KOELLBERGS Teil III - Bekenntnisse - John George Bernard - E-Book

KOELLBERGS Teil III - Bekenntnisse E-Book

John George Bernard

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Beschreibung

Nach dem brutalen Übergriff auf ihn selbst und dem Anschlag auf seinen Vater ist Thomas Koellberg schwer traumatisiert. Albträume, Depressionen und Selbstzweifel belasten den jungen Polizeimeister, denn er fühlt sich schuldig am Tod seines Vaters. Einzig seinem Freund und Kollegen, Carlo Marques gelingt es, Thomas aus seinem Tief zu befreien. Dabei erhält er unverhoffte Unterstützung durch eine überraschende Erkenntnis, die grundlegende Veränderungen im Leben der Familie zur Folge hat, und das Weltbild des gerade noch tieftraurigen Jungen schlagartig erhellt. Thomas kann sich wieder seinem Berufsalltag widmen, und ihm gelingt ein wesentlicher Beitrag zur Aufklärung des Attentats auf seine Vater. Ein Brandanschlag auf eine Unterkunft für Asylbewerber kann schnell geklärt werden. Nicht jedoch ein tödlicher Verkehrsunfall, und der damit zusammenhängende nachfolgende Mord, der große Rätsel aufgibt. Eine weiterer Mord wirft eine Vielzahl von Fragen auf, die sich nur mit etwas Glück und der hervorragenden Detailarbeit der Kriminaltechnik beantworten lassen. Im Zuge der Ermittlungen gerät ein Zeuge in den Fokus der Familie Koellberg und deren Freunde. Selbst fast noch ein Kind gelingt es diesem charismatischen jungen Mann, jeden zu verzaubern, der ihm begegnet. Und damit löst er bei seinen neuen Freunden Reflektionen aus, die deren Innerstes widerspiegeln...

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Koellbergs

Teil III

Bekenntnisse

Von John George Bernard

Bekenntnisse ist die zweite Fortsetzung einer Romanserie in Form einer Familienchronik. Ort des Geschehens ist die Hansestadt Hamburg. Beschriebene Örtlichkeiten und öffentliche Institutionen existieren real. Privatwirtschaftliche Einrichtungen sind dagegen fiktiv. Plot und handelnde Personen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufällig.

John George Bernard stammt aus dem Rheingau. Er studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Karlsruhe und Saarbrücken. Seit 2004 lebt er in seiner Wahlheimatstadt Hamburg, die er liebt, und der er nach eigener Aussage nie mehr den Rücken kehren wird.

Dass die Hansestadt seit nunmehr zehn Jahren das Beliebtheitsranking des Stadtmarken-Monitors als attraktivste Stadt Deutschlands anführt, ist nicht zuletzt der Bürgernähe ihrer Kommunalbehörden und insbesondere der Zuverlässigkeit ihrer Polizei geschuldet. Dieser und allen anderen Institutionen, in denen sich Mitarbeiter Tag und Nacht um das Wohl und die Sicherheit der Bürger ihrer Stadt bemühen, gilt der besondere Dank des Autors.

Koellbergs

Teil III

Bekenntnisse

Alster-Krimi

von

John George Bernard

alster-krimi.com

Text: Copyright© 2020 by John George Bernard

Umschlaggestaltung: Copyright© 2020 by John George Bernard

Registered Trademark; DPMA 302020246836.9 / 41

Copyright © 2020 by John George Bernard;

Verlag:

Alster-Krimi

Postfach 762346

22070 Hamburg

www.alster-krimi.com

Druck und Vertrieb:

Epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Koellbergs

Teil III

Bekenntnisse

DIENSTAG, 24.04.2012

Gegen 18:00 Uhr wurde Carlo durch das unruhige Verhalten seines jungen Bettnachbarn geweckt. Sein kleiner Bruder wälzte sich hin und her. Unablässig zuckten seine Hände und Füße. Er versuchte, im Schlaf zu schreien, und Carlo vernahm ein undeutliches Nein! Nein! und direkt darauf einen Schrei, in dem er seinen Namen zu erkennen glaubte. Er streichelte Tom mit der Hand über das Gesicht. „Tommy!“ Und nochmal etwas lauter. „Tommy!“

Tom schlug die Augen auf und erblickte seinen Freund. „Alles gut, Kleiner. Ich bin da.“

Tom brauchte etwas, bis er realisierte, wo er sich befand. Und dieses Mal erinnerte er sich offensichtlich auch an die Geschehnisse des Vormittags.

Carlo sah die Tränen in den Augen seines Freundes. „Dad, er ist…“

„Ja Tommy, Dad ist tot. Wir konnten ihn nicht mehr retten.“

„Und der Mann?“

„Ist auch tot.“

„Ich hab ihn erschossen.“

„Weil du deinen Vater vor ihm beschützen wolltest. Aber er war ein perfekter Schütze. Er wollte deinen Dad töten, nicht dich.“ Tom stierte vor sich hin. „Wenn ich sofort geschossen hätte, wäre mein Vater noch am Leben.“

„Bullshit, Tommy!“

Carlo hörte die Haustürklingel. „Lass uns später drüber reden wenn’s dir besser geht. Ich glaube, du bekommst Besuch. Erika wollte dich sehen.“

Carlo ging zur Tür. Er hatte richtig vermutet. Henriette hatte Annemaries Freundin hereingelassen. Carlo winkte die beiden zu sich. „Moin Erika, moin Mom. Sehr gutes Timing. Tom hatte Albträume. Deshalb hab ich ihn geweckt. Er erinnert sich wieder, und - er fühlt sich schuldig.“

Zu dritt betraten sie Toms Schlafzimmer. Tom hatte sich im Bett aufgesetzt. „Hallo Mom!“ Tom erschrak, als er seine Mutter erblickte. Ihr Gesicht war ganz grau vor Kummer. Sie wirkte um zehn Jahre gealtert. „Hallo Spatz, ich soll dir Grüße von Annemarie ausrichten. Peter hatte sie angerufen, und sie hat darauf bestanden, dass Erika dich besucht.“

„Ist schon ok, Mom.“

Erika gab Tom die Hand. „Darf ich?“

„Natürlich!“ Sie setzte sich zu Tom auf die Bettkante.

Henriette warf Carlo einen kurzen Blick zu. „Dann lassen wir euch mal eine Weile alleine?“

Erika nickte. „Gerne! Es wird nicht lange dauern. Thomas braucht sehr viel Ruhe.“

Henriette verließ mit Carlo den Raum. Sie gingen hinüber in die Küche. Dort nahm Carlo seine Adoptivmutter in spe erstmal in die Arme. Das war der Moment, in dem es sogar Henriette nicht mehr gelang, ihre Fassung zu bewahren. Schluchzend lag sie in Carlos Armen. „Warum nur Carlo? Warum läuft gerade alles so aus dem Ruder? Warum trifft es immer wieder meinen kleinen Spatz. Er ist doch so ein lieber Kerl. Er hat das nicht verdient!“

„Unser Kleiner hat wirklich viel Pech gehabt in letzter Zeit. Aber jede Pechsträhne geht einmal zu Ende, Mom. Die Zeiten werden wieder besser. Da bin ich ganz sicher. Allerdings…“ Carlo zögerte.

