Kopfsache - Urs Weisskopf - E-Book

Kopfsache E-Book

Urs Weisskopf

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Beschreibung

Gibt es Gott - oder ist er nur eine Kopfsache? Ich habe mich fast mein Leben lang mit dem Glauben auseinandergesetzt. Nicht, weil ich musste, sondern weil mich die Frage nicht loslässt: Ist Gott real oder existiert er nur in unseren Köpfen? In Kopfsache teile ich meine Gedanken als gläubiger Ungläubiger. Ich hinterfrage alte Dogmen, philosophiere über die Rolle des Glaubens und stelle fest, dass Gott - ob real oder nicht - ein faszinierendes Konzept bleibt. Dieses Buch ist keine Abrechnung, sondern eine ehrliche, kritische und humorvolle Reflexion über Gott, Glauben und die Macht unserer Vorstellungskraft.

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Seitenzahl: 174

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ich widme dieses Buch meiner Frau

Audya Audrey Babes Weisskopf-Pinaria

(*17.10.1970 - †02.07.2021)

Mit ihrem starken Glauben an Gott liess sie ihre schwere Krankheit oft wie eine Nebensache aussehen.

Audrey, vor Weihnachten 2020

Inhaltsverzeichnis

Zum besseren Verständnis

Die Erklärung für Alles

Eine höhere Macht muss ans Werk

Was ist danach?

Für immer und ewig

Glauben ist allgegenwärtig

Evolution

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Placebo, oder…?

Aberglaube

Muss es der Jakobsweg sein?

Membership

Convenience vom Regal

Ordnung muss sein

Warum folgen wir?

Bücher der Gesetze

Die Kirche, Hassliebe oder Segen?

Wegen der (fehlenden) Selbstdisziplin

Der grosse Bruder

Es gibt nichts, was es nicht gibt!

Querbeet:

«Selbst ist der Mann»… und die Frau!

«Wissen ist Macht»

Ist Glauben an Gott nun Realität?

Die Rolle Gottes in der Zukunft?

Alles klar?

Zum Autor

Zum besseren Verständnis

Das Verlangen, ein Buch zu schreiben, wuchs in mir. Warum genau, weiss ich bis heute nicht. Ich kann jedoch sagen, dass ich weder einen speziellen Auslöser hatte, noch eine Antwort auf eine tiefgründige Frage suchte. Vielleicht brauchte ich eine neue Herausforderung. Vielleicht steckte ich in einer verspäteten «Midlife-Crisis1», verarbeitete den frühen Tod meiner Frau oder suchte lediglich nach einem Zeitvertreib oder einer Ablenkung. Oder ist es ein Ersatz für meine Abwesenheit in den sozialen Medien, während ich dennoch das Verlangen entdeckte, ein paar Gedanken mit meiner Mitwelt zu teilen? Ich weiss es wirklich (noch) nicht.

Es passt gut zum Konzept, dass ich seit etwa drei Jahren nicht mehr alles zu analysieren versuche, bevor ich etwas in meinem Privatleben unternehme. Nicht alles muss immer einen Grund haben, um es zu tun oder es zu lassen. Ich war lange genug geordnet, strukturiert und berechnend – vielleicht schon zu lange. Das heisst jedoch nicht unbedingt, dass ich das hoffentlich verbleibende letzte Viertel meines Lebens im Chaos verbringen möchte. Meine drei Kinder dürften bei dieser Aussage sicher ein wenig beruhigter sein.

Was mich und auch einige meiner Mitmenschen überraschte, war das gewählte Thema. Warum ein so komplexes, schwieriges und teils sensitives Thema wie Glauben, Religion, Gott und höhere Mächte und dazu noch die eigene Interpretation, und die Frage, wie andere Menschen damit umgehen könnten?

