Kommissar Platow, Band 7: Geiselnahme in der Goethestraße - Martin Olden - E-Book

Kommissar Platow, Band 7: Geiselnahme in der Goethestraße E-Book

Martin Olden

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Beschreibung

Mai 1976. Nach dem Tod der RAF-Gründerin Ulrike Meinhof explodierte die Gewalt auf den Straßen. Die Frau meines Freundes Jürgen Hechler geriet in die Fänge einer skrupellosen Bande. Als die Kidnapper ihr Ultimatum stellten, begann ein mörderisches Rennen gegen die Zeit – und mir stellte sich ein Geist der Vergangenheit in den Weg ... Die Kommissar Platow-Serie: Frankfurt, Mitte der 70er Jahre. Die Kriminalität boomt. Drogen. Terrorismus. Bandenkriege. Mittendrin: Kommissar Joachim "Joe" Platow. Gemeinsam mit seinem Assistenten Mike Notto und Schutzhündin Abba kämpft er gegen das Verbrechen. Dabei wird Platow immer wieder von seinem persönlichsten Fall eingeholt – seine Ex-Verlobte Petra, die sich der RAF angeschlossen hat ... Alle Bände der Serie: Band 1 "Sieben Schüsse im Stadtwald", Band 2 "Das Grab am Kapellenberg", Band 3 "Endstation Hauptwache", Band 4 "Der Westend-Würger", Band 5 "Blutnacht im Brentanopark", Band 6 "Frau Wirtins letzter Gast", Band 7 "Geiselnahme in der Goethestraße", Band 8 "Der Rächer aus der Römerstadt", Band 9 "Geschändet am Frankfurter Kreuz", Band 10 "Abrechnung in Bankfurt", Band 11 "Die Sünderin vom Schaumainkai", Band 12 "Das Phantom aus dem Palmengarten", Band 13: "Zahltag auf der Zeil", Band 14 "Der Kerker im Kettenhofweg" und Band 15 "Letzte Ausfahrt Frankfurt-Süd"

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Die Kommissar Platow-Serie

Frankfurt, Mitte der 70er Jahre. Die Kriminalität boomt. Drogen. Terrorismus. Bandenkriege. Mittendrin: Kommissar Joachim „Joe“ Platow. Gemeinsam mit seinem Assistenten Mike Notto und Schutzhündin Abba kämpft er gegen das Verbrechen. Dabei wird Platow immer wieder von seinem persönlichsten Fall eingeholt – seine Ex-Verlobte Petra, die sich der RAF angeschlossen hat …

Band 7: Geiselnahme in der Goethestraße

Mai 1976. Nach dem Tod der RAF-Gründerin Ulrike Meinhof explodierte die Gewalt auf den Straßen. Die Frau meines Freundes Jürgen Hechler geriet in die Fänge einer skrupellosen Bande. Als die Kidnapper ihr Ultimatum stellten, begann ein mörderisches Rennen gegen die Zeit – und mir stellte sich ein Geist der Vergangenheit in den Weg …

Der Autor

Martin Olden ist das Pseudonym des Journalisten und Kinderbuchautors Marc Rybicki. Er wurde 1975 in Frankfurt am Main geboren und studierte Philosophie und Amerikanistik an der Goethe-Universität. Seit mehr als zehn Jahren arbeitet Rybicki als Filmkritiker für das Feuilleton der „Frankfurter Neuen Presse“. Ebenso ist er als Werbe- und Hörbuchsprecher tätig.

Bei mainbook erscheint auch Martin Oldens Krimi-Reihe mit Kommissar Steiner: 1. Band: „Gekreuzigt“. 2. Band „Der 7. Patient“. 3.Band „Wo bist du?“. 4. Band „Böses Netz“. 5. Band „Mord am Mikro“. 6. Band „Die Rückkehr des Rippers“. 7. Band "Vergiftetes Land". Im Jahr 2013 veröffentlichte er zudem seinen ersten Thriller „Frankfurt Ripper“.

Weitere Titel von Marc Rybicki sind die Kinderbücher „Mach mich ganz“, „Wer hat den Wald gebaut?“, „Wo ist der Tannenbaum?“ und „Graue Pfote, Schwarze Feder“.

