Kommissar Platow, Band 11: Die Sünderin vom Schaumainkai - Martin Olden - E-Book

Kommissar Platow, Band 11: Die Sünderin vom Schaumainkai E-Book

Martin Olden

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Beschreibung

September 1977: Glücksspiel und Männer waren die Leidenschaften der schönen Ulrike. Bis die Nymphomanin einem perversen Sex-Mord zum Opfer fiel. Die Suche nach dem Täter wurde von einer Katastrophe überschattet. Die RAF hatte Hanns Martin Schleyer entführt. Ich kannte die Frau, die ihn bewachte. Verzweifelt versuchte ich, sie von ihrem Wahn abzubringen ... Alle Bände der Serie: Band 1 "Sieben Schüsse im Stadtwald", Band 2 "Das Grab am Kapellenberg", Band 3 "Endstation Hauptwache", Band 4 "Der Westend-Würger", Band 5 "Blutnacht im Brentanopark", Band 6 "Frau Wirtins letzter Gast", Band 7 "Geiselnahme in der Goethestraße", Band 8 "Der Rächer aus der Römerstadt", Band 9 "Geschändet am Frankfurter Kreuz", Band 10 "Abrechnung in Bankfurt", Band 11 "Die Sünderin vom Schaumainkai", Band 12 "Das Phantom aus dem Palmengarten", Band 13: "Zahltag auf der Zeil", Band 14 "Der Kerker im Kettenhofweg" und Band 15 "Letzte Ausfahrt Frankfurt-Süd"

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Die Kommissar Platow-Serie

Frankfurt, Mitte der 70er Jahre. Die Kriminalität boomt. Drogen. Terrorismus. Bandenkriege. Mittendrin: Kommissar Joachim „Joe“ Platow. Gemeinsam mit seinem Assistenten Mike Notto und Schutzhündin Abba kämpft er gegen das Verbrechen. Dabei wird Platow immer wieder von seinem persönlichsten Fall eingeholt – seine Ex-Verlobte Petra, die sich der RAF angeschlossen hat …

Band 11: Die Sünderin vom Schaumainkai

September 1977: Glücksspiel und Männer waren die Leidenschaften der schönen Ulrike. Bis die Nymphomanin einem perversen Sex-Mord zum Opfer fiel. Die Suche nach dem Täter wurde von einer Katastrophe überschattet. Die RAF hatte Hanns Martin Schleyer entführt. Ich kannte die Frau, die ihn bewachte. Verzweifelt versuchte ich, sie von ihrem Wahn abzubringen …

Der Autor

Martin Olden ist das Pseudonym des Journalisten und Kinderbuchautors Marc Rybicki. Er wurde 1975 in Frankfurt am Main geboren und studierte Philosophie und Amerikanistik an der Goethe-Universität. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Rybicki als Filmkritiker für das Feuilleton der „Frankfurter Neuen Presse“. Ebenso ist er als Werbe- und Hörbuchsprecher tätig.

Bei mainbook erscheint auch Martin Oldens Krimi-Reihe mit Kommissar Steiner: 1. Band: „Gekreuzigt“. 2. Band „Der 7. Patient“. 3.Band „Wo bist du?“. 4. Band „Böses Netz“. 5. Band „Mord am Mikro“. 6. Band „Die Rückkehr des Rippers“. 7. Band "Vergiftetes Land". Im Jahr 2013 veröffentlichte er zudem seinen ersten Thriller „Frankfurt Ripper“.

Weitere Titel von Marc Rybicki sind die Kinderbücher „Mach mich ganz“, „Wer hat den Wald gebaut?“, „Wo ist der Tannenbaum?“ und „Graue Pfote, Schwarze Feder“.

(Autorenwebsite: www.sonnige-sendung.de)

Copyright © 2017 mainbook Verlag, mainebook Gerd FischerAlle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-946413-75-2

Lektorat: Gerd Fischer

Layout: Olaf Tischer

Bildrechte Cover: © Olaf Tischer

Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de oderwww.mainebook.de

Martin Olden

Kommissar Platow

Band 11:Die Sünderin vom Schaumainkai

Krimi-Serie aus den 70er Jahren

Alle Fälle der „Kommissar Platow“-Serie basieren auf wahren Begebenheiten und tatsächlichen Fällen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

1

Donnerstag, 25. August 1977

Die Schönheit war nackt. Ein Schrei lag auf ihren Lippen. Die Augen hielt sie geschlossen, während weißer Schaum auf ihre Brüste spritzte. Dem Genuss verfallen saß die Frau in der Brandung des Meeres und ließ sich von seiner Gischt umtosen. Sie bemerkte die beiden Männer nicht, die hinter einer Palme hervorlugten – mit Blicken voller Gier.

