Kommando Black Site - Will Jordan - E-Book

Kommando Black Site E-Book

Will Jordan

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein illegales Gefängnis der CIA mitten in Deutschland, ein verzweifelter Gefangener und eine ehemalige Eliteagentin, die ihn um jeden Preis befreien will.

Der ehemalige CIA-Operator Ryan Drake ist in einer Black Site, einem illegalen Gefängnis, gefangen. Ihm ist klar, dass man ihn foltern wird. Denn sein ehemaliger Boss, der stellvertretende Direktor Marcus Cain, benötigt unbedingt Informationen über die mysteriösen Agentin Anya, mit der Ryan Drake zusammengearbeitet hat. Dabei ist Cain klar, dass er auch einfach abwarten könnte. Anya wird zu ihm kommen, um Drake zu befreien. Dann müsste er nur noch ihren Angriff überleben …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 753

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Der ehemalige CIA-Operator Ryan Drake ist in einer Black Site, einem illegalen Gefängnis, gefangen. Ihm ist klar, dass man ihn foltern wird. Denn sein ehemaliger Boss, der stellvertretende Direktor Marcus Cain, benötigt unbedingt Informationen über die mysteriöse Agentin Anya, mit der Ryan Drake zusammengearbeitet hat. Dabei ist Cain klar, dass er auch einfach abwarten könnte. Anya wird zu ihm kommen, um Drake zu befreien. Dann müsste er nur noch ihren Angriff überleben …

Autor

Will Jordan lebt mit seiner Familie in Fife in der Nähe von Edinburgh. Er hat einen Universitätsabschluss als Informatiker. Wenn er nicht schreibt, klettert er gerne, boxt oder liest. Außerdem interessiert er sich sehr für Militärgeschichte.

Weitere Informationen unter: www.willjordanbooks.co.uk

Die Ryan-Drake-Romane bei Blanvalet:

1. Mission: Vendetta

2. Der Absturz

3. Gegenschlag

4. Operation Blacklist

5. Codewort Tripolis

6. Das CIA-Komplott

7. Kommando Black Site8. Projekt Pegasus 9. Angriffsziel Circle

Besuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvalet

WILL JORDAN

KOMMANDO

BLACK SITE

Thriller

Aus dem Englischen

von Wolfgang Thon

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »Shadow Conflict (Ryan Drake 7)« bei Canelo, London.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright der Originalausgabe © 2017 by Will Jordan

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2019 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Rainer Michael Rahn

Umschlaggestaltung: © Johannes Frick unter Verwendung von Motiven von © Allblack Racing und Shutterstock.com (© Zyankarlo, © Taya Ovod, © TrifonenkoIvan, © Elegant Solution, © CLUSTERX)

HK · Herstellung: sam

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-23349-5V003

www.blanvalet.de

PROLOG

Berlin, 2. April 2010

Anya hustete, und bei der Anstrengung schoss ihr der Schmerz durch den ganzen Körper. Ihre Augen tränten, und die rauchige Luft brannte bei jedem Atemzug im Hals. Um sie herum gab es nur Feuer, Trümmer und Verwüstung, das Gebäude war von der Explosion kurz zuvor vollkommen zertrümmert worden.

Sie musste hier weg, solange sie noch Zeit dazu hatte.

Sie versuchte sich zu bewegen, doch die Reste eines zerbrochenen Tischs hielten sie am Boden fest. Sie packte das geborstene Holz, biss die Zähne zusammen und drückte mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte. Während sie verzweifelt versuchte sich zu befreien, tauchte eine Gestalt aus dem wabernden Qualm und den Funken auf – einem Dämon gleich, der gekommen war, um sie zu sich zu rufen.

Die hochgewachsene Gestalt bewegte sich mit langsamen, zielgerichteten Schritten auf sie zu. Die Kleidung des Mannes war zerrissen, mit Staub und Ruß bedeckt, das Gesicht von den Splittern blutüberströmt, doch als er sich ihr näherte, war sein Blick fest auf sie gerichtet.

»Du hast das alles geplant«, sagte er, und seine Stimme klang kratzig durch den Rauch. »Alles, was du getan, jeder Mensch, den du umgebracht hast. All das hat dich hierhergeführt, zu diesem einen Moment.«

Anya drehte sich weg und suchte den Boden verzweifelt nach der Tragetasche mit ihrer UMP-45 Maschinenpistole ab.

Da!

Die Tasche war von der Detonation weggeschleudert worden, lag aber nur wenige Schritte entfernt. Durch das zerrissene Segeltuch war der zusammenklappbare Schaft der Waffe zu sehen. Während sie weiter versuchte, sich aus den Holztrümmern zu befreien, streckte sie ihren Arm nach der Waffe aus.

Cain beobachtete sie. Er wusste, dass er die Oberhand hatte, und auch, dass er sich Zeit lassen konnte.

»Du hast einmal gesagt, es sei besser, für eine Sache zu sterben, als für nichts zu leben«, bemerkte er und zog seine Automatik aus der Jacke. »Ist es das hier, wofür du bereit bist zu sterben, Anya?«

Sie war fast dran. Ihre Finger berührten den Stoff der Segeltuchtasche, und es fehlte nicht viel, sie zu sich zu ziehen – quälend nah, aber zum Verzweifeln weit entfernt.

»Du hattest recht«, sagte Cain, während Anya wie irrsinnig gegen den Tisch kickte. Es gelang ihr, ihn ein wenig wegzuschieben, was ihr ein paar dürftige Zentimeter mehr Bewegungsfreiheit verschaffte. Noch immer reckte sie sich nach der Waffe. »Du wusstest, dass es am Ende auf uns beide hinauslaufen würde.«

Er hob seine Waffe und zielte mit langsamer, wohlüberlegter Präzision auf sie. In diesem Moment richtete Anya ihren Blick auf ihn, denn sie wusste, dass sie das Spiel verloren hatte. Ihre Augen waren die eines in die Enge getriebenen Beutetiers, das seinem Verderben entgegensah.

»Letztendlich ging es immer nur um uns beide«, erklärte Cain und starrte über Korn und Kimme auf die Frau, für die er einmal sein Leben riskiert hatte.

Die Frau, für die er gestorben wäre.

»Was hätten wir beide nicht alles gemeinsam bewerkstelligen können«, flüsterte er.

TEIL EINS

NACHWEHEN

Wahrlich, in der Finsternis findet man das Licht.

Wenn wir also in Trauer sind,

dann ist dieses Licht uns am nächsten.

Meister Eckhart

1

Fünf Tage zuvor

Die Kälte war heimtückisch.

Wie ein lebendiger, verschlagener Feind, der ständig neue Wege suchte, ihn zu überwältigen. Sie kroch in seinen Körper, durch jeden Zentimeter nackter Haut, wenn er auf dem rauen Steinboden lag oder sich an die feuchte, unebene Ziegelmauer lehnte. Zunächst langsam, kaum zu spüren, doch unerbittlich wie ein Gletscher, der sich unaufhaltsam seinen Weg durch ein Tal bahnte und dabei alles verschlang, was vor ihm lag.

Lange hatte er versucht, dagegen anzukämpfen. Er hatte seinen Körper in Bewegung gehalten, so viele Turnübungen wie möglich absolviert und den Bodenkontakt auf ein Mindestmaß reduziert. Er hatte sogar versucht, seine schmerzhafte Trauer in Wut umzuwandeln, damit er sie als Antrieb für seine Bemühungen nutzen konnte.

Eine Weile hatte er sich Fluchtphantasien hingegeben und war dabei instinktiv in die Jahre seiner Ausbildung zurückgefallen, als man ihn gelehrt hatte, wie man sich von düsteren Gedanken ablenken konnte. Stundenlang hatte er jeden Zentimeter der knapp zwei auf zweieinhalb Meter großen Zelle mit den Händen abgetastet und nach Spalten an Wänden und auf dem Fußboden gesucht, in denen sich womöglich nützliche Dinge verbargen: herabgefallene Gegenstände, die er zu Waffen oder Werkzeugen umfunktionieren könnte, schwache Stellen an den Angeln oder in dem Rahmen der massiven Holztür, die den einzigen Ausgang versperrte.

Seine Entführer waren jedoch methodisch vorgegangen und hatten alles vom Boden entfernt, was ihm hätte nützlich sein können. Sie hatten auch dafür gesorgt, dass es keinen einzigen losen Ziegelstein oder Mörtelklecks in den Wänden gab. Zuletzt hatte er sich aus Frust über seine fruchtlosen Bemühungen seiner wachsenden Wut hingegeben und so lange gegen die Tür gehämmert, bis die Haut an seinen Fäusten aufplatzte, blutete und seine Kehle wund vom Schreien war.

Nutzlos.

Die ganze Zeit war die Kälte da, und sie war ein geduldiger Gegner. Sie hatte alle Zeit der Welt, um ihn zur Strecke zu bringen – und nach zwei Tagen und Nächten ohne Schlaf oder Essen war sie exakt dabei, das zu erreichen.

Ryan Drake lag in Embryonalstellung zusammengekauert auf dem Fußboden seiner fensterlosen Zelle und zitterte. Die undurchdringliche Finsternis verbarg die Schnittwunden und Blutergüsse, die seinen nackten Körper übersäten. Die eiskalte Luft um ihn herum roch nach Feuchtigkeit, Schimmel und abgestandenem Urin. Er war zu erschöpft aufzustehen. Warum hätte er das auch tun sollen? Früher oder später würde ihn das bisschen Kraft, das er noch in sich spürte, verlassen, und er würde zurück auf den Boden sacken.

