Kollegiale Beratung - Kim-Oliver Tietze - E-Book

Kollegiale Beratung E-Book

Kim-Oliver Tietze

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Beschreibung

Am Anfang vieler folgenreicher Neuerungen steht oft eine einfache Idee. So auch bei der «Kollegialen Beratung»: Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass sich Menschen in einem Arbeitsfeld gegenseitig qualifiziert bei beruflichen Problemen beraten können. Was oft informell geschieht, braucht jedoch eine bestimmte Struktur: In einer Gruppe wird ein Mitglied von den übrigen Teilnehmern in verteilten Rollen nach einem feststehenden Ablauf beraten mit dem Ziel, Lösungen für eine konkrete Frage oder ein Problem zu entwickeln. Die Beratungsgruppen von fünf bis zehn Mitgliedern arbeiten selbständig ohne professionellen oder externen Berater. Dieser Band entwickelt an praktischen Beispielen die sechs Phasen der Kollegialen Beratung und stellt Methodenbausteine zur Verfügung, die je nach behandelten Problemen oder Erfahrungsstand der Gruppe eingesetzt werden können.

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Kim-Oliver Tietze

Kollegiale Beratung

Problemlösungen gemeinsam entwickeln

 

 

 

Über dieses Buch

Am Anfang vieler folgenreicher Neuerungen steht oft eine einfache Idee. So auch bei der «Kollegialen Beratung»: Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass sich Menschen in einem Arbeitsfeld gegenseitig qualifiziert bei beruflichen Problemen beraten können. Was oft informell geschieht, braucht jedoch eine bestimmte Struktur: In einer Gruppe wird ein Mitglied von den übrigen Teilnehmern in verteilten Rollen nach einem feststehenden Ablauf beraten mit dem Ziel, Lösungen für eine konkrete Frage oder ein Problem zu entwickeln. Die Beratungsgruppen von fünf bis zehn Mitgliedern arbeiten selbständig ohne professionellen oder externen Berater.

Dieser Band entwickelt an praktischen Beispielen die sechs Phasen der Kollegialen Beratung und stellt Methodenbausteine zur Verfügung, die je nach behandelten Problemen oder Erfahrungsstand der Gruppe eingesetzt werden können.

Vita

Dr. Kim-Oliver Tietze, Diplom-Psychologe, Jahrgang 1968, ist Personal- und Organisationsentwickler mit den Schwerpunkten Organisationsberatung, Führungskräfteentwicklung, Kooperationsförderung für Projektarbeit, systematisches Problemlösen sowie kollegiale Beratung. Er lebt in Hamburg. www.kollegiale-beratung.de

Inhaltsübersicht

Vorwort

Wie ist dieses Handbuch aufgebaut?

Grundlagen der Kollegialen Beratung

Was ist Kollegiale Beratung?

Merkmale der Kollegialen Beratung

Die Kollegialität der Kollegialen Beratung

Das Beratungsverständnis der Kollegialen Beratung

Ziele der Kollegialen Beratung

Praxisberatung near-the-job: Lösungen für konkrete Praxisprobleme

Reflexion der beruflichen Tätigkeit und der Berufsrolle

Qualifizierung: Ausbau von Schlüsselkompetenzen

Nutzen der Kollegialen Beratung

Nutzen für die einzelnen Gruppenteilnehmer

Nutzen für die Organisation

Anwendungsfelder der Kollegialen Beratung

Kollegiale Beratung als eigenständiges Programm

Kollegiale Beratung in Verbindung mit anderen Maßnahmen

Themen und Inhalte der Kollegialen Beratung

Fälle

Beispiele für Fälle und mögliche Fragestellungen

Wann eignet sich Kollegiale Beratung nicht?

Herkunft der Kollegialen Beratung

Fallarbeit in pädagogischen Berufsfeldern

Praxisorientierung in Seminaren

Verbindungslinien und Unterschiede zu Coaching und Supervision

Anforderungen an eine Methode zur Kollegialen Beratung

Der Ablauf der Kollegialen Beratung

Praxisprotokoll einer Kollegialen Beratung

Die Rollen in der Kollegialen Beratung

Hauptrollen: Fallerzähler, Moderator, Berater

Die Haltung der Berater

Weitere hilfreiche Rollen: Sekretär und Prozessbeobachter

Die sechs Phasen der Kollegialen Beratung

Die Vorteile eines strukturierten Ablaufs

Vorbereitungen zur Kollegialen Beratung

Regelvorschläge für den Wechsel der Moderatorenrolle

Aufgaben des Moderators beim Casting

Anfangsrunde und der Stand früherer Beratungen

Reihenfolge und Prioritäten der Anliegen

Der Fall des Fallerzählers

Wenn es weiteren Beratungsbedarf für bereits früher beratene Fälle gibt

Wenn es kein Anliegen gibt

Das Finden einer ...

Was tun bei Schwierigkeiten im Beratungsverlauf?

Methodenbausteine für die Beratung

Basis-Methodenbausteine

Methodenbausteine für erfahrene Gruppen

Die Praxis der Kollegialen Beratung

Die Gruppenbildung

Der Anfang

Die selbständige Beratungsgruppe

Kompetenzen für die Kollegiale Beratung

Nachwort

Literatur

Vorwort

Die Kollegiale Beratung bietet eine lebendige Möglichkeit, konkrete Praxisprobleme des Berufsalltags in einer Gruppe zu reflektieren und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Die Besonderheit dieses Konzepts liegt darin, dass die teilnehmenden Mitglieder sich wechselseitig beraten und die Gruppe dabei eigenständig vorgeht. Die Teilnehmer orientieren sich bei der Beratungsarbeit an einer einfachen und klaren Struktur, die ihnen ein systematisches Vorgehen erlaubt. Das Ziel, berufliche Kompetenzen zu entfalten und die kreative Kooperation in einer Gruppe, macht die Kollegiale Beratung zu einem attraktiven Qualifizierungsangebot für Angehörige zahlreicher Berufsgruppen.

Das vorliegende Handbuch entstand vor dem Hintergrund von Erfahrungen mit Einführungs- und Multiplikatorenschulungen zur Kollegialen Beratung in Unternehmen und Non-Profit-Organisationen. Als Praxisanleitung konzipiert, enthält es eine eingängige Darstellung der Methode, eine Fülle von Beispielen zu beruflichen Fragestellungen, praktische Hinweise für die erfolgreiche Durchführung von Beratungen und Tipps zur Überwindung möglicher Hürden. Es soll Lehr- und Lernbuch für den Einstieg in die Kollegiale Beratung sein, aber auch Nachschlagewerk für die Erweiterung des Methodenrepertoires einer Gruppe.

