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Eine Festung voller Geheimnisse. Ein König mit dunkler Vergangenheit. Ein verbotener Schlüssel, der nie benutzt werden darf. In unberechenbaren Abständen wählt der König eine neue Braut – keine von ihnen ist je zurückgekehrt. Mit seinen kühlen Augen und dem nachtblauen Haar umgibt ihn eine Aura der Unnahbarkeit, die ebenso fesselnd wie beunruhigend ist. Bisher konnte Rosalie seinem Blick entkommen, aber dann fällt die Wahl ausgerechnet auf sie und aus ihrer größten Angst wird grausame Wirklichkeit. Schon bald findet sie sich hinter den unüberwindbaren Mauern einer düsteren Festung wieder, in der finstere Geheimnisse auf sie lauern. Rosalie ist fest entschlossen, das Schicksal ihrer Vorgängerinnen zu erfahren und dieser unheilvollen Ehe zu entkommen. Doch was verbirgt sich hinter der einzigen Tür, die ihr unter allen Umständen verboten ist? Tauch mit "Königsblau" in eine düstere Märchenadaption von König Blaubart ein.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhalt
Titel
Impressum
Inhaltswarnung
Widmung
Ein Märchen
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
Danksagung
Vita
KÖNIGSBLAU
GedankenReich Verlag
N. Reichow
Neumarkstraße 31
44359 Dortmund
www.gedankenreich-verlag.de
KÖNIGSBLAU
Text © Julia Zieschang, 2025
Cover: Phantasmal Image
Lektorat: Christiane Geldmacher
Korrektorat: Silke Maria Hill
Covergrafik © shutterstock
ISBN 978-3-98792-073-8
© GedankenReich Verlag, 2025
Alle Rechte vorbehalten.
Der Verlag behält sich das Text- and Data-Mining nach § 44b UrhG vor, was hiermit Dritten ohne Zustimmung des Verlages untersagt ist.
Dies ist eine fiktive Geschichte.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen
sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Diese Märchenadaption ist dunkel und düster, manchmal auch blutig.
Wenn du das Originalmärchen von König Blaubart kennst,
ahnst du vielleicht bereits, was dich in Königsblau erwartet.
Solltest du dich entscheiden, in meine dunkle Märchenwelt
voller finsterer Geheimnisse einzutauchen,
sei dir gewiss, dass du darin auch Gewalt begegnen wirst.
Mama,
die immer an mich und
meine Geschichten glaubt
und die sich ein Märchen
gewünscht hat.
Dieses hier ist für dich.
Ein Märchen wie viele,
Schon oftmals gelesen.
Und doch wie kein zweites,
So anders im Wesen.
Was bleibt, wenn die Schönheit vergangen ist?
Ein Mädchen ohne Jugend und hübschem Gesicht.
Das Leben in ihrem Innern lässt sie erstrahlen;
Und wird ein Leuchten in ihre Augen malen.
Ein Märchen wie viele,
Schon oftmals gelesen.
Und doch wie kein zweites,
So anders im Wesen.
Ein Held, der seine Schwester zu retten versucht;
Mit edlen Absichten sein Möglichstes tut.
Blaubart ist schlimmer, als manch einer glaubt;
Ein einziger Albtraum, der Leben raubt.
Ein Märchen wie viele,
Schon oftmals gelesen.
Und doch wie kein zweites,
So anders im Wesen.
Eine Rose so hübsch wie sie stachlig ist;
Die Neugier sie treibt, obwohl sie‘s besser wüsst‘.
Den Schlüssel sie nimmt, trotz Verbot;
Was sie findet ist Leid und höchste Not.
Ein Märchen wie viele,
Schon oftmals gelesen.
Und doch wie kein zweites,
So anders im Wesen.
Was die Dunkelheit zuvor verborgen hatte, kam ans Licht. Bluebeards schauriges Geheimnis offenbarte sich vor ihnen und der Anblick war so entsetzlich, dass es Rosalie den Magen umdrehte. Es übertraf alles, was sie sich jemals in ihren schlimmsten Fantasien ausgemalt hatte.
Rosalie - Drei Monate zuvor
Rosalie senkte den Blick, um möglichst wenig aufzufallen. Um sich unscheinbarer zu machen, hatte sie sich ihre langen schwarzen Haare zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr über eine Schulter fiel.
In einem Halbkreis stand sie zusammen mit rund dreißig weiteren unverheirateten Mädchen im Alter zwischen sechzehn und neunzehn Jahren. Alle starrten sie auf den Staub vor ihren Schuhspitzen. Alle bibberten sie vor Angst.
Gemächlich schritt Bluebeard an ihnen entlang, blickte jeder von ihnen für einen Moment prüfend ins Gesicht.