Wie lange er so gelegen hatte, vermochte er nicht zu sagen. Da der Raum keine Fenster besaß, war es unmöglich, Tage und Nächte zu zählen. Außerdem verlor die Zeit ihre Bedeutung, sobald Erschöpfung und Hunger ihren Tribut einforderten. Und er durfte nicht schlafen, denn unter solchen Bedingungen würde er dabei an Unterkühlung sterben.

Zwei Tage zuvor, in Pakistan, war alles schiefgelaufen. Er hatte mit dem Leben seiner Freunde gespielt und alles auf eine letzte Karte gesetzt, um mit Marcus Cain, dem korrupten stellvertretenden Direktor der CIA, abzurechnen. Er hatte das Spiel sang- und klanglos verloren.

Seine Kameraden waren ebenfalls Geschichte. Cole Mason, sein treuer Stellvertreter, war vor seinen Augen hingerichtet worden. Man hatte Drake gezwungen, eine Wahl zu treffen, und er hatte Mason ausgewählt, in der Hoffnung, dadurch ein anderes Leben retten zu können. Niemals würde er den Ausdruck in Masons Augen vergessen, unmittelbar bevor der Schuss fiel.

Keira Frost, die hitzige, junge technische Spezialistin, die ihm schon öfter beigestanden hatte, als Drake zählen konnte, war von ihm getrennt worden und vielleicht ebenfalls tot. Ein weiteres Spielchen seiner Entführer, um ihm deutlich zu machen, dass er auf der ganzen Linie versagt hatte.

Es war noch schlimmer gekommen. Wie sich herausstellte, hatte Samantha McKnight, die Frau, in die er so große Hoffnungen gesetzt hatte, von Anfang an gegen sie gearbeitet. Sie hatte ihre Absichten verraten, ihren Einsatz gefährdet und den gesamten Operationsplan zunichtegemacht, bevor er überhaupt begonnen hatte. Dieser Verrat war für ihn besonders schmerzlich gewesen, denn ihr hatte er am meisten vertraut.

Und was Anya anbelangte, die Frau, die die ganze Geschichte ins Laufen gebracht hatte – sie war ebenfalls verschwunden. Vielleicht hatte sie es irgendwie geschafft, dem katastrophalen Kampf zu entfliehen, oder aber ihre Feinde hatten sie zu guter Letzt erwischt und der Sache ein Ende gesetzt. Drake würde es wohl nie erfahren.

Er schloss die Augen, als ein erneuter Anfall von Schüttelfrost seinem erschöpften Körper zusetzte, und ballte die Fäuste so fest, dass es schmerzte. Sehr gut – er wollte Schmerz empfinden, denn Schmerz war etwas, das er für seine Zwecke nutzen konnte.

Das Geräusch von Schritten im Korridor riss seine Gedanken zurück in die Gegenwart. Jemand kam zu seiner Zelle – das erste Zeichen von Aktivität, seit er hierhergebracht worden war. Er hörte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, als Adrenalin durch seine Adern schoss und sein Körper mit dem Urinstinkt reagierte, zu kämpfen oder zu fliehen.

Letzteres war ausgeschlossen, denn er hatte kein Bedürfnis danach und schon gar nicht die Kraft, die dazu nötig gewesen wäre. Also blieb ihm nur eine Möglichkeit.

Er hatte sich bereits damit abgefunden, dass er nicht lebend hier herauskommen würde. Warum hätte er sich auch falschen Hoffnungen hingeben sollen? Diese Hoffnungen hatte er bereits in Pakistan hinter sich gelassen. Wenn man erst einmal akzeptierte, dass man kurz vor dem Ableben stand, konnte man Dinge tun und ertragen, für die man in einer anderen Situation weder den Mut noch die notwendige Verzweiflung aufbringen würde.

Doch genau diese zwei Dinge brauchte er jetzt. Er krallte seine Finger in den eiskalten Zement und stemmte sich auf die Füße, atmete tief ein, um mehr Sauerstoff in sein Blut zu pumpen. Er war nackt und hatte keine Waffe, doch das war jetzt egal. Wenn es darauf ankam, konnte er einen Menschen auch mit bloßen Händen töten.

Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Außerdem zog er es vor, im Kampf zu sterben, als den Rest seines Lebens in dieser Zelle zu verbringen. Und vielleicht würde es ihm sogar gelingen, zumindest einen oder zwei dieser Mistkerle mit ins Jenseits zu nehmen.

Im Vergleich zu dem langsamen, quälenden Tod durch Unterkühlung, Hunger oder Folter, der ihn erwartete, war alles andere eine Verbesserung seiner Situation.

Die Schritte waren an der Zellentür angelangt. Es erklang ein metallisches Kratzen, und plötzlich richtete sich ein Strahl blendenden Lichtes auf Drake. Nach zwei Tagen Finsternis fühlte es sich so an, als blickte er in das Herz der Sonne.

»Dreh dich zur hinteren Wand und leg die Hände auf den Kopf!« Die laute, befehlende Stimme hallte durch die kleine Zelle. »Sofort!«

Drake wusste genau, dass sie die Tür erst öffnen würden, nachdem er ihre Anordnung befolgt hatte. Es war die Standardprozedur im Umgang mit gefährlichen Gefangenen.

»Zur hinteren Wand, los!«, wiederholte die Stimme. Drake erkannte die Stimme nicht, denn sie gehörte keinem der Männer, die ihn in Pakistan gefangen genommen hatten. Aber das hatte nicht viel zu sagen, denn Cain verfügte über eine Menge Mitarbeiter.

Drake drehte sich um und schlurfte zum hinteren Teil der Zelle. Dabei hinkte er auffällig, sodass sie sehen konnten, in welch schlechter Verfassung er war: eine mitleiderregende, jämmerliche Gestalt, die von Hunger und Verletzungen zermürbt war. Keine größere Bedrohung als ein gebeugter alter Mann, den man auf der Straße traf.

»B-bitte, tut mir nicht mehr weh«, stammelte er zitternd, starrte auf die Wand und legte seine Hände an den Hinterkopf.

»Mund halten! Augen geradeaus!«

Dank des Lichts, das durch den Sichtschlitz hereinschien, konnte Drake endlich seine Umgebung genauer wahrnehmen, und er bemühte sich schleunigst, sich so viele Einzelheiten wie möglich einzuprägen. Dennoch überraschte es ihn irgendwie, dass die Mauersteine vor ihm dunkel, fast schwarz waren und schwach feucht schimmerten. Ihre abgewetzten Ränder und die leicht unregelmäßige Form ließen darauf schließen, dass sie aus vorindustrieller Zeit stammten und von Hand behauen worden waren.

Wo immer er gefangen gehalten wurde – es war also kein neues Gebäude, was bedeutete, dass es sich wohl kaum um ein speziell zu diesem Zweck erbautes Gefängnis handelte. Und wenn ein Gebäude nicht als Gefängnis vorgesehen war, so war es weniger sicher, weniger leicht zu patrouillieren und schwerer zu überwachen. Drake beschloss, sich diese Information zu merken und für später aufzubewahren, denn im Augenblick hatte er Wichtigeres zu tun.

Er hörte das scharrende Geräusch eines verrosteten Bolzens, der aus der Türverriegelung gezogen wurde, und atmete noch einmal tief ein, um sich psychisch auf das Bevorstehende vorzubereiten. Zwar konnte er nicht sagen, was in den nächsten Sekunden passieren würde, aber aller Voraussicht nach würde es sehr schnell gehen, sehr brutal und schmerzhaft sein. Nach zwei Tagen, die er zitternd im Dunkeln verbracht hatte, war er bereit für alle drei Optionen.

Einen Augenblick später hörte er das Quietschen alter Angeln, als die Tür nach innen aufschwang, und wusste, dass sein Moment gekommen war.

Denke nicht darüber nach, was passieren könnte. Mach’s einfach.

Blitzschnell wandte er sich um und stürzte sich in aller Geschwindigkeit und mit jedem Zoll Aggressivität, der ihm zur Verfügung stand, quer durch die Zelle. Die Enge des Raumes war in diesem Fall von Vorteil für ihn, weil sie die Entfernung verringerte, die er zu überwinden hatte. Er wusste, dass er höchstens eine Sekunde Zeit hatte, um das Überraschungsmoment für sich zu nutzen. Sie würden sich sehr schnell von ihrem Schrecken erholen und alles tun, um ihn zu stoppen.

Die erste Priorität war, sich zwischen Tür und Türrahmen zu quetschen und sie davon abzuhalten, sie wieder zu schließen. Das würde ihm eine Menge Schmerzen einbringen, denn sie würden zweifellos alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihn davon abzuhalten und in seine Zelle zurückzustoßen. Aber es musste sein: Mit Menschen konnte er es aufnehmen, doch eine verriegelte, metallverstärkte Holztür versperrte ihm den Fluchtweg endgültig.

Hatte er das hinbekommen, musste er sein Augenmerk auf die Wachen hinter der Tür richten. Er hatte zwar nur eine Stimme gehört, doch da waren ganz gewiss noch mehr. Keiner würde einen einzelnen Mann ohne Verstärkung in die Zelle eines Gefangenen wie Drake schicken.