Als gelernter Koch, mit kulinarischen Erfahrungen in sieben Ländern und Genussreisen in etwa 40 weiteren, hätte man vielleicht eher ein (grossartiges) Kochbuch von mir erwartet. Irgendwie war ich davon aber nicht so ganz überzeugt und entschied mich, die Welt vorerst nicht mit einer weiteren Ansammlung von Gerichten und kulinarischen Philosophien zu überfluten. Dafür sind leider immer öfter inkompetente, selbsternannte Chefs zuständig, die sich super-gut vermarkten können und das Verlangen haben, den heutigen Convenience-Food-Hausfrauen zu erklären, dass Honig von Bienen stammt, die Kühe für die Milch zuständig sind und beides nicht vegan ist.

Ich hätte auch über die Erlebnisse berichten können, die ich beim Bekochen, Bewirten und Beherbergen von verschiedenen Königsfamilien, unzähligen Staatsoberhäuptern und VIPs2 gemacht habe. Viele Anekdoten gäbe es zu erzählen. Aber vielleicht bin ich ein bisschen altmodisch (meine jüngste Tochter würde das «vielleicht» weglassen) und es Ehrensache ist, nicht freizügig über das private Leben dieser Menschen zu berichten. Die meisten stehen oder standen sowieso schon oft im Mittelpunkt sozialer Medien. Die Sensationsjournalisten sind für diese oft unnötige Berichterstattung zuständig und sind sich sicherlich bewusst, was sie dabei anstellen.

Ich finde, dass trotz der heutigen sozialen Vernetzung auch VIPs selbst entscheiden dürfen sollten, ob die ganze Welt ihren Aufenthaltsort erfahren darf, was sie gerade mit wem tun und warum die Toilettenspülung nicht funktioniert. «Papparazzi» wäre ganz einfach der Titel eines Chartstürmers der Gaga-Dame3, der keinen Sinn macht und - fertig Schluss. Und vielleicht wäre sogar Lady Di4 noch am Leben. Aber solange sich die Hausfrauen interessieren, wie viel Abfall Jamie und Tim5 heute in der Küche produzieren und wieviel schmutziges Geschirr dabei entsteht, wollen die sicher auch wissen mit wem sie letzte Nacht geschlafen haben. Wie gesagt: «not my cup of tea6». Oder altmodisch? Ja, ich glaube noch an ungeschriebene Werte, die nicht Gesetz sind und ganz einfach auf menschlichem Verstand und Moral beruhen. Basierend auf dem im Internet Gesehenen, etwas, dass im 21. Jahrhundert anscheinend unvorstellbar wird!

Bis zum heutigen Tage durfte ich ein privilegiertes Leben führen und hatte das Glück, vor allem auf dem asiatischen Kontinent viel zu reisen und ich dabei das Gefühl von Heimweh nie kannte. Nicht zuletzt dank dem grossartigen Beruf, den ich erlernt hatte, standen mir am Ende des letzten Jahrhunderts viele Türen in Richtung Osten offen. Dabei war mir bewusst, dass ich als ausländischer Experte von meinem Arbeitgeber engagiert wurde und professionell arbeiten musste. Daher sahen es die Arbeitgeber und Vorgesetzten oft nicht gerne, wenn sich sogenannte Expatriates7 zu sehr den lokalen Gegebenheiten annahmen. Auf der anderen Seite tendierte ich trotzdem eher dazu von den lokalen Mitmenschen und Arbeitskollegen und -kolleginnen dazuzulernen. Es war für mich immer sehr wichtig, dass ich mein Umfeld verstand, mich dabei entsprechend einlebte und wohlfühlte. Die Kulturen, aber auch die Geschichte und Geografie der Länder, in denen ich mich aufhielt, waren mir darum immer sehr wichtig. Dazu gehörten die verschiedenen Religionen und Glaubensrichtungen, diese zu verstehen, zu akzeptieren und dadurch kennen zu lernen und verstehen zu können. Der oft unendliche Drang, mein Wissen kontinuierlich zu erweitern, war in diesem Fall sicherlich eine willkommene Hilfe. Als Resultat durfte ich intensive Erlebnisse erfahren und war nicht nur Zuschauer und Konsument einer an mir vorüberziehender Welt, ich war meistens mittendrin und Teil davon. Yippy Ay Yeah!8 Audrey begriff nie wirklich, warum ich in Asien nicht in der Shoppingmall9 zum Friseur gehen wollte, sondern zum Strassen-Friseur ging, um meine spärliche Haarpracht schneiden zu lassen. Meiner Meinung nach findet das wirkliche, echte Leben nicht in einer künstlich aufgebauten Welt der Wegwerfgesellschaft statt, die dem Homo Sapiens10 vorgibt, was er «liken» sollte, sondern im Dorfladen, beim Bauern, beim Handwerker. Mit dem stetigen Drang immer wieder Neues zu entdecken, hatte ich auch oft das Vergnügen interessante Menschen kennen zu lernen. In den meisten Fällen verliehen mir diese Personen ein sehr positives Bild unseres Daseins. Die Religion und der Glaube dieser Menschen war dabei ein konstanter Begleiter.

