König der Dunkelheit - Mark Lawrence - E-Book

König der Dunkelheit E-Book

Mark Lawrence

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Beschreibung

Um zu wahrer Größe zu gelangen, muss man über Leichen gehen ...

Nach dem gewaltsamen Tod seiner Mutter und seines Bruders hatte Prinz Jorg von Ankrath blutige Rache geschworen. Nun ist er König, doch der Krieg ist für ihn noch lange nicht zu Ende, denn eine gewaltige Armee marschiert auf sein Reich zu – angeführt von einem scheinbar unbesiegbaren Krieger. Jeder gute König wäre wohlberaten, die Waffen zu strecken und das Knie vor diesem Krieger zu beugen, und sei es nur, um das Leben des eigenen Volkes zu schützen. Doch Jorg ist kein guter König ...

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Seitenzahl: 718

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Das Buch

Nach dem gewaltsamen Tod seiner Mutter und seines Bruders hatte Prinz Jorg von Ankrath blutige Rache geschworen. Nun ist er König, doch der Krieg ist für ihn noch lange nicht zu Ende, denn eine gewaltige Armee marschiert auf sein Reich zu – angeführt von einem scheinbar unbesiegbaren Krieger. Jeder gute König wäre wohlberaten, die Waffen zu strecken und das Knie vor diesem Krieger zu beugen, und sei es nur um das Leben des eigenen Volkes zu schützen. Doch Jorg ist kein »guter« König, er ist ein von Racheplänen beseelter Mann, der alles und jeden einsetzen würde, um seine Ziele zu erreichen. Und diese Ziele reichen weit über ein umkämpftes kleines Königreich in den Bergen hinaus

»In Mark Lawrences Romanen gibt es keine einzige Sekunde Pause – das ist Rache-Fantasy nonstop!« Robert Redick

Der Autor

Wenn er nicht gerade schreibt, arbeitet Mark Lawrence als Wissenschaftler, der sich hauptsächlich mit der Erforschung künstlicher Intelligenz beschäftigt. Mit seinem Debüt »Prinz der Dunkelheit« hat er weltweit Aufsehen erregt. Der Autor lebt mit seiner Frau und ihren gemeinsamen vier Kindern in England.

www.twitter.com/HeyneFantasySF@ HeyneFantasySF

www.heyne-magische-bestseller.de

Inhaltsverzeichnis

WidmungProlog1 - Hochzeitstag2 - Hochzeitstag3 - Hochzeitstag4 - Vier Jahre zuvor5 - Vier Jahre zuvor6 - Vier Jahre zuvor7 - Vier Jahre zuvor8 - Vier Jahre zuvor9 - Vier Jahre zuvor10 - Vier Jahre zuvor11 - Hochzeitstag12 - Hochzeitstag13 - Hochzeitstag14 - Vier Jahre zuvor15 - Vier Jahre zuvor16 - Vier Jahre zuvor17 - Vier Jahre zuvor18 - Vier Jahre zuvor19 - Vier Jahre zuvor20 - Vier Jahre zuvor21 - Vier Jahre zuvor22 - Hochzeitstag23 - Hochzeitstag24 - Hochzeitstag25 - Hochzeitstag26 - Hochzeitstag27 - Hochzeitstag28 - Vier Jahre zuvor29 - Vier Jahre zuvor30 - Vier Jahre zuvor31 - Vier Jahre zuvor32 - Vier Jahre zuvor33 - Vier Jahre zuvor34 - Vier Jahre zuvor35 - Hochzeitstag36 - Hochzeitstag37 - Hochzeitstag38 - Hochzeitstag39 - Vier Jahre zuvor40 - Vier Jahre zuvor41 - Vier Jahre zuvor42 - Vier Jahre zuvor43 - Vier Jahre zuvor44 - Vier Jahre zuvor45 - Hochzeitstag46 - Hochzeitstag47 - Hochzeitstag48 - Hochzeitstag49 - HochzeitstagDanksagungCopyright

Meinem Sohn Rhodri gewidmet.

Prolog

Ich fand diese Seiten verstreut, von einem launischen Wind auf den Felsen verteilt. Einige von ihnen waren so verkohlt, dass man die Worte nicht mehr entziffern konnte; andere fielen in meinen Händen auseinander. Ich bin ihnen trotzdem nachgejagt, als wäre es meine Geschichte, die sie erzählten, nicht ihre.

Katherines Geschichte. Tante Katherine, die Schwester meiner Stiefmutter. Katherine, die ich in jedem Moment der letzten vier Jahre begehrt habe. Katherine, die in meinen Träumen seltsame Wege nimmt. Einige Dutzend zerrissene Seiten, ohne Gewicht in meiner Hand. Schneeflocken sanken auf sie herab, so kalt, dass sie nicht festhafteten.

Ich saß auf den rauchumwogten Ruinen meines Schlosses, ohne auf die Haufen aus stinkenden Toten zu achten. Die überall aufragenden Berge machten uns klein, verwandelten die Spukburg und die überall stehenden Belagerungsmaschinen, ihr Zweck erfüllt, in Spielzeug. Meine Augen brannten noch von den Feuern, als ich Katherines Erinnerungen las, mit der Kälte des Windes tief in den Knochen.

Aus dem Tagebuch von Katherine Ap Scorron

3. Oktober, Jahr 98 Interregnum

Ankrath. Die Hohe Burg. Fontänenzimmer.

Das Fontänenzimmer ist ebenso hässlich wie alle anderen Räume in dieser hässlichen Burg. Es gibt keine Fontäne, nur ein Becken, in dem ein bisschen Wasser fließt, nicht spritzt. Die Zofen meiner Schwester sitzen hier und nähen, sie nähen immerzu, und mokieren sich darüber, dass ich schreibe, als sei Federkieltinte ein Makel, der sich nicht abwaschen ließe.

Ich habe Kopfschmerzen, und Wurmkraut hilft nicht. Es steckte noch ein Keramiksplitter in der Wunde, obwohl Friar Glen behauptet, sie sorgfältig gereinigt zu haben. Ein gräulicher kleiner Mann. Mutter gab mir die Vase, als ich mit Sareth ging. Meine Gedanken springen, mein Kopf tut weh, und der Federkiel zittert in meiner Hand.

Die Zofen nähen mit ihren flinken Stichen: Stickstich, Kreuzstich, Rück-, Leiter- und Schlingenstiche. Scharfe kleine Nadeln, und stumpfe kleine Geister. Ich hasse sie, ihre Spötteleien, ihre schnellen Finger und langsamen Worte, vom Ankrath-Akzent in die Länge gezogen.

Ich habe noch einmal gelesen, was ich gestern geschrieben habe. Ich erinnere mich nicht an die Worte, aber sie erzählen, wie Jorg Ankrath versucht hat, mich umzubringen, nachdem er Hanna erwürgte. Wenn es ihm wirklich darum gegangen wäre, mich zu töten, hätte er sich vermutlich nicht damit begnügt, Mutters Vase auf meinem Kopf zu zertrümmern. Er versteht sich aufs Töten, das muss man ihm lassen. Sareth erzählte mir, was er am Hofe gesagt hat, über all die Leute, die in Gelleth zu Staub verbrannten … Es stimmt alles. Merl Gellethars Burg existiert nicht mehr. Als Kind bin ich ihm begegnet. Ein verschlagener Mann mit rötlichem Gesicht. Sah aus, als hätte er mich liebend gern verschlungen. Um ihn tut es mir nicht leid, wohl aber um all die Menschen. Sie können nicht alle böse gewesen sein.

Ich hätte Jorg erstechen sollen, als sich mir Gelegenheit bot. Wenn meine Hände nur öfter tun würden, was ich ihnen sage. Wenn sie nur aufhören würden zu zittern, während sie den Federkiel halten, wenn sie lernen könnten, richtig zu nähen und Neffen zu erstechen … Friar Glen hat erzählt, dass mir der Junge den größten Teil des Kleides vom Leib riss. Es ist ruiniert, so viel steht fest. Nicht einmal diese leeren Frauen mit ihren Nadeln und dem Garn können es retten.

