KOELLBERGS Teil II - Familienangelegenheiten - John George Bernard - E-Book

KOELLBERGS Teil II - Familienangelegenheiten E-Book

John George Bernard

0,0

Beschreibung

Dank seines reaktionsschnellen Kollegen, Markus Zeller hat der junge Polizeimeister, Thomas Koellberg seinen Einsatz in der Nacht zu Karfreitag glücklich überlebt. Dieser Zwischenfall schweißt seine Freunde und Familie noch enger zusammen, und in Toms Mutter reift der Entschluss, den besten Freund und Mentor ihres Sohnes, Kriminalkommissar Carlo Marques zu adoptieren. Thomas bedankt sich bei seinem neuen Kollegen Markus, indem er entscheidend dazu beiträgt, dass der junge Polizeiobermeister von der Schutzpolizei zur Kripo wechseln kann. Darüber hinaus gelingt ihm aber noch eine weitaus größere Überraschung für seinen neuen Freund. Beruflich haben Kriminalhauptkommissar Peter Harms und seine junge Truppe turbulente Zeiten zu bewältigen. Der Entführungsfall des jungen Schülers Ralph Rehm entwickelt sich zur Tragödie. Ein Mordfall erweist sich nicht als solcher. Dagegen stellt sich ein Unfall als Tötung heraus. Zu alledem meldet sich der Shala-Clan zurück, um Rache zu üben am Tod seiner beiden Mitglieder. Der unerfahrene Tom geht ihnen in die Falle. Für ihn beginnt ein Leidensweg, der ihn zum Zusammenbruch und seine Lieben fast zur Verzweiflung treibt…

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 494

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



PROLOG

Pirro hatte die ganze Zeit im Bad gekauert. Jetzt traute er sich in das Schlafabteil des Wohnmobils, um nach seinem neuen Freund zu sehen. Tränen schossen ihm in die Augen, als der junge Albaner Toms nackten, geschundenen Körper erblickte, der völlig regungslos auf dem Bett lag. Pirro versuchte, auf ihn einzureden. „Tommy, bitte mach dem ein Ende. Sag ihnen wo Gregor steckt!“ Pirros eindringliche Bitte erreichte den Gepeinigten nicht mehr. Der hatte inzwischen gänzlich das Bewusstsein verloren.

Es war am Donnerstagmorgen des 19. April 2012 um 04:33 Uhr, 109 Tage nach seinem Dienstantritt und 45 Tage vor seinem 20. Geburtstag, als das Herz des Polizeimeisters, Thomas Koellberg seinen Dienst versagte. Die Stromstöße der Elektro-Schocker hatten das Erregungsleitsystem seines Herzens so nachhaltig irritiert, dass der Sinusknoten keine koordinierten Signale mehr generieren konnte. Gleich darauf setzte auch Toms Atmung aus.

Von alledem spürte Tom nichts mehr. Er hatte einen wunderbaren Traum, in dem er sich an einem warmen Sommertag fröhlich und unbeschwert langsamen Schrittes über eine duftende Waldwiese bewegte. In einiger Entfernung sah er seine Mom und Carlo Arm in Arm zusammenstehen. Sie winkten ihm zu, und er schritt ihnen entgegen.

Doch als er sie fast erreicht hatte, bedeuteten sie ihm, er solle nur immer weitergehen. Als er an ihnen vorbeigegangen war, drehte sich Tom noch einmal zu ihnen um und sah, wie sie ihm fröhlich hinterherwinkten. Sogleich wich Toms Traumbild einer gleißenden Helligkeit, die sich kurz darauf in einem Nichts verlor. 

Als Pirro bemerkte, dass Tom nicht mehr atmete, legte er sein Ohr an Toms Brust, doch er konnte sein Herz nicht schlagen hören. Pirros Stimme überschlug sich. „Tot! Tom ist tot! Ihr habt ihn umgebracht!“ Weinend brach der Junge über Toms reglosen Körper zusammen.  

Zwölf Tage zuvor:

OSTERSAMSTAG, 07.04.2012

Es war 15:30, als Kriminalkommissar Carlo Marques sein Büro im 1. OG des Polizeikommissariats 33 am Goldbek-Kanal betrat. Eigentlich hätte der 25jährige Brasilianer an diesem Tag keinen Dienst gehabt, aber seine Abteilung hatte einen Entführungsfall mit akuter Dringlichkeit übernommen, und noch an diesem Abend war mit einer Geldübergabe zu rechnen.

Sein Büro teilte sich Carlo mit zwei Kollegen. Einer davon war der 19-jährige Polizeimeister, Thomas Koellberg, sein engster Mitarbeiter und bester Freund. Im Büro traf Carlo auf seinen zweiten Kollegen Markus Zeller. Der 24-jährige Polizeiobermeister der Schutzpolizei war interimistisch an Carlos Abteilung überstellt worden. Deren Leiter, Kriminalhauptkommissar Peter Harms, von allen nur der „Chef“ genannt, hatte den jungen Mann vor ein paar Tagen für einen Spezialeinsatz angefordert.

Im Verlauf dieses Einsatzes wäre Thomas in der Nacht zu Gründonnerstag beinahe einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Dank glücklicher Umstände und einem von Markus reaktionsschnell abgefeuerten Rettungsschuss war Tom mit leichten Blessuren davongekommen, musste nun aber für ein paar Tage pausieren, weshalb Markus vorläufig als Ersatz in der Abteilung blieb.

Die beiden jungen Polizisten hatten sich sofort bereit erklärt, auf ihre eigentlich freien Osterfeiertage zu verzichten, als der Chef sie wegen dieses dringenden Falles darum gebeten hatte. Der 18-jährige Schüler, Ralph Rehm war entführt worden und seit nunmehr 56 Stunden spurlos verschwunden. Der Vater, früher selbst Polizist und ehemaliger Kollege des Chefs, hatte sich direkt an diesen gewandt mit der Bitte um äußerste Diskretion.

Eine Lösegeldforderung in Höhe von einer Million Euro in 50-Euro-Scheinen war per Videobotschaft übermittelt worden, in der man den Schüler als Sprachrohr benutzt hatte. Es bestand bisher keinerlei Möglichkeit einer zweiseitigen Kommunikation mit den Entführern. Das Lösegeld war von den Eltern des Jungen inzwischen bereitgestellt worden, und nun erwartete man für diesen Abend eine weitere Botschaft der Entführer mit Anweisungen zur Geldübergabe.

Thomas und Carlo hatten den Fall in den vorangegangenen Tagen gemeinsam bearbeitet. Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei der Entführung wohl um einen Racheakt handeln könnte. Daher hatten sie sich auf einen Kreis von Tätern konzentriert, die ihre Verurteilung einem früheren Fahndungseinsatz von Herrn Rehm zu verdanken hatten.

Man hatte sich darauf geeinigt, den Polizeieinsatz so diskret wie möglich zu gestalten und die Maßnahmen auf das Notwendigste zu beschränken. So hatte man darauf verzichtet, den Überbringer des Lösegeldes verkabeln zu wollen und ihm lediglich eine Ortungs-App auf seinem Handy installiert. Weiterhin standen drei zivile Fahndungs-Teams bereit, um den Überbringer undercover zu beschatten.

„Moin Markus, hat sich hier schon etwas getan?“ Markus schüttelte den Kopf. „Moin Carlo, alles ruhig hier. Der Chef hat sich auch noch nicht wieder blicken lassen. Wie geht’s Tommy?“ „Besser als erwartet. Du hast ihn ja gestern kurz erlebt. Er steckt das erstaunlich gut weg.“

Die Tür öffnete sich, und der Chef trat ein. „Moin Jungs! Ich habe gerade mit Herrn Rehm telefoniert. Die Entführer haben sich bisher noch nicht wieder bei ihm gemeldet, und seine Frau Marianne ist mittlerweile am Ende ihrer Kräfte.“

Der Chef setzte sich. „Bisher haben die Entführer ihre Botschaften von dem Jungen sprechen lassen und dann als Video übermittelt. Wenn die Schnitzeljagd losgeht, werden sie wohl nur noch per SMS mit uns kommunizieren. Bisher haben die ja noch keinen Fehler gemacht, und sie benutzen ständig neue, nicht registrierte Prepaids. Wir müssen damit rechnen, dass sie Herrn Rehm unterwegs irgendwo eines ihrer Handys zuspielen, damit wir ihn nicht mehr orten können. Unser Erfolg wird also in erster Linie von den Fahndungsteams abhängen. Wenn die den Mann verlieren, können wir nur noch auf den Goodwill der Entführer und nachträgliche Fahndungserfolge hoffen.“

„Ist Ralphs ältere Bruder, dieser Tobias inzwischen aus Berlin zurück?“, wollte Carlo wissen.

„Ist er. Als ich vorhin mit dem Vater telefonierte, war er zu Hause und versuchte, seiner Mutter beizustehen. Auf seinen Vater machte er einen recht gefassten Eindruck. Er hat sich auch bereit erklärt, als Überbringer des Lösegeldes zu fungieren, falls die Entführer das zur Bedingung machen sollten.“

„Wenn ich der Entführer wäre, würde ich genau das verlangen. Schließlich ist der Vater ausgebildeter Polizist. Wenn Probleme auftauchen, wird der Bruder für die Entführer der leichtere Part werden“, meinte Markus.

