Kompromittiert - Ethan Stone - E-Book

Kompromittiert E-Book

Ethan Stone

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Beschreibung

Officer Daniel Kash Kashaveroff ist Single, schwul und arbeitet in einem Hochsicherheitsgefängnis. Nicht der beste Job, um geoutet zu sein. Nach schlechten Erfahrungen in einer vergangenen Beziehung würde er sich gerne wieder verlieben, glaubt aber nicht daran, dass das so bald passieren wird. Mit Zane Davis zusammenzuarbeiten, stellt Kashs Leben auf den Kopf. Sie sind erst Kollegen, werden dann Freunde und lassen sich schließlich auf ein Verhältnis ein, aber ihre Beziehung ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Während er sich mit seinen Beziehungsproblemen herumschlägt, freundet Kash sich auch mit einem Häftling namens Cody Ivy an. Persönliche Nähe zu einem Insassen verstößt gegen die Regeln, aber Kash ist von der Unschuld des jungen Mannes überzeugt. Schon bald engagiert er sich dafür, diese zu beweisen, selbst als er dadurch sein eigenes Leben gefährdet.

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Seitenzahl: 306

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Kompromittiert

Ein Roman von Ethan Stone

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2021

http://www.deadsoft.de

© the author

Titel der Originalausgabe: Compromised (Uniformity Book 1)

Übersetzung: Florentina Hellmas

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© StockLite – shutterstock.com

© Gts – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-458-2

ISBN 978-3-96089-459-9 (epub)

Inhalt:

Officer Daniel „Kash“ Kashaveroff ist Single, schwul und arbeitet in einem Hochsicherheitsgefängnis. Nicht der beste Job, um geoutet zu sein. Nach schlechten Erfahrungen in einer vergangenen Beziehung würde er sich gerne wieder verlieben, glaubt aber nicht daran, dass das so bald passieren wird.

Mit Zane Davis zusammenzuarbeiten, stellt Kashs Leben auf den Kopf. Sie sind erst Kollegen, werden dann Freunde und lassen sich schließlich auf ein Verhältnis ein, aber ihre Beziehung ist weit davon entfernt, perfekt zu sein.

Anmerkung des Autors

Kapitel 1

Ich sah, wie er sich drehte, noch ehe er sich von mir losriss. Ich griff nach ihm und packte ihn am Ärmel, aber das war nicht genug, um ihn zu stoppen. Er warf in einer fließenden Bewegung den Kopf zurück und ließ ihn ohne das geringste Zögern vorschnellen. Er traf sein Ziel und aus der Nase des Mannes neben ihm spritzte Blut. Ich riss ihn zurück, packte seinen Arm und stieß ihn auf den harten Betonboden. Ich kniete mich auf seinen Rücken, hielt mit einer Hand seine Handgelenke in Handschellen fest und drückte mit der anderen sein Gesicht auf den Boden.

»Rühr dich ja nicht, Ofeldt.«

Es war so schnell gegangen, dass mein Verstand einen Moment brauchte, um alles zu verarbeiten. Ich hatte rein auf der Basis von Instinkt und Adrenalin gehandelt. Gerade hatte ich den Gefangenen Ofeldt noch eskortiert, im nächsten Augenblick hielt ich ihn auf dem Boden fest. Alles Teil eines normalen Arbeitstages für einen Vollzugsbeamten in einem Hochsicherheitsgefängnis.

Das Seely State Prison beherbergte die schlimmsten Insassen von ganz Nevada. Vergewaltiger, Mörder, Kinderschänder und Spinner. Insasse Ofeldt war ein Mörder und ein Spinner, weshalb ich im Umgang mit ihm besonders vorsichtig war. Ich versuchte nicht, mich bei ihm anzubiedern, aber ich bemühte mich, ihn nicht zu verärgern oder zu reizen, wenn er schon wütend war. Von meinem Partner, Officer Todd Lang, konnte ich das nicht behaupten.

Lang war „von der alten Schule“. Er arbeitete seit fast zwanzig Jahren in Seely und regelte die Dinge, wie er es für richtig hielt, ohne sich um die offiziellen Regeln zu kümmern.

Die Probleme hatten schon am Morgen begonnen. Ofeldt war verärgert gewesen, weil er dachte, er hätte zu wenig Frühstück bekommen. Er hatte Lang dafür verantwortlich gemacht. Ich war mir nicht sicher, ob das stimmte, aber ich traute es ihm zu.

Als ich herausgefunden hatte, dass wir Ofeldt zum Hofgang begleiten sollten, war ich nicht begeistert gewesen. Trotz Ofeldts Ärger, hatte Lang es nicht lassen können, ihn weiter zu reizen, nachdem wir ihm die Handschellen angelegt und ihn aus seiner Zelle geholt hatten. Hör auf zu maulen, hatte Lang gefaucht, als Ofeldt ihn noch einmal beschuldigt hatte, ein Stück Obst von seinem Frühstückstablett genommen zu haben. Halt einfach die Klappe, du alte Zicke.

Mir hatte es gereicht und ich war im Begriff gewesen, Lang zu bremsen, als Ofeldt sich gedreht und Lang einen Kopfstoß verpasst hatte, ehe ich es hatte verhindern können.

Ich warf einen Seitenblick zu meinem Partner. Lang lag auf dem Rücken und hielt sich die Hände vors Gesicht, während Blut aus seiner Nase spritzte. »Denk nicht mal dran, irgendeinen Scheiß zu machen, Ofeldt.«

»Ich würde Ihnen nichts tun, Kash«, antwortete er. »Sie sind okay. Gegen Sie habe ich nichts. Ich hatte da nur was zu erledigen, wissen Sie?«

»Nun, das hast du eindeutig getan.«

Ich würde mich nie auf die Seite eines Insassen stellen, wenn es um einen anderen Beamten ging, aber es gab Zeiten, in denen ich große Lust dazu hatte. Hätten sie ihre Auseinandersetzung auf der Straße ausgetragen, hätte Ofeldt Lang in den Hintern getreten. Aber auf der Straße hätte Lang sich nie mit einem Kerl angelegt, der doppelt so groß und dreimal so verrückt war.