Ich bin zu gemein. Vielleicht liegt es an den Kopfschmerzen. Sareth fordert mich auf, freundlich zu sein. Sei freundlich. Maery Coddin ist nicht nur Nähen und Tratsch. Zwar näht und tratscht sie jetzt mit den anderen, aber ich schätze, man kann mit ihr reden. Na bitte. Genug Nettigkeit für einen Tag. Sareth ist immer nett und freundlich, und seht nur, wohin sie das gebracht hat. In die Ehe mit einem alten Knacker, der weder nett noch freundlich ist, sondern kalt und gruselig, und in ihrem dicken Bauch steckt ein Kind, das ebenso wild und grausam werden könnte wie Jorg Ankrath.

Ich lasse Hanna auf dem Friedhof im Wald bestatten. Maery hat mir gesagt, dass sie dort friedlich ruhen wird. Alle Bedienstete der Burg liegen dort begraben, es sei denn, Familienangehörige bringen die Toten fort. Maery hat auch gesagt, dass sie ein neues Dienstmädchen für mich finden wird, aber das erscheint mir so kalt: Hanna einfach zu ersetzen, wie eine zerrissene Borte oder eine zerbrochene Vase. Morgen brechen wir mit dem Karren auf. Ein Mann zimmert gerade den Sarg, doch er scheint die Nägel nicht ins Holz zu schlagen, sondern in meinen Kopf.

Ich hätte Jorg auf dem Boden des Thronraums sterben lassen sollen. Aber es fühlte sich nicht richtig an. Zum Teufel mit ihm.

Morgen beerdigen wir Hanna. Sie war alt und klagte dauernd über ihre Schmerzen, aber das bedeutet nicht, dass sie bereit war, aus dem Leben zu scheiden. Ich werde sie vermissen. Hanna war eine harte Frau, vielleicht sogar herzlos, aber nie mir gegenüber. Ich weiß nicht, ob ich weinen werde, wenn wir sie der Erde übergeben. Ich sollte weinen, aber ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird.

Das wartet morgen auf uns. Heute haben wir Besuch. Der Fürst von Pfeil kommt zu uns, zusammen mit seinem Bruder Fürst Egan und ihrem Gefolge. Ich denke, Sareth würde es gefallen, wenn ich dabei bin. Oder vielleicht steckt der Alte dahinter, König Olidan. Was Sareths Ideen betrifft, stammen heutzutage nicht mehr viele von ihr selbst. Wir werden sehen. Ich glaube, ich versuche jetzt zu schlafen. Vielleicht sind die Kopfschmerzen morgen früh verschwunden. Und auch die seltsamen Träume. Vielleicht hat die Vase meiner Mutter jene Träume aus mir herausgeschlagen.

1

Hochzeitstag

Öffne das Kästchen, Jorg.

Ich betrachtete es. Ein Kästchen aus Kupfer, mit Dornenmuster. Ohne Schloss oder Riegel.

Öffne das Kästchen, Jorg.

Ein Kästchen aus Kupfer. Nicht groß genug für einen Kopf. Die Faust eines Kindes könnte hineinpassen.

Ein Kelch vielleicht, oder ein Messer.

Ich betrachtete das Kästchen und die matten Reflexionen vom Kaminfeuer. Die Wärme erreichte mich nicht. Ich ließ das Feuer niederbrennen. Die Sonne ging unter, und Schatten stahlen das Zimmer. Die Glut hielt meinen Blick. Mitternacht kam und füllte den Flur, und noch immer rührte ich mich nicht. Wie aus Stein gehauen saß ich da, als wäre Bewegung eine Sünde. Anspannung hielt mich fest. Sie prickelte über meine Wangenknochen und sammelte sich im Kiefer. Unter meinen Fingerkuppen fühlte ich die Maserung des Tisches.

Der Mond ging auf und warf geisterhaftes Licht auf die Steinplatten des Bodens. Es fand meinen Kelch, der Wein darin nicht angerührt, und ließ das Silber glühen. Wolken schluckten den Himmel, und Regen fiel in der Dunkelheit, weich mit alten Erinnerungen. In den frühen Morgenstunden, von Feuer, Mond und Sternen verlassen, griff ich nach meiner Klinge und legte die scharfe Schneide kühl an mein Handgelenk.

Das Kind lag noch immer in der Ecke, die Gliedmaßen leichenhaft krumm, zu schwer verletzt für die Pferde des Königs, oder für seine Männer. Manchmal glaube ich, mehr Geister als Menschen gesehen zu haben, aber dieser Junge, dieser Knabe von vier Jahren, verfolgt mich.

Öffne das Kästchen.

Die Antwort lag darin. Das wusste ich. Der Junge wollte, dass ich das Kästchen öffnete. Mehr als die Hälfte von mir wollte es ebenfalls, damit die Erinnerungen herausströmten, wie dunkel und gefährlich sie auch sein mochten. Eine gewisse Verlockung ging davon aus, wie vom Rand einer Klippe. Mit jedem verstreichenden Moment wurde sie größer, versprach Befreiung.

»Nein.« Ich drehte meinen Stuhl dem Fenster zu, und dem Regen, der in Schnee überging.

Das Kästchen habe ich aus einer Wüste mitgebracht, die einen ohne die Hilfe der Sonne verbrennen konnte. Seit vier Jahren befindet es sich in meinem Besitz. Ich erinnere mich nicht daran, wie ich es bekam und wem es gehörte. Nur wenig war mir darüber bekannt, abgesehen davon, dass darin eine Hölle steckt, die mich fast um den Verstand brachte.

Das Licht von Lagerfeuern flackerte durch den Schneeregen, so viele, dass ihr Schein die Konturen des Landes verriet, das Auf und Ab der Berge. In drei Tälern hatten sich die Männer des Fürsten von Pfeil niedergelassen. Eins allein hätte seinem Heer nicht genug Platz geboten. Drei Täler steckten voller Ritter, Bogenschützen, Fußsoldaten, Pikenieren, Axt- und Schwertkämpfern, Karren, Wagen, Belagerungsmaschinen, Leitern, Seilen und Pech, um Häuser und Menschen in Flammen aufgehen zu lassen. Und dort draußen, in einem blauen Pavillon, befand sich Katherine Ap Scorron mit ihren Vierhundert, verloren in der Menge.

Wenigstens hasste sie mich. Ich möchte lieber von jemandem getötet werden, der mich umbringen will, dem es etwas bedeutet.

In einem Tag würde uns die Streitmacht umzingelt und die letzten Fluchtwege durch die Täler und Bergpässe im Osten abgeschnitten haben. Dann würden wir sehen. Seit vier Jahren war die Spukburg mein, seit ich sie von meinem Onkel übernahm. Vier Jahre als König von Renar. Ich wollte sie nicht einfach so aufgeben. Nein. Nein, es würde schwer werden, und nicht nur für mich.

Der Knabe stand jetzt rechts von mir, blutleer und stumm. Es steckte kein Licht in ihm, aber ich konnte ihn immer im Dunkeln sehen. Selbst durch die Lider. Er beobachtete mich mit Augen, die wie meine aussahen.

Ich nahm die Klinge vom Handgelenk und klopfte mit ihrer Spitze an meine Zähne. »Lass sie kommen«, sagte ich. »Es wird eine Erleichterung sein.«

Das stimmte.

Ich stand auf und streckte mich. »Bleib und geh, Geist. Ich schlafe jetzt.«

Das war gelogen.