„Nun, wie gefällt ihnen die Szenerie?“, fragte der Kunstmaler Theodor Kies. Das Ölgemälde der Badenixe hing in seiner Karlsruher Wohnung, die dem Weißhaarigen auch als Atelier diente. Gespannt wartete er auf die Antwort der potenziellen Käufer. Das Ehepaar Ellwanger war eigens aus Bad Bergzabern an der südlichen Weinstraße angereist, um ein Bild für ihren Bungalow zu erwerben. Theo Kies schätzte das Alter der Besucher auf Ende zwanzig, Anfang dreißig. In diesen schnelllebigen Zeiten, da mit Sofortbildkameras jedes Motiv zu Tode geknipst wurde, freute es ihn, wenn sich junge Menschen für wahre Kunst interessierten. Zudem ließ ihr gepflegtes Äußeres auf Finanzkraft schließen. Frau Ellwanger trug ein Chanel-Kostüm, ihr Mann einen dunklen Anzug. Was er beruflich machte, wusste Kies nicht, aber sein Erscheinungsbild entsprach dem eines Bankangestellten.

Herr Ellwanger legte den Kopf schief und beäugte das gerahmte Bild.

„Sieht aus wie die Reklame für Atlantik Seife.“

Kies holte tief Luft. Hatte es dieser Jungspund allen Ernstes gewagt, sein Werk mit einer Seifenreklame zu vergleichen? Er überspielte die Kränkung, indem er die Mundwinkel unter dem Schnurrbart zur Imitation eines Lächelns verzog. Frau Ellwanger sprach laut aus, was ihm durch den Kopf ging.

„Banause!“, schimpfte sie ihren Gatten. „Verzeihen Sie seine Unwissenheit, Herr Kies. Mein Mann erkennt nicht, dass Ihr Gemälde eine moderne Variante der biblischen Erzählung Susanna im Bade ist, stilistisch angelehnt an den Akt von Tintoretto aus der Zeit um 1555. Im Zentrum steht eine Frau, deren gottgegebener Körper durch Blicke vergewaltigt wird. Der Betrachter des Bildes fühlt sich von der Lüsternheit der Spanner abgestoßen, sieht in ihnen aber gleichzeitig seine eigenen voyeuristischen Triebe gespiegelt. Ich nehme an, Sie möchten damit die Schaulust unserer Gesellschaft kritisieren?“

„In der Tat, gnädige Frau!“, strahlte Kies. „Ihre Interpretation ist wunderbar! Wenn Sie mich fragen, leben wir in einer schändlichen Epoche, in der Kunst weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird als Peep-Shows und Schmuddelfilmen.“ Er lachte Frau Ellwanger an. Eine bemerkenswerte Dame, die Sachverstand und Schönheit vereinte. Ihr ebenholzfarbenes Haar war in der Mitte gescheitelt, die Augen leuchteten meeresblau. Wäre er ein paar Jahre jünger und nicht so glücklich verheiratet, hätte er ihr den Hof gemacht – ihrem stumpfsinnigen Mann zum Trotz. Gertrud Kies, seit beinahe fünfzig Jahren Theos Ehefrau, kam mit frisch gekochtem Kaffee aus der Küche und bat die Gäste ins Wohnzimmer.

„Haben Sie sich inzwischen für ein Bild entschieden?“, fragte sie.

„Meine Frau hätte am liebsten `n Porträt von Elvis“, grinste Ellwanger. „Fährt total auf den King ab. Hat seinen Star-Schnitt damals aus der Bravo ausgeschnitten und übers Bett gehängt.“

„Bedaure, nicht meine Stilrichtung“, sagte Kies, „obwohl mir der Name Elvis Presley selbstverständlich ein Begriff ist. Er ist vor Kurzem verstorben, richtig?“

„Ja, am 16. August“, antwortete Frau Ellwanger. „Ein trauriger Tag.“ Sie sah aus dem Fenster auf die Blumenstraße in Karlsruhe. Gegenüber lag das Gebäude der Bundesanwaltschaft. „Zweiundvierzig ist kein Alter zum Sterben. Wie sagt man? Nur die Besten sterben jung.“

