Kommissar Platow, Band 15: Letzter Halt Frankfurt-Süd - Martin Olden - E-Book

Kommissar Platow, Band 15: Letzter Halt Frankfurt-Süd E-Book

Martin Olden

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Beschreibung

Band 15 ist der Abschlussband der Kommissar Platow-Serie. Heroin. Die Königin der Drogen. Teenager wie Marion Reichert waren ihr hörig. Das Mädchen verschwand im Mai `78 von Frankfurts Straßen. Niemand im Kommissariat glaubte an ein Verbrechen. Außer mir. Ich verfolgte Marions Spuren und legte mich mit gewissenlosen Dealern an. Währenddessen fiel im fernen London eine Entscheidung, die mein Leben für immer veränderte ... Bereits erschienen: Band 1 "Sieben Schüsse im Stadtwald", Band 2 "Das Grab am Kapellenberg", Band 3 "Endstation Hauptwache", Band 4 "Der Westend-Würger", Band 5 "Blutnacht im Brentanopark", Band 6 "Frau Wirtins letzter Gast", Band 7 "Geiselnahme in der Goethestraße", Band 8 "Der Rächer aus der Römerstadt", Band 9 "Geschändet am Frankfurter Kreuz", Band 10 "Abrechnung in Bankfurt", Band 11 "Die Sünderin vom Schaumainkai", Band 12 "Das Phantom aus dem Palmengarten", Band 13: "Zahltag auf der Zeil" und Band 14 "Der Kerker im Kettenhofweg"

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Die Kommissar Platow-Serie

Frankfurt, Mitte der 70er Jahre. Die Kriminalität boomt. Drogen. Terrorismus. Bandenkriege. Mittendrin: Kommissar Joachim „Joe“ Platow. Gemeinsam mit seinem Assistenten Mike Notto und Schutzhündin Abba kämpft er gegen das Verbrechen. Dabei wird Platow immer wieder von seinem persönlichsten Fall eingeholt – seine Ex-Verlobte Petra, die sich der RAF angeschlossen hat …

Band 15: Letzter Halt Frankfurt-Süd

Heroin. Die Königin der Drogen. Teenager wie Marion Reichert waren ihr hörig. Das Mädchen verschwand im Mai `78 von Frankfurts Straßen. Niemand im Kommissariat glaubte an ein Verbrechen. Außer mir. Ich verfolgte Marions Spuren und legte mich mit gewissenlosen Dealern an. Währenddessen fiel im fernen London eine Entscheidung, die mein Leben für immer veränderte …

Der Autor

Martin Olden ist das Pseudonym des Journalisten und Kinderbuchautors Marc Rybicki. Er wurde 1975 in Frankfurt am Main geboren und studierte Philosophie und Amerikanistik an der Goethe-Universität. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Rybicki als Filmkritiker für das Feuilleton der „Frankfurter Neuen Presse“. Ebenso ist er als Werbe- und Hörbuchsprecher tätig.

Bei mainbook erscheint auch Martin Oldens Krimi-Reihe mit Kommissar Steiner: 1. Band: „Gekreuzigt“. 2. Band „Der 7. Patient“. 3.Band „Wo bist du?“. 4. Band „Böses Netz“. 5. Band „Mord am Mikro“. 6. Band „Die Rückkehr des Rippers“. 7. Band "Vergiftetes Land". Im Jahr 2013 veröffentlichte er zudem seinen ersten Thriller „Frankfurt Ripper“.

Weitere Titel von Marc Rybicki sind die Kinderbücher „Mach mich ganz“, „Wer hat den Wald gebaut?“, „Wo ist der Tannenbaum?“ und „Graue Pfote, Schwarze Feder“. (Autorenwebsite: www.sonnige-sendung.de)

Copyright © 2019 mainbook Verlag, mainebook Gerd Fischer

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-947612-30-7

Lektorat: Gerd Fischer

Layout: Olaf Tischer

Bildrechte Cover: © Olaf Tischer

Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de oder www.mainebook.de

Martin Olden

Kommissar Platow

Band 15:Letzter Halt Frankfurt-Süd

Krimi-Serie aus den 70er Jahren

Alle Fälle der „Kommissar Platow“-Serie basieren auf wahren Begebenheiten und tatsächlichen Fällen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

