Kobe Bryant: The Rise - der Aufstieg des größten Basketball-Stars der Geschichte - Mike Sielski - E-Book

Kobe Bryant: The Rise - der Aufstieg des größten Basketball-Stars der Geschichte E-Book

Mike Sielski

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Beschreibung

Er ist eine Legende, die leider viel zu früh verstarb. Als Kobe Bryant am 26. Januar 2020 bei einem Helikopterflug ums Leben kam, trauerte die gesamte Sportwelt. Zu sehr hatte "The Mamba" den Basketballsport und das Geschehen in der NBA zu Beginn der 2000er-Jahre geprägt, war zu einem Idol aufgestiegen für Millionen. Das Buch von Mike Sielski rückt eine bisher weniger beachtete Phase aus Kobe Bryants Leben ins Zentrum. Es erzählt, wie es dem jungen Kobe gelang über die High School direkt in die beste Basketball-Liga der Welt duchzustarten - als Rookie beim Top-Klub Los Angeles Lakers. 

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Seitenzahl: 575

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Vorwort: Die Zukunft

Teil eins

1 Nach dem Feuer

2 Ein sicherer Hafen

3 Gott und der Teufel in ihnen

4 Kind der Welt

Teil zwei

5 Engel bei Sonnenaufgang

6 Fledermäuse, Mäuse und das Abenteuer eines Lebens

7 Verlieren

8 Swagger

9 Se Dio Vuole

10 OK, let’s play

11 Die Grube

12 Mythos und Realität

Teil drei

13 Geheimnisse und Haie

14 Der Krebs des Ich

15 Entspannt euch, ich hab’s im Griff

16 Der Tunnel

17 Das letzte Spiel

18 Die Geschwindigkeit, mit der sich Dinge verändern

19 Jetzt bin ich ein Laker

20 Open Gym

Nachwort: Seine Geschichte und seine Stimme

Dank

Anmerkungen und Quellen

Vorwort: Die Zukunft

Am Tag nach dem Tod von Kobe Bryant schickte mir ein Klassenkamerad aus der Highschool eine E-Mail, die mich mit einer Wucht traf, die ich nicht hatte kommen sehen. „Ich dachte, das würde dich interessieren“, schrieb Ben Relles. Die Nachricht enthielt einen Link zu einem 36-sekündigen Video. Auf der rechten Seite des Splitscreens war Kobe zu sehen, der einen anthrazitfarbenen Pullover mit Rundhalsausschnitt trug, an einem großen Holzschreibtisch saß und gebannt Videos auf einem Laptop ansah. Ben war Teil der Geschäftsleitung von YouTube, sein Job war es, neue Inhalte für das Videoportal zu finden. Kobe war im Januar 2018 in die Zentrale des Unternehmens nach Südkalifornien gekommen, um ein Showformat vorzuschlagen, das auf „Wizenard“ basierte, einer Kinderbuchserie, die er geschaffen hatte, und die Sport, Fantasie und Magie miteinander verband. Wie sich bei dem Meeting schnell herausstellte, hatte YouTube zu diesem Zeitpunkt kein großes Interesse an Formaten für Kids und kaufte die Show nicht. „Aber es war wirklich einer der beeindruckendsten Pitches, die ich je gesehen habe“, sagte Ben. „Er präsentiert die Idee mit unglaublicher Leidenschaft.“

Auf der linken Seite des Videos waren jene Bilder zu sehen, die Kobes Aufmerksamkeit erregt hatten: Aufnahmen eines Basketballspiels zwischen zwei Highschool-Teams aus einem Vorort von Philadelphia – die eine war seine Alma Mater, Lower Merion, die andere meine, Upper Dublin. Ben und ich waren damals Seniors, Zwölftklässler in unserem Abschlussjahr. Er war Backup-Forward, ich war Redakteur der Schülerzeitung und besaß weder die Fähigkeiten noch die Athletik, um auf diesem Niveau mitzuhalten. Kobe Bryant war Freshman, besuchte also die neunte Klasse. Es war das zweite Spiel seiner Highschool-Karriere.

Am 7. Dezember 1992 veröffentlichte die Tageszeitung Philadelphia Inquirer eine Vorschau auf die kommende Saison im Junioren-Basketball mit kurzen Artikeln über jedes Highschool-Team. Sowohl von Lower Merion als auch Upper Dublin wurde nicht viel erwartet. Doch für Jeremy Treatman, Autor des Beitrags über die Lower Merion Aces, gab es in dem Team zumindest einen Hoffnungsschimmer: „Merkt Euch diesen Namen: Kobe Bryant.“

Eine Woche später standen sich die beiden Mannschaften in der Trostrunde eines Turniers in Lower Merion gegenüber. Im 36-sekündigen Video von dieser Partie warf ein älterer Guard von Upper Dublin, Bobby McIlvaine, der ein rotes Trikot mit der Nummer 24 trug, einen Pass über den ganzen Court auf seinen Mitspieler Ari Greis. Nachdem Greis den Ball auf dem rechten Flügel gefangen hatte, zog er mit einem Dribbling an Kobe vorbei in die Zone und versenkte einen Floater übers Brett. Ein Freund der Familie hatte das Spiel gefilmt, und Ben, der das Band über all die Jahre aufbewahrt hatte, hatte die Aufnahme vor dem anstehenden Treffen mit Kobe digitalisiert. Als Ben das Video auf dem Laptop abspielte, hielt einer seiner Mitarbeiter Kobes Reaktion darauf fest. Eine geradezu kosmische Begegnung. Man konnte dabei zusehen, wie der inzwischen 39-jährige Kobe sein 14-jähriges Ich in Echtzeit betrachtete.

„Das ist zum Totlachen“, sagte er. „Ganz tolle Defense, Kobe … Was für eine schreckliche Verteidigung … Das kannst du den ganzen verdammten Tag lang wiederholen … Oh. Mein. Gott … Nawwwww! … Witzig … Wir haben in dem Jahr ganze vier Spiele gewonnen.“

Wo warst du, als der Hubschrauber im Januar 2020 über Calabasas abstürzte? Standest du gerade in der Küche? Oder lagst du entspannt im Liegestuhl? Oder warst du in der Garage?

Ich saß in meinem Auto, mit meinen beiden Söhnen auf dem Rücksitz, und fuhr zügig nach Hause, damit sich mein Achtjähriger noch für sein Basketballspiel um 15.45 Uhr umziehen konnte. Und als wir dort eintrafen, war da ein Spieler der gegnerischen Mannschaft, dessen Arme wie kleine Äste unter einem weißen T-Shirt und einem grünen Tank-Top hervorlugten. Auf einem seiner Ärmel stand mit schwarzem Marker das Wort „KOBE“ geschrieben. So einen Tag vergisst du nicht. Du kannst keinen Tod vergessen, der den Globus erschüttert hat.

Das war die Reichweite, die Kraft von Kobe Bryant.

Wir hängen so sehr an unseren Sportlern. Wir sehen, was sie geleistet haben und zu was sie noch in der Lage sind. Das macht die Anziehungskraft aus, die sie auf uns ausüben. Sie geben uns einen Maßstab vor, an dem wir uns messen können, und bei Kobe war diese Anziehungskraft sogar noch stärker, weil er sich nicht auf den Basketball beschränkte. Er war der Executive Producer eines animierten Kurzfilms, Dear Basketball, der einen Oscar gewann und auf einem Gedicht basierte, das er nach seinem Rücktritt verfasst hatte. Nach seiner Zeit bei den Lakers war er allem Anschein nach ein liebevoller Ehemann für seine Frau Vanessa und ein liebevoller und gewissenhafter Dad für seine vier Töchter. Mit der Zeit schienen auch die Medien und seine Fangemeinde bereit, ihm jenen Skandal zu verzeihen, der einst seinen Ruf befleckt hatte: den Vorwurf der Vergewaltigung, der ihm im Jahr 2003 eine Verhaftung im US-Bundesstaat Colorado beschert hatte. Mit dem Kauf eines riesigen Diamantrings für Vanessa hatte er diesen Skandal für die meisten, wenn auch nicht für alle, zu einer Nebensächlichkeit werden lassen. Er hatte seine Kleinkriege mit Trainer Phil Jackson und Teamkollege Shaquille O’Neal hinter sich gebracht. Es schien, als stünden ihm große Dinge bevor, Dinge jenseits der fünf NBA-Championships, der 15 All-Star Games, der 33.643 Punkte, der Auszeichnung als NBA-MVP 2008 und der Selbstsicherheit, diesem Glauben an sich selbst, der so absolut und offensichtlich war, dass Kobe davor zu triefen schien. Jener Selbstsicherheit, die du brauchst, um den letzten, entscheidenden Wurf zu nehmen, wenn alle Augen in der Halle auf dich gerichtet sind. Jetzt waren all das Herausragende, die Erlösung und das Versprechen ausgelöscht. Alles ergab keinen Sinn mehr. Und es erschien auch nicht den geringsten Versuch wert, nach einem Sinn zu suchen. Du saßt einfach da, es sank in dich hinein. Du schütteltest deinen Kopf und starrtest ins Leere.