Die Bediensteten kamen im Morgengrauen, und ich ließ mich von ihnen ankleiden. Es scheint dumm zu sein, aber offenbar muss man als König gewisse Erwartungen erfüllen. Das gilt auch für Könige, die eine Krone aus Kupfer tragen, nur eine kleine, hässliche Burg haben und deren Land, auf dem mehr Ziegen als Menschen leben, fast überall ungebührend steil nach oben oder unten führt. Allem Anschein nach sind Menschen eher geneigt, für einen König zu sterben, der sich morgens von kneifenden Bauernfingern ankleiden lässt, als für einen, der sich selbst anzuziehen weiß.

Zum Frühstück gab es heißes Brot – mein Knappe wartete damit jeden Morgen vor meinem Gemach. Makin folgte mir auf dem Weg zum Thronraum, und seine Stiefel klackten auf den Steinplatten. Makin war immer ziemlich laut.

»Guten Morgen, Euer Hoheit«, sagte er.

»Lass den Quatsch.« Überall Krumen. »Wir haben Probleme.«

»Die gleichen zwanzigtausend Probleme, die wir gestern Abend vor unserer Tür hatten?«, fragte Makin. »Oder neue?«

Ich sah das Kind in einer Tür, an der wir vorbeikamen. Geister und Tageslicht passen nicht zueinander, aber dieser Geist konnte in jedem noch so kleinen Schatten erscheinen.

»Neue«, sagte ich. »Ich heirate noch an diesem Morgen und habe nichts anzuziehen.«

2

Hochzeitstag

»Pater Gomst und die Schwestern Unserer Lieben Frau kümmern sich um Prinzessin Miana«, berichtete Coddin. Im Samt des Kämmerers schien er sich noch immer nicht wohl zu fühlen; die Uniform des Wachkommandeurs hatte ihm besser gestanden. »Es müssen gewisse Dinge überprüft werden.«

»Zum Glück muss niemand meine Reinheit kontrollieren.« Ich lehnte mich auf dem Thron zurück. Verdammt bequem: Schwanendaunen und Seide. Das Königsein ist auch ohne einen dieser harten Stühle schwer genug. »Wie sieht sie aus?«

Coddin zuckte die Schultern. »Ein Kurier hat dies gestern gebracht.« Er hob ein goldenes Medaillon von der Größe einer Münze.

»Wie also sieht sie aus?«

Er hob und senkte erneut die Schultern, öffnete das Medaillon mit dem Daumennagel und betrachtete das Bild mit zusammengekniffenen Augen. »Sie ist klein. Hier!«

Er warf mir das Medaillon zu, und ich sah mir das Bild selbst an. Künstler brauchen Wochen, um mit einem einzelnen Haar ein solches Porträt zu malen, und solche Mühe vergeuden sie nicht an ein hässliches Bild. Miana sah akzeptabel aus. Sie hatte nicht den durchdringenden Blick von Katherine, jenen Blick, der einem verrät, dass die betreffende Person wirklich lebendig ist und das Leben in jedem Moment verschlingt. Aber letztendlich finde ich alle Frauen attraktiv. Wie viele Männer sind mit achtzehn wählerisch?

»Und?«, fragte der neben dem Thron stehende Makin.

»Klein«, sagte ich und schob das Medaillon in eine Tasche meines Umhangs. »Ich frage mich, ob ich für die Ehe zu jung bin …«

Makin schürzte die Lippen. »Ich bin mit zwölf Jahren verheiratet worden.«

»Lügner!« Nicht einmal in all den Jahren hatte Sir Makin von Trent eine Ehefrau erwähnt. Dies überraschte mich, denn Geheimnisse sind auf der Straße, unter Brüdern, kaum zu hüten, wenn man nach einem harten Tag des Blutvergießens am Lagerfeuer sitzt und Bier trinkt.

»Es ist keine Lüge«, sagte er. »Aber zwölf ist zu jung. Achtzehn scheint mir ein gutes Alter fürs Heiraten zu sein, Jorg. Du hast lange genug gewartet.«

»Was ist mit deiner Frau passiert?«

»Sie starb. Es gab auch ein Kind.« Er presste die Lippen zusammen.

Es ist gut zu wissen, dass man nicht alles über einen Mann weiß. Es ist gut, dass es immer mehr zu entdecken gibt.

»Meine zukünftige Königin ist also fast bereit«, sagte ich. »Soll ich in diesen Klamotten zum Altar gehen?« Ich zog am dicken Seidenkragen, der überall am Hals kratzte. Mir war es völlig schnuppe, aber ich wusste auch, dass eine Hochzeit ein Spektakel ist, für den Adel ebenso wie für die einfachen Leute, eine Art Zauber, und es zahlt sich aus, alles richtig zu machen.

»Hoheit …«, sagte Coddin und ging verärgert vor dem Podium auf und ab. »Der Zeitpunkt für diese … Ablenkung … ist denkbar ungeeignet. Wir haben ein Heer vor unseren Toren.«

»Und um ehrlich zu sein, Jorg: Wir erfuhren erst von ihrem Kommen, als der Reiter eintraf«, sagte Makin.

Ich hob die Hände. »Ich habe nicht gewusst, dass sie gestern Abend eintreffen würde. Schließlich bin ich kein Magier, wie ihr wisst.« Für einen Moment sah ich das tote Kind, wie es in einer fernen Ecke hockte. »Ich hatte gehofft, dass sie vor Ende des Sommers kommen würde. Jedenfalls, das Heer muss gut drei Meilen marschieren, um an diese Tore zu gelangen.«

»Vielleicht sollte die Hochzeit verschoben werden.« Coddin hasste es von ganzem Herzen, Kämmerer zu sein. Das war vielleicht der Grund, warum ich ihn für den einzigen hielt, der für dieses Amt infrage kam. »Bis die Umstände … freundlicher sind.«

»Zwanzigtausend vor unserer Tür, Coddin. Und tausend innerhalb dieser Mauern. Das heißt, die meisten außerhalb von ihnen, weil die verdammte Burg zu klein ist, um sie alle aufzunehmen.« Ich lächelte. »Ich glaube kaum, dass sich die Situation verbessern wird. Also sollten wir unseren Soldaten nicht nur einen König, sondern auch eine Königin geben, für die sie sterben können, nicht wahr?«

»Und was ist mit dem Heer des Fürsten von Pfeil?«, fragte Coddin.

»Ist dies eine der Gelegenheiten, bei denen du bis zum letzten Moment vorgibst, keinen Plan zu haben?«, fragte Makin. »Wobei sich dann herausstellt, dass du tatsächlich keinen hast?«

Er wirkte grimmig, trotz der Worte. Vielleicht sah er noch sein eigenes totes Kind. Er war oft mit mir dem Tod gegenübergetreten und hatte dabei gelächelt.

»Du, Mädchen!«, rief ich einem der Dienstmädchen zu, die auf der anderen Seite des Thronraums warteten. »Geh und sag jener Frau, dass sie mir Kleidung bringen soll, wie sie sich für eine Hochzeit geziemt. Aber nichts mit Spitzen.« Ich erhob mich und legte die Hand auf den Knauf meines Schwerts. »Die Nachtpatrouillen sollten inzwischen zurück sein. Wir gehen zum Osthof und stellen fest, was sie zu berichten haben. Der Rote Kent und der Kleine Rikey sind mit einer der Patrouillen unterwegs gewesen. Lasst uns hören, was sie von den Pfeil-Männern denken.«

Makin ging voraus, denn Coddin fürchtete Meuchelmörder. Ich wusste, was in den Schatten meiner Burg lauerte, und es waren keine Attentäter, wegen denen ich mir Sorgen machte. Makin ging um eine Ecke, und Coddin hielt mich an der Schulter zurück.

