Klima, Corona, Krieg: Ein Epochewandel - Jürgen Dittberner - E-Book

Klima, Corona, Krieg: Ein Epochewandel E-Book

Jürgen Dittberner

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Beschreibung

Jürgen Dittberner betont: Demokratie ist nicht nur Herrschaft der Mehrheit, sondern auch Chance zum Machtwechsel. Demokratie ist stets gefährdet, in Populismus, Clanherrschaft, religiösen Terror oder in unendliches Rechthabepalaver umzuschlagen. Darüber hinaus versuchen einmal an die Macht gekommene Personen häufig, ihre Abgänge zu vermeiden. Beispiele aus den USA und aus Deutschland belegen das. Deswegen erschien der glatte Wechsel von Angela Merkel zu Olaf Scholz bemerkenswert. Das Ende christdemokratischer Dominanz in Deutschland könnte gekommen sein. Dittberner schildert den langen Abschied Angela Merkels von der Macht und den steinigen Weg von Olaf Scholz zur Ampelkoalition. Diese Koalition trifft auf eine Fülle von Problemen: Nach der Klima- und der Corona-Krise brach der Krieg Russlands gegen die Ukraine aus, und es droht obendrein eine Inflation. Gleichzeitig vollzieht sich ein vielfältiger Wertewandel: Feminismus, Antirassismus sowie Geschlechtervielfalt treten hervor. Außerdem steigt die Bedeutung der Menschenrechte, und die neue Regierung selbst will Rauschgift – wenigstens teilweise – legalisieren. Die meisten Medien favorisieren das alles, aber es wächst auch Widerstand dagegen. Manchmal wird sogar behauptet, es drohe eine Spaltung der Gesellschaft. Dittberner diagnostiziert, dass die Ampelkoalition heterogen ist. Vor allem die Grünen und die FDP vertreten häufig gegensätzliche Positionen. Könnte das zu Fehlschaltungen bei der „Ampel“ führen? Prof. Dr. Jürgen Dittberner wurde 1939 in Berlin geboren und lebt dortselbst. Der Politikwissenschaftler ist langjähriges Mitglied der FDP, war Bezirksverordneter in Wilmersdorf und Charlottenburg, Abgeordneter im Abgeordnetenhaus, Staatssekretär in Berlin und Brandenburg, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten in Oranienburg sowie Professor an der Universität Potsdam. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder sowie vier Enkeltöchter.

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Herrschaftsformen

Demokratie

Demokratie lebt vom Wechsel

Gerechte Wahlen in Deutschland?

Bringt der Diskurs Demokratie und führt Populismus zur Diktatur?

Veränderungen der Welt

Die klassischen Herrschaftsformen

Neue Herrschaftsformen

Clanherrschaft

Religiös verbrämte Terrorherrschaft

Debattenherrschaft

II. Probleme bei den Abgängen

Warum Mächtigen der Abgang oft schwerfällt

Bekannte Schwierigkeiten mit dem Abgang bei Adenauer, Kohl und Schröder

Konrad Adenauer

Helmut Kohl

Gerhard Schröder

Extern bewirkte Wechsel: Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt

Ludwig Erhard

Kurt Georg Kiesinger

Willy Brandt

Helmut Schmidt

Bewerber

Nachfolgerreservoir

USA: Auch sie alle mussten gehen: Carter, Reagan, die Bushs, Clinton, Obama, Trump

Jimmy Carter

Ronald Reagan

George Bush sen.

Bill Clinton

George W. Bush

Barack Obama

Donald Trump

III. Merkel geht

Bleibt sie denn ewig?

Der langsame Abschied

IV. Scholz kommt

Die Kampagne 2021 in Deutschland

Entschuldigung

Hosianna – kreuzigt sie

Der Countdown

Anne Will

Aspiranten

Kanzlerkandidaten 2021

Kampagnenbeginn

Sachsen-Anhalt

Grünen-Parteitag

Vorwahlkampf

Laschet grinst

Straßenwahlkampf

Neues Spiel

SPD vorn: Kandidatenwechsel bei der Union?

TV-Triell

Merkel – Scholz/Laschet – Merz

Das Wahlergebnis

Im Bund

In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern

Verhandlungen

V. Die Ampel

Keine Schonfrist für die Ampel

Mit- und Gegenspieler

Fridays for Future

Energie

Automobilindustrie

NGOs

Beauftragte und Ämter

Die Welt

Die Neue Soziale Frage

„Neue“ Themen

Klima

Feminismus

Rassismus

Menschenrechte

Geschlechtervielfalt

Rauschgift

VI. Parteien

Neuformierung der Union

Die SPD erfindet sich neu

Stühlerücken selbst bei den „Kleinen“

Wandel der Parteien

CDU/CSU („Union“)

SPD

AfD

Grüne

FDP

VII. Corona

Die erste Krise

Corona im Wahlkampf

Holprige Coronapolitik der Ampel

Zentralismus oder Föderalismus?