Ihr Mann schnaubte verächtlich. „Ich vermisse ihn nicht. Elvis ist ein Markenprodukt des amerikanischen Imperialismus gewesen, wie Coca-Cola und Micky Maus.“

„Du redest heute einen Unsinn daher!“, rief sie. „Hast du In the Ghetto vergessen? Den Song hat er `69 herausgebracht und darin glasklar die sozialen Missstände in den USA angeprangert!“

„Jetzt stilisiere ihn nicht zum zweiten Bob Dylan! Elvis war ein Schnulzenheini mit ordinärem Hüftschwung, sonst nix!“

Bemüht, die Wogen zwischen dem streitenden Paar zu glätten, meldete sich Gertrud Kies zu Wort. „Mir hat seine Musik sehr gut gefallen.“

„Wirklich?“, fragte Frau Ellwanger.

„Erstaunt Sie das?“ Die graublonde Dame lachte. „Ich bin zwar schon vierundsiebzig, aber nicht von gestern.“

„Gut.“ Frau Ellwanger nickte. „Dann werden Sie uns verstehen.“ Sie griff in ihre Handtasche. Im nächsten Moment glänzte eine Beretta in der Faust der angeblichen Frau Ellwanger, die in Wahrheit Petra Helm hieß. Auch ihr Begleiter zückte eine Pistole und richtete die Mündung auf das schreckensbleiche Künstlerpaar.

„Unser Geld ist … im Schrank … in der Küche“, stammelte Gertrud Kies mit erhobenen Händen.

„Wir wollen ihr Geld nicht“, sagte Petra. „Das ist eine Aktion der RAF, die nicht gegen sie gerichtet ist, sondern gegen die Bundesanwaltschaft.“

„Mörderbande!“ Beherzt trat Theodor Kies einen Schritt auf die Terroristen zu. Der vermeintliche Herr Ellwanger schlug ihm mit der flachen Hand vor die Brust. Theodors Füße verloren die Bodenhaftung. Frau Kies schrie auf, als sie ihn rücklings auf das Parkett stürzen sah.

„Oh bitte, nein! Tun Sie ihm nichts! Er hat ein schwaches Herz!“

„Lass gut sein, Trudchen“, keuchte Kies und stützte sich mühsam auf die Ellenbogen. „Diese Teufel kennen kein Mitleid. Sie haben Buback ermordet und Ponto und …“

Ellwangers Finger lag auf dem Abzug. „Schnauze, Opa! Oder du kannst deinen Namen auch auf die Liste setzen!“

„Was soll das?“, raunte Petra. „Spiel hier nicht den Cowboy! Los, gib den anderen das Signal, dass wir soweit sind!“ Ihr Komplize gehorchte dem Befehlston. Zu Theo Kies sagte sie: „Keine Angst, ihnen beiden wird kein Haar gekrümmt. Uns wäre ein jüngeres Paar lieber gewesen, aber ihre Wohnung ist ideal für unsere Zwecke.“

Kurz darauf betrat eine Gruppe junger Männer und Frauen das Wohnzimmer, bepackt mit Taschen und Pampers-Kartons. Das Ehepaar Kies wurde an zwei Sessel gefesselt, Arme und Beine mittels Klebestreifen wie ein Paket verschnürt. Trotz Petras Versicherung, ihr Leben zu schonen, stand Todesangst in Gertruds Augen. Seit den Bombennächten des Krieges hatte sie nicht mehr solche Panik ergriffen. Ein schnauzbärtiger Anarchist, der von seinen Kampfgenossen „Charly“ genannt wurde, packte die Kisten aus. Vor dem Fenster begann er mit dem Aufbau einer merkwürdigen Apparatur. Sie bestand aus massiven Spanplatten, verschraubt zu einem vierfächerigen Gestell, das einem Weinregal ähnelte. Darauf brachte Charly eine Batterie abgesägter Wasserleitungsrohre an, zweiundvierzig an der Zahl. Die Bastelei verschlang Stunden. Charlys Kumpel, ein spindeldürrer Typ mit Decknamen „Dago“, verlor die Geduld. „Wie lange dauert`s noch, Mann?!? Brauchst du wieder `nen Schuss Dope damit`s schneller geht?“

„Lass mich in Ruhe!“, kam es von Charly. „Das Ding kann man nicht einfach in ein paar Minuten zusammenschrauben. Soll doch funktionieren, oder?“

Dago wandte sich an Herrn Kies. „Du heißt Theodor, stimmt`s? Genau wie Richter Prinzing. Die alte Sau hat Ulrike auf dem Gewissen. Aber mit dem werden wir auch noch abrechnen, verlass dich darauf.“

Bei Dagos Anblick bekam Gertrud Kies eine Gänsehaut. Das Feuer in seinen Augen erinnerte sie an den glühenden Wahn, mit dem sich ihr Bruder einst freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte. Petra Helm befahl Dago, sich nützlich zu machen und drückte ihm ein Plakat in die Hand. Die Aufschrift lautete: Nicht schießen! In der Wohnung ist nur das Ehepaar!

