Kommissar Platow, Band 10: Abrechnung in Bankfurt - Martin Olden - E-Book

Kommissar Platow, Band 10: Abrechnung in Bankfurt E-Book

Martin Olden

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Beschreibung

Frankfurt im Sommer 1977: Mein Partner Mike und ich standen vor der Leiche eines Mannes, der den Luxus geliebt hatte. Er lag in seiner Villa, eine Kugel im Herzen und eine Münze in der Hand. Hatte die Mafia ihre Rechnung beglichen? Während wir zwischen Banken und Bordellen ermittelten, explodierte der Terror der RAF vor unserer Haustür – und mich holten die Sünden der Vergangenheit ein … Alle Bände der Serie: Band 1 "Sieben Schüsse im Stadtwald", Band 2 "Das Grab am Kapellenberg", Band 3 "Endstation Hauptwache", Band 4 "Der Westend-Würger", Band 5 "Blutnacht im Brentanopark", Band 6 "Frau Wirtins letzter Gast", Band 7 "Geiselnahme in der Goethestraße", Band 8 "Der Rächer aus der Römerstadt", Band 9 "Geschändet am Frankfurter Kreuz", Band 10 "Abrechnung in Bankfurt", Band 11 "Die Sünderin vom Schaumainkai", Band 12 "Das Phantom aus dem Palmengarten", Band 13: "Zahltag auf der Zeil", Band 14 "Der Kerker im Kettenhofweg" und Band 15 "Letzte Ausfahrt Frankfurt-Süd"

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Seitenzahl: 140

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Die Kommissar Platow-Serie

Frankfurt, Mitte der 70er Jahre. Die Kriminalität boomt. Drogen. Terrorismus. Bandenkriege. Mittendrin: Kommissar Joachim „Joe“ Platow. Gemeinsam mit seinem Assistenten Mike Notto und Schutzhündin Abba kämpft er gegen das Verbrechen. Dabei wird Platow immer wieder von seinem persönlichsten Fall eingeholt – seine Ex-Verlobte Petra, die sich der RAF angeschlossen hat …

Band 10: Abrechnung in Bankfurt

Frankfurt im Sommer 1977: Mein Partner Mike und ich standen vor der Leiche eines Mannes, der den Luxus geliebt hatte. Er lag in seiner Villa, eine Kugel im Herzen und eine Münze in der Hand. Hatte die Mafia ihre Rechnung beglichen? Während wir zwischen Banken und Bordellen ermittelten, explodierte der Terror der RAF vor unserer Haustür – und mich holten die Sünden der Vergangenheit ein …

Der Autor

Martin Olden ist das Pseudonym des Journalisten und Kinderbuchautors Marc Rybicki. Er wurde 1975 in Frankfurt am Main geboren und studierte Philosophie und Amerikanistik an der Goethe-Universität. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Rybicki als Filmkritiker für das Feuilleton der „Frankfurter Neuen Presse“. Ebenso ist er als Werbe- und Hörbuchsprecher tätig.

Bei mainbook erscheint auch Martin Oldens Krimi-Reihe mit Kommissar Steiner: 1. Band: „Gekreuzigt“. 2. Band „Der 7. Patient“. 3.Band „Wo bist du?“. 4. Band „Böses Netz“. 5. Band „Mord am Mikro“. 6. Band „Die Rückkehr des Rippers“. 7. Band "Vergiftetes Land". Im Jahr 2013 veröffentlichte er zudem seinen ersten Thriller „Frankfurt Ripper“.

Weitere Titel von Marc Rybicki sind die Kinderbücher „Mach mich ganz“, „Wer hat den Wald gebaut?“, „Wo ist der Tannenbaum?“ und „Graue Pfote, Schwarze Feder“.