(Autorenwebsite: www.sonnige-sendung.de)

Copyright © 2017 mainbook Verlag, mainebook Gerd Fischer

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-946413-39-4

Lektorat: Gerd Fischer

Layout: Olaf Tischer

Bildrechte Cover: © Olaf Tischer

Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de oder www.mainebook.de

Martin Olden

Kommissar Platow

Band 7:Geiselnahme in der Goethestraße

Krimi-Serie aus den 70er Jahren

Alle Fälle der „Kommissar Platow“-Serie basieren auf wahren Begebenheiten und tatsächlichen Fällen.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

1

Samstag, 7. Februar 1976

Mike Notto war besorgt. „Warum macht Joe nicht auf? Und wieso bellt Abba andauernd?“

Hauptkommissar Hans Söhnlein zuckte mit den Schultern. Die beiden standen vor meiner Haustür in der Stephan-Heise-Straße 41. „Vielleicht ist er kurz weggefahren?“, schlug unser Chef vor.

„Nein.“ Mike wies den Bürgersteig hinunter, in Richtung der Westhausener Waschküche. „Sein Schneewittchen-Sarg parkt doch da vorne. Außerdem, wo sollte er hinwollen an einem Samstag um 9 Uhr morgens?“ Mein Partner drückte abermals auf die Klingel. Bis auf Abbas Gebell erntete er keine Reaktion. „Da stimmt was nicht! Joe ist schon eine ganze Weile so merkwürdig. Noch nachdenklicher als sonst. Als würde er irgendwelche düsteren Pläne ausbrüten. Ich sage Ihnen, Chef, die Suspendierung hat ihn mehr getroffen, als er zugibt.“

Söhnlein runzelte die Stirn. „Sie denken doch nicht, dass er im Stande wäre, sich etwas anzutun?“

Ehe Mike antworten konnte, drang ein dumpfer Schrei aus meiner Wohnung.

„Das war Joe!“ Mit beiden Fäusten trommelte Mike gegen die Tür. „Hörst du mich, Partner?!? Alles in Ordnung?!? Gib Antwort!“

Nun wurde auch Söhnlein nervös. „Allmählich glaube ich, dass Sie mit Ihrer Vermutung recht haben. Los, Mike, wir müssen zu ihm!“

Sie holten Schwung, um mit den Schultern voran die Tür aufzubrechen. Im gleichen Augenblick wurde ihnen geöffnet. Die zwei erstarrten in der Bewegung und schauten verblüfft auf die bildschöne Frau im Türrahmen. Meine japanische Freundin Fujiko Shimada lächelte lieblich. „Guten Morgen, Mike-san! Ist das ein Besuch oder ein Überfall?“

Ihr Anblick hatte Mike die Sprache verschlagen. Sie war lediglich mit einem knappen Morgenmantel im Kimono-Stil bekleidet. Der schenkellange Saum offenbarte hübsche nackte Beine. Aus ihrem Zopf hatte sich eine schwarze Haarsträhne gelöst und hing wie ein Fragezeichen in dem niedlichen Puppengesicht.

Hans Söhnlein räusperte sich verlegen. „Verzeihung, dass wir zu dieser Stunde stören. Sie müssen Fräulein Shimada sein. Joe hat mir viel von Ihnen erzählt. Schön, Sie einmal persönlich kennenzulernen.“ Er stellte sich vor.

Fujiko strahlte ihn an.

„Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Herr Söhnlein – oder sollte ich besser sagen, Mister Brillant?“

Der Hauptkommissar lachte herzlich. „Diesen Spitznamen haben mir die Burschen im Präsidium verpasst. Wäre ich ein eitler Mensch, würde ich annehmen, dass ich ihn meinem brillanten Verstand zu verdanken habe. Aber es ist wohl eher eine Anspielung auf die Sektmarke Söhnlein Brillant.“

„Treten Sie ein. Sie möchten sicher mit Joe sprechen.“

Mike fand die Sprache wieder. „Ja, wenn der Hausherr dazu in der Lage ist. Wir haben ihn schreien gehört. Ist was passiert?“

In Fujikos Mandelaugen tauchte ein bedauernder Ausdruck auf. „Ich bitte um Entschuldigung. Das ist mein Fehler gewesen. Ich bin ein wenig zu stürmisch mit ihm umgegangen.“

