Kopfsache Fußball. Wie das Spiel mental entschieden wird - Christian Spreckels - E-Book

Kopfsache Fußball. Wie das Spiel mental entschieden wird E-Book

Christian Spreckels

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Beschreibung

Jeder weiß: beim Fußball geht es um technische, taktische und athletische Fähigkeiten. Aber das ist nicht alles - das eigene Potential abrufen und die richtigen Entscheidungen treffen, das ist die große Kunst des erfolgreichen Spiels. Vielleicht haben Sie sich auch schon einmal sagen hören: "Eigentlich kann ich das viel besser." Das ist bei Fußballprofis nicht anders. Im Training läuft es super, aber wenn es darauf ankommt, klappt plötzlich nichts mehr. Der Grund dafür liegt fast immer "zwischen den Ohren". Der angesehene Sportpsychologe Christian Spreckels erklärt sehr anschaulich und anhand vieler Beispiele aus der Praxis, wie eng sportliche Leistung mit der emotionalen Verfassung zusammenhängt. Er zeigt auf, wie wichtig psychologische Aspekte im Profi-Fußball sind und warum heute kein Spitzenteam mehr ohne Mentalcoach arbeitet. Ein Buch für alle, die den Profifußball besser verstehen wollen.

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Seitenzahl: 272

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Für Johanna

Inhalt

Einleitung

1Warm up

2Herausfordernde Ziele: Project Possible

3Ergebnisziele versus Inhaltsziele: „Pflichtsieg“ versus „Vollgasfußball“

4Motivation: „Because it’s there“

5Einstellung oder Mindset: „Für mich war Fußball immer eine Religion, kein Sport“ (José Mourinho)

6Das Spiel der Emotionen

7Druck: „Ich war erleichtert, als wir gegen Italien ausgeschieden sind“ (Per Mertesacker)

8Umgang mit Druck: „Druck ist etwas Positives“

9Die Macht der Gedanken: „Ich vertraue auf mein Können“ (Cristiano Ronaldo)

10Sich selbst kennen und verstehen: „Ich bin ein Dreamteam“

11Umgang mit Fehlern oder: Die Perfektionismusfalle

12Umgang mit gelungenen Aktionen: „Das war gut“

13Fokus: Hier und jetzt – das Draußen bleibt draußen.

14Vertrauen und Zuversicht: „Wir glauben an uns“

15Mental Reset oder: Comeback-Qualitäten

16Die Angst vorm Gewinnen

17Mimik und Körpersprache: „Smile like a champion and walk like a champion“

18Loslassen: Das Flow-Erleben

19Die Kunst des kreativen Spiels: Diego Maradona, Lionel Messi, Roger Federer und Zlatan Ibrahimović

20Teamspirit: „Sieht aus, als streiten wir uns, wer den Fehler des anderen ausbügeln darf“

21Game on: Neunzig Minuten plus Nachspielzeit

22Sich und sein Spiel wertschätzen: „Ich war gut!“

23Demut und Bescheidenheit: „Ich kann ganz gut Bälle ins Netz werfen“

24Der Umgang mit Niederlagen: Die Basis für Erfolg

25Die Macht der inneren Bilder: Moments of Excellence

26Das „Vorher“ und das „Nachher“: Entwicklungsmöglichkeiten

27Verletzungsfrei durch die Saison – Kopfsache?

Cool down: Fazit

Bibliografie

Dank

Einleitung

Stellen Sie sich vor, Sie haben den Champions-League-Sieg auf dem Fuß, so wie Arjen Robben 2012 im „Finale dahoam“ zwischen dem FC Bayern und dem FC Chelsea. Seit im Januar 2009 München als Endspielort festgelegt worden war, war die Sehnsucht der Bayern-Fans auf einen Sieg im eigenen Stadion riesig, zumal die Bayern das Finale 2010 gegen Inter Mailand verloren hatten (0:2) – schon damals war Robben dabei –, es also etwas gutzumachen galt. Der Champions-League-Sieg musste jetzt einfach her!

Es war ein seltsames Spiel bis hierhin. Bayern war die bessere Mannschaft und hatte nach dem 1:0 von Thomas Müller in der 83. Minute schon eine Hand am Henkelpott. Doch ein Kopfballtor Didier Drogbas in der 88. Minute brachte die Blues in die Verlängerung. In der 95. Spielminute nun liegt der Ball auf dem Elfmeterpunkt, die Chance ist da, Fußballgeschichte zu schreiben. Franck Ribéry wird lange behandelt (um in der 97. Minute verletzt ausgewechselt werden), die Ausführung des Elfmeters verzögert sich also immer weiter und weiter. Viel Zeit zum Nachdenken.

Der Elfer ist berechtigt. Ausgerechnet Drogba erwischt Ribéry im eigenen Sechzehner am Fuß. Jetzt, in der Behandlungspause vor dem Elfmeter, geht der Ex-Kollege aus gemeinsamen Chelsea-Zeiten zu Robben: „Arjen, du bist doch ein Chelsea-Spieler, das kannst du nicht machen! Mach es nicht!“, ruft er ihm zu. So schreibt Drogba es später in seiner Autobiografie Commitment. „Außerdem wissen wir sowieso, wohin du schießen wirst.“ Und John Obi Mikel erzählt später: „Ich bin direkt zu Arjen Robben gelaufen und habe gesagt: ‚Ich sag’s dir, du wirst verschießen. Du wirst definitiv verschießen.“‘

Robbens letzter, folgenschwerer Fehlschuss ist erst gut einen Monat her. Im Ligaspiel beim BVB unter Trainer Jürgen Klopp hatten die Bayern in der 86. Minute die Chance zum 1:1, das die Meisterschaft weiter offengehalten hätte. Robben schießt flach mit links nach rechts. BVB-Torwart Weidenfeller ist da – und der Titel gehört Dortmund.