(Autorenwebsite: www.sonnige-sendung.de)

Copyright © 2017 mainbook Verlag, mainebook Gerd Fischer

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-946413-70-7

Lektorat: Gerd Fischer

Layout: Olaf Tischer

Bildrechte Cover: © fotolia/ Alexander Pokusay; Olaf Tischer

Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de oder

www.mainebook.de

Martin Olden

Kommissar Platow

Band 10:Abrechnung in Bankfurt

Krimi-Serie aus den 70er Jahren

Alle Fälle der „Kommissar Platow“-Serie basieren auf wahren Begebenheiten und tatsächlichen Fällen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

1

Freitag, 01. Juli 1977

Knochige Finger liebkosten den Lauf des 45er Colts. Ein seliges Lächeln lag auf dem Gesicht des weißhaarigen Mannes. Schwungvoll drehte er die Trommel in seiner Handfläche und erfreute sich an ihrem Schnarren. Es klang für ihn schöner als die Melodie von Silver Bird, die aus dem Kofferradio drang. In einer geübten Bewegung spannte er den Hahn. Das stählerne Klick-Geräusch jagte ihm einen Schauder der Erregung über den Rücken. Der „Peacemaker“ war ein herrliches Stück! Samuel Colt hatte ihn im Jahre 1872 für die US-Armee entwickelt, ehe der Sechsschüsser durch Western-Legenden wie Buffalo Bill zu Weltruhm gelangt war. Bei diesem Modell stimmte einfach alles. Stolze 1050 Gramm Gewicht, 19 Zentimeter Lauflänge, robuste Verarbeitung, angenehme Handlage. Karlheinz Mertens stieß einen wohligen Seufzer aus. Gab es etwas Edleres auf der Welt als einen perfekt konstruierten Revolver? Nein, abgesehen von einem ebenso vortrefflich hergestellten Gewehr. Schon als Knirps hatte er seine Holzflinte lieber mit Politur bearbeitet, statt albernen Kriegsspielen nachzugehen wie die Buben aus der Nachbarschaft. Ein paar Jahre später war aus den Spielen blutiger Ernst geworden. Doch selbst die Schrecknisse, die er auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs erleben musste, hatten seine Begeisterung für Waffen jeglichen Kalibers nicht in Stücke sprengen können. In den Wirtschaftswunderjahren war es ihm geglückt, eine Lizenz als Händler zu erwerben. Sein Waffengeschäft im Frankfurter Westend genoss einen ausgezeichneten Ruf in der gesamten Bundesrepublik. Bei Mertens kauften die Sicherheitsdienste großer Firmen und sogar das Bundeskriminalamt. Interessenten empfing er nur nach Voranmeldung. Der Verkäufer strich noch einmal über den kühlen Stahl des Army-Colts, legte das Prachtexemplar auf die Ladentheke und schaute auf seine Armbanduhr. Kurz vor 17 Uhr. Gleich würde der letzte Kunde des Tages eintreffen. Sein Sohn Christian, ein stämmiger Mann von dreißig Jahren, kam fröhlich pfeifend aus dem Nebenraum und schwenkte die BILD-Zeitung.

„Hast du`s gelesen, Vater? Die schreiben, dass die Rote Armee Fraktion atomare Sprengkörper besitzt.“

„Unsinn“, murmelte Mertens.

„Klar ist das Blödsinn, aber gut für uns.“

„Für uns? Weshalb?“

Mertens junior rief seinem alten Herrn die Ereignisse der vergangenen Monate ins Gedächtnis. Den Mord an Siegfried Buback, die Affäre um einen anonymen Autor mit dem Decknamen Mescalero, der in einer Göttinger Studentenzeitung seiner Freude über den Tod des Generalbundesanwalts Ausdruck verliehen hatte, sowie die nachfolgenden Ermittlungsverfahren gegen verdächtige Hochschullehrer. Die Besetzung der Peterskirche in Frankfurt durch fünfzig Demonstranten aus Protest gegen die Haftbedingungen der Terroristen. Und schließlich das Ende des StammheimProzesses. Der Kern der ersten RAF-Generation – Baader, Ensslin und Raspe – war wegen mehrfachen Mordes zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen verurteilt worden.