1

Freitag, 25. September 1998

Köpfe säumten die Landstraße. Sie reihten sich aneinander wie die Kreuze auf dem Schädelberg Golgatha. Ihr Anblick widerte mich an. Denn unter ihnen gab es keinen neuen Messias, auch wenn sich die Politiker dafür hielten, deren Gesichter auf den Wahlplakaten am Randstreifen abgebildet waren. Während ich in meinem betagten Volvo Richtung Autobahn fuhr, rauschten die Werbe-Slogans der Parteien an mir vorbei. Weltklasse für Deutschland – Helmut Kohl. Deutschland braucht einen neuen Kanzler – Gerhard Schröder. Neue Mehrheiten nur mit uns – Joschka Fischer.

Ich dachte daran, wie wir den heutigen Spitzenkandidaten der Grünen im Mai `76 nach einer Demonstration von Meinhof-Sympathisanten verhaftet hatten. Fischer war verdächtigt worden, Molotowcocktails auf Polizeibeamte geworfen zu haben. Nun trug der einstige Rädelsführer der Frankfurter „Putzgruppe“ schicke Maßanzüge statt Motorradkluft. Ein bitteres Lachen entwich meiner Kehle. Im Innenspiegel betrachtete ich die schwarzbraune Hovawart-Hündin, die auf der Rückbank ein Mittagsschläfchen gehalten hatte. Sie hob den Kopf und schien zu sagen: Denk an Bob Dylan, Joe! The Times They Are a-Changin`!

„Nicht wirklich“, sagte ich und lenkte den Wagen auf die A661. Der Motor des Schneewittchensargs schnurrte noch genauso sanft wie am allerersten Tag.

Oldie but Goldie – genau wie du, Chef!

Ich zwinkerte meiner Schutzhündin zu. „Danke für die Aufmunterung, du treue Seele.“

Wir ließen die Frankfurter Stadtgrenze hinter uns und erreichten Offenbacher Gebiet. Mein Ziel war der Parkplatz Buchrain, seit eh und je ein bekannter Treffpunkt für Homosexuelle, die ein heimliches Abenteuer suchten. Das angrenzende Waldstück bot Deckung für ungestörte Liebesspiele, bevorzugt am späten Abend. Jetzt, um die Mittagszeit, waren die Parkbuchten verwaist. Ich stellte den Volvo ab und stieg aus. Ein kühler Herbstwind blies mir entgegen. Die Brise zerzauste meine grauen Haare, die an den Schläfen bereits weiß wurden. Bald würde ich aussehen wie ein Greis, obwohl ich erst Mitte fünfzig war. Noch blieben mir genügend gute Jahre, um Dinge zu klären, die ich lange vor mir hergeschoben hatte. Andererseits wusste man nie, wann das Schicksal zuschlug. Wehmütig dachte ich an meinen früheren Partner Mike Notto. Ich vermisste meinen besten Freund.

Mein Blick glitt über den Parkplatz. Wenig hatte sich verändert seit jenem grauenvollen Tag vor zwanzig Jahren, als …

Ein wütendes Kläffen holte mich in die Gegenwart zurück. Darf ich mir auch die Beine vertreten, Joe?!?

Ich öffnete die gläserne Heckklappe, damit die Hovawart-Lady herausspringen konnte.

„Hello, Sir!“ Die freundliche Stimme eines Mannes wehte zu mir herüber. Er saß hinter einem kleinen Tisch, am Rande des Wäldchens. Vor ihm war eine Hinweistafel der Aidshilfe Offenbach aufgebaut. Der Streetworker mochte in meinem Alter sein. Halbglatze, Schnurrbart, Nickelbrille.

„Protect yourself!“, rief er und wedelte mit einem Kondom. „Don`t give Aids a chance!“

Offensichtlich hatte er das britische Nummernschild an meinem Auto gesehen und den logischen Schluss gezogen, ich sei Engländer. Mit einem Lächeln ging ich auf ihn zu. „Guten Tag, Sie können gerne Deutsch mit mir reden. Hab´s nicht verlernt.“

„Man hört´s. Sind Sie aus Hessen?“

„Ja, geboren und aufgewachsen in Frankfurt. Aber ich lebe seit fast zwanzig Jahren in London.“

An meiner Seite ertönte Gebell. Sag ihm, wen er vor sich hat! Detective Chief Inspector Platow von Scotland Yard!