***

Als ich am Dienstag aufwachte, wusste ich, dass es einfach nur ein weiterer langweiliger Tag werden würde. Aufregende Dinge passierten selten an zwei Tagen hintereinander. Die Arbeit war eine sich wiederholende Serie von Bewegungsabläufen. Dieselben Dinge tun, mit denselben Leuten arbeiten. Ich fühlte mich oft wie Bill Murray in dem Film Und täglich grüßt das Murmeltier. Wenn es eine Lektion gab, die ich lernen sollte, dann versagte ich dabei vermutlich. Ich arbeitete seit zehn Jahren im Strafvollzug von Nevada, die letzten sechs davon in Seely. Ich hatte nicht geplant, meine Karriere darauf aufzubauen, es war nur ein Job gewesen, um wieder auf die Beine zu kommen. Es war aber gut bezahlt, also war ich hängen geblieben.

Ich arbeitete in Zwölf-Stunden-Schichten; in einer Woche an vier Tagen, in der nächsten an drei. Die langen Arbeitstage waren nicht angenehm, aber die langen Wochenenden machten das mehr als wett. Sie gaben mir die Gelegenheit, meinen außerdienstlichen Interessen nachzugehen, nämlich meinem Liebesleben. In einer Stadt mit rund fünftausend Einwohnern schwul zu sein, war scheiße. Sich tief im Schrank zu verstecken, war für meinen Job aber eine Notwendigkeit. Die Bewohner von Seely in Nevada würden ausflippen, wenn sie wüssten, dass ich beide Male Obama gewählt hatte. Und sie würden mich wahrscheinlich lynchen, wenn sie herausfänden, dass ich Schwänze lutschte. Ja, verdammt. Ich liebte es, einen harten Schwanz im Mund zu haben. Und ich hasste es, diese Seite von mir zu verbergen. Aber ich musste nun mal arbeiten. Ich war noch keinem Mann begegnet, der es wert gewesen wäre, die Schranktür zu öffnen, oder der es gewollt hätte. Außer Wochenendaffären, hatte ich seit drei Jahren keine Beziehung mehr. Es hatte Typen gegeben, mit denen die sexuelle Chemie toll gewesen war, und wir hatten versucht, es zu etwas Längerfristigem auszudehnen. Diese sogenannten Beziehungen hatten immer nach ein paar Monaten frustrierender Anrufe und sexfreier Wochenenden voller Streit, Ärger und Anschuldigungen geendet.

Nachdem ich geduscht hatte, versuchte ich meine dunklen Locken halbwegs zu bändigen und zog mich an. Die Arbeitsuniform war ein langweiliger, olivgrüner Kampfanzug. Viele Männer und Frauen liebten Uniformen. Ich konnte das nicht nachvollziehen. Ich fühlte mich jedenfalls nicht sexy, wenn ich für die Arbeit angezogen war. Die Cargohose hatte große Seitentaschen. Ein Waffengurt und ein Ledergürtel mit Fächern für Handschellen und Schlüssel vervollständigten die Uniform.

Alles an meinem Job hörte sich viel cooler an, als es tatsächlich war. Vollzugsbeamte waren kaum mehr als Pförtner und Babysitter. In einem Hochsicherheitsgefängnis zu arbeiten, wirkte wahrscheinlich wie ein aufregender Beruf, aber das war es nicht. Ich begleitete Insassen zu den Einzelduschen und wieder zurück und auch zu den Hofgängen und wieder zurück. Zu den Essenszeiten brachte ich ihnen ihre Mahlzeiten und auch sonst einfach alles, was sie brauchten. Vollzugsbeamte waren vom Papierkram der Gefangenen bis zu ihren Hygieneartikeln für alles verantwortlich. Auch dafür, hinter ihnen sauber zu machen, wenn sie die Böden versauten.

Da Seely ein Hochsicherheitsgefängnis war, gab es in den einzelnen Zellenblöcken sehr wenig Bewegung. Wann immer Gefangene sich außerhalb ihrer Zelle aufhielten, waren ihre Hände auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt. Die strengen Regeln machten das Arbeitsumfeld sicherer, aber auch langweiliger.

Zugegeben, ich war nicht besonders glücklich. Es war an der Zeit, dort aufzuhören. Nicht nur Zeit, Seely zu verlassen, sondern auch, meine Karriere als Vollzugsbeamter zu beenden. Ich hatte bisher nur noch nicht den richtigen Anreiz.

Dann kam er und alles wurde anders.

Kapitel 2

Als ich zur Arbeit kam, wurde ich zu meinem üblichen Aufgabengebiet in Block 2 geschickt. In dem Block herrschte sogenannte „administrative Absonderung“. Hier waren Häftlinge untergebracht, die aus den verschiedensten Gründen nicht mit anderen Insassen zusammenleben konnten. Sei es wegen ihres Verbrechens, ihres Alters, ihrer Zugehörigkeit zu einer Bande oder ihrer Sexualität. Es war gewöhnlich eine ruhige Abteilung, weshalb ich dort gerne arbeitete. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass ich mich über den langweiligen Job beschwerte und gleichzeitig einen Bereich bevorzugte, in dem noch weniger zu tun war als in den anderen. Aber andere Abteilungen mit mehr Insassen waren nur auf eine andere Weise langweilig. Es gab mehr zu tun, aber nichts davon war interessant.