Das hier vorgestellte Konzept der Kollegialen Beratung unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von anderen Vorschlägen: Die Gruppe wählt im Lauf des jeweiligen Beratungsprozesses eine spezielle Methode, mit der sie gezielt auf die Bedürfnisse des Teilnehmers eingeht, der sein Praxisproblem vorstellt. Dafür steht ihr eine große Auswahl an kreativen Beratungsmethoden zur Verfügung, die auch von professionellen Beratern, Supervisoren und Coaches angewendet werden. Dank dieser Variationsmöglichkeit entspricht die Kollegiale Beratung den Bedürfnissen sowohl von Anfänger- als auch von Fortgeschrittenengruppen, die je nach Beratungserfahrung einfachere oder komplexere Methoden einsetzen können.

Eingeladen zur Kollegialen Beratung sind Mitarbeiter in allen Arbeitsbereichen, in denen die Kompetenzen zu konstruktiver Zusammenarbeit und zwischenmenschlicher Verständigung mit Kollegen, Mitarbeitern, Kunden oder Klienten eine wichtige Rolle spielen. Im beruflichen Kontakt mit anderen Menschen ergeben sich oft verwirrende Situationen, unerwartete Schwierigkeiten und spannungsreiche Verwicklungen, für die sich Lösungen leichter im strukturierten Austausch finden lassen, den die Kollegiale Beratung anbietet. Damit spricht die Kollegiale Beratung als praxisbegleitendes Problemlösungs- und Qualifizierungsinstrument eine große Bandbreite unterschiedlicher Berufsgruppen an. Dazu gehören beispielsweise Führungskräfte in Unternehmen und Behörden, die ihre berufliche Kompetenz weiterentwickeln möchten, Projektleiter, die ihre Fähigkeiten zur Steuerung und Koordination einer Projektgruppe professionalisieren wollen, Mitarbeiter, die ihre Kompetenzen im Umgang mit manchmal schwierigen Kollegen, Kunden und Klienten erweitern möchten, sowie Personalentwickler, Berater, Trainer, die ihre Praxisfragestellungen mit Hilfe der Kompetenzen und der Erfahrungen von Kollegen lösen wollen. Selbstverständlich eignet sich die Kollegiale Beratung auch zur Strukturierung von Fallbesprechungen in sozialen, pädagogischen und medizinisch-therapeutischen Berufen.

Darüber hinaus wendet sich dieses Handbuch an Personalverantwortliche, die an einem effektiven Konzept zur Praxisqualifizierung von Mitarbeitern und Führungskräften in ihrem Unternehmen oder ihrer Organisation interessiert sind. Und nicht zuletzt bietet sich das Konzept der Kollegialen Beratung für Trainer, Berater und Coaches an, die nach einer praktikablen Struktur für Fallbesprechungen in Seminaren und Workshops Ausschau halten und dabei kreative Methoden einsetzen möchten, mit denen alle Teilnehmer aktiv beteiligt werden.

Wie ist dieses Handbuch aufgebaut?

Die Grundlagen der Kollegialen Beratung geben einen Überblick über das Konzept der Kollegialen Beratung sowie über Ziele, Themen und Anwendungsfelder. Das Kapitel Ablauf der Kollegialen Beratung schildert zu Beginn exemplarisch eine Kollegiale Beratung, beschreibt ausführlich die Aufgaben der Beteiligten und erläutert die einzelnen Phasen, in die sich der Ablauf gliedert. Die Sammlung von Methodenbausteinen für die Kollegiale Beratung enthält verständliche Anleitungen sowie jeweils ein ausführliches Praxisbeispiel, mit dem jeder Methodenbaustein illustriert wird. Die Praxis der Kollegialen Beratung widmet sich Tipps rund um das Erlernen der Kollegialen Beratung.

Grundlagen der Kollegialen Beratung

Was ist Kollegiale Beratung?

Der Kollegialen Beratung liegt die einfache Idee zugrunde, dass Menschen aus ähnlichen Arbeitsfeldern einander qualifiziert bei beruflichen Problemen beraten können. Sie folgen dabei einer bestimmten Struktur, und die Beratung findet in Gruppen von Gleichen statt. Was das bedeutet und welche Merkmale die Kollegiale Beratung kennzeichnen, wird im Folgenden beschrieben. Am Anfang steht eine kurze Definition, die durch die anschließenden Überlegungen erweitert und konkretisiert wird:

Kollegiale Beratung ist ein strukturiertes Beratungsgespräch in einer Gruppe, in dem ein Teilnehmer von den übrigen Teilnehmern nach einem feststehenden Ablauf mit verteilten Rollen beraten wird mit dem Ziel, Lösungen für eine konkrete berufliche Schlüsselfrage zu entwickeln.

Merkmale der Kollegialen Beratung

Die Kollegiale Beratung erhält ihren besonderen Charakter durch mehrere Kennzeichen: die Arbeit in der Gruppe, die Selbststeuerung ohne Externen, den festen Ablauf, die Transparenz der Methodik, die Arbeits- und Rollenverteilung der Beteiligten, die aktive Beteiligung der Teilnehmer und die Fokussierung auf berufliche und arbeitsbezogene Themen. Auch wenn derzeit unterschiedliche Konzepte von Kollegialer Beratung mit verschiedenen Bezeichnungen existieren (siehe S. 36f), so sind die hier aufgeführten Merkmale doch allen gemeinsam.

 

Kollegiale Beratung findet in Gruppen statt. Die Kollegiale Beratung findet grundsätzlich in Gruppen von fünf bis zehn Personen statt. Der Beratungsansatz und die Methodik erfordern, dass stets mindestens fünf, besser sechs Personen anwesend sind. Erst dann erschließt sich das Potenzial der angewendeten Methoden, und die Kompetenz der Mitglieder kann sich produktiv entfalten.