Und jetzt? Bastian Schweinsteiger ist bei Torwart Manuel Neuer und guckt schon gar nicht mehr hin, als der Ball freigegeben wird, Robben noch mal durchpustet und anläuft. 

„Es war ein fürchterlicher Elfer“, sagt der am Tag danach. „Ich wollte hart und hoch schießen, aber der Ball ging nicht hoch genug.“ Genau, hart war er, aber zu unplatziert. Und wieder nach rechts, wie in Dortmund.

Chelsea-Keeper Čech bleibt Sieger, das Spiel geht weiter – und im Elfmeterschießen dann schließlich verloren. Dort tritt Robben nicht mehr an. Stattdessen verschießen Olić und Schweinsteiger. Und wieder ist es Drogba, der den letzten Elfer für Chelsea versenkt. Aus und vorbei. „Ich kann mit Worten nicht beschreiben, wie ich mich fühle, aber es war eine furchtbare Nacht“, gibt ein völlig konsternierter Robben zu Protokoll. „Am liebsten würde ich jetzt eine Woche auf einer unbewohnten Insel verbringen.“

Es sind solche Szenen, die zeigen, was passieren kann, wenn Emotionen, in diesem Fall negative, über einen kommen und ihren Teil dazu beitragen, dass Sportler Stress empfinden und entsprechend reagieren. Verständlich, wenn man sich den Erwartungsdruck von Zehntausenden im Stadion und Millionen Zuschauern an den Bildschirmen vergegenwärtigt. Die meisten von Ihnen dürften heilfroh sein, nicht in so einer Situation zu stecken. Da kommen leicht Zweifel auf, ob man das, was im Training so mühelos klappt, nämlich „das Ding einfach in die Maschen zu knallen“, auch wirklich abrufen und umsetzen kann. Der Weg mit dem Ball in der Hand zum Elfmeterpunkt wirkt schier endlos, die Zeit scheint stehen zu bleiben, die Beine fühlen sich bleischwer an, der Torwart wirkt riesengroß und das Tor verdammt klein. (In der Doku Neymar beschreibt Neymar seine Gedanken im Moment vor dem entscheidenden Elfmeter im Finale der Olympischen Spiele 2016, ein bedeutendes Spiel für Brasilien nach der 1:7-Niederlage gegen Deutschland 2014: „Mein Herz raste … Mann, der ist ja riesig!“)

Solche stressbedingten Gedanken und Gefühle sind, und das ist die gute Nachricht, also ganz normal, sie begleiten die größten Könner. Vielleicht hoffen Sie in vergleichbaren Situationen, dass dieses Gefühl verschwindet, Sie die Situation irgendwie meistern, aber im Grunde haben Sie Angst, sie nicht zu meistern, zu versagen, als Versager dazustehen und Ihrem Team zu schaden. Diese Angst hatte Neymar vielleicht auch, aber er schaffte es offensichtlich dagegenzusteuern. Das Tor wurde in seiner Vorstellung letztlich „riesengroß, und der Torwart wirkte ganz klein“, wie er erzählt. Er sei „ganz ruhig“ geworden und seiner Sache sicher gewesen: „Den mache ich rein.“ Und genau das tat er: überzeugend, hart und platziert, oben rechts. Brasilien wurde Olympiasieger.

Auch Drogba beruhigte sich vor seinem Elfmeter selbst: „‚Calm, calm‘, I told myself“, rief er sich innerlich zu, „quiet, quiet.“ Und dann erzählt er, ähnlich wie Neymar: „As I walked up to place the ball, I glanced up the goal. It suddenly seemed huge.“ Auch Drogba schaffte es, den Fokus auf das Wesentliche, das Einfache zu lenken: „Choose a side, then shoot strong.“

Vielleicht versuchen Sie wie Drogba, Griezmann, Neymar (der auch im WM-Finale 2018 einen Elfmeter sicher verwandelte), ruhig zu bleiben, tief einzuatmen. Sie legen den Ball auf den Punkt, treten ein paar Schritte zurück, laufen an, schießen und – der Torwart hält. Möglicherweise aus Angst zu versagen war Ihr Schuss nur halbherzig und zu unplatziert. Der Torwart ist der Held des Abends und wird gefeiert. Sie haben zumindest nicht danebengeschossen und werden damit getröstet, dass er Ihren Elfmeter gut pariert hat. Aber Sie wissen ganz genau, Sie können Elfmeter eigentlich viel besser schießen …

Und genau damit geht es los, mit dem Wort „eigentlich“. Eigentlich schlagen Tennisspieler gut und sicher auf, putten Golfspieler bis zu einer bestimmten Entfernung sicher ein, haben Basketballspieler eine sehr gute Freiwurfquote. Aber in Situationen wie der geschilderten wird es schwer oder fast unmöglich, das „eigentlich“ Gekonnte abzurufen.

Ich möchte in diesem Buch, theoriegeleitet und anhand vieler Beispiele aus der Sportwelt, die psychophysischen Zusammenhänge in solchen Momenten zeigen und wie wir ihnen begegnen können, sodass sie uns gar nicht oder zumindest deutlich schwächer beeinflussen. Ich versuche Antworten auf die Frage zu finden, wie Sportler es schaffen, sensationell gute Leistungen zu zeigen, auch solche, die keiner für möglich gehalten hat.