„Bring es am Schrank gegenüber der Eingangstür an!“

„Wozu?“, fragte Dago.

„Nach dem Anschlag werden die Bullen diese Bude durchsuchen und ich will vermeiden, dass sie um sich ballern und die alten Leutchen treffen, kapiert?“ Sie klang schroff wie ein Feldwebel auf dem Kasernenhof.

„Bitte, wenn du`s so haben willst, Frau General“, sagte Dago und trollte sich.

Petra sah auf ihre Armbanduhr. 15.20 Uhr. Sie lagen gut im Zeitplan. Um 16 Uhr sollte der Feuerzauber beginnen. Charly war schon dabei, die Stahlrohre mit eigenhändig gemischtem Sprengstoff zu laden. Jetzt erkannte Theo Kies das Wesen des Apparats, der von seinem Wohnzimmerfenster auf das Büro der Bundesanwälte zielte.

„Mein Gott, eine Stalinorgel! Sie wollen doch nicht etwa Raketen damit abschießen?“

„Ganz recht“, sagte Charly. „Wie gefällt Ihnen meine Konstruktion? Daran sieht man, wozu eine Ausbildung als Metallschlosser gut ist! Die Teile dafür gibt`s in jedem Klempnerladen. Ich erklär Ihnen, wie`s funktioniert: In den Rohren steckt jeweils ein Geschoss, angetrieben von Sprengstoff. Ein Zeitzünder löst den automatischen Abschuss aus, sodass alle Granaten innerhalb von drei Sekunden in die beiden obersten Stockwerke knallen und explodieren. Wir haben die Wirkung getestet. Von dem Baum, auf den wir gefeuert hatten, sind nur Sägespäne übrig geblieben.“

Kies rang nach Worten. „Wissen Sie, was Sie damit anrichten? Das gibt ein Blutbad!“

„Denken Sie nur an die vielen Angestellten, die um diese Zeit im Büro sind!“, ergänzte seine Frau.

„Denen wird nichts passieren“, sagte Petra. „Sie sitzen in den unteren Etagen. Uns geht es um die Staatsanwälte.“

„Sind das etwa keine Menschen?“ Der Kunstmaler war fassungslos. „Wie können Sie, als gebildete Frau, einen solchen Wahnsinn gutheißen?“

Petra brachte ihr Gesicht ganz nah an das seine und senkte die Stimme zu einem Flüstern. „Es ist ein Warnung an die Bundesregierung. Über vierzig politische Gefangene befinden sich derzeit im Hungerstreik. Sollten Andreas, Gudrun, Jan oder einer unserer anderen Freunde von den Henkern in Bonn getötet werden, lassen wir sie spüren, dass wir genug Hass und Fantasie haben, um unsere Waffen so gegen sie einzusetzen, dass ihr Schmerz dem unseren entspricht.“

Er hielt Petras kaltem Blick stand. „Sie sind vollkommen verrückt!“

Sie lächelte schief. „In den Augen der Angepassten ist jeder verrückt, der gegen den Konformismus des Denkens rebelliert.“ Petra zog fünf Hundertmarkscheine aus der Tasche. „Das Geld ist für sie. Wir schenken es ihnen als Ausgleich, falls in der Wohnung etwas beschädigt wird.“

„Behalten Sie`s!“, sagte Kies ungehalten. Seine Wangen zitterten vor Erregung. Charly winkte Petra zu sich. Er hatte etwas entdeckt, dass er ihr zeigen musste. Hinter den Fenstern der Stockwerke, in der die Raketen einschlagen sollten, zeichneten sich die Gestalten junger Männer und Frauen ab.

„Der Laden ist voller Zivilisten“, wisperte Charly. „Nichts zu sehen von den alten Nazi-Anwälten. Nur Sekretärinnen und einfache Angestellte. Sitzen an ihren Schreibtischen und gehen alle drauf, wenn`s knallt. Willst du das?“

„Natürlich nicht, verdammt! Keine Aktion gegen das Volk! Wir brechen ab!“, sagte Petra ohne zu zögern.