VIII. Ukraine-Krieg

Russland

Ukraine 2007

Der Angriff

Sanktionen

Flüchtlinge

Vermittlungsversuche

IX. Ein Epochewandel?

„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!“, dachten wohl alle in der Bundesregierung, als der Krieg ausbrach:

Nachwort: Nun auch noch Inflation

Vorwort

In dieser Schrift wird gezeigt, wie unterschiedliche werteformende Kräfte auf Politik wirken.

Einerseits vollzieht sich in Deutschland ein politischer Wechsel. Nach sechzehn Jahren an der Macht gibt eine Kanzlerin auf und überlässt anderen das Feld. Der folgende Wechsel gerät umfassender, als es die Abtretende wohl geahnt hat: Es treten nicht nur neue Personen auf, sondern auch die Einführung eines ganz neuen Wertekanons wird angekündigt. Statt des Bruttosozialproduktes soll das Klima im Mittelpunkt öffentlichen Tuns stehen, und mit dem Klima setzen die Neuen gleich weitere Ziele wie Feminismus und Antirassismus auf die Agenda.

Andererseits werden alle Absichten der Neuen – kaum dass sie ihre Amtsgeschäfte aufgenommen haben – drastisch konterkariert. Nach über siebzig Jahren weitgehenden Friedens in Europa bricht ein großer Krieg mit der Beteiligung mehrerer Staaten aus. Andere Themen als die eigentlich favorisierten drängen nach vorn und verjagen die Absichten der Neuen. Die Themen heißen nun Tod, Flucht, atomare Kriegsführung, Energiesicherheit, Waffen und Sanktionen.

Der Personenwechsel in der Bundesregierung ist vollzogen: „Der Nächste, bitte!“ ist im Amt. Der wollte aufsteigen in die herrlichsten Regionen der Menschheit. Doch er bleibt am Boden kleben. Eine hässliche Realität zwingt zu ganz anderem, zwingt zu Zielen, welche selbst die Vorgänger für überwunden, weil veraltet, hielten.

Ist das noch Demokratie, wenn weder das Volk noch die „Herrschenden“, sondern die Ereignisse bestimmen? Sind Wahlen für die Katz, weil sie eben nicht die Wirklichkeit hervorgebracht haben? Täuschen sich Amtsinhaber überall auf der Welt, wenn sie meinen, sie mitsamt ihren Abgängen seien wichtig? Täuschen sich die möglichen Nachfolger, weil es auf sie häufig gar nicht ankommt?

Die Demokratie bekommt Konkurrenz. Neue Herrschaftsformen tauchen auf und erwecken den Anschein, sie seien effizient. Doch sind sie es

Alle starren beim Wahlkampf auf eine Kampagne. Das Verhalten der sich bedeutsam gebenden Spieler wird genau beschrieben, doch wenige denken darüber nach, ob das überhaupt relevant ist. Kommt schließlich ein Wechsel, dann heißt es: „Der Nächste, bitte!“ Eben noch Kämpfende kommen in Amt und Würden. Sie raufen sich zusammen, diese Sozialen, Ökologischen und Liberalen. Viele Innovationen aus dem, was „Zivilgesellschaft“ genannt wird, werden aufgegriffen und zum Regierungsprogramm promoviert.

Doch plötzlich ist alles Makulatur. Das Land steht blank da: Unklarheit bei der Energie, weniger Sicherheit, schlechte Beziehungen zu einstigen Verbündeten, dafür scheinbar immer besser werdende zu einstigen Gegnern und Unverständnis für eine aufstrebende Weltmacht in Fernen Osten. Dadurch stehen die gestern Hochgelobten und nun Abgelösten da und müssen erkennen, dass sie vieles verhökert und das Land fast ruiniert haben.

Kann man so etwas analysieren? Das ist schwer möglich: Man kann es aber erahnen und das Erahnte beschreiben, so gut es geht. Immerhin. So ist dieses Buch mindestens eine erste Anmerkung zu einem gewaltigen Umbruch, einem beabsichtigten Paradigmenwechsel auf der einen und erzwungener Einsicht in die Realität auf der anderen Seite. Es ist eine Deskription eines politischen Epochewandels.

Darüber wird noch viel geforscht und Kluges gesagt werden. Wann die Geschichte ein Urteil fällen wird, ist offen.

Meiner lieben Frau Elke Dittberner danke ich für die wertvolle Hilfe. Auch Frau Malisa Mahler und dem ibidem-Verlag gilt mein Dank.

 

Berlin 2022, Jürgen Dittberner

 

I. Herrschaftsformen

 

Demokratie

Wenn die Bürger eines Gemeinwesens an dessen Machtausübung beteiligt werden, nennt man das „Demokratie“. Demokratie ist nicht nur die Entscheidung durch Mehrheit, sie ist auch Freiheit und Toleranz der Minderheiten, Vielfalt, Recht auf Irrtum, zielgerichtete Debatte, Rechtsstaatlichkeit, Macht nur auf Zeit. Sie ist Bewegung und permanente Veränderung.