1 Warm up

Gut Fußball zu spielen, hat durchaus sehr viel mit technischem Können und taktischer Versiertheit zu tun, auch wenn Felix Magath diesbezüglich eine andere Sichtweise hatte („Taktik ist etwas für schlechte Spieler“, ist eine legendäre Aussage von ihm; Lukas Podolskis Formulierung „Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel“ sei in diesem Zusammenhang ebenfalls zitiert). Spielerisches und taktisches Können sind eng miteinander verwoben, das eine geht nicht ohne das andere. So erklärte José Mourinho in der Doku Playbook, man müsse „die Figuren beim Schach manchmal neu ausrichten, um die beste Lösung für das Team zu finden“. Bei Real Madrid brachte er Cristiano Ronaldo von der Außenstürmerposition ins Zentrum. Mag es für den Spieler zunächst auch ungewohnt gewesen sein, schon beim ersten Mal auf der 9er-Position, im Ligapokal-Finale 2011 gegen Barcelona erzielte er in der Nachspielzeit durch einen sehenswerten Kopfball den Siegtreffer zum 1:0. Paulo César Lima wiederum, Pelés damaliger Mitspieler beim 1:0 der Seleção gegen England bei der WM 1970, sagte in der Doku Pelé, es sei taktisch „ein wunderschönes Spiel“ gewesen, „wie eine Partie Schach“.

Die taktische Idee „auf den Rasen zu bringen“, ist eine Fähigkeit, über die nicht alle Spieler gleichermaßen und verlässlich verfügen. Mal spielen sie gut, mal nicht so gut und manchmal sehr schlecht. Nach den ersten misslungenen Aktionen könnte man sie im Grunde direkt wieder auswechseln, da sie sich danach nichts mehr wirklich zutrauen und die guten Gelegenheiten gar nicht mehr wahrnehmen, sondern lediglich bemüht sind, weitere Fehler zu vermeiden.

Aber dann gibt es eben auch diejenigen, die in der Lage sind, etwa nach vergebenen Torchancen immer weitere zu kreieren, um dann irgendwann, fast zwangsläufig, auch zu treffen. In der Saison 2016/17 haderte Pierre-Emerick Aubameyang im Trikot des BVB beim Spiel gegen den HSV im Volksparkstadion nicht, wenn er Torchancen vergab, sondern im Gegenteil, er schenkte ihnen ein Lächeln – aus meiner Sicht damals kein gutes Zeichen für den HSV. Er belächelte die vergebenen Chancen einfach so lange, bis es dann doch „klingelte“, und zwar zweimal. Zugegebenermaßen ist es für Stürmer leichter, ihre Fehler – ihre verpassten Chancen – werden zwar stärker wahrgenommen und ziehen emotionale Ausbrüche auf den Trainerbänken und Rängen nach sich, aber sie wiegen nicht so schwer wie Fehler von Verteidigern oder Torhütern. Oliver Kahn nannte in einem Interview die Fähigkeit, mit Fehlern umzugehen und diese „wegzustecken“, die „Kunst des Torhütens“ und unterstrich diese Sichtweise bei einem Besuch in der neunten Klasse einer Münchener Schule: „Wenn du verlierst, siehst du eigentlich, wer du bist. Dann siehst du: Wie verhalte ich mich? Kann ich das ertragen? Kann ich den Frust ertragen, auch mal eine Niederlage einzustecken? Und das ist ganz entscheidend im Leben. Gewinnen ist leicht. Verlieren ist die richtige Kunst.“

Die Kunst besteht also nicht nur darin, sehr gut Fußball spielen (wozu neben technischen Fähigkeiten das schnelle Treffen von Entscheidungen gehört), sondern auch darin, sich emotional regulieren zu können. Dazu darf die Nachbetrachtung nach dem Spiel nicht zu kritisch und selbstzerstörerisch sein. Dies würde die schnelle Entscheidungsfindung im Spiel blockieren, aus Angst, den Ansprüchen (eigenen wie fremden) nicht gerecht zu werden. Mich verwundert es nicht, dass Spieler in persönlichen Gesprächen immer wieder beklagen, dass sie im Training mit Leichtigkeit hinbekommen, was sie im Ligaspiel nicht abrufen können, und sie der Gedanke Eigentlich kann ich es viel besser ratlos macht. Viele Spieler beklagen, dass sie im Training besser sind als am Spieltag, dass ihre Leistungen Schwankungen unterliegen. Das hört sich an, als würde hier der Zufall regieren. Tut er auch. Sein Potenzial abrufen zu können, und zwar regelmäßig und verlässlich, ist ebenfalls eine große Kunst, die über den Aspekt, den Olli Kahn genannt hat, sogar noch hinausgeht. In diesem Sinne sagt José Mourinho in der bereits zitierten Doku Playbook: „Fußball ist eine Kunst“, um dieses Statement im Hinblick darauf zu ergänzen, was zum Fußball außerdem gehört und diesen ausmacht, über das Abrufen-Können von fußballerischen Inhalten hinaus: „Aber Fußball hat auch Herz.“