„Sehe ich genauso. Aber denk dran, das Kollektiv hat entschieden, dass die Maßnahme durchgezogen wird – koste es, was es wolle. Wenn wir die Sache eigenmächtig abblasen, wäre das Verrat. Und du weißt, was mit Verrätern geschieht.“

Sie überlegte fieberhaft. „Gibt`s eine Möglichkeit, den Werfer zu sabotieren, ohne dass die anderen es merken?“

„Mhm … ja. Der Zeitzünder wird durch einen Wecker gesteuert. Wenn ich ihn nicht aufziehe, kommt`s auch nicht zum Abschuss.“

„Okay.“ Petra nickte. „Unsere Leute werden glauben, dass der Zünder defekt gewesen ist. Technische Panne. Soll vorkommen. Niemand wird dich und mich verdächtigen. Wie`s wirklich gewesen ist, bleibt unser Geheimnis. Oder hast du Lust, als Massenmörder in die Geschichte einzugehen?“

2

Frankfurt, am selben Abend

Der Sound der Eagles fegte durch die Altbauwohnung am Schaumainkai. „Her mind is tiffany twisted, she got the Mercedes Benz, she got a lot of pretty pretty boys that she calls friends …“

Ulrike Lindt summte die Melodie von Hotel California, während sie im Badezimmer das Make-up auftrug. Wimperntusche, Kajal und violetten Lidschatten zur Betonung der großen, dunklen Augen. Die sich ausbreitenden Krähenfüße wurden geschickt überschminkt, danach legte sie Wangenrouge auf und malte die Lippen knallrot an. Zufrieden warf Ulrike ihrem Spiegelbild eine Kusshand zu, ehe sie den Lippenstift zurück auf das Wandregal stellte, neben das Jill-Sander-Parfüm und die Flasche mit frühlingsfrischem Intimspray. Anschließend drapierte die Brünette eine Lockenperücke über ihr glattes Naturhaar. Unerwartet schrillte das Telefon. Ulrike Lindt eilte ins Wohnzimmer, das nach dem neusten Schrei eingerichtet war. Bunte Hildesia-Tapeten, gepolsterte Sitzlandschaft aus dem Quelle-Versandhaus und eine Musikanlage von Akai. Sie nahm den Hörer ab – und bereute es augenblicklich. In der Leitung war ihre Mutter, gesegnet mit dem Talent, in den unpassendsten Momenten anzurufen.

„Hallo Mutti“, grüßte Ulrike, bemüht um einen herzlichen Klang. „… Ja, mir geht`s gut, bin gerade auf dem Sprung. Lass uns ein andermal … nein, Mutti, das stimmt nicht, dass ich nie Zeit für dich habe. Sonst immer, nur jetzt eben nicht, weil ich ausgehe … Da muss ich dich enttäuschen, es gibt keinen neuen Mann in meinem Leben. Gebranntes Kind scheut Feuer, weißt du doch. Ich amüsiere mich anderweitig.“ Ihr Blick huschte über den Beate-Uhse-Katalog auf dem Glastisch. „Heute Abend besuche ich die Spielbank in Bad Homburg. Bin schon ein paar Mal dort gewesen. Die Atmosphäre ist herrlich, sag ich dir. Das Kasino liegt im Kurpark, nahe am Kaiser-Wilhelms-Bad. Piekfein eingerichtet. In Jeans und Pullover kommt da keiner rein. Wenn man Glück hat, trifft man sogar Berühmtheiten wie Mark Spitz, Curd Jürgens oder Nadja Tiller – die Namen stehen alle im Gästebuch.“ Ein aufgebrachter Wortschwall rauschte durch die Hörmuschel. Ulrikes Mutter war besorgt, ihre Tochter könnte der Spielsucht verfallen und das Ersparte beim Roulette und Black Jack vergeuden.