Der Chef nickte. „Deswegen habe ich vorsorglich auch auf Tobias' Handy die Ortungs-App installieren lassen. Vielleicht haben wir Glück. Entführer machen ja auch mal Fehler. Wie geht es denn dem Thomas?“

„Den Umständen entsprechend sehr gut“, erwiderte Carlo.  „Er war gestern Mittag kurz hier im Büro, und hat sich von Markus noch einmal den Schusswechsel in der letzten Nacht erklären lassen. Er selbst kann sich immer noch nicht daran erinnern. Jetzt ist er zu Hause, und seine Mutter ist bei ihm.“

„Hat sich denn Henriette wieder von dem Schock erholt? Ist ja schon hart, wenn man so eine vermeintliche Todesnachricht bekommt; auch wenn es nur für ein paar Minuten ist.“

„Ja das mit der Verwechslung im Krankenhaus gestern Nacht war wirklich heftig, Chef. Tommy zu verlieren wäre für sie und auch für mich der absolute Super-GAU gewesen. Bei Henriette hat es irgendetwas ausgelöst. Darüber will sie mit mir sprechen. Ich soll morgen zu ihr kommen, wenn es unser Dienst zulässt.“

„Das wird sich bestimmt einrichten lassen. Henriette ist eine wirklich großartige Frau, und ihr Sohn Thomas kommt ganz nach ihr. Grüßen sie die beiden von mir, und Thomas wünsche ich eine gute Besserung.“

„Richte ich aus. Übrigens Chef, am kommenden Mittwoch müssen der Tom und ich zur Beerdigung von Herrn Dr. Eibenstein und gleich anschließend ist der Notartermin wegen unserer Erbschaft. Könnten sie uns da bitte zwischen 11:00 und 16:00 freistellen?“

„Geht in Ordnung Carlo. Markus ist ja jetzt da.“

Es war gerade 16:00 vorbei, als das Handy vom Chef den Eingang einer neuen, von Herrn Rehm weitergeleiteten Nachricht der Entführer signalisierte. Das Video zeigte die gleiche Situation, wie das vom Vormittag. Ralph war noch immer auf einen Stuhl gefesselt und machte einen extrem ängstlichen Eindruck. „Tobias soll das Geld in seine Sporttasche packen und seinen eigenen Wagen nehmen. Er soll um 16:45 losfahren Richtung Innenstadt. Weitere Infos kommen per SMS auf sein Handy. Bitte macht genau, was die sagen.“ 

„Der Punkt geht an sie, Markus“, grinste der Chef. Dann wählte er Tobias' Handy an.  „Okay Tobias, sind sie bereit?“

„Ja, Herr Harms. Ich bin gerade noch unterwegs etwas besorgen; aber ich werde pünktlich losfahren.“

„Gut, dann melden sie sich kurz bei mir, bevor sie abfahren. Wichtig ist, dass sie alle SMS sofort an mich weiterleiten, und sie sich genau an die Anweisungen der Entführer halten. Unterlassen sie jegliche Eigenmächtigkeiten, und spielen sie vor allem nicht den Helden. Haben sie das verstanden?“

„Habe ich! Sie können sich auf mich verlassen.“

„Also gut, dann viel Glück!“

„Danke, Herr Harms.“

Als Tobias nach Hause kam, hatte sein Vater das Geld schon in die Sporttasche seines Sohnes gepackt. „Wo bleibst du denn so lange?“, fragte Herr Rehm ärgerlich. „Sorry Papa, bin aufgehalten worden wegen einer Straßensperrung.“

Tobias verstaute die Tasche im Kofferraum seines Polos und setzte sich pünktlich um viertel vor fünf Richtung Zentrum in Bewegung. In Carlos Büro verfolgten die Beamten seine Route mit Hilfe der Ortungs-App auf ihrem Rechner und dirigierten die Fahndungsteams über Funk. Tobias passierte Winterhude auf der B 5 in südlicher Richtung.

Nachdem er den Osterbek-Kanal überquert hatte, traf seine erste weitergeleitete SMS auf dem Handy des Chefs ein: „rechts ab in die zimmerstr.“

Aus der Zimmerstraße erreichte die Polizisten schon der nächste Befehl an Tobias: „rechts ab in den hofweg, dann links in die faehrhausstr.“

„Was wird das für ein Zick-Zack-Kurs?“, wunderte sich Markus. Carlo zuckte die Schultern. „Das geht in Richtung Islamisches Zentrum, aber was sollten die dort wollen?“

In der Fährhausstraße kam die nächste Anweisung: „parken an der iranischen moschee.“ Weisungsgemäß parkte Tobias sein Fahrzeug in der Nähe der Moschee.

Der letzte Befehl, den die Beamten von Tobias' Handy erhielten, lautete: „handy im fahrzeug lassen. geldtasche nehmen. neues handy unter abfalleimer am touribus-stop. um 17:30 in den roten hopp-on-hopp-off-bus einsteigen.“

Der Chef stöhnte. „Hatten wir ja befürchtet, dass die ziemlich gerissen sind. Jetzt können wir nur hoffen, dass die Zivilfahnder an ihm dranbleiben.

Carlo meldete sich telefonisch beim Leiter der Fahndungs-Teams. „Habt ihr Kontakt zur Zielperson? Ist der in den Bus gestiegen?“, fragte er die Kollegen und stellte sein Handy laut.

„Moin Carlo, das ist 'ne Riesenscheiße“, kam es von seinem Gesprächspartner. „Der ist nicht in den Bus, sondern hat im letzten Moment die Kurve gekratzt und ist auf die ‚Isebek' Richtung Winterhuder Fährhaus gesprungen. Von uns hat 's leider keiner geschafft. Wir konnten ja nicht zu dicht an ihn ran.“

Markus blickte in die Runde. „Und jetzt?“

„Haben wir ein Fahrzeug drüben am Fährdamm?“, fragte der Chef. Carlo schüttelte den Kopf. „Damit hat natürlich keiner gerechnet. Bis da ein Mann von uns ankommt, ist der Dampfer doch mindestens schon wieder am Mühlenkamp.“

„Schick trotzdem einen Wagen hin und auch an die anderen nächsten Haltestellen. Die sollen Stellung beziehen.“

Carlo hatte gerade die entsprechenden Anweisungen an alle eingesetzten Kollegen-Crews erteilt, als sein Handy schon wieder klingelte. Der Kollege vom Fahndungs-Team war wieder dran. „Du wirst es nicht glauben, unsere Zielperson ist schon wieder zurück hier am Uhlenhorster Fährhaus. So, wie es aussieht, ist der Tobias am Fährdamm in die entgegenkommende ‚Saselbek' umgestiegen, und jetzt ist er wieder hier; aber ohne die Tasche!“

Fassungslos gab Carlo die Nachricht an seine Kollegen weiter.

„Sollen bleiben, wo sie sind. Wir kommen.“ Der Chef war stinksauer, „da verarscht uns doch einer nach Strich und Faden!“ Aber er konnte den Zivilfahndern nichts vorwerfen. Sie hatten den Sicherheitsabstand eingehalten, und waren nicht nahe genug vor Ort gewesen, um Tobias im Auge behalten zu können. Alle waren davon ausgegangen, dass er einen der Hopp-On-Hopp-Off-Busse genommen hatte und Richtung Zentrum unterwegs war.

Die ‚Isebek‘ hatte zwischenzeitlich ihre Fahrt Richtung Norden fortgesetzt und die Haltestelle, Mühlenkamp passiert. Die Haltestelle, Krugkoppelbrücke konnte von den Fahndern nicht mehr rechtzeitig erreicht werden. So blieb ihnen nur die Endstation am Winterhuder Fährhaus.

Der Chef hatte sich schon wieder beruhigt. „Carlo, versuchen sie Telefonkontakt zum Kapitän der Isebek herzustellen. Vielleicht können die unterwegs irgendwo stoppen.“ Carlo telefonierte und nach zwei Minuten hatte er die Nummer. Er rief den Kapitän direkt an, und er konnte ihn zu einem außerplanmäßigen Zwischenstopp am Anleger Heilwig-Park bewegen. „Warten sie dort, und lassen sie niemanden aussteigen. Wir sind in 10 Minuten bei ihnen.“

Tatsächlich schaffte es das erste Zivilfahnder-Team schon nach fünf Minuten, an Bord der Isebek zu gelangen. Den Beamten fiel sofort die große, prall gefüllte Sporttasche auf, die im Eingangsbereich stand. „Gehört die jemandem von ihnen?“ Niemand meldete sich.

„Bitte bewahren sie Ruhe! Dies ist kein Bombenalarm!“, beruhigten die Beamten zunächst die Passagiere und begannen mit der Aufnahme der Personalien und der Befragung. An den letzten beiden Haltestellen waren viele Passagiere ein- und ausgestiegen. Niemandem der noch an Bord befindlichen Personen war ein Fahrgast mit dieser Sporttasche aufgefallen.

Nach weiteren 5 Minuten trafen der Chef und seine beiden Mitarbeiter ein. Herr Harms wandte sich kurz an die wartenden Fahrgäste. „Moin zusammen, es tut uns leid, dass wir ihnen diese Unannehmlichkeiten bereiten müssen, aber es geht um eine dringende Fahndungsmaßnahme. Sobald wir alle ihre Personalien aufgenommen haben, können sie ihre Fahrt fortsetzen. Wenn ihnen noch irgendetwas im Zusammenhang mit dieser Tasche einfällt, melden sie sich bitte bei uns. Danke für ihr Verständnis.“

„Mich wundert‘s, dass die Tasche noch da ist. Die hatten doch schon zwei Gelegenheiten, damit zu verschwinden“, meinte Markus.