Rosalie hatte so sehr darum gebetet, niemals bei einer dieser Auswahlverfahren dabei sein zu müssen. Bei der letzten war sie mit ihren fünfzehneinhalb Jahren noch zu jung gewesen, doch heute mit achtzehn kam sie nicht drum herum. Bluebeards letzte Ehefrau Isabella, an ihren Namen erinnerte sich Rosalie noch, hatte es auf vierundzwanzig Monate gebracht. Das war ausgesprochen lange. Im Durchschnitt kamen die Ehefrauen auf dreizehn Monate. Es gab auch Gattinnen, die es gerade mal fünf Monate bei ihm ausgehalten hatten. So jedenfalls lautete Bluebeards Behauptung. Doch in Wahrheit war keine seiner Ehefrauen je wieder gesehen worden, geschweige denn je zu ihren Familien zurückgekehrt. Niemand wusste, welches Schicksal sie ereilt hatte. Es ging das Gerücht um, dass Bluebeard sie, wenn er genug von ihnen hatte, auf einen weit entfernten Landsitz schickte, in dem sie – die abgelegten Ehefrauen – glücklich zusammenlebten.
Jetzt, nur vier Monate nach dem Verschwinden seiner letzten Frau, machte Bluebeard sich wieder auf die Suche. Er reiste von Dorf zu Dorf und in jedem mussten die Mädchen sich am Markplatz versammeln, damit Bluebeard sie besehen konnte. Wie Vieh am Markt. Rosalie kam sich vor wie ein Stück Fleisch. Ein Ausstellungsobjekt, das nach seiner Jugend und Saftigkeit beurteilt wurde.
Ihr Dorf war eines der letzten, das Bluebeard besuchen würde. Er reiste schon seit einigen Wochen durch das Land und Rosalie hatte jeden Abend vor dem Zubettgehen gebetet, er möge erst gar nicht bis in ihr Dorf kommen. Dass er jetzt hier, nur einen halben Meter von ihr entfernt, ein Mädchen mit rotblonden Haaren grob unter dem Kinn packte und es intensiv begutachtete, war ein schlechtes Zeichen. Denn es hieß, er hatte noch nicht gefunden, wonach er suchte.
Bluebeard ließ das Mädchen los und machte einen Schritt nach rechts, zu Rosalies Freundin Amanda. Sie beobachtete, wie das andere Mädchen erleichtert die Schultern sinken ließ, als er sich von ihm abwandte.
Aus halb gesenkten Lidern, beäugte Rosalie Bluebeard. Er war groß, mit einer stattlichen Statur und edlen Gewändern, deren Stoff silberblau schimmerte und die Farbe seiner Haare und seines Bartes unterstrich. Diese schimmerten im Schein der Sonne in einem dunklen, kräftigen Blau. Königsblau. Wie passend, dachte Rosalie, wo Bluebeard doch der rechtmäßige Erbe des Throns war. Es hieß, er habe aus Desinteresse für die Angelegenheiten seines Landes den Thron seinem jüngeren Bruder Edmund überlassen. Aber auch das waren nur Gerüchte, genau wie die über die Farbe seiner Haare.
Manche behaupteten, es sei ein Gift gewesen, ein gescheiterter Mordversuch, von dem nur die blaue Färbung der Haare als Beweis übriggeblieben war. Andere sagten, Bluebeard selbst habe es verursacht, es sei ein Experiment gewesen. Und wieder andere waren sich sicher, er habe schon von Geburt an blaue Haare gehabt, nur habe man damals versucht, es mit schwarzer Farbe zu vertuschen.
Bluebeard wandte sich an Rosalie, fasste ihr grob unters Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Nur widerwillig hob sie den Blick, darum bemüht, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen. Ihr Herz schlug wild in ihrer Brust, während sie unerschrocken und mit einer Spur Trotz Bluebeards kaltem Blick aus dunklen, beinahe schwarzen Augen standhielt. Sie konnte kaum erkennen, wo seine Pupille aufhörte und die Iris begann und das verwirrte sie aus irgendeinem Grund.
Seine Barthaare waren dunkel, fast schwarz, wie sie jetzt aus der Nähe erkannte, aber sobald Licht darauf fiel, reflektierten die Härchen es in einem blauen Glanz. Bluebeard griff mit seiner anderen Hand nach ihrem Zopf und ließ ihn bedächtig durch seine Finger gleiten. Rosalies Mund wurde trocken, als sie das kleine zufriedene Grinsen um seine Mundwinkel entdeckte. Um sich zu beruhigen, versuchte sie sich an seinen richtigen Namen zu erinnern, aber er wollte ihr partout nicht einfallen. Hatte sie ihn überhaupt schon einmal gehört?
Schließlich ließ er ihr Kinn los, nur um sie grob am Oberarm zu packen und nach vorne zu zerren. Rosalie stolperte ihm entgegen.
Alles schien sich zu drehen, während Bluebeard verkündete: »Das ist sie. Meine zukünftige Braut.«
Mit diesen Worten zerbrach Rosalies Welt in tausend Stücke. Alles was sie noch wahrnahm, war der entsetzte Ausdruck auf Amandas Gesicht. Rosalie hatte das Gefühl, ihr bliebe das Herz stehen.
»Sagt mir Euren Namen«, forderte Bluebeard.