„Ist mir bekannt“, sagte Karlheinz Mertens. „Trotzdem begreife ich nicht, worauf du hinauswillst, mein Junge.“

„Ich bin doch im Volksbildungsheim gewesen, gegenüber dem Eschenheimer Turm, wo die Baader-Meinhof-Anwälte Schily und Croissant am Tag nach der Urteilsverkündung zu den versammelten Linken gesprochen haben. Croissant hat gebrüllt wie Goebbels im Sportpalast und die Menge richtig aufgehetzt. Ich schwöre dir, uns steht ein heißer Herbst bevor. Überall im Land ist die Stimmung angespannt wie vor einem Bürgerkrieg. An jeder Ecke könnte es knallen. Die BILD schürt die Ängste der Leute zusätzlich mit ihren Horror-Geschichten. Davon können wir profitieren. Was meinst du, wie sehr in nächster Zeit die Nachfrage nach Schreckschuss-Pistolen steigen wird, weil sich der brave Bürger auf der Straße schützen will? Wir müssen unser Angebot in dem Segment auf jeden Fall vergrößern.“

Karlheinz Mertens blickte ernst. „Schlimm, dass sich Menschen in diesem Land wieder fürchten. Daraus Kapital zu schlagen, halte ich für moralisch verwerflich. Waffen gehören nicht in die Hände von Personen, die sich unsicher fühlen.“

„Mit Verlaub, Vater, deine Moralvorstellungen sind genauso altmodisch wie die Anzüge, die du trägst. Hast du dich in letzter Zeit mal in dem Laden umgesehen?“ Christians ausgebreitete Arme wiesen auf die Regale und Vitrinen, von denen die beiden Männer umgeben waren. „Wir verkaufen keine Bibeln, sondern Schießeisen! An Typen, die sich dadurch vorkommen als seien sie John Wayne! Also, ich hab nichts dagegen – solange sie zahlen! Weißt du, wie viele meiner Freunde mich schon angesprochen haben, ob ich ihnen nicht eine Knarre besorgen kann, ohne dass sie einen Waffenschein auf den Tisch legen müssen? Mann, welchen Profit wir aus diesen Möchtegern-Cowboys rausholen könnten – steuerfrei!“

„Zunächst einmal ist der Begriff Schießeisen nicht die treffende Bezeichnung für unsere Ware“, begann Mertens ruhig, wurde aber sofort von seinem Sohn unterbrochen.

„Mach dir doch nichts vor! Du kennst den Spitznamen unserer Branche. Sie nennen uns Händler des Todes.“

„So?“ Zwischen Mertens` Eulenaugen erschien eine wütende Falte. „Nun, das mag auf manches schwarze Schaf in unserem Berufszweig zutreffen. Auf mich sicherlich nicht. Ich mache weder Geschäfte mit Schießwütigen noch mit Kriminellen. Meine Käufer sind rechtschaffene Menschen. Sie werden von mir geprüft, nicht allein hinsichtlich ihrer Liquidität. Auch ihr Charakter muss sie zum Besitz einer Waffe befähigen. Der Name Mertens steht seit fünfundzwanzig Jahren für Seriosität – so hat es zu bleiben.“ Seine Stimme wurde schneidend. Er richtete seinen gertenschlanken Körper zu voller Größe auf. „Solltest du anderer Ansicht sein, werter Herr Sohn, werde ich meine Entscheidung überdenken, das Geschäft nach meinem Rückzug in deine Hände zu geben. Haben wir uns verstanden?“

Christian Mertens nickte ergeben. „Du wirst dich sowieso nie zurückziehen“, nuschelte er und zupfte an seinem Kinnbart. Eine Geste der Verlegenheit. „War`s das? Dann mach ich mich auf die Socken. Bin mit Betty im Palmengarten verabredet. Mit der Reparatur der Büchse von Herrn Süß bin ich fast fertig, den Rest erledige ich morgen.“

„Nein, deine Betty wird warten müssen“, sagte der Weißhaarige streng. „Ich möchte, dass du die Ausbesserungen heute beendest. Herr Süß hat sich für morgen früh 9 Uhr angekündigt und erwartet pünktliche Lieferung. Ich habe gleich noch einen Termin. Danach können wir gemeinsam aufbrechen.“ Seine Anweisung duldete keinen Widerspruch. Christian trollte sich in die Werkstatt.