Es gibt viele Arten der Demokratie: von der Teilnahme aller an sämtlichen Entscheidungsprozessen („plebiszitäre Demokratie“) bis zur gezielten Beteiligung auserwählter Gruppen an Einzelentscheidungen („gezielte Demokratie“).

Mittlerweile wird in vielen Gegenden der Welt eine gesetzlich geregelte repräsentative Demokratie praktiziert. Diese Spielarten der Demokratie sind Idealtypen, zwischen denen es in der Realität viele Zwischenformen geben kann.

Die Bürger – das „Volk“ – können sich bei der Beteiligung am Gemeinwesen organisieren und Initiativen, Parteien oder Verbände bilden. Sie können aber auch unorganisiert bleiben. Die Machthaber mögen politische Ziele vorgeben („Führung“) und auf Mehrheiten hoffen. Sie können ebenso beobachten, ob und welche Ziele sich beim Volke herausbilden („Nachverfolgen“) und sich diese zu eigen machen, wenn sie erkennbar werden. Als Vermittler treten Medien – zunehmend auch im Internet – auf.

Klassischerweise ist es Aufgabe der politischen Institutionen, gesamtgesellschaftlich relevante Zielsetzungen zu entwickeln und diese dem „Volk“ vorzulegen, das entscheidet. Die Zielsetzungen ergeben sich dabei aus den grundsätzlichen Werthaltungen der politischen Institutionen. Diese sind üblicherweise politische Parteien, auch Gewerkschaften, Verbände oder Initiativen. Bekannte Werthaltungen sind Konservativismus, Sozialismus, Liberalismus, Kommunismus oder Faschismus. In Deutschland gelten „konservativ“, „sozial“ und „liberal“ als demokratieverträglich. Über die diversen Zielvorstellungen kann es zu Debatten kommen, deren Ergebnis und Abschluss „Konsens“ genannt werden. Ort der Debatten ist zuvörderst das Parlament („Legislative“). Die Regierung („Exekutive“) setzt einen gefundenen Konsens um.

Das Prinzip der demokratischen Führung herrschte in Deutschland bis ins neue Jahrtausend vor. Danach setzte sich – möglich geworden unter anderem durch die Demoskopie – eine „nachfolgende“ Demokratie durch, die einen sich losgelöst von der Politik herausgebildeten Konsens aufspürt und diesen exekutiert. Das war der Arbeitsstil Angela Merkels.

Alle Spielarten der Demokratie sind vom Wunsch nach Rationalität beherrscht, zugleich vom Streben einiger, unbedingt die Macht in Händen zu haben. Wenn dabei um der Macht willen Tabugrenzen überschritten werden, die Macht höher bewertet wird als die Inhalte der Politik, nennt man das „Populismus“. Vom Populismus ist es in der Praxis oft ein kleiner Schritt hin zur „Anti-Demokratie“: zur „Diktatur“.

Der Niedergang der Weimarer Republik und ihr Hineinrutschen in den Nationalsozialismus haben gezeigt, dass ein demokratieverträgliches System sich zu einer mörderischen und intoleranten Diktatur entwickeln kann. Der Sturm in den Kongress der USA im Jahre 2021 hat gezeigt, dass selbst eine seriöse, ausgeklügelte repräsentative Demokratie in Populismus umschlagen kann. Dieser Sturm in den Kongress war ein nationaler Tabubruch.

Ein demokratieverträgliches System fällt nicht vom Himmel; oft dauert es Jahrhunderte, bis es entsteht. Charismatische Machtausübung, traditionale Verfestigungen, klerikale Ansprüche und klassenbedingte Formationen mussten erst oft durchlebt werden, bevor rational-demokratische Herrschaftsformen entstanden. Dann wurden auch nur scheinbar demokratieverträgliche Systeme so beliebt, dass Diktaturen sich gern mit ihnen tarnten: Vor ihren Unterdrückungsapparaten errichten sie gern demokratische Fassaden.

Rationale repräsentative politische Systeme sind stets gefährdet. Sie können Populisten zum Opfer fallen, wegen ihrer Komplexität das Publikum ermüden, von gutwilligen, aber unfähigen Politikern verspielt oder kalkulativ missbraucht werden. Um derartiges zu verhindern, wurde das Konzept der „wehrhaften Demokratie“ erfunden. Das ist gefährlich, denn dieses Konzept scheut keine Gegengifte und schafft somit manchmal herbei, was es eigentlich verhindern sollte.

Ein Indikator der Demokratie ist der Wechsel. Gibt es den überhaupt? Ist er erwünscht? Ist er institutionell festgeschrieben? Schwächt oder stabilisiert er das System? Wie hält er die jeweiligen „Verlierer“ bei der Stange? Es gibt Beobachter, für welche die Fähigkeit eines Systems zum reibungslosen Wechsel ein Indikator der Reife ist.