„Aha! Verstehe!“ Mike grinste anzüglich und zwinkerte Mister Brillant zu. Sie waren sich sicher, uns in einem Moment trauter Zweisamkeit überrascht zu haben. Fujiko ging die Stufen zum Hochparterre voraus und bat meine Besucher nach japanischer Sitte, vor dem Betreten der Wohnung die Schuhe auszuziehen. Ich war gerade dabei, mich vom Wohnzimmerteppich aufzurappeln und Hundehaare von meinem dunkelgrünen Strickpullover zu zupfen. Abba wuselte um mich herum. Als sie Mike sah, rannte meine Hovawart-Hündin auf ihn zu. Er kraulte sie hinter ihren Schlappohren. „Ei, was für neckische Spiele treibt dein Herrchen denn am frühen Morgen?“

Abba stupste ihn mit der Pfote an. Spar dir die blöden Sprüche – rück lieber einen Keks raus!

„Sorry, hab nichts für dich. Die Leckerchen in meinen Jeans sind für andere Blondinen bestimmt.“

Leckerchen? Kleiner, ich mache mir nichts aus Frankfurter Würstchen!

Ich fühlte mich genötigt, die Situation zu erklären. „Bevor ihr geklingelt habt, musste mir Fujiko unbedingt einen ihrer neuen Judo-Kniffe vorführen. Hat mich glatt aus den Schuhen gehauen. Sie ist eben eine umwerfende Frau.“

Fujiko lachte hinter vorgehaltener Hand und ging ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen.

„Damit kennen wir auch den Grund für den Schrei, den wir gehört haben“, schloss Söhnlein.

Mike glaubte mir kein Wort. „Judo-Training?“, raunte er. „Eine bessere Ausrede ist dir nicht eingefallen, Casanova?“

Mister Brillant betrachtete die beiden Frühstückgedecke auf dem Tisch.

Im Fernsehen lief eine Übertragung der Olympischen Winterspiele in Innsbruck. „Entschuldigen Sie nochmals, dass wir hier unangemeldet hereingeplatzt sind. Ich konnte ja nicht ahnen, dass Fräulein Shimada bei Ihnen eingezogen ist, Joe“, sagte Söhnlein und war äußerst heiter.

„Jeder Mann hat ein süßes Geheimnis“, flötete Mike. „Also deshalb konnten wir uns abends nicht mehr bei dir treffen.“

Die beiden strahlten wie Weihnachtsbäume. Kein Wunder, denn sie hofften, ich würde mich dank Fujiko endlich von meiner Ex-Verlobten Petra Helm lösen. Im Laufe unserer dreizehnjährigen Beziehung hatte sich Petra von einer engagierten Polit-Aktivistin zu einer gewaltbereiten Anarchistin entwickelt. Inzwischen gehörte sie zum harten Kern der Baader-Meinhof-Bande, war an Banküberfällen und der Geiselnahme in Stockholm beteiligt gewesen. Ihr Ausbruch aus einem Berliner Gefängnis lag keine zwei Monate zurück. Das Bundeskriminalamt hatte mir unterstellt, dabei die Finger im Spiel gehabt zu haben und mich vom Dienst entbunden. Nicht nur deshalb hegte ich einen Groll gegen Petra. Die Anschläge der RAF erfüllten mich mit Wut und Abscheu. Mein Kopf sagte mir, Petra würde sich niemals wieder in das liebenswerte, einfühlsame Geschöpf unserer Tanzstundenzeit zurückverwandeln. Aber die romantische Seele in mir weigerte sich, die Hoffnung aufzugeben. In rosaroten Stunden malte ich mir ein Happy End mit der Liebe meines Lebens aus – eines fernen Tages, wenn sie von ihrem Fanatismus geheilt wäre. Meine Eltern und Freunde zweifelten bisweilen an meiner geistigen Gesundheit. Sie hätten ein Verhältnis mit Fujiko als Signal der Bereitschaft interpretiert, mich ihren Vorstellungen gemäß zu verhalten und das Petra-Kapitel abzuschließen. Den Zahn musste ich ihnen ziehen.

„Fujiko und ich sind kein Paar“, stellte ich richtig. „Wir sind gestern im Theater gewesen und es ist spät geworden. Darum hat sie bei mir übernachtet. Dabei durfte ich feststellen, wie unbequem mein Sofa ist.“ Ich rieb meinen steifen Nacken.