Carlo nickte, „Recht hast du; aber ich denke, dass die sich aus irgendeinem Grund beobachtet fühlten, und die Kurve gekratzt haben.“

„Das bedeutet, die Übergabe ist geplatzt, und wir kriegen den Jungen immer noch nicht frei!?“

Carlo nickte. „Darauf läuft's wohl hinaus. Und leider müssen wir davon ausgehen, dass die spätestens seit jetzt wissen, dass die Polizei eingeschaltet ist. Das wird's nicht leichter machen.“

„Scheiße, aber warum hat das denn nicht funktioniert. Wir haben doch alles nach den Wünschen der Kidnapper arrangiert.“

„Ich weiß es nicht“, meinte Carlo, „braucht ja nur zufällig ein Streifenwagen zur falschen Zeit am falschen Platz gewesen sein, der die Leute aufgeschreckt hat.“

Und welche Chancen haben wir jetzt noch deiner Meinung nach?“

Carlo zuckte nur mit den Schultern, „jedenfalls bedeutend weniger als vorher!“

Markus warf ihm einen enttäuschten Blick zu. Aber auch ihm fiel dazu nichts Besseres ein.

Die Beamten hatten inzwischen alle Personalien aufgenommen. Keine der Personen erschien in irgendeiner Weise verdächtig, und die erste Befragung vor Ort hatte keine Anhaltspunkte ergeben. Das Boot wurde zur Weiterfahrt freigegeben, und der Chef und seine beiden Assistenten machten sich mitsamt der Geldtasche auf den Rückweg. Markus trug die schwere Tasche bis zu ihrem Fahrzeug. Dort hüllte er sie in eine große Plastiktüte ein, und setzte sich damit auf die Rückbank, während Carlo vorne auf dem Beifahrersitz Platz nahm.

Einer plötzlichen Eingebung folgend wandte er sich an seinen Kollegen hinter ihm. „Besser wir schauen gleich mal nach, ob das Geld tatsächlich noch da ist.“ Markus grinste ihn an. „Übertreibst du’s jetzt nicht bisschen?“ Aber dann zog er sich doch Latex-Handschuhe über und öffnete vorsichtig den Reißverschluss der Tasche.

Er staunte nicht schlecht, als er statt der erwarteten Geldscheinbündel lediglich einen großen Packen Zeitungspapier vorfand. „Scheiße!“, entfuhr es ihm, „die haben uns verarscht! Das Geld ist weg!“

Der Chef stieg in die Eisen und hielt am Straßenrand an. Entgeistert guckten sich die drei die Tasche voller alter Tageszeitungen an.

Carlo hatte sich zuerst wieder gefasst. „Das ist doch mal ein richtiges Gaunerstück; Respekt!“

„Wie ist das möglich? Wann hatten die denn die Gelegenheit die Tasche umzupacken?“, fragte Markus.

„Gar nicht“, antwortete der Chef, „es muss zwei Taschen geben. Die haben die einfach auf dem Schiff ausgetauscht.“

„Aber wie und warum?“

Der Chef blickte Carlo an. „Na?“

„Es gab zwei Möglichkeiten, Chef. Entweder die sind am Fährdamm ein- und am Mühlenkamp wieder ausgestiegen, oder sie sind am Mühlenkamp rein und an der Krugkoppelbrücke wieder raus.“

Der Chef nickte zufrieden. „Und?“

„Ich hätte die erste Variante gewählt.“

Der Chef nickte wieder. „Und warum?“

„Es musste schnell gehen. Die mussten ja damit rechnen, dass der Tobias uns vom nächsten Telefon aus anruft.“

„Aber warum zwei Taschen?“, fragte Markus.

„Zur Sicherheit“, antwortete Carlo. „Einem aufmerksamen Beobachter wäre es vielleicht aufgefallen, dass ein Fahrgast ohne Tasche an Bord kommt aber mit einer Tasche wieder geht, und hätte einen Diebstahl vermutet. Dagegen fallen zwei gleiche Taschen kaum auf, wenn sie nicht direkt nebeneinanderstehen.“

„Lasst uns schnell mal zu dem Steg am Mühlenkamp fahren“, meinte der Chef. Da ist doch dieses kleine Bistro. Vielleicht hat einer der Gäste oder das Personal etwas beobachtet.“

Sie fuhren rüber zum Anleger am Mühlenkamp, aber keinem der Befragten war ein Fahrgast mit einer Sporttasche aufgefallen. „Also was haben wir?“, fragte Carlo, als sie wieder im Wagen saßen.

„Nichts“, knurrte der Chef, „außer einer Blamage mehr und einer Million weniger.“

„Aber wir haben vielleicht eine kleine Chance. Ich werde so schnell wie möglich ein Bewegungsprofil des Entführer-Handys erstellen lassen. Vielleicht ergibt sich daraus noch etwas.“

Der Chef nickte. „Die Entführer müssen ortskundig sein und den Fahrplan der Alster-Schiffe genau kennen. Der Tobias ist noch am Uhlenhorster Fährhaus?“ Carlo nickte. „Dann fahren wir jetzt dahin und befragen ihn. Wir gehen mit ihm den gesamten Ablauf noch einmal durch. Vielleicht ist ihm ja irgendetwas aufgefallen.“

Sie fanden Tobias zusammen mit den Zivilfahndern am Anleger. Der Chef war schon wieder ganz ruhig. „Also, Tobias, dann erzählen sie mal der Reihe nach ganz genau, was sie in den zehn Minuten auf der Alster gemacht haben.“

Tobias war ziemlich zerknirscht. „Gerne Herr Harms, es war so. Ich hab mich genau an das gehalten, was die von mir wollten. Ich hab die Geldtasche aus dem Kofferraum genommen und bin rüber zur Haltestelle für die Touribusse. Das Handy war mit Klebeband an der Unterseite von dem roten Mülleimer befestigt. Da war auch schon 'ne SMS drauf. Ich sollte warten, nicht simsen und nicht telefonieren. Sie würden mich beobachten. Bis halb sechs war kein Bus in Sicht. Und dann kam plötzlich die nächste SMS. Ich sollte an Bord der ‚Isebek' gehen.

Ich sah das Boot den Steg anlaufen. Ich rannte die 100 Meter und hab's gerade so erwischt. Dann kam schon die nächste SMS. Ich sollte die Tasche am Eingang abstellen und mir ein Ticket kaufen. Hab ich dann so gemacht.

Das Boot war voll; fast nur Familien mit kleinen Kindern an Bord. Dann kam schon wieder 'ne SMS, ich solle drüben am Fährdamm aussteigen, die Tasche an Bord lassen, am Steg warten und in die 'Saselbek' einsteigen. Ich durfte nicht telefonieren und auch nicht simsen. Sie würden mich weiter beobachten. Dann war 'n wir auch schon da, und gleich danach kam auch schon die ‚Saselbek' an, und ich bin sofort drauf und zurück zum Uhlenhorster Fährhaus. Als wir gerade mitten auf der Alster waren, haben die noch gesimmst, ich solle das Handy sofort über Bord werfen. Hab ich gemacht und das Handy weggeschmissen. Drüben haben mich dann gleich ihre Leute in Empfang genommen.“

„Ist ihnen irgendetwas aufgefallen; hat sie jemand beobachtet?“, wollte der Chef wissen. „Es war sehr voll auf den Booten. Ich hab mich so darauf konzentriert, keinen Fehler zu machen. Da hab ich nichts bemerkt.“

„Gut, dann fahren wir jetzt erst mal zu ihren Eltern; die werden sich große Sorgen machen.“

Sie fuhren alle gemeinsam zu den Rehms. Frau Rehm begrüßte die Polizisten mit verweinten Augen. Auch der Vater sah ziemlich mitgenommen aus und warf den Männern einen fragenden Blick zu.

Der Chef erstattete einen kurzen Lagebericht. „Die Lösegeldübergabe hat also geklappt; allerdings haben wir die Spur der Entführer verloren. Wir können nur auf deren Goodwill hoffen, dass sie ihren Jungen jetzt schnell freilassen. Hoffentlich hatte der Ralph keine Gelegenheit, die Leute zu erkennen. Die Entführer sind wirklich sehr gerissen und hatten ein perfektes Timing.“

„Wie geht es jetzt weiter, Peter?“, fragte Herr Rehm.

„Wir prüfen zunächst die Logins der Entführer. Es war ja sicher wieder ein anderes Prepaid mit neuer SIM, aber ein Bewegungsprofil sollten wir trotzdem bekommen. Und du machst dir bitte mal Gedanken darüber, wer in Frage kommen könnte von den Leuten, die du früher mal einkassiert hast, und die kürzlich Haftentlassung hatten. Ihr müsst auf jeden Fall hier zu Hause warten, falls der Ralph sich meldet. Hoffen wir, dass es ihm gut geht und er schnell freikommt.“

Die drei Polizisten verabschiedeten sich und fuhren mit der gefakten Geldtasche zurück ins PK. Dort brachte Markus die Tasche direkt in die KTU, die allerdings schon Feierabend hatte.

Im Büro nahm Carlo wegen der Verbindungsdaten sofort Kontakt mit dem Provider von Tobias' Handy auf. „Das Prepaid, das wir suchen, ist sicher gestohlen. Uns interessiert die IMEI und vor allem die Logins“, gab er seinen Gesprächspartner zu verstehen. Der machte ihm vor Dienstag allerdings keine Hoffnung.

„Was ist IMEI?“, wollte Markus wissen.