Ihren Anfang hatten diese ganzen großen Dinge in und um Philadelphia genommen. Natürlich war Kobe lange Zeit ein Teil von Los Angeles, dort ist er zum Mann gereift, stand ständig im Scheinwerferlicht. Und es schien so, als sei er als voll ausgebildeter 17-Jähriger mit blitzsauberem Jump Shot aus einem der Hügel Hollywoods herausgewachsen. Aber nein, so war es nicht. Die großen Dinge hatten in Lower Merion begonnen, an der nach einer Eisenbahnroute benannten Main Line, die sich an der Westgrenze Philadelphias entlangschlängelt und wo das „alte Geld“ der Stadt angesiedelt ist. Die großen Dinge begannen auf den dortigen Freiplätzen, in den stickigen Turnhallen der örtlichen Highschools und bei Turnieren der Amateur Athletic Union, kurz AAU. Sicher, viele Einwohner Philadelphias weisen heute gerne noch darauf hin, dass Kobe technisch gesehen nicht aus der Stadt stammte, also keiner von ihnen war. Aber, fragt euch selbst: Gab es jemals einen Spieler, der den für den Basketball aus Philadelphia so typischen Kampfgeist, diesen unbedingten Siegeswillen repräsentierte? „Philadelphia hat mich gelehrt, hart zu sein und ein dickes Fell zu haben“, sagte er Ende 2015 vor seinem letzten Spiel in Philadelphia gegen die heimischen 76ers. „Es gibt hier keinen einzigen Freiplatz, auf dem die Leute einfach nur Basketball spielen und keinen Schwachsinn reden.“

Die großen Dinge begannen mit seinem Highschool-Trainer Gregg Downer, der Kobe formte und von ihm geformt wurde, der mit ihm eine Meisterschaft gewann und ihm immer treu blieb, der in seiner Küche zusammenbrach und die Nachricht von Kobes Tod einfach nicht wahrhaben wollte. Die großen Dinge begannen mit Treatman, der sich von einem freiberuflichen Sportjournalisten zu einem der engsten Vertrauten von Kobe und zu einem der wichtigsten Akteure in der Welt des Philly-Basketballs entwickelte. Seine Geschichte im Inquirer war die erste Erwähnung von Kobe in einem großen Medium: „Merkt Euch diesen Namen?“Treatman selbst sorgte dafür, dass niemand diesen Namen je vergessen würde. Auf Wunsch von Downer wurde er Assistant Coach für Jungenbasketball in Lower Merion und erhielt die Aufgabe, sich um die nicht enden wollenden Interviewanfragen zu kümmern. Er sollte die Medien bei der Stange halten, aber genug Distanz zu ihnen wahren, sodass sie nicht zu einer Belastung und Ablenkung beim kometenhaften Aufstieg Kobes wurden. Treatman erzählte jedem, der irgendeine Frage über Joe Bryants Sohn stellte, dass Kobe das nächste große Ding sei, dass wir alle am Ende sagen könnten, wir wären dabei gewesen. Er war Kobe so nah, dass die beiden eine Reihe von Interviews für ein Buch führten, das Treatman indes nie schreiben sollte. Gleichwohl bewahrte er die Mikrokassetten und Transkripte einiger dieser Interviews auf. Zu diesen Gedanken und Erinnerungen eines nicht mal 20 Jahre alten Kobe hat mir Jeremy Treatman anlässlich dieses Buchs Zugang gewährt.

Am 26. Januar 2020 rief mich Treatman von der Jefferson University im Stadtteil East Falls in Philadelphia an, wo er gerade ein Mädchen-Basketballturnier leitete, und stammelte: „Ich kann es nicht glauben.“

Die großen Dinge begannen an einer Schule, deren Basketballprogramm für Jungen in der Bedeutungslosigkeit versunken war, das dann aber dank Kobe zum besten Team des Bundesstaates wurde. Sie begannen in einer Gemeinde, die sich mit ihrer ethnischen und wirtschaftlichen Vielfalt und Harmonie brüstete, deren Bewohner aber in Wirklichkeit nach einem sie einigenden Aspekt des Stolzes suchten. Die großen Dinge begannen in Summer-League- und Pickup-Spielen, die zu Mythen wurden. Es waren Geschichten, die nicht ausgeschmückt werden mussten, weil die Realität an sich verblüffend war: Hier war ein 17-jähriger Junge, der den besten Spielern auf diesen Plätzen ebenbürtig war oder sie gar übertraf, was bedeutete, dass er in seinem zarten Alter einigen der besseren NBA-Spieler mindestens ebenbürtig war oder sie übertraf. Die großen Dinge begannen bei den Trainingssessions der Sixers an der St. Joseph’s University Mitte der 1990er-Jahre, als der Teenager Kobe die Halle betrat, viele dieser NBA-Veteranen in den Schatten stellte und Trainer John Lucas sich wünschte, dass sein Klub den Jungen eines Tages draften würde.

Als Redakteur und Sportkolumnist der Studentenzeitung von La Salle hörte ich Gerüchte über diese Trainingseinheiten. Wie alle anderen auf dem Campus, die sich die besseren Zeiten des La-Salle-Basketballs zurücksehnten – die Spielzeiten mit 20 Siegen, die Conference Championships, die Teilnahmen am NCAA Tournament, die nur wenige Jahre zuvor als selbstverständlich angesehen worden waren – hoffte ich, dass Kobe sich für La Salle entscheiden und im selben Programm spielen würde, zu dem sein Vater so starke Verbindungen hatte.

Joe Bryant war ehemaliger La-Salle-Spieler und -Trainer! Er und Kobe stehen sich sehr nahe! Wenn das keine Vorbestimmung ist?

Aber wie realistisch erschien dieses Szenario, nachdem Kobe erkannt hatte, dass er es längst mit Profis aufnehmen konnte, dass er mit ihren Tricks und Ellbogen nicht nur zurechtkam, sondern es ihnen in gleicher Weise heimzahlen konnte?

Die großen Dinge begannen mit dieser Erkenntnis. Alles muss damals begonnen haben.

Und es begann zu einem Zeitpunkt, als der traditionelle Weg hin zu sportlichem Ruhm als der einzig wahre erachtet wurde – eine Annahme, die Kobe gleichzeitig zu befolgen und zu widerlegen wusste.

Die großen Dinge begannen mit einer Jugend, die einerseits völlig typisch war und andererseits anders als alles, was ein Teenager erleben konnte, eine Jugend, die heute so weit weg zu sein scheint. Die großen Dinge begannen im Dezember 1992, als Kobe gerade 14 Jahre alt war. Und seht nur, wohin das alles geführt hat.

Der kurze Ausschnitt jenes Films, den Ben Relles fast 30 Jahre lang aufbewahrt hat, erzählt nicht die ganze Geschichte des Spiels. Lower Merion schlug Upper Dublin mit 74:57, und Kobes peinlicher Moment, den der Camcorder wie in Stein gemeißelt für immer festgehalten hatte, war kaum repräsentativ für seine Gesamtleistung. Kobe hatte 19 Punkte erzielt, und in einem fünfminütigen Ausschnitt des Spiels, den Ben später entdeckte, war Kobe die auffälligste Figur: Er zieht zum Korb und trifft. Er steigt für zwei Punkte hoch. Er schüttelt seinen Verteidiger vor einem Einwurf ab und versenkt einen offenen Jumper von der linken Grundlinie aus. Eine Zeit lang wirkt das längere Video wie ein Highlight-Reel von Kobe, und wenn man ihn sieht, fragt man sich, wie die Aces jemals verlieren konnten, während er für sie spielte. Aber sie verloren – und Kobe hatte recht: Das Team gewann mit ihm, dem Freshman, nur drei weitere Male und schloss die Saison mit einer Spielbilanz von vier Siegen und 20 Niederlagen ab.

Aufschlussreicher als die präzise Erinnerung an diese Saison war jedoch sein Gesichtsausdruck, als er das Spiel noch einmal verfolgte. Er lächelte, kicherte und verfluchte sich selbst für seine nachlässige Verteidigung, kaute auf einem Kaugummi, seine Augen auf den Bildschirm des Laptops gerichtet. Aber sein Geist suchte innerlich, versuchte, diesen Moment in seinem Leben zu erspüren, das Wunderkind, das er einmal gewesen war.

Das Filmmaterial hatte ihn eindeutig überrascht, es hatte ihn tief in seine Vergangenheit katapultiert, und wenn er weit genug zurückging, konnte er bereits die Konturen jenes Mannes erkennen, zu dem er geworden war. Die Vorlage war schon da gewesen. So viele Eigenschaften, die ihn später ausmachen sollten, waren zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben bereits angelegt gewesen: der Übermut, das Konkurrenzdenken, die Wärme und die Kälte, die je nach den Umständen und seinen Wünschen und Zielen zum Vorschein kamen, diese jugendliche Unsicherheit, der selbstverständliche Umgang mit dem Ruhm, die seinem Alter deutlich enteilte Besessenheit für den Sport Basketball und das übernatürliche Verständnis dafür, was man braucht, um Perfektion zu erreichen. Die Eigenschaften, die er im Laufe der Zeit beibehalten, und die Eigenschaften, die er abgelegt hatte.

Die Erinnerung ist ein Geschenk, das oft in einer fest verschlossenen Kiste versteckt ist, und dieses Spiel war der gleitende, sich drehende Schlüssel, der Kobe Zugang zu Sounds, Orten und Menschen verschaffte, die für ihn wieder greifbar und vertraut wurden. Er sah sich neu.

Was jetzt folgt, ist der Versuch, ihn noch einmal auf diese Weise zu sehen.

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TEIL EINS

Ich bin mir sicher, dass ihr denkt, ich hätte im Moment ein perfektes Leben.