Als ich mit 25 Lenzen meine erste Auslandstelle in China als Souschef antrat, war ich mir noch nicht sicher, woran ich glauben sollte, und versuchte für mich das «Richtige» zu finden. Im Herbst 1989, als ich in Peking arbeitete, durfte ich mit einer kleinen Gruppe nach Tibet reisen. Es war mir bewusst, dass dies ein einmaliges Erlebnis wird und nahm an, dass es wahrscheinlich auch ein (Achtung Wortspielerei) einmal-iges Ereignis bleiben würde. Da ich dieses bevorstehende Erlebnis in vollen Zügen geniessen wollte, hatte ich mich auch entsprechend vorbereitet. Gemäss Reiseprogramm war es vorgesehen verschiedene buddhistische Stätte, wie der Potala-Palast11 und aktive Klöster zu besuchen. So war bei diesen Vorbereitungen auch eine Lektüre dabei, die den Buddhismus ausführlich beschrieb. Im Nachhinein war ich sehr froh, dass ich mich über den Buddhismus informiert hatte, da Tibet12 und der Buddhismus nach dieser einwöchigen Reise für mich untrennbar waren. Was damals für mich neu war und mich überraschte, war, dass Religion, Lebensphilosophie, Alltag, Politik und Kultur kaum voneinander zu trennen waren. Das ganze Drum und Dran des Lebens war sozusagen miteinander verknüpft. Die damals in meinem Umfeld typischerweise propagierte Trennung von Religion, Politik, Arbeit und Freizeit konnte ich nicht erkennen. In Tibet wurde das Leben als holistisch Ganzes, gelebt. Fortan umfasste mein Leben auch diese miteinander verbundenen Komponente, Religion jedoch ausgenommen.

Kurz nach dem beeindruckenden Erlebnis in Tibet ging ich als Küchenchef nach Malaysia, wo ich zum ersten Mal intensiver mit dem Islam in Berührung kam. Ich interessierte mich auch für diese Religion und wollte mehr darüber erfahren. Unter den verschiedenen Lektüren befand sich auch eine englische Version des Korans, die ich von A bis Z durchlas. Obwohl ich in einem liberal-christlichen Umfeld aufwuchs, realisierte ich damals auch, dass ich die Bibel als Buch nicht wirklich kannte und versuchte, dies nachzuholen. So las ich auch die Bibel wie eine Fachlektüre, was natürlich nicht unbedingt richtig sein muss, von der ersten bis zur letzten Seite. Ich wollte herausfinden, was die Unterschiede der verschiedenen Religionen sind - vielleicht war da ja etwas für mich dabei. Long Story short13: Die darauffolgenden Bücher über das Thema Religion gaben mir aber auch nicht die zufriedenstellenden Antworten zu meinen offenen Fragen. Wahrscheinlich kam mir dabei auch mein ausgeprägt abstraktes und analytisches Denken in die Quere.