»Der Fürst von Pfeil will mich nicht hinterrücks von einem Schwarzmantel niederstechen lassen, Coddin. Ihm liegt auch nichts daran, das Brot zu vergiften, das ich morgens esse. Er will uns mit zwanzigtausend Mann überrollen und in den Dreck stampfen. Er denkt bereits an den Reichsthron. Vermutlich glaubt er das Goldene Tor schon einen Spaltbreit für sich offen. Er schafft jetzt die Grundlagen einer Legende, und für Messer im Dunkeln ist in ihr kein Platz.«

»Wenn du mehr Soldaten hättest, wärst du es natürlich wert, erstochen zu werden.« Makin drehte den Kopf und grinste.

Die Patrouille wartete auf uns, müde Männer, die in der Kälte vom einen Bein aufs andere traten. Mehrere Frauen aus der Burg kümmerten sich um die Verletzten, nähten hier und dort eine Wunde. Ich überließ es dem Anführer, Coddin Bericht zu erstatten, während ich den Roten Kent zu mir rief. Rike ragte ungebeten hinter ihm auf. Vier Jahre in der Burg hatten beim Kleinen Rikey keine der vielen scharfen Kanten geglättet. Er war noch immer fast zwei Meter zehn große Verdrießlichkeit, mit einem Gesicht, das gut zur ungehobelten, gemeinen und brutalen Seele passte, die dahinter wohnte.

»Kleiner Rikey«, sagte ich. Es war eine Weile her, seit ich zum letzten Mal mit ihm gesprochen hatte. Jahre. »Und wie geht es deiner entzückenden Frau?« Die Wahrheit lautete: Ich hatte sie nie gesehen. Aber es musste eine formidable Frau gewesen sein, fürwahr.

»Sie ist hin.« Er zuckte mit den Schultern.

Ich wandte mich kommentarlos ab. Etwas an Rike lässt mich sofort an Angriff denken. Etwas Elementares, rot wie Blut und scharf wie Krallen. Oder vielleicht liegt es daran, dass er einfach so groß ist. »Nun, Kent«, sagte ich. »Gib mir die guten Nachrichten.«

»Es sind zu viele.« Er spuckte in den Schlamm. »Ich gehe.«

»Immer mit der Ruhe.« Ich legte ihm den Arm um die Schultern. Kent sieht nicht besonders eindrucksvoll aus, aber er ist massiv, besteht nur aus Muskeln und Knochen, und er kann verdammt schnell sein. Was ihn zu etwas Besonderem macht, ist sein Killer-Denken. Chaos, Gefahr, Zeter und Mordio, nichts davon bringt ihn aus der Ruhe. Selbst wenn es um ihn herum drunter und drüber geht, er berechnet immer die Flugbahnen von Pfeilen und Speeren, beobachtet die Truppenbewegungen des Feindes, hält nach Blößen Ausschau und nutzt sie.

»Immer mit der Ruhe.« Mit der Hand unter seinem Nacken zog ich ihn näher. Er zuckte zusammen, hatte sich aber gut genug unter Kontrolle, nicht nach seiner Klinge zu greifen. »Das ist alles schön und gut.« Ich steuerte ihn fort von der Patrouille. »Aber angenommen, du gehst nicht. Nehmen wir einfach mal an, du bleibst. Nehmen wir weiter an, es gibt nur dich hier drin und zwanzig dort draußen. Ungefähr mit einer solchen Übermacht bist du fertiggeworden, als wir dich in Rutton fanden, nicht wahr?« Für einen Moment lächelte er, als er diese Worte hörte. »Wie würdest du siegen, Roter Kent?« Ich nannte ihn Roter, um ihn an den Tag zu erinnern, an dem er zitternd dagestanden hatte, sein Wolfsgrinsen weiß im Rot des Blutes anderer Männer.

Er biss sich auf die Lippe und starrte an mir vorbei ins Leere. »Sie sind dicht zusammengedrängt, Jorg. In den Tälern. Dicht an dicht. Ein Mann gegen viele. Er muss schnell sein, angreifen, immer in Bewegung. Jeder Mann ist ein Schild dem nächsten gegenüber.« Er schüttelte den Kopf und sah mich wieder. »Aber ein Heer kann sich nicht wie ein Mann bewegen.«

Da hatte der Rote Kent nicht ganz unrecht. Coddin hatte die Soldaten gut ausgebildet, insbesondere die Waldwache meines Vaters, aber im Kampf geht der Zusammenhalt immer verloren. Befehle werden nicht empfangen, überhört oder nicht beachtet, und früher oder später wird alles zu einem blutigen Gemetzel, in dem jeder allein zurechtkommen muss, und dann macht sich eine Überzahl schnell bemerkbar.

»Hoheit?« Es war die Frau von der königlichen Garderobe, und sie kam mit einer Art Mantel.

»Mabel!« Ich breitete die Arme aus und schenkte ihr mein gefährliches Lächeln.

»Ich bin Maud, Sire.«

Die alte Schachtel hatte durchaus Biss, das musste ich zugeben. »Also gut, Maud«, sagte ich. »Und ich soll darin heiraten?«

»Wenn es Euch genehm ist, Sire.« Sie machte sogar einen Knicks.

Ich nahm den Mantel von ihr entgegen. Schwer. »Katzen?«, fragte ich. »Offenbar mussten ziemlich viele ihr Leben dafür lassen.«

»Zobel.« Maud schürzte die Lippen. »Zobel und Goldfaden. »Graf …« Sie verschluckte das nächste Wort.

»Graf Renar hat darin geheiratet, stimmt’s?«, fragte ich. »Nun, wenn der Mantel für den Mistkerl gut genug war, sollte er auch für mich gut genug sein. Wenigstens sieht er warm aus.« Onkel Renar stand in meiner Schuld, wegen der Dornen, wegen einer verlorenen Mutter und eines verlorenen Bruders. Ich hatte sein Leben genommen, seine Burg und seine Krone, aber er schuldete mir noch mehr. Ein Pelzmantel konnte die offene Rechnung nicht begleichen.

»Ihr solltet Euch besser beeilen, Hoheit«, sagte Coddin. Sein Blick huschte umher, noch immer auf der Suche nach Meuchelmördern. »Wir müssen die Verteidigungen kontrollieren, den Nachschub für die Bogenschützen planen und außerdem über Kapitulationsbedingungen nachdenken.« Er hatte den Mumm, mir bei den letzten Worten in die Augen zu sehen.

Ich gab Maud den Mantel zurück und ließ ihn mir von ihr überstreifen, während die Patrouille zusah. Eine Antwort bekam Coddin nicht von mir. Er war blass. Ich hatte ihn immer gemocht, von dem Moment an, als er mich zu verhaften versuchte, bis über den Moment hinaus, in dem er eine Kapitulation vorzuschlagen wagte. Ein tapferer Mann, vernünftig, fähig und ehrlich. Der bessere Mann. »Bringen wir dies hinter uns«, sagte ich und wandte mich der Kapelle zu.

»Ist dies nötig, diese Heirat?«, fragte Coddin hartnäckig und wurde damit der Rolle gerecht, die ich ihm gegeben hatte. Sprecht zu mir, hatte ich ihn aufgefordert. Denkt nie, dass ich mich nicht irren kann. »Als Eure Frau könnte es schlimm für sie werden.« Rike kicherte bei diesen Worten. »Als Euer Gast würde man sie zur Pferdeküste bringen und Lösegeld für sie verlangen.«

Vernünftig und ehrlich. Eigenschaften, die mir fehlen. »Es ist notwendig.«

Eine Wendeltreppe brachte uns zur Kapelle, vorbei an Tafelrittern in Plattenpanzern. Unter meinem, auf dem Brustharnisch, sind noch Graf Renars Zeichen zu sehen, als hätte ich hier nur vier Monate regiert und nicht vier Jahre. Die Adligen, die zu arm, zu dumm oder zu loyal waren, um geflohen zu sein, warteten vermutlich drinnen. Draußen auf dem Hof standen die Bauern. Ich konnte sie riechen.