Jetzt ging es zunächst einmal um den Mann im Türrahmen: ihn außer Gefecht zu setzen, war Drakes erster Schritt. Da er keine Waffen besaß, musste es mithilfe von Fäusten, Tritten und Zähnen geschehen. In solchen Momenten zählte weder Finesse noch ehrenhaftes Handeln, und es gab auch keine Auszeichnung für Fair Play oder so etwas wie Pardon. Man benutzte schlicht jedes zur Verfügung stehende Mittel, um seinen Feind irgendwie zu verletzen oder umzubringen.

Entweder man gewann, oder man starb. Ganz einfach.

Trotz seiner Schwäche war Drake noch immer schnell. In knapp einer Sekunde hatte er die Entfernung von der hinteren Zellenwand bis fast zur Tür durchquert und schob bereits eine Schulter vor, um sich an jedem vorbeizurammen, der ihm im Weg stand. Er war zwar nie besonders gut im Rugby gewesen, verfügte jedoch immerhin über einen zweihundert Pfund schweren Körper und wusste, wie er sein Gewicht am wirkungsvollsten einsetzen konnte.

Egal, welcher Scheißkerl das Pech hatte, auf ihn zu treffen – er würde bei einem so heftigen Aufprall den Kürzeren ziehen.

Er sah Umrisse im Eingang, die sich gegen das Licht aus dem Raum oder dem Gang dahinter abzeichneten. Die Tür war vollständig geöffnet, und sie machten gar keinen Versuch, sie zu schließen. Vielleicht hatten sie bereits kapiert, dass das nicht funktionieren würde.

Gerissen, aber das machte keinen Unterschied, denn er hatte sie fast schon erreicht.

Dann sah er etwas, eine unscharfe Bewegung, etwas Kurzes und Dickes, das auf ihn gerichtet war …

Es krachte.

Zunächst glaubte Drake, ein Knallkörper sei soeben direkt auf seinem Gesicht explodiert. Der Blitz, der plötzliche Funkenregen und der Rauch, die aus der Mündung traten, erinnerten ihn mehr an ein Feuerwerk als an eine Schusswaffe. Zumal das spektakuläre Aufleuchten von einem dumpfen Bumm begleitet wurde, das von den Wänden des kleinen Raums widerhallte, als säße er in einer Trommel.

Dann jedoch wurde der Zweck des Ganzen mehr als deutlich.

Etwas schlug wie eine Betonfaust gegen Drakes linke Schulter und schleuderte ihn so heftig zurück, dass er glaubte, man hätte ihm den Arm aus dem Gelenk gerissen. Unter der Wucht des Aufschlags wirbelte er herum und krümmte sich vor Schmerz. Er kippte nach hinten, brach zusammen und schlug heftig auf den Steinfliesen auf.

Ein Nebel aus Schmerz und Verwirrung umhüllte Drake, sodass er nur aus der Ferne wahrnahm, wie Stimmen ihn anschrien.

»Bleib liegen! Keine Bewegung, oder wir schießen noch mal!«

Noch mal schießen. Also war auf ihn geschossen worden, so viel war schon mal klar. Aber womit?

Mit seinem unverletzten Arm griff er hinauf und betastete die Stelle des Aufpralls. Er erwartete, zerrissenes Fleisch zu spüren, aus dem Blut rann. Stattdessen fuhren seine Finger nur über stark verletzte Haut. Sofort begriff er, was geschehen war.

Er war von einem Gummigeschoss getroffen worden, einem sogenannten Bean Bag – eine Patronenhülse, die in einem stark dehnbaren Stoffbeutel Schrotmunition aus Gummi enthielt, sich dadurch beim Aufschlagen flach ausbreitete und die Wucht des Aufpralls verteilte. Diese Waffen wurden üblicherweise von der Bereitschaftspolizei bei Straßenkämpfen eingesetzt, da sie zwar die Schlagkraft von Gummikugeln besaßen, im Allgemeinen aber weniger gefährlich waren. Er selbst hatte noch nie eine solche Waffe benutzt, doch wie er jetzt wusste, war deren Wirkung, vor allem aus so großer Nähe, damit vergleichbar, von einer gigantischen Faust getroffen zu werden.

Dies erklärte auch die Ähnlichkeit mit dem Feuerwerkskörper. Solche Geschosse nutzten eine primitivere, weniger explosive Art von Schießpulver, vergleichbar mit dem, was die Musketiere vor zweihundert Jahren verwendeten. Viel Feuer und Lärm, doch wenig Durchschlagskraft. Dennoch – hätte die Patrone ihn ins Gesicht oder am Oberkörper statt an der Schulter getroffen, hätte sie seinen Schädel zertrümmert beziehungsweise einige Rippen gebrochen.

Was bedeutete, dass sie ihn gar nicht töten wollten. Sie wollten ihn lebend.

Er beobachtete, wie einer seiner Entführer in die Zelle kam und sich wie ein großer schwarzer Schatten bedrohlich über ihm abzeichnete. Der Mann schickte sich an, ihn festzuhalten, und blockierte dabei aufgrund seiner Größe die Sichtlinie des Gewehrträgers. Drake tat, als wollte er sich ihm widersetzen und ignorierte den Schmerz in seiner Schulter. Er rammte seine Faust in den Solarplexus des Mannes, in der Hoffnung, dass der sich zusammenkrümmen würde und er dadurch nach einer Waffe greifen konnte.

Aus Erfahrung wusste er, dass ein heftiger Schlag unterhalb der Rippen einem Menschen so sehr den Atem rauben konnte, dass er kurzzeitig wehrlos war. Dies könnte ihm wertvolle Sekunden verschaffen, um dem Mann ernsthaften Schaden zuzufügen. Hoffte er zumindest.

Stattdessen traf seine Faust auf gespanntes, unnachgiebiges Muskelfleisch, was seinem vermeintlichen Opfer lediglich ein Knurren entlockte. Ebenso gut hätte er versuchen können, mit bloßen Händen eine Steinmauer einzuschlagen. Der Mann musste in seinem früheren Leben Quarterback oder Bodybuilder gewesen sein, denn sein Nacken war so dick wie Drakes Oberschenkel, und seine Arme und Schultern wiesen enorme Muskelpakete auf.

Es war völlig ausgeschlossen, dass Drake in seinem momentanen Zustand einen Mann dieser Größe hätte überwältigen können.

Der Schlag, der ihn aus der Dunkelheit traf, riss Drakes Kopf zur Seite und setzte ihn fast gänzlich außer Gefecht. Ihm verschwamm alles vor den Augen, seine Sinne waren benebelt, und an Widerstand war nicht mehr zu denken. Der Hüne hielt ihm die Hände vor dem Körper zusammen und legte ihm Plastikhandschellen an.

Drake konnte das Gesicht seines Gegners nicht sehen, denn er trug eine schwarze Sturmhaube, die nur seine Augen frei ließ. Allerdings hörte er ein zischendes Geräusch, als der Mann Luft holte, und er nahm den Geruch von Kaffee und Tabak in seinem Atem wahr.

Nachdem er Drake unschädlich gemacht hatte, zerrte der Hüne seinen Gefangenen aus der Zelle. Da Drake zu benommen war, um aufrecht zu gehen, schleiften seine Knie und Füße über den Boden. Ein zweiter Mann mit einer Pumpgun trat zur Seite. Sie war zweifellos mit weiteren Gummigeschossen geladen, falls Drake so dumm war, einen neuen Fluchtversuch zu riskieren.

Im Vergleich zur Enge seiner Zelle wirkte der Raum dahinter fast wie eine Höhle: Er war etwa neun Quadratmeter groß und wurde von ein paar Glühbirnen erhellt, die an entgegengesetzten Enden des Raumes in bloßen Fassungen von der Decke hingen. Es gab weder Möbel noch Fenster oder sonstige natürliche Lichtquellen. Offensichtlich befand der Raum sich unter der Erde – vielleicht war es ein Untergeschoss oder irgendein Keller, jedenfalls war er sehr alt. Die Wände bestanden aus grob behauenen Steinblöcken, eine einfache Steintreppe an der gegenüberliegenden Wand, die von vielen Jahrhunderten des Gebrauchs schon deutlich ausgetreten war, führte ins darüber liegende Geschoss. Auf Drake wirkte diese Höhlenkammer wie ein mittelalterlicher Kerker.

In der Mitte des Raums wurde Drake unvermittelt zu Boden geworfen. Der Hüne hob ihn so einfach hoch, wie ein Kind eine Puppe aufhebt. Dann wurden seine Arme nach oben gerissen, und plötzlich wurde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen, sodass er durch die Schwerkraft nach unten sackte und in einer quälenden Haltung von der Decke hing.

Er verzog das Gesicht vor Schmerz, blickte nach oben und sah, dass seine Handschellen an einem Metallhaken an der Decke befestigt worden waren. Er sah aus wie einer jener Haken, an denen man Tierhälften in einem Schlachthaus aufhängte. Drakes Füße baumelten mindestens dreißig Zentimeter über dem Boden, und ihm wurde plötzlich schmerzlich bewusst, wie verwundbar er war. Die Handschellen schnitten ihm tief in die Gelenke, und warmes Blut rann seine Unterarme herab.

Wieder eine Verletzung, die er auf seiner immer länger werdenden Liste verbuchen konnte.