Während eines späteren Abschnittes meines Lebens traf ich dann auf die Theorien der Herren Einstein14 und Hawking15. Die Antworten dieser Physiker sprachen mich persönlich eher an und beantworteten meine offenen Fragen sachlich und faktisch. Ich gelangte zur Überzeugung, dass der Urknall die schlüssigste Erklärung für die Entstehung des Universums und unserer Erde ist. Dabei schloss ich die Existenz eines Gottes aus.

Ich wurde reifer, lernte mich besser kennen und fand, dass etwas Grosses zu hinterfragen gar nicht so schlimm sein muss. Und so war ich an einem Punkt angekommen, an dem ich mich wohl fühle, offen über meine Überlegungen zum Glauben zu sprechen. Seit einiger Zeit finde ich auch, dass es sich in den meisten Fällen mit ein wenig Humor und Ironie einfacher und besser leben lässt. Ich hoffe, dass es mir in diesem Buch gelungen ist, dies zu reflektieren, damit das Lesen auch Spass macht und keine Tortur wird.

Es war nie meine Absicht oder das Ziel eine strukturierte Analyse einer oder verschiedener Weltreligionen oder sonstige Glaubensrichtungen zu schreiben. Im Gegenteil, für mich untypisch, versuchte ich, ganz einfach und hoffentlich verständlich, frisch von der Leber über das Bild zu plaudern, das ich mir über Gott und die Welt gemacht habe. Obwohl ich viel über die verschiedenen Themen gelesen habe, habe ich keine detaillierten Recherchen betrieben, um etwas zu beweisen oder zu belegen, und wollte ganz einfach nur meine Gedanken loswerden. Gedanken, angespornt und inspiriert von Erlebnissen, Begegnungen und Erfahrungen, die ich machen durfte, und von verschiedenen Lektüren, die ich über die Jahre gelesen haben. Deshalb ist das, was in diesem Buch nun folgt, meine Meinung über den Glauben, so wie ich es heute sehe. Ich bin kein absoluter Verfechter dessen, was ich hier niedergeschrieben habe, bin weiterhin lernfähig und möchte einfach den einen oder anderen Leser zum Nachdenken anregen – auch solche mit anderen oder abweichenden Meinungen, die ich selbstverständlich weiterhin respektiere. Zudem will ich auch keinem Theologen, Imam, Rabbiner, Mönchen oder sonstigen Glaubenswissenden zu nahetreten. Für mich sind sie weiterhin die Fachleute ihrer spezifischen Religionen und ihres Glaubens.

Ich denke, dass jeder Mensch an irgendetwas glaubt. Bei Gesprächen, die religiösen Charakter hatten, begegneten mir auch schon Menschen, die angaben, an «nichts» zu glauben. Diese Antwort konnte aber fast immer spezifisch als «Ich glaube nicht an Gott» interpretiert werden. Also hatten sich diese Personen auch mit dem Glauben beschäftigt und kamen zu anderen Schlussfolgerungen als Christen, Muslime, Juden, Hindus, Buddhisten – um nur einige zu nennen.

Während ich im privaten und beruflichen Leben nicht immer tolerant gegenüber anderen Meinungen war, zeigte ich gerade bei abweichenden religiösen Meinungen stets grosse Toleranz. Ich glaube grundlegend an das Gute und muss vom Gegenteil überzeugt werden, sollte dies einmal nicht der Fall sein. Das heisst, dass ich auch gelernt habe mit Enttäuschungen umzugehen. Ich habe aber erleben dürfen, dass das Erfreuliche diese Enttäuschungen immer um ein Mehrfaches überwogen hatte.