Vor der Tür blieb ich stehen und hob einen Finger, woraufhin die Hände des Ritters am Riegel verharrten. »Bedingungen?«

Erneut sah ich das Kind, unter den gekreuzten Standarten an der Wand. Der Knabe war mit mir gewachsen. Vor Jahren hatte er sich mir als Baby gezeigt und mich mit toten Augen angesehen. Jetzt schien er etwa vier zu sein. Ich klopfte mir mit den Fingern an die Stirn, wie ein Trommelwirbel.

»Bedingungen?«, wiederholte ich. Nur zweimal hatte ich das Wort ausgesprochen, aber es klang bereits seltsam und verlor an Bedeutung, wie es mit Worten passiert, die man immer wieder spricht. Ich dachte an das Kästchen aus Kupfer in meinem Zimmer, und der Gedanke ließ mich schwitzen. »Es wird keine Bedingungen geben.«

»Dann sollte Pater Gomst Euch schnell den Segen geben«, sagte Coddin. »Damit wir uns um die Verteidigungen kümmern können.«

»Nein«, erwiderte ich. »Es wird keine Verteidigung geben. Wir greifen an.«

Ich schob den Ritter beiseite und stieß die Tür weit auf. Leute standen dicht gedrängt in der Kapelle, von der einen Seite bis zur anderen. Mein Adel schien ärmer zu sein, als ich gedacht hatte. Und links, in blauen und violetten Tönen, die Hofdamen und Zofen, die Ritter herausgeputzt mit den Farben des Hauses Morrow, den Farben der Pferdeküste.

Und dort vor dem Altar, den Kopf unter einem Lilienkranz gesenkt, meine Braut.

»Lieber Himmel«, sagte ich.

Sie war klein, ja. Ich schätzte sie auf zwölf.

Im Frieden verwandelt sich Bruder Kent in einen Bauern, der,von Güte geplagt, Gott in steinernen Häusern sucht, wo dieFrommen jammern. Der Kampf löst diese Ketten.Im Krieg nähert sich der Rote Kent dem Himmlischen.

3

Hochzeitstag

Heirat war der Leim, der die Hundert einigermaßen zusammenhielt, der Balsam, der gelegentlich Momente des Friedens schuf, Pausen im scharlachroten Verlauf des Hundertkriegs. Und diese Heirat hing seit fast vier Jahren über mir.

Ich schritt durch den Mittelgang in der Kapelle, vorbei an den Hohen und Mächtigen von Renar, die eigentlich gar nicht so hoch und mächtig waren. Ich habe in den Aufzeichnungen nachgesehen. Die Hälfte von ihnen hat Ziegenhirten als Großeltern. Es überraschte mich, dass sie geblieben waren. An ihrer Stelle hätte ich getan, was der Rote Kent in knappe Worte gefasst hatte. Ich hätte mich über die Matteracks auf und davon gemacht, mit den Dingen, die ich auf dem Rücken tragen kann.

Miana beobachtete mich, frisch und keck wie die Lilien auf ihrem Kopf. Wenn die entstellte linke Seite meines Gesichts sie erschreckte, so ließ sie es sich nicht anmerken. In meinen Fingerspitzen juckte die Versuchung, über die Wölbungen der Narben auf der Wange zu streichen. Für einen Moment spürte ich wieder die Hitze des Feuers, und die Erinnerung an Schmerz drückte meine Lippen zusammen.

Ich trat neben meine Braut vor den Altar und sah zurück. In einem Augenblick der Klarheit verstand ich. Diese Leute erwarteten von mir, dass ich sie rettete. Sie glaubten noch immer, dass ich mit meiner Handvoll Soldaten die Burg halten und den Sieg erringen konnte. Ich hätte Lust gehabt, ihnen zu sagen, was alle wussten, die mich kannten. Es gibt etwas Sprödes in mir, das sich nicht biegt, sondern bricht. Wenn der Fürst von Pfeil mit einem kleineren Heer gekommen wäre, hätte ich vielleicht genug Vernunft gefunden, um zu fliehen. Aber er hatte es übertrieben.

Vier Musikanten in voller Tracht hoben ihre Blaterpfeifen und bliesen die Fanfare.

»Ich rate dir zur kurzen Version, Pater Gomst«, sagte ich leise. »Heute gibt es viel zu tun.«

Daraufhin runzelte Gomst die Stirn, und seine grauen Brauen rieben aneinander. »Prinzessin Miana, ich habe das Vergnügen, dir Seine Hoheit Honorous Jorg Ankrath vorzustellen, König des Hochlands von Renar, Erbe des Landes der Ankrath und der entsprechenden Protektorate.«

»Ich bin entzückt«, sagte ich und neigte den Kopf. Ein Kind. Sie reichte mir kaum bis zu den Rippen.

»Jetzt verstehe ich, warum das Bild dein Profil zeigte«, sagte sie und deutete einen Knicks an.

Ich lächelte. Das Schicksal hatte vermutlich nicht mehr als eine kurze Ehe geplant, aber vielleicht würde sie nicht langweilig sein. »Du hast also keine Angst vor mir, Miana?«

Ihre Antwort bestand darin, dass sie nach meiner Hand griff. Ich zog sie zurück. »Besser nicht.«

»Pater?« Ich nickte dem Priester zu.

»Liebe Gemeinde«, begann Gomst, »wir haben uns hier im Zeichen Gottes versammelt …«

Und so, mit alten Worten von einem alten Mann und ohne jemanden unter den »hier Anwesenden«, der irgendwelche Einwände erhob – zumindest gab es niemanden, der den Nerv hatte, solche Einwände laut auszusprechen –, wurde der kleine Jorg Ankrath zu einem verheirateten Mann.

Ich führte meine Braut aus der Kapelle, mit dem Applaus und den Hurra-Rufen des Adels hinter uns, fast laut genug, um die Klänge der schrecklichen Pfeifen zu übertönen. Die Blaterpfeife, ein typisches Musikinstrument des Hochlands, ist für Musik das, was Warzenschweine für Mathematiker sind. Es gibt kaum eine Verbindung.

Die Tür führt zu einer Treppe, von der aus man auf den größten Hof der Burg hinabblickt, jenen Ort, wo ich den früheren Burgherrn erledigt habe. Mehrere Hundert standen dort unten, von der Ringmauer bis zu den Treppenstufen, und jenseits des Tors noch mehr, dicht gedrängt unter dem Fallgatter. Schneeflocken fielen auf sie alle.

Jubel ertönte, als wir ins Licht traten. Da nahm ich Mianas Hand, trotz der in meinen Fingerkuppen lauernden Nekromantie, und hob sie hoch, um die Menge damit zu grüßen. Die Loyalität des Untertanen dem Herrn gegenüber erstaunte mich noch immer. Ich lebte Jahr für Jahr in Saus und Braus von diesen Leuten, während sie an den Berghängen ein karges Dasein fristeten. Und jetzt waren sie bereit, mit mir in einen ziemlich sicheren Tod zu gehen. Ich meine, selbst der blinde Glaube in meine Fähigkeit, den Wahrscheinlichkeiten immer wieder ein Schnippchen zu schlagen, musste reichlich Platz für Zweifel lassen. Den ersten richtigen Einblick in diese Sache gewann ich vor ein paar Jahren. Es war eine Lektion, die das Leben auf der Straße weder mich noch meine Brüder gelehrt hatte. Die Macht des Ortes.