Judy Westland, meine übliche Vorgesetzte, die für die täglichen Abläufe verantwortlich war, war schon da. Eine ältere Frau mit kurzen, grauen Haaren und einem nasalen Akzent aus dem mittleren Westen. Sie arbeitete in Seely, seit es vor mehr als zwanzig Jahren eröffnet worden war, und ich zog sie manchmal damit auf, dass sie zu ihren Anfängen auf einem Dinosaurier zur Arbeit geritten sein musste.

»Guten Morgen, Miss Westland.« Ich betrat den Kontrollraum, den wir „die Blase“ nannten, und versperrte die Tür hinter mir. Die Blase befand sich über den Ebenen, in denen die Häftlinge lebten. Jeder Block hatte zwei Seiten oder Gänge. Eine A-Seite und eine B-Seite, und die Blase hatte den Überblick über alles. Dort waren all die Kontrollmechanismen, die nötig waren, um die Türen zu den Gängen und auch die der Zellen zu öffnen. Alle Bewegungen der Insassen wurden von dem Beamten in der Blase kontrolliert. Eine Mauer trennte die Gänge und die Vollzugsbeamten mussten durch zwei Schleusen, um auf die andere Seite zu kommen. Auch sie wurden von dem Officer in der Blase gesteuert.

»Wie geht’s, Kash?«, erwiderte sie. Sowohl die Beamten als auch die Insassen wurden mit ihren Nachnamen angesprochen. Aber mein Nachname, Kashaveroff, war für einige schwer auszusprechen, weshalb er abgekürzt wurde.

»Wo ist Lang?«

»Wird eine Weile ausfallen. Er nimmt sich eine … Auszeit.« Sie schnaubte.

Er nimmt sich eine Auszeit bedeutete vermutlich, dass Lang sich schämte, weil er von einem Insassen eins auf die Nase bekommen hatte, und sich deshalb eine Weile fernhalten würde. Ich mochte Lang nicht besonders, aber bei ihm wusste ich wenigstens, woran ich war. Mit einem anderen Partner zu arbeiten, bedeutete, sich mit seinen Gewohnheiten und Besonderheiten auseinanderzusetzen. Es bedeutete Veränderungen in meiner strukturierten Arbeit. Ich schimpfte vielleicht über die Eintönigkeit meines Jobs, aber sie war bequem. Im Großen und Ganzen wusste ich, was Tag für Tag passieren würde. Ein neuer Partner änderte alles. »Wissen Sie, mit wem ich arbeiten werde, solange Lang weg ist?«

»Keine Ahnung.«

Das behagte mir ganz und gar nicht. Das konnte einer der Ersatzkräfte sein, die bei Krankenständen oder Urlauben zum Einsatz kamen, und da war die Auswahl nicht erfreulich. Die meisten von denen waren entweder faul oder sie nervten richtig.

Eine aufleuchtende Kontrolllampe und ein piepender Signalton kündigten jemanden am äußeren Eingang des Gebäudes an.

Westland drückte den Knopf der Gegensprechanlage. »Ja bitte?«

»Ich melde mich zum Dienst«, antwortete eine männliche Stimme.

Westland betätigte einen Schalter, der die Außentür öffnete. Ein Beamter trat ein und sah in beide Richtungen den Flur entlang. Dann wandte er sich nach links und kam auf meine Abteilung zu. Ich schnappte nach Luft, als er näher kam und ich ihn richtig sehen konnte.

Zane Davis war achtundzwanzig, sechs Jahre jünger als ich. Und er sah verdammt gut aus. Groß mit Haaren von so hellem Braun, dass es schon fast blond war. Sein Haar war kurz geschnitten, aber er sah aus, als hätte er vergessen sich zu rasieren. Die Bartstoppeln eines Tages gaben seinem Gesicht ein reifes Aussehen. Rasiert hätte er vermutlich jungenhaft ausgesehen. Er hatte die unglaublichsten blauen Augen, die ich je bei einem Mann gesehen hatte. Er war noch nicht mal ein Jahr in Seely, aber ich hatte ein- oder zweimal mit ihm gearbeitet, wenn auch nur kurz. Hätte er nicht einige Male eine Freundin erwähnt, hätte ich schon bei unserer ersten Begegnung versucht, ihn zu verführen. Seine Ärmel umspannten kräftige Muskeln. Ob seine Brust auch so trainiert war wie seine Arme, konnte ich nicht sehen, denn er trug die verpflichtende Sicherheitsweste unter seinem Hemd. Ich trug auch eine und schwitzte damit wie ein Schwein.

Er stand an der Zwischentür und Westland drückte einen Knopf, um ihm Zugang zur Schleuse zu gewähren, deren andere Tür von einer zweiten Person geöffnet werden musste. Die mehrfache Absicherung war Teil der strikten Sicherheitsvorkehrungen, die sich über die Jahre bewährt hatten. Es hatte in Seely noch nie einen Ausbruch gegeben.

Westland gab mir den Schlüssel, ich stieg ein paar Stufen hinunter, um die zweite Tür zu öffnen, und ging wieder hinauf. Davis trat ein, versperrte die Tür hinter sich, kam über die Stufen herauf und gab Westland den Schlüssel.

»Hallo, junger Mann«, sagte Westland, ohne aufzustehen.

»Hallo, Ma’am«, antwortete er.

»Oho«, lachte Westland gackernd. »Nennen Sie mich nicht Ma’am. Ich bin Senior Officer Westland, oder einfach Westland.«

»Sorry.« Er zuckte mit den Schultern und grinste breit. Dann drehte er sich zu mir und hielt mir die Hand hin.

»Wie geht’s, Davis?«, fragte ich.

»Hey, Kash.« Er schüttelte mir die Hand. »Mir geht’s gut. Wie läuft es bei dir?« Er war etwa 1,86 m groß. Höchstens zwei Zentimeter größer als ich.