„Joe ist mein Nakama … das bedeutet Kumpel“, schob Fujiko nach, während sie zurück ins Wohnzimmer kam. Sie trug jetzt eine Bluse mit Drachenmuster und enge Blue Jeans.

„Capito“, seufzte Mike. „Alles platonisch bei Herrn Platow.“

„Fujiko ist für mich da gewesen seit meiner Suspendierung“, sagte ich und blickte sie dankbar an. „So konnte ich wenigstens ab und zu mit einem vernünftigen Menschen reden.“

„Hey, und was ist mit mir?“, fragte Mike entrüstet. „Wir unterhalten uns doch auch ständig.“

„Die Betonung lag auf vernünftig“, grinste ich.

Abba bellte. Klassisches Eigentor, Papagallo!

„Nun, was verschafft mir die Ehre eures Besuchs?“, fragte ich und bat meine Kollegen, am Esstisch Platz zu nehmen. „Etwas Dienstliches kann es ja nicht sein.“

„In gewisser Weise schon“, schmunzelte Söhnlein.

Mike rutschte aufgeregt hin und her. „Spannen Sie den armen Mann nicht so auf die Folter, Chef. Darf ich es ihm sagen, ja?“

Mister Brillant nickte.

„Das Verfahren gegen dich ist eingestellt worden! Deine Suspendierung ist aufgehoben! Man hat rausgekriegt, dass eine Sozialarbeiterin den Zellenschlüssel zu Petra in den Knast geschmuggelt hat. Ist das nicht ein Hammer!?! Du bist wieder im Dienst, Meister!“

Ich verzog keine Miene und griff nach der Stanwell-Pfeife auf dem Tisch. Fujiko schlug die Augen nieder.

„Mann, überschlag dich bloß nicht vor Begeisterung“, höhnte Mike. Bedächtig zog ich an der Pfeife. „Wisst ihr, ich habe viel von Fujiko gelernt. Über Buddhismus, Meditation, die Kunst des inneren Friedens.“

Sie lächelte auf ihre feinsinnige Art.

„Dabei ist mir klar geworden, wie schön es ist, wenn man sich keine Sorgen darüber machen muss, ob man im nächsten Moment das Messer eines Zuhälters im Rücken hat. Oder einen Kampf gegen Rauschgifthändler führt, den man doch nicht gewinnen kann.“

Meinem Chef schwante Böses. „Was soll das bedeuten?“, fragte er scharf.

„Kommissar Platow reicht seinen Abschied ein.“ Lässig schlug ich die Beine übereinander. „Mit fast 33 Jahren bin ich zwar nicht mehr ganz jung, aber auch noch nicht zu alt, um etwas Neues anzufangen.“

Söhnleins kerniges Seemannsgesicht wurde bleich. „Das kann nicht Ihr Ernst sein?!?“

„Mein voller.“

Mike raufte sich die Lockenpracht. „Hast du nicht mehr alle Latten am Zaun?!?“ Wütend funkelte er mich an. „Was soll dann aus mir werden? Hab keine Lust weiter Dienst mit Uwe Fink zu schieben. Seitdem Saftflasche aufgehört hat zu saufen, ist er noch launischer als früher.“

Fujiko wollte für Entspannung sorgen. „Möchten die Herren einen Tee? In Japan sagt man, dass ein Bad den Körper beruhigt und eine Tasse Tee den Geist.“

„Dann schenken Sie Ihrem Freund mal eine ordentliche Portion ein“, schnaubte Mister Brillant. „Sein Geist scheint nämlich einigermaßen verwirrt zu sein.“

„Durchaus nicht“, korrigierte ich. „Es gibt viele Tätigkeiten, die weniger gefährlich und vielleicht sogar befriedigenderer wären. Ich könnte zum Beispiel Krimis schreiben. Agatha Christi ist vor ein paar Wochen gestorben. Die Lücke könnte ich füllen.“

Abba wedelte mit der Rute. Au ja, und ich gebe in deinen Büchern unqualifizierte Kommentare ab!