Meine königliche Präsenz war für ein bisschen Rechtsprechen erforderlich gewesen, und zwar an einem Ort, den man im Hochland von Renar als »Dorf« bezeichnet, obwohl man überall sonst von drei Häusern und ein paar Schuppen gesprochen hätte. Dieses »Dorf« befindet sich hoch oben in den Bergen, nicht weit von den Gipfeln entfernt, und es heißt Gutting. Wie ich hörte, gibt es auch ein Klein-Gutting, weiter oben im Tal, obwohl es nicht viel mehr sein kann als ein großes Fass. Jedenfalls, bei dem Streit ging es darum, wo die Steine eines armen Bauern endeten und die des anderen begannen. Ich erkletterte mit Makin tausend Höhenmeter, um zu zeigen, dass ich meine Pflichten als König ernst nahm. Nach den Berichten waren der Fehde bereits mehrere Männer des Dorfes zum Opfer gefallen, aber bei genauerem Hinsehen beschränkten sich die Verluste auf ein Schwein und das linke Ohr einer Frau. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich einfach alle getötet und wäre mit ihren aufgespießten Köpfen zurückgekehrt, aber vielleicht war ich nach dem langen Aufstieg müde. Ich gab den schäbigen Bauern Gelegenheit, ihre Standpunkte vorzutragen, was sie auch taten, lange und mit ziemlich vielen Worten. Es wurde dunkel, und die Flöhe bissen, und deshalb machte ich es kurz.

»Gebbin, nicht wahr?«, wandte ich mich an den Kläger. Er nickte. »Im Grunde genommen, Gebbin, kannst du diesen Burschen hier einfach nicht ausstehen, und das Warum bleibt mir schleierhaft. Die Sache ist, ich langweile mich und bin wieder zu Atem gekommen, und wenn du mir nicht den wahren Grund nennst, warum du diesen Mann …«

»Borron«, warf Makin ein.

»Ja, Borron. Sei ehrlich und nenn mir den wahren Grund, warum du Borron hasst, oder ich verurteile euch alle zum Tod, mit Ausnahme der Frau mit dem einen Ohr, die sich nach Vollstreckung der Strafe um das eine übriggebliebene Schwein kümmern kann.«

Es dauerte einige Sekunden, bis Gebbin begriff, dass ich es ernst meinte. Einige weitere Momente nuschelte er vor sich hin, bis er schließlich damit herauskam und zugab, dass er Borron hasste, weil er ein »Fämda« war. Fämda, so stellte sich heraus, bedeutete Fremder, und der alte Borron galt als Fremder, weil er auf der Ostseite des Tals geboren war und dort einen großen Teil seines Lebens verbracht hatte.

Die Soldaten jubelten Miana und mir zu, winkten mit ihren Schwertern, schlugen sie an die Schilde und schrien sich heiser. Auf eine Frage hin hätten sie wahrscheinlich gesagt, wie stolz sie seien, für Seine Hoheit und die neue Königin zu kämpfen. In Wirklichkeit aber lief es auf dies hinaus: Sie wollten einfach nicht, dass die Männer von Pfeil über ihre Steine hinwegstapften, ihre Ziegen beäugten und ihren Frauen anzügliche Blicke zuwarfen.

»Der Fürst von Pfeil hat ein viel größeres Heer als du«, sagte Miana. Kein »Euer Hoheit«, kein »Herr«.

»Ja, das hat er.« Ich winkte weiterhin der Menge zu, mit einem großen Lächeln in meinem Gesicht.

»Er wird siegen, nicht wahr?«, fragte Miana. Sie sah wie zwölf aus, klang aber nicht so.

»Wie alt bist du?« Ich warf ihr, während des Winkens, einen kurzen Blick zu.

»Zwölf.«

Verdammt.

»Er könnte siegen. Wenn nicht jeder meiner Männer mindestens zwanzig Gegner tötet, könnte es darauf hinauslaufen. Vor allem, wenn er uns umzingelt.«

»Wie weit entfernt sind sie?«, fragte Miana.

»Drei Meilen trennen uns von ihren vordersten Linien«, sagte ich.

»Du solltest jetzt angreifen«, erwiderte meine Braut. »Bevor sie uns umzingeln.«

»Ich weiß.« Das Mädchen begann mir zu gefallen. Selbst ein erfahrener Soldat wie Coddin, ein guter Soldat, wollte sich hinter den Mauern der Burg verschanzen und es vor allem ihnen überlassen, den Feind abzuwehren. Aber keine Burg kann einer solchen Übermacht standhalten. Miana wusste, was der Rote Kent wusste, der Rote Kent, der an einem heißen Morgen im August die siebzehn Soldaten einer Patrouille getötet hatte. Das Töten braucht Platz. Man muss sich bewegen. Man muss vorrücken und zurückweichen, und manchmal muss man einfach wegrennen.

Ich winkte noch ein letztes Mal, kehrte der Menge dann den Rücken und trat in die Kapelle.

»Makin! Ist die Wache bereit?«

»Das ist sie.« Er nickte. »Mein König.«

Ich zog mein Schwert.

Das plötzliche Erscheinen von ein Meter zwanzig langem, rasiermesserscharfem Erbauer-Stahl im Hause Gottes führte dazu, dass zahlreiche Leute nach Luft schnappten. Es klang gut.

»Gehen wir.«

Aus dem Tagebuch von Katherine Ap Scorron

6. Oktober, Jahr 98 Interregnum

Ankrath. Die Hohe Burg. Kapelle. Mitternacht.

Die Kapelle der Ankraths ist klein und zugig, als hätten sie nicht viel Zeit für diesen Ort. Die Kerzenflammen tanzen, und die Schatten bleiben nie unbewegt. Wenn ich gehe, wird der Junge des Friars die Kerzen löschen.

Jorg Ankrath ist seit fast einer Woche fort. Er hat Sir Makin aus dem Kerker mitgenommen. Das hat mich gefreut, denn ich mochte Sir Makin und kann ihm eigentlich nicht zur Last legen, was mit Galen geschah – auch dafür war Jorg verantwortlich. Eine Armbrust! Mit einer Klinge hätte er Galen nicht besiegt. Es steckt keine Ehre in dem Jungen.

Von Friar Glen weiß ich, dass Jorg mir nach dem Schlag mit der Vase fast das Gewand vom Leib gerissen hat. Ich bewahre es ganz hinten im langen Schrank auf, in der Brauttruhe, die meine Mutter für mich packte, bevor wir Scorron-Ruh verließen. Es liegt dort, wo die Zofen nicht nachsehen, und meine Hände zeigen mir den Weg. Ich lasse die Fetzen durch die Finger gleiten. Blauer Satin. Ich berühre ihn und versuche, mich zu erinnern. Dort steht er, mit ausgebreiteten Armen, das Messer in meiner Hand verspottend. Er schwankt, als könnte er sich kaum mehr auf den Beinen halten, das Gesicht bleich, mit einem großen dunklen Fleck, der die Brustwunde umgibt. Er sah so jung aus. Ein Kind, oder wenig mehr. Mit all den Narben dort, wo ihm Dornen die Haut aufgerissen hatten. Sir Reilly erzählte, dass er ihn im Dorngestrüpp gefunden hat, fast blutleer nach einer stürmischen Nacht, und mit seiner Mutter tot in der Nähe.

Und dann schlug er mich.

Ich berühre jetzt die Stelle. Sie ist noch immer wund; Schorf bildet einen kleinen Buckel. Ich frage mich, ob man die Stelle durch mein Haar sehen kann. Und dann überlege ich, warum ich mich darum scheren sollte.

Hier unten gibt es weitere wunde Stellen. Dunkel wie der Fleck, der die Brustwunde umgab. Ich glaube fast, die Umrisse der Finger an meinem Oberschenkel zu sehen, den Abdruck eines Daumens. Er schlug mich, fiel dann über mich her und vergewaltigte mich. Es kann ihm, dem Söldner von der Straße, nicht viel bedeutet haben. Nein, es kann nicht viel für ihn gewesen sein, nur jemand anders, den er missbrauchte. Ein kleines Verbrechen neben all seinen großen. Und vielleicht nicht einmal das größte Verbrechen mir gegenüber, denn ich vermisse Hanna und habe geweint, als wir sie der Erde übergaben. Und ich vermisse Galen, die Grimmigkeit seines Lächelns, und die Wärme, die er mir gab, wenn er in meine Nähe kam.

