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Als eine völlig entstellte Leiche in einer stillgelegten Fabrikhalle entdeckt wird, sind Kriminalhauptkommissarin Merry Semmler und ihr Team einer großen Herausforderung gestellt. Es bleibt nicht bei einem brutalen Mord. Bald stoßen sie auf weitere ebenso grausam und fantasiereich inszenierte Opfer. Schnellstens müssen sie herausfinden, wer hinter dieser gewaltsamen Mordserie steckt. Kann das Team einen weiteren grausamen Mord verhindern?
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Seitenzahl: 247
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Texte: © Copyright 2024 by Mara ReischAlle Rechte vorbehaltenDas Werk darf – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung der Autorinwiedergegeben werden.Umschlaggestaltung: © Copyright by Mara Reisch
ISBN: 978-3-818735-85-2
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Mara Reisch
KOMMISSARIN
MERRY SEMMLER
NUR DER TOD BRINGT ORDNUNG
Kriminalroman
Impressum
Texte: © 2024 Copyright by Mara Reisch
Umschlag:© 2024 Copyright by Mara Reisch
Verantwortlich
für den Inhalt:Mara Reisch
Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 1
Sein Kopf schmerzte fürchterlich. Mein Gott, so einen Brummschädel hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Dabei hatte er doch gestern auch nicht mehr gebechert als sonst.
Je mehr er zu sich kam, umso mehr pochte es hinter seiner Stirn. Er wollte sich mit seiner rechten Hand an den Kopf fassen, aber er bekam seinen Arm irgendwie nicht bewegt. Okay, er musste erst mal richtig wach werden, aber irgendwie fühlte er sich dazu nicht in der Lage. Wo war der Lastwagen, der ihn überrollt haben musste? Er spürte auch komischerweise seine Arme und Beine nicht mehr.
Scheiße Mann, eins von den zwei Bierchen muss wohl schlecht gewesen sein. Langsam begann er seine Augen zu öffnen, obwohl er sie eigentlich lieber zulassen und weiterschlafen wollte, da seine Kopfschmerzen jetzt immer stärker wurden.
Er versuchte sich langsam zu bewegen, was ihm aber nicht gelingen wollte. Er blinzelte qualvoll durch seine halb geöffneten Augen und konnte nur erkennen, dass er nicht zuhause in seinem Bett lag. Man Alter, wo war er?
Je mehr er zu sich kam wurde ihm bewusst, dass er gefesselt auf einem nassen und sehr kalten Boden lag. Verunsichert und zitternd schaute er auf hohe Betonwände, die um ihn herum jegliche Sicht versperrten und ihn vermuten ließen, dass er in einer Grube lag. Seine Kleidung war völlig durchnässt, was ihn noch mehr zittern ließ.
Er überlegte krampfhaft, wie er dort hingekommen sein könnte und warum seine Kleidung so nass war.
Verdammt noch mal, was war passiert? Panisch versuchte er sich von seinen Fesseln zu befreien oder sie wenigstens ein wenig lockern zu können. Er zappelte und schrie vor Schmerzen aber nichts passierte. Es dauerte einige Minuten, bis er völlig erschöpft aufgab und erst dann das leichte Platschen auf seinem nassen T-Shirt in Bauchhöhe bemerkte. Er versuchte seinen Kopf zu heben, um herauszufinden, was dort gerade passierte. Da, schon wieder! Irgendetwas tropfte auf seinen Bauch. Er schaute langsam nach oben und sah recht verschwommen einen Wasserschlauch über sich hängen, aus dem sehr langsam, aber kontinuierlich Wasser auf ihn heruntertropfte. Er versuchte sich wegzudrehen, aber er konnte sich noch so sehr anstrengen, er kam nicht von der Stelle. Er war nicht nur gefesselt, sondern auch irgendwie am Boden so fixiert, dass er bis auf seinem Kopf völlig unbeweglich war.
Was zur Hölle ist hier los? Wie lange liege ich hier schon? Was soll das alles? Tausend Fragen gingen ihm durch den Kopf. Immer wieder versuchte er sich zu erinnern was passiert sein könnte, aber er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum und seit wann er sich in dieser Situation befand.
Er war gefesselt aber nicht geknebelt, sein großes Glück dachte er und begann laut um Hilfe zu rufen. Er schrie und schrie und schrie. Nach endlos langem Brüllen wurde ihm klar, dass das sinnlos war, es schien, dass niemand ihn hörte. Seine Hilferufe kosteten ihm nur Kraft, die er kaum noch hatte. Das Schallen seiner Schreie wurde von Mal zu Mal leiser, bis er schließlich aufgab. Erst gab er noch ein klägliches Schluchzen von sich, bis er dann ganz verstummte.