„Ruhig, Abba.“ Ich streichelte ihren Kopf. „Gib nicht so an!“

Der Mitarbeiter der Aidshilfe lachte. „Abba – hübscher Name für `nen Hund. Haben Sie ihn nach der Pop-Gruppe benannt oder nach dem aramäischen Wort für Vater?“

„Nach der Band. Alle meine Hündinnen hießen Abba.“

Tradition verpflichtet, Yes Sir! Abba setzte sich neben mir in Positur wie ein Foto-Modell.

Mein Gesprächspartner zeigte auf den Schneewittchensarg. „Sie scheinen eine Schwäche für die Siebziger zu haben. Toller Oldtimer. Sowas gibt’s leider nicht mehr.“

„Früher ist nicht alles schlecht gewesen“, nickte ich. „Und heute nicht alles besser.“

„Na ja, wenigstens wissen wir inzwischen, wovor wir uns schützen müssen.“ Erneut bot er mir ein Präservativ nebst Informationsheftchen an. „Nehmen Sie`s bitte! Dadurch können Sie Leben retten, nicht nur Ihr eigenes.“

Ich schüttelte den Kopf. „Bin nicht zum Vergnügen hier.“

Meine Augen ruhten auf einem Abfalleimer. Der Behälter stand noch an derselben Stelle wie damals. Bilder stiegen in mir auf. Erinnerungen an einen jungen Menschen. Verstümmelt. Vernichtet. Vergessen?

Nicht für mich! Niemals!

In Gedanken spulte ich den Film meines Lebens zurück …

2

Zwanzig Jahre früher – Donnerstag, 11. Mai 1978

Aus den Boxen des Schallplattenspielers rieselte How Deep Is Your Love von den Bee Gees. Der Teppichboden im Wohnzimmer war mit Kleidungsstücken übersät. Rock, Bluse, Büstenhalter, Strumpfhose, Slip. Der Türke Riza Bayrak saß auf dem Sofa, zündete sich ein Clubmaster-Zigarillo an und betrachtete die brünette Frau, die sich vor seinen Augen entblättert hatte.

„Güzel!“, lobte der kräftige Mittzwanziger. Das Wort bedeutete „schön“ in seiner Muttersprache. Bayraks Blick glitt vom mädchenhaften Gesicht der Nackten über die straffen Brüste bis zu ihren Armen. Die Einstichspuren waren kaum erkennbar. Für eine Süchtige hatte die Kleine einen ansehnlichen Körper. Noch.

„Seit wann du fixen?“, fragte Bayrak.

Die Antwort kam zögerlich. „Drei Monate.“ Sie zitterte und schlang die Arme um ihren Leib. „Kann ich mich wieder anziehen?“

Bayrak drehte den Kopf zu seinem drei Jahre jüngeren Bruder Dogan, der am Wohnzimmertisch hockte. Ein Fremder hätte die beiden leicht für Zwillinge halten können. Die gleichen pechschwarzen Haare, dieselben dünnen Oberlippenbärte und kantigen Kiefer. Sogar die Verschlagenheit in ihren Augen hatten sie gemeinsam.

Dogan war damit beschäftigt, eine Handvoll Plastik-Tütchen zu öffnen und das weiße Pulver darin mithilfe einer Küchenwaage abzuwiegen. Ein Dealer in Amsterdam hatte die Heroinportionen in die Unterwäsche der Frau eingenäht, sodass sie den Stoff von Zollkontrolleuren und Rauschgiftfahndern unbehelligt bis nach Frankfurt schmuggeln konnte. Das Apartment in der Dahlmannstraße im Stadtteil Bornheim, angemietet von einem deutschen Strohmann mit tadellosem Leumund, diente den Bayrak-Brüdern als Ort der Übergabe. Einer von vielen Schlupfwinkeln der gesuchten Mörder und Drogenhändler.

Dogan warf einen prüfenden Blick auf die Waagschale. Dann spreizte er alle fünf Finger der rechten Hand. Sein Bruder verstand das Signal. Riza Bayrak erhob sich vom Sofa und trat dicht an die Schmugglerin heran. „Wie dein Name?“

Sie schluckte. „Lore.“

„Du Mädchen von Phil. Machen für ihn Ficki-Ficki“, stellte Bayrak fest.