Er schlug mich und missbrauchte mich dann? Der kranke Junge, der das Messer herausforderte und sich kaum auf den Beinen halten konnte?

11. Oktober, Jahr 98 Interregnum

Ankrath. Die Hohe Burg. Meine Gemächer.

Heute habe ich Friar Glen im Blauen Saal gesehen. Ich gehe nicht mehr zu seinen Gottesdiensten, aber ich habe ihn im Saal gesehen und seine Hände beobachtet, seine dicken Daumen. Ich habe an die Flecken gedacht, die jetzt nicht mehr dunkel sind, sondern gelb, und ich bin zum langen Schrank gegangen, mit dem zerrissenen Satin in meinen Händen.

Bruder Gog besteht aus Haut, Knochen und Unheil.Als Monstrum geboren und als Monstrum aufgewachsen,doch nur wenig unterscheidet ihn von Adam, abgesehen vonder Haut mit den scharlachroten und schwarzen Tupfern, dendunklen Schlünden seiner Augen, den pechschwarzen Krallenan Hand und Fuß und den dornigen Auswüchsen, die sich anseinem Rücken bilden. Seht ihn spielen, laufen und lachen:Er wirkt zu ungezwungen für einen Riss in der Welt, durch denalle Feuer der Hölle lodern können.Doch seht ihn brennen, und ihr werdet es glauben.

4

Vier Jahre zuvor

In meinem vierzehnten Jahr nahm ich den Thron meines Onkels und fand, dass er mir gefiel. Ich hatte eine Burg, eine Gruppe von Dienstmädchen für meine Neugier, einen Hof mit Adligen – oder was im Hochland als Adel galt –, die ich unterdrücken konnte, und eine Schatzkammer, die es zu plündern galt. Während der ersten drei Monate gab ich mich diesen Aktivitäten hin.

Ich erwachte schweißgebadet. Normalerweise erwache ich plötzlich, mit einem klaren Kopf, aber diesmal fühlte ich mich dem Ersticken nah.

»Zu heiß …«

Ich rollte herum, fiel aus dem Bett und prallte schwer auf den Boden.

Rauch.

Schreie in der Ferne.

Ich fand die Nachttischlampe und drehte den Docht hoch. Der Rauch kam von der Tür, kroch nicht unter ihr hervor, sondern stieg von jedem Quadratzentimeter des verschmorten Holzes auf und bildete einen wogenden Vorhang.

»Mist …« Bei lebendigem Leib zu verbrennen, war immer eine meiner Ängste gewesen. Nennt es eine persönliche Schwäche. Manche Leute fürchten sich vor Spinnen. Ich fürchte mich vor dem Verbrennen. Und auch vor Spinnen.

»Gog!«, rief ich.

Er war im Vorraum gewesen, als ich mich zurückgezogen hatte. Ich näherte mich der Tür, von der Seite her. Enorme Hitze strahlte mir entgegen. Entweder verließ ich das Zimmer durch die Tür, oder ich konnte versuchen, mich durch eine Lücke zwischen den drei Gitterstäben des Fensters zu quetschen, bevor ich mir Gedanken darüber machte, wie ich anschließend den Sturz dreißig Meter in die Tiefe überleben sollte.

Ich nahm eine Axt aus dem Gestell und stand mit dem Rücken an der steinernen Wand neben der Tür. Meine Lunge schmerzte, und ich konnte nicht richtig sehen. Als ich die Axt schwang, fühlte sie sich so schwer an wie ein erwachsener Mann. Die Klinge bohrte sich ins Holz, und die Tür explodierte regelrecht. Orangefarbenes und weißes Feuer fauchte ins Zimmer, heiß wie ein Schmelzofen, eine große Flammenzunge, aus der kleinere flackerten. Und dann, fast ebenso plötzlich, erstarb das Lodern, ging zu Ende wie ein Hustenanfall und hinterließ nichts weiter als versengten Boden und ein brennendes Bett.

Im Vorraum schien es noch heißer zu sein als in meinem Schlafzimmer. Alles war rußgeschwärzt, vom Boden bis zur Decke, und in der Mitte ruhte ein großes, glühendes Stück Kohle. Ich wankte in Richtung Bett zurück. Die Hitze verdampfte das Wasser in meinen Augen, und ich konnte besser sehen. Das Stück Kohle war Gog, wie ein Neugeborener zusammengerollt, voller Flammen.

Etwas Großes brach durch die Tür des Wachzimmers. Gorgoth! Mit einer dreifingrigen Hand hob er den Jungen hoch und gab ihm mit der anderen einen Klaps. Gog erwachte mit einem plötzlichen Schrei, und von einem Augenblick zum anderen verließ ihn das Feuer. Übrig blieb ein schlaffes Kind, die Haut rot und schwarz getupft, und der Gestank von verbranntem Fleisch.

Wortlos wankte ich an ihnen vorbei und ließ mir von den Wachen helfen.

Sie mussten mich praktisch bis zum Thronraum schleifen  – erst dort kam ich wieder zu Kräften. »Wasser«, brachte ich hervor. Als ich getrunken und mit dem Messer die verbrannten Enden meines Haars abgeschnitten hatte, hustete ich: »Bringt die Monstren her.«

Makin polterte herein, noch damit beschäftigt, einen Panzerhandschuh überzustreifen. »Schon wieder?«, fragte er. »Noch ein Feuer?«

»Ein schlimmes diesmal, ein regelrechtes Inferno«, sagte ich. »Wenigstens brauche ich nicht länger den Anblick der Möbel meines Onkels zu ertragen.«

»Du darfst sie nicht in der Burg schlafen lassen«, sagte Makin.

»Das ist mir gerade klargeworden«, erwiderte ich.

»Bring die Sache zu einem schnellen Ende, Jorg.« Makin zog den Panzerhandschuh wieder aus. Immerhin fand kein Angriff statt.

»Ihr könnt ihn nicht gehen lassen.« Coddin traf ein, mit dunklen Ringen unter den Augen. »Er ist zu gefährlich. Jemand wird ihn benutzen.«

Und so hingen die Worte unausgesprochen in der Luft. Gog musste sterben.

Es donnerte dreimal an der Haupttür, und dann kam Gorgoth mit Gog in den Thronraum, begleitet von vier meiner Tafelritter, die neben ihm wie Kinder aussahen. In der Gesellschaft von Menschen wirkten die Leucrota genauso ungeheuerlich wie an jenem Tag, als ich sie unter dem Honasberg gefunden hatte. Gorgoth kniff trotz der Düsternis die Katzenaugen zusammen, und seine blutrote Haut schien fast schwarz zu sein, als hätte sie einen Teil der Nacht aufgesaugt.

»Du bist jetzt wie alt, Gog, acht? Und du bemühst dich noch immer, meine Burg niederzubrennen.« Ich fühlte Gorgoths Blick. Die großen Sparren seiner Rippen bewegten sich bei jedem Atemzug.

»Der Große wird kämpfen«, murmelte Makin neben mir. »Ein schwerer Gegner.«

»Acht«, wiederholte Gog. Er wusste es nicht, aber er stimmte mir gern zu. Er hatte eine hohe, liebliche Stimme gehabt, als wir uns unter dem Honasberg begegnet waren. Jetzt klang sie rau und trug das Knistern von Flammen in sich, als könnte er das Zeug atmen und wie ein verdammter Drache Feuer speien.

»Ich bringe ihn fort«, sagte Gorgoth mit so tiefer Stimme, dass man sie kaum hörte. »Weit weg.«

Du bist am Zug, Jorg. Stille dehnte sich aus.

Ich säße nicht auf diesem Thron, wenn Gorgoth nicht das Tor gehalten und die Männer des Grafen verbrannt hätte. Die Haut in meinem Gesicht fühlte sich noch immer straff gespannt an, und nach wie vor fiel mir das Atmen schwer. Außerdem hatte ich noch immer den Gestank von verbranntem Haar in der Nase.