Ein professioneller Berater ist nicht anwesend. Das vielleicht wichtigste Merkmal der Kollegialen Beratung besteht darin, dass sie ohne ausgewiesene Beratungsexperten stattfindet. Das für die Kollegiale Beratung notwendige Know-how haben sich die Gruppenmitglieder selbst angeeignet. Deshalb liegt die Verantwortung für den Beratungsprozess auf den Schultern aller gleich verteilt. Alle besitzen gleiche Kenntnis über die Ablaufstruktur und gestalten damit den Prozess selbständig. Ein externer Coach oder hauptberuflicher Berater, dessen Handwerk im Beraten besteht, ist aus diesen Gründen entbehrlich.

Die Beratung folgt einem festen Ablauf. Der Beratungsprozess orientiert sich immer an einer relativ einfachen, aber gleich bleibenden Struktur, die aus mehreren Schritten oder Phasen besteht. Die später in diesem Handbuch vorgestellte Konzeption umfasst sechs Schritte. Diese Struktur lehnt sich an allgemeine Prinzipien und Erkenntnisse des guten Problemlösens und Beratens an. Ein Mitglied wird von den übrigen Mitgliedern stets nach der gleichen Struktur beraten, selbst wenn durch eine Methodenauswahl abwechslungsreiche Variation möglich wird. Mit dem festen Ablauf gewinnt die Gruppe auch ohne die Prozessexpertise eines professionellen Beraters die Sicherheit, dass sie alle für einen Problemlösungsprozess notwendigen Schritte berücksichtigt.

Der Ablauf und die Methoden sind allen Teilnehmern bekannt. Dank dieser Transparenz können die Beteiligten gemeinsam sicherstellen, dass die notwendigen Ablaufschritte eingehalten werden. Leerlauf und Unsicherheiten beim Vorgehen werden vermieden. Auch die Aufgaben der Rollen anderer sind allen Gruppenmitgliedern bekannt, und dadurch erhält die Kollegiale Beratung eine gewisse Berechenbarkeit und Verlässlichkeit. Mit dieser Klarheit kann jeder abschätzen, wie der Prozess für ihn verlaufen wird und wann in welcher Phase welches Verhalten erwartet wird (z.B. fragen, zuhören oder Gedanken äußern).

Die Beratungsrollen und die Aufgaben werden verteilt. Jeder Teilnehmer der Kollegialen Beratung erhält zu Beginn jeder Beratung eine bestimmte Rolle: als Fallerzähler, Moderator, Berater oder Sekretär (siehe S. 42). Mit diesen Rollen wird beschrieben, welche Aktivität von den Beteiligten in welcher Phase der Beratung erwartet wird. Das verantwortungsvolle Ausfüllen dieser Rollen nimmt wesentlichen Einfluss auf das Gelingen der Kollegialen Beratung.

Alle Teilnehmer sind aktiv an der Beratung beteiligt. Die gezielte Aktivierung aller Teilnehmer im Beratungsprozess gehört zum Wesen der Kollegialen Beratung. Die Kollegiale Beratung baut gerade darauf auf, dass das breite Potenzial, die vielfältigen Erfahrungen und die Lebendigkeit einer Gruppe genutzt werden. Alle Beteiligten sind aufgefordert, ihr jeweiliges Fachwissen, ihren eigenen Erfahrungshintergrund und die erworbenen Kompetenzen aus ihrer Berufspraxis einzubringen.

Lösungen für berufliche Praxisprobleme werden entwickelt. Im Zentrum der Kollegialen Beratung stehen konkrete berufliche und arbeitsbezogene Schlüsselthemen, die die Teilnehmer als Praxisfälle einbringen: Interaktions-, Rollen- oder Kommunikationsfragen, Entscheidungsdilemmata und Beziehungsverwicklungen. Allgemeine Themen aus dem Berufsalltag, die ohne spezifischen Bezug zu einer konkreten beruflichen Praxisfrage eines Mitglieds sind, werden dagegen nicht berücksichtigt. Ebenso ist es ausgeschlossen, Konflikte zwischen Mitgliedern der Beratungsrunde selbständig zu bearbeiten, weil die Methodik dafür nicht geeignet ist. Hierfür bedarf es einer gesonderten Teamberatung (z.B. Teamentwicklung, Konfliktberatung) mit Unterstützung von außen.

Die Kollegialität der Kollegialen Beratung

Was macht die Kollegiale Beratung eigentlich «kollegial»? Kurz gesagt geht es darum, sich im positiven Sinne wechselseitig wie Kollegen zu behandeln. Aber es geht noch um viel mehr. Das hier gemeinte Prinzip der Kollegialität umfasst eine Kombination aus Beschreibungen der Zusammensetzung einer Beratungsgruppe und aus Erwartungen an eine konstruktive Haltung und Kooperation der Gruppenmitglieder untereinander.

Kollegial bezieht sich auf die wechselseitige Hilfsbereitschaft der Teilnehmer. In der Gruppe helfen sich die Mitglieder gegenseitig bei der Entwicklung von Lösungen für ihre beruflichen Praxisfragen. Wenn ein Mitglied um Unterstützung für die Bewältigung eines Problems ersucht, weiß es, dass der Raum dafür in der Kollegialen Beratung zur Verfügung steht. Es kann mit der Hilfsbereitschaft der übrigen Mitglieder rechnen.

Kollegial bezieht sich auf die Zusammensetzung der Gruppe. Die Gruppe besteht aus Personen, die im Berufsalltag Kollegen sein könnten, aber nicht im Wortsinne Kollegen sind, die in der Praxis miteinander arbeiten. Gemeint ist ein vergleichbares berufliches Betätigungsfeld oder ein ähnlicher Erfahrungshintergrund der Gruppenmitglieder, beispielsweise als Führungskräfte, Personalentwickler, Kundenberater oder Projektleiter. Die Zusammensetzung sollte in Bezug auf diese Aspekte einigermaßen homogen sein, solange dadurch die Gefahr der Betriebsblindheit nicht gefördert wird.

Kollegial bezieht sich auf die Umkehrbarkeit der Beratungsbeziehung. Während eines Beratungsprozesses sind die verschiedenen Rollen unter den Gruppenmitgliedern aufgeteilt: Ein Mitglied wird von den übrigen beraten. Die Beratungsbeziehung ist danach grundsätzlich umkehrbar, getreu dem Motto «Erst beraten wir dich – dann beratet ihr mich». Die Mitglieder beraten sich gegenseitig, indem prinzipiell und praktisch jeder abwechselnd jede Rolle einnimmt. Jeder kann (und soll) beraten werden, und jeder kann (und soll) im Verlauf der Gruppentreffen beraten.