Lange Zeit lauschte er nach Geräuschen in der Hoffnung, dass ihn doch jemand gehört hatte und ihn aus diesem elenden Loch herausholen würde. Er bildete sich mehrmals ein, entweder ein Rascheln oder Schritte gehört zu haben aber Niemand kam. Sollte das etwa sein Ende hier sein?
Er begann wieder zu schreien, diesmal vor Wut, dabei rannen Tränen über sein verschwitztes Gesicht. Doch nach einer Weile musste er wieder erschöpft aufgeben, er hatte nach dieser Aktion nur noch mehr Schmerzen, besonders da wo sich die Schnüre in sein Fleisch eingeschnitten hatten. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er gleich platzen. Er hatte nicht nur die verdammten Schmerzen, sondern auch großen, quälenden Durst. Wenn die Situation nicht so ernst wäre, würde er jetzt lachen. Wasser war genug da, dachte er, nur kam er nicht ran. Mit großer Mühe versuchte er seinen Kopf erst nach links, dann nach rechts in Richtung seiner Schultern zu drehen. Er wollte mit seiner Zunge etwas Wasser von dem nassen T-Shirt auf seiner Schulter auflecken. Aber so sehr er es auch versuchte seine Schultern in Richtung Mund anzuheben und seine Zunge so weit wie möglich auszustrecken, er kam gerade nur mit der Zungenspitze an seine nasse Schulter ran. Es war keine Möglichkeit sich so seinen unerbittlichen Durst zu stillen. Zitternd am ganzen Körper, kraftlos und verzweifelt ließ er seinen Kopf wieder auf den Boden sinken. Ein Krampf sorgte nun noch für zusätzlichen Schmerz an seinem Hals, da er die seitlichen Sehnen völlig überanstrengt hatte.
Eine bleierne Müdigkeit übermannte ihn nach diesen ganzen Anstrengungen und er schloss seine Augen, aus denen sich noch immer kleine Tränen langsam zwischen seinen flatternden Wimpern quetschten.
Wieder so ein Tag! Ein Tag wie es schon so viele davon gegeben hatte. Müde ging er zu seinem Kühlschrank, öffnete die Tür, holte sich wie jeden Abend sein Feierabendbierchen raus. Langsam schleppte er sich mit seinem flüssigen Abendbrot zum Sofa und schaltete den Fernseher ein.
Nun machte er diesen Job drei Jahre. Drei Jahre jeden Morgen, früh raus auf die Straße, um sich jeden Tag anpöbeln zu lassen.
Er sehnte sich immer öfter an die Tage zurück, an denen seine Welt noch in Ordnung war. Sie hatten ein eigenes Autohaus, welches nicht nur gut, sondern sehr gut lief. Sie fingen damals klein an, indem sie erst eine kleine Werkstatt hatten, dann aber nach und nach sich vergrößerten. Zuerst hatten sie die Gelegenheit einen kleinen Verkaufsraum dazu zu mieten. Zu guter Letzt zogen sie auf ein großes Gelände in einem Industriegebiet mit moderner Werkstatt und großem Ausstellungsraum, in dem viele reiche Autofans ihren passenden schicken Sportwagen fanden. In ihren besten Zeiten hatten sie siebenunddreißig Mitarbeiter eingestellt. Mit “sie“ meinte er seine damals sehr hübsche Ehefrau Tanja und sich. Anfangs hatte Tanja ihm viel geholfen und ihn unterstützt, soviel sie konnte. Doch als es ihnen dann finanziell sehr, sehr gut ging, verstand sie es sich langsam aus dem Geschäft zurückzuziehen, um die schönen Dinge im Leben zu genießen.
Er lebte mit seiner Gattin in einem sehr schicken und modernen Haus mit großem Garten und Swimmingpool. Sie konnten es sich leisten oft das Theater, die Oper oder sehr feine Sterne Restaurants zu besuchen. Sie waren sehr angesehene Geschäftsleute, auf wichtigen offiziellen Events vertreten, und hatten so manche Prominenz auf Partys bei sich zu Hause empfangen können.
Dann kam Corona und alles Gute wendete sich zum Bösen. Zuerst dachten sie, dass man nach einigen Monaten mit nächtlichen Ausgangssperren und vielen anderen einschneidenden Maßnahmen mit einem blauen Auge durchkommen würde. Aber die Pandemie zog sich über zwei Jahre und die Wirtschaft wurde enorm heruntergefahren. Viele Firmen, Restaurants, Hotels und Geschäfte überlebten die Pandemie nicht. Viele Menschen verloren ihre Arbeit und folglich nahm die Kaufkraft ab.