Das Beherrschen dieser Kunst ist sehr komplex, und es gibt leider – oder auch zum Glück – kein Patentrezept dafür. Denn jeder Mensch ist einzigartig und individuell und somit auch individuell zu verstehen und zu behandeln: „Ich meine wohlgemerkt nicht: Seid wie ich. Versucht wie Zlatan zu werden! Ganz und gar nicht! Ich rede davon, dass man seinen eigenen Weg gehen soll, wie der auch aussehen mag“, fasst Zlatan Ibrahimović seine Erfahrungen mit diesem Thema zusammen. Sich selbst zu kennen und zu verstehen, gehört ebenso dazu wie das Potenzial, das vonseiten der Trainer entfaltet werden kann. Diese haben Ziele und Umgangsweisen, die mit den Spielern und auf die Spieler abgestimmt werden können und die nicht einengend, sondern öffnend sein sollten. Eine entsprechende Kommunikation, dazu gehört auch die Körpersprache und Mimik, die authentisch sein darf, unterstützt die Motivation. Diese wiederum kann individuell recht unterschiedlich sein. Der Umgang mit Niederlagen im Team und bei jedem einzelnen Spieler trägt einen großen Teil zum Erfolg bei wie auch die häufig damit verbundenen Gedanken und Selbstgespräche. Alle genannten Faktoren zusammen führen am Ende dazu, dass Mannschaften mitunter wie im Rausch spielen, dass ihnen nahezu alles gelingt, sie schnell, mutig und kreativ handeln – man spricht von einem Flow-Zustand. Unter anderen Bedingungen können sie all das vermissen lassen. Sie agieren dann schwerfällig, wenig mutig, unkreativ und langsam.

Vergleichen wir die Körpersprache, die Mimik, die Entscheidungsgeschwindigkeit und die Aktionen solcher unterschiedlichen Spiele, so kommen wir schnell zu dem Ergebnis, dass ein Verständnis und damit verbunden ein Erkennen von Emotionen und der Umgang mit ihnen ein wesentlicher Faktor ist, dem es sich zu widmen lohnt. Ziele, die Spieler sich selbst setzen und die in Mannschaften vorgegeben oder gemeinsam erarbeitet werden, haben erheblichen Einfluss auf die emotionale Befindlichkeit. Sie stehen ganz weit vorne in der Reihe von Dingen, die Einfluss haben auf die psychische Befindlichkeit, die „Mentalität“, wie es oft heißt. Aber was genau verbirgt sich hinter diesem vagen Begriff?

2 Herausfordernde Ziele:Project Possible

„Ich bin der Usain Bolt der 8000er“, sagte der nepalesische Bergsteiger Nirmal Purja, der 2019 mit seinem Team das „Project Possible“ startete, das bis dahin unter Bergsteigern, besonders denen aus der westlichen Welt, als „impossible“ galt. Purja hatte sich zum Ziel gesetzt, die 14 höchsten Berge der Welt, die berühmten 8000er, hintereinander innerhalb von sieben Monaten zu erklettern. Bis dahin lag die kürzeste Zeit, in der das jemand geschafft hat, bei sieben Jahren. Reinhold Messner brauchte 16 Jahre (er bestieg die 14 Gipfel allerdings alle ohne Sauerstoffgeräte; Purjas Team kletterte ab 8000 Meter, in der sogenannten Todeszone, mit Sauerstoffzufuhr).

Wie schaffte Purja das? Auffällig war, dass er und sein Team bei aller Anstrengung in vielen Situationen ausgelassen und fröhlich wirkten, und in einem solchen emotional positiven Zustand verbraucht der Körper einfach weniger Energie. „Ich liebe, was ich tue, aus tiefstem Herzen. Und ich habe so viel Spaß, dass ich nie müde werde. Auf einem Achttausender werde ich erst lebendig“, sagte Purja.

Boris Herrmann ging es 2020/21 bei der wohl härtesten Segelregatta der Welt, der Vendée Globe, weniger um die Platzierung als vielmehr darum, überhaupt ins Ziel zu kommen. „Die Vendée Globe ist erbarmungslos“, schreibt er in seinem Erlebnisbericht Allein zwischen Himmel und Meer. Am Ende kam er, nachdem seine Seaexplorer in der Nacht vor dem Zieleinlauf noch von einem spanischen Fischerboot gerammt wurde, als Fünfter ins Ziel. Er fasst seinen Antrieb so zusammen: „Die Hürden sind hoch, die Risiken zahlreich. Aber das größte Risiko wäre, es nicht zu versuchen.“

Sich Ziele zu setzen, sei es beim Segeln um die Welt, sei es beim Bergsteigen oder bei anderen Vorhaben, sei es im Sport oder außerhalb des Sports, ist der erste Schritt auf dem Weg zum Erfolg. Was beim Bergsteigen die Gipfel sind (oder, wie bei Purja, die Anzahl der Gipfel) und beim Segeln die Zeit, ist im Fußball in der Regel die Tabelle. Entsprechend wird, wenn es um Zielsetzungen geht, über Tabellenplätze gesprochen, damit zusammenhängend das Erreichen der Champions-League-Teilnahme, des Europapokals oder des Klassenerhalts. Im Tennis sind es wiederum die Ranglistenplatzierungen, die im Nachwuchsbereich zum Beispiel über die Aufnahme in einen Kader und damit über Fördermaßnahmen entscheiden.

Grundlegend falsch sind solche Zielsetzungen nicht. In gewisser Hinsicht können sie jedoch das Gegenteil bewirken und demotivierend wirken. Ein Beispiel aus dem Fußball: Wenn ambitionierte Saisonziele, die vom Trainer oder dem Verein vor der Saison ausgegeben wurden, schon nach den ersten Spieltagen in weite Ferne rücken, weil die Spiele wider Erwarten verlorengehen, ist das frustrierend. Die damit verbundenen Enttäuschungen wirken ihrerseits leistungsmindernd und lähmen die Spieler noch mehr, anstatt herausfordernd zu sein – ein Teufelskreis, mit der Folge, dass von außen oft noch mehr Druck erzeugt oder der Trainer entlassen wird.