»Das war mutig, Ryan. Nicht besonders schlau, aber zugegebenermaßen mutig«, ertönte eine Stimme vom oberen Ende der Treppe. »Andererseits macht Sie genau das ja auch aus.«

Drake sah jemanden langsam und vorsichtig die ausgetretenen, unebenen Stufen herunterkommen. Den Mann kannte er nur zu gut.

Groß, breitschultrig und gut gekleidet – Anzughose, offensichtlich teure Schuhe und ein dunkler Wollmantel –, sah Marcus Cain kaum anders aus als damals, als Drake ihn vor drei Jahren zum ersten Mal in einem Konferenzzimmer in Langley getroffen hatte. Sein sorgfältig gekämmtes Haar war um die Schläfen herum mittlerweile etwas grauer, doch die kantigen, attraktiven Züge seines Gesichts verliehen ihm immer noch das Aussehen eines Filmstars. Seine blassblauen Augen hinter der dünnen Brille glänzten wachsam und blickten Drake mit einem fast schon mitleidigen Ausdruck an.

Marcus Cain: der Mann, für den Drake um die halbe Welt gereist war, um ihn in Pakistan zu stellen, und dabei alles bis hin zur Niederlage riskiert hatte. Der Mann, der ihn alles gekostet hatte, was ihm lieb und teuer war.

»Sie Scheißk…«, knurrte Drake hervor und riss an den Handschellen. Die scharfen Plastikränder schnitten tiefer in seine Haut, malträtierten Handgelenke und Sehnen.

»Erweisen Sie sich den Gefallen und behalten Sie Ihre Gedanken lieber für sich«, riet Cain und deutete auf die zwei bewaffneten Männer neben ihm. Beide hatten ihre Schrotflinten nun auf Drake gerichtet. Das war völlig unnötig, denn er hätte sich ohnehin nicht befreien können. »Ich bin sicher, ein Mann Ihres Kalibers weiß sehr gut, dass man auch an unangenehmeren Stellen angeschossen werden kann als an der Schulter.«

Man brauchte kein Genie zu sein, um zu begreifen, was er vorhatte. Drake wurde sich plötzlich sehr deutlich bewusst, dass er nackt und wehrlos an einem Fleischerhaken hing.

»Schon besser«, sagte Cain, der Drakes Untätigkeit als ein Sichfügen interpretierte. »Es wäre mir sehr unangenehm, wenn ich einen so weiten Weg vergeblich zurückgelegt hätte.«

Drake hätte ihn gerne zu Boden geworfen, ihm die kostspielige Kleidung vom Leib gerissen und sein Filmstargesicht zu einer Masse blutigen Fleisches und zersplitterter Knochen zermalmt. Doch trotz seines glühenden Hasses wusste er genau, dass er dem stellvertretenden Direktor der CIA kein Härchen hätte krümmen können. Denn selbst wenn er die Kraft aufgebracht hätte, seine Handschellen vom Fleischerhaken zu lösen, hätten Cains Leibwächter ein halbes Dutzend Gummigschosse auf ihn abgefeuert, noch bevor er auch nur zwei Schritte hätte tun können.

»Ich würde Sie doch niemals enttäuschen, Marcus!«, spie er stattdessen hervor. »Wo Sie sich doch so gern an meinem Unglück weiden, Sie Drecksack.«

Er sah die Andeutung eines Lächelns über Cains Gesicht streifen. »Um genau zu sein: Ich bin aus zwei Gründen hier. Erst einmal möchte ich Sie für das loben, was Sie da in Pakistan geleistet haben. Es gibt nicht viele Männer, die den Mumm haben, eine solche Aktion überhaupt zu versuchen, und noch weniger hätten sie bis zum Schluss durchgezogen. Sie hätten es fast geschafft, Ryan. Sie waren näher dran, als die meisten anderen es je waren. Zumindest dafür verdienen Sie Respekt.«

»Sie hingegen verdienen eine Hohlspitzpatrone im Hinterkopf«, feuerte Drake zurück. »Aber wie wir beide wissen, bekommt man nicht immer das, was man verdient, nicht?«

Cain schüttelte den Kopf und sah fast bedauernd auf den ausgehungerten, geschundenen Mann, der vor ihm am Haken baumelte. »Was für eine Verschwendung! Sie haben so viel Zeit und Energie in ein hoffnungsloses Unterfangen gesteckt, und was hat es Ihnen gebracht?« fragte er leise. »Sie hätten etwas Sinnvolleres mit Ihrem Leben anstellen können.«

»Ach ja? Für Sie zu arbeiten, zum Beispiel?«, schnaubte Drake. »Ich habe gesehen, wohin das führt. Aber man soll seine Feinde ja stets in Blickweite behalten, richtig?«

»Sie waren nie mein Feind, Ryan«, antwortete Cain, und Drake bereitete es einige Mühe zu entscheiden, ob er log oder nicht. »Im schlimmsten Fall waren Sie ein lästiges Ärgernis, im besten ein nützliches Werkzeug. Und zwar nützlicher, als Sie es sich vorstellen können.«

Drake runzelte die Stirn. Hätte jemand anders diese Worte gesagt, so hätte er das für eine leere Phrase gehalten. Nicht aber bei Cain.

»Nützlich wofür?«, fragte er, da er sich nicht zurückhalten konnte. Scheiß drauf: Wenn er hier schon sterben sollte, hatte er wenigstens zuvor noch ein paar Antworten verdient.

Cain nahm die Brille ab, griff in seine Brusttasche nach einem Tuch und säuberte dann umsichtig die Gläser.

»Ich denke, Sie hatten in der letzten Zeit genügend Muße, um über Ihre Situation nachzudenken und sich ein paar Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Wenn ich Samantha schon so lange bei euch eingeschleust hatte, warum habe ich nicht früher Maßnahmen gegen euch ergriffen? Warum habe ich euch so nahe herankommen lassen, wo das doch gar nicht notwendig war?«

Drake antwortete nicht. Tatsächlich hatte er sich diese Frage – wie viele andere – bereits gestellt, als er allein in der Kälte und Dunkelheit saß und nur seine eigenen Gedanken zur Gesellschaft hatte.

»Sie waren der Köder, Ryan«, fuhr Cain fort, und sein Ton war der eines gereizten Oberlehrers, der sich mit einem besonders dämlichen Schüler zu befassen hatte. »Anya war das eigentliche Ziel, und Sie haben mich zu ihr geführt. Sie waren ihr einzig wirklicher Schwachpunkt.«

Drake konnte sich zwar nicht sicher sein, aber für ihn klangen die Worte so, als würde in der Stimme des älteren Mannes eine Spur von Verbitterung mitschwingen. Cain betrachtete Drake nachdenklich und versuchte herauszufinden, was die beiden voneinander unterschied und warum Anya sich zu einem von ihnen hingezogen und vom anderen abgestoßen fühlte.

»Anya war natürlich ebenso von Nutzen, versteht sich«, fuhr Cain fort. »Das war schon immer so. Der Trick bestand darin, sie glauben zu machen, dass sie aus freiem Willen handelte. Als mir das gelungen war, konnte ich sie zu fast allem bringen, auch dazu, fast jeden zu töten. Und es gab einen Haufen Leute, die ich töten lassen musste.«

Drake überdachte blitzschnell die Ereignisse der letzten paar Jahre. In Afghanistan war er mit seinem Team in einen schmutzigen Krieg hineingezogen worden, den ein schurkenhafter, privater militärischer Auftraggeber ausfocht, angeführt von einem pensionierten Colonel der Streitkräfte. Anya hatte dafür gesorgt, dass Carpenter für seine vorherigen wie aktuellen Verbrechen mit dem Leben bezahlen musste.

Monate später, in Russland, hatte sie sich in eine Terroristenbande einschleusen lassen, um mit dem korrupten Leiter des russischen FSB abzurechnen, der einmal alles in seiner Macht Stehende versucht hatte, um sie auszuradieren. Auch in diesem Fall hatte sie die Rache von langer Hand geplant, die Ausübung jedoch schnell und ohne Gnade durchgezogen.

Cain hatte in beiden Fällen nichts getan, um sie daran zu hindern.

»Also haben Sie Anya benutzt, um ein paar Ihrer Rivalen um die Ecke zu bringen«, spöttelte Drake. Er sah in Cains Taten nichts anderes als das Werk eines manipulativen Feiglings, der es vorzog, seine persönlichen Fehden von anderen ausfechten zu lassen. »Was heißt, Sie sind auch nicht besser als die anderen.«

Dies schien Cain zu amüsieren. »Mit einem kleinen, aber nicht unerheblichen Unterschied: Die anderen sind tot, ich bin am Leben. Was sie, nebenbei bemerkt, auch durchaus verdient haben. Sie haben bekommen, was ihnen zustand.«

Drake sah ihn geradewegs an. »Und Sie? Was haben Sie verdient, Marcus?«

Der stellvertretende CIA-Direktor gab darauf keine Antwort. Stattdessen setzte er die gereinigte Brille wieder auf, faltete umsichtig das Taschentuch und schob es in seine Brusttasche.