»Ich kann mich nicht beklagen«, antwortete ich.

»Seid ihr zwei Plaudertaschen bereit, an die Arbeit zu gehen?«, unterbrach Westland.

»Wie sind startklar«, erwiderte ich. »Zeit für die Raubtierfütterung.«

Die Häftlinge so zu bezeichnen, war nicht gerade korrekt, aber nach so vielen Jahren in dem Job war es schwierig, nicht voreingenommen zu sein. Auch wenn einige der Insassen sich ordentlich verhielten und ich mit den meisten gut auskam, musste man dennoch Distanz wahren. Ich hielt mich nicht für etwas Besseres als sie. Als ich jung gewesen war, hatte ich eine Menge Scheiß abgezogen, der mich leicht auf die andere Seite der Türen hätte bringen können. Ich behandelte die Häftlinge mit Respekt, wenn sie bereit waren, dasselbe zu tun. Die Essensausgabe war ein Beispiel dafür, dass es bei uns nicht zuging wie in Filmen. Die Insassen aßen nicht in einem großen Speisesaal, sondern in ihren Zellen. Und wir brachten ihnen das Essen. Die Zellen hatten auch keine Gitterstäbe, wie man es aus Filmen kannte. Die Türen waren aus Stahl und hatten Öffnungen, die etwa 30 cm breit und 15 cm hoch waren. Die konnten wir mit den Schlüsseln öffnen, die wir bei uns hatten. Das Essen zu servieren, war die Tätigkeit, die ich am wenigsten mochte, denn ich fühlte mich dabei wie ein Kellner, und unsere Gäste gaben kein gutes Trinkgeld.

»Austeilen oder laufen?«, fragte ich Davis.

Austeilen bedeutete, über einem beheizten Wagen zu stehen und die Tabletts zu füllen. Laufen bedeutete, vom heißen Wagen zu den Zellen zu gehen und dabei vier Tabletts auf einmal zu tragen. Block 2 hatte insgesamt sechsundneunzig Insassen, achtundvierzig auf jeder Seite. Also sechsundneunzig Tabletts zu je vier auf einmal, achtundvierzig davon oben. Das alles summierte sich aus Hin- und Hergehen und Treppen rauf und runter. Ich mochte keins von beiden, also war es mir egal, welche Arbeit ich machte.

»Ich werde laufen«, antwortete er. »Wenn es dir nichts ausmacht.«

»Kein Problem, aber du solltest mit mir Schritt halten können.« Ich grinste ihn an.

Er lächelte zurück. »Ich werde mein Bestes geben.«

Davis würde mich definitiv auf Trab halten. Ich war ein schneller Austeiler, aber Davis hielt nicht nur mit mir Schritt, er war sogar schneller als ich. Er teilte die vier Tabletts aus und war zurück, bevor ich mit dem nächsten Satz zur Hälfte fertig war. Ich war an faule Mitarbeiter gewöhnt, was bedeutete, dass ich härter arbeitete als sie. Die Arbeit mit Davis war eine erfrischende Abwechslung, nicht nur, weil er mit vollem Einsatz dabei war, er scherzte und lachte dabei auch noch.

Wir waren sehr schnell fertig und dann war es Zeit für die nächste Aufgabe des Tages: das Duschen. In Seely wurde nicht in Gruppen geduscht. Es gab vier Duschen auf jeder Seite des Blocks, zwei im Erdgeschoss und zwei im Obergeschoss. Da alle Häftlinge in meinem Block in Einzelzellen saßen, konnte nur eine Dusche für jede Gruppe benutzt werden, eine oben und eine unten. Davis und ich arbeiteten zusammen, um dem Häftling Handschellen und Beinfesseln anzulegen, ihn zur Dusche zu bringen und dann alle Fesseln wieder zu entfernen. Wenn wir die Tür schlossen, wurde sie automatisch verriegelt, und nur Westland konnte sie von der Blase aus öffnen. Offiziell hatten die Häftlinge zehn Minuten Zeit zum Duschen, aber normalerweise bekamen sie mindestens fünfzehn. Wir steckten einen Mann in die untere und einen anderen in die obere Dusche, dann gingen wir auf die andere Seite, wo wir den Vorgang wiederholten.

Ich war stets von Davis beeindruckt. Er hatte einen gesunden Menschenverstand, etwas, das vielen meiner Kollegen fehlte.

»Wie bist du in diesem Beruf gelandet, Kash?«, wollte er irgendwann wissen.

»Ich habe in Vegas gelebt und einen Job gebraucht«, antwortete ich. »Das Gefängnis dort hat meine Bewerbung zuerst angenommen.«

»Welches Gefängnis?«, fragte er.

»LVSP.« Das Las Vegas State Prison war eines von zwei Gefängnissen mit mittlerem Sicherheitslevel in der Gegend von Vegas. Das andere war ironischerweise das Paradise Correctional Center, benannt nach der gemeindefreien Stadt, in der es erbaut worden war.

»Wie bist du in Seely gelandet?«Ich lachte über die versteckte Bedeutung der Frage. Was er meinte, war: Warum zum Teufel bist du in diese winzige Stadt am Arsch der Welt gekommen? »Ursprünglich habe ich mich von der LVSP in das Silver-Staatsgefängnis in Carson City versetzen lassen.«

»Warum?«

»Beziehungssache«, antwortete ich schlicht.

»Ah, einem Mädchen hinterhergejagt, was?« Er lachte. »Ich verstehe.«Tatsächlich war ich einem Mann hinterhergelaufen, aber das konnte ich Davis nicht sagen. Ich konnte ihm auch nicht anvertrauen, dass der Mann, Evan Grainger, verheiratet gewesen war. »Ich bin in Silver geblieben, bis es geschlossen wurde.«

Es war das älteste Gefängnis des Staates gewesen und es am Laufen zu halten, hatte mehr Geld gekostet, als der Staat sich hatte leisten können. Die Schließung war in Wahrheit ein Segen gewesen, denn sie hatte mir einen guten Grund gegeben, um Carson zu verlassen und von Evan wegzugehen, auch wenn es nur das eine Stunde entfernte, gottverlassene Höllenloch namens Seely war.

