Kreuzfahrt der Eitelkeiten - Klaus Marschall - E-Book
SONDERANGEBOT

Kreuzfahrt der Eitelkeiten E-Book

Klaus Marschall

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Für Dirk »Kuppi« Kupjoweit ist das Leben vor allem eines: nicht langweilig. Neben seinem Beruf als Feuerwehrmann ist er nämlich leidenschaftlicher und professioneller Zauberer, der in seinen Shows die unterschiedlichsten Gemüter zu unterhalten weiß. Dieser Leidenschaft geht er auch auf Kreuzfahrten nach, doch diesmal ist er es, dem Überraschungen bevorstehen. Denn seine Freundin Julia taucht überraschend an Bord auf mit dem festen Ziel, die gemeinsame Zukunft zu planen … just in dem Moment, als Dirk seinen Jugendschwarm Sylvie unerwartet unter den Gästen wiedersieht. Zu allem Überfluss intrigiert der Künstlerdirektor an Bord gegen ihn und auch sein Erzfeind aus Schultagen lauert auf seine Chance, ihm Böses zu tun. Nicht genug damit, birgt Sylvie ein dunkles Geheimnis, mit dem sie Kuppi vollends ins Desaster stürzt …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 308

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Klaus Marschall | Frank Katzmarek

Kreuzfahrt der Eitelkeiten

Ein Zauberer und seine skurrilen Erlebnisse auf See

Klaus Marschall und Frank Katzmarek: Kreuzfahrt der Eitel­keiten. Ein Zauberer und seine skurrilen Erlebnisse auf See. Hamburg, Charles Verlag 2022

Originalausgabe

EPUB-ISBN: 978-3-948486-67-9

PDF-ISBN: 978-3-948486-66-2

Dieses Buch ist auch als Print erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

Print-ISBN: 978-3-948486-65-5

Umschlaggestaltung: © Annelie Lamers, Hamburg

Umschlagmotiv: Schiff © pikisuperstar/freepik.com; Frauen © sentavio/freepik.com; Hand/Sterne © Dooder/freepik.com

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://www.dnb.de/ abrufbar.

Der Charles Verlag ist ein Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg

_______________________________

© Charles Verlag, Hamburg 2022

Alle Rechte vorbehalten.

www.charlesverlag.de

Inhalt

„Ostwestfalen – Bielefeld – Feuerwache: Langeweile“

„Kuppi“

„Koffer packen und Aufbruch:Vor der Kür kommt die Pflicht“

„Am Flughafen: Der Wahnsinn beginnt“

„Im Flugzeug … immer lächeln!“

„Auf dem Schiff“

„Die Vergangenheit Teil 1“

„Liebe Kollegen und das Haifischbecken des Künstlerneids“

„Die Vergangenheit Teil 2“

„Volle Kraft voraus!“

„Premiere und Unerwartetes“

„Neue Situation“

„Landausflug mit Geheimnis“

„Kleine Rache am Rande“

„Erklärungsnot“

„Angespannte Entspannung“

„Das Leben auf dem Schiffund Erinnerungen“

„Streit, Soloprogramm undTrudchen Höppner“

„Ein Unglück kommt selten allein“

„Unbedachte Worte und deren Folgen“

„Der Sturm bricht los“

„Gute Miene zum bösen Spiel,aber die Fassade bröckelt“

„Verzweifelte Versuche“

„Absturz“

„Totaler Schiffbruch und Abrechnung“

„Die Abrechnung“

„Trübselige Flaute“

„Die Großwetterlage ändert sich“

„Die Geschichte davor“

„Am Ziel“

„Die Autoren“

Ostwestfalen – Bielefeld – Feuerwache: Langeweile

Willst Du leiden Höllenqualen, gibt es nur eines: Ostwestfalen.

Siehst Du Mieses in der Welt, bist Du wohl in Bielefeld.

Bielefeld, du schöne Stadt … streiche »schön«, nimm besser »fuck«.

Das sind die Sprüche, die mir als erstes einfallen, wenn ich überlege, wie Nichteinwohner die Ostwestfalenmetropole beschreiben. Ich weiß, den Begriff »Metropole« zu benutzen ist vermessen, sofern man solche Orte wie Berlin, München, Hamburg, Frankfurt oder Köln daneben stellt. Ganz zu schweigen von internationalen Megacitys wie New York, Sydney, Tokio oder Istanbul.

Bielefeld besitzt in der öffentlichen Meinung den Charme der gewissen Leere. Nicht von Ungefähr hat sich in Verbindung mit meiner Heimat die Verschwörungstheorie entwickelt, dass es sie gar nicht gibt. Unsäglich, aber irgendwo auch nachvollziehbar, spiegelt es doch die Unentschlossenheit und Zerrissenheit des Erscheinungsbildes wider. Bielefeld ist das Paradebeispiel dafür, sich nicht entscheiden zu können. Es ist zu groß für eine Kleinstadt, aber zu klein für eine Großstadt. Die ortsansässige Fußballelf Arminia pendelt stetig orientierungslos zwischen den verschiedenen Profiligen hin und her und ist allein siebenmal aus der 1. Fußballklasse abgestiegen. Die Existenz eines U-Bahnnetzes steht für den Versuch, nach Großem zu streben, wirkt jedoch aufgrund der äußeren Rahmenbedingungen merkwürdig deplatziert. Steht man nun wiederum kurz davor, Bielefeld als pure Provinz mit Geltungssucht abzuqualifizieren, fällt einem ein, dass weltweit operierende Großkonzerne wie Dr. Oetker, Bertelsmann und Miele hier ansässig sind. Wie gesagt, die Stadt kann sich nicht entscheiden …

Genauso verhält es sich im Grunde genommen mit meinen besten Kumpeln Olaf »Öli« Hövelkröger, Thomas »Triene« Sunderkötter und Christian »Katschka« Otterpohl. Alle drei befinden sich in dem Wechselbad der Gefühle, sehnsüchtig gedanklich nach Dingen zu greifen, die von der rauen Gegenwart durchkreuzt werden.