»Ich sagte Ihnen ja, ich bin aus zwei Gründen hierhergekommen«, sprach er weiter. »Wie bereits erwähnt, war der erste, Ihnen meinen Respekt auszudrücken.«

»Und der zweite?«

»Ich möchte Ihnen einen Deal anbieten. Dabei handelt es sich um das einzige Angebot, das Sie bekommen werden, und ich werde es nur einmal machen – weshalb ich Ihnen anrate, gut zu überlegen, bevor Sie sich entscheiden. Von Ihrer Antwort hängt mehr als ein Leben ab«, fügte er warnend hinzu. »Liefern Sie mir Anya – oder zumindest solide Informationen, die mich zu ihr führen –, dann lasse ich Sie und Frost gehen. Ohne Bedingungen, ohne Hintertürchen. Ich werde Sie, Ihre Familie oder Ihre Freunde nicht weiter verfolgen, solange Sie leben – vorausgesetzt, Sie lassen mich ebenfalls in Ruhe. Ich werde Ihnen alles zur Verfügung stellen, was Sie brauchen, um ein neues Leben zu beginnen. Pässe, eine neue Identität, sogar Geld. Genügend Geld, damit Sie für den Rest Ihrer Tage ein sorgloses Leben führen können.«

Drake konnte den plötzlichen Hoffnungsschimmer, den Cains Worte trotz allem in ihm auslösten, nur mit Mühe verbergen. Also war nicht nur seine Teamkameradin Frost noch am Leben, sondern auch Anya. Irgendwie musste sie dem Hinterhalt in Pakistan entgangen und ihren Verfolgern entwischt sein. Das bedeutete, sie stellte immer noch eine Bedrohung dar. Ganz gleich, welchen Triumph Cain in jener Nacht errungen hatte – die heiß ersehnte Siegestrophäe war ihm verwehrt geblieben.

»Wie auch immer Sie sich entscheiden: Ihr Krieg ist zu Ende, Ryan«, kommentierte Cain trocken. »Die einzige noch offene Frage ist, auf welche Weise Sie diese Geschichte abschließen wollen – als freier Mann, der für den Rest seiner Tage weiterleben darf, oder … gleich hier.«

»Woher soll ich wissen, ob Sie Ihr Wort halten?«, fragte er.

»Wie ich schon sagte: Sie waren nie mein Feind. Ich kritisiere Sie nicht für das, was Sie getan haben, denn Sie waren nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort und sind in etwas hineingezogen worden, was Sie nicht verstehen. Sie wollen die Menschen um Sie herum schützen, das respektiere ich. Aber Sie sollten auch einmal bedenken, wohin Sie dieses Verhalten geführt hat.« Er sah sich in dem schwach erleuchteten Kellergewölbe um. »Es muss nicht zwingend hier enden. Sie können Ihr Leben weiterführen, nach Hause zurückkehren und all dies hinter sich lassen. Das Einzige, was Sie dafür tun müssen, ist mir zu helfen.«

Drake war klar, dass Cain vermutlich die Wahrheit sagte. Einen Moment überdachte er Cains Angebot und war fast versucht, dieser sanften und überzeugenden Stimme nachzugeben. Er dachte an sich selbst und an Frost, wie sie weit weg von diesem dunklen, schrecklichen Ort erneut im Sonnenlicht standen. Er dachte an seine Schwester Jessica, die dann nicht mehr unter der erdrückenden Drohung leben musste, entführt zu werden, wie das die letzten drei Jahre der Fall gewesen war. Er dachte an ein Leben ohne Angst und Gefahren.

All das war möglich. Nur würde er einen furchtbaren Preis dafür bezahlen.

»Und im Gegenzug stirbt Anya.«

Cains Gesicht verfinsterte sich, doch er sah nicht weg. »Egal, was sie euch erzählt haben sollte – ich bin kein Monster. Ich will Anya nicht wehtun. Ich will ihr helfen.«

Drake konnte sich nicht zurückhalten und begann zu lachen. Es war das harte, bittere Lachen eines Mannes, der nichts mehr zu verlieren hatte. In Anbetracht all dessen, was er getan hatte, und der vielen Leben, die er geopfert und zerstört hatte, konnte er diese Behauptung nur mit Gelächter quittieren.

»Ihr helfen?«, wiederholte er. »Sie haben sie zugrunde gerichtet und sind nicht einmal jetzt fähig, das zu begreifen.«

»Maßen Sie sich nicht an, mir Vorhaltungen über Dinge zu machen, die Sie nicht durchschauen. Sie haben noch Ihre verdammte High School besucht, als Anya und ich bereits die Welt veränderten!«, fuhr er Drake an. Zum ersten Mal klang er wirklich verärgert. Er schüttelte den Kopf und atmete tief ein, um sich zu beruhigen. »Anya war damals anders. Wir beide waren anders. Wir hätten unglaubliche Dinge gemeinsam vollbringen können, wenn sie mir nicht weggenommen worden wäre.«

Drake wusste, worauf Cain anspielte. Als Anya zwanzig Jahre zuvor noch als junge CIA-Agentin in Afghanistan diente, war sie in einen Hinterhalt geraten und von den Sowjets gefangen genommen worden. Sie hatte nie viel über die darauffolgende Gefangenschaft und Folter erzählt, doch ihre vielen Narben sprachen Bände. Diese Prüfung war ein entscheidender Moment in ihrem Leben gewesen.

Wenn man dem gequälten Ausdruck in seinen Augen glauben konnte, dachte Cain an dieselbe Situation, wenngleich er sie wohl aus einer ganz anderen Perspektive betrachtete. Er hatte es miterlebt, Drake hingegen nicht. Schlimmer noch, er hatte die fürchterlichen Konsequenzen persönlich erdulden müssen.

»Als ich endlich einen Anruf aus einem Krankenhaus in Pakistan bekam und man mir sagte, sie sei gefunden worden, dachte ich, meine Gebete wären erhört worden. Irgendwie war sie zurückgekommen, von den Toten auferstanden. Ich konnte gar nicht schnell genug dorthin reisen. Ich war sogar so dumm mir einzubilden, dass alles wieder wie vorher werden würde, aber ich habe mich getäuscht.«

Er stieß einen müden Seufzer hervor – wie ein alter Mann, der seine beste Zeit lange überschritten hatte und von zu vielen Kompromissen, Enttäuschungen und Misserfolgen heimgesucht worden war.

»Nach einer Weile wurde mir klar, dass Anya im Grunde nie zurückgekommen war. Die Frau, die ich in jenem Krankenhaus vorfand, war eine andere. Sie war gebrochen, tief in ihrem Innern, und ich konnte sie nicht heilen.«

Er blinzelte, schien sich dann zusammenzureißen und sah erneut zu Drake.

»Ich kann nicht die Geschichte umschreiben, Drake. Ich kann keine Dinge ungeschehen machen und ebenso wenig Fehler, die begangen wurden. Das Einzige, was ich versuchen kann, ist Wiedergutmachung zu leisten, was damit beginnt, dass ich sie finde. Ich möchte Anya an einen sicheren Ort bringen – einen Ort, an dem sie weder sich selbst noch andere verletzen und niemand ihr Schaden zufügen kann. Wenn eine auch noch so geringe Chance besteht, dass in ihr noch ein Stückchen jener Anya steckt, die ich kenne, muss ich versuchen, dieses Stück ans Licht zu holen. Vielleicht findet sie dann endlich eine Art Frieden. Vielleicht finden wir dann beide unseren Frieden.«

Was immer Drake sonst über Marcus Cain dachte, die Kraft der Überzeugung in seiner Stimme war unbestreitbar. Zum vielleicht ersten Mal sah Drake in ihm nicht die distanzierte, bedrohliche Autoritätsperson, nicht den meisterhaften Manipulanten und Drahtzieher, sondern einfach nur einen Menschen. Einen Menschen, der auf ein Leben voller Ereignisse zurückblickte, die er bereute, und der nun verzweifelt versuchte, zumindest einige der Fehler der Vergangenheit auszumerzen, solange er noch Zeit dazu hatte.

Ein Mann auf der Suche nach Erlösung.

Doch nicht alle, die Erlösung suchten, verdienten sie auch.

»Ich kann Ihnen nicht helfen«, sagte Drake schließlich. »Und ich werde Ihnen nicht helfen.«

Cain starrte ihn schweigend an.

»Vor zwanzig Jahren hatten Sie Gelegenheit, Anya zu helfen«, fuhr er fort und genoss es, den alten Schmerz und das Gefühl von Schuld auf dem Gesicht seines Widersachers zu sehen, das seine Worte bewirkten. Jedes Quäntchen Hass und Abscheu, das er für diesen Mann empfand, quoll nun in einem letzten, bitteren Akt trotziger Herausforderung aus ihm hervor. »Denn sie hat mir alles erzählt, Marcus. Sie hat mir erzählt, dass Sie gewusst haben, wo sie gefangen gehalten wurde und was man mit ihr anstellte. Sie schilderte, wie sie stark blieb und sich wieder und wieder einredete, dass Sie kommen und sie befreien würden. Doch das haben Sie nie getan. Sie hätten Anya da herausholen können – aber Sie haben sich lieber aus allem herausgehalten und gar nichts getan. Damit haben Sie ihr unmissverständlich klar gemacht, was für eine Art Mensch Sie sind. Sie sind ein feiges, egoistisches Stück Dreck, und alles, was jetzt passiert, ist allein Ihre Schuld. Wenn Anya ein Monster geworden sein sollte, haben Sie es erschaffen und verdienen alles, was auf Sie zukommt. Ich werde Ihnen niemals helfen.«

Bei diesen Worten trat Cain einen Schritt zurück und starrte Drake enttäuscht und resigniert an, als habe er diese Argumentation schon oft gehört und keine Energie mehr, sich erneut damit auseinanderzusetzen.