Mike rollte mit den Augen. „Fred Feuerstein würde sagen: Du redest Schwachfug!“

„Oder ich nehme ein Studium auf und werde Dozent“, erläuterte ich ungerührt. „Bei unserer ersten Begegnung hat mich Fujiko für einen Professor gehalten. Hat vermutlich an meinen grauen Schläfen gelegen.“ Unwillkürlich strich ich durch mein Silberhaar.

„Mit Verlaub, Fräulein Shimada …“, hob Söhnlein an, „… haben Sie ihn zu diesem Unsinn überredet?“

„Es ist nie zu spät, sich zu verändern“, sagte sie und führte die Teetasse zum Mund. „Auch ich möchte nicht ewig für das Konsulat arbeiten.“

Meine Freundin sank augenblicklich in Söhnleins Gunst. Mürrisch riss er ein Atika-Päckchen auf. „Mein lieber Joe, ist Ihnen bewusst, wie sehr ich mich bei unserer Direktion für Sie eingesetzt habe?“ Er schob sich die erste Zigarette zwischen die Lippen. „Welch glänzende Karriere als Kriminaler Sie wegwerfen? Und das aus einer Laune heraus.“

Ich klemmte die Pfeife in den Mundwinkel. Mein Ton wurde gallig. „Wieso sollte ich weiterhin für einen Staat meine Knochen riskieren, der mich grundlos wie einen Schwerverbrecher behandelt hat? Hätte ich nicht einen Vorschuss an Vertrauen verdient gehabt? Stattdessen hat man mich fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Erwarten die hohen Herren im Präsidium etwa Dankbarkeit von mir? Ein Zeichen ewiger Loyalität und Verfassungstreue? Soll ich vielleicht auf die Bibel schwören, dass ich nie wieder einen Gedanken an Petra verschwenden werde?“

Mister Brillant warf einen Seitenblick auf Fujiko. „Über die Helm sollten wir besser an anderer Stelle sprechen.“

„Ich kenne Joes Einstellung zu dieser Dame“, erklärte sie. „Und ich respektiere seine Haltung.“

„Moment!“, rief Mike. „Ich schwenke bestimmt nicht gerne das Fähnchen fürs Establishment, aber kein Mensch im Präsidium hat dich verdächtigt. Das hattest du allein Seewald zu verdanken, dem ollen Geier.“

Beim Gedanken an den BKA-Mann zog ich eine Grimasse. Hauptkommissar Seewald ließ keine Gelegenheit aus, mir zu unterstellen, ich sei ein Helfershelfer der RAF.

„Jedenfalls hat mich niemand aus der Polizeidirektion gegen die Schlagzeilen der Springer-Presse geschützt“, meckerte ich. „Meine Nachbarn ziehen die Tür zu, wenn sie mich sehen, und schließen zweimal ab.“

„Daher weht der Wind“, murmelte Söhnlein. „Die verlorene Ehre des Joachim Platow.“ Er spielte auf Bölls Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum an. Darin gerät eine junge Frau wegen der Beziehung zu einem mutmaßlichen Terroristen in die Mühlen der Boulevardpresse.

„Man hat mir sogar Drohbriefe geschickt“, gestand ich. „Einen Verräter und Kommunisten wie mich solle man in die DDR ausweisen oder am besten gleich aufhängen! Die Hysterie in diesem Land ist unfassbar! Geschürt durch Revolverblätter wie die BILD. Todesstrafe für Anarchisten – das fordern inzwischen sogar einige Abgeordnete in Bonn. Wie gut, dass wir einen Böll haben! Er prangert die Zustände an als Gewissen der Nation. Zum Dank hat man ihn auf eine Liste vermeintlicher RAF-Sympathisanten gesetzt, gemeinsam mit Fried, Habermas, Grass …“

„Dann befinden Sie sich ja in bester Gesellschaft“, unterbrach Söhnlein. „Nichts für ungut, aber ich verstehe nicht, warum Sie auf einmal den Beleidigten spielen. Bei Ihrem höchst überflüssigen Zeitungsinterview im vergangenen Sommer sind Sie gar nicht zimperlich gewesen. Offen gesagt haben Sie sich einen Dreck darum geschert, was die Leser von einem Polizeibeamten halten, der sich für einen fairen Umgang mit Extremisten einsetzt.“

Ich sah zu Abba. Meine vierbeinige Gefährtin lag auf ihrem Lieblingsplatz vor dem Ofen und schielte zu mir hinauf. Wo der Boss recht hat, hat er recht. Wer im Sturm das Maul aufreißt, darf sich nicht beschweren, dass Dreck reinfliegt!