„Kannst beruhigt sein, ich fahre nicht wegen des Spielens hin. Mir geht`s darum, einen Abend in Gesellschaft kultivierter Leute zu verbringen.“ Ulrike verdrehte die Augen. „Nein, ich nehme nichts auf die leichte Schulter. Glaub mir, ich bin fünfunddreißig Jahre alt und weiß, was ich tue. Entschuldige, aber ich muss jetzt Schluss machen … Doch, sicher komme ich dich am Wochenende in deinem neuen Heim besuchen.“ Ihre Mutter lebte seit einigen Monaten im Altkönig-Stift, einer noblen Seniorenresidenz, die 1970 in Kronberg im Taunus errichtet worden war. „Genau, und dann schauen wir uns Musik ist Trumpf an. Versprochen! Mach`s gut, Mutti!“

Ulrike Lindt atmete durch. Dann bestellte sie ein Taxi zur Adresse Schaumainkai 5a. Rasch verstaute sie die Eagles-Platte in der Hülle, warf eine Packung Ernte 23 in ihre Handtasche und schaute vor dem Verlassen der Wohnung noch einmal prüfend in den Ganzkörperspiegel im Flur. Das enge Seidenkleid, lang bis zum Schaft der Plateau-Stiefel, brachte ihre weiblichen Vorzüge zur Geltung, ohne vulgär zu wirken. Dressed to Kill – wie ihr amerikanischer Freund Jim sagen würde. Bereit für einen prickelnden Abend trat Ulrike ins Treppenhaus. Auf dem Absatz des ersten Stocks traf sie Susanne Schwarz, eine junge Mutter, und half ihr, den Kinderwagen die Stufen hinunter zu tragen bis vor die Haustür. In der Luft hing noch die Feuchtigkeit des letzten Regenschauers. Doch die Sonne schien bereits wieder auf die Main-Promenade und den Eisernen Steg. Die geschichtsträchtige Fußgängerbrücke war als eine der ersten nach dem Krieg wieder aufgebaut worden. Jenem Krieg, der über 60 Millionen Menschen das Leben gekostet hatte, darunter Ulrikes Vater.

Frau Fröbel, die selbsternannte Hausmeisterin, streckte den Kopf aus dem Parterre-Fenster wie ein Uhu aus einem Astloch.

„Guten Abend Frau Schwarz. Haben Sie den Kleinen auch gut eingepackt? Ist frisch heute!“, rief sie mit einer Stimme, die an das Quietschen von Kreide auf einer Schiefertafel erinnerte. „Na, Fräulein Lindt, sind ja so schick angezogen. Wo soll`s denn hingehen?“

„Zur Mutter von Monte Carlo.“

Ihre neugierige Nachbarin verstand nur Bahnhof. „Wohin?“

„In die Spielbank von Bad Homburg. Man nennt sie die Mutter von Monte Carlo, weil Francois Blanc das Kasino schon 1841 eröffnet hat, zwanzig Jahre bevor er Chef in Monaco geworden ist.“

Susanne Schwarz staunte. „Was Sie alles wissen!“

„In die Spielbank? Nobel geht die Welt zugrunde“, sagte Frau Fröbel. „Tja, Sie können sich das leisten als Zahntechnikerin, gell? Unsereins muss sehen, wie er mit der Rente auskommt. Erkälten Sie sich nicht in ihrem dünnen Kleidchen! Ich würde Ihnen ja Glück im Spiel wünschen, aber dann bekommen Sie Pech in der Liebe – und das werden Sie bestimmt nicht wollen.“

Ulrike lächelte, obwohl ihr der süffisante Unterton der Alten gegen den Strich ging. Das Taxi kam und sie beeilte sich mit dem Einsteigen.

Kopfschüttelnd sah Frau Fröbel dem davonfahrenden Wagen nach. „Mit dem Weibsbild haben wir uns was Schönes eingehandelt, Frau Schwarz.“

„Wieso? Ich finde, sie ist sehr nett und hilfsbereit“, erwiderte Susanne.

„Hilfsbereit? Oh ja! Besonders, wenn`s sich um Kerle dreht. Bei der geht`s doch jede Nacht zu wie im Taubenschlag, immerzu rein und raus. Sodom und Gomorra! Lange schau ich mir das nicht mehr mit an, das schwör ich Ihnen!“

Susanne zuckte mit den Achseln. „Heute sieht man das lockerer, da braucht man keinen Trauschein, um glücklich zu sein. Freie Liebe.“

„Sie müssen`s ja wissen“, sagte Frau Fröbel. „Wie hat ein Dichter mal geschrieben? Wir halten die Leichtigkeit zu sündigen für die Erlaubnis dazu.“

„Mit Dichtern kenne ich mich nicht aus. Aber ich glaube in der Bibel steht: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Schönen Abend noch!“ Susanne Schwarz grinste zuckersüß und schob den Kinderwagen das Mainufer entlang.

3

Samstag, 27. August