Öli sieht sich in der Fantasie als Biker und muskulöser Harley-Hasardeur frei und ungebunden auf dem Highway 1 der Abendsonne Kaliforniens entgegenwubbern. Die wilde, langmähnige Haartracht wird vom Wind gekämmt und die Augen sind hinter einer coolen Sonnenbrille versteckt.

In Wirklichkeit reicht seine freie Entfaltung – nach täglich verrichtetem Job als Versicherungskaufmann mit Spezialgebiet Riester Rente und ähnlichen Gaunereien – maximal bis zum Gartenrand des noch lange nicht abbezahlten Eigenheimes. Spätestens dann erreicht ihn die brüchig-schnarrende Stimme seiner Frau Tanja, die ihn mit unzähligen Anweisungen überschüttet. Der Tonfall lässt einiges an Geringschätzung spüren. Geringschätzung dafür, dass Öli mittlerweile ganzjährig beachtlichen Winterspeck mit sich herumträgt. Geringschätzung dafür, dass seine ehemals adlerartige Sehstärke der eines Maulwurfs gewichen ist und nur noch mit Brillengläsern hoher Dioptrienzahl ausgeglichen werden kann. Geringschätzung dafür, dass sich in die einst sprießende, wuschelige Haarmatte tiefe Schneisen an Geheimratsecken hineinfressen. Geringschätzung dafür, dass die zupackende, handwerksbegabte Art von damals nur gespielt war und Olaf bei genauer Betrachtung noch nicht einmal eine Reißzwecke unfallfrei in eine Pinnwand drücken kann. Und nicht zuletzt Geringschätzung dafür, dass die Ehe immer noch kinderlos ist, wobei keineswegs geklärt ist, ob Tanja oder Öli Schuld daran trägt.

Triene, der zweite im Bunde, scheint im ersten Moment das genaue Gegenteil von Öli zu sein. Groß gewachsen, sportliche Figur, braun gebrannt, volles dunkles Haar und finanziell gut aufgestellt gibt er sich gerne in jeder Hinsicht potent und selbstsicher. Allerdings wohnt er im Alter von Ende 30 immer noch zu Hause und hängt unverändert am finanziellen Tropf seines Vaters, Inhaber des erfolgreichen mittelständischen Unternehmens »KlinSunBi«, welches Türverschlüsse unterschiedlichster Art herstellt und damit zu den weltweit führenden Vertretern der Branche zählt. Sämtliche Ausbildungsanläufe hat Triene abgebrochen und steht nun ohne jedweden Abschluss da, bis auf die Fachoberschulreife, die er auch nur mit Ach und Krach und dem Einfluss des Namen Suderkötter zugesprochen bekam. Zu allem Überfluss kommt er wie selbstverständlich allem nach, was sein »Mamachen« ihm vorgibt, und sei es auch nur, bei kaltem Wetter warme lange Unterhosen mit Eingriff zu tragen. Kein Wunder also, dass Thomas im Spannungsfeld des Versagers – so sieht ihn der Vater – einerseits und des Muttersöhnchens – so prägt ihn sein Mamachen – andererseits keine dauerhafte Frau findet. Dabei hätte er gerne eine feste Beziehung.

Katschka kommt mir von den drei Freunden am nächsten, allein schon, weil er mein Arbeitskollege ist und wir uns deswegen häufiger sehen. Hätte er nicht schon sehr früh die Segel auf Familienplanung – inklusive der verantwortungsvollen Übernahme der Vaterrolle mit allen Pflichten – gestellt, wäre aus ihm Anfang der 90er-Jahre wahrscheinlich ein gefeierter Rockstar geworden. Als Gründer und Frontsänger der Crossover-Band »Bleeding Smokegun« gelangen ihm Anfang der 90er-Jahre mit »Virgin Terror«, »Fairytale Murder« und »Bielefeld and other stuff« veritable Hits. »Bleeding Smokegun« wurde schon in einem Atemzug mit den »H-Blockxs« genannt, bevor Katschka die Leine zog und völlig überraschend ausstieg. Das bereut er heute sehr, denn seine ehemaligen Kumpanen avancierten mit dem neuen Sänger zu internationalen Rockgrößen. Demgegenüber rutschte ihr Ex-Frontmann in die Rolle des personifizierten Durchschnitts, wenn man davon absieht, dass er mit seinem damaligen Groupie und der jetzigen Ehefrau Sille sechs Kinder in die Welt setzte. In ihrem unerschöpflichen Anspruchsdenken treiben die Sprösslinge Christian in den Wahnsinn, denn ihm ist schleierhaft, wie er deren Bedürfnisse erfüllen soll. Handys und Spielekonsolen müssen auf dem neuesten Stand sein, natürlich ausgestattet mit den entsprechenden Games. Die Fahrräder dienen, neben dem inzwischen unbedeutend gewordenen Umstand eines Fortbewegungsmittels, vornehmlich als Aushängeschild der eigenen Person, quasi als persönliche Visitenkarte. Und so weiter und so fort.

Sämtliche Einnahmen aus den vergangenen Hits und ein großer Teil des Verdienstes geht in die Abzahlung des geräumigen Hauses samt dessen Unterhalt, wobei Katschka als geschickter Handwerker vieles selbst macht. Das verschlingt wiederum einen erheblichen Teil seiner Freizeit. Kein Wunder, dass Christian von mir dankbar Angebote annimmt, wenn ich ihn bitte, für 100 Euro Handgeld einen Nachtdienst von mir zu übernehmen. Es ist sogar so, dass er mich häufiger aufsucht mit den Worten: »Hast du mal wieder einen Dienst für mich?«

So verschieden Öli, Triene und Katschka auch sind, so verbunden sind sie – außer durch die gemeinsame Freundschaft mit mir und untereinander – durch die Begeisterung für ihre Schützenbruderschaft im »Schützenverein Maria Bielefeld 1958 e.V.«. Für einen gemeinsamen, geselligen Abend lassen sie alles stehen und liegen. Steht darüber hinaus gar das einmal im Jahr stattfindende Schützenfest an, herrscht alkoholnebeliger Ausnahmezustand.