Sie brauchte einen Moment, bis er ihr wieder einfiel. »Rosalie«, stammelte sie, »mein Name ist Rosalie.«
»Rosalie, Ihr habt die Ehre, meine neunte Ehefrau zu werden. Ich lasse Euch eine Kutsche da, mit der Ihr Euch in zwei Tagen alleine auf den Weg zu mir machen werdet. Ich erwarte Euch in vier Wochen auf meinem Anwesen.«
Rosalie wollte schreien, weglaufen … irgendetwas tun. Stattdessen stand sie stocksteif da, während Bluebeard ihre Hand zu seinem Mund führte und ihren Handrücken küsste. Sein rauer Bart kratzte unangenehm auf ihrer Haut. Rosalie ekelte sich vor der Berührung seiner Lippen. Bluebeards ganze Erscheinung stieß sie ab. Das Blau seines Bartes und seiner Haare, die kalten schwarzen Augen, der unnachgiebige Ton in seiner Stimme.
Um sie herum klatschte die Menge Beifall. Die Menschen riefen Worte des Jubels und der Begeisterung aus. Die Erleichterung der anderen Mädchen, dem Schicksal, Bluebeards Braut zu werden, entkommen zu sein, war geradezu greifbar. Rosalie wünschte, sie wäre eine von ihnen. Doch die Wahl war auf sie gefallen. Rosalie bemühte sich, ihm ihre Bestürzung nicht zu zeigen.
Als ihr Blick zu Amanda fiel, sah diese sie traurig an, während sie ebenfalls klatschte. Doch es war ein gedämpftes, zurückhaltendes Klatschen.
Bluebeard gab seinen Männern ein Zeichen. Gemeinsam bestiegen sie ihre Pferde und ritten davon. Verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Langsam senkte sich die Staubwolke wieder, die die Pferde aufgewirbelt hatten, und alles war wie immer. Als wäre nichts geschehen.
Rosalie wischte sich den Handrücken an dem Stoff ihres Kleides ab und wünschte, es wäre tatsächlich so. Für einen Moment versuchte sie sich vorzumachen, dies wäre nur ein schlechter Traum und ihr Leben würde weitergehen wie bisher. Es gelang ihr drei Atemzüge lang, die Fassade aufrechtzuerhalten. Dann warf Amanda sich in ihre Arme und beide weinten bittere Tränen.
•
»Wieso ich?« Diese Frage stellte sich Rosalie nun schon seit Stunden.
Amanda griff nach ihrer Hand und drückte sie. »Ich weiß es nicht.«
»Er sucht sich immer die schönsten Mädchen aus, nicht wahr?«
»Das zumindest behaupten die Leute.« Rosalies Mutter strich ihr tröstend übers Haar.
»Es ist ein Gerücht von vielen«, sagte Amanda.
»Gütiger Gott, ich werde nie wieder zurückkehren. Ich werde Vater und Ric nicht mehr sehen, bevor ich abreise und euch werde ich nach übermorgen auch nie wiedersehen.« Rosalies Brust verengte sich. Sie kämpfte mit den Tränen.
»Das weißt du nicht, Liebes.« Ihre Mutter zog sie eng an sich und Rosalie ließ sich von ihr trösten, wie sie es schon als Kind getan hatte.
Rosalies Herz war so unglaublich schwer, als bestünde es aus Blei.
»Es sind alles nur Gerüchte. Und Bluebeard ist von königlichem Blute. Dir wird es an nichts fehlen. Du wirst die schönsten Kleider bekommen, das beste Essen wird dir serviert werden und du wirst Diener haben. Du solltest dich freuen, Rosalie, es ist eine große Ehre, auserwählt zu werden. Du wirst ein komfortables Leben haben.«
»Du meinst, ein paar komfortable Monate, bevor er mich durch die nächste Ehefrau ersetzt«, entgegnete sie bitter. Ihre Brust war so eng, dass sie kaum mehr atmen konnte.
»Dann kommst du zu seinen anderen Frauen und kannst dort ein glückliches Leben führen«, meinte Amanda.
»Glaubst du wirklich, dass es dieses Anwesen gibt?« Rosalie zweifelte sehr stark daran. Nachdem sie einmal in die erschreckend kalten Augen von Bluebeard geblickt hatte, konnte sie sich nicht vorstellen, dass ihm etwas daran gelegen war, seinen Frauen ein angenehmes Leben zu bereiten. Nein, an Bluebeard war wahrhaftig nichts Schönes. Weder im Inneren noch im Äußeren.
»Nun ja«, setzte Amanda an, sprach dann jedoch nicht weiter.
»Hat überhaupt irgendwer eine seiner Ehefrauen jemals wieder gesehen?« Panik keimte in Rosalie auf, die sie zu bekämpfen versuchte, doch es mochte ihr nicht gelingen. Die Angst vor ihrer Zukunft mit dem Mann, der nach der Farbe seines Bartes benannt worden war, schnürte ihr die Kehle zu.
»Nein.« Amanda wich Rosalies Blick aus.
»Das muss nichts heißen, Liebes. Vielleicht dürfen sie ihre Familien besuchen und müssen es nur geheim halten.«
Rosalie löste sich aus der Umarmung ihrer Mutter.
»Und welchen Sinn sollte das haben?«
Niemand antwortete ihr. Amanda blickte ratlos auf ihre Hände.