Kurz darauf klopfte es an der verschlossenen Ladentür. Ein schnauzbärtiger Mann in einem dunklen Anzug bat um Einlass. In der Hand trug er einen Aktenkoffer. Bei seinem letzten Besuch hatte er sich als Doktor Vornhoff, Sicherheitsbeauftragter der Dresdner Bank, vorgestellt. Mertens senior begrüßte ihn herzlich.

„Herr Doktor, schön Sie wiederzusehen. Ich habe das gute Stück schon für Sie bereit gelegt.“

„Wunderbar! Auf Sie ist Verlass.“

Mertens wollte den Käufer zur Theke führen, um ihm den bestellten Army-Colt zu präsentieren, als es erneut an der Tür klopfte.

„Oh, das ist ein Kollege von mir“, sagte Vornhoff. „Ich habe ihm so sehr von Ihrem Geschäft vorgeschwärmt, dass er selbst einen Blick hinein werfen möchte. Geht das in Ordnung?“

Mertens nickte wohlwollend und ließ den zweiten Mann ein, der als Vornhoffs Zwillingsbruder hätte durchgehen können, wäre nicht die große Pilotenbrille auf seiner Nase gewesen. Er stellte sich mit dem Namen Horneff vor und begann die Auslage zu bewundern.

„Prächtig, Sie führen auch Flinten! Vielleicht finden wir etwas, womit wir unseren Vorstandsvorsitzenden, Herrn Ponto, überraschen können. Er ist passionierter Jäger, wissen Sie“, fügte Horneff hinzu.

„Gerne. Was wir nicht vorrätig haben, kann ich bestellen“, sagte der Waffenhändler. An der Wand hinter der Kasse ratterte der Fernschreiber, den er für 1000 Mark von der israelischen Fluglinie El Al gekauft hatte. Mertens drehte den Männern den Rücken zu, um rasch das Telex zu überfliegen. Zwei Sekunden später spürte er einen rasenden Schmerz. Wie ein Blitz breitete sich das Brennen von der Schädeldecke bis in die Fußspitzen aus. Ein Schwindelgefühl setzte ein. Seine Beine versagten den Dienst, knickten unter ihm weg. Mertens stürzte auf die Knie. Übelkeit überfiel ihn. Er japste nach Sauerstoff, unfähig zu begreifen, was plötzlich mit ihm geschah. Ein Schlaganfall? Ein Infarkt? Aus den Augenwinkeln sah er, dass sich Vornhoffs verschwommene Gestalt über ihn beugte. Der Doktor hielt einen klobigen Gegenstand in der Faust. Was war das? Mertens blinzelte. Ein Hammer?!? Unmöglich! Da traf ein zweiter Schlag seinen Hinterkopf. Blut quoll ihm aus den Ohren, rann über die Wangen bis in den halb geöffneten Mund. Er wollte um Hilfe schreien, seinen Sohn herbei rufen. Aber aus seiner Kehle drang nichts als ein erstickter Laut. Vornhoff holte ein drittes Mal mit dem Hammer aus. Karlheinz Mertens taumelte in einen schwarzen Tunnel …

2

Zur gleichen Zeit im Taunus

Bei strahlend schönem Wetter wanderte ich über einen Waldpfad in Glashütten. Neben mir ging mein Chef Hans Söhnlein, genannt Mister Brillant. Wir hatten unsere Anzüge und Krawatten gegen Kniebundhosen und kurzärmelige Hemden getauscht. Beim heiteren Beruferaten wäre niemandem eingefallen, dass wir Beamte der Kriminalpolizei waren. Sein Boxer Aguirre und meine Hovawart-Hündin Abba liefen ein Stück voraus. Die beiden spielten Fangen. Ich betrachtete den Stamm einer majestätischen Tanne und zog versonnen an einer Pfeife der irischen Marke Peterson, einem leichten Modell mit rundem Kopf und langem Fishtailmundstück. Mister Brillant schob seinen Hut in den Nacken. Die tiefblauen Augen glänzten.