Kollegial bezieht sich auf die Gleichberechtigung der Gruppenmitglieder. «Kollegial» ist ein Appell an das Ideal der Gleichberechtigung: Die Erfahrungen aller Beteiligten sowie ihre Wort- und Ideenbeiträge gelten als gleichwertig. Die Beziehungen zwischen den Teilnehmern sollen symmetrisch sein. Der Status, den die Teilnehmer außerhalb der Beratungsgruppe innehaben, darf im Beratungsgeschehen keine Rolle spielen. Damit geht die Forderung an die Bereitschaft einher, sich prinzipiell von jedem in der Gruppe beraten zu lassen. Dies verlangt Offenheit und Wertschätzung gegenüber allen Fragen, Erfahrungen und Anregungen von Beteiligten.

Diese vier Merkmale charakterisieren die Kollegialität dieser Beratungsform. Die ersten drei Punkte sind in der Praxis leichter zu realisieren als die Ideale des vierten Punkts. Theoretisch kann sich das vollständige Team einer Klinikstation in gemischter Besetzung kollegial beraten, wenn die Oberärztin auch die Stationsschwester als Moderatorin akzeptiert. Praktisch würde das vermutlich in Bezug auf den Status, die Offenheit und die Bereitschaft zur Anerkennung der Gleichwertigkeit auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen.

Die genannten und geforderten Merkmale legen nahe, dass sie bei freiwilliger Teilnahme an der Kollegialen Beratung am besten zu erfüllen sind. Man kann Menschen nicht vorschreiben, im Beratungsprozess kollegial und konstruktiv miteinander umzugehen, wenn sie nicht wirklich dazu bereit sind oder andere gewichtige Gründe dagegen sprechen. Man kann kein kollegiales Beratungsbiotop schaffen und durch eine Anweisung Gemeinsamkeiten oder einen Grundkonsens zur Kooperation unterstellen, während sich die Gruppenmitglieder außerhalb der Beratung im Widerspruch dazu verhalten.

Das Beratungsverständnis der Kollegialen Beratung

In der Regel verbindet man mit «Beratung» die Tätigkeit von Fachleuten, die einem Unternehmen raten, ein spezielles Computersystem anzuschaffen, oder die einem Vorstand empfehlen, die Organisation auf eine bestimmte Art zu verändern. Oder man verbindet damit eine ärztliche Konsultation, bei der der Patient sein Leiden schildert und der Arzt aufgrund seiner besonderen Kenntnisse in der Lage ist, entsprechende Gegenmittel zu verordnen, um das vorgetragene und untersuchte Leiden zu lindern. Ratsuchende bedienen sich nach diesem Prinzip der Kompetenz von Experten, um von deren Fachwissen zu profitieren. Diese Art von Beratung wird Expertenberatung (Schein 1987) genannt und findet ihren Einsatz in vielen Problembereichen des privaten und beruflichen Lebens, wo hochspezielles Fachwissen und umfangreiche einschlägige Erfahrungen erforderlich sind. Es wäre in solchen Fällen unsinnig und unökonomisch, sich dieses Wissen selber anzueignen. Expertenberatung geschieht, indem der Berater als Fachperson angesprochen wird, nach einer Analysephase auf der Grundlage seines Wissens eine passende Lösung entwirft und sie dem Ratsuchenden als Empfehlung mit auf den Weg gibt. Vom Ratsuchenden wird dann erwartet, dass er dem Ratschlag des Experten folgt, um seine Lage zu verbessern.

Ein anderes Verständnis von Beratung, an das sich auch die Kollegiale Beratung anlehnt, ist als Prozessberatung (Schein 1987) bekannt. Bei der Prozessberatung gestaltet der Berater den Problemlöseprozess, in dem der Ratsuchende sein Problem recht selbständig bearbeiten und eigene Lösungen entwickeln kann. Beratungsformen, die dieser Richtung entsprechen, sind Coaching, Moderation oder Psychotherapie. Coaches und Psychotherapeuten sind ausgebildete Profis darin, hilfreiche Gespräche so zu führen, dass als deren Ergebnis die vorgebrachten Probleme gelindert oder vom Ratsuchenden im Alltag selber gelöst werden können. Moderatoren strukturieren in Unternehmen Sitzungen oder Workshops, in denen Lösungen erarbeitet werden, ohne sich dabei inhaltlich einzumischen. Die Leistung der Prozessberatung liegt darin, dass in ihrem Rahmen Problemlösungen besser, schneller und gezielter erarbeitet werden können als ohne sie.

Die Rollen bei der Prozessberatung sind anders verteilt als bei der Expertenberatung. Der Ratsuchende wird von einem Prozessberater als Experte für seine Problematik angesehen, während der Berater seinerseits als Struktur- und Methodenexperte handelt. In Begleitung des Beraters setzt sich der Ratsuchende als Hauptakteur selber mit der Analyse und Bewertung seines Problems auseinander, entwickelt verschiedene Lösungsalternativen und entscheidet nachher selbst, was davon er in welcher Form umsetzt. Er bleibt deshalb auch verantwortlich für die praktische Umsetzung einer Lösung. Der Berater erleichtert dem Ratsuchenden diesen Lösungsprozess, indem er seine Methodenkenntnisse anwendet und die richtigen Fragen stellt, um den Blick des Ratsuchenden auf andere, bisher unbeachtete Aspekte seines Problems zu lenken. Somit strukturiert er insgesamt das Beratungsgespräch. Weil dies als ein Klärungsprozess verstanden werden kann, leistet der Berater immer auch «Klärungshilfe» (Thomann 1998). Er kann dem Ratsuchenden inhaltliche Lösungsvorschläge unterbreiten, tut jedoch gut daran, dabei eine Haltung einzunehmen, aus der heraus seine inhaltlichen Beiträge lediglich als Angebote verstanden werden, die der Ratsuchende annehmen oder auch ablehnen kann. Ein erwünschter (Neben-)Effekt dieser Form von Beratung ist, dass der Ratsuchende gleichzeitig seine Kompetenzen erweitert, schwierige Situationen strukturiert zu reflektieren, und in der Folge ähnlich gelagerte Probleme zukünftig eigenständig lösen kann.