Meine erste Frage wäre jedoch, ob das Saisonziel, das an einen Tabellenplatz gebunden ist, tatsächlich einen positiven, herausfordernden Reiz darstellt oder nicht vielmehr eine Bedrohung, weil sich das Ziel als unrealistisch erweist? Die folgende Grafik illustriert den Zusammenhang zwischen Reiz und Aktivierung:

Abb. 1: Aktivierung in Abhängigkeit von der Aufgabenschwierigkeit (aus: R.A. Wright: Brehm’s theory of motivation as a model of effort and cardiovascular response, New York, 1996).

Herausfordernde Ziele („difficult“) aktivieren, die Herzfrequenz (heart rate) ist in einem leistungsförderlichen, weil aktivierenden Bereich: Der Körper ist in einem leistungsbereiten Zustand, die Sinne des Sportlers sind geschärft, der Sportler nimmt Informationen schneller auf und verarbeitet sie schneller. Zu schwierige („impossible“), aber auch zu leichte („easy“) tun dies nicht oder deutlich weniger, die Aktivierung bleibt niedrig. Ob es sich für Neymar „herausfordernd“ angefühlt hat, als er für die Rekordsumme von 220 Millionen Euro zu Paris Saint-Germain wechselte? Es klingt fast so: „Ich bin nach Paris gekommen, um Geschichte zu schreiben.“

Beim HSV wurde in der Saison 2016/17 versucht, eine positive Herausforderung zu formulieren, um den drohenden Abstieg – Tabellenplatz 18 mit zwei Punkten aus zehn Spielen – zu verhindern: „Noch nie in der Bundesligageschichte hat eine Mannschaft mit zwei Punkten aus zehn Spieltagen den Klassenerhalt geschafft. Wir werden die Ersten sein!“ Diese Formulierung hatte eine aktivierende Wirkung, die dazu beitrug, dass das bedrohliche Szenario seinen Schrecken verlor und die Angst vor dem Abstieg in den Hintergrund trat. Entscheidend war, dass es nicht hieß: „Wir, der HSV, der ‚Dino der Liga‘, dürfen auf keinen Fall absteigen!“ Denn das Gehirn kennt kein „Nein“, sondern es beschäftigt sich automatisch und unbewusst mit dem Negativen, das nicht passieren darf. Der Trick – und das ist wahrlich kein Hexenwerk – bestand schlicht darin, das Wort „Abstieg“ in etwas Positives zu drehen und durch das Wort „Klassenerhalt“ zu ersetzen. Als Nächstes wurde die Überzeugung, dass der Klassenerhalt tatsächlich machbar sei, implementiert. Es hieß nicht: „Wir müssen die Klasse halten“, und auch nicht: „Wir versuchen die Klasse zu halten“ – der offene Ausgang hätte Unsicherheiten bestehen lassen –, sondern ganz klar: „Wir werden die Klasse halten.“ Sprachliches „Finetuning“ also: nicht „müssen“, nicht „versuchen“, sondern: „Machen!“

3 Ergebnisziele versus Inhaltsziele:„Pflichtsieg“ versus „Vollgasfußball“

„Ich wollte das Turnier unbedingt gewinnen“, sagte Alexander Zverev nach seinem Ausscheiden im Achtelfinale der Australian Open 2022 gegen den Kanadier Denis Shapovalov. Als Nr. 3 der Weltrangliste mit 3:6, 6:7 und 3:6 zu verlieren, veranlasste die Bild-Zeitung dazu, von einer „krachenden Niederlage“ zu sprechen. Ob das Ergebnisziel, das Turnier zu gewinnen, in diesem Fall einen zu hohen Druck ausgelöst hat, sei dahingestellt. Erwiesen ist aber, dass sich gewisse Erwartungshaltungen leistungsmindernd auswirken können. So sagt John Wooden, US-Trainerlegende aus dem College-Basketball, dass viele der von ihm betreuten Spieler deswegen eine gute Wurfquote hatten, weil sie diese nicht mit aller Macht erzwingen wollten. Zlatan Ibrahimović kannte diesen Effekt nur zu gut und erklärt in seiner Biografie Ich bin Zlatan: „Wenn du zu viel willst, verkrampfst du.“ Warum Spieler mitunter zu viel wollen, hängt oft mit der Erwartungshaltung anderer Personen, der öffentlichen Meinung, der Fans oder des eigenen Vereins zusammen; oder auch mit der Summe, die für einen Spieler bezahlt wurde, oder der Trikotnummer, die der Spieler bekommt. Ibrahimović bekam bei Ajax Amsterdam die legendäre Nummer von van Basten, womit ein Erwartungsdruck aufgebaut wurde, ohne dass dieser ausgesprochen worden wäre: „Ich sollte die Tore machen und Spiele entscheiden, und das war selbstverständlich heftig“, sagt Ibrahimović, „und es bedeutete auch, das wurde mir immer klarer, einen verdammten Druck.“ Ibrahimović wurde als der neue van Basten gesehen und sollte Tore schießen wie dieser. Der Druck habe ihn veranlasst, sich anzustrengen, aber: „Ich strengte mich zu viel an. Sobald ich hineinkam, wollte ich alles auf einmal leisten, und deshalb verkrampfte ich.“ Und das, wie er sagt, über „lange Perioden“ der ersten Saison bei Ajax. Später, in seinem ersten Spiel mit dem AC Mailand gegen AC Cesena, erlebt er Ähnliches. Im Nachhinein erinnert er sich an dieses „Muster“, das er aus seiner Zeit bei Ajax kannte: „Ich wollte zu viel. Deshalb wurde es zu wenig.“

Auch wenn es über Maradona in Fußball ist mein Glück heißt, dass ihn die Erwartungshaltung anderer beeinflusste – „man wird ein Stück weit gelähmt durch die Erwartung der anderen und richtet sein eigenes Handeln danach aus“ –, hat sich dieser Druck bei ihm selten negativ auf seine Leistungen ausgewirkt (auf sein psychisches Wohlbefinden allerdings schon). Und auch Ibrahimović schaffte es letztendlich, mit diesem Druck umzugehen. Er fand, wie er erzählt, seine „Lockerheit auf dem Platz wieder und entschied sieben bis acht Spiele in Folge“.