Henriette blickte zu ihm auf. „Was meinst du?“

„Tom wird sich verändern. Kein Junge verkraftet so viele Schläge hintereinander. Schon gar nicht so ein Sensibelchen wie Tom. Unser fröhlicher Weltverbesserer wird er nicht bleiben.“

„Du meinst, er wird nicht mehr unser Tom Akio sein?“

„Wir sollten uns daran gewöhnen, dass es sich so entwickeln könnte. Ich verspreche dir aber, dass ich alles tun werde, damit diese Entwicklung nicht eskaliert.“

„Henriette hob den Kopf und blickte Carlo in die Augen. „Du bist wirklich mein großer Sohn. Für mich bist du ein Geschenk des Himmels und für Thomas erst recht. Ich bin so froh, dass wir dich haben.“

„Ja Mom. Wir werden das gemeinsam durchstehen. Aber jetzt müssen wir erst einmal Tom helfen. Wir müssen ihn wieder aufbauen. Wenn es dir recht ist, werde ich die nächsten Tage bei euch verbringen. Ich werde Tom Tag und Nacht nicht aus den Augen lassen. Peter ist einverstanden. Er hat mich unbefristet dienstfrei gestellt.“

„Ich weiß. Ich habe vorhin mit ihm gesprochen. Es hat ihn schwer getroffen. Er ist eine Seele von Mensch.“

„Und er liebt Tommy sehr.“

Toms Appartementtür öffnete sich und Erika kam zu ihnen in die Küche. „Thomas geht es den Umständen entsprechend gut. Ich habe ihm ein Beruhigungsmittel gegeben. Er schläft jetzt. Carlo, du bist ja offensichtlich seine wichtigste Bezugsperson. Es wäre gut, wenn du so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringst. Schirm ihn ab, bis er beginnt, von selbst Fragen zu stellen. Dann musst du ihm allerdings die Wahrheit sagen. Er darf nicht das Gefühl haben, abgekoppelt zu sein. Dann würde er sich einigeln. Und dann müsst ihr auch versuchen, ihm seine Schuldgefühle zu nehmen. Das könnt ihr als Polizisten ja sachlich und rational mit ihm diskutieren, und da seid ihr ja schon zu zweit.“

„Zu dritt! Vergiss Peter nicht“, warf Henriette ein.

Carlo nickte. „Mit meinem Chef und Henriette habe ich das schon genau so geplant. Ich schlafe ab heute bei Tom.“ „Gut! Dann achte auf seine Träume. Wecke ihn ruhig, wenn du es für richtig hältst. Er erinnert sich offensichtlich an alle schrecklichen Details. In seinen Träumen ruft er diese Erinnerungen immer wieder ab, und das hindert ihn daran, Abstand zu gewinnen. Was sind das eigentlich für Pflaster an seinen Händen und Füßen?“

„Letzte Woche ist er Kidnappern in die Hände gefallen. Die haben ihn mit Elektroschockern gefoltert.“

„Du lieber Gott Henriette! Dein Sohn lebt aber gefährlich. Zwei solche Traumata so kurz nacheinander. Ruft mich bitte sofort an, wenn sich Thomas irgendwie auffällig verhält.“

Sie versprachen, Erika auf dem Laufenden zu halten. Henriette und Carlo verabschiedeten sich von ihr und bedankten sich herzlich. Henriette brachte sie zur Tür, währen Carlo nach Tom sah. Der schlief ruhig und friedlich. Carlo ließ die Tür zu Toms Schlafzimmer geöffnet und ging zurück in die Küche.

„Magst du etwas essen?“ Carlo schüttelte den Kopf. „Danke, ich krieg jetzt nichts runter, aber einen Rotwein würde ich gerne mit dir trinken.“

Sie war einverstanden. Carlo öffnete eine Flasche Merlot, und Sie setzten sich an den Küchentisch.

„Wie kommst du eigentlich klar mit allem, Mom?“

„Ach weißt du, nach fast 30 Jahren Polizeidienst hat man sich zwangsläufig an einiges gewöhnt. Ich weiß noch, als ich meinen ersten Toten hatte, übrigens eine ganz ähnliche Situation wie heute bei Thomas. Damals war ich total von der Rolle und wollte aus dem Polizeidienst aussteigen. Peter hat mich zum Psychologen geschickt, und mit seiner Hilfe habe ich dann die Kurve gekriegt.“

Carlo nickte. „Das kenn ich. Das Fell wird im Laufe der Jahre dicker. Aber das jetzt muss doch für dich extrem belastend sein.“

„Natürlich Carlo. Roberts Tod geht mir schon sehr nahe, gerade jetzt, wo wir wieder einen Weg zueinander gefunden hatten, aber noch mehr belastet mich das Elend von unserem Kleinen. Es zerreißt mir das Herz, ihn so leiden zu sehen.“

„Genauso geht es mir auch. Inzwischen frage ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn wir Tommy damals das mit dem Polizeidienst ausgeredet hätten.“

Henriette schüttelte den Kopf. „Erinnere dich bitte, was Thomas damals für ein störrischer Wildling war. Ich war im Begriff, ihn zu verlieren, und auch du hast dich schwergetan, den Zugang zu ihm zu behalten. Er hatte sich das so in den Kopf gesetzt, und es war ja auch gut durchdacht, was er uns damals vorgetragen hat. Wie hätten ausgerechnet wir zwei Polizisten ihm das ausreden sollen? Wenn wir ihm das damals nicht erlaubt hätten, dann hätten wir ihn möglicherweise ganz verloren.“

Carlo blickte Henriette in die Augen. „Jetzt, wo ich bald dein Sohn sein werde, darf ich dich etwas Persönliches fragen?“

Sie erwiderte seinen Blick.  „Natürlich! Du kannst mich alles fragen. Ich habe vor dir keine Geheimnisse.“

„Letzten Donnerstag bei Professor Baumann in der Klinik, da hast du ein schlimmes Ereignis erwähnt, das Tom mit dreizehn erlebt hat.“

Henriette nickte. „Ja, es war schrecklich für uns alle, und es war der Auslöser für vieles. Robert und ich haben damals einen Psychologen zu Rate gezogen. Der hat uns darin bestärkt, Thomas nicht daran zu erinnern. Wir haben seitdem nie wieder darüber gesprochen. Aber jetzt, wo Robert tot ist…“

Henriette machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach. „Also damals vor sechs Jahren, da war Robert noch im Sportschützenverein. Er ist dort eigentlich nur eingetreten mit dem Ziel, einen Waffenschein zu erlangen. Den hat man ihm auch ohne weiteres zugestanden, denn aufgrund seines Amtes hat man ihm eine Gefährdungslage zugebilligt. Ich brachte meine Waffe ja auch oft mit nach Hause, und wir hatten dafür extra einen Safe angeschafft. Leider hat Robert immer wieder mal vergessen, seine Waffe einzuschließen. Das war unter anderen ein Grund, warum wir immer wieder gestritten haben.“

Carlo benutzte Henriettes Pause, um ihnen von dem Merlot nachzuschenken. „Du kannst dich ja sicher noch an den süßen kleinen Mischling erinnern, den wir Thomas geschenkt hatten, und den er so sehr liebte.“

Carlo nickte. „Ihr habt ihn ‚Mini’ genannt. Du hast mir damals erzählt, er wäre ihm entlaufen.“

„Das stimmte nicht. Tatsächlich war es so, dass Thomas eines Tages Roberts Waffe gefunden und damit rumgespielt hatte. Dabei hat er dann versehentlich sein kleines Hündchen erschossen. Als ich später nach Hause kam, war Thomas ganz verstört und hat Mini verzweifelt gesucht. Er hatte offensichtlich das Geschehene total ausgeblendet. Ich habe dann Roberts Waffe entdeckt und mir sofort einen Reim darauf gemacht. Später habe ich Mini im Garten gefunden und den Kadaver sofort verschwinden lassen.“