»Ich wünschte, Vater und Ric wären hier.« Rosalie warf einen sehnsuchtsvollen Blick gen Tür, als erwarte sie, diese würde jeden Moment geöffnet werden und ihr Vater und Bruder träten ein.
»Ich weiß. Es bricht mir das Herz, aber wir müssen dich gehen lassen. Es ist die Anordnung von König Edmund. Wir können uns dem König nicht widersetzen.«
Rosalie versuchte den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken. Sie konnten nichts tun. Niemand konnte ihr helfen. Sie waren völlig machtlos.
»Lass uns lieber die guten Seiten betrachten«, schlug Amanda vor. »Du wirst die Hochzeit haben, von der wir alle träumen. Bluebeard wird es sich etwas kosten lassen. Er wird dir das schönste Kleid beschaffen, das leckerste Essen und für gute Unterhaltung sorgen. Und außerdem sieht er gar nicht so schlecht aus. Ich dachte immer, er hätte einen dicken Bauch und wäre viel älter, aber hast du sein Gesicht gesehen? Er sieht wirklich stattlich aus. Dabei muss er näher an den vierzig als an der dreißig sein, aber ich konnte kaum eine Falte erkennen und …«
»Amanda«, unterbrach Rosalie ihren Redeschwall.
»Das tröstet dich alles nicht«, vollendete Amanda ihren Satz zerknirscht.
»Seine Augen sind so schwarz. Ich fürchte mich vor seinen Augen«, flüsterte Rosalie.
»Viele Menschen haben dunkle Augen, das ist kein Grund, sie zu fürchten, Liebes.«
»Nein, natürlich nicht.« Rosalie wusste selbst, dass das einfältig war, aber sie konnte sich einfach nicht erklären, weshalb sie eine solche Angst vor Bluebeard hatte. Sie wusste nur, dass die Stimme tief in ihrem Innern sie anschrie zu fliehen. Aber wie konnte sie das tun, wie konnte sie vor dem Bruder des Königs fliehen und damit ihre Familie dem Zorn des Königs und Bluebeards aussetzen? Rosalie schüttelte den Kopf, wie um diesen möglichen Ausweg aus ihrem Kopf zu verscheuchen. Weglaufen war keine Option.
»Ich wünschte, du könntest mich begleiten, Mutter. Du solltest am Hochzeitstag deiner Tochter dabei sein.«
Der Blick ihrer Mutter war traurig. »Ich habe immer von dem Tag deiner Hochzeit geträumt. Ich bedaure es zutiefst, ihn nicht miterleben zu können.«
»Ich verstehe nicht, weshalb er dir eine Kutsche dalässt, aber verlangt, dass du allein zu ihm reist. Du wirst gute vier Wochen unterwegs sein. Kann Bluebeard sich nicht denken, dass du gerne etwas Gesellschaft hättest?« Amanda fuchtelte aufgebracht mit den Händen.
»Doch, aber es ist ihm gleichgültig«, erklärte Rosalie schlicht. »Es ist ihm gleichgültig, wie ich mich fühle und es ist ihm gleichgültig, was ich mir wünsche.«
»Nein, das glaube ich nicht.« Amanda schüttelte den Kopf. »Da steckt mehr dahinter. Vielleicht will er nicht, dass Fremde sein Anwesen betreten? Habt ihr schon von jemandem gehört, der es gesehen hat?«
»Ich kenne niemanden«, sagte Rosalies Mutter langsam.
»Du hast Recht«, stieß Rosalie hervor. »Niemand hat es je von innen gesehen. Niemand weiß, was sich hinter den Mauern seiner Festung verbirgt.«
»Wir dürfen nicht vergessen, dass es alles nur Gerüchte sind. Nichts, was wir mit Sicherheit wissen«, sagte ihre Mutter.
»Ich will ihn nicht heiraten. Ich will nicht von hier fort.«
»Ich will auch nicht, dass du gehst.« In Amandas Blick spiegelte sich ihre eigene Verzweiflung.
»Rosalie, du wirst ein besseres Leben haben, als wir es uns alle je zu träumen gewagt haben. Du wirst es guthaben. Davon bin ich überzeugt.«
Der unerschütterliche Glaube ihrer Mutter tröstete Rosalie ein wenig. Vielleicht würde alles nicht so schlimm werden, wie sie es sich gerade ausmalte. Vielleicht musste sie Bluebeard nur besser kennenlernen, um seine liebenswerten Seiten zu entdecken.
Rosalie beschloss, stark zu sein und ihr Schicksal anzunehmen, denn etwas anderes blieb ihr ohnehin nicht übrig.
•
Bevor Rosalie in die Kutsche stieg, warf sie sich ein letztes Mal in Amandas Arme.