Lore nickte stumm.

„Phil gutes Mann. Er uns niemals bescheißen. Warum du?“

Die Prostituierte sah ihn verständnislos an. „Keinen Schimmer, wovon du redest.“ Sie straffte die Schultern. Die Geste wirkte nicht überzeugend.

Bayrak konnte ihre Angst riechen. Zufrieden strich er über seinen Schnurrbart.

„Fünf Gramm weg. Warum?“

„Woher soll ich das wissen? Wahrscheinlich hat der Typ in Holland zu wenig reingetan.“

„Nein. Er nicht dumm. Aber du!“

„Hab euch nicht beklaut! Ehrlich!“

Die Bayrak-Brüder tauschten einen Blick. Dogan verließ den Platz am Tisch. Seine linke Hand tauchte in die Innentasche seines Cord-Sakkos. Der Stahl eines Springmessers blitzte im Licht der Deckenlampe auf.

Lores Stimme überschlug sich. „Stop! Hab nichts getan, ich schwör`s! Ihr müsst mir glauben!“

Riza Bayrak hielt den Zigarillo wie einen Speer zwischen Daumen und Zeigefinger und kam langsam auf sie zu.

„Was hast du vor? Nein!“ Lore trat zwei Schritte zurück, bis sie mit dem Rücken gegen Dogan stieß, der den Fluchtweg versperrte. Von hinten legte er das Messer an ihre Kehle.

„Wenn du schreien, du tot!“

„Keine Angst!“, beschwichtigte Riza. „Du nicht lügen, dann wir dir nichts tun, okay? Sagen, wo ist Stoff?“

Lore presste die Lippen zusammen. Unaufhaltsam streckte Bayrak die glimmende Clubmaster-Spitze ihrem rechten Augen entgegen. Voller Genugtuung sah er, wie in Lores Pupillen die Panik aufflackerte. Die Nutte hielt sich für hart, aber das war sie nicht. Als die Glut nur noch wenige Zentimeter von ihrem Augapfel entfernt war, blinzelte Lore hektisch und begann zu wimmern. „Aufhören! Ich geb`s zu! Hab das Äitsch genommen. Weil ich`s dringend gebraucht hab, versteht ihr? Das Bisschen fällt doch gar nicht auf bei der Menge!“

„Hure!“, zischte Dogan. „Bist du scheiße in Kopf?!? Fünf Gramm sind 4000 Mark bei Verkauf auf Straße!“

Riza warf den Zigarillo in einen Aschenbecher auf dem Sofatisch. „Ja, Preis steigen, weil gutes Heroin werden weniger. Vieles Händler, vieles Kampf um Stoff. Du verstehen unser Problem?“

„Klar doch“, beeilte sich Lore zu sagen. „Tut mir auch wahnsinnig leid, echt. Kommt nie wieder vor. Ehrenwort! Zahl euch die Kohle zurück, versprochen! Werd für euch anschaffen – rund um die Uhr! Und euch beiden mach ich`s umsonst!“

„Güzel.“ Auf ein Fingerschnippen von Riza nahm Dogan die Klinge vom Hals des Strichmädchens. „Ziehen dich wieder an, los!“

Lore ließ sich nicht zweimal bitten. Während sie ihre Kleider überstreifte, öffnete Riza Bayrak einen Aktenkoffer. Darin lagen gebündelte Hundert-Mark-Scheine sowie eine aufgezogene Spritze, die er Lore reichte.

„Belohnung für Ehrlichkeit.“

Gierig griff sie nach dem Gift und jagte es sich ohne zu zögern in die Armvene.

Wenig später wand sich die junge Frau in Krämpfen auf dem Boden. Der Atem ging stoßweise, das Gesicht verfärbte sich blau. Ihr Stöhnen und Winseln wurde vom Gesang der Bee Gees übertönt. Night Fever, Night Fever, we know how to do it …

Der Disco-Sound untermalte Lores spasmische Zuckungen, worüber sich Riza Bayrak amüsierte. Er hatte der Diebin minderwertiges Dope gegeben – in einer tödlichen Dosierung. Der perfekte Mord. Wenn man die Leiche finden würde, entsorgt in irgendeinem Hinterhof, wäre die Diagnose der Rechtsmediziner eindeutig. Goldener Schuss. Ein Heroin-Opfer mehr in der Statistik.