Die Kollegiale Beratung orientiert sich an diesem skizzierten Verständnis der Prozessberatung. Die Gruppe erhält eine Beratungsstruktur, die klar, relativ einfach und zielführend zugleich ist. Wichtig ist allerdings, dass die Problembereiche, die damit bearbeitet werden, eingegrenzt werden, um Überforderungen zu vermeiden. Die behandelten Probleme sollten aus dem beruflichen Bereich kommen, relevant für den Ratsuchenden und nicht zu komplex sein. Dann kann eine qualifizierte Kollegiale Beratung auch von Menschen durchgeführt werden, die keine längere Beratungsausbildung absolviert haben.

Ziele der Kollegialen Beratung

Das übergeordnete Ziel Kollegialer Beratung ist die Verbesserung der beruflichen Praxis der Teilnehmer. Mit beruflicher Praxis sind hier die Interaktionen zwischen Praktikern und Kollegen, Mitarbeitern, Kunden und Vorgesetzten sowie das Verhalten von Praktikern in ihrer Berufsrolle gemeint. Mit Kollegialer Beratung lassen sich drei miteinander verbundene Ziele erreichen:

Praxisberatung near-the-job: Lösungen für konkrete Praxisprobleme,

die Reflexion der beruflichen Tätigkeit und der Berufsrolle sowie

Qualifizierung durch den Ausbau von praktischen Beratungskompetenzen.

Praxisberatung near-the-job: Lösungen für konkrete Praxisprobleme

Ganz oben steht natürlich das Ziel, mit Hilfe Kollegialer Beratung Lösungen für Praxisprobleme im betrieblichen Alltag zu entwickeln. Durch die aktive Mithilfe der Beteiligten erhält ein Teilnehmer konkrete Rückmeldungen und praktische Lösungsideen für seinen beruflichen Alltag. Dem Fallerzähler stehen die Erfahrungen und Kompetenzen der übrigen Gruppenmitglieder zur Lösung seiner Problemsituation zur Verfügung. Die Teilnehmer erleben somit eine Praxisberatung on-the-job oder zumindest near-the-job.

Die Bearbeitung von Problemen in der Kollegialen Beratung und die nachfolgende Bewältigung von Schwierigkeiten führt zur Verminderung und zur Vermeidung von Belastungen und beugt neuen Berufsproblemen vor. Sie steigert damit die berufliche Zufriedenheit der Teilnehmer, deren Arbeitsmotivation, und sie fördert konstruktive Arbeitseinstellungen (Rotering-Steinberg 1998). Im Rahmen Kollegialer Beratung besteht die Gelegenheit, Kommunikations-, Interaktions- und Frustrationsprobleme des beruflichen Alltags aufzuarbeiten. Einstellungen und Verhaltensweisen werden hinterfragt, korrigiert oder bestätigt. Die Folgen sind zum Beispiel eine Entwicklung und Verbesserung der Führungskompetenz und ein Abbau von Stressoren und Frustrationen bei Führungskräften. Schwierige und gestörte Interaktionen können geklärt und so insgesamt eine produktivere Atmosphäre geschaffen werden.

Doch nicht nur der Teilnehmer, für dessen Problem konkrete Lösungen entwickelt werden, profitiert von der Kollegialen Beratung. Alle übrigen Teilnehmer gewinnen im Miterleben der Beratungen ebenfalls neue Einsichten für ihre Berufspraxis. Sie diskutieren verschiedene Formen von (Führungs-)Verhalten, erkennen Bezüge zu eigenen beruflichen Themen und erweitern ihren persönlichen Kompetenzfundus. Oft entdecken Gruppenmitglieder verblüffende Parallelen zwischen den Problemsituationen, die von anderen Teilnehmern geschildert werden, und ihrem eigenen Erleben. Die Teilnehmer erfahren, welche Haltungen und Verhaltensweisen zu Problemen und welche Interventionen zu Lösungen führen können. Sie lernen dabei, sich dort Gedanken über ihre eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen zu machen, wo sie es bisher vielleicht noch nicht getan haben. Die diskutierten Erfahrungen und die geglückten Problemlösungen anderer Teilnehmer helfen ihnen bei der Bewältigung zukünftiger Probleme. Sie können aus den Reflexionen und geplanten Handlungsmöglichkeiten eigene Varianten für ähnliche Probleme ableiten oder sich an bestimmte Handlungsschemata erinnern, wenn sie in der Zukunft mit ähnlichen Konflikten konfrontiert werden (Rotering-Steinberg 1990). Das eigene Repertoire an Möglichkeiten zur Entschärfung schwieriger Konstellationen, zur Vermeidung von Spannungen in der Zusammenarbeit, zur umsichtigen Entscheidungsfindung, zur systematischen Problemlösung und zur Konfliktklärung wird dadurch erheblich bereichert.

Ein bedeutender Schwerpunkt der Praxisberatungen liegt erfahrungsgemäß bei den zwischenmenschlichen und kommunikativen Verhaltensweisen. Wenn Teilnehmer ihre Probleme vorstellen, erhalten sie Rückmeldungen über ihren Umgang mit Kollegen und Mitarbeitern sowie Vorschläge für alternatives und vielleicht angemesseneres Verhalten. So bewältigen die Teilnehmer der Kollegialen Beratung nicht nur akute berufliche Probleme – zugleich werden auch Schlüsselqualifikationen gefördert, auf die in Unternehmen heutzutage immer größerer Wert gelegt wird, beispielsweise Fähigkeiten zur produktiven Zusammenarbeit und zur konstruktiven Konfliktlösung.

Reflexion der beruflichen Tätigkeit und der Berufsrolle

Indem berufliche Schlüsselsituationen thematisiert und von verschiedenen Seiten beleuchtet werden, findet in der Kollegialen Beratung eine regelmäßige Überprüfung der Berufsrolle, der Handlungsweisen und der Einstellungen statt. Eine zentrale Kompetenz bei der beruflichen Qualifizierung, der persönlichen Weiterentwicklung und der Professionalisierung beruflichen Handelns bildet die Fähigkeit zur Reflexion. Sie ist der Schlüssel zum Lernen im Erwachsenenalter. Reflexion bedeutet, das eigene Verhalten und die eigenen Deutungen von einem anderen Standpunkt aus betrachten und kritisch hinterfragen zu können. Das geschieht im beruflichen Alltag oft beiläufig, ist aber von besonderer Wichtigkeit, wenn man verfahrene Situationen erlebt, wenn das eigene Verhalten in bester Absicht unerwartete und vor allem unerwünschte Wirkungen hervorbringt oder wenn man sein Verhaltensrepertoire weiterentwickeln möchte. Das Geben und Nehmen von Feedback bildet in diesem Zusammenhang eine wichtige Komponente.