„Es geht doch nichts über einen freien Tag in der Natur, was Joe? Weitab vom Mief der Großstadt und ihren hässlichen Banktürmen. Die frische Luft genießen, einfach unbeschwert sein.“

Ich bemühte mich um ein pflichtschuldiges Lächeln. Er sollte nicht sehen, welche Sorgen mich drückten. Unbeschwert war ich gewiss nicht. Ich wurde erpresst. BKA-Fahnder Seewald hatte meine Wohnung abgehört und ein Tonband zusammengeschnitten von einem geheimen Treffen zwischen mir und meiner ehemaligen Verlobten, der Anarchistin Petra Helm. Falls ich ihm nicht einen Gefallen erwies, würde er die kompromittierende Aufnahme an die Presse geben. Meine Laufbahn und mein Leben wären ruiniert. Über den Zeitpunkt und die Art der Gefälligkeit schwieg sich Seewald bislang aus. Egal worum es sich handelte, der Gedanke, diesem Geier etwas schuldig zu sein, löste in mir Brechreiz aus. Über die Angelegenheit hatte ich weder mit Söhnlein noch mit meinem Partner Mike Notto gesprochen. Ich kannte die beiden. Sie würden versuchen, mir auf irgendeine Weise zu helfen und ich wollte meine Freunde aus dieser ekelhaften Geschichte heraushalten.

„Wenn es meine Zeit erlauben würde“, hob Mister Brillant an, „könnte ich jeden Tag unter einem Baum sitzen, mir die Sonne aufs Hirn brennen lassen und an rein gar nichts denken.“

„Geht mir ebenso.“

„Wirklich?“ Er musterte mich von der Seite. „Machen Sie mir nichts vor, mein Lieber! Seit wir heute Vormittag aufgebrochen sind, haben Sie ununterbrochen an etwas gedacht … oder besser gesagt an jemanden. Ich weiß genau, wer Ihnen im Kopf herum spukt. Petra Helm.“

Ich fühlte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Denn ich verbarg ein Geheimnis, das Petra betraf und mein Gewissen belastete. Vor drei Monaten hatte ich meiner Jugendliebe den Ausstieg aus der Baader-Meinhof-Bande und die Flucht in die DDR ermöglicht. Niemand wusste davon, nicht einmal meine Eltern. Sollte es herauskommen, drohte mir eine Gefängnisstrafe. An manchen Tagen zweifelte ich an meiner Entscheidung. Es wäre meine Pflicht gewesen, Petra festzunehmen, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Ich schimpfte mich einen liebestollen Trottel, der seinen Hals für eine Verbrecherin riskierte, beteiligt an abscheulichen Taten wie der Geiselnahme in Stockholm. Auf der anderen Seite hatte sie mir gegenüber Reue gezeigt und den Fanatikern abgeschworen. Im Gefängnis wäre Petra von der RAF fertiggemacht worden als Vergeltung für den Verrat. Hätte ich sie dazu verdammen sollen? Verdiente nicht jeder Mensch eine zweite Chance? Meine Mutter, die gläubige Christin, würde mein Handeln vielleicht verstehen. Söhnlein ging zwar ebenfalls regelmäßig in die Kirche, doch im Zweifelsfall siegte bei ihm der Verstand des Kriminalers über das Herz des Katholiken. Bei mir war es umgekehrt.