Schon versteiften sich ihre Glieder und die Kiefer. Sie verdrehte die Augen. Schnappte ein letztes Mal nach Luft. Atemstillstand.

Riza kickte mit der Schuhspitze gegen den Kopf der Toten und gab seinem kleinen Bruder einen Befehl.

„Schaff Nutte raus – und bring Phil her! Sag ihm, wir brauchen neue Schlampe.“

3

Freitag, 12. Mai 1978

Nach Einbruch der Dunkelheit herrschte im Autokino Gravenbruch ausgelassene Stimmung. Über die Leinwand flimmerte Eis am Stiel, die Hit-Komödie aus Israel.

Pierre Pfeifer war Stammgast in Deutschlands ältestem Drive-In-Kino. Der Student saß hinter dem Steuer einer betagten Renault Dauphine und lachte so heftig, dass seine blonden Ponyfransen hin und her flogen.

„Na, hab ich zu viel versprochen?“ Die Frage galt einer dunkelhaarigen Schönheit auf dem Beifahrersitz. „Der Streifen ist `ne Wucht! Hab ihn schon zweimal gesehen!“

Im Film waren die Freunde Benny, Johnny und Momo gerade dabei, die Penis-Längen ihrer Klassenkameraden zu vergleichen.

Olivia Görtz rollte mit den Augen. „Soll das lustig sein?“

„Pass auf! Gleich kommt die Stelle, an der die drei von `ner Nymphomanin verführt werden! Scharf!“

„Mir reicht`s! Den Mist guck ich mir nicht länger an. Bringst du mich heim?“

Pierre stellte sich taub und starrte durch die Windschutzscheibe. Gleichzeitig tastete er nach Olivias Knie.

„Finger weg!“, befahl sie. „Dann fahre ich eben per Anhalter nach Hause! Tschüss!“

„Hey, nein!“ Pierre Pfeifer erkannte den Ernst der Lage. Die Biene drohte davonzufliegen, bevor er ihr den Stachel gezogen hatte. Verdammt! Er beugte sich über den Sitz, hielt Olivias Arm fest und hinderte sie daran, die Tür zu öffnen. „Darfst nicht gehen, Baby! Ich komm doch erst richtig in Stimmung!“

Der Blondschopf nahm Anlauf, Olivia zu küssen. Sie stieß ihn weg.

„Bist du bescheuert?!? Wir sind Freunde, nichts weiter!“

Pierre blinzelte perplex. „Glaub mein Schwein pfeift! Erst heiß machen und dann rühr-mich-nicht-an spielen? Warum bist du eigentlich mitgekommen, häh?!?“

„Willst du`s wirklich wissen? Aus Mitleid, du Hirni! Damit du nicht allein in deiner ollen Karre hocken musst!“

„Mitleid?!?“ Seine blassblauen Augen weiteten sich. „Hältst du mich für `ne Niete?!? Dir zeig ich`s!“

Pierre bleckte die Zähne. Ein Liebesbiss würde genügen – und sie wäre ihm auf ewig verfallen! Olivia kreischte, als er sich auf sie warf, am Stoff ihres Micky Maus-T-Shirts zerrte und versuchte, mit seinem aufgerissenem Mund den Hals des sich windenden Mädchens zu treffen. In seine Nase stieg der Duft von LUX-Seife und Apfel-Shampoo. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Speichel tropfte von Pierres Lippen. Die Augen glänzten wie im Fieber. Er kam der weißen Haut näher und näher. Gleich war es soweit. Gleich würde er wissen, wie die Süße schmeckte.

Ein brennender Schmerz ließ ihn zusammenzucken. Pierre jaulte wie ein geprügelter Hund. Er griff sich an die linke Wange und fühlte blutige Kratzer. Das Biest hatte ihm die Fingernägel ins Fleisch gekrallt! Ehe er sich`s versah, war Olivia aus dem Auto gesprungen und rannte davon, durch den Lichtkegel der Leinwand in den Schatten der Nacht, der ihre Silhouette verschluckte.