Carlo klärte ihn auf: „International Mobile Equipment Identity, sozusagen die IP-Adresse eines Handys. Die Nummer ist in jedem Teil fest programmiert.“

„Ich denke, das war's für heute“, brummte der Chef, „es hat keinen Sinn, hier noch länger die Stellung zu halten. Fahrt nach Hause, aber haltet Euch bitte bereit. Eventuell brauche ich euch sofort, falls der Junge auftauchen sollte.“

„Geht klar, Chef. Wir bleiben rund um die Uhr auf Empfang.“ Dann verließen sie gemeinsam das PK und verabschiedeten sich in der Tiefgarage.

„Grüß bitte Tommy von mir, wenn du ihn morgen siehst.“

„Richte ich aus, Markus. Dir noch einen schönen Abend!“

„Dir auch!“

Carlo fuhr direkt nach Hause, wo Maria ihn schon erwartete. Sie begrüßte ihn an der Tür: „Hallo mein Schatz, das ist ja wieder mal spät geworden. Wart ihr denn erfolgreich?“ Carlo gab ihr einen Begrüßungskuss. „Leider nein, das Lösegeld ist weg, und der Junge ist immer noch nicht frei. Wir haben uns von denen verarschen lassen. Ich bin nur froh, dass der Chef diesmal direkt beteiligt war. Sonst hätten wir uns ganz schön was anhören müssen.“

„Und wie geht es Thomas?“

„Dem geht's schon wieder ganz gut. Der wird seine Rippen sicher noch ein paar Wochen lang spüren, aber sonst ist er ok, auch psychisch. Jedenfalls können wir zusammen am nächsten Mittwoch wie geplant auf Kostjas Beerdigung gehen und anschließend noch zum Notar wegen der offiziellen Testamentseröffnung.“

„Dann wirst du jetzt tatsächlich ein Millionär?“

„Nicht ganz. Nach Bezahlung der Erbschaftssteuer wird es keine Million mehr sein. Aber das Tollste ist doch, dass wir bald ein eigenes Zuhause haben werden.“

„Ja und ganz dicht bei Tommy und seinen Eltern. Ich freu mich wahnsinnig, dass wir jetzt endlich eine einzige große Familie werden.“

„Kann sein, dass es morgen noch besser kommt. Toms Mutter möchte mich morgen sprechen.“

„Du weißt, warum?“

„Ich ahne da sowas.“

„Aber du willst noch nicht darüber sprechen!?“

„Ich will Henriette nicht vorgreifen, aber wenn ich richtig vermute, wirst du dich sicher sehr freuen.“

„Hast du Hunger?“

„Für zwei!“

„Na dann ab in die Küche.“

Sie hatte den Abendbrottisch gerichtet, und die beiden konnten sich sofort hinsetzen. „Magst du einen Rotwein dazu?“

„Lieber nicht. Kann sein, dass ich nochmal losmuss, falls der Junge auftaucht.“

„Rechnest du denn damit?“

„Schwer einzuschätzen. Wir wissen bisher praktisch nichts über die Entführer. Nur, dass sie dem Jungen bisher ziemlich übel mitgespielt haben. Der ist zwar schon 18 aber wohl ein ziemliches Muttersöhnchen und ein Weichei. Hoffentlich hält er das durch.“

„Unser Tommy ist ja auch ein Muttersöhnchen, aber doch bestimmt kein Weichei!?“

Carlo schüttelte den Kopf. „Tom ist sensibel aber trotzdem hart im Nehmen, sonst hätte er diesen Anschlag auf sein Leben nicht so weggesteckt. Und dass er seine Mutter liebt, macht ihn noch nicht zum Muttersöhnchen.“

„Dich liebt er jedenfalls noch mehr!“

Carlo nickte. „Darüber bin ich auch sehr froh. Der Schock vorgestern Nacht hat mir gezeigt, dass ich mir ein Leben ohne ihn heute gar nicht mehr vorstellen könnte.“

Maria lächelte. „Ich mir auch nicht!“

Carlos Handy klingelte; Toms Mutter war dran. „Hallo mein Großer, kann ich dich morgen zum Kaffee einplanen?“ „Moin Henriette, ich denke schon, wenn nicht noch etwas dazwischenkommt.“

„Dann ist der Junge noch nicht frei!?“

„Nein, nur das Lösegeld ist weg!“

„Na, da wird sich Peter ja geärgert haben.“

„Kannst du laut sagen; aber die Entführer sind ziemlich gerissen.“

„Kommt Maria morgen mit?“

„Wenn sie darf.“

„Natürlich darf sie. Was ich mit dir zu besprechen habe, geht auch sie etwas an.“

„Na gut. Ist 15:00 okay für euch?“

„Passt prima!“

„Wie geht's meinem kleinen Bruder?“

„Der ärgert sich, weil er noch kein Hanteltraining und keine Liegestütze machen kann. Die Rippen tun ihm noch weh, aber sonst ist er gut drauf. Ich habe ihn gerade ins Bett geschickt. Wir müssen dankbar sein, dass ihm nicht mehr passiert ist.“

„Wem sagst du das. Ich darf gar nicht dran denken.“

„Na dann tu's auch nicht!“

„Okay, dann bis morgen, und grüß Tom von uns.“

„Mach ich. Wir freuen uns auf euch, grüß Maria!“

Carlo richtete seiner Freundin die Grüße aus. „Was meinst du? Ich könnte 'ne Mütze Schlaf vertragen; damit ich fit bin, falls heute Nacht doch noch etwas passiert.“

„Maria grinste, „keine Einwände. Wie wär's mit etwas Kuscheln?“

„Sehr gerne!“

„Na dann komm!“

Im Bett nahm er sie in die Arme und küsste sie zärtlich. „Dorme bem, meu pequena!“

„Tu também, meu amor!“

OSTERSONNTAG, 08.04.2012

Die Nacht verlief ohne Zwischenfälle, und Carlos Telefon war stumm geblieben. Maria hatte ihn lange schlafen lassen und überraschte ihn mit einem schön gedeckten Frühstückstisch. Es duftete nach frisch aufgebackenen Brötchen und nach Kaffee.

Er gab ihr einen Kuss. „Bom dia, meu querida! Bin gleich wieder da.“ Er verschwand für ein paar Minuten im Bad; dann setzte er sich zu ihr an den Tisch.

„Hast du heute noch etwas in der Stadt zu tun?“, fragte er.

„Eigentlich nicht. Warum fragst du?“

„Ich würde noch gerne ein paar Blumen für Henriette besorgen, wenn wir nachher zu ihr fahren.“

„Dann fahren wir am Bahnhof vorbei. Da haben alle Läden offen.

Was meinst du, soll ich für Tommy schnell noch seinen Lieblingskuchen backen? Ich hätte alles da.“

Carlo lächelte seine Maria an. „Du bist wirklich ein Schatz. Kann ich dir dabei helfen?“

„Dabei nicht, aber...“ Sie drückte ihm ein Staubtuch in die Hand, ...du könntest im Schlafzimmer anfangen.“

Carlo grinste. „Den ‚Schatz' nehm ich aber deswegen nicht zurück.“

Sie begab sich in die Küche und er sich ins Schlafzimmer. Nach einer Weile, als er zwischenzeitlich im Wohnzimmer zugange war, drang ihm der köstliche Duft des frischen Apfelkuchens in die Nase. Er steckte den Kopf zur Küchentür herein. „Da wird sich aber jemand freuen“, grinste er, „wie lange muss er noch?“

„10 Minuten.“

„Sollen wir Tommy davon schon mal ein Foto schicken, damit er weiß, was auf ihn zukommt?“

„Gute Idee! Nicht dass Henriette auch noch etwas herrichtet.“

Als der Kuchen fertig war, machte Carlo ein Foto von Maria mit dem frischen Apfelkuchen in der Hand und schickte eine MMS an seinen Freund: „Bis gleich! Kuss, M & C“

Prompt kam Toms SMS zurück: „Freu mich auf euch - und den Kuchen! Kuss, T“

Bevor Carlo und Maria ihre Wohnung verließen, rief er den Chef an. „Moin Chef und frohe Ostern. Ich wollte bloß hören, ob es nicht irgendetwas Neues von den Rehms gibt?“

„Ich habe vorhin mit dem Vater telefoniert. Bisher hat sich überhaupt nichts getan. Inzwischen sind die ziemlich am Ende. Marianne hatte einen Nervenzusammenbruch und auch der Tobias ist total fertig. Wahrscheinlich war das gestern doch ein bisschen zu viel für ihn. Der Arzt war da, und hat den beiden ein Beruhigungsmittel gegeben.“

„Was denken sie, Chef?“

„Die Entführer sind jetzt seit 20 Stunden im Besitz des Lösegeldes. Das letzte Lebenszeichen des Jungen ist von gestern Nachmittag. Wenn der Junge bis heute Abend nicht freikommt, werden wir wohl mit dem Schlimmsten rechnen müssen.“

„Haben wir etwas falsch gemacht?“

„Zumindest haben wir die Leute unterschätzt. Aber wir haben absolut diskret gearbeitet. Die Entführer können uns nicht bemerkt haben. Trotzdem befürchte ich, dass der Junge bereits tot ist. Ist ja gut möglich, dass er die Entführer erkannt hat und deswegen sterben musste.“

„Manchmal haben wir wirklich einen Scheißjob, Chef. Da möchte man am liebsten hinschmeißen.“

„Ja, Carlo. Aber Rückschläge gibt es überall im Leben. Wir werden gebraucht, und wir müssen die Entführer drankriegen. Das sind wir der Familie und dem Jungen schuldig.“

„Klar Chef, wir bleiben dran, bis wir sie haben. Tschüss und noch ein schönes Wochenende!“

„Ihnen auch!“

Am Hauptbahnhof hielten die Beiden kurz an und besorgten noch einen kleinen Blumenstrauß für Henriette. Als sie bei den Koellbergs ankamen, war die Kaffeetafel im Wohnzimmer schon gedeckt. Tom öffnete ihnen und begrüßte die Ankömmlinge mit einem Grinsen. „Die Konditorin und der Blumenmann sind da, Mom!“, rief er seiner Mutter zu, die zusammen mit Anke in der Küche hantierte. „Soll ich die reinlassen?“

„Herein mit ihnen und die Konditorin bitte gleich in die Küche!“

„Na dir geht's ja schon wieder prima. Kann man dich schon umarmen?“, fragte Maria.

„Umarmen ja, bloß nicht zu fest drücken.“

Die beiden küssten Tom auf die Wange. „Tut's noch sehr weh?“, fragte Carlo.

„Der Kopf nur ein bisschen, aber die Rippen spür ich schon noch heftig. Husten und Lachen tut weh, und Liegestützen gehen noch gar nicht.“

„Das wird leider auch noch dauern. Rippenprellungen sind oft schmerzhafter als Brüche“, meinte Maria.

„Da muss ich jetzt wohl durch. Ist nur doof, dass ich so lange nicht richtig trainieren kann.“  

Maria lieferte den Kuchen in der Küche ab und umarmte Henriette und Anke. Dann gingen sie gemeinsam ins Wohnzimmer, und Anke gab Carlo einen Begrüßungskuss. „Olá, mein Lieblingskommissar! Schön, euch zu sehen.“

„Habt ihr etwas von Gregor und Jörg gehört, wie es den beiden geht?“, wollte Carlo wissen.

„Das können sie dir gleich selbst berichten. Die sind schon auf dem Weg“, erwiderte Tom. „Wir warten noch mit dem Kaffee, bis sie da sind.“

In diesem Moment ertönte die Haustürklingel. „Wenn man von den Jungs spricht, sind sie auch schon da.“ Tom öffnete den beiden die Haustür und rief grinsend nach hinten, „Mom, schon wieder Besuch! Die beiden schönsten Jungs der Stadt sind da draußen. Dürfen die auch rein? - bitte, bitte!“ „Natürlich dürfen die auch rein, Spatz. Wir werden doch unser haushaltstechnisches Universalgenie nicht vor der Tür stehen lassen.“

Gregor und Jörg traten ein und gaben Tom jeder einen Kuss. „Na du drittschönster Junge der Stadt, du bist ja schon wieder ziemlich gut drauf“, feixte Gregor.

„Mir geht's auch schon wieder ganz gut. Und euch? Wie war denn eure erste gemeinsame Nacht so ganz allein?“

„Gregor grinste und mit einem Blick auf Jörg sagte er, „ich glaube, unser Kleiner hier hat keinen Grund sich zu beklagen.“

„Und was sagst du dazu?“, wollte Tom von Jörg wissen.

„Ich? Ich bin mega happy. Gregor ist wirklich total nett. Ich hab ihm von Michael und mir erzählt.“ Und etwas verlegen fügte er flüsternd hinzu, „er denkt über mich dasselbe wie du. Hab schon gemerkt. Mir fehlt noch ‘ne Menge Erfahrung.“

„Na da hast du ja jetzt einen absoluten Profi, der dir alles beibringen kann“, lächelte Tom. Und ernsthaft fuhr er fort, „würd‘ mich echt freuen, wenn bei euch mehr draus würde. Ihr beide hättet es wirklich verdient nach all dem Scheiß, den ihr mitgemacht habt.“ Gregor warf Tom einen freundlichen Blick zu. „Ich glaube, Jörg und ich sind gerade auf dem besten Weg, und wir wissen, wem wir das zu verdanken haben.“

„Wollt ihr da draußen Wurzeln schlagen?“, hörten sie Henriettes Stimme aus dem Wohnzimmer. Zu dritt gingen sie zurück, und die beiden Neuankömmlinge wurden von der Frau des Hauses herzlich begrüßt. Auch die beiden Mädels umarmten die Jungen und machten sich dann auf den Weg in die Küche.

Als sie mit Kaffee und Kuchen zurückkamen, hatten die anderen schon an dem großen Esstisch Platz genommen. Marias Apfelkuchen war wie immer ein Traum. Entsprechend rasant verminderte sich dessen Bestand, bis auch der letzte Krümel vertilgt war.

„Wie seid ihr eigentlich im Fall Rehm vorangekommen?“, wollte Tom wissen, als sie fertig waren.

Carlo schüttelte den Kopf. „Bisher ein katastrophaler Griff ins Klo.“

Er berichtete kurz von den Ereignissen des Vortages und sah in das lange Gesicht seines besten Freundes. „Tommy, wir haben uns große Mühe gegeben, aber die Leute waren wirklich gerissen. Die haben uns absolut ausgetrickst.“

„Und ihr habt kein Lebenszeichen von dem armen Ralph?“

„Nein, nicht die kleinste Spur und der Chef befürchtet das Schlimmste. Manchmal haben wir wirklich einen Scheißjob.“

„Und ihr könnt gar nichts mehr tun?“

„Der Chef checkt über die Feiertage alle Fälle, an denen Herr Rehm vor seinem Austritt gearbeitet hat. Wir denken immer noch, dass es sich um einen Racheakt handelt. Ich werde am Dienstag versuchen, ein Bewegungsprofil von dem Prepaid zu erstellen, das die Entführer zuletzt benutzt haben. Vielleicht ergibt sich da ja noch ein Hinweis.“

„Wie kommt die Familie damit klar?“

„Die sind am Boden zerstört und brauchen ärztliche Hilfe. Auch der Bruder, der Tobias ist zusammengeklappt.“

„Was ist eigentlich mit Amara?“, fragte Carlo, um Tom vom Thema abzulenken, „wollte die nicht auch heute kommen?“

„Die hat für heute abgesagt; musste kurzfristig für einen erkrankten Kollegen einspringen. Eventuell kommt sie morgen vorbei.“

Henriette erhob sich von der Kaffeetafel. Das war auch das Zeichen für die anderen. Maria und Anke räumten das Geschirr in die Küche und setzten die Spülmaschine in Gang. Henriette wandte sich ab Carlo und ihren Sohn. „Können wir einen Moment zu dir rübergehen und mit Carlo sprechen?“ „Natürlich Mom!“

Die drei gingen hinüber in Toms kleines Appartement. Die Jungen setzten sich auf die Couch und Frau Koellberg nahm gegenüber in einen Sessel Platz. Carlo blickte erwartungsvoll zu ihr herüber. Henriette sah ihm in die Augen und begann mit ernster Miene.

„Carlo, gestern Abend habe ich mit Thomas noch einmal über die schrecklichen Ereignisse der vorletzten Nacht gesprochen. Ich habe ihm erzählt, dass wir zeitweilig davon ausgehen mussten, ihn für immer verloren zu haben. Und ich habe ihm auch erzählt, wie wir beide uns in diesem Moment gefühlt haben. Ich konnte in deinem Gesicht lesen, wie sehr dich die Nachricht von seinem angeblichen Tod getroffen hatte. Mir ging es ja nicht anders. Einen Moment habe ich sogar befürchtet, du würdest nach draußen rennen und dich erschießen.“

Carlo schüttelte den Kopf. „In der ersten Schrecksekunde kam mir das tatsächlich in den Sinn, aber dann habe ich an dich und Maria gedacht...“

„...und daran, was du uns damit antun würdest“, fiel Henriette ihm ins Wort. „Stattdessen hast du uns getröstet und mir ersparen wollen, meinen eigenen Sohn identifizieren zu müssen. Das muss eine ungeheure Belastung für dich gewesen sein. In diesem Moment ist mir klar geworden, dass du für mich nicht nur Tommys großer Bruder, sondern auch mein großer Sohn bist, der mich wie eine Mutter liebt.

Wir alle müssen ja berufsbedingt immer mit einem solchen Schicksalsschlag rechnen. So etwas werden wir aber nur verkraften können, wenn die Familie ganz fest zusammensteht und sich gegenseitig unterstützt. Du hast ja deine Eltern leider schon früh verloren. Tommy, die Mädels und ich sind inzwischen deine Familie geworden.“

Carlo nickte. „Ich bin sehr froh, euch zu haben.“

Henriette blickte zu Tom herüber. „Deshalb möchten Thomas und ich dich fragen, ob du damit einverstanden wärst, wenn ich dich adoptieren würde. Dann würdest du offiziell zur Familie gehören. Ihr wärt dann beide meine Söhne und damit natürlich auch Geschwister.“

Carlo hatte feuchte Augen, als er Henriette anblickte. „Dein Sohn und Tommys Bruder zu werden, wäre für mich die Erfüllung meines größten Wunsches. Das wäre mir noch wichtiger, als die Hochzeit mit Maria. Ihr beide macht mich damit superglücklich. Aber das hätte für Tom doch auch erbrechtliche Konsequenzen. Ich wäre doch als dein Adoptivsohn auch dein vollberechtigter Erbe. Was sagt denn Robert dazu?“

„Das ist eine Sache zwischen uns dreien. Mit Robert habe ich darüber noch nicht gesprochen. Aber ich bin sicher, dass er diesen Schritt gutheißen wird. Außerdem übernimmst du als Adoptivsohn ja auch Pflichten mir gegenüber.“