KOBE BRYANT

1 | Nach dem Feuer

Am Ende des grauen Betonwegs vor dem Eingang des Kobe Bryant Gymnasium blühte ein provisorischer Gedenkgarten voller Farben und Erinnerungen: Kerzen, Kränze, Sneaker und Trikots hatten sie zur Sporthalle gebracht, das Kastanienbraun und Weiß standen für die Lower Merion High School Aces, Lila und Gold für die Los Angeles Lakers, das Orange und Braun symbolisierte Basketbälle, Rosen sah man in Gelb und Rot. 48 Stunden zuvor war ein Sikorsky S-76B-Hubschrauber vom John Wayne Orange County Airport in Südkalifornien abgehoben, in Kreisen über einem Golfplatz geschwebt, hatte versucht, eine dichte Nebelbank zu durchschneiden, und war dabei in eine Schlucht inmitten von Hügeln gestürzt. Neun Menschen an Bord des Helikopters waren dabei ums Leben gekommen: Kobe, seine 13-jährige Tochter Gianna, der Pilot und sechs Teilnehmer von Kobes AAU-Basketballprogramm, darunter zwei von Giannas Mannschaftskameradinnen – alle auf dem Weg zu einem Turnier in Kobes Mamba Sports Academy, 45 Meilen nordwestlich von Los Angeles.

Das Unglück hatte sich am Sonntag, den 26. Januar 2020, zugetragen. Jetzt war es Dienstag, ein kristallklarer Nachmittag in den Vororten westlich von Philadelphia, ein Schultag, luftig und kühl. Die Schüler, die über das Gelände gingen, blieben vor dem Eingang der Sporthalle stehen, um die verschiedenen Gegenstände zu betrachten und miteinander zu tuscheln. Männer und Frauen mittleren Alters parkten ihre Autos ein paar Blocks entfernt und gingen dann in Stille zu diesem Ort, so, als würden sie eine Kirche betreten. Mark Kerr, ein 64-jähriger Lakers-Fan aus New Jersey, war an diesem Tag 90 Minuten mit dem Auto nach Philadelphia gefahren, um mit seiner Frau und seinem Neffen die Gedenkstätte zu besuchen, um sich mit Kobe verbunden zu fühlen. Drei Mitglieder des Junioren-Basketballteams, das 2006, also zehn Jahre, nachdem Kobe die Schule zur State Championship geführt hatte, den Erfolg wiederholt hatte, stellten ein gerahmtes Foto auf. Darauf saß Kobe mit ihnen auf einer Bank. Eine WNBA-Spielerin hatte ihm einen Brief auf Papier geschrieben: „Ich fühle mich so egoistisch, weil ich einfach nur daran denke, was du alles über die Zeit unter uns noch hättest erreichen können …”

In diesen zwei Tagen hatte Gregg Downer nicht ferngesehen, er hatte es vermieden, Radioberichte zu hören, und war nicht ein einziges Mal an der Gedenkstätte stehengeblieben. Wie oft war er mit gesenktem Kopf dort vorbeigelaufen und einfach in die Turnhalle gegangen? Wie oft würde er noch darüber nachdenken müssen, was er verloren hatte, was die Welt verloren hatte? Downer konnte es nicht sagen, aber er wusste, dass er es nicht ertragen konnte, seine Zeit dort zu verbringen. Es war auch so viel von ihm, das auf diesem Boden zu sehen war. Er war jetzt 57, sein Gesicht war faltiger und wettergegerbter als zu seiner Zeit mit Kobe, als er Anfang 30 und so jungenhaft war, dass man die beiden für Zimmergenossen auf dem College hätte halten können. Sie hatten sich so nahegestanden, sich so gut gekannt und einander so sehr respektiert.

Am Morgen und frühen Nachmittag jenes Sonntags stand Downer in seiner Küche und beaufsichtigte seine siebenjährige Tochter Brynn und eine ihrer Freundinnen. Wann immer Kobe Brynn begegnet war, hatte er sie in den Arm genommen, ihr Gesicht gestreichelt und sie fest an sich gedrückt, als wäre sie seine eigene, seine fünfte Tochter. Downer war erst mit 50 Vater geworden, nachdem Kobe und Vanessa bereits zwei Mädchen, Natalia und Gianna, bekommen hatten. Ihm war aufgefallen, dass Brynns Augen immer zu funkeln begannen, wenn sie Kobe sah – andersherum war es genauso gewesen. Downers Telefon klingelte. Ein Reporter. Downer ahnte, worum es gehen würde: Am Abend zuvor hatte LeBron James in Philadelphia Kobe überholt und war nun der Spieler mit den drittmeisten Punkten der NBA-Geschichte. Downer ging davon aus, dass der Reporter ein Zitat von ihm dazu haben wollte, und ließ das Handy einfach klingeln. Doch das Klingeln hörte nicht auf, über 90 Sekunden lang brummte und vibrierte das Handy ununterbrochen, als sei es von einem Poltergeist besessen. Downer wurde neugierig und öffnete Twitter. Dort sah er einen Link auf einen TMZ-Artikel: Kobe ist tot. Fünf Minuten lang betete Downer, dass die Klatschseite sich geirrt und sich ein kranker Internet-Troll einen grausamen Scherz erlaubt hatte. Dann war Brynns Spielstunde vorbei und die Küche der Downers ein Tal der Tränen.

Er ging die Treppe hinauf, ging wieder hinunter, ging durch die Haustür und lief durch die Vorstadtsiedlung, in der er und seine Frau Colleen seit 15 Jahren wohnten. Vorbei an braunen Rasenflächen und abgedeckten Swimmingpools, vorbei an den Häusern von Freunden, vorbei an all den Leuten, die schon lange wussten, dass Kobes Coach in ihrer Nachbarschaft wohnte. Downer konnte weder mental noch emotional Fuß fassen. War das wirklich passiert? Wer war noch an Bord des Hubschraubers gewesen? Wer hatte schon davon gehört? Würde er es den anderen erzählen müssen? Den anderen Männern, die Kobe in Lower Merion trainiert hatten? Den Mannschaftskameraden, die vor langer Zeit als Teenager Kobes engste Freunde gewesen waren, und seit er ein Star geworden war und in Los Angeles lebte, nun nicht mehr oft von ihm hörten und zu Leuten geworden waren, die früher mal Mannschaftskollegen von Kobe Bryant gewesen waren? Was war mit Jeanne Mastriano, die 30 Jahre lang Englisch an der Schule unterrichtet hatte, die zwar keine formale Verbindung zum Basketballprogramm hatte, aber dennoch eine Mentorin für Kobe geblieben war, weil sie die intellektuelle Neugier in ihm entfacht hatte? Wer würde es all diesen Leuten sagen? Tränen flossen in kleinen Schüben aus ihm heraus. Auf einem Tisch in seinem Haus brummte sein Handy weiter, Anrufe und Textnachrichten, jede einzelne ein kleiner Faden in einem Netz aus Entsetzen und Trauer. Downer ging nach Hause, ohne zu wissen, wen er als Erstes erreichen würde. Er fragte sich, ob er das Telefon überhaupt in die Hand nehmen sollte.

Ihre vier Kinder, alle unter elf Jahren, langweilten sich und suchten an einem winterlichen Sonntagnachmittag zu Hause nach einem Weg, um ihre angestaute Energie loszuwerden. Also nutzten Phil und Allison Mellet ihre Möglichkeiten. Beide waren ehemalige Schüler von Lower Merion, hatten 1998 ihren Abschluss gemacht. Sie hatten sich als Seniors kennengelernt und waren seitdem zusammen, Allison arbeitete dort noch immer als Spanisch-Lehrerin. Sie kam daher auch am Wochenende ins Gebäude. Schnell wurde zusammengepackt, eine kurze Fahrt zum Kobe Bryant Gymnasium, und schon waren sie in der Sporthalle: Während Allison aufs Laufband ging, spielte Phil mit den Kindern Basketball und Football. Mellet hatte sein Handy in einer Ecke der Turnhalle an die Wand gelehnt, gleich neben dem großen Berg an Winterklamotten, die die Kinder ausgezogen und dort aufgetürmt hatten.

Die Sporthalle, die seit 2010 Kobes Namen trug, nachdem er dem Schulbezirk 411.000 Dollar gespendet hatte, war viel größer als die alte, in der er und Mellet in der Saison 1995/96 in einem Team gespielt hatten. Damals hatte Kobes Stern bereits hell geleuchtet und Mellet, inzwischen Unternehmensanwalt, war ein dürrer Typ im zweiten Schuljahr gewesen und froh darüber, das ganze Kobe-Spektakel als Bankdrücker mitverfolgen zu können. Seit damals hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen.

Ohne die Tribüne, die nun an die Mauer gerückt war, wirkte die Halle sogar noch riesiger. Die Stimmen der Kinder hallten wider, als stünden sie auf dem Boden einer Schlucht. Die einzige weitere Person in der Schule war der Hausmeister. Trotzdem bemerkte Mellet, dass sein Handy brummte und Textnachrichten aufleuchteten. Sie stammten von alten Freunden und enthielten schreckliche Nachrichten.

Als er sie las, erfüllte ihn eine seltsame Leere. Obwohl er wie die meisten Jungs aus der alten Mannschaft keine Beziehung zu Kobe mehr hatte, war Mellet doch glücklich, mit ihm gespielt und ihn kennengelernt zu haben. Wann immer er in seinem Job jemanden traf, seien es Investoren oder Aktionäre oder andere Anwälte, fand er einen Weg seine Verbindung zu Kobe zu erwähnen. Was für ein wunderbarer Eisbrecher, besser jedenfalls als die immergleichen Fragen zu den Kindern oder dem Golfspiel oder zu anderen Themen, die jeder hätte stellen können. Du warst im selben Team wie KOBE?! Die Gesprächspartner strahlten und Mellet verspürte selbst eine gewisse Aufregung, wenn er die Geschichten von damals zum Besten gab. Diese Verbindung war nun durchtrennt. Ein Stück seines Lebens, ein Stück, das ihm viel bedeutete, es war einfach weg.