„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ Im Takt seiner Flüche schlug Pierre gegen das Armaturenbrett. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass der Fahrer eines VW Käfers zu ihm herüber schaute. Pierre war sicher, ein schadenfrohes Grinsen zu erkennen. Dämlicher Wichser! Am liebsten wäre er ausgestiegen, hätte dem Kerl die Fresse poliert und danach die Verfolgung seiner Beute aufgenommen. Doch das wäre idiotisch gewesen. Zu viele Zeugen. Olivias Flucht aus dem Autokino hatte genug überflüssiges Aufsehen erregt. Außerdem kannte Pierre ihre Adresse in Griesheim. Zu gegebener Zeit würde er sich das Luder vorknöpfen. Bis dahin ließen sich andere Blumen am Wegrand finden. Und falls sie nicht gepflückt werden wollten … nun, dann bekämen sie die Köpfe abgerissen!

4

Pfingstmontag, 15. Mai 1978

Die Wohnung meiner Eltern in der Luxemburger Allee duftete nach Kaffee, Frankfurter Kranz und Erdbeertorte mit Schlagsahne. Auf dem festlich gedeckten Tisch stand ein Strauß Maiglöckchen. Wir feierten meinen 35. Geburtstag. Ich saß am Kopfende der Tafel und blickte dankbar in die Runde. Meine Freundin Fujiko Shimada lächelte mich an. Neben der schönen Japanerin strahlte Mutter in ihrem besten Sonntagskleid. Vater vertilgte das dritte Stück Torte. Die Sahne blieb in seinem Schnurrbart hängen, woraufhin ihn Mutter tadelte, er habe keine Tischmanieren. Mir gegenüber thronte Onkel Ernst, Bahnbeamter a.D., und tratschte mit Cousine Barbara. Dank ihres sonnigen Gemüts und einer beachtlichen Körperfülle erinnerte mich Barbara stets an die Schauspielerin Trude Herr. Gegen sie wirkte die Blondine zu ihrer Linken wie ein Strich in der Landschaft. Kommissarin Tina Förster war im Laufe des vergangenen Jahres zu einer guten Kameradin geworden, nicht zuletzt weil sie das Leben jenes Mannes verändert hatte, der den Reigen der Gratulanten komplettierte. Mike Notto. Anfang April hatte ihn eine Verrückte niedergestochen. Meinen Kumpel gesund und munter zu sehen, war mein schönstes Geschenk.

Abbas Pfote stupste gegen mein Knie. Man könnte sagen, Mikes letzter Fall ist ihm ordentlich an die Nieren gegangen.

„Nicht frech werden, junge Dame!“ Ich gab ihr einen Hundekuchen und dachte an die Not-Operation im Markus-Krankenhaus, bei der Mike eine Niere entfernt worden war. Er hatte es mit Humor genommen und gesagt: Ernähre ich mich halt von jetzt an gesund und trinke sechs Flaschen Bier pro Tag statt drei – ist gut für die Nierenspülung. Die Ärzte hatten ihm versichert, dass er trotz der Verwundung völlig normal leben und seinen Dienst wie zuvor versehen könne. Nach wochenlangem Klinik- und Kuraufenthalt freute sich Mike darauf, wieder an meiner Seite im Kommissariat zu arbeiten. Der Halb-Italiener wies mit der Kuchengabel auf mich und ließ seinem losen Mundwerk freien Lauf. „Wie fühlt man sich denn mit Fünfunddreißig, am Vorabend der Gebrechlichkeit?“

„In neun Jahren wirst du`s rausfinden“, antwortete ich.

Mike grinste Tina an. „Die Freuden des Alters werde ich mit meiner Privat-Pflegerin genießen.“

Es freute mich ungemein, dass sich die beiden versöhnt hatten. Tina war die Richtige für den Hallodri. Eine selbstbewusste Frau, die Mike mit sanfter Hand zähmen und ihm das fehlende Quäntchen Verantwortungsgefühl beibringen würde. Sie zupfte an seinem Lockenkopf. „Gestern habe ich die erste graue Strähne entdeckt.“

„Ernsthaft? Ab Morgen nehm ich Polycolor! Wer will schon aussehen wie Joe?“

Ich lachte. „Je grauer, je schlauer!“

Onkel Ernst strich über seinen dunklen Schopf. „Die Haare hat er von deiner Seite der Familie geerbt“, sagte er zu Vater.