Zuerst konnten sie die Verluste noch mit Personalabbau auffangen, doch dann ging alles sehr schnell und auch sie mussten letztendlich Insolvenz anmelden.
Sie verloren alles, ihr schönes Eigenheim, die “guten Freunde“ und als Letztes verließ ihn auch noch seine Ehefrau. Sie nannte ihn einen “Looser“, nicht nur weil er alles verloren hatte, sondern weil sie auch in den ganzen fünfzehn Ehejahren keine Kinder bekommen konnten.
Nun lebte Tanja mit einem Großindustriellen in einer großen Villa in einem Vorort von München. Seine Familie produzierte seit über mehreren Generationen Backwaren in ganz Deutschland. Tja, nun vögelte seine Ex-Frau einen Multimillionär, war umgeben von Luxus und Alkohol, aber immer noch kinderlos!
Er hatte sich mittlerweile damit abgefunden, dass seine Ex, mit Juwelen behangen und Designer Klamotten bekleidet, ihren neuen reichen Macker glücklich machte, während er selbst in einer spärlich eingerichteten Zweizimmerwohnung in einem Wohnblock in Köln Kalk lebte. Sein Luxus war ein großer Flachbildschirm im Wohnzimmer und ein immer mit Bier befüllter Kühlschrank. Was brauchte er sonst noch? Hauptsache er konnte abends auf seiner durchgesessenen Couch sitzen, Sport gucken und sein Bierchen trinken.
Ab und zu kam ihn sein Kollege und zugleich bester Freund Thomas besuchen.
Thomas war auch derjenige, der ihm zu seinem neuen Job im Ordnungsamt verholfen hatte. Immerhin hatte er einen Job, auch wenn er diesen so sehr hasste.
Ja, er hasste es jeden Tag mit diesem Pöbel konfrontiert zu werden. Meist junge Leute, die auf der Straße herumlungerten, laut herumschrien, Alkohol soffen oder Drogen nahmen und nicht selten ihn und seine Kollegen anmachten oder sehr oft sogar auch angriffen. Was war nur aus den Menschen geworden?
Heute zum Beispiel wurden Thomas und er auf eine Gruppe von unterbelichteten Idioten aufmerksam, die auf der Treppe zur Domplatte saßen, Bier soffen, Joints rauchten und ihre leeren Bierflaschen nach Passanten schmissen.
Er hatte mit seinem Freund mehrmals versucht die Vollpfosten aufzufordern die Treppe zu verlassen.
Die aber tranken ziemlich vergnügt ihr Bier einfach weiter und schmissen ihm dann mit lautem Gejohle eine leere Flasche vor seine Füße.
Nachdem er die Faxen satthatte und die Polizei anrufen wollte, kam einer der Typen zwei Stufen runter, baute sich vor ihm auf, holte tief Luft und rotzte ihm so richtig ins Gesicht. Danach drehte sich das Schwein wieder um und setzte sich zurück zu seinen Kumpels. Diese hauten ihm johlend auf seine Schultern und verkündeten lautstark, wie toll er das doch gemacht hatte. Uns riefen sie dann zu, ob wir noch Fragen hätten und dass wir uns doch schnellstens verziehen sollten.
So derart gedemütigt und angeekelt hatte er sich noch nie gefühlt. Nicht einmal, als Tanja ihn aufs übelste beschimpfte und ihm die Scheidungspapiere auf den Tisch legte.
So konnte das nicht weiter gehen. Er wollte sich so nicht mehr behandeln lassen. Was glaubten denn alle, wer er war? Diese scheiß Arschlöcher mussten einfach lernen, dass man das mit ihm nicht machen konnte!
Er lag immer noch in dieser verdammten Grube. Es war immer noch keiner gekommen, um ihn zu befreien. Sein Mund und Hals waren furchtbar trocken und schmerzten. Alles schmerzte. Seine Zunge war geschwollen und fühlte sich so dick wie ein Tennisball an. Er wusste nicht, wie lange er schon dort lag, er wusste nur, dass es mehrmals dunkel und dann wieder hell wurde. Aber vielleicht wurde es auch nur dunkel um ihn herum, weil er das Bewusstsein verlor. Keine Ahnung, wenn nur nicht dieser verfluchte Durst wäre. Er drehte den Kopf gefühlte hundert Mal zur Seite, streckte die Zunge so weit raus, wie es ging und zog so weit wie möglich seine Schultern hoch, um sie mit der Zungenspitze berühren zu können. Dabei drehte er den Kopf so schief zur Seite, dass er sich fast den Hals dabei verrenkte. Aber mittlerweile war er auch dazu nicht mehr in der Lage, weil er einfach zu schwach wurde. Es verursachte ihm nur noch mehr unvorstellbare Schmerzen, aber was würde er dafür geben, seine Zunge nur noch einmal etwas befeuchten zu können.