Audrey konnte bedingungslos das Konzept eines Gottes und seines Sohnes annehmen, ziemlich genau so, wie es in der Bibel beschrieben ist und von der Kirche kommuniziert und gepredigt wird. Dieses Konzept half ihr, Kraft und Energie zu schöpfen, als es darum ging ihre Krebserkrankung zu ertragen. Sie wusste genau, wo sich die Antworten für ihre wichtigen, noch offenen Fragen befanden. Nach knapp drei Jahren verlor sie den Kampf gegen den unheilbaren Krebs… hat sie wirklich? Sie wusste, wohin sie nach dem Tod gehen würde, und hatte eine ungefähre Ahnung, wer und was auf sie warten würde. Während es für sie ein Weiter oder Danach gab, wird der Tod für mich die Endstation sein. Dieser Unterschied in unseren Überzeugungen brachte mich dazu, mich intensiver mit dem Glauben und Gott auseinanderzusetzen.

In den folgenden Kapiteln wird es jedoch nicht darum gehen, die Pros und Kontras an ein Glauben oder Nicht-Glauben an Gott abzuwägen und zu evaluieren. Ich bin mir bewusst, dass meine faktische, direkte Art und mein Hang zu Sarkasmus da nicht immer hilfreich sein werden. Ich erwähne dies, da ich nicht als Gotteslästerer abgestempelt werden möchte. Im Gegenteil: Ich möchte eigentlich aufzeigen, dass Gott prinzipiell ein gutes Konzept ist und der Glaube an Gott eine ganz gute Sache sein kann.

1 Zu Deutsch «Krise in der Mitte des Lebens», ist eine psychische Krise, die als Zustand der Unsicherheit im Lebensabschnitt von etwa 40 bis 55 Jahren auftritt.

2 Very Important People: «Eine Person, der aufgrund ihres sozialen Status besondere Privilegien oder eine besondere Bedeutung beigemessen wird».

3 Gemeint ist selbstverständlich die Pop-Ikone und Schauspielerin Lady Gaga, mit bürgerlichem Namen Stefani Joanne Angelina Germanotta (*1986).

4 Lady Diana, Princess of Wales (*1961; †1997), kam bei einem Autounfall, auf der Flucht von Paparazzi, in Paris ums Leben.

5 James Trevor Oliver (*1975) und Tim Mälzer (*1971): Für mich beides keine Vorbilder der Koch-Gilde.

6 Umgangssprachlich «nicht mein Geschmack».

7 Eine Person, die ohne Einbürgerung in einem ihr fremden Land oder einer ihr fremden Kultur lebt.

8 «Hurra», Ausruf von Begeisterung, üblich im Westen der USA.

9 Grosses Einkaufszentrum.

10 Rassenbestimmung für den heutigen Menschen / Moderner Mensch.

11 Bis 1959 die Residenz des Dalai Lama, seine Heiligkeit des tibetischen Buddhismus.

12 Genau genommen, eine autonome Region von China.

13 Zu Deutsch: Zusammengefasst.

14 Albert Einstein (*1879; †1955) war einer der bedeutendsten Physiker der Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftler der Neuzeit.

15 Stephen William Hawking (*1942; †2018) war ein britischer theoretischer Physiker und Astrophysiker.

Die Erklärung für Alles

Eine höhere Macht muss ans Werk

Dass Gott die Welt nicht in sechs Tagen erschaffen hatte, war mir unbewusst bereits während der Schulzeit klar. Im damals obligatorischen Religionsunterricht – wohlgemerkt evangelisch-reformiert, wie es sich im Berner Oberland für die meisten Familien gehörte – wurde uns die Schöpfungsgeschichte metaphorisch dargelegt. Schon als zehnjähriger Schüler war ich mit dieser Darlegung nicht zufrieden. Vor allem, wenn ich als Antwort auf jegliche Fragen lediglich ein «Das wurde nun Mal so niedergeschrieben» oder «Das Wort Gottes wird prinzipiell nicht hinterfragt» erhielt. Wie ich später erfahren durfte, hatte die Bibel, wenn sie fachmännisch und mit Enthusiasmus interpretiert wurde, durchaus auf viele Fragen eine Antwort. Antworten, die mich jedoch selten zufriedenstellten. Als Kind hatte ich – wie viele meiner damaligen Altersgenossen – andere Prioritäten und kümmerte mich nicht weiter darum.