Nach seiner Erstrundenniederlage beim Turnier in München 2022 kämpfte der Olympiasieger Alexander Zverev auf der Pressekonferenz mit seinen Emotionen und wirkte völlig aufgelöst. Nach dem 3:6, 2:6 gegen den 18-jährigen Holger Rune aus Dänemark sagte er mit Tränen in den Augen: „Das war bodenlos, mit das Schlechteste, was ich in den letzten sieben Jahren gespielt habe.“ Die Gründe für diese Niederlage waren für ihn klar: „Ich habe mich extrem unter Druck und nicht frei gefühlt. Ich habe so viel Druck gehabt, dass ich teils keinen Spaß hatte.“

Derartig einengende Erwartungshaltungen finden wir auch im Fußball häufig. „Das ist ein Pflichtsieg“, vernahmen die Spieler des HSV in besagter Saison 2016/17 am 30. Spieltag vor dem Spiel gegen den damaligen Tabellenletzten SV Darmstadt im heimischen Volksparkstadion. Und das, obwohl Trainer, Spieler und der gesamte Staff eigentlich einen anderen Weg vereinbart und eingeschlagen hatten, um vom letzten Tabellenplatz in die „Nichtabstiegszone“ zu gelangen. Trainer und Team hatten sich zum Ziel gesetzt, die einstudierten Trainingsinhalte auf den Platz zu bringen, mit höchster Intensität zu spielen, nach Ballverlust volles Brett ins Gegenpressing (laut Jürgen Klopp „der beste Spielmacher der Welt“) zu gehen und Lücken im Vollsprint gemeinsam zu schließen. Als es nach einer 1:0-Führung beim Spiel gegen den Tabellendritten in Hoffenheim nach 49 Minuten 1:2 stand, erinnerten sich die Spieler an das Vereinbarte, und das Spiel ging am Ende 2:2 aus. Danach kletterte der HSV in der Tabelle weiter nach oben, blieb aber, weil die Mitkonkurrenten ebenfalls punkteten, in der „Abstiegszone“ hängen. Insofern waren die drei Punkte gegen Darmstadt also ein „Muss“, um sich möglichst abzusetzen. Aber die (motivierenden) Inhaltsziele wurden damit durch ein (die Spieler unter Druck setzendes) Ergebnisziel abgelöst. Nicht gut, dachte ich und sah das Gleiche in den Gesichtern der Spieler. Die Intensität war plötzlich blockiert, vieles andere dadurch auch. Es gab jetzt nämlich gar nichts mehr zu gewinnen, sondern nur noch etwas zu verlieren. Und genau so kam es auch. Das Spiel ging aus Sicht des HSV mit 1:2 verloren. Wenig verwunderlich für mich, für andere schon.

Interessanterweise führt die Forderung eines „Pflichtsiegs“ selten zum Ziel. Umso unverständlicher, dass man davon nicht ein für alle Mal abrückt. Bei der WM 1950 in Brasilien ordnete der damalige Präsident Eurico Gaspar Dutra den Gewinn des Titels geradezu an: „Jetzt tut eure Pflicht und gewinnt für uns die Weltmeisterschaft!“ In der Finalrunde, in der die Gruppensieger Brasilien, Spanien, Schweden und Uruguay jeder gegen jeden spielten, gewann Brasilien die ersten beiden Spiele gegen Schweden und Spanien hoch und sah zunächst schon wie der neue Weltmeister aus. Im letzten Spiel gegen das bis dato nicht überzeugende Uruguay hätte ein Unentschieden gereicht. Vor 200 000 Zuschauern im Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro lagen die Brasilianer zur Halbzeit erwartungsgemäß mit 1:0 in Führung. Mitte der zweiten Hälfte gelang Uruguay jedoch der Ausgleich und zehn Minuten vor dem Schlusspfiff gar das Siegtor. Das Spiel galt lange Zeit als Tiefpunkt im brasilianischen Fußball, ja als absolute Tragödie: „1950 steht für das große nationale Versagen“, heißt es in der Doku Pelé. Nach Meinung des Journalisten Juca Kfouri habe die Niederlage gegen Uruguay den „Bastard-Komplex“, den der Dramatiker Nelson Rodrigues den Brasilianern attestiert hatte, bestätigt: Brasilianer seien es „gewohnt, sich selbst klein zu machen und die Stärke der anderen zu preisen; die anderen sind gut, wir sind wertlos“. Umso tragischer, dass bei der WM 2014 (wieder im eigenen Land) die Niederlage von 1950 sogar noch getoppt wurde. Ob die legendäre 1:7-Niederlage im Halbfinale gegen Deutschland mit dem „Bastard-Komplex“ zu erklären ist, sei einmal dahingestellt. Auf jeden Fall war das Spiel für die Brasilianer ein „Pflichtsieg“, denn schließlich „verlieh uns der Fußball unsere Identität“ (Doku Pelé), was zumindest 1958, 1962, 1970, 1994 und 2002 gut geklappt hat.