Erwachsene Personen zwängen sich in alberne, grüne Uniformen, deren Jacken die meisten nicht mehr schließen können, da ihnen die pralle Bierplauze im Wege steht. Die einfachen Schützen­brüder schultern Holzgewehre und marschieren im besoffenen Zustand unter den Befehlen eines ebenfalls lächerlich daherkommenden Hauptmannes. Bei der Ankunft auf dem Festplatz übergibt der Befehlsgebende unter den Kommandos »Rechts um!«, »Gewehr ab!« und »Rührt Euch!« die Kompanie dem Schützenkönig, der dann nach einigen bedeutungsschweren Dankesworten die Truppe zum Feiern entlässt. Auf dem männerbeherrschten Festzelt lässt man willfährig sämtliche Evolutionsfortschritte rückwärts laufen und gefällt sich darin, gleich einem Höhlenmenschen zu rülpsen, zu furzen und – je länger der Abend dauert – zu kotzen. Auch die Verständigung reduziert sich im Verlaufe der Feier zunehmend auf einfache Grunzlaute, die jedoch untereinander verstanden werden, getreu des Mottos »Gleich und Gleich gesellt sich gern«. So ist es genau genommen immer, wenn männerbestimmte Traditionsveranstaltungen stattfinden. Frauen sind auf dem Festzelt unerwünscht und deren Zutritt ist untersagt. Es sei denn, sie müssen ihren volltrunkenen Gatten abholen, der kurz vor dem Pupillenstillstand und dem Verlust der Muttersprache steht.

In diese Welt bringen mich keine zehn Pferde, auch nicht meine besten Freunde.

Ich kann aber verstehen, warum Öli, Triene und Katschka sich dem althergebrachten, biederen Treiben hemmungslos hingeben – und alle Rheinländer sollen sich bloß hüten, sich lustig darüber zu machen, denn sonst lasse ich mich näher über das befohlene Lustigsein namens Karneval aus.

Es bedeutet für die drei eine willkommene Flucht aus den Alltagsfesseln. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, sich den Vorgaben einer Vereinssatzung unterordnen zu müssen. In diesem Fall haben weder die tyrannisierende Ehefrau noch die fordernden Eltern, noch die renitenten Kinder ihre Finger im Spiel. Hier herrscht echte gleichgesinnte Vereinsmeierei. Hier können sich meine besten Kumpel in dem Gefühl der Freiheit und der losgelösten Entfaltung einlullen und sich gegenseitig in alkoholseliger Runde immer noch die Erreichbarkeit ihrer Träume vorgaukeln.

Im Gegensatz zu Öli, Triene und Katschka benötige ich zu meiner Erleichterung keine künstlich geschaffenen Wunschnischen und das ist fern jeder Arroganz gemeint.

Woher kommen eigentlich diese ganzen Gedanken? … ach ja … ich sitze im Wachraum der Feuer- und Rettungswache »Nord« Bielefeld und schiebe Nachtschicht. Also muss ich mir etwas einfallen lassen, um nicht einzuschlafen, sofern kein Einsatz ansteht. Grübeleien helfen ein wenig die Müdigkeit zumindest vorübergehend zu vertreiben.

Habe ich mich eigentlich schon vorgestellt? Nein? Oh pardon, dann hole ich das jetzt nach.

Kuppi

Ich heiße Dirk »Kuppi« Kubjoweit, bin noch keine 40 Jahre alt, weise eine Körpergröße von 1,75 Metern auf und besitze einen vertretbar leichten Bauchansatz. Mein Haar ist nicht nur voll, sondern auch noch komplett dunkel und ich habe eine wunderbare, langjährige Freundin mit Namen Julia – von mir allerdings nur liebevoll »Puschel« genannt – die neben ihrem Job als Krankenschwester außerdem Krankenhausmanagement studiert. Meine Ausbildungen zum Feuerwehrmann samt Rettungssanitäter waren mir als Betätigungsfelder zu wenig. Deshalb tummele ich mich nebenberuflich im illustren Zaubererkreis des »magischen Zirkels Deutschland« und übernehme darüber hinaus außerhalb des Dienstes – wenn gewünscht – Moderatorentätigkeiten.

Auf meinen Reisen quer durch Deutschland im Dienste der leichten Muse passieren so viele Dinge, für die andere mehrere Leben brauchen. Menschliche Abgründe, regionale ­Verhaltensunterschiede und ethnische Eigentümlichkeiten sind mir in verschiedensten Facetten bekannt und bereichern wohltuend meinen geistigen Horizont. Auf all die Erfahrungen, die ich auf diesem Wege bis jetzt schon machen durfte, schaue ich mit Vergnügen und zum Teil sogar herzhaft lachend zurück.

Die Zauberei hat viel zu bieten, was diese Tätigkeit so abwechslungsreich für mich macht. Angefangen von unterschiedlichen Planungsvorstellungen zwischen dem Gastgeber und mir über Bezahlungsschwierigkeiten bis hin zu Mentalitätsunterschieden in verschiedenen Kulturräumen.

»Ich habe mir das so gedacht«, höre ich so manches Mal von ahnungslosen Laienorganisatoren, »Sie starten um 19 Uhr, denn der Empfang wird um 18 Uhr stattfinden.«

»Ne, das kann ja gar nicht sein!«, antworte ich dann darauf, aus der Erfahrung heraus, dass derartige Ablaufpunkte länger dauern. Beratungsresistent heißt es dann: »Doch, das machen wir so. Von 18 Uhr bis 19 Uhr ziehen wir das Essen durch und dann fangen sie an.« Mit den gedachten Worten »Bitte, die Fehlplanung gehört Ihnen«, überlasse ich den Gastgeber dann seinem Schicksal.