Keine 20 Minuten vergingen, da kam der Hausmeister und bat Mellet und seine Familie, das Gebäude umgehend zu verlassen. Das Kobe Bryant Gymnasium werde abgeriegelt.

Vor dem Tiefkühlregal eines Supermarktes in Narberth, Pennsylvania, anderthalb Meilen von der Highschool entfernt, stand Amy Buckman und schaute sich die Auslage hinter dem Glas an. Sie war gerade dabei, die Lebensmitteleinkäufe für sich und ihren Mann Terry zu erledigen. Amy hatte die Lower Merion bis 1982 besucht, und ehe sie der Schulbezirk im März 2018 als Sprecherin der Schule eingestellt hatte, war Buckman ein Vierteljahrhundert lang als Produzentin und Reporterin für den TV-Sender Channel 6 Action News in Philadelphia tätig gewesen. Ihr Mann Terry, der zu Hause vor dem Fernseher saß, schrieb ihr eine SMS. Sie waren seit 32 Jahren verheiratet. Er wusste, was sie interessierte.

Sie berichten, dass der Hubschrauber von Kobe abgestürzt ist.

Während Amy Buckman sich durch den Supermarkt drängelte, versorgte Terry sie weiterhin mit Updates und weiteren Details. Sie fuhr nach Hause, packte die Einkäufe aus und schickte Textnachrichten an den Superintendenten des Schulbezirks, Robert Copeland, an den Schulleiter, Sean Hughes, und an den Leiter der Schuleinrichtungen des Bezirks, Jim Lill. Ich gehe ins Büro. Wir werden die Nachrichten sein. Sie rief Downer an, dann Doug Young, einen der Assistant Coaches von Downer, der obendrein ein ehemaliger Mannschaftskamerad von Kobe und ihr Vorgänger als Bezirkssprecher war.

Downers düsteres Flüstern am Telefon verriet ihr, dass der Mann noch nicht bereit war, vor Publikum zu sprechen. Es reichte für ein Statement von sechs Wörtern, das Buckman in die 189 Wörter umfassende Pressemitteilung aufnahm, die sie an ihrem Schreibtisch verfasste. Anders als Downer oder auch Young hatte sie die nötige Distanz für diese Aufgabe. Sie hatte Kobe nie getroffen. In ihrer Fernsehkarriere hatte sie über den Prozess um Ex-Football-Star O.J. Simpson berichtet, Oprah Winfrey interviewt, eine morgendliche Talkshow produziert und mit Dutzenden von Personen aus Philadelphia für eine lokale TV-Sendung gesprochen – mit Köchen, Rentnern oder auch Vorsitzenden von gemeinnützigen Organisationen. Kobe war berühmter als jede dieser lokalen Größen, dennoch hatten sich ihre Wege nie gekreuzt. Das war für Amy Buckman in diesem Moment alles andere als ein Hindernis. Es war ein Vorteil. Schließlich musste jemand hier klar und deutlich denken und sprechen. Jemand musste das Gesicht der Alma Mater von Kobe Bryant am Tag seines Todes sein.

Der improvisierte Schrein breitete sich bereits vom Bürgersteig vor dem Eingang der Sporthalle bis zu den Türen selbst aus. Reporter und Kamerateams hielten sich dort auf, um Interviews mit den Trauernden vor Ort zu führen; sie hofften darauf, Einlass zur Schule zu erhalten, um Aufnahmen für die Nachrichtensendungen des Abends machen zu können: Bilder vom Trophäenschrank und den darin befindlichen Erinnerungsstücken, Kobes Namen an den Wänden der Sporthalle, die offensichtlichen Bilder. Um 16:30 Uhr trat Buckman vor den Eingang der Schule und las folgende Erklärung vor:

Die Gemeinschaft des Schulbezirks Lower Merion ist zutiefst betrübt über den plötzlichen Tod eines unserer berühmtesten Absolventen, Kobe Bryant. Die Verbindung von Mr. Bryant zur Lower Merion High School, wo er vor seinem Eintritt in die NBA Basketball spielte, hat den Namen der Highschool und unseres Bezirks in der ganzen Welt bekannt gemacht …

Gregg Downer war von 1992 bis 1996 Trainer von Mr. Bryant. Mr. Bryant führte das Team 1996 zur State Championship. Downer sagte, er sei völlig schockiert und am Boden zerstört gewesen, als ihn die Nachricht erreicht hatte und fügte hinzu: „Die Aces Nation hat ihr Herz verloren. Die gesamte Community des Schulbezirks Lower Merion spricht der Familie von Mr. Bryant ihr tiefstes Beileid aus.“

Buckman sagte den Medienvertretern, dass sie das Gebäude nun betreten und ihr Filmmaterial drehen könnten. Dies sei nur heute noch möglich. Niemand werde sie am Montag für weitere Aufnahmen wieder hineinlassen, weil Montag ein Schultag sei. Die Reporter gingen hinein und sammelten ihr Schnittmaterial, richteten ihre Kameras auf den glitzernden Hartholzcourt und die Meisterschaftsbanner, die in der Turnhalle hingen, auf die kaleidoskopischen Mosaike von Kobe an den Wänden außerhalb der Turnhalle, auf den gläsernen Trophäenschrank, in dem die Schule fünf Paar von Kobes Sneakern und vier gerahmte Fotos von ihm und den Pokal der State Championship von 1996 ausstellte, den glänzenden goldenen Basketball, den er in jener Nacht in Hershey über seinem Kopf gehalten hatte.

Die Reporter verschwanden. Der Strom der Trauernden brach nicht ab. Der Teppich aus Briefen, Blumen und Basketbällen – es waren mehr als 400 Bälle – schlängelte sich bis zum Rand des Eingangs, blockierte dort die Türen, was einen Verstoß gegen die Sicherheitsbestimmungen darstellte. Deshalb riegelten Buckman, Hughes und Lill einen nahe zur Halle gelegenen Rasenabschnitt ab und begannen, Briefe, Lilien und Rosen einzusammeln. Diese trugen sie vorsichtig und behutsam und deponierten sie neben die Türen, in die Nähe von verdorrten Büschen und einer Fläche mit Mulch und Erde. Bis in die Dunkelheit des frühen Montagmorgens dauerte es, ehe sie alle Gegenstände weggeschafft und einen Weg zum Betreten und Verlassen der Schule freigemacht hatten. Amy Buckman trug immer noch die hellbraunen Cord-Leggins und den schwarzen Daunenmantel, mit dem sie am Sonntag im Supermarkt gestanden hatte.

Zur gleichen Zeit, als der Hubschrauber seines alten Freundes abhob, hatte sich Doug Young für einen kurzen Flug von Alabama nach North Carolina in den Sitz eines Flugzeugs gezwängt. Der Kommunikationsstratege hatte die Woche in Mobile verbracht, um am Senior Bowl teilzunehmen, einer Veranstaltung, bei der NFL-Führungskräfte und -Trainer College-Spieler scouteten. Gleichzeitig bot der Senior Bowl die Gelegenheit zum Networking für einige von Youngs Kunden, aufstrebende Coaches und Quarterback-Gurus beispielsweise. Der 1,95 Meter große und schlanke Young hatte ein stilvolles Äußeres und gepflegtes Auftreten, das keinerlei Hinweise auf seine bedingungslose Loyalität und Zuneigung zu seiner Highschool gab. Niemand wusste mehr über die Geschichte von Lower Merion und das dortige Basketballprogramm als er, und mit Ausnahme von Downer hatte niemand mehr dafür getan, die Verbindung zwischen Kobe und der Schule am Leben zu halten.

Als das Team 2018 nach Los Angeles gereist war, um Kobe zu besuchen, hatte sich Young etwa um die Reiseroute und die Unterbringung gekümmert, eine 90-minütige Gesprächsrunde zwischen Kobe und den Spielern in Kobes Büro arrangiert und dafür gesorgt, dass jeder Spieler ein signiertes Exemplar von Kobes Buches „The Mamba Mentality“ erhielt. Wann immer Downers Spieler eine besondere Inspiration benötigten, kümmerte Young sich darum, eine Telefonkonferenz bzw. ein aufmunterndes Gespräch mit Kobe in den Zeitplan einzubauen. Seine beiden letzten Schuljahre waren mit Kobes erstem und zweiten Highschool-Jahr, der neunten und zehnten Klasse, zusammengefallen.

Während der 45 Minuten, die das Flugzeug in der Luft war, ließ Young sein Mobiltelefon und seinen Laptop ausgeschaltet. Doch nach der Landung bemerkte er, dass einige der Passagiere weinten, nahezu alle schauten gebannt auf ihre Telefone und waren in ihren Sitzen erstarrt: Person um Person, Reihe für Reihe – ein Dominoeffekt an Schock und Trauer. Young schaltete sein Telefon ein, und war sofort selbst wie betäubt.

Auf dem Weg zum Terminal, um für seinen Flug nach Philadelphia einzuchecken, wurde ihm plötzlich bewusst, dass er sich völlig zufällig an einem sehr speziellen Ort befand: Charlotte Douglas International Airport. Charlotte, die Heimat der Hornets. Jenes Teams, das Kobe gedraftet hatte.