Ihre Freundin streichelte ihr über den Rücken. »Pass gut auf dich auf, Rosie, und schreib mir, wann immer du kannst.«
»Das werde ich«, versprach Rosalie. »Du wirst ganz viele Briefe von mir bekommen.«
Als nächstes war ihre Mutter dran. Diese zog Rosalie fest an ihre Brust, dann gab sie ihr je einen Kuss auf die Stirn und auf beide Wangen. »Sei tapfer und vergiss nie, wie wundervoll du bist. Bluebeard kann sich glücklich schätzen, dich zur Ehefrau zu nehmen. Du musst dich nur in Geduld üben und euch Zeit geben, einander kennenzulernen. Aller Anfang ist schwer.«
Rosalie war sich nicht sicher, ob es tatsächlich so einfach war, aber sie wollte ihrer Mutter nicht widersprechen. »Richtest du Vater und Ric Grüße von mir aus, wenn sie wieder zurück sind?«
»Selbstverständlich.« Ihre Mutter drückte ihre Hand, dann ließ sie sie los, damit einer der Soldaten, die Rosalie auf dem langen Weg zu Bluebeards Festung begleiten und beschützen würden, ihr in die Kutsche helfen konnte.
Sobald die Tür hinter Rosalie geschlossen war, knallte die Peitsche des Kutschers und die Kutsche setzte sich ruckelnd in Bewegung.
Rosalie lehnte sich aus dem engen Fenster und winkte ihrer Mutter und Amanda zu, bis sie um eine Ecke bog und die beiden aus ihrem Sichtfeld verschwanden.
Sobald Rosalie sie nicht mehr sehen konnte, sank sie mit einem Seufzen auf das Polster der Bank zurück. Sie fühlte sich furchtbar einsam. Sie spielte mit der Spitze ihres Zopfes, damit ihre Finger eine Beschäftigung hatten, darum bemüht, nicht in Tränen auszubrechen. Wie lange würde sie es bei Bluebeard aushalten müssen, ehe er genug von ihr hatte und sich eine neue Ehefrau suchte? Sechs Monate? Elf? Oder achtzehn? Und was geschah danach? Könnte sie vielleicht doch zu ihrer Familie zurückkehren? Rosalie hoffte es und betete, Gott möge ihr gnädig sein und ihr erlauben, ihren Bruder und ihren Vater noch einmal in die Arme zu schließen.
Weshalb nur hatte Bluebeard ausgerechnet sie ausgewählt? Rosalie versuchte sich daran zu erinnern, was sie über seine acht Ehefrauen wusste, aber das war nicht besonders viel. Sie alle waren bei der Wahl zwischen sechzehn und neunzehn Jahren alt gewesen, allen wurde außergewöhnliche Schönheit zugesprochen, aber soweit Rosalie wusste, gab es sonst keine Gemeinsamkeiten. Weder in Haarfarbe, noch Körpergröße oder Herkunft.
Rosalie bereute es, sich vor der Begutachtung durch Bluebeard nicht die Wangen mit einem Messer aufgeritzt zu haben. Sie hatte darüber nachgedacht, es sich dann aber nicht getraut, ihr Gesicht zu entstellen. Das ungute Gefühl beschlich Rosalie, dass ein vernarbtes Gesicht das geringere Übel gewesen wäre.
Sei nicht albern, schalt sie sich selbst. Sie würde es guthaben, das Leben einer Prinzessin führen und war es nicht das, wovon sie als kleines Mädchen immer geträumt hatte? Sie hätte es bei der Wahl ihres Ehemannes deutlich schlechter treffen können. Nur weshalb mochte sie sich dann so gar nicht freuen?
Claire - Jetzt
Claire kämpfte wie jeden Tag damit alle spiegelnden Oberflächen zu vermeiden. In einen Spiegel hatte sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr geblickt. Sie alle waren mit schwarzen Tüchern verhangen, aber das bedeutete nicht, dass die Gefahr, sich selbst zu erblicken, damit gebannt war. Fensterscheiben oder Wasseroberflächen waren besonders gefährlich, aber auch auf den zerkratzten Messinglöffeln konnte Claire ihr Gesicht erkennen, wenn sie nicht aufpasste, und dann erschrak sie jedes Mal aufs Neue. Claire wusste nicht, was sie noch tun könnte, um wenigstens für sich selbst die Illusion ihres wahren Alters aufrechtzuerhalten. Es fiel ihr mit jedem Tag schwerer. Und heute war es nahezu unerträglich. Denn genau vor drei Jahren war es geschehen und noch immer brach sie deswegen in Tränen aus, noch immer weinte sie sich in den Schlaf. Selbst nach drei Jahren hatte sich Claire nicht an die Runzeln und Falten gewöhnt, die jetzt zu ihr gehörten.
Claire blickte auf den verhassten mattschwarzen Ring, dessen Zentrum ein großer geschliffener Amethyst bildete, der zu beiden Seiten von einem kleineren Amethyst flankiert wurde. Wie oft hatte sie schon versucht ihn abzunehmen, hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, sich den Mittelfinger abzuhacken. Doch da es sich um einen verzauberten Ring handelte, würde das nicht viel nützen. Wahrscheinlich wäre der Finger eher wieder dran, als sie das Blut aufgewischt hätte, oder noch wahrscheinlicher, er ließe sich gar nicht erst abtrennen.
Nein, die einzige Möglichkeit war, den Fluch zu brechen, den Zauber rückgängig zu machen und das ging nur auf einem Weg.