„Vollgasfußball“, „attraktiver Hochgeschwindigkeitsfußball“ oder auch „Spaßfußball“ sind Worte, die Jürgen Klopp verwendet, wenn er im Gegensatz zu den Ergebniszielen von inhaltlichen Zielen spricht. Als Spieler war Klopp bei Mainz 05 „der Kopf der Mannschaft“, der eher über die Physis und die Emotionen kam, „weniger über Schönspielerei“. Laut Tagesspiegel war Klopp eine „Willens- und Kampfmaschine“. Als Trainer strahlt er dies ebenfalls sehr regelmäßig aus. Die Süddeutsche Zeitung nannte ihn entsprechend den „Ultra unter den Bundesligatrainern“. Wenn seine Mannschaften Spaß an ihrem „Vollgasfußball“ haben, was hohe Intensität und Laufbereitschaft, intensives Pressing und schnelles Nachrücken beinhaltet, spielen sie sehr gut, und es ist dann zwar keine „Schönspielerei“, aber dennoch äußerst schön anzusehen, heute, bei Liverpool, mehr denn je. Ziel ist es, den Gegner unter Druck zu setzen, denn wenn Spieler auf diesem Niveau Zeit haben, sind sie alle gut. „Wenn man ihnen aber, sobald sie den Ball haben, auf den Füßen steht [ ], dann hat jeder Spieler ein Problem. Wenn man ihn dann doppelt oder tripelt, dann hat jeder Spieler gleich mehrere Probleme“, wie es in der Biografie Ich mag, wenn’s kracht heißt. Das Umschaltspiel ist die Kür, und auch wenn es anstrengend ist, geht es „mit einem Wohlfühlfaktor“ einher, so Adam Lallana, von 2014 bis 2020 Spieler bei den Reds. Denn es handelt sich um eine klare inhaltliche Zielsetzung, die in jeder Situation erreichbar ist. Klopps Spieler haben genau wie er selbst Spaß daran. Neven Subotić, der unter Klopp beim BVB spielte, gibt zu bedenken, dass es „nicht von heute auf morgen geht, auch wenn man es täglich trainiert“. An Überzeugungskraft hat es Jürgen Klopp jedoch nie gemangelt, ganz im Gegenteil. Sein Biograf Raphael Honigstein schreibt: „Er war ein Missionar im Trainingsanzug, der den taktisch Ungetauften das Evangelium predigte.“ Mario Basler, Ex-Nationalspieler, beschreibt Klopps Beliebtheit beim Dortmunder Publikum: „Da jubeln sie ja schon auf der Südtribüne, wenn der auf der Trainerbank halbwegs unfallfrei seine Brille putzt.“ Es dauerte jeweils eine gewisse Zeit, aber dann gewannen Klopps Teams regelmäßig, das war bei Mainz 05 und bei Dortmund so und schließlich auch bei Liverpool. Angesichts der Erfolge bei Mainz 05 nannte ihn die Bild den „Harry Potter der Zweiten Liga“. In England ist er allerdings „the normal one“, aber dazu an anderer Stelle mehr.

„Process over result“ ist Gregg Popovichs Devise. Von 1996 bis 2020/21 war er Coach der San Antonio Spurs und hat dort mit seiner Philosophie in der regulären Saison mehr Siege als jeder andere NBA-Trainer eingefahren und fünf Meisterschaften gewonnen. Mit den USA gewann er bei den olympischen Sommerspielen 2021 in Tokio zudem Gold. „Coach of the Year“ wurde er völlig zu Recht dreimal. Wie Jürgen Klopp und mittlerweile etliche andere Trainer hat Popovich ein „Mastery-Klima“ etabliert, bei dem der Fokus auf der persönlichen Weiterentwicklung, dem Lernerfolg und der Bereitschaft, sich anzustrengen, eines jeden Spielers liegt. José Mourinho spricht hinsichtlich seiner Zeit beim FC Porto von einer „Evolution“, die darin lag, „Schritt für Schritt besser zu werden“. Das wurde die Mannschaft – und 2004 schließlich sogar Champions-League-Sieger. Im Hinblick auf die positive Motivation ist das „Mastery-Klima“ dem „Performance-Klima“, bei dem der Fokus darauf liegt, eine bessere Leistung als andere Spieler zu zeigen und zu gewinnen, auf jeden Fall überlegen. Die Tennisspielerin Andrea Petković, 2011 auf Platz 9 der WTA-Rangliste, drückte es so aus: „Glück versuche ich im Prozess selbst zu finden, nicht im Resultat.“ Ähnlich Zlatan Ibrahimović: „Ich hasste es zu verlieren. Dennoch war es nicht das Wichtigste, zu gewinnen. Es waren die Finten und die schönen Sachen.“

Es gibt Matches, in denen ein Spieler oder eine Mannschaft offensichtlich besser ist als der Gegner, und trotzdem wird es verloren. Natürlich zählt am Ende nur ein Sieg, aber niemand würde ein solches Match negativ sehen. Für die meisten Sportler selbst ist es aber oft schwierig, ein verlorenes Match positiv zu sehen. Beim Tennis und anderen Rückschlagsportarten etwa kann es sogar sein, dass ein Spieler insgesamt mehr Punkte erzielt als sein Gegner und verliert. Wenn beim Fußball die bessere (überlegene, dominante) Mannschaft verliert, spricht man von einer „bitteren Niederlage“.