Henriette seufzte. „Ich konnte Robert damals nicht verzeihen, dass er eine durchgeladene Waffe einfach so hat rumliegen lassen mit einem pubertierenden Kind im Haus. Letztendlich war es das auslösende Moment für unsere Scheidung.“

Carlo blickte auf. „Jetzt wird mir so einiges klar an Roberts Verhalten. Er hat diese Schuld all die Jahre mit sich herumgetragen bis zu seinem Tod.“

Sie nickte. „Die Rückkehr zu seiner Familie war sein Versuch einer Wiedergutmachung. Thomas hat sich wirklich sehr darüber gefreut und ich mich für ihn.“

„Dir war ‘s egal?“

„Nein, das nicht. Du weißt, ich bin ein Familienmensch. Und deshalb war es mir für Thomas wichtig, dass Robert zurückkommt. Wir haben das lange diskutiert. Uns beiden war klar, dass wir das Rad nicht zurückdrehen konnten, und wir waren uns darüber einig, es gar nicht erst zu versuchen.

Weißt du Carlo, damals als Robert in mein Leben trat, kannte ich Peter ja schon lange. Er war mein erster Chef bei der Polizei, und im Wesentlichen habe ich meine Karriere ihm zu verdanken. Im Laufe der ersten Jahre sind wir uns auch privat nähergekommen; ganz allmählich, so wie bei Thomas und Anke. Aber Peter hat immer darauf bestanden, Distanz zu wahren wegen unserer beruflichen Abhängigkeit.

Dann lernte ich Robert kennen. Der imponierte mir, und ich habe mich auf ihn eingelassen, aber gefühlsmäßig war ich doch näher bei Peter. Ich war hin- und hergerissen damals. Doch dann war Thomas unterwegs, und da habe ich mich natürlich sofort für Robert entschieden. Thomas sollte nicht ohne seinen Vater aufwachsen. Die große Liebe war das also nie zwischen uns; eher ein Arrangement.“

Carlo sah seiner Adoptivmutter in die Augen. „Mom, ich muss es dir einfach mal wieder sagen, wie sehr ich dich bewundere. Immer stellst du deine eigenen Interessen und Wünsche zu Gunsten deiner Familie zurück. Du bist für mich die tollste Mom, die ich mir vorstellen kann.“

Henriette lächelte. „Gerade in diesem Punkt bist du mir doch genau gleich. Und deshalb möchte ich, dass du mein Sohn und damit auch Thomas’ offizieller Bruder wirst. Für ihn und auch für mich bist du das ja eigentlich schon lange. Aber jetzt sollten wir Schluss machen. Es war ein harter Tag für uns.“

Sie standen auf. Carlo räumte die Gläser in die Spülmaschine. „Lass uns nach dem Kleinen sehen!“ Sie gingen herüber in Toms Schlafzimmer. Tom lag friedlich in seinem Bett. Er zeigte keinerlei Anzeichen von Unruhe. Henriette umarmte Carlo und gab ihm einen Gutenachtkuss. „Schlaf gut, mein Ältester und gib Tommy auch einen von mir, wenn er wach wird.“

„Mach ich, Mom. Dir auch eine gute Nacht.“

Carlo verschwand noch kurz im Bad. Dann kroch er ganz vorsichtig zu seinem kleinen Bruder ins Bett. Er lauschte noch kurz Toms Atemzügen, und dachte über sein Gespräch mit Henriette nach. ‚Es wird schon wieder’, dachte er sich. Dann schlief auch er ein.

MITTWOCH, 25.04.2012

Als Carlo am nächsten Morgen die Augen aufschlug durchfuhr ihn ein Schreck. Sein Freund lag nicht neben ihm im Bett. Sofort sprang er auf. In diesem Moment kam ihm Tom aus dem Bad entgegen. Er legte seine Arme um Carlo und gab ihm einen Gutenmorgenkuss auf die Wange. „Guten Morgen! Ich wollte dich noch schlafen lassen.“

Carlo vernahm den rauen, traurigen Klang in Toms Stimme. Auch er gab Tom einen Kuss. „Der ist von unserer Mom. Sie wollte dich gestern nicht mehr stören. Wie geht es dir? Hast du gut geschlafen?“

Tom nickte. „Wie ein Stein. Ist Mom auch da?“

„Ja Tom. Wir haben uns frei genommen. Wir bleiben beide bei dir.“

„Und was ist mit unseren Mädels?“ 

Carlo grinste. „Die haben uns auch frei gegeben. Es liegt ihnen sehr daran, dass wir beide zusammenbleiben, bis es dir besser geht.“

Carlo sah ein Lächeln über das Gesicht seines Freundes huschen und freute sich. „Tommy, ich habe gestern Abend noch lange mit unserer Mom gesprochen. Alles wird gut; ganz sicher.“ „Ich weiß nicht, Carlo. Ich fühl mich so beschissen. Ich hab alles falsch gemacht.“

Carlo faltete seine Hände hinter Toms Kopf und sah ihm in die Augen. „Hör zu, Kleiner! Du hast im Moment einen Schuldkomplex. Das ist kein Wunder bei dem, was du in den letzten Tagen durchgemacht hast. Wir beide werden das gemeinsam Punkt für Punkt durchgehen; und glaube mir, ich werde dir beweisen, dass du wirklich alles richtig gemacht hast. So, und jetzt lass uns etwas frühstücken. Du hast ja seit gestern früh nichts mehr zu essen bekommen.“

Als die beiden die Küche betraten, hatte Henriette schon den Tisch gedeckt und alles aufgefahren, was das Haus zu bieten hatte. Es gab Toms Lieblingsbrötchen ganz frisch aufgebacken. Dazu eine Aufschnittplatte mit den von ihm bevorzugten Köstlichkeiten, und auch sein Joghurt mit frischen Früchten war schon vorbereitet.

Tom umarmte seine Mutter, und seine Stimme klang traurig. „Guten Morgen, Mom. Das sieht schön aus. Ich hab aber auch einen ziemlichen Hunger.“ „Dann setzt euch, Jungs. Gleich gibt es noch für jeden ein Spiegelei.“

Sie warf Carlo einen fragenden Blick zu. Er signalisierte ihr mit einem Augenaufschlag, dass alles in Ordnung war.

„Spatz, wie fühlst du dich heute?“

„Ach Mom! Ich hab noch gar nicht richtig begriffen, was da gestern passiert ist. Ich habe einen Mann getötet und konnte trotzdem meinen Vater nicht retten. Zwei Menschen sind tot, weil ich nicht richtig reagiert habe. Ich fühle mich irgendwie verantwortlich für das alles.“

„Thomas, ich war zwar nicht dabei, aber Peter und Carlo sagen, dass sich das ganz anders verhält. Wenn du etwas Abstand bekommen und dich beruhigt hast, wirst du das auch erkennen. Niemand macht dir einen Vorwurf. Ganz im Gegenteil. Peter ist sehr stolz auf dich. Er hat gesagt, du hättest dich vorbildlich verhalten.“

„Ich weiß nicht Mom. Was ist falsch und was richtig? Ich stehe irgendwie neben mir.“

„Du musst Geduld haben, und du brauchst Ruhe. Es kommt alles wieder in Ordnung. Lasst uns jetzt erstmal frühstücken. Dann unterhalten wir uns weiter.“

Die beiden Jungs legten ihr Besteck erst zur Seite, als Brotkorb, Aufschnittplatte und die Früchtejoghurts geleert waren.