»Das mit deinem Bett tut mir leid, Bruder Jorg«, sagte Gog. Ein dicker Finger von Gorgoth traf ihn an der Schulter, und der Stoß genügte, ihn taumeln zu lassen. »König Jorg«, fügte er hinzu.

Ich saß auf diesem Thron, weil mir viele Leute geholfen hatten, und weil mir der Zufall zu Hilfe gekommen war, oft von uns gelenkt. Hauptsächlich aber verdankte ich den Thron dem Opfer vieler Männer, manche von ihnen besser als andere. Man sollte nicht immer neue Schuldenlasten auf sich laden, denn sonst wird ihr Gewicht schnell zu groß.

»Du warst bereit, diesen Jungen den Nekromanten zu überlassen, Gorgoth«, sagte ich. »Ihn und seinen Bruder, sie beide.« Ich fragte nicht, ob er bereit war zu sterben, um Gog zu schützen. So viel stand in seinem Gesicht geschrieben.

»Die Dinge ändern sich«, entgegnete Gorgoth.

»Sie sollten besser einen schnellen Tod finden, hast du gesagt.« Ich stand auf. »Die Veränderungen werden bei diesen Kindern zu schnell kommen, lauteten deine Worte. So schnell, dass sie unerträglich werden. Die Veränderungen werden ihr Innerstes nach außen kehren, hast du gesagt.«

»Lass ihn versuchen, damit fertigzuwerden.«

»Ich bin heute Nacht fast in meinem Bett gestorben.« Ich trat vom Podium herunter, mit Makin direkt neben mir. »Die königlichen Gemächer liegen in Asche. Und es war nie meine Absicht, im Bett zu sterben. Es sei denn als Kaiser an Altersschwäche unter einer zu leidenschaftlichen Konkubine.«

»Es ist nicht zu ändern.« Gorgoths Hände wurden zu großen Fäusten. »Es liegt in seiner Denas.«

»In seiner was?« Meine Hand ruhte nun auf dem Schwertknauf. Ich erinnerte mich daran, wie Gog für die Rettung seines kleinen Bruders gekämpft hatte. Wie rein jener Zorn gewesen war. Diese Reinheit vermisste ich in mir. Erst am vergangenen Tag war mir jede Entscheidung leicht gefallen. Schwarz oder weiß. Stich Gemt in den Nacken oder nicht. Und jetzt? Grauschattierungen. In solchen Grauschattierungen kann ein Mann ersticken.

»In seiner Denas. Die Geschichte eines Jeden ist in seinem Kern niedergeschrieben, was er ist, was er werden wird«, sagte Gorgoth. »In einer Wicklung steht es geschrieben, im Kern von uns allen.«

Nie zuvor hatte ich von dem Monstrum so viele Worte hintereinander gehört. »Ich habe viele Leute geöffnet, Gorgoth, und wenn etwas in ihnen geschrieben stand, so rot auf rot, und mit üblem Geruch.«

»Das Zentrum eines Mannes lässt sich nicht mit deiner Geometrie finden, Hoheit.« Er sah mich aus diesen Katzenaugen an. Auch das geschah zum ersten Mal, dass er mich Hoheit nannte. Vermutlich kam es für ihn einem Flehen so nahe, wie es möglich war.

Ich beobachtete Gog, der geduckt dastand und dessen Blick zwischen Gorgoth und mir hin und her wanderte. Ich mochte den Jungen. Schlicht und einfach war er. Wir hatten beide einen toten Bruder, den wir nicht retten konnten. In uns beiden brannte etwas, eine elementare Zerstörungskraft, die jeden Tag freigesetzt werden wollte.

»Sire«, sagte Coddin, der diesmal wusste, was mir durch den Kopf ging. »Um diese Dinge sollte sich nicht der König kümmern. Nehmt mein Quartier und lasst uns morgen früh darüber reden.«

Geh und überlass es uns, die schmutzige Arbeit für dich zu erledigen. Die Botschaft war deutlich genug. Und Coddin wollte es nicht tun. Er kannte meine Gedanken, und ich kannte seine. Er hatte seinem Pferd nicht die Kehle durchschneiden wollen, als es wegen eines lockeren Steins lahmte. Aber er hatte es getan. Und er würde es auch jetzt tun. Das Spiel der Könige war nie sauber.

Mach deinen Zug.

»Es lässt sich nicht ändern, Jorg.« Makin sprach mit sanfter Stimme und legte mir die Hand auf die Schulter. »Er ist zu gefährlich. Wer weiß, was aus ihm werden könnte.«

Mach deinen Zug. Beweg deine Figuren. Gewinn das Spiel. Triff die harten Entscheidungen.

»Gog«, sagte ich. Er richtete sich langsam auf, sah mir dabei in die Augen. »Man teilt mir mit, dass du zu gefährlich bist. Dass ich dich nicht bei mir behalten und dich auch nicht gehen lassen kann. Dass du ein zu großes Risiko bist. Eine Waffe zu schwer für meine Hand.« Ich drehte mich um, und mein Blick strich durch den Thronraum, über die hohen Gewölbe und dunklen Fenster. Dann wandte ich mich Coddin, Makin und den Rittern meiner Tafel zu. »Ich habe eine Sonne der Erbauer unter Gelleth geweckt, und dieses Kind soll für mich zu viel sein?«

»Es waren verzweifelte Zeiten, Jorg«, sagte Makin und schaute dabei auf den Boden.

»Die Zeiten sind immer verzweifelt«, erwiderte ich. »Glaubst du, hier sind wir sicher, am Hang des Berges? Von innen mag diese Burg groß und mächtig erscheinen. Eine Meile entfernt kann man sie mit dem Daumen bedecken.«

Ich sah Gorgoth an. »Vielleicht brauche ich eine neue Geometrie. Vielleicht sollten wir diese Denas suchen und herausfinden, ob die Geschichte neu geschrieben werden kann.«

»Die Macht des Kindes ist außer Kontrolle, Jorg«, sagte Coddin. Ein tapferer Mann, der mich unterbrach, wenn ich in Schwung war. Die Art von Mann, die ich brauchte. »Wir müssen damit rechnen, dass es immer wilder wird.«

»Ich bringe den Jungen nach Heimrift«, sagte ich. Gog ist eine Waffe, und dort werde ich ihn schmieden.

»Heimrift?« Gorgoth öffnete seine Fäuste. Die Knöchel knackten.

»Ein Ort der Dämonen und des Feuers«, brummte Makin.

»Ein Vulkan«, sagte ich. »Eigentlich sogar vier. Und ein Feuermagier. Das hat mir zumindest mein Lehrer erzählt. Stellen wir die Vorzüge einer königlichen Bildung auf die Probe. Wenigstens wird es Gog dort gefallen. Alles brennt.«

5

Vier Jahre zuvor

»Das ist eine schlechte Idee, Jorg.«

»Es ist eine gefährliche Idee, Coddin, aber das bedeutet nicht, dass sie schlecht ist.« Ich legte mein Messer auf die Karte, damit sie sich nicht wieder zusammenrollte.

»Wie auch immer die Erfolgsaussichten sein mögen, Ihr lasst Euer Königreich ohne König.« Er legte einen Finger auf die Karte, genau auf die Spukburg, wie um sie mir zu zeigen. »Es sind erst drei Monate vergangen, Jorg. Die Leute sind sich Eurer noch nicht sicher, und der Adel wird sich gegen Euch verschwören, kaum habt Ihr die Burg verlassen. Und wie viele Soldaten wollt Ihr mitnehmen? Mit einem leeren Thron könnte das Hochland von Renar wie leichte Beute aussehen. Euer königlicher Vater könnte beschließen, uns mit dem Heer des Tores einen Besuch abzustatten. Wer weiß, wie viele Soldaten Eures Onkels Eurem Ruf folgen, wenn es darum geht, diesen Ort zu verteidigen.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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