Er nickte fast unmerklich, als wollte er sein Verstehen zeigen, dass sein Versuch gescheitert war. Der Weg, der vor ihnen lag, war jetzt für sie beide härter. Härter und für einen von ihnen auch wesentlich unangenehmer.

»Es ist Ihre Entscheidung, Ryan. Ich hatte gehofft, Sie würden die Dinge mittlerweile anders sehen.« Er drehte sich um und ging zur Treppe, die ins Erdgeschoss hinaufführte. An der untersten Stufe blieb er stehen und betrachtete Drake noch einmal mit derselben Mischung aus Mitleid und Verachtung wie zuvor. »Auch wenn es für Sie keinen Unterschied mehr machen wird – sobald ich Anya gefunden habe, erzähle ich ihr, dass Sie sich geweigert haben, sie zu verraten.«

Während Cain die Stufen in die Welt des Lichts hinaufstieg, trat einer seiner Handlanger vor, nahm Drake vom Haken und schleifte ihn in seine finstere Zelle zurück.

2

Krakau, Polen

Anya blieb keine Zeit mehr.

Jede Stunde, die verging, erhöhte das Risiko, dass Drake und sein Team getötet würden oder in Gefahr gerieten. Gleichzeitig wusste sie aber auch, dass sie vorsichtig vorgehen musste. Der Mann, dessen Hilfe sie brauchte, schuldete ihr nichts und hatte bereits in der Vergangenheit viel verloren, als er ihr beigestanden war. Deshalb konnte es gut sein, dass er sich aus dem jetzigen Kampf heraushalten wollte. Sie hätte es ihm schwerlich verwerfen können.

Als Anya aus dem Kellergeschoss der Spielhölle heraustrat, in der sie ihn nach langem Suchen endlich gefunden hatte, und die kühle Nachtluft des heraufziehenden Frühlings spürte, musste sie zugeben, dass Alex Yates seine neue Heimat mit Bedacht gewählt hatte. Krakau war eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Städte in Osteuropa und hatte den Zweiten Weltkrieg relativ unbeschadet überstanden. Die herrlichen Renaissancebauten und barocken Bauwerke waren von den zerstörerischen Luftangriffen und dem Artilleriebeschuss verschont geblieben, die einen Großteil von Osteuropa verwüstet hatten.

Sogar die darauf folgenden fünf Jahrzehnte unter kommunistischer Herrschaft hatten der Schönheit Krakaus nur wenig anhaben können. Als dann der Eiserne Vorhang fiel, hatte die Stadt sich in weiser Entscheidung gen Westen orientiert. Immobilien und sonstige Güter waren billig und Investitionen aus dem Ausland gern gesehen.

All diese Faktoren hatten aus Krakau eines der beliebtesten Touristenziele Europas gemacht, in das jährlich Hunderttausende strömten. Ein guter Platz für einen Fremden also, weil man sich unbemerkt unter die vielen Amerikaner, Deutschen, Russen und vor allem Engländer mischen konnte.

Von ihnen gab es unzählige, und sie schienen überall zu sein. Zumeist waren es Gruppen junger Männer Anfang zwanzig, die nahezu ständig betrunken waren. Aufgrund der späten Stunde und der zahlreichen Lokale und Nachtclubs in der Gegend, die nur darauf warteten, ausländische Währung gegen Bier einzutauschen, war das nicht überraschend. Dennoch war Anya erstaunt, wie viele es waren.

Angewidert beobachtete sie einen jungen Mann mit blondiertem Haar, der aus einer nahe gelegenen Kneipe taumelte, sich vorbeugte und würgend seinen Mageninhalt vor dem Eingang eines Wohnblocks entleerte. Das schien seine Saufkumpanen sehr zu amüsieren. Als er fertig war, wischte er sich den Mund mit seinem geschmacklosen, auffälligen Fußballshirt ab und folgte seinen Kameraden unter großem Gelächter zur nächsten Kneipe. Dabei grölten sie ein Lied, das Anya nicht kannte.

»Was ist denn? Hast du noch nie einen Junggesellenabschied gesehen?«, fragte Alex, der bemerkt hatte, dass sie das unwürdige Spektakel verfolgt hatte.

Anya sah ihn verständnislos an. »Das war ein … was?«

Er machte eine wegwerfende Geste. »Ist nicht wichtig. Mir nach.«

»Wie weit ist es noch?« Sie wollte schnellstmöglich zum Geschäftlichen kommen, hatte nicht fast zehntausend Kilometer für eine nächtliche Stadtführung zurückgelegt.

»Es ist nicht weit«, versprach er.

Sie überquerten eine moderne Brücke, die sich unterhalb der mit Flutlicht angestrahlten Mauern der Wawel-Burganlage über die Weichsel spannte, und kamen bald in die Altstadt mit ihrem Gewirr enger Gässchen.

Alex ging schnell und zielstrebig voran. Zweifellos kannte er diese Gegend besser als sie, und Anya war froh, dass er die Führung übernahm. Dennoch fiel ihr auf, dass er nicht den direkten Weg zu ihrem Ziel einschlug, sondern augenscheinlich wahllos links oder rechts abbog und einmal sogar wieder kehrtmachte.

Da auch Anya ihr Handwerk beherrschte, erkannte sie sofort, dass Alex die grundlegenden Vorsichtsmaßnahmen befolgte, die sie selbst schon zahllose Male angewandt hatte. Trotzdem war sie erstaunt, dass ein nicht ausgebildeter Zivilist wie Alex derart geschickt dabei vorging.

»Entspann dich, Alex«, riet sie ihm. Sollten sie tatsächlich verfolgt werden, befand er sich in sicheren Händen, solange sie bei ihm war. »Niemand wird dich finden.«

»Abgesehen von dir«, stellte er mit einer gewissen Verärgerung in der Stimme fest.

Anya beschloss, darauf nicht zu reagieren. Es wäre ungerecht gewesen, ihn wegen seiner Nervosität zu tadeln. Als sie kurz zuvor in der Kellergeschoss-Spielhölle auf ihn gestoßen war, hatte er gerade einen russischen Gangster beim Poker um fast tausend Euro erleichtert. Der Körpersprache des Mannes nach zu urteilen, war dieser nicht gewillt gewesen, eine solche Demütigung ungestraft über sich ergehen zu lassen.

Die Straße mündete auf einen wesentlich breiteren Platz, der von weiteren Bars und Restaurants gesäumt war und an dessen westlicher Seite ein wuchtiger Glockenturm stand. Touristengruppen strömten auf diesen Hauptplatz der Stadt, um hier Selfies zu schießen. Instinktiv drehte Anya das Gesicht von den Smartphones weg und verwünschte insgeheim den technologischen Fortschritt, der es mittlerweile jedem Zivilisten ermöglichte, ein Bild von ihr zu machen.

Als sie eine kleine, aber geschäftige Café-Bar gleich in der Nähe des Stadtplatzes erreichten, schien Alex gefunden zu haben, wonach er suchte. Er führte sie hinein, entdeckte einen freien Tisch am hinteren Ende und warf seinen Mantel über einen Stuhl.

»Setz dich«, sagte er und deutete auf den Stuhl gegenüber. Er selbst machte es sich bequem und hatte bereits eine der Bedienungen auf sich aufmerksam gemacht.

Anya runzelte die Stirn. »Du sagtest doch, wir würden in deine Wohnung gehen.«

»Nein, sagte ich nicht. Ich sagte, wir würden irgendwohin gehen, wo wir uns unterhalten können«, korrigierte Alex sie. »Hier können wir sprechen. Es ist viel Betrieb, also kann niemand mithören. Von unserem Tisch haben wir freien Blick, und keiner kommt hier herein, ohne dass wir ihn bemerken. Außerdem gibt es eine Hintertür zu einer kleinen Gasse, falls wir plötzlich abhauen müssen.«

Der überraschte Blick, mit dem Anya ihn bedachte, schien ihm aufgefallen zu sein. »Ich habe in letzter Zeit viele Spionageromane gelesen«, sagte er zur Erklärung. »Und offen gestanden wäre es mir lieber, wenn du nicht erfahren würdest, wo ich wohne. Also setz dich und lass uns etwas trinken.«

Im Geiste verglich Anya den Mann, der vor ihr saß, mit dem schwachen, unentschlossenen und unterwürfigen Menschen, den sie vor fast einem Jahr zurückgelassen hatte. Er war ein anderer geworden: selbstsicherer, härter. Wahrscheinlich hätte sich nach allem, was er durchgemacht hatte, jeder verändert – schließlich war sein ganzes Leben zusammengebrochen, und er befand sich nun in der prekären Lage eines gesuchten Kriminellen. Anya wusste, dass diese Veränderung größtenteils auf ihr Konto ging.

Alex schnitt eine Grimasse. Vielleicht genoss er es, dass die Dynamik ihrer Beziehung sich leicht, aber spürbar verändert hatte. Faktisch war sie hierhergekommen, um ihn um seine Hilfe zu bitten, und er hatte die Macht, ihren Wunsch abzulehnen. Zumindest in diesem Moment hatte er das Sagen.

»In Ordnung«, antwortete sie frustriert und ließ sich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen. Um einen besseren Überblick über das Lokal zu haben, verrückte sie ihn leicht. Sie hatte ihr Bestes gegeben, mögliche Verfolger auf ihrem Weg auszumachen, und nichts Verdächtiges bemerkt, wenngleich die Massen von Touristen und Nachtschwärmern es ihr unmöglich machten, jeden Einzelnen zu beobachten.