In den zwei Tagen nach dem Unfall reagierte Downer nur auf wenige der Anrufe. Er verharrte in einem Halbschlaf, in den er an jenem Nachmittag verfallen war. Hughes hatte ihm gesagt, er solle nicht kommen und zu unterrichten versuchen. Bleib zu Hause. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Downer hatte Textnachrichten mit Kobes Cousin John Cox ausgetauscht, aber er hatte nichts von seinen Eltern Joe und Pam gehört. Niemand hatte etwas von ihnen gehört. Sie hatten sich öffentlich nicht äußern wollen. Downer hoffte auf ein baldiges Signal von ihnen, aber bis dahin musste er sich erst einmal um dringendere Angelegenheiten kümmern. Hughes und Jason Stroup, der sportliche Leiter der Schule, wollten Downers Spieler vor dem anstehenden Training zusammenrufen, um mit ihnen zu sprechen, und Lower Merion hatte am Dienstagabend noch immer ein Spiel zu spielen. Einige der Spieler hatten Kobe kurz zuvor während eines Besuchs in Los Angeles getroffen, und da Downer die Aufgabe, die Spieler zu beruhigen, nicht Hughes und Stroup überlassen wollte, machte er sich auf den Weg zur Schule. Dort wollte er mit der ihm eigenen Autorität zu den Spielern darüber sprechen, wer Kobe gewesen war und was er von ihnen nun erwartet hätte.

Downer sprach mit seinen Spielern über Kobes Tod auf eine Art und Weise, von der er hoffte, dass sie bei den Teenagern Anklang finden würde. Hier kreisen eine Menge Emotionen, Jungs, sagte Downer ihnen. Wir müssen diese zehn oder 15 Emotionen auf drei oder vier reduzieren. Wenn ich darüber nachdenke, was Kobe sich in einer solchen Situation wünschen würde, dann denke ich, dass er so schnell wie möglich wieder den Ball in die Hand nehmen wollen würde. Wir haben am Dienstag ein wichtiges Spiel. Wir sollten mit dem Ball dribbeln wollen. Wir sollten unsere Sneaker quietschen lassen wollen. Wir sollten wie verrückt kämpfen wollen – und das werden wir auch. Wir sollten uns bewusst sein, dass wir alle gesund sind. Lasst uns bewusst machen, dass wir in der Lage sind, Basketball zu spielen, und lasst uns versuchen, dabei eine Menge Spaß zu haben.

Seit Buckmans Erklärung hatte er sich nicht öffentlich geäußert, aber nun ließ sich das nicht mehr vermeiden. Eine regelrechte Welle von Interviewanfragen für Downer hatte die Verantwortlichen im Schulbezirk überrollt. Daraufhin hatte Buckman eine Pressekonferenz mit Downer und Young im Verwaltungsgebäude anberaumt. Es war eine Strategie, direkt aus dem Lehrbuch der modernen Medienarbeit, die angesichts von Kobes Ruhm die passende war. Buckman wollte lokalen Fernsehsendern, Zeitungen und Websites und vielleicht auch dem einen oder anderen überregionalen Medium – der New York Times, der Washington Post – die Gelegenheit geben, persönlich mit Kobes Coach zu sprechen. Im Anschluss daran – und Buckman hatte dies zur Bedingung gemacht – würde der Bezirk den Reportern, von denen 30 zum Termin erschienen waren, es erst einmal nicht mehr erlauben, Downer oder sonst irgendjemanden in Lower Merion zu Kobe zu befragen. Downer hatte noch immer ein Team zu coachen, außerdem brauchte er Zeit zum Trauern. Wie jeder andere auch.

Einer nach dem anderen marschierten die Medienvertreter in einen Konferenzraum, in dem ein großer, hufeisenförmiger Tisch umgeben von dicken Holzstühlen stand. Die Phalanx der aufgebauten Kamera- und Mikrofonstative schloss das offene Ende des Hufeisens ab. Hinter dem Kopf des Tisches hing ein kastanienbraunes Transparent. Auf einer Staffelei stand ein großes Foto von Kobe aus der Zeit seiner High-School-Spiele. Darauf trug er ein weißes Trikot und hielt einen Basketball in der rechten Hand, sein Mund stand offen, die Augen waren nach oben gen Korb gerichtet, während er kurz davor war, den Ball für einen Reverse Layup über den Kopf zu heben – ein makelloser Schnappschuss seiner Athletik, seiner Anmut auf dem Spielfeld.

Gefolgt von Young betrat Downer den Konferenzraum durch eine Tür hinter dem Banner, sein strohgrauer Kurzhaarschnitt passte perfekt zur klassischen Vorstellung des Berufsbilds: Seit mehr als 20 Jahren war er Sportlehrer an dieser Schule. Minuten zuvor noch hatte er einen Schrank in einem Lagerraum neben der Turnhalle durchwühlt und ein wertvolles Artefakt herausgekramt: Kobes weiße Aufwärmjacke, die ihn als Junior und Senior in seinen letzten beiden Highschool-Jahren begleitet hatte, mit der Nummer 33 auf den Ärmeln. 24 Jahre lang hatte sie in diesem Schrank gelegen, seit Kobe sie das letzte Mal getragen hatte – und: 24 war Kobes erste Trikotnummer in Lower Merion gewesen, seine zweite Trikotnummer bei den Lakers. Seltsamer Zufall? Oder nicht? Als Downer jedenfalls sich auf das Zusammentreffen mit der Presse vorbereitete, zog er sich die Aufwärmjacke an, als wäre sie ein Schutzmantel. Er hatte das Gefühl, dass er ihn tragen musste, dass er dadurch sicherer und stärker war.

„In einem Moment wie diesem gibt er mir Kraft“, sagte er später. „Ich war mir nicht sicher, ob ich den gestrigen Tag überstehen würde. Ich war mir nicht sicher, ob ich meine Gefühle unter Kontrolle halten könnte. Und ich … schaffte es. Das kommt durch ihn. Es bedeutet mir sehr viel, diese Jacke zu tragen. Wenn es eine kleine Verbindung zwischen ihm und mir gibt, dann mit dieser Aufwärmjacke, die er getragen hat …“

Er saß am Kopfende des Tisches, während Young auf dem Stuhl links von ihm Platz genommen hatte. „Ich danke für eure Geduld“, sagte Downer zu den Medienvertretern. „In den letzten Tagen haben wir schlecht geschlafen, wenig gegessen und viel geweint.“ Man sah es ihm an: Sein Gesicht war aufgedunsen, seine Augen rot. Zu seiner Rechten, in einer Ecke des Raums, saß eine Gruppe von Männern: ehemalige Spieler und Trainer, Alumni, Freunde von Downer. Jeremy Treatman stand zwischen ihnen, die Arme vor der Brust verschränkt, den Kopf kraftlos zwischen den Schultern baumelnd, als hänge sein Genick an einem Haken.

Die Ansammlung all der Leute verdeutlichte Kobes Stellenwert, aber auch den von Downer. Kobes erste Saison bei den Aces war die dritte, in der Downer das Schulteam trainiert hatte. Als er Kobe als Achtklässler zum ersten Mal spielen sah, hatte der Coach gescherzt: Ich werde auf jeden Fall noch vier Jahre hier sein. Aus vier Jahren waren 30 geworden, und Lower Merion hatte in dieser Zeit 15 League Championship gewonnen. Mit Kobe hatten sie 1996 die State Championship gewonnen und diesem zwei weitere folgen lassen. Downer hatte nie wieder eine Saison wie die letzte von Kobe an der Highschool erlebt – die Nachfrage nach Autogrammen, nach Eintrittskarten, die Menschenmassen, das Medieninteresse. Es waren Spiele, die zu Rockkonzerten wurden – aber ohne diese irre Spielzeit, so glaubte er, wäre keiner der nachfolgenden Erfolge möglich gewesen. „Der Weg unseres Programms wäre ganz anders verlaufen, wenn er nicht zu uns gekommen wäre“, sagte Downer. „Er hat uns beigebracht, wie man gewinnt. Er hat uns beigebracht, wie man hart arbeitet. Er hat uns gelehrt, es uns nicht einfach zu machen. Die Messlatte lag sehr hoch … Ich glaube nicht, dass der Antrieb für alles Folgende da gewesen wäre, wenn wir nicht das Glück gehabt hätten, diesen unglaublichen Spieler, diesen unglaublichen Menschen kennenzulernen.“

Downer suchte nach Worten, was ihm sichtlich schwerfiel, als ihn jemand fragte: „Hast du schon mit jemandem aus Kobes Familie gesprochen?“ Die Frage traf ihn ins Mark. Joe und Pam Bryant waren im Prinzip auch Mitglieder seiner Familie gewesen. Joe war sogar der Coach des Junior Varsity Teams unter Downer gewesen, als Kobe dort spielte. Das Verhältnis zwischen Kobe und seinen Eltern jedoch hatte während seiner Zeit bei den Lakers Schaden genommen. Die Eltern hatten es für einen Fehler gehalten, dass ihr gerade mal 21 Jahre alter Sohn die 18-jährige Vanessa heiratete. Zudem hatte sich Kobe mit Pam gestritten, als diese einige seiner persönlichen Gegenstände und Erinnerungsstücke hatte verkaufen wollen. Du bist noch nicht bereit, zu heiraten … Doch, das bin ich … Ich werde einige deiner Sachen verkaufen … Nein, das tust du nicht. Es hatte Streit gegeben, vollkommenes Schweigen, vorübergehende Versöhnungen, erneutes Miteinander-Brechen und dann doch wieder die kleine Chance, dass es alles noch mal gut werden könnte … der komplette Konflikt, letztendlich wegen Kleinkram –– Highschool- und Lakers-Trikots, Meisterschaftsringe, einfach Kleinkram, und was war dieser ganze Kleinkram jetzt noch wert?