Wie erwartet, nimmt das planerische Chaos seinen Lauf und folgerichtig zieht mich der Verantwortliche um 19 Uhr beiseite: »Mensch, das hat sich alles dermaßen verzögert! Erst vor einer halben Stunde kamen die letzten Gäste, die Begrüßung dauerte so lange. Jetzt können wir erst mit dem Essen loslegen. Zu allem Übel bekomme ich aus der Küche auch noch die Info, dass das Festmahl ungefähr zwei Stunden beansprucht. Aber sie haben doch noch Zeit, ne?« Zur Überraschung meines Gegenübers erkläre ich: »Nein, ich habe keine Zeit. Sehen Sie, das ist heute bereits meine zweite Veranstaltung in dieser Region. Ich hatte schon gestern drei im Raum Münsterland, morgen kommen noch vier im Ruhrgebiet/Niederrhein dazu und übermorgen fliege ich zu einer Veranstaltung nach München. Deshalb will ich gleich schnell weg, denn ich habe noch zwei Stunden Autofahrt vor mir.«

Als guter, ehrgeiziger Alleinunterhalter, der unter anderem stark von positiver Mundpropaganda lebt, lasse ich mich aber gnädigerweise breitschlagen, warte, absolviere das 45-minütige Programm und gebe sogar noch eine 10-minütige Zugabe obendrauf. Nun könnte man erwarten, der Gastgeber zollt mir Dankbarkeit, die er auch zeigt … nichts da! An Dreistigkeit kaum zu überbieten folgt: »Das war ja alles ganz toll, aber die vereinbarte Länge der normalen Aufführung betrug 42 Minuten anstelle von 45 Minuten. Da müssen wir uns aber noch einmal über die Gage unterhalten.«

Bereits Frechheit gewohnt, reagiere ich schlagfertig: »Das ist überhaupt kein Problem, drei Minuten Verkürzung bedeuten meinetwegen 50 Euro Erlass, weil ich so ein guter und zuvorkommender Mensch bin. Dumm nur, dass ich zwei Stunden warten musste, die nun in Rechnung zu stellen sind. Kommen also 100 Euro Gage drauf. Somit wäre das Ganze für Sie unter dem Strich 50 Euro teurer, als zunächst vereinbart … Oder sollen wir das Ganze doch lieber so belassen, wie ursprünglich geplant? Ihre Entscheidung.« Der Veranstalter begleicht die Rechnung anschließend in aller Regel anstandslos.

Die Zahlungsmoral der Auftraggeber ist sowieso eine ganz eigene Geschichte: In einem anderen Zusammenhang klatschte mir bei einem Auftritt niemand Beifall, egal was ich auch versuchte. Nach der Darbietung aber rief das Publikum einhellig: »Zugabe! Zugabe!« Pflichtschuldig kam ich dem Wunsch nach, erlebte jedoch wieder das Phänomen, keine Reaktion zu ernten. Aber auch nach dem Ende des Showzusatzes erscholl erneut: »Zugabe! Zugabe!«. Erst als die zweite Überlänge fertig war, entließen mich die Zuschauer. Fest überzeugt, dass der Veranstalter, der mir anschließend druckvoll die Hand schüttelte, mir offenbart: »Ich hoffe, Sie hatten nichts gegen diesen kleinen Scherz, den wir mit versteckter Kamera für die Menschen draußen an den TV-Geräten aufgenommen haben, oder? Winken Sie jetzt in diese Richtung ihren Lieben zu«, entgegnete er mir in einer beiläufigen Gehässigkeit, die ihresgleichen suchte, stattdessen: »Das hat meiner Mutter zum Sechzigsten ganz toll gefallen. Ganz großes Kino! Nur habe ich mir überlegt: Die Gage fällt aus.«

»Wie jetzt?« fragte ich ungläubig, perplex.

»Nö, ich zahle nicht. Wir haben ja auch keinen Vertrag. Das müssen wir jetzt irgendwie anders regeln. Außerdem hat es Ihnen doch auch ein bisschen Spaß gemacht, oder?«

Die vom Zechpreller alternativ angedachte Lösung des Problems fiel mir postwendend ein. Direkt um die Ecke befand sich eine Westernkneipe, deren Geschäftsführer – ein zwei Meter Hüne Marke Massivschrank; muskelbepackt; freier Oberkörper; mächtiges Lederoutfit; hart wirkende Ganzkörpertätowierung – ich gut kannte. Ein Telefonat samt kurzer Schilderung der Sachlage genügte und noch während des Abbaus wummerte mein Bekannter samt drei weiterer Kumpel auf schweren Harley Davidson-Motorrädern an. Eindrucksvoll betrat die Abordnung den Saal. Der Anführer ließ sich meinen Auftraggeber zeigen, schritt einschüchternd auf diesen zu und sprach in freundlichem Tonfall, der aber deutlich auf einer drohenden Basis fußte: »Guten Tag. Mensch, wir haben gehört, dass Sie Herrn Kubjoweit nicht bezahlen wollen. Das ist aber blöd, unfair, unterste Schublade, möchte ich sogar meinen. Kurz gesagt: Das missfällt mir sehr. Sie verstehen doch sicher, dass ich das anders haben will, denn ich mag Herrn Kubjoweit. Wissen Sie was? Wir sind ja keine Unmenschen. Wir gehen jetzt nach draußen und warten dort so lange, bis Sie Ihre finanzielle Schuld bei meinem Freund beglichen haben. Dann lassen wir Sie in Ruhe. Auf die Ausschmückung, was sonst hier los ist, möchte ich gerne erst einmal verzichten. Ich denke, wir kommen auch so überein.« Langsam schlurften die vier Rocker aus dem Gasthaus und mir wurde prompt das Geld gezahlt.

Abseits der deutschen Mentalität habe ich noch mit anderen Nationalitäten zu tun, manchmal auch zu kämpfen. Nimmt man zum Beispiel den osmanischen, speziell den türkischen Bereich, zeichnet der sich durch eine außerordentliche Herzlichkeit aus. Die droht jedoch schnell ins Gegenteil zu kippen, weil die gelassene, chaotische, anarchistische Ader, die allen Vereinbarungen eher gleichgültig gegenübersteht, leicht aus dem Gleichgewicht gerät, sofern man sich in der Ehre gekränkt fühlt. Und das passiert schnell.