Aber was ist mit den Menschen? Müssen die es ertragen, wenn sie von heute auf morgen aus hohen Machtpositionen in politische Bedeutungslosigkeit abstürzen? Gibt es Auffangmechanismen? Können sie den Stab weiterreichen, wenn Nachfolgende politische Gegner sind? Was ist, wenn ein Intimrivale, der ein Leben lang bekämpft wurde, plötzlich gewinnt? Und ist es überhaupt möglich, aus freien Stücken loszulassen, was oft als „Lebenswerk“ empfunden wird?

Und die „Beherrschten“ – das Volk: Kann es tolerieren, wenn der Wind plötzlich aus einer anderen Richtung weht? Wenn diejenigen das Sagen bekommen, die eben noch verspottet oder für unfähig deklariert wurden? Kann es stillhalten, wenn sich ein System in eine andere Richtung bewegt? Unterscheidet es zwischen argumentativer und gewaltsamer Opposition?

Demokratie verlangt Empathie, Beherrschung und Vernunft von allen beteiligten Menschen. Sie ist kein Zustand, sondern ein Prozess – nicht statisch, sondern dynamisch. Und so mühsam ihre Geburt war, so gefährdet ist ihr Leben.

Demokratie ist ein fortlaufendes Experiment, und Alternativen wird es immer geben.

Es ist möglich, dass plötzlich Entwicklungen eintreten, mit denen gestern noch niemand gerechnet hat. Jeder argumentative Konsens kann durch unvorhersehbare Fakten konterkariert werden. Gerade in solchen Situationen kann sich die Demokratie als stark erweisen, wenn ein Konsens zu einem Fernziel wird, das erst einmal in den Hintergrund rücken muss.

Anscheinend hat es diese Situation 2022 in Deutschland und Europa gegeben.

Demokratie lebt vom Wechsel

Angela Merkel hatte vor der Bundestagswahl 2021 angekündigt, dass sie nach sechzehn Jahren Kanzlerschaft nicht mehr antreten wolle. Folglich wurde Armin Laschet – damals Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen – Kanzlerkandidat der Union.

Das war die Lage: Demokratie ist Entscheidung durch Mehrheit. Jedes Mitglied eines Gemeinwesens kann frei votieren und hat eine Stimme. Alle Stimmen sind gleich. Die Mehrheit siegt, aber die Minderheit bleibt politisch aktiv und hat die Chance, eines Tages Mehrheit zu werden. Keine Entscheidung ist endgültig. Erst wenn ein Regierungssystem mit einem eben noch anerkannten politischen Kurs einen Personen- und Sachwechsel verwirklicht hat, ist es tatsächlich eine Demokratie. Insofern war der erste Machtwechsel in der Bundesrepublik Deutschland von der CDU/CSU als stärkster Partei zur SPD der Beweis, dass die Bundesrepublik eine Demokratie ist.

Auch das ist klar: Demokratie ist Freiheit. Wer sich an die Gesetze hält, genießt den Schutz des Gemeinwesens, sei das Handeln oder die Person noch so abnorm.

Demokratie zwingt niemanden zur Teilnahme an der allgemeinen Öffentlichkeit. Das Recht auf Privatheit besteht.

Weiterhin: Demokratie vollzieht sich diskursiv und argumentativ. Gewalt ist grundsätzlich ausgeschlossen.

Demokratie ist vor allem Wechsel. Die Macht und die vorherrschende Meinung müssen auswechselbar sein. Ein Regierungssystem ist erst demokratisch, wenn es offen ist: offen für neue Personen und neue Themen. Herrschende sollen sich nicht festsetzen. Angela Merkel war die erste Spitzenpolitikerin in der Bundesrepublik Deutschland, die einen Wechsel vor einer Wahl von sich aus ankündigte.

Um den Wechsel generell zu ermöglichen, finden regelmäßig und in definierten Zeiträumen Wahlen oder Abstimmungen statt. In einigen Demokratien sind die möglichen Wahlperioden für Herrschende begrenzt: Ein Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika kann nur einmal wiedergewählt werden.

Der Wechsel bietet den Nichtmächtigen – politisch formuliert: der Opposition – die Chance, das Heft in die Hand zu bekommen und erhält deren Interesse an einer Partizipation – trotz aktueller Machtlosigkeit. Der Wechsel ist schließlich die Basis für sozialen Wandel und ermöglicht Krisenbewältigung. Demokratischer Wechsel schafft so dynamische Stabilität. Krisen können durch Innovation überwunden werden. Insofern ging die Bundesrepublik in die Jahre 2021 und 2022 innerlich gefestigt hinein.

Was aber ist, wenn zusätzlich externe Rahmenbedingungen einen Wechsel im politischen System erfordern? Was geschieht, wenn die Welt von heute auf morgen eine andere wird?