Die Wunden waren so tief. Downer wusste, dass sie der Grund dafür sein mussten, dass Joe und Pam sich noch nicht öffentlich zum Tod ihres Sohnes geäußert hatten. Downer hatte Vanessa nie persönlich getroffen, aber er hatte seine Beziehung zu Kobe stets aufrechterhalten. Er hatte ihn in den letzten 18 Monaten dreimal gesehen, hatte sein Team nach L.A. begleitet, hatte sich mit ihm in Philadelphia bei einer Autogrammstunde getroffen. Kobe hatte im März 2019 eine Buchreihe für Grundschulkinder herausgebracht, die er verschenkte – er verkaufte sie nicht, er verschenkte sie. An diesem Tag hatte Downer das letzte Mal persönlich mit ihm gesprochen. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal mit Joe und Pam persönlich gesprochen hatte, und jetzt war da diese Frage, und die Kameras waren auf ihn gerichtet …

„Ich hatte eine wunderbare Beziehung zu Pam und Joe … Ich habe von Joe viel über Coaching gelernt, und ich denke mit Hochachtung an ihn … Ich möchte Vanessa und die anderen drei Mädchen unbedingt unterstützen. Ich möchte unbedingt für sie da sein, in jeder auch noch so kleinen Weise, die mir möglich ist. Und ich … äh … möchte auf jeden Fall mit Joe und Pam in Kontakt treten.“

Jetzt weinte er. Jetzt folgten keine Worte mehr.

„Joe und Pam, wir haben einen großartigen Menschen verloren. Ich liebe Kobe, und ich liebe auch Joe und Pam.“

Er griff nach einer Flasche Gatorade, die er vor sich auf den Tisch gestellt hatte. Er hielt sie kurz an seine Lippen, wischte sich mit der rechten Hand über die Augen, dann mit der linken. Im Raum hätte man eine Stecknadel fallen hören.

Einen Monat später, Dienstag, der 25. Februar. Der Tag nach der Gedenkfeier für Kobe und Gianna Bryant im Staples Center in Downtown Los Angeles. Um acht Uhr in der Früh saß Downer an Bord eines Flugzeugs zurück nach Philadelphia, wo er um 19:30 Uhr ein Spiel der District Playoffs coachen sollte. Downer hatte die letzten vier Trainingseinheiten seiner Mannschaft verpasst und kein Videomaterial über den Gegner angesehen. Stattdessen hatte er sich mit seinen Assistant Coaches ausgetauscht und er hatte keinen Zweifel daran, dass seine Spieler für das Spiel bereit sein würden. Doch in Wahrheit war er mit seinen Gedanken noch immer beim Vortag.

Downer, Treatman und Young waren einem Plan gefolgt, den sie kurz nach Kobes Tod gefasst hatten. Egal, wann die Lakers eine Gedenkfeier für Kobe abhalten sollten, die drei würden dazu an die Westküste reisen. Downers Gedanken schweiften zur Feier zurück. Es war schwierig gewesen, überhaupt Karten für die Zeremonie zu bekommen, weil nur sehr wenige verfügbar waren und die Zeremonie stark auf die NBA und Los Angeles ausgerichtet war; man hatte Vanessas Wünschen gerecht werden wollen. Aber Tim Harris, der Senior Vice President for Business Operations der Lakers, hatte sich für Downer & Co eingesetzt. Harris hatte sogar noch zusätzliche Karten besorgt, sodass Jeanne Mastriano und Downers jüngerer Bruder Brad ebenfalls an der Zeremonie teilnehmen konnten.

Die Gruppe verließ ihr Hotel früh am Morgen, Brad fuhr sie zum Staples Center. Für Gregg waren zehn Minuten zu früh sowieso schon immer zehn Minuten zu spät, und richtigerweise hatten sie Verspätungen einkalkuliert, die über das übliche Chaos der Rush Hour in Los Angeles hinausgingen. Einige Straßen waren abgesperrt worden. Der Rest erstickte im Verkehr. Außerhalb der Arena waren in den Tagen nach seinem Tod riesige Wandgemälde von Kobe entstanden, an denen nun die Fans vorbeigingen. Die meisten von ihnen trugen Lakers-Trikots, aber auch einige Lower-Merion-Trikots waren zu sehen. Lower-Merion-Trikots in Kalifornien, in China … die Reichweite … Kobes Reichweite … allein in dieser Umgebung … Young staunte bei den Gedanken an die Community, die durch diesen einen Menschen entstanden war. Leute verkauften Kobe-T-Shirts. Die Leute kaufen sie?, dachte Downer. Er hatte Mühe, das zu verdauen. Es erschien ihm schlichtweg unangemessen. Kobes Geist war hier allgegenwärtig, und man konnte ihn kaufen, im Siebdruck auf Viskose, für schlappe 15 Dollar.

Auf dem Weg ins Stapels passierten sie die Sicherheitsleute und Ganzkörperscanner. Zu einer anderen Zeit, in einem anderen Kontext, wäre die Szenerie im Inneren der Halle um ihn herum ein Traum für Gregg Downer gewesen: Er, das Arbeiterkind aus Media, Pennsylvania, umgeben von Michael Jordan, Bill Russell, Kareem Abdul-Jabbar, Elgin Baylor, Jerry West, Shaquille O’Neal, Magic Johnson, Tim Duncan. Er war immer davon ausgegangen, dass er bei der Aufnahme von Kobe in die Naismith Memorial Basketball Hall of Fame inmitten dieser Unsterblichen sitzen würde. Doch der Anlass dieses Aufeinandertreffens war sein schlimmster Albtraum. Er kämpfte immer noch damit, diese neue Wirklichkeit zu begreifen.

Zwei Jahrzehnte lang hatte er sich an der Westküstenzeit orientiert und gelernt, mit fünf Stunden Schlaf auszukommen, damit er jede Nacht Kobes Kämpfe und Triumphe verfolgen konnte. Er sah Kobes Airballs in Utah während der demütigenden Playoff-Niederlage in seinem ersten Jahr, sein 81-Punkte-Spiel, die fünf Meisterschaftsringe. Ehe er im Herbst 2018 gestorben war, hatte Downers Vater Robert alle zu später Stunde übertragenen Spiele der Lakers aufgezeichnet und sie sich am nächsten Morgen gleich angesehen. Anschließend begann er jedes der dann folgenden Telefonate mit seinem Sohn mit der Standardfrage: Hast du gesehen, was Kobe gestern Abend gemacht hat? – es sei denn, Kobe war nicht zum Einsatz gekommen, dann hatte Robert Downer die Aufzeichnung des Spiels einfach ungesehen gelöscht.

Für Gregg jedoch gab es zu viele Erinnerungen, die er einfach nicht löschen konnte. Etwa wie er mit Kobe im alten Great Western Forum vor dem Training der Lakers Freiwürfe warf. Wie er in Kobes Haus mit Blick auf den Pazifik aß, nachdem sie zuvor darin geschwommen waren. Wie er zu Spielen im ganzen Land reiste, nur um Kobe spielen zu sehen. Wie er an Kobes Basketball-Camps mitarbeitete. Wie er mit Kobe E-Mails über Taktiken austauschte. In einem privaten Moment in Lower Merion hatte Downer ihm mitgeteilt, dass er Vater werden würde. Kobe hatte ihn umarmt.

Noch eine Erinnerung, diesmal ganz frisch: Gregg hatte Joe und Pam Bryant und Kobes Schwestern Sharia und Shaya Sekunden nach der Zeremonie eng umarmt, Treatman und Young waren auch da gewesen. Alle hatten sie miteinander geweint. Die Zeremonie war wunderschön, auch wenn weder Joe und Pam noch Kobes Highschool-Zeit erwähnt wurden. Vanessa hatte über das Programm entschieden und natürlich war sie bestrebt, ihre Tochter ebenso zu ehren wie ihren Ehemann. Aber das frostige Verhältnis zwischen ihr und Kobes Eltern war doch sehr offensichtlich. Treatman hatte beobachtet, dass sie während und auch nach der Zeremonie kein Wort miteinander gesprochen, geschweige denn sich angesehen hatten.

Rob Pelinka, Kobes ehemaliger Agent und General Manager der Lakers, hatte eine Rede gehalten. Ebenso der Frauenbasketball-Coach der University of Connecticut, Geno Auriemma, und eine seiner besten Spielerinnen, Diana Taurasi. Vanessa hatte gesprochen. Genauso wie Shaq, Magic und Michael. Die letzte Rede, die von Jordan, hatte Downer so sehr bewegt, hatte ihn an die Gespräche erinnert, die er mit Kobe geführt hatte, als dieser 16, 17 Jahre alt war und so offensichtlich Jordans Bewegungen und Verhaltensweisen auf dem Spielfeld nachgeahmt hatte. Die Rede hatte Downer bewegt, weil Jordan, der immer so stoisch und stolz wirkte, Kobe als seinen „kleinen Bruder“ bezeichnet hatte, als einen erstaunlichen Spieler. Wie Kobe wohl darauf reagiert hätte!