»Warum hast du dich nicht in eines der anderen Gefängnisse in Carson oder Reno versetzen lassen?«

»Meine Beziehung war in die Brüche gegangen und ich wollte einen Neuanfang.«

»Verdammt, das ist scheiße. Was ist denn passiert?«

»Du stellst eine Menge Fragen.« Ich lächelte und stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite. Wir gingen auf die andere Seite des Blocks und es dauerte eine Weile, bis Westland die Türen öffnete.

»Tut mir leid, ich bin manchmal neugierig. Du musst nicht antworten.«

»Sagen wir einfach, wir hatten unterschiedliche Vorstellungen davon, wie unsere Beziehung aussehen sollte.«

»Ah, verstehe. Weiber können ganz schön verrückt sein, nicht wahr, Kumpel?« Er hob eine Hand und wartete darauf, dass ich einschlug. Ich lachte und tat es.

Die Arbeit mit Davis ließ den Tag schneller vergehen als sonst. Während er Fragen über mein Leben stellte, zögerte er, Dinge über sich selbst zu preiszugeben, auch über seine Familie oder frühere Beziehungen. Ich entdeckte jedoch, dass er Sinn für schwarzen Humor hatte.

Im Block gab es einen Häftling, der nicht ganz dicht war. Häftling Manzoni war davon überzeugt, dass er vom FBI ausspioniert wurde und Kameras in seiner Zelle und gelegentlich an seinem Körper versteckt waren. Mehrere Beamte hatten Schwierigkeiten im Umgang mit Manzoni, sodass ich mir nicht sicher war, wie Davis reagieren würde, aber ich vergaß, ihn zu warnen. Wir traten an Manzonis Zelle heran, um ihn zu fragen, ob er nach draußen gehen wollte, und Manzoni rannte vom hinteren Teil der Zelle zum Fenster und starrte uns mit Augen an, die so groß wie Wassermelonen waren.

»Sie!« Manzoni sah Davis direkt an. »Sie müssen die Kamera aus meinem Arsch holen!«

Ohne zu zögern, sah Davis ihn an und sagte: »Mann, die Kamera haben wir doch schon letzte Woche rausgenommen.«

***

Nach der Arbeit war ich mit der schwierigen Entscheidung konfrontiert, was zum Teufel ich abends essen sollte. Wenn ich nach Hause ging, beschränkte sich meine Auswahl auf übrig gebliebene Pizza oder Reste von chinesischem Essen. Ich entschied mich für ein örtliches Grillrestaurant namens Grub's. Dort gab es anständiges Essen und die Atmosphäre war angenehm.

Ich bestellte ein Bier und einen Cheeseburger und las auf meinem Tablet, als sich jemand neben mich an die Bar setzte. Ich war in ein eBook vertieft und nicht in der Stimmung für Small Talk, also sah ich nicht rüber.

»Willst du nicht Hallo sagen?«Ich drehte mich um und lächelte, als ich sah, wer neben mir saß. »Hey, Davis. Wie geht’s?«

»Nicht schlecht. Ich wollte mich für all die Ratschläge bedanken, die du mir heute gegeben hast.«

»Gern geschehen. Aber in meiner Freizeit rede ich nicht gerne über die Arbeit.«

»Die erste Regel des Fight Club lautet …«

»Man verliert kein Wort über den Fight Club«, vollendete ich den Satz.

Wir mussten beide lachen.

»Abgemacht.

Wir stießen mit unseren Bierflaschen an.

Sein Essen, Caesar Salad mit Hähnchen, kam vor meinem. Aber er aß keinen Bissen, bis mein Burger serviert wurde. Ich wusste nicht, ob er höflich war oder ob es an unserer Unterhaltung lag. Wir brauchten länger als sonst zum Essen, weil wir so viel redeten. Davis erzählte mir von einigem Unfug aus seiner Collegezeit und ich erzählte eine Geschichte darüber, wie ich so betrunken gewesen war, dass ich mich splitterfasernackt und an einen Torpfosten gefesselt auf dem College-Footballplatz wiedergefunden hatte.

Er schnaubte. »Das hätte ich zu gerne gesehen.« Im nächsten Moment begriff er, dass er im Grunde gesagt hatte, er hätte mich gerne nackt gesehen. »Ich meine, ich wünschte, ich hätte die Reaktionen der Leute sehen können. Ich habe nicht gemeint, dass ich dich … nackt sehen wollte.« Er wurde rot und nahm einen Bissen von seinem Salat.

Mehr als eine Stunde später bemerkte ich, wie spät es war, als ich gähnen musste. »Verdammt, wir sollten ins Bett gehen.«

»Ist das ein Angebot, Kash?«

Flirtete er mit mir oder war das ein normaler Männerwitz unter Heteros? Ich war mir nicht sicher, aber ich spielte dieses Spiel nicht zum ersten Mal. »Kommt drauf an«, antwortete ich.

»Worauf?«

»Darauf, ob du das Angebot annehmen würdest oder nicht.« Ich zwinkerte ihm übertrieben zu.

Er kicherte. »Alter, ich würde deine Welt rocken.«

Dessen war ich mir sicher und ich wünschte mir sehnlichst, er würde nicht nur scherzen

»Wir sehen uns morgen.« Davis stand auf. »Mir wurde gesagt, ich werde mit dir arbeiten, bis Lang zurückkommt.«

Plötzlich hoffte ich, Lang würde nie zurückkommen.