Auch als Teenager hinterfragte ich das Konzept der Bibel nicht ernsthaft und erfüllte die Erwartungen, die an mich als moderner und liberalen Christen gestellt wurden. Durch gelegentliche Kirchenbesuche, die Konfirmation und die Teilnahme am Abendmahl hatte ich den Stempel «Guter Christ» aufgedrückt bekommen. Mein Umfeld war glücklich und ich hatte kein Problem damit, zum Kreis der Christen zu gehören. Erst Jahre später setzte ich dort fort, wo ich vor meiner Jugendzeit aufgehört hatte. Ich begann damit, mich mit plausibleren Erklärungen über das Woher und Warum zu beschäftigen.

Während meiner Anstellung in China Ende der 1980er Jahre, wollte ich mein Allgemeinwissen über dieses faszinierende Land und dessen Geschichte vergrössern. Dabei stolperte ich literarisch über den Peking-Menschen,16 von dem eigentlich nur wenige Knochen gefunden wurden, die einem Homo erectus17 zugeordnet werden konnten. In der Schule lernte ich im Geschichtsunterricht den Neandertaler18 kennen, und der Begriff Homo Sapiens war mir damals auch nicht unbekannt. Irgendwie interessierte mich dieser Mensch, der etwa vor einer halben Millionen Jahren lebte. Die Evolutionstheorie liess mich seitdem nicht mehr los.

Büste des Peking Menschen, ausgestellt im Museum in Zhoukoudian

Aus meiner Sicht ist die Evolution etwas, das im Monotheismus19 fast vollständig ignoriert wird. Oder habe ich da irgendetwas nicht ganz mitgekriegt? Es machte «Puff» – vielleicht sogar ohne Lärm oder Knall – und wir Menschen waren geboren, oder vielmehr erschaffen. Noch besser: Aus der Rippe des soeben erschaffenen Mannes wurde das weibliche Geschlecht «gezimmert». Die Evolutionstheorie spricht mich da schon deutlich mehr an. Als ich mich dann der Evolutionstheorie ein wenig genauer zuwandte, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass diese noch gar nicht so lange existierte. Bis vor etwa 200 Jahren glaubten die Menschen tatsächlich fest an Schöpfungsgeschichten, wie sie etwa in der Bibel beschrieben sind.

Eine Schöpfungsgeschichte, die ich zum Nachlesen empfehlen kann, ist diejenige der Maya: Die Götter haben entschieden, uns aus Maismehl zu formen. Während ich niemanden getroffen habe, der glaubt, dass Nachos unsere Verwandten sind, bin ich vielen Menschen begegnet, die selbst im Zeitalter von Facebook, Instagram und X noch fest an die biblische Schöpfungsgeschichte glauben. Grossartig, wenn das für so viele Menschen auch heute noch passt. Aber warum ist dem so? Passt es uns, wenn Gott von ganz Anfang an, das Zepter in die Hand nimmt und einfach für alles Leben auf unserem Planeten verantwortlich ist? Wenn er ebenfalls das, was nach dem irdischen Leben kommen wird, in die Hand nehmen wird?

Schon Mal vorab: Prinzipiell nehme ich an, dass diese Idee einfach mehr Menschen anspricht, als die Idee von «Vorher gab es Dich ganz einfach nicht, und deshalb wirst Du auch danach nicht mehr existieren». Zu diesem Thema aber ein wenig später.

Ich bin kein Evolutionstheoretiker und möchte hier nicht zu sehr und waghalsig fachsimpeln, sondern meine einfachen Gedanken, basierend auf einem, hoffentlich noch gesunden Menschenverstand teilen. Die Evolutionstheorie besagt, dass Körperteile eines Wesens, die häufiger und auch spezifischer benutzt werden, sich weiterentwickeln. Dies kann beispielsweise durch Veränderungen in der Umwelt oder des Klimas verursacht werden. Solche Veränderungen geschehen immer mit dem Ziel, dass die betroffene Spezies mit den Anpassungen besser und länger überleben und sich erfolgreicher fortpflanzen kann. Diese Verbesserungen werden an die nächste Generation vererbt, die wiederum nach Partner sucht, die zu einem erfolgreichen Überleben beitragen können.