Als die Zeremonie zu Ende war, eilten Downer und Treatman zu Joe und Pam, die in der Nähe der Bühne saßen. Als sie Treatman sah, rief Pam: „Das ist Jeremy! Ich bin’s, Jeremy!“ Als ein Security-Mann die beiden aufhielt, spielte Downer eine Karte aus, die er noch nie gespielt hatte. Er blickte dem Mann in die Augen und sagte: „Ich bin der Highschool-Coach von Kobe Bryant. Ich muss jetzt seine Eltern sehen. Deshalb bin ich hier.“ Der Security-Mann ließ ihn passieren, und Joe Bryant, der gerade noch Shaq umarmte, ließ diesen los, packte stattdessen Downer und zog ihn zu sich heran. Er lächelte breit und begann, Downers Schultern zu massieren, als wolle er die Anspannung und den Druck und das gemeinsame Elend lindern. Dabei wiederholte er immer und immer wieder denselben Satz:

„Wir haben ein Kind für die Welt gemacht“, sagte Joe Bryant. „Wir haben ein Kind für die Welt gemacht.“

Und jetzt, wo alle Reden beendet waren … was sollte nun kommen? Downer hatte sein Leben aus vier verschiedenen Perspektiven betrachtet: aus der des Lehrers, des Coaches, des Vaters und Ehemanns. Und was nun? Er war sich nicht sicher. Erinnerungen und Rückblicke waren in Lower Merion omnipräsent. Zehn Monate im Jahr, sechs Tage in der Woche, trainierte er in der Turnhalle, die Kobe finanziert und gebaut hatte und die seinen Namen trug. Kobe konnte ihm in jedem Moment und aus irgendeinem Grund in den Sinn kommen. Vor ein paar Wochen hatte sich Downer eines Morgens aus ihm nicht erklärlichen Gründen plötzlich auf den Boden der Schule fallen lassen, seine Brust an die Fliesen gepresst und 24 Liegestütze gemacht.

Downer begann, Gedanken, zufällige Eingebungen und Merksprüche zu notieren. Kobe braucht es, dass ich stark bin. Meine heutigen Spieler brauchen es. Meine Schüler brauchen es. Ich muss die Spieler und Schüler weiterhin positiv beeinflussen, so wie ich es seit 30 Jahren versucht habe. Kobe würde wollen, dass ich aufrecht und entschlossen bleibe.

Er dachte an Brynn, an den Hashtag, der sich in den Tagen nach dem Flugzeugabsturz wie ein Lauffeuer über die sozialen Medien verbreitet hatte, weil ein Clip von Kobe viral gegangen war: In einer Late-Night-Talkshow hatte er sich als „Girl Dad“ bezeichnet. Das fühlte sich für ihn jetzt greifbar an. Vielleicht war es diese Verbindung zu Kobe, die er gebraucht hatte. Brynn war immer zu den Basketballspielen ihres Vaters gekommen. Hatte ihr eigenes Klemmbrett mitgebracht. Sie war bei allen Video-Sitzungen und Ansprachen vor dem Spiel dabei gewesen. Hatte ihren Vater bei Siegesfeiern nach einem Spiel in der Kabine mit Wasser übergossen. War mit ihrem Vater zusammen schwimmen gegangen. Hatte mit ihm vor dem Kamin genächtigt. Und Football und Baseball mit ihm gespielt. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie ihren ersten Treffer auf einen Korb in drei Metern Höhe erzielt. Gregg Downer schrieb weiter.

Sie kann sein, was immer sie sein möchte, und ich möchte sie so sehr durch die guten wie die schlechten Zeiten begleiten. Die Liebe von Kobe zu seinen Girls, sein Vermächtnis als Vater, gibt mir Kraft. Die Verbundenheit, die wir während der Erziehung unserer Töchter miteinander hatten, ist das größte Geschenk unserer Beziehung. Es ist das, was mich am meisten inspiriert. Zu meiner eigenen Motivation und für meinen Seelenfrieden sind drei Worte entscheidend: Mut, Widerstandsfähigkeit und Liebe.

Jeder Trainer, so glaubte er, braucht zu jeder Zeit einen Plan. Zum ersten Mal seit dem 26. Januar und fast 30 Jahre, nachdem er Kobe Bryant zum ersten Mal getroffen hatte, glaubte Gregg Downer, einen Plan zu besitzen. Das Flugzeug glitt durch die Wolken und brachte ihn nach Hause, zurück dorthin, wo die Reise begonnen hatte.

Ich weiß, dass die Spieler, die vor mir gespielt haben und die, die immer noch spielen, die NBA zu dem gemacht haben, was sie heute ist. Wie hätte ich das nicht verstehen können, nachdem ich meinen Vater spielen gesehen habe und weiß, was er durchgemacht hat?

KOBE BRYANT

2 | Ein sicherer Hafen

Einige der zu Kobe Bean Bryants Geburt veröffentlichten Details strotzen nur so vor Zweideutigkeiten und Fehlern. Verbrieft ist immerhin, dass er am 23. August 1978 im Lankenau Hospital zur Welt kam. Und das ist ein Fakt, der zu der eher nachtragenden Einstellung vieler Sportfans aus Philadelphia beitrug, die Kobe nie ganz akzeptiert, geschweige denn ihn als einen der ihren angesehen haben. Genau genommen wurde Kobe gar nicht in der Stadt Philadelphia geboren. Zwar lag Lankenau seine ersten 93 Jahre lang innerhalb der Grenzen der Stadt, 1953 jedoch zog das nach einem deutschen Kaufmann benannte Hospital in die Lower Merion Township im Montgomery County, ein 93 Hektar großes Speckgürtelareal. Kobe stammte also nicht aus Philadelphia. Aber die gelegentliche fälschliche Darstellung seines Geburtsortes ist ein weniger großer Fehler als jener, den die beiden Zeitungen begingen, die seine Geburt zuerst erwähnten. Am Tag, nachdem er das Licht der Welt erblickt hatte, verkündeten der Philadelphia Inquirer und die Philadelphia Daily News –erstere ein nüchternes Mainstreamblatt, letztere eine Boulevardzeitung – seine Geburt auf die gleiche fehlerhafte Weise. Seinen Vornamen schrieben sie: „Cobie“.

Ein in gewisser Weise verständlicher Fehler. Denn es war ein ungewöhnlicher Name mit einer ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte. Als sich der August 1978 dem Ende neigte und der Trainingsstart der Philadelphia Sixers näher rückte, stand Joe Bryant kurz vor seiner vierten Saison im Team. Joe hatte über die Jahre eine Vorliebe für ein bestimmtes Restaurant entwickelt: Das Kobe Japanese Steak House in King of Prussia, Pennsylvania. Das zu Beginn der 1970er-Jahre eröffnete Restaurant war an ein Hilton-Hotel angeschlossen und lag nur einen Steinwurf von der Hauptattraktion des Vorortes entfernt, der King of Prussia Mall. Sein Besitzer, Christ Dhimitri, pries es als exotische Alternative zu den bewährten amerikanischen Steakhäusern an, wobei es tatsächlich so wahnsinnig exotisch nicht war. Serviert wurden Speisen nach Teppanyaki-Art – gebraten, gegrillt, in der Pfanne zubereitet. Sushi oder Sashimi standen nicht auf der Speisekarte, und ironischerweise gab es auch nichts vom Kobe-Rind: Wegen des Ausbruchs der Maul- und Klauenseuche in Japan war es in den Vereinigten Staaten damals verboten, das saftige Fleisch zu importieren.

Während Joes Zeit bei den Sixers hielten diese ihr jährliches Trainingscamp im September ab, zunächst am Ursinus College, später dann am Franklin & Marshall College. Das machte jeweils längere Fahrten aus Philadelphia oder Wynnewood nötig, auf denen man, wenn man wollte, im Kobe Japanese Steak House einkehren konnte. Viele Sixers wollten das, und so wurde das Restaurant zu einer Art Treffpunkt für die Spieler, die zum Trainingscamp pendelten. Gastgeber Dhimitri zählte zu seinen Kunden unter anderem Julius „Dr. J“ Erving und Maurice Cheeks, und auch die Bryants besuchten das Restaurant häufig.

„Damals“, sagte Dhimitri später, „war japanisches Essen wirklich etwas ganz Besonderes, mit frischen Zutaten, in angenehmer Atmosphäre. Deshalb sind sie gekommen.“

Als er 1998 vom Magazin Sports Illustrated gefragt wurde, weshalb Pam und er ihren Sohn Kobe genannt hatten, witzelte Joe: „Ich weiß nicht, ob ich das sagen sollte, weil die vielleicht die Rechte daran haben wollen.“ Dabei war seine Sorge grundlos. Dhimitri hatte sich nie darum bemüht, von den Bryants irgendwelche Tantiemen zu verlangen. Die Möglichkeit, diese Geschichte zu erzählen, „sein“ Kobe mit dem Kobe in Verbindung zu bringen, reichte ihm vollkommen aus; auch wenn man sich fragen mag, warum ein Mann seinen einzigen Sohn nach seinem Lieblingsrestaurant benennt.

Heutzutage besteht die Straße, in der Joe Bryant den größten Teil seiner Kindheit verbracht hat, der Block 5800 der Willows Avenue in West Philadelphia, aus einem rund 161 m langen, zickzackförmigen Bürgersteig mit Unkrautflecken, die aus Rissen im Beton hervorschießen, aus sieben verfallenen Reihenhäusern mit verbogenen Sperrholztüren und rostigen Fliegengittertüren, die im Wind schwingen und knarren, und aus Autos am Straßenrand, die so dicht nebeneinander geparkt sind, dass kein Blatt zwischen sie passt. Wenn man aus einem dieser Reihenhäuser heraustritt, um die Ecke biegt, den Cobbs Creek Parkway überquert und nach Norden geht, stößt man auf eine Oase: einen leuchtend grünen Park mit einem Basketballplatz, auf dem Joe als Junge spielte. Der Block verströmt heute nur noch wenig von dem, dessentwegen Joe Bryant Sr. – Kobes Großvater – aus Dooly County, Georgia, dorthin gezogen war. Er war einer von Hunderttausenden Schwarzen, die während der Great Migration aus dem Süden nach Philadelphia gekommen war; insgesamt sechs Millionen Afroamerikaner waren damals aus den ländlichen Gebieten im Süden in den industriellen Norden der USA umgesiedelt worden.