Oft bin ich auf traditionellen, türkischen Beschneidungsfesten, zu denen sich bis zu 700 Leute einfinden. Alles fängt damit an, dass grundsätzlich Zeitabsprachen ähnlich wichtig sind wie Meerschweinchen: Ganz nett, aber unnötig, also überflüssig.

Gilt die Absprache: Um 19 Uhr ist der Beginn, wird das Programm garantiert NICHT um 19 Uhr starten. Mit tödlicher Verlässlichkeit wird etwas dazwischenkommen. Dem Signalisieren von Dringlichkeit, schließlich gibt es für mich Anschlusstermine, begegnet die Feiergesellschaft mit kumpelhaft gestikulierenden, umarmenden Beschwichtigungsversuchen: »Ey, pass auf, wir ham doch Zeit, is doch Feier. Hast noch anders vor? Ey scheißegal, weißt du? Bist du hier, feierst du mit, setzt disch an Tisch, alles gut.«

Erst wenn die Erwachsenen entspannt essen wollen, rückt ungefähr zwei Stunden später der Kinderbelustiger – also ich – ins Rampenlicht. Der soll während des Festmahls, bestehend aus Hähnchen und Krautsalat, die lieben Kleinen in seinen Bann ziehen. Unter ohrenbetäubendem Lärm starte ich gemeinhin meine Darbietung.

80 bis 90 Kinder sitzen bei den ersten Kunststücken vor mir und verursachen ein Höllenspektakel, das im Verlauf noch dadurch angefacht wird, dass die Zöglinge ausgetauscht werden. So wird der kleine Erkan zum Essen abgeholt, dafür der renitente Özgür hingesetzt, die freche Dliek nimmt den Platz der schreienden Ayse ein und so fort.

Eines ist auf jeden Fall klar: Ich höre auf solchen Festen nach meiner 30- bis 40-minütigen Show nie mit dem Publikum auf, welches zu Anfang vor mir saß.

Die Geräuschkulisse lässt mich zudem immer glauben, ich zaubere im Endeffekt nur für mich allein.

Oftmals sind alle froh, wenn ich fertig bin, denn dann ist die Verpflegung abgeschlossen und der Beschneidungstanz drängt auf Durchführung. Dieses Ritual besitzt eine hohe Bedeutung, denn zur Wertschätzung des Anlasses werden an die Kleidung des Beschneidungskindes Geldscheine angesteckt. Natürlich ist in dem Moment der Pausenfüller und Kinderbespaßer überflüssig.

Angenehmerweise gibt es bei solchen Festen keinen Alkohol, weswegen viel seltener gepöbelt oder gemotzt wird. Dafür führt verletzte Eitelkeit ganz schnell an die Grenze von Ausfälligkeiten und Aggressionen. Kurzes Beispiel: Manchmal wird mein Angebot genutzt, Luftballontiere zu knoten, ein Highlight für die Kinder. Kein Wunder also, dass sich schnell eine Schlange bildet, in der Geduld gefragt ist. Diese Eigenschaft zählt jedoch nicht unbedingt zu den Stärken der Türken, gerade auch dann, wenn der Verteidigungs- und Beschützerinstinkt des Vaters eines quengelnden Kindes geweckt wird.

»Ey, pass auf, Scheißendreck!«, beginnt es unheilvoll. »Warum kricht mein Kind nicht Ballon? Is mein Kind scheiße für dich oder was?«

»Nein, es steht nur weiter hinten in der Schlange. Gleich kommt es dran«, versuche ich zu beruhigen mit dem Ziel, die Ordnung einzuhalten. Das stößt allerdings auf taube Ohren, denn es geht weiter: »Ey, pass auf, machst du schnell für mein Kind, das hat noch drei Geschwister … alles gut, okay?«

Ruckzuck schummeln sich bei der Aussicht auf Erfolg noch andere Kinder dazwischen, womit sich logischerweise ein unzufriedenes Gemurmel der dahinter Wartenden erhebt, das in Unmutsäußerungen anderer Väter gipfelt: »Kann nicht sein, wieso ziehst du die jetzt vor? Ey, pass auf, weißt du Bescheid. Mein Kind wartet jetzt halbe Stunde und du machst erst für den anderen Drecksack! Hast du was gegen mich?!«

Innerhalb von Sekunden nimmt das unbeabsichtigte Wirrwarr seinen Lauf, was sich dermaßen aufschaukeln kann, dass mir der Gastgeber vorzeitig die Gage aushändigt mit den Worten: »Brich mal ab, steige in dein Auto und verschwinde schnell. Sonst eskaliert das hier noch und endet ganz böse.«

Die Lehre für mich: Luftballontiere nur dann, wenn maximal vierzig Kinder da sind, denn jede Figur dauert ungefähr eine Minute. Somit hält sich die Wartezeit im überschaubaren Rahmen und vor allem gelange ich noch zum eigentlichen Grund meines Erscheinens, dem Auftritt als Zauberer.

Neben dem Schaulaufen landauf, landab bin ich mittlerweile auch noch auf ganz anderen Planken unterwegs. Und soll ich etwas verraten? Sobald ich diese Schicht hier hinter mich gebracht habe, zieht es mich auf und davon, und zwar ganz dekadent. Auf mich wartet ein Kreuzfahrtschiff, welches mich zwei Wochen lang durch die gesamte Mittelmeerregion von der Türkei, Griechenland, Zypern, Malta, Tunesien, Algerien, Italien, Spanien bis nach Frankreich schippert. Auf der Route liegen Istanbul, Rhodos, Alanya, Limassol, La Valletta, Tunis, Sardinien, Algier, Alicante, Palma de Mallorca, Barcelona und Nizza. Ist das nicht genial?