Dies war einer der Gründe, warum Anya volle Städte so zermürbend fand.

»Du hast mir gesagt, ich solle nach dir suchen, falls ich einmal Hilfe brauchte«, begann sie, und es fiel ihr schwer, die richtigen Worte zu finden. Sie war es gewohnt, dass Menschen ihr Informationen zu entlocken versuchten, nicht umgekehrt. »Und nun bin ich hier.«

Alex zog eine Augenbraue hoch. »Ist das alles? Mehr hast du mir nicht zu sagen?«

»Wieso? Was willst du denn hören?«

»Ich weiß nicht recht … Wie wäre es mit: ›Wie ist es dir denn im letzten Jahr ergangen, Alex?‹ Oder: ›Sorry, dass ich dein Leben ruiniert und dich dann in der Scheiße habe sitzen lassen, nachdem du die Drecksarbeit für mich erledigt hast?‹ Irgendwie so etwas vielleicht. Überrasch mich, sei einfach ein wenig kreativ.«

Anya hatte damit gerechnet, dass er dies oder etwas Ähnliches sagen würde, was es aber nicht einfacher machte zuzuhören. »Keiner ist stolz auf das, was dir widerfahren ist, Alex. Aber ich kann mich nicht mein ganzes Leben mit diesem Thema aufhalten. Das solltest du ebenso wenig tun«, fügte sie mit vielsagender Miene hinzu.

Alex erwiderte ihren Blick ungerührt, als wollte er testen, wie weit er sich ihr widersetzen konnte. Der junge Mann, den sie beim ersten Mal getroffen hatte, hätte in einem Augenblick wie diesem klein beigegeben – der Mann jetzt vor ihr tat das nicht. Einen Moment hing die Spannung wie eine Barriere zwischen ihnen.

In diesem Moment entdeckte die hübsche, junge Bedienung sie und schlängelte sich geschickt zwischen den Tischen hindurch zu ihnen, um ihre Bestellung aufzunehmen.

Normalerweise hätte sich Anya über diese Unterbrechung geärgert, diesmal jedoch war sie froh darüber. Alex, der flüssiger Polnisch sprach als Anya selbst, begrüßte sie und bestellte eine Flasche Zywiec.

Nicht zum ersten Mal beneidete sie ihren jüngeren Begleiter um sein fotografisches Gedächtnis. Sie selbst konnte sich wichtige Informationen zwar einprägen und hatte im Laufe ihrer langen Karriere mehrere Sprachen gelernt, aber es kostete sie große Anstrengung und geistige Disziplin. Alex hingegen gelang das alles ganz nebenbei. Offenbar hatte er sich dieses Talent auch in seinem neuen Leben zunutze gemacht.

Die Bedienung kehrte kurz darauf mit einem Bier für Alex und einem Mineralwasser für Anya zurück, denn Anya war zum Reden hier und nicht, um sich zu betrinken. Alex schien von ihrer Wahl jedoch nicht besonders beeindruckt.

»Das wenigste, was du für mich tun könntest, ist, einen anständigen Drink mit mir zu nehmen«, bemerkte er, setzte die Flasche an und leerte die Hälfte des Inhalts in einem einzigen Zug.

Anya betrachtete ihn missbilligend. »Bist du bereit, mir zuzuhören, oder planst du gerade, heute Abend selber einen … ›Junggesellenabschied‹ zu feiern?«

Dies schien ihn zu amüsieren. Er lachte schnaubend. »Wohl kaum, jedenfalls solange du mir keinen Heiratsantrag machst. Ich habe nur das Gefühl, dass mir nicht gefallen wird, was du mich gleich fragst.« Als er merkte, dass sein Scherz ins Leere gegangen war, stellte er die Bierflasche auf den Tisch und beugte sich vor. »Okay, Anya. Spuck schon aus, weswegen du hergekommen bist.«

»Ich brauche deine Hilfe, um jemanden zu finden. Diese Person wird sorgfältig geschützt und versteckt gehalten, sodass meine üblichen Kontakte diesen Auftrag nicht erledigen können. Aber wie wir beide wissen, hast du gewisse … Fähigkeiten, die in diesem Fall sehr nützlich sein könnten.«

Alex war schon ein talentierter Computerhacker gewesen, als sie ihn das erste Mal traf. Viele Jahre Programmiererfahrung hatten es ihm möglich gemacht, sich in das sichere Netzwerk der CIA zu hacken und eine höchst geheime Computerdatei, ein verschlüsseltes Verzeichnis namens Black List, für sie zu besorgen. Diese Operation hätte sie beide fast das Leben gekostet, dennoch stand sein Talent außer Zweifel.

»Wie rührend, jetzt fühle ich mich wie Liam Neeson, nur jünger und besser aussehend«, bemerkte er sarkastisch. »Du willst also, dass ich die digitalen Spuren dieser mysteriösen Person verfolge. Und warum? In welchen Schlamassel bist du denn diesmal hineingeraten?«

Anya nippte an ihrem Mineralwasser. »Es ist besser, wenn du das nicht weißt.«

»Oh nein, das sehe ich anders«, konterte er. »Letztes Jahr bin ich in diesen Schwachsinn mit der Black List hineingezogen worden, ohne überhaupt zu wissen, worauf ich mich einließ oder warum gewisse Leute mich umbringen wollten, darunter auch du selbst. Deshalb will ich dieses Mal genau wissen, was auf dem Spiel steht. Erst danach entscheide ich, ob ich dir helfe oder nicht.«

Anya schwieg ein paar Augenblicke und überlegte, wie viel sie ihm erzählen sollte. Es widerstrebte ihr grundsätzlich, Informationen weiterzugeben, die für einen Einsatz nicht unbedingt relevant waren, aber allmählich begann sie zu begreifen, dass diese Haltung das Gefühl von Vertrauen und Loyalität bei anderen Menschen nicht unbedingt förderte. Die Bedingung, die Alex soeben gestellt hatte, war der Beweis dafür. Ihn zur Zusammenarbeit zu zwingen, würde jedoch mehr Zeit kosten, als sie zur Verfügung hatte.

»Es geht um Marcus Cain«, sagte sie schließlich.

Das reichte, um Alex’ Stimmung zu verdüstern. »Das ist doch dieser Typ, der uns diese miesen verdeckten Agenten bis nach Istanbul hinterhergehetzt hat, um uns zu töten?«

Sie nickte. »Ein paar Leute und ich haben eine Operation vorgetäuscht, um ihn in Pakistan zu eliminieren. Leider ist es nicht so gelaufen, wie wir es erhofft hatten.«

Sie verlagerte ihr Gewicht auf dem Stuhl und biss die Zähne zusammen. Ein Irrläufer hatte sie auf der linken Seite ihrer Brust getroffen, dabei ihre schusssichere Weste durchschlagen und zwei Rippen gebrochen. Mithilfe von Medikamenten hatte sie den Schmerz in den letzten beiden Tagen zwar unter Kontrolle halten können, aber es war offensichtlich, dass die Verletzung Zeit brauchte, um richtig auszuheilen.

»Der Rest meiner Truppe wurde gefangen genommen«, erzählte sie weiter. »Ich bin die Einzige, die entkommen konnte.«

In diesem Augenblick schien Alex zu begreifen. »Dann willst du also, dass ich deine vermissten Freunde aufspüre?«

Anya schüttelte den Kopf. »Nein, denn sie tauchen mit Sicherheit im digitalen Netzwerk gar nicht auf. Und selbst wenn du sie finden könntest, wird Cain dafür gesorgt haben, dass sie rund um die Uhr bewacht werden. Er wird diesmal kein Risiko eingehen. Außerdem komme ich ohne Hilfe sowieso nicht an sie heran.«

Alex runzelte verdutzt die Stirn. »Und wen soll ich für dich aufspüren?«

Anya erzählte ihm alles. Alles, was sie über ihre Zielperson wusste, warum diese so wichtig war und was sie vorhatte, wenn sie sie erst einmal in die Finger bekam.

Obwohl normalerweise nicht um Worte verlegen, schwieg Alex, als sie mit ihrer Geschichte fertig war. Sie betrachtete ihn, wie er das Bier an die Lippen setzte, den Rest der Flasche leerte und sie bedächtig auf den Tisch zurückstellte. Als die Bedienung bemerkte, dass er nichts mehr zu trinken hatte, kam sie herüber und fragte, ob er ein neues Bier wolle, doch er schickte sie mit einer Handbewegung weg.

»Mein Gott«, sagte er schließlich. »Also, ich kann durchaus verstehen, dass man Cain hinterherjagt. Aber das hier …«

»Dies ist die Welt, in der wir leben, Alex«, warf Anya ein, denn ihre Schmerzen und die Dringlichkeit ihres Anliegens machten es ihr schwer, Geduld aufzubringen. Jede Minute, die verstrich, erhöhte das Risiko, dass Drake oder einer der anderen einknickte. »Er würde das Gleiche tun, wenn die Situation umgekehrt wäre.«

»Und was sagt das über euch beide aus?«

Anya spürte, wie sich ihre Kehle zusammenzog – nicht nur aufgrund dessen, was er gesagt hatte, sondern wegen des Blickes, mit dem er sie betrachtete. Es fühlte sich so an, als wäre sie irgendwie in seiner Wertschätzung gesunken, als hätte sie einen Anteil ihres Lebens offenbart, den sie ihm lieber vorenthalten hätte. Aber so war es eben.