Kapitel 3

Als ich am Mittwoch aufwachte, freute ich mich tatsächlich auf die Arbeit. Ich hasste es, in einen Hetero verknallt zu sein, aber ich dachte mir, dass ein kleiner Augenschmaus nicht schaden konnte, um mir den Tag zu versüßen. Außerdem hatte Davis mehr zu bieten als nur ein hübsches Gesicht. Er war charmant, witzig und intelligent. Und nicht schwul, rief ich mir in Erinnerung.

Ich grinste, als ich am Weg zu meinem Block auf Davis traf. Er war etwa drei Meter vor mir, also rief ich ihn. »Hey, willst du nicht Hallo sagen?«

Er blieb stehen; drehte sich um und ein strahlendes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als er mich sah. Er wartete, bis ich an seiner Seite war, bevor er sich wieder in Bewegung setzte. »Guten Morgen, Kash. Gut geschlafen?«

»Gut genug«, antwortete ich. »Und du?«

»Überhaupt nicht. Ich hatte seltsame Träume.«

»Albträume?«

Er schüttelte den Kopf. »Keine bösen Träume. Nur seltsame.«

»Worum ging es denn?«

Wir erreichten das Gebäude mit den Blöcken 1 und 2, drückten den Knopf und warteten darauf, dass die Tür geöffnet wurde.

»Wer seid ihr denn?«, fragte eine Stimme durch die Gegensprechanlage. Ich lachte, weil ich Westlands Akzent sogar durch den blechernen Lautsprecher erkannte.

»Wir sind Ihr Bodenpersonal«, antwortete ich.

»Wurde auch Zeit.« Das Magnetschloss an der Tür ging auf, ich öffnete die Tür und wir traten in den Flur.

»Und?«, fragte ich Davis. »Willst du über deine Träume reden?«

Er sah mich an und ich bemerkte einen Ausdruck auf seinem Gesicht, den ich nicht ganz deuten konnte. Möglicherweise Verlegenheit oder Scham. »Nein, alles in Ordnung.«

Westland öffnete die Tür des Blocks, wir traten in den kleinen Bereich und warteten, bis sie die nächste Tür sich öffnete. In dem engen Raum standen Davis und ich ganz dicht beieinander. Ich atmete tief ein, witterte aber keinen Hauch von Duftwasser. Ich hasste Männer, die praktisch in Axe Körperspray, oder was auch immer gerade angesagt war, badeten. Ich stand an der Tür und wartete darauf, dass Westland sie aufschloss, aber er drückte sich an die gegenüberliegende Wand, als hätte er Angst, er könnte mich versehentlich streifen. Die lockere Kameradschaft, die wir am ersten Tag aufgebaut hatten, schien plötzlich verflogen zu sein.

Ich atmete auf, als Westland endlich die Tür öffnete und Davis und ich aus unserer kleinen Zelle entkamen.

»Guten Morgen, Leute, wir bekommen heute ein paar neue Häftlinge. Ihr müsst die Zellen vorbereiten.«

»Wir sind voll belegt, nicht wahr?«, fragte ich.

»Garcia und Rojas wurden gestern Abend verlegt.«

Ich schaute hinaus auf die A-Seite des Blocks zu den Zellen, in denen Garcia und Rojas gelebt hatten. Die Zellen 6 und 24. Um die Zellen vorzubereiten, mussten sie schnell aufgeräumt und es mussten neues Bettzeug und Hygieneartikel, wie Toilettenpapier, Zahnbürste, Zahnpasta und Seife, hineingelegt werden.

»Das muss gleich nach dem Frühstück erledigt werden«, sagte Westland. »Also macht euch an die Arbeit.«

Davis war genauso schnell mit den Tabletts wie am ersten Tag, aber die Scherze und Neckereien fehlten. Wir waren in der gleichen Zeit fertig, aber es fühlte sich an, als hätte es viel länger gedauert.

»Wollen wir die Zellen gemeinsam reinigen?«, fragte ich Davis. »Oder teilen wir uns auf?« Ich hoffte, er würde eine Zusammenarbeit wollen, aber anscheinend wollte er nicht.

»Lass uns getrennt arbeiten, dann geht es schneller.«

Wir schnappten uns jeweils einen Besen aus dem Abstellraum der Etage. Er ging zu Zelle 6, räumte sie aus und rief mir dann zu, dass er rüber ins Lager gehen würde, um das Bettzeug zu holen, das wir brauchten. Wieder etwas, von dem ich gehofft hatte, dass wir es gemeinsam tun würden. Ich wollte so viel Zeit wie möglich mit ihm verbringen.

»Krieg dich wieder ein, Kash«, murmelte ich vor mich hin. »Das hier ist die Arbeit, nicht Grindr.« Ich fegte also die Zellen und wartete, dass Davis zurückkam.

Wir gingen unseren Pflichten nach, wieder ohne die Gespräche vom Vortag. Ich versuchte mehrmals, ihn zum Plaudern zu bringen, aber nichts funktionierte. Wenn ich eine Antwort erhielt, war sie einsilbig oder nichts weiter als ein Grunzen.

Irgendwann hatten wir zwischen den Aufgaben eine zehnminütige Pause, also setzten wir uns in den hinteren Lagerraum, der auch als inoffizieller Pausenraum diente. Anstelle von Stühlen, gab es große Kartons mit Toilettenpapier.

Nach ein paar Minuten unbehaglicher Stille beschloss ich, herauszufinden, was zum Teufel los war. »Gibt es ein Problem, Davis?«, fragte ich. Er hatte sich mit geschlossenen Augen an die Wand gelehnt, aber ich wusste, dass er nicht schlief.