Er schloss die Augen und versuchte erneut den letzten Tag in seinen Gedanken ablaufen zu lassen. Den letzten “normalen“ Tag, bevor er in diese Hölle landete. Er wusste immer noch nicht, wie er dort hingekommen war. Er konnte sich nur langsam wieder daran erinnern, dass er mit seinen Kumpels auf der Treppe zur Domplatte am Bahnhofsvorplatz saß, ein paar Bierchen mit ihnen zusammen getrunken und ein bisschen Gras geraucht hatte. Sie hatten wie immer ihren Spaß zuzuschauen, wie all die Spießer zum Hauptbahnhof teilweise rannten oder aus dem Bahnhof hasteten, um ihren nächsten Zug oder Straßenbahn zu erwischen. Sie huschten an ihnen vorbei und würdigten ihnen entweder keinen aber am meisten einen angewiderten Blick und murmelten unverständliche leise, aber mit Sicherheit abfällige Bemerkungen über sie.
Touristen, die täglich den Kölner Dom begafften und mit ihren Smartphones tausende Bilder in allen Posen schossen. Leute, die jeden Tag zur Arbeit fuhren, um sich von irgendjemanden herumkommandieren zu lassen. Das hatte er sich für immer geschworen: Er lässt sich von niemanden herumkommandieren. Mit Freunden abhängen, Taschendiebstähle, gelegentliche Einbrüche tätigen, das waren seine Beschäftigungen, um wieder an Stoff wie Alkohol oder Gras zu kommen. Das sollte sein einziger Stress sein.
Okay, wir waren ein bisschen laut geworden und hatten unsere Bierflaschen in die Menschenmenge am Bahnhofsvorplatz geworfen. Dabei hatten sie sich fast totgelacht, als die bekloppten Spießer entsetzt zur Seite sprangen und uns beschimpften. Oh Mann, was für ein Spaß.
Aber dann kamen diese zwei Spinner, die meinten uns sagen zu müssen, dass wir das Gelände verlassen sollten. Er wusste nicht mehr, ob diese Wichtigtuer Bullen waren oder von irgendeinem anderen beschissenen Verein kamen. Die hatten irgendwas auf ihren dunklen Jacken hinten auf dem Rücken stehen. Was das war, daran konnte er sich nicht mehr erinnern. Scheißegal, diese Idioten waren doch nur neidisch.
Dann irgendwann als er auf dem Nachhauseweg war, hatte ihn jemand angequatscht. Er war müde, hatte kein Bier mehr und wollte einfach nur ins Bett. Er hatte den Typen nicht richtig verstanden und ist einfach weitergegangen. Plötzlich hatte er so einen scheiß stinkenden Lappen vor seinem Mund und seiner Nase und es wurde schnell dunkel um ihn herum.
Ach, Bier, ja, was für eine geile Vorstellung, jetzt könnte er ein ganzes Fass davon austrinken. Er konnte kaum noch was sehen. Auch das Schlucken war nicht mehr möglich, zumal nichts mehr zum Schlucken vorhanden war, sein Mund war ohne jeglichen Speichel.
Plötzlich meinte er eine Gestalt am Rand der Grube stehen zu sehen.
»Oh, wow, was für ein geiles Schneckchen«, murmelte er. »Eine barbusige hübsche Blondine mit dicken Titten, die mir endlich ein Tablett mit eisgekühlten Getränken bringt«, kam es lallend aus seinem Mund.
Meine Rettung dachte er und rief den Umrissen zu.
»Komm her du kleine süße Schlampe, ich bin bereit.«
Er kicherte leise.
Dieser Durst, oh mein Gott, wenn doch nur nicht dieser schreckliche Durst wäre!
Eigentlich wollte er ja gar nicht mehr an diesen Ort zurückkommen, aber irgendwie musste er sich dieses Schwein noch mal anschauen. Er wollte sehen, wie es ihm ging, vielleicht hatte er ja schon das Zeitliche gesegnet.
Nein, da lag der kleine, zitternde Idiot in der Grube, merkwürdig verkrampft. Die Zunge war schon ziemlich geschwollen und schaute aus seinem Mund heraus. Mit seinen Augen versuchte er krampfhaft zu erkennen, wer da oben an der Grube stand.