Der Start der „Ampel“, die auf eine gegen die weltweite Pandemie kämpfende Merkel-Regierung folgte, und der fast gleichzeitige Ausbruch des Ukraine-Krieges im Februar 2022 trafen die Bundesrepublik Deutschland zum ersten Mal massiv von außen her. Veränderte das die inneren politischen Ziele der „Ampel“, oder bleiben diese im Hintergrund bestehen?

Gerechte Wahlen in Deutschland?

2017 war in der Bundesrepublik Deutschland ein Wahljahr. Nach der Verfassung sollten die Abgeordneten des Bundestages gewählt werden. Die politischen Parteien warben wie immer um Wählerstimmen. Dazu stellten sie in den Bundesländern „Landeslisten“ auf und nominierten zusätzlich Wahlkreiskandidaten. Es galt eigentlich die „Verhältniswahl“: Gezählt wurden zuerst die Wählerstimmen für die Listen, wobei Parteien und nicht Länder addiert wurden. Die 100 Prozent der Parlamentssitze wurden nach der numerischen Stärke der einzelnen Parteien verteilt. Die Listen brachten die „Erststimmen“ und bestimmten die Stärkeverhältnisse. Anschließend wurden Wahlkreismandate vergeben, die auf den „Zweitstimmen“ der Wähler beruhten.

Die „Zweitstimmen“ gaukelten eine „Mehrheitswahl“ vor, die in Wirklichkeit keine war, denn die Erststimmen gaben die Sitzverteilung vor.

Die Deutschen lieben die Gerechtigkeit, auch politische Gerechtigkeit. Also bemühen sie sich, im Parlament die Stärken der politischen Parteien geradezu statistisch widerzuspiegeln.

Doch dann wird geflunkert:

Mit den Zweitstimmen wird vorgegaukelt, auch Elemente der Mehrheitswahl würden praktiziert. Schon Konrad Adenauer nutzte diesen Winkelzug, denn er empfahl Bürgern, die nicht so ganz zufrieden mit seiner Partei waren, mit der Zweitstimme eben eine andere zu wählen. Das rheinische Schlitzohr kannte sich aus.

Anderswo gibt es richtige Mehrheitswahlen. Klassisch geschieht das nach der Parole „The Winner takes it all.“ Der Kandidat mit den meisten Stimmen ist gewählt, und wenn er nur 30 Prozent der Stimmen in einem Wahlkreis erlangt. Die Hauptsache ist, die anderen Bewerber haben weniger Stimmen, und seien es auch 29 Prozent: „The Winner takes it all.“ Dieses System soll politische Stabilität herstellen, was vielen offensichtlich wichtiger ist als deutsche Gerechtigkeit. Doch Minderheiten können bei dem Wunsch nach Stabilität auf der Strecke bleiben.

Das deutsche Wahlrecht jedoch ist in anderer Weise unrein: Zwar steht die politische Gerechtigkeit in der Theorie hoch im Kurs, aber zu winzig darf der Anhang einer Partei in der Praxis nicht sein. Die Sperrgrenze schließt kleine Parteien aus, angeblich, weil sie extrem sind und das Ganze gefährden könnten.

Außerdem ist die Gerechtigkeit hierzulande nicht so operationalisiert, dass sie auch desinteressierte Bürger berücksichtigen würde. Der stetig wachsende Anteil der „Partei der Nichtwähler“ wird ignoriert und zur Beute der politischen Parteien. Diese sacken mehr Mandate ein, als ihnen nach der jeweiligen Wählerzahl zustehen würden und freuen sich nach jeder Wahl über die von den Nichtwählern unbeabsichtigt gewährten zusätzlichen Pfründe: Gerechtigkeit hin, Gerechtigkeit her!

Gipfel der Täuschung ist, dass in Wahrheit gar nicht Abgeordnete gewählt werden, sondern der Regierungschef – oder die Chefin eben. „Auf den Kanzler kommt es an!“ Die Parteien stellen primär nicht Listen und Wahlkreiskandidaten auf, sondern „Kanzlerkandidaten“.

Das deutsche Bundestagswahlsystem ist eine Täuschung.

1. In den USA dagegen sind die Wahlen zum Kongress und zum Präsidenten getrennt. Das Staatsoberhaupt des Bundes wird in den Mitgliedsstaaten gewählt. Dort gilt ebenfalls das Prinzip „The Winner takes it all.“ Jeder Staat muss sich separat für eine Kandidatin oder einen Kandidaten entscheiden. Dieser oder diesem fallen alle „Wahlmänner“-Stimmen des jeweiligen Staates zu. Die Stimmenzahl der Bundesstaaten ist festgelegt. Wochen nach der Präsidentenwahl treten alle „Wahlmänner“ zusammen und wählen das Staatsoberhaupt. Aber für die „Wahlmänner“ gibt es kein imperatives Mandat, so dass sie bis zum Ende der Wahlprozedur erhebliche und von der Verfassung nicht gedeckte Macht akkumulieren können.