Claire wusste, dass sie ihre Jugend nur dann zurückbekäme, wenn sie ihre wahre Liebe fände. Zumindest hatte das so in dem Brief ihrer Mutter gestanden. Claire stand auf und holte das vom vielen Lesen zerknitterte Papier aus ihrer Schreibtischschublade. Dann setzte sie sich mit dem Brief auf ihr Bett und erinnerte sich zurück an ihren letzten Tag voller Jugend und Schönheit – an den Tag ihres sechzehnten Geburtstages.
•
Claire schlug mit einem strahlenden Lächeln die Augen auf. Sie begrüßte den Tag mit einem Jauchzer, denn heute wurde sie sechzehn. Claire liebte ihre Geburtstage. Dann wurde sie verwöhnt – noch etwas mehr als sonst – und durfte sich alles wünschen, was sie wollte. Claire jedoch hatte nur einen einzigen Wunsch: Ihre große Liebe zu heiraten. Und nun war sie endlich alt genug, um vermählt zu werden. Sie wusste nicht, wie oft sie sich als Kind ihre Hochzeit ausgemalt hatte, sie wusste nur, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte als einen Mann, der sie liebte und Kinder, die sie großziehen konnte.
Nachdem sie mit ihrer Zofe Melinda das schönste Kleid ausgewählt hatte, half diese ihr beim Anziehen. Anschließend frisierte die Zofe Claires blonde Haare zu einem kunstvollen Zopf, der sich um ihren Kopf wand. Nachdem sie zurechtgemacht war, begab sie sich zum Speisesaal, wo ihr Vater mit einer riesigen Geburtstagstorte auf sie wartete, die Jahr für Jahr höher und aufwändiger zu werden schien.
Als er Claire erblickte, erhob er sich, betrachtete stolz ihr hübsches Gesicht und gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. »Meine Claire, schon sechzehn Jahre alt und wie es scheint, wirst du mit jedem Jahr hübscher.«
»Danke, Papa.« Claire errötete leicht. »Gibt es die Torte zum Frühstück?«
»Selbstverständlich, mein Kind, wie jedes Jahr.«
»Nicht wie jedes Jahr«, murmelte Claire traurig.
Über das Gesicht ihres Vaters huschte ein Schatten. »Nein, nicht wie jedes Jahr. Auf das Geburtstagslied deiner Mutter werden wir diesmal verzichten müssen.«
Claires Herz zog sich bei der Erinnerung an ihre Mutter schmerzhaft zusammen. Sie hatte die schönste, glockenhellste Stimme auf der ganzen Welt besessen. Zumindest glaubte das Claire. Keiner konnte Lieder auf die Art singen, wie ihre Mutter es vermocht hatte. So, dass jeder andächtig stehen blieb und lauschte, um nur ja kein Wort zu verpassen.
Claires Mutter war vor zwei Monaten verstorben. An ihrem Sterbebett hatte sie ihrer Tochter ein kleines Päckchen mit einer Schleife für ihren Geburtstag überreicht. Sie hatte Claire das Versprechen abgenommen, das, was sie darin vorfinden würde, noch am selben Tag zu tragen und erst danach den Brief zu lesen. Claire hatte nicht verstanden, weshalb die Reihenfolge für ihre Mutter so wichtig war, aber sie gab ihr das Versprechen, weil sie ihre Mutter aufrichtig liebte. Es war das letzte Geschenk ihrer Mutter, für das diese eine sehr lange Zeit verreist war und kurz nachdem sie zurückgekommen war, erkrankte sie schwer und starb.
Als Claire später an diesem Tag ein paar Minuten Zeit fand, in denen niemand etwas von ihr wollte, stahl sie sich in ihre Gemächer und holte das Päckchen aus einer kunstvollen Truhe hervor. Sie schloss für einen Moment die Augen und stellte sich vor, wie die Hände ihrer Mutter die silberne Schleife um das Papier gebunden hatten. Ihr Magen verkrampfte sich. Sie vermisste ihre Mutter schrecklich.
Langsam löste Claire die Schleife. Ihre Finger entfalteten geschickt das Papier und zum Vorschein kam ein Brief. Als Claire diesen entfaltete, plumpste ihr etwas Kleines in den Schoß. Sie nahm es auf und betrachtete es. Es war ein schwarzer Ring mit drei lilafarbenen Edelsteinen. Amethysten, wie sie vermutete.
Claire runzelte die Stirn über dieses merkwürdige Geschenk. Der Ring entsprach ganz und gar nicht ihrem Geschmack und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass er ihrer Mutter gefallen hatte. Schließlich war er schwarz. Nicht golden oder silbern, sondern mattschwarz, als wäre er verbrannt. Was sich ihre Mutter dabei nur gedacht hatte?
Ratlos entfaltete Claire den Brief, in der Hoffnung, darin eine Antwort zu dem rätselhaften Geschenk zu finden, hielt jedoch inne, als sie sich an ihr Versprechen erinnerte. Sie nahm den Ring wieder auf und drehte ihn unschlüssig hin und her. Ihrer Mutter war es sehr wichtig gewesen, dass sie diesen zuerst ansteckte, ehe sie ihren Brief las und da Claire niemals ein Versprechen brach, beschloss sie, den Ring zu tragen, auch wenn er ihr nicht sonderlich gefiel. Immerhin war er das letzte Geschenk von ihrer Mutter und schon allein deswegen würde sie ihn in Ehren halten.