»Na, Arschloch, noch genug Spucke im Maul?«
Er überprüfte, ob im Wassertank noch genügend Wasser war, damit das künstlich hergestellte Spucken mit Hilfe des Schlauchs nicht zu stoppen drohte. Aber so wie der Spacko da unten aussah, brauchte er kein Wasser mehr nachzufüllen. Er öffnete sich eine eisgekühlte Bierflasche mit einem lauten Ploppen, wobei ein feiner Biernebel in alle Richtungen versprühte.
»Ach, jetzt so ein kleines kühles Helles. Herrlich!«
Er setzte die Bierflasche an seinen Mund und trank ein paar große Schlucke daraus. Die gurgelnden und zischenden Geräusche, während er das Bier durch seine Kehle liefen ließ, waren bis unten am Boden der Grube zu hören.
»Ich hätte dir ja gerne was abgegeben, aber wie ich sehe, bist Du seit vier Tagen trocken.«
Er lachte laut, leerte die Bierflasche in einem Zug und schmiss sie dann in die Grube. Die Flasche zerschellte in viele kleine Glassplitter, die zum Teil den Sterbenden trafen.
Tja, das würde wohl noch länger dauern hier, bis der Arsch da unten seine Augen für immer zu machen würde, daher entschied er sich lieber zu verschwinden. Er durfte auf keinen Fall von einem dieser verrückten Hobbyfotografen gesehen werden, die sich hin und wieder unerlaubt Zutritt zu dieser Halle verschafften. Schade eigentlich, er hätte gerne gesehen, wie dem Typen da unten das Licht ausging.
Nachdem er gegangen war, hörte nach wenigen Stunden der Körper der gefesselten Person langsam auf zu zittern. Ein bizarres Lächeln zog sich über sein Gesicht, als er wieder das sexy Busenwunder am Grubenrand mit einem Tablett voller Bier stehen sah. Ein leichter Seufzer verließ seinen Mund, als alles endgültig um ihn herum langsam für immer dunkel wurde. Er verspürte keinen Durst, keine Kälte und keine Schmerzen mehr.
Erste Kriminalhauptkommissarin Merry Semmler und ihr Kollege Kriminalhauptkommissar Peter Vogt waren am frühen Morgen unterwegs zu einem Fabrikgelände in Wesseling, welches schon seit 1992 still lag und seitdem immer mehr verfiel. Ehemals ein bautechnisch und architektonisch wichtiger Industriebau. Jetzt beliebt bei Fotografen, die sich auf der Jagd nach beliebten Fotos zum Thema „lost places“ begaben und zumeist die Gefahren unterschätzen, die solch verfallene Bauten mit sich brachten. Allzu leicht konnten versteckte Löcher, baufällige Wände und Decken zu lebensgefährlichen Fallen für die Fotografen werden.
Merry hieß eigentlich mit vollem Namen Merry Mara Semmler. Sie entschied sich aber bewusst nur für Merry als Rufnamen, weil sie die Entstehung des Vornamens schön und originell fand. Ihre Großmutter wurde 1913 geboren und der Standesbeamte damals hatte den Namen nicht als Mary, sondern als Merry in die Geburtsurkunde eingetragen. Der ungewöhnliche Name, der einen automatisch immer an Weihnachten erinnerte, wurde in der Familie von Generation zu Generation weitergegeben. So hieß ihre Mutter Merry Renate und sie selbst hatte dann ihrer Tochter wiederum den Namen Zoe Merry gegeben, wobei ihre Tochter nur Zoe gerufen wurde.
Merry leitete nun seit etwas mehr als zehn Jahre ihr Team, war eine sehr ehrgeizige und erfolgreiche Ermittlerin und als Teamleiterin hoch angesehen und respektiert. Sie war nun zweiundfünfzig und hatte durch ihren Beruf schon viel schreckliches gesehen und erlebt aber niemals an ihrer Berufswahl gezweifelt. Sie würde weiterhin alles tun, um gegen jegliche Verbrechenstaten vorzugehen. Ihr Team hatte eine sehr hohe Aufklärungsrate und war bekannt und geschätzt dafür.
»Wer hat den Leichenfund gemeldet?« fragte sie.
»Einer von diesen Hobbyfotografen, der sich illegal Zugang zum Gebäude verschaffte und fast in diese Grube gefallen wäre, in der er die Leiche fand«, antwortete ihr Kollege Peter, der schon von Anfang an mit an ihrer Seite ermittelte.
Peter sah echt verdammt gut aus mit seinen verschmitzt lachenden Augen, die strahlend blau leuchteten, dunklen Haaren, drei-Tage Bart und voll durchtrainierten Körper. Merry hatte im Laufe der Zeit nur zu oft mitbekommen, dass er gerne überzeugter Single blieb und auch wirklich nichts ausließ, sobald sich eine Möglichkeit ergab.
»Weiß man schon, wer der Tote ist?« fragte sie, während sie auf das Fabrikgelände zuraste.
Er schüttelte den Kopf.
»Soviel ich weiß, nein.«
Er war froh, dass sie fast da waren. Ihr Fahrstil hatte sich in den ganzen Jahren nicht geändert. Nicki Lauda war eine Schnecke dagegen.
Endlich erreichten sie das Fabrikgelände. Merry rauschte mit dem erst frisch gewaschenen Dienstwagen durch die Pfützen und blieb erst kurz vor den parkenden Polizeiwagen abrupt stehen.
Beide nahmen sich schnell Latexhandschuhe aus dem Handschuhfach, verließen das Auto und sprachen den dort auf dem Hof stehenden Polizisten in Uniform an.
»Guten Morgen Kollege, wo finden wir die Leiche?«
Er begrüßte sie, zeigte ihnen den Eingang zur Halle und teilte ihnen mit, dass der Gerichtsmediziner schon vor Ort sei.
Sie zogen sich die Gummihandschuhe an, während sie die große Halle betraten. Der Boden war staubtrocken nur vereinzelt sah man ein paar flache Pfützen, wo es anscheinend durch das undichte Dach reingeregnet haben musste. Überall lagen eine Menge Müll oder alte verrottete Fabrikteile verteilt. Ein paar Meter weiter, fast am Ende der Halle, wuselten schon einige Kriminaltechniker der Spurensicherung in ihren weißen Anzügen um eine längliche Grube herum, die von einem aufgestellten Strahler hell beleuchtet wurde. Als sie näher herankamen, sahen sie einen großen befüllten Tank danebenstehen, von dem ein langer Schlauch zur Grube führte. Eine Eisenstange lag quer über der Grube, an die der Schlauch festgebunden war. Das Ende des Schlauchs befand sich genau in der Mitte der Stange, aus dem Wasser ganz langsam tropfte.
Unten auf dem Boden lag eine gefesselte Leiche, die entsetzlich entstellt aussah. Das Gesicht war völlig eingefallen und die Haut sah wie Pergamentpapier aus. Die Augen waren geschlossen, der Mund war offen in dem man die dick angeschwollene Zunge sehen konnte. Der Körper des Toten lag in einer flachen Wasserlache, die vermutlich durch den tropfenden Wasserschlauch entstanden war.
Ein Kriminaltechniker machte Fotos von der Leiche, der gebastelten Wasserkonstruktion, dem Grubenboden und Wänden.
Anschließend wurde die Eisenstange mit dem tropfenden Wasserschlauch entfernt und eine Leiter in die Grube gestellt. Der Rechtsmediziner Dr. Alexander Humboldt stieg hinab in die beleuchtete Grube, kniete sich neben dem Leichnam und begann mit seinen Untersuchungen.
Merry, die sich mit einem Forensiker unterhielt, sah dass der Gerichtsmediziner mittlerweile bei dem Toten war. Sie trat an den Rand der Grube und beugte sich runter.
»Hallo Alexander. Mein Gott, was für ein grauenhafter Fund! Kannst Du schon was sagen? Was hast du diesmal entdeckt?«
Merry guckte ihn verschmitzt dabei an.
Er drehte den Kopf nach oben und antwortete mürrisch.
»Auch einen schönen guten Morgen, Kollegin.«
War das jetzt wieder eine Anspielung auf seinen Namen, das war er ja schon gewohnt. Wegen seines berühmten Namensvetters Alexander von Humboldt hatte er sich schon so oft diese Art von Sprüchen anhören müssen.
»Ja, das ist wirklich ganz schön heftig. Ich habe schon viel gesehen aber so was hier habe ich bisher auch noch nicht gehabt.«
Er drehte seinen Kopf zurück zur Leiche und begann zu erzählen, was er bisher herausgefunden hatte.
»Tja, bis jetzt kann ich Euch nur sagen, dass das Opfer männlich ist. Sein Alter ist wegen des Zustandes schlecht zu sagen, ich schätze mal um die zwanzig Jahre alt. Ihr wisst ja, ich lege mich nicht gerne vor der Obduktion fest. Was ich aber jetzt schon mit Bestimmtheit verraten kann ist, dass das Opfer regelrecht verdurstet ist.«
Er nahm ein Stück Haut des Opfers zwischen seine Finger, zog diese ein wenig hoch und ließ sie wieder los.