2. Die Abhängigkeit der zum Staatsoberhaupt gewählten Person von den Bundesstaaten und ihren Gesetzgebungsverfahren ist auch im Wahlrecht groß, so dass sich das berühmte und verfassungsgemäße „Checks and Balances“ zwischen den Verfassungsorganen Präsident und Kongress mit seinen Senatoren und Abgeordneten faktisch zwischen dem Staatsoberhaupt und den Bundesstaaten mit ihren Parlamenten und Verwaltungen wiederholt – diesmal allerdings von der Verfassung nicht gewollt.

So wird die Demokratie in den USA zu einem verzwickten Konstrukt mit erheblichem Geben und Nehmen – zu einem Geschacher zwischen unterschiedlichen staatlichen Institutionen.

Hinzu kommt, dass die Kampagnen der Bewerber erhebliche Geldsummen verschlingen. Diese können nur wenige aufbringen. Nicht jede amerikanische Bürgerin und nicht jeder Bürger dort haben die Chance, ein Wahlamt zu erobern – und schon gar nicht das Präsidentenamt.

Bringt der Diskurs Demokratie und führt Populismus zur Diktatur?

Demokratie braucht – wie gesagt – nicht nur Mehrheiten, sondern auch Minderheiten.

Die Mehrheit entscheidet bei Wahlen zwar, an wen zu einem bestimmten Zeitpunkt die Herrschaft geht. Aber die Minderheiten behalten ihre Rechte. Sie müssen die Chance haben, selbst einmal die Mehrheit zu stellen, und dafür dürfen und sollen sie kämpfen. Jede Mehrheitsentscheidung ist eine Art These, zu der es mindestens eine Gegenthese der Opposition gibt.

Jede Entscheidung wird nach einem Diskurs getroffen. Der Ort des Diskurses ist das Parlament.

So soll es sein.

Wenn die Mehrheit Minderheiten nicht zulässt und ihre Macht zementieren und festhalten will, entwickelt sich die Demokratie zur Diktatur. Die Diktatur ist die hässliche Schwester der Demokratie. Ihre Methoden sind nicht Diskurs und Debatte, sondern Übertölpelung, Befehl, Einschüchterung, Angst. Diktatur unterhält Parlamente oft nur als Attrappen. Sie herrscht mit Propaganda, Polizei, Geheimdiensten, Waffen, Willkür und Gefängnissen. Ihre Entscheidungen werden als verbindlich hingestellt; Gegenthesen werden nicht zugelassen.

Demokratie kann sich allmählich in Diktatur umwandeln: Minderheiten werden diffamiert, Justiz und Polizei verfahren willkürlich – immer weniger nach Recht und Gesetz. Angst wird geschürt. Das alles muss anfänglich nicht durchgehend erfolgen, sondern erst hier, dann da – schließlich aber doch überall. Zu Beginn geschieht das im Namen der Demokratie, dann aus „gesundem Volksempfinden“ heraus und am Ende nur noch im Interesse jener Clique, welche die Macht an sich gerissen hat.

Spätestens seit der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA war zu hören, der „Populismus“ könne auf diese Weise die Demokratie aushöhlen. Dazu wird auch verwiesen auf Jörg Haider und die „FPÖ“ in Österreich, auf Viktor Orbán von der Partei „Fidesz – Ungarischer Bürgerbund“ in Ungarn, auf die Le Pens und den „Front National“ in Frankreich, auf Geert Wilders und die „Partij voor de Vrijheid“ in den Niederlanden, auf Nigel Farage von der EU-Fraktion „Europa der Freiheit und der Demokratie“ oder auf Bernd Lucke und Alice Weidel samt ihrer Erben in der „AfD“ in Deutschland. All diesen Politikern und Parteien ist zu eigen, dass sie sich dem Druck zur „Political Correctness“ verweigern, dass sie die Zuwanderung von Ausländern, besonders Moslems, kritisieren, dass sie die Sprache „der Straße“ oder die des angeblich „kleinen Mannes“ benutzen, dass sie ohne die elaborierten Formulierungen der etablierten Politik auskommen und dass sie mit all dem Wählerstimmen gewinnen. Sie wahren die demokratische Form, postulieren aber extreme Programme. Neu ist das Auftreten solcher Politiker nicht, denn schon Adolf Hitler und sein Anhang waren einst „legal“ – also formal „demokratisch“ – an die Macht gekommen.