In Philadelphia hatten sich die Neuankömmlinge vor allem in den nördlichen, südlichen und westlichen Vierteln der Stadt niedergelassen, sie gliederten sich an die bereits bestehenden ethnischen Enklaven der Umgebung an, gelegentlich vermischten sie sich mit ihnen – mit den russischen Juden im Westen, mit den Italienern im Süden. Es entstanden Reihenhauskolonien inmitten von Handwerksbetrieben, Teppich- und Bekleidungsherstellern, Wohnungen, die sich über Lebensmittelläden stapelten, fensterlose Lagerhäuser aus hellbraunem Backstein, an denen die Straßenbahn vorbeifuhr. Es gab eine Zeit, da gab es mehr schwarze Hausbesitzer als in jeder anderen Stadt nördlich der Mason-Dixon-Linie, der historischen Grenze zwischen den Nord- und Südstaaten der Vereinigten Staaten. Die Besitzer dieser Häuser waren Bauarbeiter, Stahlarbeiter und Lastwagenfahrer, deren harte Arbeit ihnen die Genugtuung einbrachte, an kühlen Abenden auf den Veranden und Stufen ihrer Häuser zu sitzen und ihren Kindern zuzusehen, die auf den Straßen ihres Teils der Stadt spielten. Sie einte das Wissen, dass sie der Hölle entkommen waren und etwas Gutes und Solides für sich geschaffen hatten. Sie waren nicht reich, sie mussten aber auch nicht reich sein, denn das Geld, das sie verdienten, gehörte ihnen – und das machte es unbezahlbar. Als Joe Sr. 25 Jahre alt war, war er einer dieser Männer: ein Ehemann, ein Vater, über 1,80 Meter groß, ein stattlicher Körper, eine tiefe, gutturale Stimme, eine Erscheinung. Joe Sr. hatte die gleiche Reise hinter sich und zwei dieser Häuser gekauft – das erste an der 42. und Leidy in West Philadelphia, das zweite an der 58. und Willows, knapp fünf Kilometer weiter südlich. Und: Er hatte sich einen dieser Jobs gesichert. 16 Jahre lang arbeitete er bei einem Uniformverleih als Betriebsleiter. Er gründete eine Familie – eine Frau, zwei Söhne und eine Tochter, sein ältestes Kind war nach ihm benannt, er hütete es wie seinen Augapfel.

Stellt euch diesen seltsamen Anblick vor: ein 16-jähriger Junge, 1,90 Meter groß, mit einer Lücke zwischen den Vorderzähnen, die sein Lächeln breiter und strahlender erscheinen lässt, dünn wie eine Bohnenstange, und er rennt, rennt, rennt. Joe Bryant tat das immer: Er rannte einfach los, wenn er und sein Vater aneinandergerieten, wenn Joe Sr. ihm klar und deutlich zu verstehen gab, dass er keine Ausreden für Verstöße gegen die Regeln im Hause Bryant hören wollte. Eine dieser Regeln: Bringe niemals Tageslicht in dieses Haus. Das bedeutete, dass Joe unter keinen Umständen bei Tagesanbruch zurück nach Hause kommen durfte. Wenn er es doch tat, zahlte er einen hohen Preis: Er machte Bekanntschaft mit der eisernen Faust seines Vaters.

Big Joe war von Natur aus streng, nicht ungewöhnlich für Väter in dieser Zeit. Es gab durchaus Anlass zur Sorge, wenn Joe nicht zeitig zu Hause war. Philadelphia war in den 1960er-Jahren ein Paradies für Straßengangs. Ihre Zahl wuchs im Laufe des Jahrzehnts, und nach Schätzungen der Philadelphia Crime Commission gab es im Jahr 1969 75 Gangs mit insgesamt 3.000 Mitgliedern, die für 45 Morde und 267 Verletzungen in jenem Jahr verantwortlich waren. Als Zehn-, Elfjähriger war Joe in einige Schlägereien verwickelt, auf dem Schulhof, in der Nähe des Schwimmbads im Fairmount Park. Einmal prügelten er und einige Freunde sich mit einer Gang namens „39th and Poplar“, benannt nach der Straßenecke, die ihre Mitglieder bewachten. Joe war der Jüngste in seiner Gruppe, und als die Schlägerei begann, spürte er einen Schmerz in seiner linken Hüfte, so als ob ihn eine Nadel gestochen hätte. Als er nach unten blickte, sah er, wie das Blut an seinem Bein herunterlief und sich an seinen Füßen sammelte. Er war mit einem Messer verletzt worden, und die Wunde hinterließ eine auffällige Narbe.

Basketball war sein sicherer Hafen. Der Sport hatte ihn schon lange in seinen Bann gezogen. Als Star im Team der Bartram High School war er am Ende der neunten Klasse 2,01 Meter groß und konnte jederzeit und überall in der Stadt spielen. Er hatte ein Brett samt Korb, das an einem Strommast an der Ecke 58. und Willows festgeschraubt war. Und er hatte den Cobbs Creek Park. Nachdem seine Familie den Sonntagsgottesdienst in der New Bethlehem Baptist Church besucht hatte, gleich um die Ecke vom Haus seiner Großmutter, durfte Joe ein Spiel auf dem Platz nebenan spielen. Es gab die Bartram High, wo Joe für Jack Farrell spielte, ein Coach, der trotz einer freundlichen Miene hart mit seinem Team umging. Und es gab die Summer Leagues in Philadelphia und seinen Vororten. Joe begann in der Narberth League in der Lower Merion Township und stieg dann in die wichtigste Summer League der Stadt auf, die Sonny Hill League. Dort wurden die talentierten Spieler von Highschool-Trainern und College-Scouts aus Philadelphia und dem ganzen Land entdeckt. Hier lernte Joe, der als bester Spieler der Philadelphia Public League galt, Mo Howard kennen und freundete sich mit dem Point Guard der St. Joseph’s Prep an, der seinerseits als bester Spieler der Philadelphia Catholic League galt.

Fortan rannte Joe zu diesen Spielen, wo auch immer sie stattfanden. Oder er rannte zu Howards Haus in North Philadelphia, schlängelte sich durch etwa zehn Kilometer Hausblöcke, suchte Howard schließlich auf der Straße oder dem Court auf und forderte das Schicksal dann in einem Maße heraus, wie es wohl nur ein junger Athlet von seiner Statur tun konnte. Die Gangkultur brachte einen Kodex mit sich, die Rettung für Joe: Wenn man ein guter Sportler war, hatte man bessere Chancen, in Ruhe gelassen zu werden. Sonny Hill, ein ehemaliger Gewerkschafter mit der Anziehungskraft und dem Verkaufstalent eines Marktschreiers, nutzte sein Verhandlungsgeschick, um Waffenstillstände zwischen den Gangs auszuhandeln. Damit verschaffte er den Kids, die in seiner Liga spielten, Freiheiten und beruhigte zugleich deren Eltern. Das sprach sich herum: Wenn man wie Joe Teil der Sonny Hill League war, wenn man wie Joe in seinem Highschool-Team herausragende Leistungen erbrachte, dann erkannten die Leute, dass man nach Größerem, Besserem strebte und es auch erreichen konnte. Die Leute bewunderten dich, sie schützten dich vor der Gewalt. Für Joe Bryant war das eine wertvolle Lektion, die er allerdings erst dann richtig zu schätzen wusste, als er später selbst Vater eines Sohnes wurde: Der Basketball machte ihn unantastbar, half, das harte Leben in der Stadt zu vergessen bzw. verschaffte ihm sogar einen Vorteil. Er wusste, woher seine Gegner kamen und wie sie ihn einschätzten, welche Taktiken sie anwandten, um sich einen mentalen und körperlichen Vorteil zu verschaffen. Um diese Dinge zu lernen, musstest du nicht in der Stadt leben, aber du musstest in ihr spielen.

Das Schöne an Joe als Spieler war, dass seine Schnelligkeit nicht seine einzige herausragende Eigenschaft war. Er tat alles, was seine Trainer von ihm verlangten, alles, was seine Teams brauchten. Sein Vorbild war Earl Monroe, ebenfalls ein Bartram-Absolvent, der später eine Hall-of-Fame-Karriere bei den Baltimore Bullets und den New York Knicks hinlegte. Obwohl er 14 Zentimeter größer war als der 1,92 Meter große Monroe, wollte Joe dem Stil und den Fähigkeiten von „The Pearl“ nacheifern. Auch als sein dünner Körper muskulöser wurde, behielt er die auffällige Hand-Augen-Koordination bei, die ihn immer schon ausgezeichnet hatte. Er dribbelte den Ball zwischen seinen Beinen hindurch oder hinter dem Rücken, drehte und wendete sich wie ein kleinerer Spieler, wie ein Guard. Was er manchmal auch war.

Joe besaß Fähigkeiten, die andere Kinder seiner Größe nicht besaßen oder, falls sie sie doch hatten, nicht einsetzen durften. Ein Coach, der einen Spieler von 2,06 Meter oder mehr Körpergröße im Team hatte, beorderte diesen Spieler auf die Fünf, ins Zentrum von Offense und Defense. Bleib in Korbnähe. Wirf Korbleger. Vielleicht mal einen Hakenwurf. Beschütze unseren Ring. Aber Joe … er war anders.