»Hier, seht ihr? Wenn ich ihm hier am Arm ein wenig an der Haut ziehe, bleiben die Falten einfach stehen. Außerdem sind in seinem Mund die Schleimhäute völlig ausgetrocknet und das nicht nur, weil der Mund offen gestanden hat. Er hat seit Tagen schon kein Wasser mehr zu trinken bekommen.«
Peter stieg ebenfalls die Leiter runter, um sich die Leiche näher anzuschauen.
»Kannst Du uns schon was zum Todeszeitpunkt sagen?« fragte er Alexander.
»Ganz schwierig! Wie lange es ein Mensch ohne Wasser überlebt, hängt ganz vom Körpergewicht, Körpergröße und äußeren Umständen ab. Ich schätze mal, dass es hier drei bis vier Tage gedauert hat. Aber wie schon gesagt, Genaueres erst nachdem er bei mir auf dem Tisch gelegen hat.«
Merry kam ebenfalls runter.
»Gibt es schon Hinweise auf die Identität des Opfers?«
Alexander schüttelte den Kopf.
»Vielleicht finden wir in seiner Gesäßtasche eine Geldbörse mit Ausweis oder ein Smartphone, aber dazu müssen wir erst einmal die Fesseln aufschneiden und ihn umdrehen.«
Peter schaute sich die nasse Kleidung des Toten an.
»Ich sehe keinen äußerlichen Verletzungen, warum hat er nicht versucht mit seinem Körper so weit zu rutschen, dass er mit seinem Mund das tropfende Wasser von oben hätte auffangen können?«
Alexander zeigte ihm ein paar Eisenringe, die im Boden verankert waren.
»Weil er hiermit fixiert wurde. Er konnte sich keinen Zentimeter wegrollen.«
Merry schaute nachdenklich.
»Das ist wirklich grauenhaft! Man spürt das Wasser auf seinen Körper tropfen, kommt aber nicht daran! Entweder hat sich jemand fürchterlich gerächt oder aber, wir haben es hier mit einem kranken Sadisten zu tun.«
Währenddessen hatte man die Leiche von den Fesseln befreien können, durchsuchte die vorderen Hosentaschen, drehte den Körper vorsichtig auf die Seite und fand dann schließlich in einer der Gesäßtaschen der Jeans ein Smartphone. Alles wurde genaustens mit einer Fotokamera festgehalten.
Alexander gab Merry das Smartphone, welches sie gleich versuchte einzuschalten, was sich aber als erfolglos erwies. Es war komplett nass und musste erst einmal getrocknet werden. Sie betete inständig, dass es wieder ans Laufen gebracht werden konnte. Sie gab das Gerät einer Kollegin der Spurensicherung weiter, die gerade einige Glassplitter mit der Pinzette vom Boden aufhob und in eine Beweistüte steckte.
Während die Kollegin ihre Arbeit unterbrach und das Telefon eintütete, gab Merry ihr gleichzeitig ihre Anweisungen.
»Geben Sie das bitte unseren Spezialisten der Technik, die sollen das so schnell wie möglich trocknen und entsperren. Danke.«
Sie warf noch einen letzten Blick auf die Leiche und stieg dann die Leiter wieder hoch zu ihrem Kollegen Jakob Franzen von der Kriminaltechnik, mit dem sie schon von Beginn an als Leiterin des Kommissariats in Köln arbeitete. Sie sah ihn am Rand der Grube weitere Fotos machen.
»Hallo Jakob, gibt es irgendwelche brauchbaren Spuren?«
»Ja, einmal haben wir hier an dieser Wand der Grube ein komisches Zeichen, welches mit Kreide angezeichnet wurde. Wir können noch nicht genau sagen, ob das vom Täter ist oder ob es sich um eine von vielen Schmierereien handelt, die man hier fast überall in der Halle finden kann.»
»Und dann haben wir noch das hier», fügte er hinzu, während er Merry frische Reifenspuren auf dem verstaubten Boden zeigte.
»Der Täter muss das Opfer bis hierhin mit einem Auto transportiert und dann von hier bis zur Grube geschleift haben.«
Er verwies auf die durch den Dreck gezogenen Schleifspuren, die am Rand der Grube endeten.
»Anschließend hat er das Opfer heruntergetragen, dabei benutzte er voraussichtlich diese Leiter hier, die bestimmt schon seit Schließung der Firma hier lag.«
Diesmal zeigte er dabei auf eine Metalleiter, die jetzt an einer Säule angelehnt stand.
»Wir werden die Leiter mitnehmen und auf Fingerabdrücke und DNA untersuchen«, wies Merry an.
»Ich gehe davon aus, dass wir es hier mit nur einem Täter zu tun haben, da bis jetzt nur ein Fußabdruck gefunden wurde«, ergänzte Jakob noch seinen ersten Bericht.