Ein zeitweiliger Wechsel des Beobachtungsstandpunktes ist die entscheidende Voraussetzung dafür, um eigenes Verhalten zu überprüfen, das z.B. zum Fortbestehen eines Konflikts beiträgt. Durch das Angebot verschiedener Blickwinkel, aus denen sich eine Situation betrachten lässt, entstehen zusätzliche Zugänge zum Problem und zu seiner Lösung. Daraus resultiert ein Gefühl für die Möglichkeiten und die Verantwortung, die der Einzelne bei der Bewältigung von Konflikten haben kann. Mit der Veränderung der Perspektive wird ein neuer Blick auf die Situation möglich, und damit ergeben sich auch neue Handlungsansätze.

Die Kollegiale Beratung bietet ihren Teilnehmern die Gelegenheit, Lösungs- und Handlungsmöglichkeiten in vertrauensvoller Atmosphäre gefahrlos zu reflektieren (Rotering-Steinberg 1990). Das berufliche Handeln wird mit ihrer Hilfe aus der Distanz betrachtet. Jeder lernt dabei, sein Verhalten aus einer zweiten, einer Beobachterperspektive wahrnehmen zu können. Über diese Form von Fremdwahrnehmung und über angemessen vorgetragenes Feedback gelangt man leichter zu einer veränderten Selbstwahrnehmung; sie ermöglicht eine vielseitige und mehrschichtige Betrachtung des eigenen Handelns, der eigenen Auffassungen und der Resonanzen, die daraus bei Interaktionspartnern entstehen. Dadurch werden Entscheidungs- und Handlungsspielräume erweitert und die Teilnehmer zur selbständigen Bewältigung schwieriger Situationen befähigt (Osterhold 2001).

Qualifizierung: Ausbau von Schlüsselkompetenzen

Die Teilnahme an Kollegialer Beratung fördert den Erwerb und die Erweiterung von Schlüsselkompetenzen, die von Führungskräften und Mitarbeitern in Unternehmen heute erwartet werden, ja in der Regel schon bei der Einstellung vorausgesetzt werden. Hierzu zählen soziale Kompetenzen, Beratungskompetenzen und Methodenkompetenzen.

Soziale Kompetenzen. Durch die Teilnahme an der Kollegialen Beratung werden kommunikative und interaktionelle Kompetenzen gefördert, die als Schlüsselqualifikationen gelten (Schlee & Mutzeck 1996). Indem sich die Mitglieder der Gruppe kontinuierlich mit Praxisproblemen und unterschiedlichen Standpunkten auseinander setzen, entwickeln sie eine Neugier auf und ein Verständnis für andere Positionen. Da häufig soziale Situationen aus dem Berufsleben thematisiert und unter die Lupe genommen werden, verändern sich mit der Zeit auch die Sensoren für solche Themen. Mit der kontinuierlichen Teilnahme erproben und erweitern die Beteiligten somit Fähigkeiten, die auch über die Beratungsgruppe hinaus große Bedeutung besitzen.

Beratungs- und Coaching-Kompetenzen. Im Rahmen eines veränderten Führungsverständnisses sollen Führungskräfte oft Coaching-Qualitäten entwickeln, um ihren Mitarbeitern zu mehr Eigenständigkeit zu verhelfen. Auch Vertriebsmitarbeiter beispielsweise sind angehalten, ihr Rollenrepertoire um die Rolle eines Kundenberaters zu erweitern, die einen veränderten Dialog mit den Kunden ermöglicht. Hier eröffnet die Kollegiale Beratung eine einzigartige Trainingsmöglichkeit für Beratungskompetenzen, die anhand von konkreten Praxisfällen vertieft werden. Dazu gehören Fähigkeiten wie die strukturierte und am Mitarbeiter orientierte Gesprächsführung, das gezielte und erkundende Fragen, das einfühlende Verstehen und das aktive Zuhören. Mit der Einnahme der unterschiedlichen Rollen im Lauf des Beratungsprozesses wird das Beraten regelmäßig praktiziert und eingeübt.

Methodenkompetenzen. Die Struktur der Kollegialen Beratung beruht auf den Prinzipien erfolgreichen Problemlösens. Zu diesen Prinzipien gehören im Wesentlichen die strikte Trennung von Problembeschreibung und Lösungsfindung, die Ziel- und Lösungsorientierung sowie die Berücksichtigung und Verknüpfung vieler unterschiedlicher Perspektiven bei der Lösungsentwicklung. Die Methodik ist zwar nicht ohne weiteres auf andere Anwendungsbereiche (z.B. technische Probleme) übertragbar, jedoch lassen sich einige grundsätzliche Prinzipien und viele Elemente des Vorgehens sehr gut auf andere berufliche Situationen, zum Beispiel in der Projektarbeit, übertragen.

Nutzen der Kollegialen Beratung

Der weitere Nutzen der Kollegialen Beratung über die Erreichung der genannten Ziele hinaus lässt sich für die Teilnehmer und für die Organisation insgesamt auf mehreren Ebenen beschreiben:

Nutzen für die einzelnen Gruppenteilnehmer

Rückhalt durch die Gruppe. Die Anteilnahme, die Unterstützung und das Verständnis durch die anderen Gruppenmitglieder wirken ermutigend für die eigene berufliche Praxis. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wird gestärkt, indem dem Fallerzähler ermöglicht wird, sich in einem geschützten Rahmen von destruktiven Selbstbildern (z.B. «Ich bin offenbar unfähig») zu lösen und konstruktivere Optionen (z.B. «Ich habe doch noch andere Möglichkeiten, die ich probieren könnte») zu entwickeln.