Henriette freute sich. „Na da habe ich ja in Zukunft zwei ordentliche Fresserchen zu versorgen. Das gefällt mir. Wie geht es eigentlich deinen Händen und Füßen?“

„Geht schon! Ich spür fast nichts mehr.“

„Wir erneuern dir aber nachher nochmal die Pflaster. Die Narben sind sicher noch sehr empfindlich.“

Carlo half Henriette beim Abräumen. „Worauf habt ihr Lust heute Abend? Ich wollte gleich mal zu Feinkost-Meyer und in den Supermarkt. Wie wär’s mit Königsbergern?“

„Wär ok für mich! Kannst ja mal schauen…“

Seine Mutter warf Carlo einen enttäuschten Blick zu. Die Erwähnung von Toms Lieblingsgericht hatte offensichtlich bei ihrem Jüngsten nicht die erhoffte Wirkung erzielt. Sie lächelte. „Na dann schau ich mal was geht. Wollt ihr euch ins Wohnzimmer setzen?“

„Wir gehen erstmal zu mir rüber.“

„Gut, dann kann ich euch allein lassen?“

Carlo grinste. „Ja Mom. Wir sind ja schon groß.“

„Na dann bis später und gute Gespräche!“

Henriette griff sich ein paar Einkaufsbeutel und machte sich auf den Weg. Gerade als sie ihr Fahrzeug bestieg, klingelte ihr Handy.

„Hallo Annemarie, du willst sicher wissen, wie es deinem Patenkind geht.“

„Moin Henriette, und auch wie es dir geht.“

 „Also natürlich bin ich froh, dass Thomas nicht mehr passiert ist. Er hätte ja auch tot sein können. Bisher steckt er das alles verhältnismäßig gut weg. Allerdings ist er depressiv, und er hat einen Schuldkomplex. Carlo bleibt die nächsten Tage bei ihm und arbeitet dran.“

„Das ist sehr gut. Besser als Carlo kann das auch kein Psychologe. Dann bist du abkömmlich?“

„Ich bin gerade auf dem Weg in den Mühlenkamp. Warum fragst du?“

„Ich habe gerade Robert auf dem Tisch. Könntest du einen Umweg machen und mich in der RM besuchen? Es ist wichtig, aber es ist nichts für‘s Telefon.“

„Gut, dann komm ich jetzt direkt zu dir.“

„Danke! Bis gleich.“

***

Die beiden Jungs hatten es sich in der kleinen Sitzecke in Toms Appartement bequem gemacht. Tom machte ein bekümmertes Gesicht. Sein großer Bruder blickte ihm in die Augen. „Komm, erzähl! Was bedrückt dich denn so sehr?“

Tom blickte vor sich auf den Fußboden. „Weißt Du noch, unser Gespräch vom letzten Samstag. Ich hab dir gesagt, dass ich beruflich ein Versager bin, und du hast versucht, mir das auszureden. Auch am Montag hast du mich über den grünen Klee gelobt. Aber inzwischen ist mir klar geworden, dass ich doch recht hatte.“

Tom hob den Kopf, und Carlo sah die Tränen in seinen Augen, und er hörte die Verzweiflung in seiner Stimme. „Ich kann ja vielleicht einen Schüler verhören und überführen, aber ansonsten tauge ich nicht für diesen Job. Ich bau nur Scheiße und bringe dich und andere in Gefahr. Carlo, ich hab das jetzt eingesehen. Ich kann so nicht weitermachen; ich schmeiß hin.“

Carlo holte tief Luft. „Hör gut zu, Tommy. Ich habe gestern Abend noch lange mit unserer Mom gesprochen. Unter anderem auch darüber, ob es ein Fehler war, dass wir dir vor vier Jahren die Idee mit der Polizeilaufbahn nicht ausgeredet haben. Wir sind uns aber darüber einig geworden, dass wir uns richtig verhalten haben, und wir stehen beide nach wie vor zu dir und deiner Entscheidung.

Und dann hat Mom mir von ihrem ersten Toten erzählt. Das hat sie umgehauen damals. Genau wie du jetzt, wollte auch sie den Dienst quittieren. Dass sie das dann doch nicht getan hat, ist nur ihrem damaligen Chef, Peter Harms zu verdanken. Deine Mom stand unter Stress, so wie du heute, und sie hätte eine Fehlentscheidung getroffen. Peter hat ihr das ausgeredet und sie zum Psychologen geschickt. Und du musst ja wohl zugeben, dass er das sehr gut gemacht hat.“ Tom antwortete mit einem leisen Nicken.

„Tommy, wenn ich mal deinen Innendienst abziehe, dann bist du jetzt gerade mal drei Monate bei der Truppe. In dieser Zeit wärst du um ein Haar zweimal erschossen und einmal zu Tode gefoltert worden. Du hast deinen ersten Toten, und du hast die Ermordung deines Vaters mit ansehen müssen; und das alles innerhalb weniger Wochen. Glaub mir, das ist eine ganz und gar ungewöhnliche Ausnahme. So etwas passiert den meisten Kollegen in ihrem ganzen Leben nicht. Du müsstest schon ein Übermensch sein, wenn du das einfach so wegstecken könntest.

Was ich sagen will, Tommy. Für mich bist du eigentlich so ein Übermensch; zumindest ein kleiner. Das beweist mir allein schon die Tatsache, dass wir beide jetzt hier zusammensitzen und über das alles reden können. Andere würden an deiner Stelle jetzt intensivpsychiatrische Betreuung in der Klapse benötigen.

Tommy, worum ich dich bitten möchte. Gib uns beiden eine Woche Zeit, bevor du für dich irgendwelche Entscheidungen triffst. Ich kenne dich besser, als du dich selbst. Und ich bin mir absolut sicher, dass du spätestens in einer Woche wieder unser fröhlicher Akio bist, der es wie kein anderer versteht, seine Mitmenschen glücklich zu machen.“

Tom hatte seinem großen Bruder aufmerksam zugehört. Seine Augen waren immer größer geworden. Jetzt senkte er verschämt den Blick. „Hab’s kapiert. Du glaubst tatsächlich an mich! Außer meiner Mom würde ich das keinem anderen abnehmen. Und du hilfst mir beim Zusammenreißen?“

Carlo grinste. „Hab ich dir ja gestern schon gesagt, Kleiner. Ich weich dir nicht von der Pelle, bis es dir wieder besser geht.“ Dann wurde er wieder ernst. „Weißt du was, Tommy? In den neun Jahren, die wir uns jetzt kennen, haben wir schon so viel zusammen durchgestanden. Gemeinsam stehen wir auch das durch; 100 Pro!“

Tom machte ein nachdenkliches Gesicht. Plötzlich stand er auf. „Komm mal!“ Auch Carlo war aufgestanden. „Nimmst du mich bitte in den Arm?“ Wortlos nahm Carlo seinen kleinen Bruder in die Arme und drückte ihn fest. Eine Minute standen sie so, ohne sich zu rühren. Dann drückte Tom ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke! Dafür und für alles andere auch.“

Sie setzten sich wieder, und Carlo verspürte die sichtliche Erleichterung seines jungen Kollegen. „Weißt du eigentlich, wen ich da gestern erwischt habe, und was das Ganze eigentlich sollte? Der Mann wollte sich doch an Dad rächen, aber wofür?“

„Ich habe gestern Abend mit Peter telefoniert. Der kannte den Fall von früher. Der Mann gehörte zur rechtsradikalen Szene. Vor gut zwanzig Jahren hat der zusammen mit zwei Komplizen einen Brandanschlag auf ein Asylantenwohnheim verübt. Dabei sind mehrere Heimbewohner ums Leben gekommen; darunter auch Frauen und Kinder.

Der Mann wurde als Initiator und Haupttäter zur Höchststrafe verknackt. Dein Vater war als Staatsanwalt eine treibende Kraft in dem Verfahren. Er setzte sich mit der Forderung nach einer anschließenden Sicherheitsverwahrung durch; natürlich nach vorheriger Begutachtung. Das erste Gutachten nach 15 Jahren war negativ, und der Mann verblieb im Strafvollzug. Jetzt stand die nächste Begutachtung an. Und in diesem Zusammenhang hatte sein Anwalt, ebenfalls zur rechten Szene gehörend, es irgendwie geschafft, einen Antrag auf Wiederaufnahme zur stellen. Deshalb war Robert überhaupt nur im Landgericht.

Erwartungsgemäß wurde der Antrag abgewiesen. Peter glaubt jetzt, dass der Antrag überhaupt nur gestellt wurde, um dem Mann ein Treffen mit deinem Vater zu ermöglichen. Er geht von einem geplanten Mordanschlag aus. Wir wissen noch nicht, wie der Mann im Gebäude an die Waffe kam. Peter vermutet, dass sie auf einer Toilette versteckt war. Gegen den Rechtsanwalt wird jetzt verdeckt ermittelt.“

Tom hatte aufmerksam zugehört. „Was ist mit den beiden Beamten?“ „Die sollten den Mann bewachen. Sie sind beide außer Lebensgefahr. Sie haben ausgesagt, dass sie den Mann bis zur Toilette begleitet haben. Sie haben es aber versäumt, ihn danach noch einmal zu durchsuchen.“

Tom überlegte kurz. „Dann hätte ich meinen Vater nur retten können, wenn ich sofort geschossen hätte. Ich hab die Situation falsch eingeschätzt.“ „Tommy, du hast genau das getan, was man dir auf der Schule beigebracht hat, nämlich auf Deeskalation zu setzen. Die Halle war voller Menschen, und direkt hinter dem Mann standen auch welche. Es wäre unverantwortlich gewesen, einfach loszuballern.“

„Aber dann hab ich ja doch geschossen.“

„Ja, aber erst nachdem der Mann auf dich respektive deinen Vater geschossen hatte. Dein Schuss war reflexhaft; genau wie der neulich von Markus, als er dir damit das Leben gerettet hat. Und ich denke, dass du gerade deshalb den Mann gleich voll erwischt hast, denn das ist bei dir ja nicht selbstverständlich. Hättest du initial geschossen, wäre dir deine Schießhemmung auf Menschen eventuell zum Verhängnis geworden.“

Tom war nachdenklich geworden. „Dann meinst du also wirklich, ich hab alles richtig gemacht?“

„Absolut Tommy, du konntest und du durftest gar nicht anders handeln.“ „Und trotzdem ist mein Vater jetzt tot.“

Carlo bemerkte die Tränen in Toms Augen. Er legte den Arm um ihn. „Ja Tom, das ist schrecklich. Aber wir haben uns alle bewusst für diesen Beruf entschieden; auch du. Wir wissen, unser Leben ist gefährlich. Deshalb müssen wir lernen, mit den möglichen Konsequenzen umzugehen. Es kann jeden von uns treffen, dich, mich, Anke oder unsere Mom.“

Tom warf ihm einen erschreckten Blick zu. „Hör auf! Daran darf ich gar nicht denken.“

„Solltest du aber, so wie jetzt auch. Nur wenn du dich mit solchen Situationen gedanklich auseinandergesetzt hast, kannst du im Ernstfall damit klarkommen. Schau dir unsere Mom an.“

 „Du meinst…“

„Ja Tommy, auch sie hat sich mit solchen Szenarien ganz sicher schon beschäftigt. Sonst könnte sie jetzt nicht so wunderbar ihre Haltung bewahren.“

Tom überlegte kurz. „Ich hab auch schon an sowas gedacht, aber umgekehrt. Ich hab mir vorgestellt, wie es euch ergehen würde, wenn ich tot wäre.“

„Und bist du zu einem Ergebnis gekommen?“

Tom nickte. „Ich war mir sicher, dass ihr meinen Verlust verkraftet hättet, weil wir als Familie immer so fest zusammenstehen.“

Carlo lächelte. „Da hast du dir mal wieder die Köpfe der anderen zerbrochen. Aber das Resultat stimmt. Und weil wir so fest zusammenstehen, wirst auch du bald über den Tod deines Vaters hinwegkommen.“

Tom war erleichtert. „Deswegen, und weil du mein großer Bruder bist und mir hilfst, wenn ich wieder mal in der Scheiße stecke.“

„Sowieso, Kleiner!“

***

Henriette betrat die Rechtsmedizin durch den Hintereingang. Sie fand ihre beste Freundin in ihrem Büro. Annemarie sprang sofort auf und umarmte sie.

„Mein Beileid erstmal! Wie kommst du damit klar?“

„Du weißt ja, mein Verhältnis zu Robert war nicht das Innigste. Aber ein Schock ist es schon; vor allem für Thomas.“

„Möchtest du Robert nochmal sehen?“

Henriette nickte. „Dann komm!“

Annemarie brachte sie zum Sektionssaal. „Ich warte draußen.“ 

Zögernd betrat Henriette den Raum. Sie trat an den mit einem OP-Tuch bedeckten Leichnam ihres Mannes und hob behutsam das Tuch an. Als sie Roberts friedliches Gesicht erblickte, durchströmte sie plötzlich ein Gefühl der inneren Ruhe. Sie seufzte tief, bevor sie Roberts Gesicht wieder mit dem Tuch bedeckte und langsam den Raum verließ.

Annemarie hatte draußen auf ihre Freundin gewartet. „Lass uns in mein Büro gehen. Magst du einen Kaffee?“ „Gerne!“ Annemarie holte zwei Becher, und die beiden setzten sich.

Frau Dr. Kühn machte ein ernstes Gesicht. „Henriette, ich habe vorhin etwas herausgefunden, das dich betrifft. Und es ist so brisant, dass ich einfach mit dir darüber reden muss. Ich erzähl es dir, und du musst darüber entscheiden, ob unser Gespräch jemals stattgefunden hat, oder ob wir das für immer vergessen.“

Henriette stöhnte. „Du machst es aber spannend. Muss ich mir Sorgen machen?“

„Eigentlich nicht! Aber entscheide du darüber.“ Henriette nickte.

„Also gut! Als ich Robert gestern auf den Tisch bekam, war ich natürlich total erschüttert. Die Todesursache stand ja schon fest. Als der Schuss fiel, hatte er wohl eine Abwehrbewegung gemacht und sich weggedreht. Dadurch hat ihn das Projektil von der Seite getroffen. Es ist knapp oberhalb der Schilddrüse auf der linken Seite eingetreten und hat die linke Arteria carotis communis komplett durchtrennt und die rechte perforiert, bevor es auf der rechten Seite wieder austrat. Er war nur noch Sekunden bei Bewusstsein und hat maximal noch zwei Minuten gelebt. Er hatte nicht die geringste Chance.“

Annemarie machte eine Pause. „Ich habe auch den Inhalt seiner Taschen sichergestellt und für dich aufgehoben. Dabei ist mir sein Impfausweis in die Hände gefallen. Irgendwie fiel mir auf, dass dort Blutgruppe ‚0’ eingetragen war. Ich habe ja von fast dem gesamten Personal die Blutgruppen in der Datenbank, damit wir notfalls sofort reagieren können. Auch deine ist aus deiner Zeit im PK hier noch gespeichert und auch die von Thomas.“

Annemarie blickte ihrer Freundin fest in die Augen. „Henriette, du hast Gruppe ‚B’ und Thomas hat Gruppe ‚A’. Um jede Unsicherheit auszuschließen, habe ich Roberts Blutgruppe noch einmal überprüft. Es stimmt. Er hatte Gruppe ‚0’. Damit war für mich klar, dass er nicht Thomas’ leiblicher Vater war.“

Henriette antwortete nicht. Aber sie warf ihrer besten Freundin einen entgeisterten Blick zu. Die setzte ihren Bericht fort. „Dann habe ich überlegt, wer der Vater sein könnte. Ich habe gerechnet. Thomas ist um den 03.09.1991 herum gezeugt worden. Weißt du noch, was damals war?“ „Natürlich! Zum 01.09.1991 bekam ich meine Ernennung zur KHKin.“

Annemarie nickte. „Es gab eine sehr feuchtfröhliche Party damals. Du warst der, respektive die, Jüngste, die jemals in Hamburg zum KHK befördert wurde.“

„Und das hatte ich nur Peter Harms zu verdanken. Er wäre eigentlich an der Reihe gewesen, aber er hat zu meinen Gunsten auf die Planstelle verzichtet.“

„Ihr wart euch sehr nahe damals.“

„Ich hätte ihn gerne geheiratet. Aber dann war Thomas unterwegs, und ich habe mich für Robert entschieden.“

„Weil du dachtest, Thomas sei von ihm.“

„Ja, aber von Peter konnte er doch gar nicht sein. Wir haben doch nie etwas miteinander gehabt. Peter war da sehr stringent.“

„Ich erinnere mich noch gut an die Party damals. Ihr beide habt viel getanzt miteinander und - noch mehr getrunken.“ „Ich weiß, wir hatten später beide einen totalen Filmriss. Aber ich war so glücklich an dem Abend, und ich war Peter so dankbar.“

Annemarie zögerte. „Ich habe das nie thematisiert, weil es mich und auch sonst niemanden etwas anging. Aber an dem Abend ist mir aufgefallen, dass ihr beide für eine knappe Stunde verschwunden wart“

„Du meinst, wir haben…“

Annemarie blickte ihrer Freundin in die Augen. „Henriette, jetzt kommt der vertrauliche Part. Ich habe Peters Blutgruppe gecheckt. Er hat ‚AB’. Er kommt also in Frage. Und wenn du mich fragst. Ich bin überzeugt, dass er Thomas’ Vater ist.“

Henriette sagte kein Wort. Sie lehnte sich zurück und holte tief Luft. „Was soll ich machen?“

„Ein Vaterschaftstest würde dir Sicherheit verschaffen. Es ist alleine deine Entscheidung.“

„Und Peters!“

„Er wäre sofort einverstanden, wenn du ihn fragen würdest. Er liebt den Jungen sehr.“

„Ich weiß! Und eigentlich liebe ich Peter auch heute noch. Aber wie würde Thomas das aufnehmen. Er wäre geschockt!“

„Das wäre er, aber sicher nur kurze Zeit. Er verehrt Peter sehr, und er liebt ihn.“

„Zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich nicht, was ich tun soll. Und das alles ausgerechnet jetzt, wo Robert gerade mal 24 Stunden tot ist.“

„Aber sein Tod ist ja gerade der Auslöser. Anderenfalls wäre das wahrscheinlich nie entdeckt worden.“

Henriette blickte auf die Uhr. „Ich muss. Meine Jungs werden sich schon wundern, wo ich bleibe.“

Sie standen auf, und Henriette umarmte ihre Freundin. „Ich danke dir sehr für deine Offenheit. Ich muss nachdenken und auch erst mal drüber schlafen.“

„Tu das! Und wenn du mich fragst, würde ich mit jemandem drüber reden.“

„Du meinst jemand bestimmtes?“

Annemarie nickte. „Ich meine Carlo. Er kennt Peter schon lange und Thomas sowieso. Und er ist fast täglich mit den beiden zusammen.“ „Ja schon, aber das Thema ist doch sehr persönlich und intim, und Carlo...“

Annemarie fiel ihr ins Wort. „…wird bald ganz offiziell dein ältester Sohn sein. Du wirst ihn jetzt mehr denn je brauchen.“

„Wahrscheinlich hast du recht. Ich denke drüber nach. Tschüss, Anne! Und danke nochmal für alles!“

Als Henriette ihren Wagen in der Garageneinfahrt abstellte; kamen ihr sogleich ihre beiden Jungs entgegen, um ihr die Einkaufsbeutel abzunehmen. Zu dritt gingen sie zurück in die Küche und begannen, die angelieferten Lebensmittel auszupacken.

Tom freute sich. „Du hast ja einiges vor, Mom.“

Henriette lächelte verschmitzt. „Naja, ich muss ja vorsorgen mit zwei solchen Fresserchen im Haus.“ Zufrieden bemerkte sie, dass sich die Stimmung ihres Jüngsten deutlich verbessert hatte.

„Es hat bei mir etwas länger gedauert. Annemarie hatte mich angerufen. Sie hatte Robert auf dem Tisch, und sie wollte mir das Ergebnis ihrer Untersuchungen mitteilen. Ich bin hingefahren, und ich konnte mich auch von Robert verabschieden.“

„Und hat sie noch etwas Besonderes herausgefunden?“, wollte Tom wissen. „Nein! Alles passt zum Tathergang. Und sie hat auch bestätigt, dass Robert keine Chance hatte.“

Henriette war froh, dass ihr Jüngster nicht den Wunsch äußerte, seinen Vater noch einmal sehen zu wollen. Schnell wechselte sie das Thema. „War bei euch etwas inzwischen?“

Carlo nickte. „Peter hat angerufen und sich nach euch erkundigt. Er wollte nachmittags vorbeikommen, wenn es dir recht wäre. Und dann haben sich auch Anke und Maria gemeldet und gefragt wie‘s euch geht. Die würden natürlich auch gern kommen, aber ich habe sie erstmal auf Distanz gehalten.“

Henriette warf ihrem Sohn einen prüfenden Blick zu. „Was meinst du, Spatz? Magst du schon wieder jemanden sehen, oder lieber noch deine Ruhe haben?“

„Von mir aus können sie kommen.“

Carlo stimmte ihm zu. „Ein bisschen Ablenkung könnte uns allen nicht schaden.“

Henriette war einverstanden.  „Ich finde auch, wir sollten möglichst bald zum normalen Tagesablauf zurückfinden.“

„Okay Mom, dann deck ich schon mal im Wohnzimmer. Wie ich Maria kenne, bringt sie wieder Kuchen mit.“

Tom marschierte nach drüben und Carlo nutzte die Gelegenheit. „Mom, ich wollte dir nochmal für das Gespräch danken gestern Abend und für deine Offenheit. Ich fühle mich inzwischen wie ein richtiges Familienmitglied.“