Merry bedankte sich und ging zu einem weiteren Kollegen der KTU, der gerade dabei war mit feinem, schwarzem Puder den Tank vorsichtig einzupinseln.
»Konnten Sie schon Fingerabdrücke finden?«
Er schüttelte den Kopf.
»Leider nein, hier wurde alles gründlich gereinigt. Mit alles meine ich den Tank, den Schlauch und die Eisenstange.«
Die Stange und der Schlauch lagen mittlerweile auf dem Hallenboden auf einer Plane und warteten auf ihren Transport ins Labor.
»Schade, aber war ja zu erwarten. Aber bitte dennoch alles auf DNA-Spuren untersuchen, so schnell geben wir doch nicht auf, oder?«
Peter war nun auch wieder aus der Grube hochgeklettert und stand neben seiner Chefin.
»Schon krass das Ganze. Wäre der Fotograf ein oder zwei Tage früher gekommen, hätte der Typ da unten vielleicht noch überleben können.«
Merry drehte sich zu Peter um.
»Weiß man’s? Aber sag mal, wo ist eigentlich unsere verehrte Kollegin?»
»Wiebke hat doch heute Morgen ihre Zeugenaussage beim Gericht.«
»Ach ja, stimmt.«
Sie ärgerte sich, dass sie das vergaß.
»Ich glaube hier gibt es erst mal nichts mehr für uns. Komm, lass uns verschwinden, ich brauche jetzt einen richtig starken Kaffee und was zwischen die Zähne.«
»Gute Idee«, erwiderte er und zog seine Gummihandschuhe aus. Aber diesmal würde er zurückfahren, ganz sicher, ansonsten hätte er nach Ankunft im Büro keinen Hunger mehr.
Am frühen Nachmittag saßen Merry und Peter zusammen mit Staatsanwalt Dr. Bernhard Meyer am Besprechungstisch im Kommissariat, um ihm die wenigen Informationen weiterzugeben, die sie mühsam zusammenbekommen hatten.
Mittlerweile war auch Kriminalkommissarin Wiebke Stahler vom Gericht zurück. Sie stand mit dem Rücken zum Tisch und schaute sich die Fotos vom Tatort an, die an der Ermittlungsglasscheibe hingen.
»Warum musste der arme Kerl auf diese Art und Weise sterben? War das so geplant, dass er so elendig verdurstete oder war das unbeabsichtigt?« dachte sie laut.
Wiebke war jetzt seit fast vier Jahren ein Mitglied dieses Teams und arbeitete genauso verbissen an allen Fällen wie ihre Chefin. Sie verstand sich nicht nur arbeitsmäßig sehr gut mit Merry, sondern sie waren auch schon seit längerer Zeit sehr eng miteinander befreundet. Sie hatten regelmäßig ihre sogenannten Mädels-Abende, an denen sie sich bei einem leckeren Essen und anschließendem Bierchen in ihrer Stammkneipe in Köln alles Berufliche und Privates erzählten. Sie wusste auch, dass ihre Freundin schon seit fast zwei Jahren ein heimliches Verhältnis mit Bernhard dem Staatsanwalt hatte. Sie fand, dass die beiden auch sehr gut zusammenpassten. Sie selbst war leider schon seit einem Jahr Single.
Nachdenklich hielt Wiebke den Kopf geneigt, während sie sich die Fotos anguckte. Ihre schönen braunen Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden, der bei Betrachtung der Bilder schräg über ihrer Schulter lag. Ihre Kollegen hatten sie im Kommissariat noch nie mit offenen Haaren gesehen. Sie war eher der sportliche Typ, kam meist in Jeans und Turnschuhen zur Arbeit. Außer einer sehr großen Armbanduhr trug sie nie Schmuck.
»Dann dieses komische Zeichen hier an der Grubenwand neben der Leiche. Habt ihr die KTU schon gefragt, ob das vom Täter sein könnte?« fragte Wiebke ihre Kollegen und zeigte mit dem Finger auf das Foto mit dem Zeichen, welches die Form eines ovalen Kreises mit einem Haken im Inneren zeigte.
»Wenn es vom Täter ist, was will er uns damit sagen?« murmelte sie vor sich hin.
»Was wissen wir denn jetzt schon alles über das Opfer?« fragte Bernhard und griff sich ein Croissant aus der Papiertüte vom Bäcker, die in der Mitte des Tisches lagen.
»Jakob und seine Kollegen in der KTU konnten recht schnell Zugriff zum Smartphone des Opfers erlangen, somit wissen wir, dass das Opfer Jannik Krause heißt und achtzehn Jahre alt war«, antwortete Merry.