Entlastung durch Mitstreiter. Die Teilnehmer erhalten nicht nur Lösungen für die eigene Praxis und alternative Möglichkeiten für eingefahrene Handlungsmuster. Durch die Reaktionen anderer erleben sie gleichzeitig, dass sie mit ihren beruflichen Problemen nicht allein stehen. Ähnlich entlastend wirken die Fallschilderungen und Problemlöseprozesse anderer Teilnehmer. Hier erfahren sie, wie sich diese auch mit beruflichen Problemen, Unsicherheiten und Interaktionskonflikten herumschlagen, für die sie Lösungen suchen. Sie entdecken Parallelen in den berichteten Problemlagen, in Einstellungen und in Rollenkonstellationen. Daraus entstehen verbindende Gemeinsamkeiten mit den anderen Gruppenmitgliedern, die von einigem Druck befreien.

Fachlicher Austausch. Indem die Teilnehmer über ihre Arbeit berichten, findet in gewissem Umfang auch ein fachlicher Austausch über die Grenzen unterschiedlicher Fachbereiche und Funktionen statt. Man erfährt mehr von den Arbeitsinhalten, Strukturen und Abläufen benachbarter und entfernter Abteilungen und erweitert den Blick für abteilungsübergreifende Themen. Daraus entwickelt sich ein verbessertes Verständnis für die komplexen Zusammenhänge im eigenen Unternehmen.

Gemeinsame (Führungs-)Kultur. Die kollegiale Reflexion arbeitsbezogener Problemstellungen begünstigt die Entwicklung von differenzierten Bildern, Vorstellungen und Haltungen und damit die Herausbildung einer Kultur mit gemeinsamen Werten. Insbesondere wenn die Teilnehmer Mitglieder einer Führungsebene sind, wird durch Diskussionen über Verhaltensaspekte im Beruf und Beratungen von Praxisfällen ein gemeinsam gelebtes Führungsverständnis wahrscheinlicher. Zudem bieten der kollegiale Austausch und das Erleben der Arbeitsweisen anderer die Möglichkeit zum Vergleich und zur beruflichen Selbstkontrolle.

Nutzen für die Organisation

Qualifiziertere Mitarbeiter. Durch die oben genannten Effekte werden verschiedene Kompetenzen der Teilnehmer gefördert und somit ihre Qualifikationen um wesentliche Aspekte erweitert. In besonderem Maße werden die Professionalisierung und Qualifizierung im Umgang mit Ausnahmen, Schwierigkeiten und Unsicherheiten gefördert (Schlee & Mutzeck 1996).

Vernetzung. Durch den kollegialen Austausch, der in der Kollegialen Beratung immer stattfindet, entstehen wichtige Verbindungen und Beziehungen in der Organisation, die eine schnellere Abstimmung erlauben. Die Teilnehmer lernen über die Fallerzählungen die Arbeitsbereiche der beteiligten Kollegen kennen und entwickeln ein vertieftes Verständnis für die fachübergreifende Vernetzung von Fragestellungen und Problemen im Unternehmen.

Steigerung der Qualität der Arbeit und bessere Arbeitsleistungen. Reflektierte und fundierte Verhaltensweisen führen zu professionellerem Handeln und damit zu einer Verbesserung des Umgangs mit Kunden und Mitarbeitern, der sich schließlich auch in den betriebswirtschaftlichen Ergebnissen positiv niederschlagen kann.

Ausbau einer Unterstützungskultur. Das gemeinsame Angehen und Lösen von Praxisproblemen in der Gruppe trägt dazu bei, Ängste und Vorbehalte darin abzubauen, Probleme in der Gegenwart von anderen zu benennen. Dies bildet die Grundlage für eine Kultur, in der man sich gegenseitig unterstützt und Probleme rechtzeitig angeht, bevor sie sich ausweiten.

Kostengünstige Personalentwicklung. Der finanzielle Aufwand für das Einführungstraining und die gelegentliche Auffrischung und Vertiefung der Kollegialen Beratung durch einen (internen oder externen) Trainer oder Berater ist geringer als bei Maßnahmen, die einer stetigen Begleitung bedürfen.

Anwendungsfelder der Kollegialen Beratung

Die Methode der Kollegialen Beratung eignet sich für die Anwendung in ganz unterschiedlichen Berufsgruppen. Mit ihrer Hilfe kann ein großes Spektrum von Themen und Inhalten bearbeitet werden. Aufgrund ihrer inhaltlichen Offenheit sowie wegen ihres starken Praxisbezugs kann die Kollegiale Beratung in zwei Varianten eingesetzt werden: a) als eigenständiges Programm ohne Anbindung an andere Maßnahmen oder b) eingebettet in eine Kombination mit anderen Maßnahmen der Personalqualifizierung.

Kollegiale Beratung als eigenständiges Programm

Führungskräfte, Projektleiter und andere Fachkräfte haben in der täglichen Ausgestaltung ihrer Berufsrolle immer wieder neue Situationen zu bewältigen, für die sie bislang noch keine Kenntnisse erworben, Kompetenzen ausgebildet oder Erfahrungen gesammelt haben. Von ihnen wird oft selbstverständlich erwartet, dass sie diese Anforderungen auf Anhieb erfolgreich bewältigen. Dennoch erleben sie immer wieder Situationen, die viele schwierige Fragen aufwerfen und nur wenige eindeutige Antworten geben. Die meisten sozialen Situationen in Unternehmen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie einzigartig und komplex sind. Das Repertoire eines Einzelnen für einen angemessenen Umgang mit ihnen wird niemals so umfassend sein, dass sich Ungewissheit und Ratlosigkeit vermeiden lassen. Standardisierte und einmalige Qualifizierungsmaßnahmen können hier nur begrenzt Unterstützung bieten.

Für diese Zielgruppen kann Kollegiale Beratung als eigenständige unternehmensinterne Qualifizierungsmaßnahme eingerichtet werden. Einige bereits erfolgreich erprobte Möglichkeiten sind:

Die Entwicklung und Förderung der Führungskompetenzen von Mitgliedern des Führungskreises, von Abteilungsleitern oder Teamleitern.

Kollegiale Beratung für Trainees zur erfolgreichen Bewältigung von Erfahrungen der Sozialisation im Unternehmen.

Systematische Förderung von Nachwuchs-Projektleitern durch die Einrichtung regelmäßiger Kollegialer Beratung, bei der Praxisfragen gelöst werden.

Die wechselseitige Unterstützung von internen Trainern, Beratern und Personalentwicklern bei der Reflexion schwieriger Praxissituationen aus Seminaren und Workshops mittels Kollegialer Beratung.