„Ich weiß, Carlo, und ich bin sehr froh darüber. Ich habe auch schon wieder etwas, das ich mit dir unter vier Augen besprechen möchte, sobald sich dazu eine Gelegenheit ergibt.“

„Ich denke, heute Abend. Tom soll ja noch sein Beruhigungsmittel nehmen. Dann schläft er bestimmt gleich wieder ein.“

„Gut, dann heute Abend!“

„Mit einem Merlot?“

„Mit einem Merlot!“

Tom kam zurück in die Küche. „Im Wohnzimmer ist alles vorbereitet. Ich mach mich frisch und zieh mir was anderes an. Wenn Anke kommt…“

Henriette freute sich. „Tu das mein Sohn.“

„Ihr habt ja wohl ein sehr gutes Gespräch gehabt?“, fragte sie, als Tom gegangen war. „Naja weißt du, den ersten Toten so kurz nach dem Berufsstart, und dann noch den eigenen Vater sterben zu sehen, das ist schon echt hart. Es wird Zeit brauchen, bis er das verarbeitet hat.  Aber wir haben heute zumindest einen guten Anfang gemacht.“

„Jedenfalls kann er froh sein, dass er dich hat.“

„Das ist er, Mom.“

Peter Harms war der erste Kaffeegast. Tom öffnete ihm und nahm ihm den Blumenstrauß ab, den der für Henriette mitgebracht hatte. Peter umarmte sie zur Begrüßung und musterte seinen jüngsten Mitarbeiter eingehend. „Wie geht’s dir, Thomas?“

„Soweit ganz gut, Chef. Danke, dass du Carlo freigestellt hast. Es hilft mir sehr, mit ihm zu reden. Deinem Fuß geht’s ja auch schon wieder besser?“

„Ja, war wohl doch nur eine leichte Verstauchung.“

Tom hatte gerade die Blumen in eine Vase gestellt und in der Nähe der Kaffeetafel platziert, als die Mädels klingelten. Schnell ging er an die Tür. Er begrüßte die beiden mit einer Umarmung. Dann nahm er Maria die große Tasche ab. „Klamotten für Carlo und obendrauf ist der Kuchen und die Sahne“, beantwortete sie Toms fragenden Blick.

Anke sah ihren Freund prüfend an. „Wie geht’s meinem Liebsten?“ Tom lächelte. „Wenn du da bist… Nein im Ernst, mir geht’s schon wieder etwas besser, aber ich habe hier auch genug Ablenkung und gute Gespräche mit Carlo.“

Sie setzten sich alle gemeinsam an die Kaffeetafel und ließen sich Marias Himbeertorte schmecken. Alle waren gespannt auf Neuigkeiten, aber niemand hätte es gewagt, eine Frage zu stellen. Stattdessen wurde lediglich ein bisschen Smalltalk betrieben. Als sie fertiggegessen hatten, kam Henriette auf den Punkt.

„Gibt es schon Neuigkeiten, Peter?“ „Also zunächst mal muss ich sagen, dass ich sehr froh bin darüber, dass es euch offensichtlich recht gut geht. Ich hatte mir Sorgen gemacht, vor allem um Thomas.“

Peter zögerte. „Gestern Vormittag das war wirklich hart. Der Anschlag kam ja aus heiterem Himmel. Keiner hat doch mit so etwas gerechnet. Aber Thomas war geistesgegenwärtig und er hat sehr viel Courage gezeigt. Er hat sich vorbildlich verhalten und alles richtig gemacht. Es tut mir so leid, dass es für euch so enden musste.“

„Danke dir, Peter. Wir beide haben ja früher schon oft darüber gesprochen. In unserer Familie ist bisher immer alles gut gegangen. Jetzt hat es zum ersten Mal uns selbst getroffen, und nicht einen unserer Kollegen. Das ist schon nochmal etwas ganz anderes. Aber da müssen wir jetzt durch, und gemeinsam werden wir das auch schaffen.“

Peter warf ihr einen bewundernden Blick zu und nickte. „Ganz sicher werdet ihr das! Übrigens, wir wissen inzwischen schon etwas mehr über die Vorbereitungen zu dem Anschlag. Markus ist aufgefallen, dass die Waffe ausgerechnet in der Toilette versteckt war, die dem Verhandlungsraum direkt gegenüber lag. Daraufhin haben wir das gesamte Gerichtspersonal überprüft, das im Landgericht tätig ist und sind auf einen technischen Mitarbeiter gestoßen, der so eine Art Hausmeisterfunktion ausübt.

Der Mann heißt Werner Wenning, ist am 13.04.1965 in Hamburg geboren und hat hier auch einen festen Wohnsitz. Als Hausmeister hatte er Zugang zu allen Räumen. Auch zu dem Asservatenraum, in dem die Waffe bis zur Verhandlung aufbewahrt wurde. Natürlich hatte der Mann auch Kenntnis von den Belegungsplänen. Er wusste, wo diese Verhandlung mit Robert stattfinden würde.“

„Ein Maulwurf im Gericht?“ Peter sah zu Tom herüber. „Ja Thomas. Das ist leider gar nicht so ungewöhnlich, und es wird sich auch in Zukunft nicht vermeiden lassen bei dem zunehmenden Personalmangel.“

 „Und gehört der Mann auch zur rechten Szene?“, wollte Henriette wissen. „Werden wir bald wissen. Markus untersucht gerade den Background des Mannes.“

„Henriette, da ist noch etwas. Der Innensenator hat bei mir vorgefühlt. Der Senat möchte für Robert das Begräbnis mit Trauerfeier ausrichten. Ich soll dich fragen, ob dir das recht ist.“

Henriette überlegte kurz. „Eine Trauerfeier wäre schon schön und Roberts Verdiensten auch angemessen. Aber das muss unabhängig von der Beerdigung sein. Die soll im kleinen Kreis stattfinden; nur wir sechs und natürlich Annemarie sollen dabei sein. Was meinst du, Thomas?“

Tom war einverstanden. „Das wird sicher schlimm für uns. Da müssen uns nicht noch andere dabei zusehen.“

Peter gab ihm recht. „Das sehe ich ganz genauso. Ich werde den Innensenator nachher noch anrufen und die Details mit ihm klären.“

Henriette nickte. „Danke! Dann kümmere ich mich um den Beerdigungstermin in Ohlsdorf. Es wäre gut, wenn wir Zeit und Ort der Trauerfeier umgehend erfahren. Dann können wir das mit in unsere Anzeige setzen.“

Maria lächelte zu Tom herüber. „Ich würde mir gerne mal deine Wunden ansehen und die Pflaster erneuern.“

„Gute Idee! Lass uns zu mir rübergehen.“

Die beiden verschwanden in Toms Appartement. „In der rechten Handfläche ist die Narbe etwas aufgeplatzt. Sicher von deinem Schuss gestern. Aber insgesamt verheilt alles sehr gut“, meinte Maria, als sie die Pflaster abgenommen hatte. Sie reinigte die Wunden und klebte frische Pflaster auf Toms Handflächen und Fußsohlen. „Ich denke, das reicht jetzt bis Freitag, wenn du wieder beim Arzt bist.“