Aus unbekannten Gründen entwickelte sich beim Wesen, das später der moderne Mensch werden sollte, das Gehirn schneller und besser im Vergleich zu den Mitbewerbern und Mitbewerberinnen. Mit diesem «grösseren Rechenzentrum» konnte sich der Mensch gegenüber anderen Lebewesen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Er verfügte nach nur ein paar Hunderttausend Jahren über die Kapazität, Hilfsmittel und Werkzeuge zu kreieren und zu entwickeln. Durch immer komplexere Gedankengänge wurde es nun möglich, spitzige Jagdgeräte und Schneidewerkzeuge zu schaffen, um damit grössere Beute zu erlegen und diese dann zu einer Mahlzeit zu verarbeiten. Ebenfalls konnte man sich durch das Anfertigen von Kleidung besser gegen die widrigen Einflüsse des Wetters schützen.

Es kam der Zeitpunkt, in dem das Gehirn nicht mehr ausschliesslich dazu diente, das Überleben durch Nahrungssicherung oder Konkurrenzkampf zu gewährleisten. Es konnte für höhere Zwecke eingesetzt werden. Die Kapazität des Gehirns erlaubte es dem Menschen irgendwann, Sprache zu entwickeln, Zeit für andere Überlegungen aufzubringen und diese auch in der Gruppe zu teilen.

Es ist denkbar, dass die Grundlagen für komplexe Sprache bereits vor etwa 70’000 Jahren existierten. Auch andere, inzwischen ausgestorbene Menschenarten entwickelten vermutlich eine Art von Sprache. Ich bin überzeugt, dass Glaube, Kultur, Politik und Soziales seit der Entstehung der verbalen Kommunikation untrennbar miteinander verwoben sind. Genauso wie sich vor langer Zeit eine neue Gattung vom Menschenaffen abzweigte und sich zum heutigen modernen Menschen entwickelte, entwickelte sich auch die Kapazität des Gehirns weiter und die Bandweite dessen, was man damit anstellen konnte.

Es ist nicht auszuschliessen, dass sich so auch ein Glaube an etwas Übermächtiges entwickelt hat. Ich benutze absichtlich das Wort «übermächtig» anstelle des Wortes «Gott», da angenommen wird, dass bei den ersten Religionen eher die Natur und die Umgebung, in der man sich bewegte, verehrt wurde. Dem Wald wurde dafür gedankt, dass er schmackhafte Früchte bot und die Möglichkeit eröffnete, ein Tier zu erledigen. Die Maya hatten bis vor 1’000 Jahren ja auch einen Mais-Gott als wichtigsten Gott. Kein Zufall: Nicht nur waren wir Menschen angeblich aus Maismehl geformt worden, Mais war auch das wichtigste Nahrungsmittel dieses Volkes.

Wie bereits erwähnt, war die Entwicklung der Sprache eine Voraussetzung für die Entstehung verschiedener Religionen und Lebensphilosophien. Die Sprache ermöglichte uns vieles und unterschied uns letztendlich von anderen Lebewesen. Man kann sich also kaum vorstellen, wie es dem ersten Menschen erging, der vor zigtausend Jahren irgendwo in einer Höhle oder einem Unterschlupf sass und sich nach dem Sinn des Lebens fragte oder versuchte, eine Erklärung für das ganze Drumherum zu finden. Wann genau dies war, wird wohl immer ein Geheimnis bleiben – und finde das ganz gut so. Für diesen Menschen muss es schrecklich einsam gewesen sein, denn er oder sie hatte niemanden, an der oder sie sich wenden konnte, um Antworten auf die vielen Fragen zu finden.