Sogar in der Formel 1 ist es möglich, inhaltliche Ziele dem „Ich will Erster werden“ voranzustellen. Von Michael Schumacher heißt es, sein Ehrgeiz sei es gewesen, „die perfekte Runde zu fahren“. Wenn es aber gelingt, so rechnete Oliver Kahn vor, viele perfekte Runden aneinanderzureihen – „was sonst soll dabei herauskommen als das Gewinnen?“ Michael Schumacher wurde insgesamt siebenmal Weltmeister.

Aus psychologischer Sicht schützt eine am Inhalt orientierte Herangehensweise vor Versagensängsten und steigert die intrinsische, aus sich selbst kommende Motivation. Die Sportler haben das Gefühl, etwas mit eigenen Mitteln erreichen zu können, und werden nicht von dem Gedanken gelähmt, etwas Negatives vermeiden zu müssen. Das ist ein grundlegender Unterschied. Sportler und wir Menschen allgemein wollen Kompetenz erleben, nicht Inkompetenz vermeiden. In der Sprache der Psychologie spricht man positiv von „Annäherungsziel“ oder „aufsuchendem Ziel“ und negativ von „Vermeidungsziel“ (bloß nicht verlieren!). In Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass „aufsuchende Ziele“ eine höhere Aktivität bewirken. Kein Wunder, dass Mannschaften von Jürgen Klopp, in denen das gelebt wird, so aktiv ins Spiel gehen und auch so wirken.

Wenn die Mannschaft und der Trainer vereinbart haben, bei Rückständen beim eigenen Spiel zu bleiben, so weiterzumachen wie vor dem Gegentor, sind alle Ebenen der schnellen Informationsverarbeitung freigeschaltet und die Spieler frei, weiterhin intuitiv, schnell und spontan zu handeln. Folgt aus einem Rückstand ein Vermeidungsziel, die Niederlage mit aller Macht zu verhindern („bloß nicht verlieren!“, „ja kein weiteres Gegentor kassieren!“), passiert genau das Gegenteil: Die Spieler verlieren den Blick für die Situation und den Überblick, nehmen Chancen weniger wahr, handeln langsamer und weniger spontan. Verfolgen Spieler Annäherungsziele, fällt es ihnen zudem deutlich leichter, Teamgeist zu erleben, der wiederum zur Motivation beiträgt. Wenn die Ziele dann noch mit den individuellen Eigenschaften der Spieler in Einklang gebracht werden können, deren persönliche Motive Berücksichtigung finden, das Spielsystem und die Herangehensweise zu ihren Fähigkeiten und Charaktereigenschaften passt, sind Höchstleistungen vorprogrammiert. Aus genau diesem Grund wurde Jürgen Klopp bei Mainz 05 damals zum Spielertrainer, „weil er zu der Mannschaft und einem bestimmten Spielstil passte, nicht umgekehrt“.

Ein Beispiel für die inhaltliche Vorgehensweise ist das 3:2 von Borussia Dortmund in Frankfurt am 18. Spieltag der Fußballbundesliga in der Saison 2021/22: Der BVB lag bis zur 71. Minute mit 0:2 hinten und gewann das Spiel mit dem Siegtreffer von Dahoud in der 89. Minute noch mit 3:2. Natürlich passiert es häufiger, dass ein Spiel gedreht wird, aber ein Kommentar von Marco Rose lässt in diesem Zusammenhang aufhorchen. Im Aktuellen Sportstudio sagte er: „Wir wollten fokussiert bleiben, unabhängig von Spielständen und Situationen, die nicht in unsere Richtung laufen. Wir wollten es gemeinsam als Team machen. Mit dieser Haltung kommt dann auch der Glaube zurück.“

Nach Ben Crowe, dem Mindset Coach der Tennisspielerin Ashleigh Barty, die 2019 121 Wochen auf Platz 1 der WTA-Weltrangliste stand, führt das Fokussieren auf etwas, das außerhalb unserer Kontrolle liegt (wie die Erwartung eines Resultats oder die Erwartung anderer Menschen allgemein), nicht nur zu einem erhöhten Stress, sondern zu negativem Druck und der Angst zu verlieren. „Last time I looked, no one controls the future which means you’ll tighten up not lighten up“, sagt Crowe, sinngemäß: Niemand hat die Zukunft unter Kontrolle, was bedeutet, dass du verkrampfst, anstatt zu entspannen, wenn du daran denkst. Beim 0:2-Rückstand des BVB in Frankfurt lenkte der Trainer den Fokus auf das, was seine Spieler kontrollieren und sein konnten, nämlich ein Team, das die Situation annimmt und gemeinsam besteht. Fokussiert zu bleiben, unabhängig vom Spielstand, ist eindeutig ein Inhaltsziel, das Energie generiert und gleichzeitig entspannt („lighten up“).

Mit Inhaltszielen können Spieler viel eher an den Situationen, so schwierig sie auch sein mögen, „wachsen“. Selbstwachstum („selfgrowth“) finde ich einen schönen Begriff dafür. Selbstwachstum geht mit einem Gefühl der Leichtigkeit einher, bei vollem Fokus und hohem Engagement. Bernhard Peters, ehemaliger, sehr erfolgreicher Trainer der Hockeynationalmannschaft und später sportlicher Direktor beim HSV, sagt dazu in seinem Buch Führungsspiel, er motiviere niemanden, sondern helfe den Spielern, „sich selbst zu motivieren“. Warum dieser Ansatz so selten berücksichtigt wird, liegt daran, dass es beim Sport am Ende immer auf Ergebnisse ankommt: „Fußball ist ein Ergebnissport“, heißt es regelmäßig. Aber die Ergebnisse kommen automatisch, wenn alle Spieler ihre Fähigkeiten „auf den Rasen bringen“ und ihr Potenzial ausschöpfen.

Bei den All Blacks