Ungeduldig wandert mein Blick auf die Uhr der spärlich ausgestatteten Wachstube. Das Notwendigste an technischer Ausstattung und Mobiliar ist da, mehr aber auch nicht. Wozu auch wohlfühlen? Der Mitarbeiter könnte sich ja daran erinnern, dass Arbeit Spaß machen kann. Die röchelnde Kaffeemaschine, deren Produktionsprozess mir den aromatischen, schwarzen Lebenssaft gewährleistet, ist das einzige Extra im Kabuff und gleichzeitig die einzige Geräuschkulisse. Noch eine Viertelstunde, dann heißt es »Ab durch die Mitte«. Davor werde ich mir eine Tasse flüssige Koffeindröhnung verpassen, um den letzten Rest an Schläfrigkeit …

»Moin, Kuppi. Alles im Lack?!« Ich zucke zusammen, drehe mich auf dem Stuhl um und sehe den mir entgegengestreckten Hintern von Kumpel und Kollege Katschka, der gerade seine Tasche mit Tagesverpflegung verstaut. »Mein lieber Scholli, hast du mich erschreckt!«, entfährt es mir und ich atme nach der kurzen Anspannung erleichtert aus. »Warum bist du denn heute so überpünktlich? Du kommst doch sonst nie eine einzige Sekunde zu früh.«

Katschka stellt sich daraufhin vor mich und verschränkt die kräftigen Arme vor seinem imposanten Brustkorb. Er macht sich noch größer, als er ohnehin schon ist, legt seinen Kopf schief, sodass die immer noch lockige Haarpracht auf die Schulter fällt, und grinst breit: »Na, mein Lieblingsfeuerwehrmann verabschiedet sich heute doch für zwei Wochen auf einen Urlaubsdampfer der oberen 10.000. Da will ich mich als Mitglied des Pöbels angemessen und unterwürfigst von ihm verabschieden.«

»Ich sehe dem Untertanen die Unverschämtheit des Anschleichens nach und lächle gütig und verständnisvoll als Zeichen meines grenzenlosen Großmutes.« Lachend stehe ich auf, gehe auf Katschka zu und wir umarmen uns sowohl innig als auch herzlich.

»Mir ist bewusst, dass Geschmeiß es nicht wert ist, aber darf ich Unwürdiger um eine Tasse Kaffee bitten?«, spinnt Christian das begonnene Spiel weiter und ich nehme den Faden auf: »Wohlan, wohlan. Lasse er es sich gut gehen.«

Wir schenken uns ein, mein Kumpel lehnt sich an den Schreibtisch, ich nehme wieder auf dem Stuhl Platz und wir schauen uns lächelnd und leicht nickend an. Wir sagen zwar kein Wort, aber der gegenseitig zugeworfene Blick spiegelt unsere langjährige Freundschaft und Vertrautheit wider. Ich fühle mich … wie soll ich es sagen? … verstanden. Ein paar Sekunden später senkt Katschka den Blick, starrt versonnen und verstohlen in seine Tasse, so als wolle er mit etwas herausrücken, wisse aber nicht wie. »Was gibt’s mein Bester? Rück schon mit der Sprache raus«, locke ich ihn. Erleichtert ergreift Christian die Aufforderung: »Sag mal, hast du vielleicht in nächster Zeit Dienste, die deiner Zauberei im Weg sind und die ich übernehmen könnte? Mona – du weißt doch, meine Älteste – spart für einen Motorroller und ich kann es nicht mit ansehen, wie langsam es vorangeht. Ich will sie dabei unterstützen.«

»Klar«, antworte ich wissend und verständnisvoll. »Da findet sich bestimmt etwas. Ist mir ein Fest, dir zu helfen.« Dankbar schaut Katschka mich an und just in dem Moment, als er den Mund öffnet, um etwas zu sagen, geht ein Alarmruf ein: »Zentrale, Großbrand in der alten Ravensburger Spinnerei. Verdacht auf Gefahrstoffgut im Inneren des Hauses. Personen sind nicht zu Schaden gekommen und sind wohl auch nicht in Gefahr. Ausrücken mit großem Besteck.«

»Tja, mein Lieber, besser kann es für mich nicht laufen. Du arbeitest, ich gehe auf Reisen.«

Christian schüttelt mir zum Abschied kurz die Hand, sagt »Schiff Ahoi« und begibt sich ans Werk, während ich in aller Ruhe meine Sachen greife.

Ich schlendere entlang der Flure zum Ausgang. Die alarmierten Kolleginnen und Kollegen rennen mir geschäftig, aber routiniert entgegen. Sie brüllen vereinzelt Grußworte à la »Kuppi, Mast- und Schotenbruch« oder »Streichle ’ne Robbe von mir«, bevor sie in ihre zugewiesenen Feuerwehr- beziehungsweise Rettungswagen verschwinden.

Ich gehe zum Auto, warte ab, bis die Einsatzarmada das Gelände verlassen hat und betrachte inzwischen meinen mit Werbung verzierten Wagen. »Zauberei, Moderation, Comedy – Unterhaltung, die aus dem Rahmen fällt« kündet von den Diensten Dirk Kubjoweits. Inbegriffen ist meine Kunstfigur des »Magier Spartuni«, ein Anagramm zum mystischen Wanderprediger und angeblichen Geistesheiler Rasputin. Der hatte am russischen Zarenhof Anfang des 20. Jahrhunderts sein undurchsichtiges Spiel getrieben, was letztendlich 1916 in seiner Ermordung gipfelte. Schon im Geschichtsunterricht, es ging um die Verhältnisse im Vorfeld der Oktoberrevolution im damaligen Zarenreich, hatte mich diese sagenumwobene Gestalt wegen ihrer unerklärlichen Machtausübung auf Menschen in den Bann gezogen. Seitdem faszinierte mich Rasputin und als Zeichen für diese Passion puzzelte ich seinen Namen auf mich um.

Als auch der letzte Ton des Sirenengetöses verklungen ist, fahre ich los.

Mein Weg führt als nächstes zum Bielefelder Krankenhaus im Zentrum der Stadt. Nicht etwa, dass ich Beschwerden hätte, nein, ich bin mit Puschel zum Frühstück in der dortigen Cafeteria verabredet, da sie ja als Krankenschwester arbeitet und wir jede Gelegenheit nutzen, uns zu sehen. Es ergeben sich nicht viele solcher Möglichkeiten, was daran liegt, dass Puschel stark eingebunden ist und ich entweder dienstlich beschäftigt bin oder mich Zauberer- beziehungsweise Moderatorenengagements deutschlandweit auf Trapp halten. Mittlerweile weist mein Buchungskalender im Schnitt stolze 250 Auftritte pro Jahr aus. Da ich beim Betreten der Cafeteria Puschel nicht finden kann, besorge ich mir schon einmal etwas zu essen und setze mich an die Fensterfront des ganz oben im Hospital gelegenen Speiseraums. Es ist wunderschönes, heiteres Frühlingswetter. Die Sonne durchflutet den Raum und ich genieße ihre Strahlen, welche ich mir mit geschlossenen Augen auf mein Gesicht fallen lasse. Es herrscht nahezu völlige Stille, denn zu dieser Tageszeit um 6:30 Uhr bevölkern nur sehr wenige Menschen die Cafeteria. Herrlich! Ich sauge diese Atmosphäre in mich auf und nehme sie als Vorbote für die anstehende Schiffsreise. »Magier Spartuni« on Tour ins Paradies.

»Hallo, mein Schatz, wie ich sehe, geht es dir gut.« Ich öffne die Augen und sehe eine wunderschöne, süße, blonde Frau, deren langes Haar ihres Jobs wegen zu einem Pferdeschwanz gebunden ist. Aus dem zarten Puppengesicht strahlen mich die großen, klaren blauen Augen wach und fordernd an. Die Nase ist spielerisch, vorwurfsvoll, keck gerümpft und ihr ansteckend lachender Mund entblößt zwei Reihen makelloser Zähne. Meine Julia! Ohne Sport zu treiben, hat Puschel eine Wahnsinnsfigur. Es ist alles da, was man haben möchte, ist dort, wo es sein sollte, und besitzt genau die Proportionen, die man sich wünscht. Und dieser Traum von einer Frau hält es bereits seit über zehn Jahren mit dir aus und ist immer noch an deiner Seite, einem Mann, dessen Körpermaße inzwischen Konfektionsgröße 54 benötigen, der dauernd auf Achse ist, körperliche Fitness nur aus der Ferne kennt und auch nicht die Absicht hat, sich dieser auf Sichtweite zu nähern, schießt es mir mit einer Mischung aus Glück und Scham durch den Kopf. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, küsst mich Julia auf die Stirn und setzt sich mir gegenüber hin, nur um gleich darauf wieder aufzustehen. »Ich komme gleich, hole nur schnell eine Kleinigkeit gegen den Hunger.«

Puschel und ich gleichen uns in vielerlei Hinsicht. Stets stehen wir unter Dampf, sind auf dem Sprung, etwas machen zu wollen oder haben das Gefühl, einer Pflicht nachkommen zu müssen. Da wir auf zwei komplett verschiedenen Gebieten umhertollen, entzweit uns unser Hang, sich getrieben zu fühlen. Gleichzeitig bildet er aber auch einen stark bindenden Kitt, weil die miteinander verbrachte Zeit umso kostbarer ist. Mag sie auch noch so eng bemessen sein.

Mit »Mann, habe ich einen Kohldampf«, reißt mich Puschel aus den Gedanken und beginnt gierig, eines ihrer Brötchen aufzuschneiden, um es dann mit Honig zu beschmieren und anschließend genüsslich hineinzubeißen. »Musst du heute noch in die Uni?«, frage ich. »Ja, nach dem Dienst. Um 11 Uhr habe ich eine Statistikvorlesung. Den blöden Schein will ich dieses Semester unbedingt bestehen! Danach geht es zum Marketingseminar. Du kannst dir nicht vorstellen, wie voll meine nächsten Tage sind … wieso fragst du eigentlich? Liegt etwas Besonderes an? ... Bis auf deine Kreuzfahrt natürlich.«

»Nö, ich dachte nur, wir könnten bis zu meinem Transferflug noch ein bisschen Zeit miteinander verbringen.«

»Tut mir leid Schatz, aber ich habe mir ja schon Zeit freigeschaufelt, um dich zum Flughafen zu fahren.«

Plötzlich piept es, Julia verdreht die Augen, holt ihren Melder aus der Brusttasche und schaut auf das Display. »Tut mir leid, aber ich muss los. Scheint ein Notfall zu sein.« Schnell genehmigt sie sich noch einen großen Schluck Kaffee, beißt ein letztes Mal herzhaft ins Brötchen und gibt mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. »Wir sehen uns um halb drei, wenn ich dich von zu Hause abhole. Ich liebe dich!« Julia hastet davon, ich sehe ihr nach und von der Dankbarkeit begleitet, was für eine tolle Freundin ich habe, frühstücke ich in Ruhe zu Ende und breche auf.

Koffer packen und Aufbruch:Vor der Kür kommt die Pflicht

Unsere Wohnung, direkt in der Bielefelder Altstadt nahe dem Leineweberbrunnen gelegen, strotzt nur so vor Einrichtungsduftmarken von Puschel. Im Eingangsflur steht ein klappbarer Schuhschrank, der zu 85 Prozent von weiblichen Fußbehüllungen belegt ist. Die restlichen zwei Paar sind zum einen meine geliebten, völlig zerschlissenen, zehn Jahre alten Puschen, die Julia schon seit ewigen Zeiten wegschmeißen will. Das andere Paar sind Allwetterschuhe, die sich im Gebrauch mit jenen abwechseln, die ich gerade trage. Neben dem Schuhschrank folgt die Garderobe, an der sich selbstverständlich nur ein Kleiderbügel für mich befindet, und zwar für die Jacke, die ich jetzt dorthin bringen werde. Ansonsten hängen dort diverse Mäntel, Jacken und Anoraks, deren Besetzung vierteljährlich wechselt. Schließlich – so der Gedanke von Julia – lösen die Jahreszeiten ja auch einander ab. Der Trend rückt eindeutig von der Ganzjahresjacke ab, womit ich als typischer Repräsentant männlicher Rationalität zum Auslaufmodell zähle.