Kollegiale Beratung in Verbindung mit anderen Maßnahmen

Denkbare und in der betrieblichen Praxis verwirklichte Vorschläge für die Verknüpfung von Kollegialer Beratung mit anderen Personalentwicklungskonzepten sind:

Fester praxisorientierter Bestandteil von länger angelegten Qualifizierungsprogrammen. Fallarbeit mittels Kollegialer Beratung kann ergänzend zu Seminaren angeboten werden, zum Beispiel im Rahmen einer einjährigen Führungskräftequalifizierung. Die Beratungsinhalte können sich dann speziell auf die in den Seminaren behandelten Themen und erworbenen Kenntnisse beziehen.

Maßnahme für den Praxistransfer im Anschluss an Seminare. Mit der Kollegialen Beratung können die Teilnehmer beispielsweise von Führungs-, Vertriebs- oder Projektmanagementseminaren ihr erworbenes Wissen ausprobieren und in die Praxis umsetzen. Durch die Beratungsgruppe wird für eine angemessene Begleitung dieses Transferprozesses und die wichtige Reflexion der Praxis gesorgt.

Baustein der Umsetzungsplanung im Rahmen von Veränderungsprozessen. Kollegiale Beratung eignet sich zur Lösungssuche für praktische Umsetzungsfragen bei der Einführung von Veränderungen oder bei der Bewältigung von Schwierigkeiten. Einschneidende Organisationsveränderungen wie beispielsweise Umstrukturierungen, die Einführung von Steuerungsprinzipien (Balanced Score Card, efqm), eine Leitbildumsetzung oder die Verwirklichung von Zielvereinbarungen bringen für die Menschen neue, komplexe und vielfach unvorhersehbare Herausforderungen mit sich. Die meisten Führungskräfte haben diese Wege in ihrem bisherigen Berufsleben noch nicht beschritten – umso wichtiger werden die Begleitung und die Bewältigung heikler Situationen, die sich im Laufe des Prozesses einstellen können. Kollegiale Beratung wird so zu einem wichtigen Baustein für ein praxisorientiertes Change-Management.

Transfer-Baustein in einer Moderations- oder Beratungsausbildung für interne Berater. Die besondere Situation interner Berater erfordert gezielte Aufmerksamkeit. Sie stehen im Spannungsfeld von Hierarchien, Machtinteressen und Unternehmenspolitik. Sie müssen sich mit der Besonderheit auseinander setzen, dass sie in der Hierarchie einen festen Platz einnehmen und somit sensibel Rücksicht auf interne Interessen im Unternehmen zu nehmen haben. Für die Reflexion, Problemlösung und Handlungsplanung in solchen Fällen eignet sich Kollegiale Beratung besonders.

Themen und Inhalte der Kollegialen Beratung

Für die Kollegiale Beratung eignen sich im Grunde genommen alle Themen und Fragestellungen, die in Verbindung mit einem konkreten beruflichen Anlass eines Teilnehmers stehen. Aber nur auf konkrete Fragen, die aus konkreten Praxisbeispielen erwachsen sind, lassen sich mit Hilfe Kollegialer Beratung auch konkrete Antworten finden. Andernfalls wird die Beratung für alle Beteiligten schnell unbefriedigend. Abstrakte oder allgemeine Fragestellungen sind daher nicht geeignet, es sei denn, sie schlagen sich für den Fallerzähler in einer konkreten Situation seiner beruflichen Praxis nieder.

Zeitlich kann diese konkrete Situation in der Vergangenheit angesiedelt sein («Mir ist Folgendes widerfahren, und ich möchte es besprechen, um daraus lernen zu können»), in der Gegenwart («Derzeit ist meine Lage so, und ich will wissen, wie ich mich verhalten kann») oder in der Zukunft («In zwei Wochen habe ich ein wichtiges und brisantes Meeting: Was muss ich berücksichtigen, damit ich Erfolg habe?»).

Fälle

In Coaching und Supervision hat es sich eingebürgert, von «Fällen» zu sprechen. Mit Fällen werden allgemein Situationen, Probleme und Geschehnisse beschrieben, die für jemanden besonders und ungewöhnlich sind und die vom Alltag abweichen. Fälle ergeben sich zumeist dann, wenn Routinen unerklärlicherweise stecken bleiben oder wenn Begegnungen mit anderen Menschen unglücklich und unbefriedigend verlaufen. Gelungenes, Bewältigtes, Alltägliches und Selbstverständliches wird selten als Fall berichtet (Thimm 1997).

Fälle können sich auf alle Personen und Probleme beziehen, denen wir im Berufsalltag begegnen. Anlässe für Kollegiale Beratung können beispielsweise sein: kritische Führungs- und Kommunikationssituationen, strategisch schwierige oder betriebspolitisch delikate Entscheidungen, komplexe oder konfliktträchtige Projekte, manifeste oder latente Spannungsfelder im unmittelbaren Arbeitsumfeld, akute Konflikt- und Krisensituationen innerhalb des Unternehmens oder in wichtigen Außenbeziehungen, beispielsweise mit Geschäftspartnern, Kunden oder Lieferanten (Lauterburg 2001).

Auch wenn die Bandbreite der Themen, die sich mit der Kollegialen Beratung bearbeiten lassen, sehr groß ist, so müssen die berichteten Situationen gewissen Anforderungen entsprechen:

Der Fall bezieht sich aus aktuellem, konkretem Anlass auf eine konkrete soziale Situation mit einem oder mehreren konkreten Interaktionspartnern.

Die Interaktionspartner und das Problemfeld liegen außerhalb der Beratungsgruppe. Außer dem Fallerzähler ist niemand aus der Gruppe direkt in den Fall involviert.

Den Fallerzähler beschäftigt die Frage derzeit noch. Er wünscht sich die Reflexion einer offenen Frage, auf die er noch keine befriedigende Antwort gefunden hat.

Beispiele für Fälle und mögliche Fragestellungen

Umgang mit veränderten Verhaltensweisen: «Ich beobachte, dass einer meiner Mitarbeiter in letzter Zeit deutlich in seiner Leistung nachlässt. Wie kann ich mit ihm darüber ins Gespräch kommen?»

Bewältigung neuer Aufgaben: «Ich stehe als Projektleiter am Anfang eines neuen Projekts. Wie kann ich den Auftakt in der Projektgruppe so gestalten, dass sich alle wirklich engagieren?»

Integration neuer Mitarbeiter: