hände tragen noch deutliche Spuren der Explosion. Bei anderen Dingen vermag die Zeit nicht zu helfen. „Dilettantismus zieht sich wie ein roter Faden durch sein ganzes Leben“, sagte selbst der Anwalt im Plädoyer. Ob er denn als Maschinenbau-Student nicht wisse, dass Reibung Wärme erzeugt, will der Richter vom Angeklagten wissen. Der zuckt ratlos mit den Achseln.
„Die Sache hatte gar nichts mit Religion zu tun. Und ich bin kein Terrorist.“ Die letzten Worte des Angeklagten verhallen eher ungehört. Das Landgericht verurteilt ihn wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und fahrlässiger Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Das Gericht mag der Version vom tollpatschigen, neugierigen Bastler nicht folgen. G. habe sich im Internet „mit der Geschwindigkeit einer Zündschnur radikalisiert“.
Keramat G. weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass der Bundesgerichtshof wenige Wochen später das Urteil des Landgerichts zumindest in Teilen kassieren wird. Das Gericht hätte besser klären müssen, ob der Angeklagte beim Bombenbau überhaupt schon fest zu einem Attentat entschlossen gewesen sei, wird der BGH rügen. Nur dann könne er wegen der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ verurteilt werden.
Und so schafft Keramat G., der das Pulver nun mit Sicherheit nicht erfunden hat, doch noch etwas, was nun wirklich nicht jedem gelingt: Er wird zum Präzedenzfall. Ob das den Vater allerdings endlich einmal mit Stolz erfüllt, darf bezweifelt werden. Aber es wäre verfrüht, die Flinte ins Korn zu schmeißen. Immerhin hat Keramat G. noch vier Geschwister.

Tommi und Dani bekommen aufs Maul

Der Tommi und der Dani müssen in den Knast. Der eine für vier, der andere für zwei Tage. Weil sie dem Bülent in der Schule mal ganz kurz 6.850 Euro geklaut, ihn in den Schwitzkasten genommen und „zwei Fäuste gegeben“ haben. Der Tommi war da gerade mal 18, der Dani gerade mal nicht, darum Jugendgericht und Jugendstrafrecht und Jugendarrest und so.
Der Tommi und der Dani sind arm wie die Kirchenmäuse. Die Mutter vom Tommi erst recht. So arm, dass der Tommi auf der Anklagebank weinen muss, wenn er nur daran denkt. Der Bülent hingegen habe auf dem Pausenhof immer mit dicken Geldbündeln geprahlt. Dabei habe in dem Frankfurter Gymnasium, wo der Dani und der Bülent mal gemeinsam die Schulbank drückten, jeder gewusst, dass die Kohle von Drogendeals und Internetbetrügereien komme.