Er zog eine Augenbraue hoch. »Was meinst du?«

»Nun, gestern haben wir geredet und Witze gemacht. Und heute hast du plötzlich einen Stock im Arsch.«

Er lächelte. »Tut mir leid, Kash. Nimm es nicht persönlich. Ich fühle mich einfach nicht gut.«

»Solange du dir sicher bist, dass es daran liegt.« Ich warf ihm einen Blick zu, der Verarsch mich nicht sagte. »Wenn es ein Problem gibt, kannst du es mir sagen. Ich bin keine zarte Blume oder so was.«

Er kicherte. »Nein, ich fühle mich nur nicht gut.«

Als wir hörten, dass sich die Türen zum Block öffneten, beendeten wir das Gespräch. Zwei Beamte traten ein und begleiteten einen Häftling, der den erforderlichen, orangenen Overall trug, der etwa zehn Nummern zu groß für den Jungen war. Er schwamm praktisch darin. Er versuchte normal zu gehen, aber die Beinfesseln hinderten ihn daran. Ein typischer Anfängerfehler. Er hielt den Blick gesenkt und nahm mit niemandem Blickkontakt auf. Er ignorierte die Häftlinge, die nach ihm riefen. Ich hörte, wie einige der weißen Jungs auf der Etage ihn nach seinem Namen fragten, was häufig vorkam, wenn ein Neuer in den Block kam.

Die Wärter begleiteten ihn in Zelle 24.

»Auf die Knie!«, befahl eine der eskortierenden Wachen. Sein Name war Schuester, ein Oldtimer, der kurz vor der Pensionierung stand. Ich konnte den Kerl nicht ausstehen, weil er immer davon sprach, wie es früher war. Die Häftlinge mussten auf die Knie gehen, um sich die Beinfesseln entfernen zu lassen, aber Schuester musste nicht so barsch sein.

Der Häftling befolgte den Befehl augenblicklich und kniete sich hin. Sie nahmen ihm die Beinfesseln ab und die Tür schloss sich.

»Steh auf, Arschloch«, bellte Schuester, als der Häftling auch nach dem Schließen der Tür auf den Knien verharrte.

Der Junge stand auf und streckte seine gefesselten Hände durch die Türöffnung für das Essen, damit die Handschellen entfernt werden konnten.

Schuester knallte die Durchreiche zu und übergab mir einige Papiere. »Er gehört ganz dir, Kash.«

Ich sah mir den Papierkram und den Ausweis des Häftlings entgegen. Sein Name war Cody Ivy, zwanzig Jahre alt. Die Papiere sagten mir nichts über seinen Fall, aber ich konnte es leicht herausfinden, wenn ich das wollte. Es gefiel mir nicht immer, zu wissen, was sie getan hatten, weil das meine Behandlung beeinträchtigen konnte.

Ich schaute durch das längliche Fenster in die Zelle. Ivy zog das Laken über die Matratze. Unter dem Fenster war ein Quadrat mit Löchern, sodass man mit den Häftlingen reden konnte, sie einen aber nicht berühren konnten. »Hast du alles, was du brauchst?«

Er zuckte beim Klang meiner Stimme zusammen.

»Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Ist schon okay, Sir. Es geht mir gut, Sir. Danke, Sir.« Der Junge hatte eine Scheißangst.

»Nenn mich nicht Sir«, sagte ich. »Du kannst mich Officer oder Kash nennen.«

»Ja, Sir. Ich meine, Officer.«

»Lass mich wissen, wenn du etwas brauchst. Ich bin mir sicher, man wird dir bald den Rest deiner Sachen bringen.«

Er zuckte mit den Schultern und starrte auf den Boden. »Ich habe keine.«

Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar. »Kein Eigentum?« Die meisten Häftlinge hatten etwas, und wenn es nur Dokumente oder Kleidung war.

Er schüttelte den Kopf.

»Ich hole dir ein Handtuch, Unterwäsche und Socken, damit du was zum Wechseln hast. Hör dich ruhig um, damit du herausfindest, wie die Dinge hier laufen. Oder du fragst mich.«

»Ich danke Ihnen.« Er nickte und machte weiter sein Bett.

Ein paar Minuten später wurde der zweite neue Häftling hereinbegleitet. Er hätte kein größerer Kontrast zu Ivy sein können. Dieser Typ war groß, muskulös und mit Tätowierungen bedeckt. Er hatte wildes, widerspenstiges Haar mit einem passenden Bart und Schnäuzer. Er brüllte und schrie, als er in den Block kam, und ich merkte sofort, dass ich einen problematischen Häftling am Hals hatte. Den Officern fiel es schwer, den Gefangenen unter Kontrolle zu halten, sodass Davis und ich hinzustießen, falls es aus dem Ruder lief.

Er trat in die Zelle und hob einen Fuß hoch.

»Sie müssen sich hinknien«, befahl der eskortierende Beamte.

»Einen Scheißdreck muss ich!«, schrie er. »Nimm einfach die Fesseln ab.«

»Sie müssen sich hinknien«, wiederholte der Officer, aber selbst ich konnte das Zittern in seiner Stimme hören. Und wenn ich es hören konnte, dann konnte es der stämmige Häftling sicher auch.

»Ich knie mich nicht hin, Bulle.«

Ich trat auf den Häftling zu und erklärte ruhig: »Das ist das letzte Mal, dass man Ihnen das vorschreibt. Knien Sie sich hin, damit wir die Fesseln entfernen können.«

»Du kannst mich mal!«

»Nein«, antwortete ich. »Sie können mich mal.« Ich trat zurück und forderte Westland auf, die Tür zu schließen. Die Tür schloss sich und ich schlug die Durchreiche zu.