Nervös strich Claire sich eine goldene Haarsträhne hinters Ohr und fragte sich, weshalb sie auf einmal eine innere Unruhe verspürte. Doch schließlich siegte ihre Neugier darüber, was ihre Mutter in dem Brief geschrieben hatte.
Kurzentschlossen steckte sie sich den Ring an den Mittelfinger. Das Metall wurde merkwürdig warm, beinahe als finge es an zu glühen. Claire schüttelte über sich selbst den Kopf. Bestimmt bildete sie sich das nur ein. Sie nahm den Brief wieder auf. Während sie las, versuchte sie das merkwürdige Prickeln zu ignorieren, das ihren gesamten Körper überzog.
Liebste Claire,
mein hübsches Kind, nun bist du sechzehn Jahre alt und ich sollte langsam anfangen, dich nicht mehr als Kind zu bezeichnen.
Du bist eine erwachsene Frau und du wirst deinen Weg gehen, auch wenn ich dich nicht mehr begleiten kann.
Mein liebes Kind, ich liebe dich über alles und möchte immer nur dein Bestes, auch wenn es für dich im Moment vielleicht nicht so aussehen mag.
Ich weiß, du wirst mich hassen für das, was ich dir angetan habe und es ist dein gutes Recht, dies zu tun.
Ich wünschte, es hätte einen anderen Weg gegeben, aber dieser hier ist der Einzige, der dich beschützen wird.
Claire runzelte die Stirn. Der Brief ihrer Mutter ergab überhaupt keinen Sinn.
Sie musste kurz vor ihrem Tod schon sehr verwirrt gewesen sein, anders konnte Claire sich ihre Worte nicht erklären.
Dies ist deine einzige Chance auf echtes Glück und die wahre Liebe,
und nichts wünsche ich mir mehr auf dieser Welt, als dass du glücklich bist und geliebt wirst.
Es mag dir vorkommen wie Diebstahl und in gewisser Weise ist es das auch.
Ich habe dir deine Jugend und deine Schönheit geraubt, aber bitte glaube mir, es musste sein.
Um beides wiederzuerlangen, halte dich an den Reim.
Er ist ein mächtiger Zauber und er kann nur auf diesem Weg gebrochen werden.
Der Ring verhüllt deine Jugend und Pracht;
Nichts kann ihn lösen, drum gib jetzt Acht:
Erkennst du des Zaubers wahre Macht,
fällt er von dir ab wie der Morgen von der Nacht.
Ich hoffe, du kannst mir eines Tages vergeben, mein geliebtes Kind. Alles, was ich tat, diente stets nur deinem Besten.
In ewiger Liebe,
Deine Mutter
Als Claire den Brief zu Ende gelesen hatte, juckte ihr gesamter Körper so unerträglich, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Sie legte den Brief zur Seite, hob ihre Hand, um sich am Kopf zu kratzen und erstarrte. Das da war nicht ihre Hand. Die Haut ihrer Hand war glatt und straff, aber das da vor ihren Augen war schlaff und hatte Falten. Sie wackelte testweise mit den Fingern und die alten Finger wackelten mit.
Was in Gottes Namen ging hier vor sich? Sie schob den Ärmel ihres Kleides höher und auch hier hing die Haut locker an ihrem Arm herab, wackelte leicht, wenn sie den Arm bewegte. Claires Herz setzte einen Schlag aus, dann stand sie auf und stürzte zu dem großen Wandspiegel in ihrem Ankleidezimmer. Die Züge des Gesichts, das ihr entgegen starrte, waren ihr vertraut, es war, als werfe Claire einen Blick in ihre Zukunft. In eine sechzig Jahre entfernte Zukunft. Die mit Krähenfüßen versehenen Augen der alten Frau mit den schneeweißen Haaren waren vor Schreck weit aufgerissen, der Mund formte ein bestürztes O. Claire legte sich eine Hand auf die Brust und die runzelige Frau im Spiegel tat es ihr gleich.
Während ihr Verstand zu begreifen versuchte, was das alles zu bedeuten hatte, erkannte ihr Herz die Wahrheit. Es raste vor Panik und ihr Magen fühlte sich flau an. Claire befürchtete, die Torte würde ihr jeden Moment wieder hochkommen.
Sie warf sich auf ihr Bett, um nicht länger in den Spiegel sehen zu müssen, drückte ihr Gesicht in ein Kissen und zwang sich, ruhig zu atmen. Sie schloss die Augen. Kurze Zeit später fühlte sie sich wie immer. Das Prickeln ihrer Haut hatte aufgehört und Claire glaubte, sich das alles nur eingebildet zu haben. Sie hob langsam eine Hand und berührte ihre Wange. Doch sie fühlte nicht die zarte, glatte Haut einer Sechzehnjährigen, sondern unebenes, schlaffes Gewebe. Sie griff nach ihren Haaren und zog sich eine Strähne aus der Frisur vor die Augen. Weiß. Ihre Haare waren weiterhin weiß.