Wie sie gerade gesagt hatte: Dies war die Welt, in der sie lebten.

»Ich bin nicht stolz darauf«, versicherte sie ihm.

»Das sagtest du schon.«

»Aber es geht hier um Menschenleben, und ich habe keine andere Wahl«, drängte sie weiter. »Gute Menschen haben ihr Leben riskiert, um mir zu helfen.«

»Davon scheint es eine Menge zu geben.«

Es kostete sie einige Mühe, diese bissige Bemerkung ebenso zu ignorieren, wie sie den Schmerz zwischen ihren Rippen wegschob. »Und diese Menschen werden sterben, wenn wir nicht etwas dagegen unternehmen.«

»Tut mir leid, wenn ich das sage, aber woher weißt du, dass sie nicht bereits tot sind?«

In diesem Moment konnte Anya ihren Schmerz und die wachsende Frustration nicht länger beherrschen. Sie schlug mit der Faust auf den Tisch, sodass die leere Flasche wackelte. Alex fuhr erschrocken zurück. Die lebhaften Unterhaltungen um sie herum verstummten abrupt, mehrere Gäste warfen ihnen neugierige oder ängstliche Blicke zu und schienen zu warten, was als Nächstes passierte.

Anya sagte nichts mehr. Sie hatte damit gerechnet, dass ihre Bitte um Hilfe auf eisigen Widerstand stoßen würde, dennoch gab es Grenzen, die sie nicht überschreiten mochte.

»Ich wollte dich nicht verletzen«, murmelte er, denn er hatte verstanden, dass er zu weit gegangen war.

Nachdem klar wurde, dass der Streit nicht weiter eskalierte, nahmen die Gäste in der Bar ihre Unterhaltungen wieder auf und Anya fühlte sich sicher genug, um weiterzusprechen.

»Cain wird sie vorerst am Leben erhalten, denn er glaubt, sie könnten ihn zu mir führen«, erklärte sie und hoffte inständig, dass dies die Wahrheit war. »Doch auch wenn dir ihre Leben nichts bedeuten – nimm es doch einfach als Chance, den Mann zu erledigen, der dich zu einem gesuchten Kriminellen gemacht hat.«

»Um genau zu sein war das nicht er, sondern du.«

Anya seufzte, denn sie wusste, dass er alles zurückweisen würde, was sie zu ihrer Verteidigung vorbrachte. »Ich schaffe das nicht ohne dich, Alex«, sagte sie. Wahrscheinlich war es am besten, einfach ehrlich zu ihm zu sein. Sie beugte sich vor und offenbarte ihm zumindest einen Teil der Angst und des Schuldgefühls, die sie belasteten, seit sie aus Pakistan abgereist war. »Ich bitte dich um Hilfe, weil es niemand anderen gibt, an den ich mich wenden könnte. Bitte.«

Alex senkte den Blick und sagte nichts, aber sie spürte, dass ihre Worte einen Nerv getroffen hatten. Blieb die Frage, ob es ausreichte, ihn umzustimmen.

Als er wieder hochblickte, war sein Ausdruck selbst für Anya schwer zu deuten. Ihre Anspannung stieg erneut.

»In Ordnung«, willigte er ein. »Ich brauche aber so viele Informationen wie möglich über sie.«

Das wird nicht viel Zeit in Anspruch nehmen, sagte sich Anya. Die meisten Informationen, die sie hatte, lagen mehr als fünfzehn Jahre zurück. Alles andere waren lediglich Annahmen und Vermutungen.

»Die bekommst du.«

»Und du garantierst mir, dass wir ihr nicht schaden werden.«

Dies wiederum war nicht so einfach, wenn man bedachte, was sie vorhatte. »Ich kann dir versprechen, dass ich keine Absicht habe, ihr zu schaden«, sagte sie, was zumindest eine Art Kompromiss darstellte.

Das reichte ihm. Alex nickte, erhob sich vom Stuhl und griff nach seinem Mantel. »Na, dann sollten wir am besten gleich loslegen. Ich nehme an, du hattest nicht vor, bis morgen zu warten.« Er schenkte ihr ein ironisches Lächeln. »Sieht ganz so aus, als ob du meine Wohnung nun doch noch sehen wirst – aber nur, wenn du mir versprichst, sie nicht zu verwüsten.«

Anya bezweifelte, dass dieses Entgegenkommen eine so große Ehre sein würde, wie er vorgab. Aber immerhin hatte er zugestimmt, ihr zu helfen.

Sie stand auf und atmete tief aus, was von stechenden Schmerzen zwischen ihren Rippen belohnt wurde. Alex bemerkte es und machte einen Schritt auf sie zu. »Bist du okay?«

»Alles in Ordnung«, erwiderte sie kopfschüttelnd. »Lass uns einfach mit der Arbeit loslegen.«

Es würde schon schwer genug werden, Marcus Cains Tochter zu finden, ganz zu schweigen davon, sie zu entführen und als Geisel zu nehmen. Wenn es dann aber dazu kam, ihr Leben im Tausch für Drake und die anderen aufs Spiel zu setzen … nun, an diesen Teil des Handels wollte sie erst denken, wenn sie so weit waren.

Jetzt ging es erst einmal nur darum, den ersten Schritt zu machen. Das genügte völlig.

3

Drake lag im Sterben. Er kannte die Symptome von Unterkühlung genau, und irgendein Winkel seines benommenen Verstandes gab ihm zu verstehen, dass sie bereits eingesetzt hatte. Seine Bewegungen wurden schwerfällig, sein Herz- und Atemrhythmus verlangsamten sich, seine Konzentration nahm ab. Wäre es in seiner Zelle nicht stockfinster gewesen, hätte er wohl auch feststellen können, dass sein Sehvermögen sich trübte, während er allmählich das Bewusstsein verlor.

Seine Sinne vernebelten sich, und er geriet in einen traumartigen Zustand, in dem Erinnerungen und Gedanken mit der Welt um ihn herum verschwammen – Bilder von bereits verlorenen Kämpfen und Kameraden, die nicht mehr am Leben waren.

Mal befand er sich hier in seiner eiskalten Zelle, dann wieder stürmte er den Konferenzraum eines sicheren Verstecks in Pakistan, wo er seinen gefährlichsten Feind zu überrumpeln hoffte, stattdessen aber um sein eigenes Leben kämpfen musste. Kurz darauf sah er sich selbst verletzt und wütend nach einem gescheiterten Versuch vom Ort des Geschehens fliehen, dann fand eine ohrenbetäubende Explosion statt, er fühlte sich unangenehm schwerelos, und sein Sichtfeld verengte sich, während Dunkelheit über ihn hereinbrach.

Drakes Augenlider wurden schwer, und sein erschöpfter Körper bettelte um Schlaf. Fast wollte er dem Drang nachgeben, und sein Verstand lockerte den eisernen Griff, mit dem er in den letzten beiden Tagen sein Bewusstsein zusammengehalten hatte.

Das Unvermeidliche akzeptieren.

Dann aber tauchte eine weitere Vision vor ihm auf. Er fand sich in einem schäbigen Keller wieder, an einen Stuhl gefesselt, und um ihn herum standen bewaffnete Feinde, die ihn dazu zwangen, eine Entscheidung zwischen den beiden Freunden zu fällen, die vor ihm gefesselt lagen. Entscheide dich, oder sie werden beide sterben. Er sah, wie eine Waffe gehoben wurde, sah den Blick der Akzeptanz in Masons Augen und fuhr heftig zusammen, als der laute Knall eines Schusses ertönte.

Drake fuhr hoch, als er keuchend vor Schock und Trauer ausatmete, aber sein Verstand arbeitete zumindest kurzzeitig wieder normal, während das schreckliche Bild vor seinen Augen verblasste.

Was er gehört hatte, war kein Schuss gewesen. Es war das Geräusch, das ertönte, wenn der Bolzen an seiner Zellentür entriegelt wurde.

Gleißendes Licht aus dem Vorraum drang in seine Zelle und blendete ihn. Da er keine Kraft zur Gegenwehr mehr aufbringen konnte, musste Drake tatenlos zusehen, wie sich die riesige Gestalt des Hünen über ihn beugte, die Plastikhandschellen packte, die noch immer seine Handgelenke umschlossen, und ihn auf die Füße zog. Jedenfalls hatte er das vorgehabt, nur war Drake nicht imstande zu gehen.

Also wurde er quer durch das Vorzimmer geschleift, und sein Körper hing so schlaff herab wie eine Stoffpuppe. Als sein Sehvermögen allmählich zurückkehrte, fiel sein Blick erneut auf den Fleischerhaken an der Decke, und er wappnete sich innerlich bereits gegen die Schmerzen, die es ihm bereitete, wenn sie ihn hochzogen und an den Haken hängten. Diesmal tat es jedoch weniger weh, was vielleicht der Unterkühlung geschuldet war, die die Blutzirkulation in seine Glieder verringert und sie gefühlloser gemacht hatte.

Wenigstens das war ein Vorteil.

Drake fokussierte, was von seinen Sinnen noch übrig war, und blickte sich um. Viel gab es allerdings nicht zu entdecken: dieselbe Beleuchtung aus den Glühbirnen an der Decke, derselbe gepflasterte Boden und dieselben dunklen Steinwände. Das einzig Neue war ein stabiler Holztisch fast in der Mitte des Raumes, genau ihm gegenüber. Er war et