»Hey, wo zum Teufel willst du hin, Arschloch? Nimm mir die Fesseln ab.«

Ich trat an das Zellenfenster. »Sie wurden über die Regeln aufgeklärt. Sie müssen sich hinknien, damit Ihnen die Fesseln abgenommen werden können. Sagen Sie Bescheid, wenn Sie bereit sind, diesen Befehl zu befolgen. Bis dahin … nun ja, viel Spaß.«

Ich bedeutete allen, dass sie von der Zelle zurücktreten sollten, und informierte Westland über das, was passiert war, damit sie es dem Shift Sergeant und dem Lieutenant mitteilen konnte.

»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte Davis mich.

»So tun, als sei alles normal.« Ich sah ihn an und lächelte.

»Sollen wir ihn einfach mit den Fesseln da drin lassen?«

»Was soll er schon tun?«, fragte ich. »Er läuft uns ja nicht davon.«

»Du bist ein hinterhältiger Bastard, nicht wahr, Kash?«

»Diese Typen wollen, dass wir sie anschreien und zurückschreien. Es ärgert sie richtig, wenn du ruhig und gefasst bleibst. Es geht darum, ihnen nicht das zu geben, was sie erreichen wollen.«

Der Nachname des Problemhäftlings war Ibeabuchi. Er brüllte mich stundenlang an und nannte mich Arschloch, Schlampe, Punk und mehr. Ich blieb den ganzen Tag gelassen und sprach jedes Mal mit ihm, wenn ich vorbeikam.

»Sind Sie bereit, die Anweisung zu befolgen, Mister Ibeabuchi?«

Seine Antwort war immer eine Abwandlung einer obszönen Bemerkung.

Davis’ Stimmung schien sich für den Rest des Tages ein wenig aufzuhellen. Er sprach nicht viel, aber zumindest hörte er auf, mich zu ignorieren.

Unsere letzte Pflicht des Tages war es, das Abendessen auszugeben. Genau wie das Frühstück, nur mit einer größeren Menge. Die Mahlzeiten waren nichts Besonderes, aber auch nicht schrecklich und meiner Meinung nach mehr, als die Insassen verdienten. Das Abendessen bestand aus Brathähnchen, Kartoffelpüree mit Soße, Gemüse und Kuchen.

Ich lief mit den Tabletts, also durfte Davis austeilen.

»Wirst du mich füttern, Schwanzlutscher?«, fragte Ibeabuchi, als ich an seiner Zelle vorbeiging.

»Sind Sie bereit, meinen Befehl zu befolgen?«

»Fick dich ins Knie.«

»Schönen Abend noch«, sagte ich und ging weiter.

Als die nächste Schicht eintraf, informierte ich die Beamten darüber, was mit Ibeabuchi vorgefallen war. Sie waren sich einig, dass nichts geschehen würde, solange er sich nicht dazu bereit erklärte, den Befehl zu befolgen.

***

Nach der Arbeit saß ich in meinem Auto, zog mein Handy aus der Konsole und überprüfte es auf Nachrichten. Ich hatte es mir schon vor langer Zeit zur Gewohnheit gemacht, das Handy immer dort abzulegen, bevor ich aus dem Wagen stieg, damit ich es nicht versehentlich mit zur Arbeit nahm und in Schwierigkeiten geriet.

Nachdem ich einen Freund zurückgerufen hatte, machte ich mich auf den Heimweg, hielt an einem Laden und kaufte Lebensmittel ein, um für die nächsten paar Tage Abendessen kochen zu können.

Ich bereitete gerade ein Steak zu, als es an meiner Tür klingelte. Ich war überrascht, als ich durch den Spion schaute und Davis sah.

»Was gibt’s?«, fragte ich, als ich die Tür öffnete.

»Ich wollte mich nur für mein Verhalten heute entschuldigen.«

»Vergiss es, Davis. Das war doch keine große Sache.«

»Okay, nun, das war auch schon alles. Ich gehe dann mal wieder.« Er drehte sich um, aber ich streckte die Hand aus und hielt ihn am Arm fest.

»Warte, warum kommst du nicht rein? Hast du schon gegessen?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich wollte mir gerade Fast Food reinziehen.«

Ich verzog das Gesicht. »Lieber nicht. Komm rein, ich teile mein Steak.«

»Nein, ich komme schon klar.«

»Kommt gar nicht infrage.« Ich zog ihn rein und schloss die Tür. Er folgte mir in die Küche und setzte sich an meinen Küchentisch, während ich das Steak fertig briet.

»Hier sind Salat und Dressing. Könntest du dich in der Zwischenzeit darum kümmern?«

Er schnappte sich den Blattsalat, Sonnenblumenkerne, Croûtons und Käse und bereitete alles zu.

»Woher wusstest du, wo ich wohne?«

»Na ja …« Er zögerte. »Es klingt vielleicht ein bisschen nach Stalking, aber ich bin dir von der Arbeit nach Hause gefolgt.«

»Und du bist nicht gleich reingekommen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Warum?«

Er wurde rot und rieb sich den Nacken. »Ich habe eine Weile gebraucht, um den Mut aufzubringen.«

Ich merkte, dass er das Thema wechseln wollte, also fragte ich: »Warum bist du nach Seely gekommen?«

»Ich bin meinem besten Freund gefolgt, um in der Mine zu arbeiten. Wir haben zusammengewohnt, aber er hat sich verliebt.« Er betonte das Wort verächtlich. »Mein Kumpel zog aus und ich wurde noch im selben Monat entlassen.« Zane schüttelte den Kopf. »Ich hatte mich einige Zeit zuvor im Gefängnis beworben und sie riefen zufällig an, als ich wirklich dringend einen Job brauchte. Ich schätze, das war Schicksal … oder so was.«

»Als wir das erste Mal zusammengearbeitet haben, hast du eine Freundin erwähnt. Was ist aus der geworden?« Ich reichte ihm einen Teller mit dem halben Steak und er schaufelte Salat auf unsere Teller.

»Aus welcher?«

Ich schüttelte kichernd den Kopf. »Du bist ein Playboy, hm?«