Als sie wieder im Wohnzimmer ankamen, war dort bereits Aufbruchstimmung. Peter und auch die Mädels verabschiedeten sich von Henriette und ihren Jungs. Tom brachte die Gäste zur Tür. Die Mädels umarmten ihn und als letzter auch sein Chef. „Schau doch mal bei uns rein, wenn du am Freitag zum Arzt gehst. Du wirst sehen. Alles wird gut, Thomas.“

„Wie sieht’s bei euch aus mit Appetit?“, fragte Henriette, als sie das Kaffeegeschirr weggeräumt hatten. „Ein Stück Himbeerkuchen anstatt Mittagessen ist für euch ja wohl zu wenig. Königsberger gab es heute nicht. Aber ich habe etwas von dem Party-Nudelsalat mitgebracht, und Frikadellen sind auch noch im Tiefkühlfach.“

Ihre Jungs waren einverstanden. Henriette nahm einen Beutel mit Bouletten aus dem Gefrierschrank. „Abendessen um sieben in der Küche?“

Tom nickte. „Und vorher einen Campari-Orange im Wohnzimmer?“

„Gute Idee! Ich wollte sowieso noch etwas mit euch besprechen wegen der Traueranzeige.“

Tom kümmerte sich um die Getränke, und zu dritt nahmen sie im Wohnzimmer Platz. Henriette musterte ihre Jungs. „Es ist gut, dass wir mal einen Moment für uns haben.“

Sie wandte sich ihrem Jüngsten zu. „Thomas, ich weiß, du hörst das nicht so gerne. Deshalb habe ich damit gewartet, bis wir unter uns sind. Aber jetzt möchte ich dir doch sagen, dass ich sehr stolz und auch dankbar bin für das, was du gestern geleistet hast. Auch wenn du Roberts Tod nicht verhindern konntest; du hast dich seinem Mörder entgegengestellt und mit den dir gebotenen Mitteln versucht, diese Tat zu verhindern. Du hast überlegt gehandelt und nicht einfach drauflosgeballert. Möglicherweise hast du damit ein Blutbad und den Tod vieler unschuldiger Menschen verhindert.“

Carlo pflichtete Henriette bei. „Nicht auszudenken, eine Ballerei in dieser Halle. Das hätte jede Menge Querschläger geben können.“

Tom hatte einen roten Kopf bekommen. Er brachte kein Wort heraus.

Henriette fuhr fort. „Ich wollte mit euch auch noch über die Traueranzeige sprechen. Der Senat und der Richterverein werden ja sicher Anzeigen platzieren; und wohl auch der Schützenverein. Ich möchte morgen in unserem Namen auch eine Anzeige aufgeben und üblicherweise zählt man dort die Familienmitglieder auf. Dabei möchte ich die Nachnamen weglassen, also: Henriette, Thomas mit Anke, Carlo mit Maria, Peter und Annemarie. Wie findet ihr das?“

Tom freute sich. „Find ich prima, dass die Mädels und Peter und Annemarie mit drauf sollen.“

Auch Carlo nickte zustimmend. „Das ist eine schöne Geste. Das bringt unsere Zusammengehörigkeit zum Ausdruck.“

„Darum geht es mir. Und deshalb sollen auch nur wir sieben Personen an der Beerdigung teilnehmen.“

Henriette stand auf. „Kommt mal!“ Tom und Carlo erhoben sich. Sie nahm ihre Jungs in die Arme. „Meinen Mann habe ich verloren, aber ich habe immer noch die beiden besten Jungs, die ich mir überhaupt wünschen kann. Zusammen schaffen wir das.“ „Die hat unsere Mom aber auch verdient; meinst du nicht auch, Großer?“ Carlo grinste. „Sowieso, Kleiner!“, und er gab Tom und seiner Mom einen dicken Schmatz auf die Backe.

Henriette freute sich. „Dann schieb ich jetzt mal die Frikadellen in den Ofen. In einer halben Stunde können wir essen.“

Die Jungs verschwanden in Toms Appartement. Carlo packte die Klamotten aus, die Maria mitgebracht hatte.

„Im Schrank ist noch Platz frei. Schau hier.“ Tom zeigte seinem Freund ein freies Abteil in seinem Kleiderschrank.

„Hab ich schon mal vorsorglich für Anke geräumt. Aber sie hat bisher kaum Klamotten mitgebracht.“

Carlo verstaute seine Sachen im Schrank und seine weiteren Utensilien im Bad. „Tom, wie fühlst du dich heute.“

„Gut! Jedenfalls schon viel besser als gestern. Warum fragst du? Du willst uns doch…“

„…nicht schon wieder verlassen!“, fiel Carlo ihm ins Wort. „Im Gegenteil, ich würde gerne zumindest bis nach der Trauerfeier bei euch wohnen bleiben, wenn dir das recht wäre.“

Zum ersten Mal seit dem Unglück huschte ein Freudenstrahl über Toms Gesicht. „Das wäre super!“

„Okay, dann bleib ich gern. Dir würde ich sowieso nachts nicht von der Pelle rücken, damit ich dich wecken kann, falls du Albträume kriegst. Aber ich glaube, auch unserer Mom wäre damit geholfen, wenn ich euch noch ein wenig unterstütze in den nächsten Tagen. Tagsüber kann ich ja Dienst machen, aber abends und nachts wäre ich schon gerne bei euch.“

„Finde ich toll, aber was sagt Maria denn dazu?“

„Sie findet es auch richtig und ist einverstanden.“

„Okay, dann lass uns rübergehen. Mom wird sich freuen.“

In der Küche hatte Henriette den Tisch gedeckt, und es roch nach frisch gebackenen Frikadellen. „Was hältst du von Grauburgunder, Mom?“ „Sehr viel!“ Tom fischte eine Flasche aus dem Kühlschrank und dazu drei Küchengläser. Henriette hatte den Nudelsalat noch etwas angereichert, und der passte perfekt zu den frisch aufgebackenen Bouletten.

Als sie fertiggegessen hatten, hob Tom sein Glas. „Auf unsere Mom! Das war mal wieder superlecker!“ Sie stießen an.

„Carlo wollte dir noch was sagen.“

Henriette bemerkte die freudige Miene ihres Jüngsten und warf Carlo einen fragenden Blick zu.

„Ich habe Tom gefragt, ob ich nicht noch ein paar Tage länger bei euch bleiben sollte; zumindest bis zur Trauerfeier. Ich würde euch ungern alleine lassen bevor wir alle etwas zur Ruhe gekommen sind.“

Henriette strahlte. „Sehr gerne! Ich freu mich. Aber bis zur Trauerfeier kann das noch eine Woche bis zehn Tage dauern. Wird Maria dich so lange entbehren können?“

„Klar! Die Mädels kommen uns sicher immer besuchen, wenn sie frei haben.“

„Und bringen Kuchen mit“, ergänzte Tom.

Henriette erhob sich. „Das ist wirklich nett von den Beiden. Thomas und ich, wir werden uns etwas einfallen lassen als Dankeschön.“

Sie begann damit, den Tisch abzuräumen, während Tom die Gläser noch einmal nachschenkte. „Einen Schluck nehm ich noch mit euch.“

Carlo grinste. „Dann ab, Kleiner! Erika hat gesagt, du sollst so viel wie möglich schlafen.“

Tom warf den beiden einen liebevollen Blick zu. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, euch in der Nähe zu haben.“

Er leerte sein Glas. „So, ich lass euch jetzt mal in Ruhe.“

Er stand auf und gab seiner Mutter einen Gutenachtkuss. „Schlaft gut ihr beiden!“

„Du auch, Spatz!“