„Ich versuche mich damit abzufinden, dass ich Petra womöglich nie wiedersehen werde. Aber ich kann nicht aufhören, an sie zu denken. Ist das falsch?“

„Als Oberkommissar ist es vollkommen inakzeptabel Gefühle für eine Frau zu haben, die auf Polizisten geschossen hat.“ Mein Chef zog eine Atika-Packung aus der Brusttasche und zündete sich eine Zigarette an. „Glücklicherweise besteht unser Leben nicht nur aus Dienstvorschriften, Joe. Solange Sie damit nicht hausieren gehen, dürfen Sie so oft und so lange an diese Dame denken, wie Sie möchten.“ Sein Seemannsgesicht strahlte Gutmütigkeit aus. „Der Himmel weiß, wie ich mich in Ihrer Situation verhalten würde. Sie beide haben glückliche Jahre miteinander verbracht. Die kann man nicht einfach wegwischen. Wer das von Ihnen verlangt, ist ein Narr – oder hat selbst nie geliebt. Petra Helm ist Ihre erste Liebe gewesen, der immer ein besonderer Zauber innewohnt. Natürlich möchten Sie nicht, dass ihr etwas zustößt und sorgen sich, wenn Sie von wilden Schießereien hören wie bei der Verhaftung von Sonnenberg.“

Der mutmaßliche Buback-Attentäter Günter Sonnenberg und seine Komplizin Verena Becker waren am 3. Mai in der Nähe von Singen im Schwarzwald aufgegriffen worden. Bei der anschließenden Verfolgungsjagd bekam Sonnenberg eine Kugel in den Hinterkopf. Zuvor hatte er ein komplettes Magazin auf den wehrlos am Boden liegenden Polizisten Wolfgang Seliger abgefeuert.

„Gott sei Dank ist der Kollege durchgekommen“, meinte Söhnlein.

„Bin froh, dass beide überlebt haben. Seliger und Sonnenberg. Ironischerweise auf der gleichen Intensivstation. Für mich ist ein Menschenleben nicht weniger wert als das andere, bloß weil es sich dabei um einen Täter handelt.“

Mister Brillant klopfte mir auf die Schulter. „Dazu sage ich Amen. Leider fürchte ich, dass wir zwei Gebetsschwestern mit unserer Einstellung bald alleine stehen. Je häufiger die Anarchisten zuschlagen, desto lauter werden die Rufe nach der härtest möglichen Strafe.“

Schweigend spazierten wir weiter und gelangten an den Glashüttener Hof. Mit dem Gasthaus verband ich ein Kindheitserlebnis, von dem ich meinem Wanderkameraden erzählte. Am Tag des Fußball-WM-Endspiels 1954 hatte mein Vater seinen VW-Käfer vor dem Glashüttener Hof geparkt, das Autoradio aufgedreht und die Türen geöffnet, sodass alle Leute die Übertragung mithören konnten. Nie werde ich die Menschentraube um unseren Wagen vergessen und den gemeinsamen Jubel über das Wunder von Bern.

„Erinnerungen sind unsere persönliche Schatztruhe“, schmunzelte Hans Söhnlein. „Ich gebe Ihnen den guten Rat, Petra Helm darin zu verwahren und sich auf das Leben in der Gegenwart zu konzentrieren. Wie geht es Fräulein Shimada?“

Ich grinste. Die Frage nach meiner japanischen KumpelFreundin hatte ich erwartet. Jeder, der es gut mir meinte, wünschte sich, dass aus Fujiko und mir ein Paar würde.

„Es geht ihr sehr gut, danke. Wir gehen heute Abend auf das Palmengartenfest. Was allerdings die Zukunft anbelangt … Fujiko hat ehrgeizige Pläne. Sie hat wieder den Wunsch geäußert, als Dolmetscherin in einem Wirtschaftsunternehmen zu arbeiten, am liebsten im Ausland. Was in dem Fall aus uns werden wird, weiß ich nicht. Meine Heimat ist Frankfurt, hier bin ich geboren und aufgewachsen. Mir ist klar, die Stadt genießt nicht den besten Ruf. Moloch am Main. Bankfurt. Gestankfurt. Hauptstadt des Verbrechens. Doch ich kriege Herzklopfen, wenn ich den Main sehe, das Sachsenhäuser Ufer, die Hinterhöfe in Bornheim, wo ich als Kind gespielt habe, die weiten Felder in Hausen, das Waldstadion. Ja, bei Nacht liebe ich sogar die Kulisse der hässlichen Banktürme, die Sie vorhin erwähnt haben. Ich könnte niemals woanders leben.“