Carlo wandte sich Tom zu. „Und du Tommy, was sagst du dazu?“ „Ich hab‘s Mom schon gesagt, dass ich mir nichts mehr wünsche, als dich zum Bruder zu haben. Ich würde gern für den Rest meines Lebens alles mit dir teilen; auch mein Erbe.“

Carlo war sichtlich gerührt. „Also dann kann ich euch nur von ganzem Herzen danken. Ich werde euer Angebot sehr gerne annehmen, und ich verspreche euch, dass ihr das nie bereuen werdet.“

Die drei standen auf und umarmten sich zu dritt. Henriette meinte, „dann lasst uns wieder rübergehen, und den anderen die frohe Botschaft verkünden.“

Im Wohnzimmer saßen die Mädels mit Jörg und Gregor zusammen und unterhielten sich angeregt. „Wir haben euch schon vermisst“, rief Maria. „Das war wohl eine Familienkonferenz im engsten Kreise!?“

Henriette grinste, „kann man so sagen, und wir haben euch eine wichtige Mitteilung zu machen.“ Die drei nahmen vor den jungen Leuten Aufstellung, und Henriette nahm Tom in den rechten und Carlo in den linken Arm. „Diese beiden jungen Herren hier werden bald Brüder sein.“ Dann wandte sich Henriette Carlo zu und lächelte verschmitzt. „Und dieser hübsche Kerl hier wird mein ältester Sohn. Bin ich nicht zu beneiden mit zwei solchen Prachtkindern?“

Die Sprachlosigkeit der vier jungen Leute dauerte nur einen winzigen Augenblick. Dann brachen sie in lauten Jubel aus. Sie standen alle auf und gratulierten Henriette und ihren Jungs. Henriette strahlte vor Freude. „Ich finde, wir sollten darauf anstoßen!“

„Darf ich das erledigen?“, rief Gregor und verschwand in der Küche, um gleich darauf mit einer Flasche Prosecco und sieben Gläsern zurückzukehren. Er schenkte ein, und sie stießen miteinander auf die neue Großfamilie an.

„Würde Carlo dann auch euern Namen übernehmen?“, wollte Maria wissen.

„Mit dem Namensrecht kenne ich mich nicht so aus“, meinte Henriette, „aber ich glaube, er hätte die Wahl, ob er den neuen Namen annehmen oder seinen alten behalten möchte.“

Maria freute sich. „Wenn wir heiraten, würde ich Carlos Namen annehmen, und wenn wir einen Sohn bekommen sollten, werden wir den Thomas nennen.“

Carlo grinste. „Ich könnte mir schon vorstellen, euren Namen zu tragen. Carl Koellberg klingt doch gar nicht schlecht. Unser Sohn hieße dann Thomas Koellberg jr., und der Tommy wäre dann der Senior“, feixte er.

„Bloß das nicht“, jammerte Tom. „Kaum, dass ich einen Bruder hab, werd ich schon zum Oldie. Reicht schon gerade, wenn ich dann der Onkel Tom bin.“

Henriette lächelte. „Ihr habt jedenfalls noch viel Zeit, darüber nachzudenken. So eine Adoption geht nicht von heute auf morgen. Was habt ihr eigentlich heute Abend noch vor? Wollt ihr nochmal los, oder sollen wir hier etwas zum Abendessen richten?“

„Kommt Dad noch heute Abend?“

„Er meinte, so gegen sieben.“

„Und möchte von euch jemand ausgehen?“, fragte Tom in die Runde. Keiner meldete sich.

„Wenn es euch recht wäre, würden Jörg und ich gerne noch bei euch bleiben“, meinte Gregor. Jörg nickte und wandte sich an Tom. „Ich würde gern mit dir noch einmal sprechen über das, was du mir am Donnerstagabend im Krankenhaus gesagt hast.“

Toms Mutter übernahm sogleich die Regie. „Sehr schön, dann schauen wir gleich mal, was es zum Abendessen gibt. Ich habe reichlich eingekauft für die Feiertage. Gregor und Anke, ihr könntet dann ja schon mal etwas vorbereiten und Jörg und Thomas können einen Klönschnack halten.“

Henriette liebte es, die Familie zusammenzuhaben und wollte sich diese Gelegenheit keinesfalls entgehen lassen. Schnell hatte man die Bestände geprüft und sich auf eine kalte Küche geeinigt. Carlo und Maria machten es sich mit Henriette im Wohnzimmer bequem. Greg und Anke blieben in der Küche und begannen mit den Vorbereitungen.

„Wollen wir zu mir rübergehen?“, fragte Tom seinen jungen Freund. Jörg nickte, und die beiden verschwanden in Toms Appartement. Dort setzten sie sich zusammen auf das kleine Sofa.

Tom warf Jörg einen aufmunternden Blick zu. „Na, wie hast du dich denn gefühlt die erste Nacht so ganz allein mit Greg?“

„Zuerst ein bisschen unwohl. Es war für mich etwas unheimlich, an dem Ort zu sein, wo du zwei Tage vorher angeschossen wurdest, und der Killer sein Leben verlor. Und dann war ich auch etwas unsicher wegen Greg. Ich kenne ihn ja gerade mal fünf Tage, und es wäre für mich unvorstellbar gewesen, mich mit einem Stricher einzulassen. Aber in deiner Familie haben ihn alle so nett behandelt, und du hast mir so zugeredet. Deshalb bin ich mit zu ihm gegangen.“

„Und hast du's bereut?“

„Überhaupt nicht. Ich frage mich, wie es sein kann, dass so einer überhaupt so lieb ist.“

„In zwei Punkten solltest du umdenken!“

Jörg sah Tom fragend an, „und die wären?“

„Erstens; Greg ist kein Stricher, sondern ein Callboy.“

„Und wo ist da der Unterschied, beide treiben's doch für Geld?“

„Schon, aber ein Stricher wird in der Regel vom Freier ausgesucht; und beim Greg läuft's genau umgekehrt. Er allein bestimmt, wann und mit wem er's treiben will.“

Jörg nickte nachdenklich, „und zweitens?“

„Zweitens; solltest du deine Frage anders herum stellen: die Frage ist nicht, wieso ein Callboy so lieb sein kann, sondern wieso ein so lieber Mensch zum Callboy werden konnte. Und das wird er dir sicher bald erzählen.“

Jörg war etwas kleinlaut geworden. „Ich glaube, ich werde noch viel lernen müssen.“

Tom lächelte ihn an. „Ich hab das auch erst vor zwei Wochen gelernt, als ich Greg begegnet bin. Seitdem hab ich einen Haufen Vorurteile über Bord geworfen.“

Er sah Jörg an, dass der noch etwas auf dem Herzen hatte. „Und wie war Greg sonst?“

Jörg lächelte verlegen. „Es war sehr, sehr schön mit ihm; ganz anders als mit Mike. Ich hätte mir das nie so vorgestellt.“

„Ist ja auch kein Wunder. Bei allem Respekt; Mike hat dich sicher sehr geliebt, aber im Bett war er ein 17-jähriger Anfänger. Greg dagegen ist auf diesem Gebiet ein Vollprofi. Bei ihm kannst du dich fallenlassen und einfach genießen.“

„Das glaube ich inzwischen auch, aber ansonsten ist es doch nicht ganz so einfach.“

„Du meinst das mit dem Coming Out?“

Jörg nickte. „Es hat so etwas Endgültiges; so wie eine Entscheidung für's Leben.“

„Ist es doch auch. Aber lass dir Zeit damit; mindestens bis zu deinem 18. Geburtstag, wenn du nicht ganz sicher bist, dass deine Eltern dich akzeptieren werden. Wichtig ist doch jetzt, dass du erst mal für dich innendrin den Entschluss gefasst hast und dich selbst so akzeptierst, wie du bist. Das musst du ja nicht gleich an die große Glocke hängen. Glaubst du denn, dass es mit euch beiden passen könnte?“

Jörg nickte. „Könnte ich mir gut vorstellen. Aber ich werd noch Zeit brauchen. Im Moment steckt mir der Mike noch zu sehr im Kopf, und dann muss Greg das ja auch wollen.“ Er zögerte. „Noch wichtiger ist mir allerdings die Freundschaft mit dir.“

Tom lächelte. „Sehr gerne Jörg. Das hab ich dir ja schon gesagt. Ich mag dich wirklich sehr; nur verlieben solltest du dich besser nicht in mich. Da würde ich dich wohl enttäuschen müssen. Aber jetzt lass uns wieder zu den anderen gehen.“

Sie standen auf und Jörg gab Tom einen flüchtigen Kuss auf die Wange. „Danke für alles!“

„Immer gerne, Jörg.“

Sie gingen zurück zu den anderen. Gregor und Anke hatten die Abendtafel gedeckt. Auch Robert war inzwischen eingetroffen. Er begrüßte alle der Reihe nach. „Schön, euch so bald wieder zu sehen. Thomas, wie geht es dir heute? Hast du noch große Schmerzen?“

„Judo muss noch 'ne Weile ausfallen, aber fast alles andere geht schon wieder“, grinste Tom.

„Ihr seid ja alle so gut drauf nach dem schrecklichen Abend vorgestern. Gibt's schon wieder etwas zu feiern?“

Sein Sohn nickte. „Aber das soll dir Mom selber sagen.“

Henriette lächelte ihren Ex-Mann verschmitzt an. „Ja, Robert es gibt etwas Neues, darauf musst du dich jetzt einstellen. Ich bin in anderen Umständen. Wir bekommen noch ein Kind.“

Herr Koellberg bekam große Augen. „Wieso, was denn für ein Kind?“ fragte er ziemlich entgeistert.