Mein alter Herr schmunzelte. „Jeder Mann wird grau, hat er erst mal eine Frau.“

Mutter gab ihm einen Klaps. „Du hast keinen Grund, dich zu beschweren, Kurt. Und Joachim auch nicht.“

„Hast recht, Irmchen. Fujiko ist zauberhaft. Wenn ich da an die andere denke …“

„Kurt!“

„Schon gut, Mutter“, sagte ich. „Vergessen wir`s.“

Der Name meiner ehemaligen Verlobten schwebte unausgesprochen im Zimmer. Petra Helm. Mitglied der Baader-Meinhof-Bande. Verantwortlich für abscheuliche Verbrechen wie den Mord an Hanns-Martin Schleyer und die Entführung der Landshut. Meine Eltern waren an Bord der Lufthansa-Maschine durch die Hölle gegangen. Mittlerweile saß Petra in einem Londoner Gefängnis, wo ich sie regelmäßig im Auftrag des Bundeskriminalamts verhörte. Die Jagd nach den Köpfen der Roten Armee Fraktion lief auf Hochtouren. Am 11. Mai waren Brigitte Mohnhaupt, Peter-Jürgen Book, Sieglinde Hofmann und Rolf Clemens Wagner in Jugoslawien festgenommen worden. Wo hielten sich Christian Klar, Susanne Albrecht und die übrigen Terroristen auf? Inwieweit wusste Petra über Fluchtrouten und Schlupfwinkel Bescheid? Gegenüber dem BKA verweigerte meine Jugendliebe jede Aussage. Allein mir gab sie Geheimnisse preis. Wohldosiert, selbstverständlich. Bislang hatte ich einiges erfahren über die Kommandostrukturen der Gruppe und ihre Verbindung zu Kampfgenossen in Europa und dem Nahen Osten. Jedoch nichts, was für die Fahndung nach den geflohenen Tätern von Belang gewesen wäre. Ebenso wartete ich auf das Geständnis, wer die Schützen waren, die Buback und Schleyer erschossen hatten. Über kurz oder lang würde Petra ihr Schweigen brechen, daran bestand für mich nicht der geringste Zweifel. Ich fühlte, dass sie dabei war, sich innerlich aus den Fängen der Bande zu lösen. Sie bereute ihre Taten aufrichtig. Und mir mangelte es nicht an der Bereitschaft zur Vergebung. Jedes Mal, wenn ich Petra besuchte, wich der Groll ein Stückchen mehr aus meinem Herzen. Er machte einem Gefühl Platz, das mich begeisterte und zugleich bedrückte, weil der Verstand dagegen rebellierte.

Sie ist sooo süß, Joe! Abba schob die Schnauze über die Tischkante in Richtung Sahneschüssel.

„Pfui!“ Ich kniff in ihr blondes Nackenfell.

Abba quietschte. Aua! Lass deine Laune nicht an mir aus! Kann nichts dafür, dass du an meinem Ex-Frauchen hängst!

Mich traf ein Blitz aus Fujikos Mandelaugen. „Sei bitte nicht grob zu Abba-chan!“

„Sie braucht eine feste Hand. Glaub mir, ich weiß, was ich tue.“

„Hai. Du weißt immer, was du tust.“ Die Ironie in ihrer samtweichen Stimme entging mir nicht. Ahnte sie, wie sehr ich Petra vermisste?

Ich spürte einen Stich in der Brust.

Nennt man Schuldgefühle, du Heimlichtuer!

Abbas Hundeblick lastete auf mir. Meinem Gewissen auf vier Pfoten konnte ich nichts verbergen. Insgeheim wünschte ich, Petra würde auch bei uns am Tisch sitzen. Mit ihr war jede Geburtstagsfeier aufregend gewesen, weil sie kein Blatt vor den Mund genommen und kritische Fragen gestellt hatte. Hätte Onkel Ernst, Rangierer bei der Reichsbahn, nicht wissen müssen, wohin die Züge mit den Frankfurter Juden gefahren waren? Wie viele Menschen hatte Vater an der Ostfront getötet, damit die Nazis länger an der Macht bleiben konnten? Heute musste keiner der Anwesenden fürchten, ins Kreuzverhör genommen zu werden. Es herrschte eitle Harmonie. Plötzlich kam mir meine Geburtstagstafel wie ein Abbild unserer Gesellschaft vor. Verloren in Völlerei und belanglosem Geplauder, während die Missstände dieser Welt ignoriert wurden.

„Hat einer von euch Monitor