Der Populismus offenbart eine Schwäche der Demokratie. Vielfach wird für die Demokratie ins Feld geführt, dass die Mehrheit im Recht sei. Es wird postuliert, dass diese deswegen „gut“ sein müsse. Zweifel daran sind allerdings eine Grundlage des Parlamentarismus. Sie sind die Legitimation für Opposition. Der Parlamentarismus soll sicherstellen, dass die Politik durch den Diskurs der freien Abgeordneten auf Zeit mit Hilfe der Administration zu aktuell vernünftig erscheinenden Ergebnissen kommt. Funktionierender Parlamentarismus ist die Sicherung der Demokratie. Wird diese Sicherung abgeschaltet – etwa durch Drangsalierung oder Demagogie –, implodiert die Demokratie. Wer sich hierbei zu schaffen macht, rührt – wenn auch gelegentlich unabsichtlich – am Grundprinzip der Demokratie. So etwas gefährdet die Freiheit.

Auch die vielfältigen Forderungen nach einer „plebiszitären Demokratie“ sind genau auf ihre Demokratietauglichkeit hin zu überprüfen:

Zwar: Plebiszitäre Elemente als Ergänzung des parlamentarischen Systems können dieses durchaus stärken.

Aber: Durchgehende und bestimmende plebiszitäre Herrschaft birgt Risiken, denn „Volkes Stimme“ ist manipulierbar und nicht automatisch zugleich „Volkes Wohl“. Die parlamentarische Oberhoheit muss erhalten bleiben.

Populismus liebt Vereinfachung: Zusammenhänge werden so erklärt, dass möglichst viele Menschen „ja“ sagen. Das ist zweischneidig, denn Fakten der modernen Welt sind oft kompliziert, und ihre Zusammenhänge diffizil. Wer das Zeug hat, derartige Zusammenhänge zu entwirren, hat den Beruf zum Politiker. Wer dabei auch Alternativen herausarbeitet, ist Demokrat oder Demokratin.

Wer Kompliziertes einfach erklären kann, ist zum Politiker geboren. Wer aber Zusammenhänge zu erklären vorgibt und dabei bei der Öffentlichkeit buhlt, indem er Einzelheiten ausblendet, ist eben kein Demokrat, sondern Populist oder Populistin.

Es ist demagogischer Populismus, der die parlamentarische Demokratie gefährdet. Die Versuchung, postfaktisch zu verfahren, entsteht oft. Postfaktischer Populismus ist ein immanentes Moment der Demokratie. Dann heißt es: „Hätten wir damals …“ Echter parlamentarischer Diskurs kann solches entlarven, indem er auf einstige Zusammenhänge – vernünftigerweise vermutete oder tatsächliche – hinweist. So wird Populismus wieder zurück auf den Weg zur allgemeinen Demokratie geführt.

Diese bleibt – gerade angesichts ständiger Veränderungen – der sicherste Weg zum Wohl eines Volkes.

Veränderungen der Welt

Was sind die Veränderungen der Welt im 21. Jahrhundert?

Der globale Gegensatz zwischen Ost und West ist durch den Sieg des Westens aufgehoben. Statt des Dualismus zwischen den Ideologien des Kapitalismus und Sozialismus beherrschen andere Kategorien die Welt:

Eine ehemalige Weltmacht – Russland – hängt alten Zeiten nach und ist daher noch immer gefährlich. In der Hauptstadt Moskau stehen prachtvolle Gebäude; es gibt breite Alleen, eindrucksvolle U-Bahnstationen. Die armen Menschen, die sich dort bewegen und die alt gewordenen stolzen Krieger von einst sehen: „Das ist noch immer die Metropole einer Weltmacht, deren Bürger ihr seid! Und wenn ein amerikanischer Präsident geringschätzig von uns spricht, so stachelt uns das nur an.“ Und diese ehemalige Weltmacht vermag die Welt in Angst und Schrecken zu versetzen; sie zögert auch nicht, die Welt und Europa in einen Krieg zu ziehen, wo doch viele schon vom ewigen Frieden träumten.

Ansonsten gibt es arme und reiche Regionen auf der Erde. Während in einem Teil der Welt die Geburtenrate hoch ist und die Bevölkerung sich rapide vermehrt, steigt das durchschnittliche Lebensalter anderswo, und die Geburtenrate sinkt. Arm und Reich, Jung und Alt, viele und wenige – das sind die großen globalen Antagonismen.

Der Antagonismus zwischen Arm und Reich löst sich nicht auf, weil der ältere und reichere Teil der Weltbevölkerung die industrielle Produktion sowie die Organisation von Dienstleistungen beherrscht, der ärmere und jüngere aber nicht. Die Reichen dieser Welt leben trotz Krieg in Europa auf Kosten der Armen. Effektive Zivilisations- und Kulturtechniken beherrschen die älteren Reichen, nicht die jüngeren Armen. Die Kluft wird tiefer: Auf der einen Seite mehrt sich trotz allem der Wohlstand, auf der anderen explodiert die Bevölkerungszahl.

Gleichwohl schrumpft der reichere Teil der Welt nicht. Er wächst vielmehr. Ein guter Teil des Bevölkerungszuwachses hier besteht aus Zuwanderungen, und der angezettelte Krieg Russlands ließ die Zahlen zusätzlich ansteigen.