„Diesen Prachtkerl hier!“ lächelte Henriette und nahm Carlo in den Arm.

Herr Koellberg stutzte kurz; dann verstand er. „Na dann sind wir beide ja in einer wirklich freudigen Erwartung; das passt doch ganz vorzüglich zu unserer weiteren Familienplanung.“ Und mit Blick auf Tom fuhr er fort. „Ich glaube, ich weiß, wer sich darüber am allermeisten freut.“

Tom strahlte, „kannste laut sagen, Dad. Ich bin total happy.“

Robert nahm seine Ex-Frau in den Arm und gab ihr einen Kuss. „Da kommt ziemlich viel Verwaltungskram auf euch zu. Selbstverständlich helfe ich euch gern, wenn ihr Unterstützung braucht. Ich habe einen recht guten Draht zum Familiengericht. Ihr könnt selbstverständlich auf mich zählen.“

Die Mädels und Gregor kamen mit Tabletts aus der Küche. Das war für Henriette das Zeichen. „So ihr Lieben, alle Mann hinsetzen; jetzt wird erst mal gegessen.“ Sie setzten sich alle an die lange Tafel.

Gregor hatte Tom gegenüber Platz genommen. Er warf ihm einen fragenden Blick zu und schielte dabei kurz auf Jörg. Tom schickte ihm einen beruhigenden Wimpernschlag über den Tisch hinweg.

„Alles gut!“, murmelte er, „das sieht ja mal wieder alles sehr gut aus!“

Nur Gregor verstand, was er meinte und grinste. „Na dann werd ich mal ordentlich zugreifen.“ „Tu das mein Lieber!“

Nach dem Essen blieb die Familie gemütlich am Tisch sitzen. Die Mädels räumten ab und Gregor wandte sich an Tom. „Soll ich ersatzweise für dich das Amt des Kellermeisters übernehmen?“ „Danke Greg, aber ich bin ja schon wieder ziemlich fit. Wie wär's mit dem Montepulciano?“, fragte er seine Eltern. Die nickten zustimmend.

Tom marschierte in den Keller. Er kam mit zwei Rotweinflaschen zurück, die er beide öffnete und den Inhalt der ersten Flasche auf sieben Gläser aufteilte. Carlo hatte sich anstelle des Weines schon ein Glas Wasser genommen.

Tom setzte sich zu ihm. „Wie ist denn der Markus beim Chef weggekommen? Gibt's 'ne interne Ermittlung gegen ihn wegen des Schusswechsels?“

Carlo schüttelte den Kopf. „Der Staatsanwalt hat die Ermittlungen eingestellt. Markus' Schilderungen decken sich absolut mit den von der Ballistik ermittelten Fakten. Er hat ja sehr schnell reagiert und sofort auf den Albaner geschossen, als der dich erwischte. Er musste ja mit einem Nachschuss rechnen. Es war sein erster Toter, und das hat er natürlich nicht so einfach weggesteckt. Aber der Chef hat ihm gut zugeredet, und er weiß jetzt, dass er richtig gehandelt hat.“

Tom nickte. „Ich bin auch froh, dass er so schnell geschossen hat. Noch eine zweite von diesen Granaten hätte ich wohl nicht überstanden.“

„Wenn du wieder im Dienst bist, will der Chef mit uns gemeinsam über Markus' weitere Verwendung in unserer Abteilung sprechen.“

„Du meinst, er will auch mich fragen, ob Markus bleiben darf?“ „Ganz sicher! Und weißt du schon, was du ihm antworten wirst?“

„Natürlich würde ich mich freuen, wenn Markus bei uns bleiben kann. Es wäre ja auch gut, wenn ihr einen eingearbeiteten Ersatzmann hättet, wenn ich wieder die Schulbank drücken muss.“

Carlo gab ihm recht. „Das ist ein guter Ansatz. Das wird dem Chef sicher gefallen.“

Gregor mischte sich in das Gespräch ein. „Das wäre doch sicher gut für euch, wenn Markus in eurer Abteilung bleiben könnte. Ich versteh ja nicht viel von eurem Job, aber auf mich macht der Markus einen sehr kompetenten Eindruck. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er für mich den Kopf hingehalten hat und als mein Double eingesprungen ist. Ich hätte mich schon sehr unwohl gefühlt so als Zielscheibe eines Killers.“

Tom stimmte ihm zu. „Der Markus ist schon ein feiner Kerl und ein fürsorglicher Kollege. Ihr beide seid euch nicht nur äußerlich sehr ähnlich.“

Carlo grinste. „Erst rettet Tom Greg das Leben, dann der Markus dem Tom. Das passt gut. Wird Zeit, dass es für mich auch mal etwas zu retten gibt.“

Tom warf ihm einen liebevollen Blick zu. „Lass gut sein. Das hast du doch für mich schon vor fünf Jahren erledigt.“

Henriette hatte das Gespräch der Jungen mit verfolgt. „Wenn der Markus schon vier Jahre dabei ist und so gute Beurteilungen hat, sollte er den Sprung in die höhere Laufbahn doch wohl schaffen. Vielleicht könnten er und Thomas die Akademie abwechselnd besuchen, dann hättet ihr keinen so großen personellen Engpass bei euch.“

Carlo meinte. „Genau das werde ich dem Chef und Markus vorschlagen. Ich glaube, die Aussicht auf einen Job in unserer Abteilung wird ihn genug motivieren, um noch einmal die Schulbank zu drücken.“

Carlo wandte sich an Tom. „Was meinst du, wann du wieder arbeiten kannst?“

„Mittwoch früh gehe ich als erstes zum Arzt und hoffe, dass der mich gleich gesundschreibt. Wegen der paar Schmerzen muss ich ja wohl nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen bleiben. Zumindest Innendienst geht auf jeden Fall.“

Carlo grinste. „Dein Job scheint dir ja wirklich zu fehlen, oder ist es die Sehnsucht nach mir, Kleiner?“

„Beides, Großer. Dein Befehlston geht mir echt ab, und unsere Kantinengespräche auch“, fügte Tom grinsend hinzu.

Carlo stand auf. Na dann lass dich mal von unserer Mom so richtig aufpäppeln“, und zu Maria gewandt meinte er schmunzelnd, „wie wär's mit einem Rückzug nach Hause. Jetzt wo unser Hochzeitstermin feststeht, könnten wir doch schon mal mit der Produktion von Thomas Koellberg jr. beginnen.“

Maria warf ihm scherzhaft einen entrüsteten Blick zu. „Schlag dir das aus dem Kopf, mein Lieber. Erst müssen mal die Wohnverhältnisse geklärt sein, dann können wir uns über unseren Nachwuchs Gedanken machen. Tommy wird noch früh genug Onkel werden“, fügte sie verschmitzt hinzu.

Carlo und Maria verabschiedeten sich vom Rest der Familie und den beiden Jungs. Die nahmen deren Aufbruch zum Anlass, ebenfalls den Heimweg anzutreten. Tom und Anke brachten die vier zur Tür und räumten anschließend noch die Küche auf, während die Ex-Eheleute noch einen Moment im Wohnzimmer zusammensaßen.

„Ich hoffe, es hat dich nicht frustriert, dass ich mit dir nicht früher über die Adoption gesprochen habe.“

Robert schüttelte den Kopf. „Überhaupt nicht! Erstens ist es eine sehr gute Entscheidung, die ich voll unterstütze; und zweitens betrifft es in erster Linie dich; mich allenfalls am Rande. Aber ich werde mir überlegen, ob ich Carlo nicht auch adoptieren sollte. Einen solchen Jungen als Sohn zu haben, davon kann doch jeder Vater nur träumen.“

Henriette lächelte. „Und unser eigener Sohn freut sich so sehr. Hast du gesehen, wie glücklich er heute war?“

Robert nickte. „Manchmal hab ich das Gefühl, er liebt Carlo noch mehr als dich oder seine Anke.“

„Natürlich tut er das, und das ist auch gut so. Und er weiß, dass ich es weiß und sehr froh darüber bin.“

„Und Carlo weiß das auch?“

„Natürlich weiß er das, und er ist ebenso froh darüber wie ich. Außerdem empfindet er für Tom das Gleiche.“

„Ist das nicht ein bisschen unheimlich?“

„Überhaupt nicht, warum sollen zwei Jungs, die seit ihrer Kindheit zusammen durch Dick und Dünn gehen, und die sehr bald gestandene Männer sein werden, nicht Ihre Freundschaft über alles stellen dürfen? Glaube mir, ihre beiden Mädels haben das auch längst erkannt und sind ebenso froh darüber wie ich.“

Robert sah seine Ex an und schüttelte den Kopf. „Du bist so eine unglaubliche Frau und Mutter. Ich würde dich auf der Stelle noch einmal heiraten, wenn du einverstanden wärst.“

Henriette lächelte verschmitzt. „Das wäre jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt. Lass uns eventuell später mal darüber sprechen.“

Robert nickte. „Da komme ich gerne drauf zurück.“

Tom und Anke kamen aus der Küche. „Wir würden uns dann gern zurückziehen. Können wir noch etwas für euch tun?“

Henriette war aufgestanden. „Nein Spatz, wir gehen jetzt auch nach oben.“

„Na dann gute Nacht euch beiden!“

„Euch auch und schlaft gut!