„Seinerzeit habe ich die Dummheit der Menschen unterschätzt“, sagte ich. „In besagtem Interview habe ich mich für die Gleichbehandlung aller Straftäter ausgesprochen und damit nicht für, sondern gegen die RAF argumentiert. Leider haben das die wenigsten verstanden. Im Grunde handelt es sich bei der Bande um gewöhnliche Kriminelle, um Mörder und Brandstifter. Doch indem unsere Regierung Sonderregelungen für die Stammheimer einführt und ihnen im Prozess Rechte entzieht, die jeder andere Angeklagte besitzt, behandelt man sie letztendlich doch als etwas Besonderes. So baut unser Staat selbst am Mythos der RAF.“ Ich paffte eine Rauchwolke zur Decke. „Erst wenn man die Legende zerstören und die Banalität dieser Verbrecher entlarven würde, könnten verblendete Anhänger wie Petra zur Vernunft gebracht werden.

Wenigstens ist der Antrag von Meinhofs Verteidiger abgelehnt worden, sie als Kriegsgefangene anzuerkennen.“

„Wäre auch eine Verhöhnung für alle gewesen, die wissen, was ein echter Krieg ist.“ Über Hans Söhnleins blaue Augen legte sich ein Schimmer. „Mit 16 Jahren habe ich in einer Flak-Stellung westlich von Kiel gesessen. Frisch von der Schulbank, direkt an die Front. Beim großen Luftangriff `44 ist unser Haus in Schutt und Asche gebombt worden. Zum Glück ist meine Mutter zu der Zeit nicht daheim gewesen. Ja … ich weiß, was Krieg bedeutet.“ Der Hanseat zog an seiner Zigarette. „Ich weiß auch, wie wichtig gute Kameraden sind in schweren Zeiten.“ Väterlich legte er eine Hand auf mein Knie. „Ich schätze Ihren Idealismus. Leider können wir die Politik nicht ändern. Aber wir können in unserem bescheidenen Rahmen dafür sorgen, dass die Welt ein Stückchen sicherer wird, indem wir Verbrechen aufklären und neue verhindern. Dafür brauche ich Ihren Scharfsinn und Ihre Menschenkenntnis.“

Sein schmeichelhafter Appell berührte mich, doch ich zögerte mit einer Antwort. Fujiko ergriff Partei für mich. „Joe liebt Gerechtigkeit. Es fällt ihm schwer, für Menschen einzutreten, die seine Aufrichtigkeit anzweifeln.“

Mike vollführte eine wegwerfende Geste. „Ach, es kräht doch kein Hahn mehr danach, was die Schmierfinken über Joe geschrieben haben. Heute interessiert die Leute, wie viele Medaillen Rosi Mittermaier in Innsbruck holt, so sieht`s aus. Den politischen Kram vergessen sie schnell. Spätestens wenn die Stammheimer verknackt sind, ist der Terroristen-Spuk vorbei und bei uns ist es wieder so friedlich wie im Land des Lächelns.“

Ich wusste, Fujiko würde ihn gleich korrigieren. Auf die indirekte japanische Art, wohlverpackt in ein Lob.

„Dass in Japan Frieden herrscht, ist eine wunderbare Annahme von Ihnen, Mike-san. Leider entspricht es nicht den Tatsachen“, sagte sie betrübt. „Der Terrorismus ist kein deutsches Problem. Wir haben auch eine RAF, nämlich die Japanische Rote Armee, die Anschläge auf der ganzen Welt verübt. Vor zwei Jahren hat es einen Angriff auf eine Drogerie in Paris gegeben, mit zwei Toten und über dreißig Verletzten. Die JRA arbeitet eng zusammen mit Carlos, dem Schakal.“

„Der Typ, der vor Weihnachten die OPEC in Wien überfallen hat?“, fragte Mike.

„Hai. Anführerin der Organisation ist Fusako Shigenobu. Dass eine Frau an der Spitze steht, ist in meiner Heimat, wo die Männer das Sagen haben, ein weit größerer Skandal als die Attentate, die sie verübt.“