Mit der anderen Hand tastete Claire blind um sich, bis ihre Finger Papier fühlten. Sie griff nach dem Brief und las ihn ein zweites Mal und dann ein drittes. Claire begriff, dass ihr verändertes Aussehen mit dem Ring an ihrer Hand zu tun hatte. Sie versuchte ihn sich vom Finger zu ziehen, doch er saß fest. Ließ sich nicht einen Millimeter verrücken, als wäre er passgenau um ihren Finger herum geschmiedet worden. Aber das konnte nicht sein. Noch beim Anstecken war er viel zu groß gewesen. Claire rüttelte und zog weiter an dem Ring, bis ihr Finger rot war und schmerzhaft pochte.
Sie rief ihrer Zofe zu, diese möge ihr Öl bringen und es vor ihrer Tür abstellen. Claire schämte sich für diese alte Hülle, die nicht sie war. Sie musste sie loswerden und zwar so schnell wie möglich.
Doch auch das Olivenöl half nicht, den Ring zu lockern. Inzwischen blutete ihre Haut rund um den Ring, so sehr zog und kratzte sie daran, aber es war nichts zu machen, der Ring saß fest als wäre er mit ihrem Finger verwachsen, und Claire sah allmählich ein, dass der Zauber mächtiger war als sie selbst.
Sie las noch einmal den Brief ihrer Mutter und blieb an dem Reim hängen:
Der Ring verhüllt deine Jugend und Pracht;
Nichts kann ihn lösen, drum gib jetzt Acht:
Erkennst du des Zaubers wahre Macht,
fällt er von dir ab wie der Morgen von der Nacht.
Ihre Mutter hatte geschrieben, dass der Ring ihre einzige Chance auf echtes Glück und die wahre Liebe sei, demnach war dies die Macht des Zaubers, folgerte Claire. Sie musste jemanden finden, der sie trotz ihres hässlichen Äußeren lieben würde, dann würde der Zauber von ihr abfallen und sie wieder jung und hübsch werden.
Claire brach in bittere Tränen aus. Weshalb hatte ihre Mutter ihr dies angetan? Hatte sie nicht geschrieben, sie würde Claire lieben? Was war das für eine merkwürdige Art, das zu zeigen, indem sie ihr eigenes Kind seiner Jugend beraubte; es dazu verdammte auszusehen wie eine Greisin?
Niemals würde sie jemanden finden, der sie mit diesem Aussehen lieben würde. Claire konnte sich nicht einmal mehr selbst lieben. Sie ekelte sich vor ihren eigenen Runzeln und Falten, wie konnte sie da erwarten, dass jemand diese liebenswert fände? Jemand, der keine siebzig Jahre alt war?
Ihre Zofe betrat das Zimmer und Claire kroch hektisch unter ihre Bettdecke. Melinda durfte sie in diesem Zustand nicht sehen. Niemand durfte das!
»Verschwinde!«, rief Claire panisch. Hatte Melinda noch einen Blick auf ihre weißen Haare erhaschen können?
»Aber Prin…«
»Du sollst verschwinden!« Claires Stimme klang selbst in ihren Ohren schrill.
»Ihr Vater wünscht Euch zu sehen. Es ist immerhin Euer Geburtstag.«
»Denkst du etwa, ich weiß das nicht? Sag ihm, ich fühle mich nicht wohl. Sag ihm, ich möchte mich ausruhen und heute nicht mehr gestört werden. Von niemandem. Auch nicht von dir, Melinda.«
»Sehr wohl. Wie Ihr wünscht, Prinzessin.«
•
Irgendwann hatte Claire eingesehen, dass sie sich nicht ewig verstecken konnte. Und als ihr besorgter Vater das fünfte Mal vor ihrer Zimmertür stand, wies sie ihn nicht mehr ab.
Claire hatte sich die Bettdecke über den Kopf gezogen, spürte aber, wie sich ihr Vater neben sie auf das Bett setzte.
»Claire, mein liebes Mädchen, was hast du denn?« Er strich unbeholfen über die Bettdecke an der Stelle, an der er ihren Kopf vermutete.
»Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, ohne dass du vor Schreck tot umfällst.«
Ihr Vater lachte tief und rau. »Nichts, was du tust, könnte mich jemals so sehr erschrecken.«
Claire bezweifelte dies zutiefst, aber ihr blieb ohnehin keine andere Wahl. Sie holte tief Luft und schlug die Bettdecke zurück. Sie hörte, wie ihrem Vater der Atem stockte, dann drehte sie ihm langsam ihr Gesicht zu.
Er sprang vom Bett auf, sein Kopf rot vor Zorn. »Wer seid Ihr und was habt Ihr im Bett meiner Tochter zu suchen? Ich werde Euch in den Kerker werfen lassen. Ich werde …«
»Papa«, unterbrach Claire ihn und rang verzweifelt die Hände. »Ich bin es. Erkennst du deine eigene Tochter nicht?«