OSTERMONTAG, 09.04.2012

Nachdem Carlo aufgestanden war, rief er als erstes seinen Chef an. „Moin Chef, haben sie etwas von der Familie Rehm gehört?“

„Nur, dass sie immer noch kein Lebenszeichen von ihrem Sohn haben.“ „Und wie gehen die damit um?“

„Herr Rehm war ja selbst lange genug Kollege, um zu wissen, was das bedeutet. Die Chance, den Ralph noch lebend zu finden tendiert gegen null. Die Mutter und der Bruder sind beide zusammengebrochen.“

„Der Tobias auch? Das wundert mich, dass der so zart besaitet ist. Der wurde uns doch ganz anders geschildert.“

„Auch Machos zeigen Schwächen, wenn es hart auf hart geht. Mit den Eltern verstand der sich vielleicht nicht so gut, aber ich glaube, seinen Bruder mochte der schon sehr.“

„Chef, ich habe nochmal über die Tasche mit den Zeitungen nachgedacht. Die müssen ja irgendwo herkommen. So einen Packen Zeitungen bewahrt man ja nicht einfach so zu Hause auf, wenn man nicht gerade ein Messie ist. Ich finde, wir sollten da jemanden dransetzen, der sich den ganzen Packen Seite für Seite noch einmal gründlich ansieht. Vielleicht finden wir irgendeinen Hinweis auf die Herkunft, einen Adressaufkleber oder eine handschriftliche Notiz; eine Telefonnummer oder so etwas.“

„Und wen sollen wir da dransetzen?“, stellte der Chef die rhetorische Frage. „Die KT können wir mit so etwas schlecht betrauen.“

„Ich kenne da einen sehr eifrigen jungen Mann, der sich darauf freuen würde, wenn wir ihn zumindest schon mal ein paar Tage Innendienst schieben ließen. Tom hat zwar noch Schmerzen in den Rippen, aber sonst ist er schon wieder fit wie ein Turnschuh.“

„Einverstanden Carlo, wenn es Henriette recht ist, kann er sich am Mittwoch darum kümmern. Aber Außendienst bitte erst, wenn der Arzt ihn tauglich geschrieben hat.“

„Ist ok, ich spreche mit Thomas. Für Außeneinsätze haben wir ja auch noch den Markus. Schönen Tag noch, Chef.“

„Ihnen auch, Carlo.“

Carlo hatte kaum aufgelegt, da rief ihn der diensthabende Schichtleiter vom PK 33 an. „Moin Carlo und frohe Ostern. Ich hab hier eventuell etwas für dich. Du hast mir doch diese Woche die Beschreibung vom vermissten Fahrrad eures Entführungsopfers gegeben. Vielleicht ist da ja nichts dran, aber einer von den Neulingen, die gerade von der Akademie zu uns gekommen sind, sucht derzeit ein gebrauchtes Rad für sich. Und da ist ihm jetzt eins angeboten worden, auf das deine Beschreibung passen könnte.“

„Danke für den Tipp, Christian. Das könnte interessant sein. Wo ist der Kollege jetzt?“

„Der steht hier neben mir; ist ein ziemlich aufgeweckter Bursche. Ich geb ihn dir“.

„Okay, tschüss Christian.“

Eine junge Männerstimme meldete sich: „Guten Morgen Herr Marques, ich bin PM Kevin Kremer, seit einer Woche hier am PK 33. Kann ich ihnen irgendwie helfen?“

„Hallo Kevin, KK Carlo Marques hier, haben sie schon Kontakt zu dem Verkäufer aufgenommen?“

„Nein, noch nicht. Hab gehört, das Bike könnte heiß sein. Da wollte ich nichts falsch machen.“

„Sehr umsichtig, Kevin. Was haben sie für einen Kontakt?“

„Eine Handy-Nummer.“

„Okay, dann rufen sie da jetzt an und machen einen Ort und Termin aus für eine Besichtigung. Machen sie einen auf naiv und stellen sie keine schwierigen Fragen nach Papieren, der Herkunft und auch keine W-Fragen oder sowas. Sie sollten ihn nach dem Preis fragen, aber verhandeln sie nicht. Danach rufen sie mich bitte direkt zurück. Ich bin auf jeden Fall dabei, wenn sie sich treffen. Und schicken sie mir bitte gleich die Handy-Nummer des Verkäufers und ihre dazu.“ „Verstanden, Herr Marques. Kommt sofort, und ich melde mich wieder, sobald ich den Verkäufer gesprochen habe.“

Maria kam aus der Küche. „Guten Morgen Schatz, das hört sich nach Arbeit an. Kommst du frühstücken, bevor es zu spät ist.“ Er gab Maria einen Kuss. „Ja Kleines, kann sein, dass ich gleich mal losmuss.“

Sie setzten sich an ihren kleinen Essplatz in der Küche. Während sie frühstückten meldete Carlos Handy den Eingang einer Nachricht. Kevin hatte ihm von seinem Handy aus die Nummer des Verkäufers geschickt.

Carlo fütterte seinen Rechner und hatte gleich drauf den dazugehörigen Teilnehmer namens Helmut Stein. Er reichte den Namen an den Kriminaldauerdienst weiter, und bekam wenig später die Daten auf seinen Rechner.

Helmut Stein war trotz seiner 17 Jahre kein unbeschriebenes Blatt. Gemeldet war er in Billstedt. Die Liste der Jugendstrafen reichte vom einfachen Diebstahl über Hehlerei bis zum Raub. ‚Das passt ja bisher alles sehr gut zusammen‘, dachte sich Carlo. Sein Handy klingelte und Kevin war dran. „Wir könnten uns heute Nachmittag um 14:00 treffen, wenn es ihnen recht ist.“

„Gut und wo?“

„Wir haben einen Treffpunkt bei den Deichtorhallen ausgemacht; am Ballonstartplatz. Da ist es nicht so voll, und ich kann eine Proberunde drehen.“

„Okay, dann treffen wir uns um halb zwei in dem Bistro gegenüber und sprechen alles durch. Wie erkenn‘ ich sie?“

„Ich bin 1,80m, 65 Kg, dunkelbraune Haare, braune Augen, Jeans und eine graue Lederjacke.“

„Okay, das sollte reichen. Hat der Typ einen Namen genannt?“

„Er hat gesagt, er heißt Ronny.“

„Naja, das war knapp daneben. In Wirklichkeit heißt er Helmut Stein, ist 17 Jahre und schon ein ziemlich dicht beschriebenes Blatt. Ich erzähl ihnen später mehr. Bis nachher.“

„Danke Herr Marques. Ich werde pünktlich da sein.“

Carlo rief Markus an. „Hast du schon etwas vor heute Nachmittag, oder gehst du mit mir Ganoven fangen?“ Er erzählte ihm von der neuen Spur, und Markus war sofort Feuer und Flamme. „Klar komme ich mit. Können wir denn das Rad identifizieren?“ „Ich habe die Rahmennummer von Herrn Rehm bekommen. Er hat das Rad seinem Sohn zum 18. Geburtstag geschenkt.“ „Super, dann bin ich um halb zwei bei den Deichtorhallen im Bistro.“

Als Carlo im Bistro ankam war Kevin schon eigetroffen. Er erkannte den hochgewachsenen Schlacks sofort und musterte ihn von Weitem. Der junge Mann mit dem freundlichen Gesicht und dem offenen Blick gefiel ihm auf Anhieb. ‚Wie Tommy, nur in braun!‘, dachte er sich und gab sich zu erkennen. „Moin Kevin, ich bin Carlo. Wir können uns gern duzen.“

„Okay danke Carlo. Freut mich, dich kennenzulernen. Hab schon von dir gehört und deinem Kollegen, den es neulich fast erwischt hätte.“

„Ja, das war knapp, und der hier der POM Markus Zeller hat ihm das Leben gerettet“, stellte Carlo seinen Kollegen vor, der in dem Moment zu den beiden hinzustieß und ihnen die Hand gab.

„Also Kevin, dein Kunde Helmut Stein alias Ronny hat 'ne ganze Latte Vorstrafen wegen Diebstahl, Hehlerei und auch Raub. Möglicherweise ist der Junge in ein Tötungsdelikt im Zusammenhang mit einer Entführung verstrickt. Du musst davon ausgehen, dass der zumindest ein Messer dabeihat. Es ist also Vorsicht geboten. Du gehst auf ihn zu, bist sehr freundlich und verwickelst ihn in ein Gespräch um ihn abzulenken. Markus und ich werden uns dann von verschiedenen Seiten annähern, damit wir ihm gegebenenfalls den Fluchtweg abschneiden können. Alles klar?

Kevin nickte. „Hab ich verstanden Carlo; ich pass auf!“

„Die Rahmennummer befindet sich oben auf der Vorderseite des Sattelrohrs; ist also gut sichtbar. Da ist die Nummer: J10 394 857 0310 drauf. Ich glaube, da drüben kommt unser Zielobjekt gerade angeradelt.“

Kevin ging geradewegs auf den jungen Mann zu, der 50 Meter weiter neben seinem Fahrrad stand.

„Moin! Ronny?“ Der junge Radler nickte. „Kevin, wir haben telefoniert“, sagte der Jungbulle und warf einen interessierten Blick auf das Fahrrad. „Schönes Teil hast du da. Warum willst du das denn loswerden?“

„Hab grad den Führerschein gemacht. Da brauch ich das Teil nicht mehr.“

„Ist aber noch ziemlich neu!?“

„Hab ich vor einem Jahr geschenkt bekommen.“

„Und was willste dafür haben?“

Der junge Mann zögerte, „ich dachte so an 250.“

„Ganz schön heftig! Für 200 würd ich's ja nehmen, wenn's sonst ok ist.“