Auch im Süden der Welt explodiert die Bevölkerungszahl. Zu Beginn des Jahres 2018 lebten nach Schätzungen von Experten über 7,5 Milliarden Menschen auf der Erde, und 2050 würden die Europäer nur noch fünf Prozent der Weltbevölkerung ausmachen.

Die einstigen Herren der Welt werden langfristig an den Rand gedrängt.

Eine Folge dieser Entwicklungen wird eine fortschreitende globale Völkerwanderung sein. Menschen strömen aus Gebieten, in denen weiterhin Arme und Junge leben werden, in wohlhabendere Teile der Welt.

Dadurch wird es zu politischen Umbrüchen kommen. Die Regierungen der Zielstaaten sind machtlos: Es kommt zu Konflikten.

Immer mehr eingesessene Bürger fühlen sich bedroht. Es entstehen rechtspopulistische Bewegungen und Parteien. Die etablierten Parteien und Regierungen fürchten den inneren Rechtspopulismus und geraten in Kollision mit ihrem Wertesystem.

Der Krieg, die Welt: Die einst Etablierten werden immer hilfloser:

Um sich die Hände nicht schmutzig machen zu müssen, beauftragen die Wohlhabenden Schwellenländer, die Völkerwanderungen aufzuhalten. Dafür geben sie viel Geld aus. Hierfür aber werden die Regierungen der Wohlhabenden im Innern kritisiert.

Oft propagandieren Regierungen den Herkunftsländern der Auswanderungswilligen, ihnen materiell und mit Know-how zu helfen. Doch damit übernehmen sie sich, und sie scheitern.

Gelegentlich drohen die Zielländer, Auswanderer schlecht zu behandeln. Damit verstoßen sie gegen eigene altruistische Werte und kommen nicht durch.

In den Herkunftsländern aber hinterlassen Flüchtende Lücken der Kompetenzen: In der Medizin, beim Bau, in der Landwirtschaft und in der Verwaltung. Die Verarmung steigt exponentiell. Ein Teufelskreis tut sich auf.

Weder im Norden noch im Süden ist jemand in der Lage, die globale Völkerwanderung langfristig aufzuhalten. Kommt ein Krieg dazwischen, wirkt das wie eine Episode. Alle Strategien und Konzepte wirken höchstens kurzfristig. Zwanzig oder dreißig Jahre lang lassen sich die Menschen beruhigen, und dann werden die jetzt handelnden Autoritäten sowieso nicht mehr amtieren. Ob sie es wissen oder verdrängen – die heute Mächtigen handeln nach dem Prinzip „Nach uns die Sintflut!“ Und die „Sintflut“ wird kommen. Wenig wird bleiben, wie es ist. Der Süden strömt in den Norden, und dessen Staaten und Gemeinschaften könnten verschwinden. Eine neue Weltordnung wird wohl entstehen. Niemand kann sich diese ausmalen.

Völkerwanderungen haben schon immer die Geschichte geprägt. Weltreiche sind einst daran zerbrochen. Nebensächlich sind die Ideologien, die Finessen und Kriege dieser Mächte. Der Sturm zieht über sie hinweg, zerstört Gut und Böse und lässt Neues – wiederum Vergängliches – entstehen.

Das ist der Lauf der Welt.

Die klassischen Herrschaftsformen

Wie wird die Welt nach der Sintflut regiert werden?

Max Weber hatte einst Typen der legalen Herrschaft definiert:1

Am Anfang war die charismatische Herrschaft.

Durch charismatische Merkmale gelang es einigen Menschen, Macht über andere zu erringen, wobei diese Merkmale der Grund für die Anerkennung der Macht – die Legitimation – wurden. Die Merkmale konnten äußerlich oder innerlich sein. Kraft, Körpergröße, Hautfarbe und andere Äußerlichkeiten konnten dazu führen, dass eine Überlegenheit von Personen, die über solche Merkmale verfügten, von einer Mehrheit, die darüber nicht verfügte, anerkannt wurde. Es konnten aber auch innerliche oder kulturelle Merkmale der Überlegenheit sein. Der Vielfalt solcher Merkmale waren keine Grenzen gesetzt. Standfestigkeit, Intelligenz, Intrigenhaftigkeit oder Niedertracht und Brutalität konnten solche Merkmale sein. Häufig war es religiöse Legitimation: Wer andere Glauben machen konnte, von Gott gesandt zu sein, konnte Macht ausüben. Es war die Stunde der Propheten, die zu Priestern wurden.

Es bildete sich in Familien, in Stämmen, im Volke charismatische Legitimation heraus. Dabei konnte es zu Rivalitäten zwischen verschiedenen Charismatikern kommen. Diese konnten gewaltlos oder gewaltsam ausgetragen werden.

Aus der charismatischen ist vielfach traditionale Herrschaft