Die gleichen Mengenverhältnisse wie im Flur herrschen im Schlafzimmerschrank, im Badezimmer und im Kühlschrank. Mir war es bis zu unserem gemeinsamen Einzug immer ein Rätsel gewesen, wer die ganzen Fitness-, Halbfett-, Vollwertprodukte besorgte und ihnen ein nettes Stelldichein mit linksdrehenden, bioaktiven Joghurts an Kresse, Holunder und diversen Biosäften bot. Nun wusste ich es: Julia. Sie besorgt die Produkte in solch einer Anzahl, dass man glauben kann, sämtliche Anbieter auf dem Markt überleben nur ihretwegen.

Steht gemeinsames Kochen auf dem Plan, kann es durchaus passieren, dass ich mir zuvor zur Sicherheit eine doppelte Portion Currywurst und Pommes mit Mayo gönne. Mein Magen würde beim Anblick der möglicherweise anstehenden Grünkernpfanne schlicht seinen Dienst verweigern, obwohl der Hunger und das Grummeln deutlich das Verlangen nach Arbeit anzeigen.

Mein einziges Heiligtum in der gesamten Wohnung ist das Zauberzimmer. Hier lasse ich nur ungern jemanden hinein. Packe ich die Koffer für eine Kreuzfahrt, auf der ich engagiert bin, dauert es vergleichsweise nicht lange und ich habe die Kleidung wie Anzüge, T-Shirts, Hosen und so weiter verstaut. Geht es jedoch an die Auswahl der mitzuführenden Kunststückgegenstände, brodelt in mir ein innerer Kampf, zumindest wenn – wie jetzt – ein Teil der Reise per Flugzeug absolviert werden muss. In dem Fall gilt es, die gesamte Ausstattung, also die persönliche und professionelle, auf zwei Koffer zu streuen, deren Gesamtgewicht 23 Kilogramm nicht überschreiten darf. Ansonsten steht eine saftige Nachzahlung wegen Übergepäcks an. Dabei darf ich mir durch die vereinbarte Zusicherung des Reiseveranstalters im Vergleich zu anderen schon ein paar Kilogramm mehr leisten.

Schon gestern hatte ich damit begonnen, eine möglichst sinnvolle Aufteilung auf beide Koffer vorzunehmen. An der Aufgabe scheiterte ich kläglich, um nicht zu sagen, der Versuch endete im Chaos. Nur durch Flucht konnte ich mich dem Durcheinander entziehen. Auch der Rucksack für das Handgepäck verringerte das Problem kaum, obwohl er viel Stauraum aufwies.

Jetzt stehe ich immer noch vor dem gleichen Problem. Wo sind die Heinzelmännchen, wenn man sie braucht? Wie soll ich eine zweistündige Show in zwei Koffer bekommen, ohne anschließend enormes Gepäckübergewicht zu haben?

Der Reiseveranstalter verlangt in seinem Programm von mir einen Soloact von 50 Minuten, drei bis vier 10-minütige Mixed-Auftritte mit Kolleginnen und Kollegen, sowie eine Willkommens- und eine Verabschiedungsshow. In der Abwägung fällt somit so manche hohe Qualität eines Kunststücks der geringeren Masse und günstigeren Abmaße eines Alternativtricks zum Opfer. Die ein Kilogramm schwere, beeindruckende Kiste fällt heraus, das 150 Gramm schwere Kartenspiel kommt hinein. Die federleichten, bunten Tücher werden berücksichtigt, dem Stehtisch sage ich »Tschüss«. Nicht zu vergessen ist beim Aussuchen die hohe Altersstruktur des Publikums. Die Abnahme der Sehkraft des gemeinen Menschen über 70 erfordert Effekte, die gut sichtbar sind. So gehen die Überlegungen weiter und weiter. Und zwischendurch heißt es: Wiegen, wiegen und nochmals wiegen!

Nun geht es daran, die Koffer so zu packen, dass sie sich auch schließen lassen. So lege ich einige Sachen der Nummer »zerschnittenes Seil« neben meine Unterhosen, stecke den Federblumenstrauß in meine Socken et cetera. Die Tricks werden so lange in Einzelteile zerpflückt und verstaut, bis ich mir sage: Bist du eigentlich total bekloppt?! So findest du doch nichts mehr wieder!

Wie jedes Mal bei solch einer bevorstehenden Schiffsreise schwöre ich mir auch in diesem Fall: Dass ist garantiert meine letzte Kreuzfahrt! Den Stress tue ich mir nicht mehr an! Eine Aussage, die aller Erfahrung nach genau bis zum nächsten Angebot dauert.

Endlich ist es geschafft. Allem Unvermögen, allen Flüchen und allen Verwünschungen Lügen strafend sitze ich schlussendlich pünktlich auf gepackten Koffern und warte auf Puschel, die auch zur vereinbarten Zeit erscheint.

Ich verstaue mühsam Koffer und Rucksack in dem gebrauchten, mintgrünen Renault Twingo Baujahr 2002, der von seiner Besitzerin nach all den langen Jahren so lieb gewonnen wurde, dass sie ihn inzwischen vertraulich »Schorschl« nennt, quasi als Kind- beziehungsweise Tierersatz. Spätestens mit Ablauf der TÜV Frist im nächsten Monat wird das vierrädrige Kleinvehikel allerdings – Zusammengehörigkeitsgefühl hin oder her – wohl den Gang in die Schrottpresse antreten, so reparaturbedürftig wie es aussieht. Na ja, für den Weg zum Flughafen nach Hannover Langenhagen wird es wohl noch reichen. Von dort geht es zum Ausschiffhafen.

Während der Fahrt bleibt der Gesprächsstoff zunächst aus, nicht weil Puschel und ich uns nichts zu sagen hätten, sondern weil wir vom bisherigen, geschäftigen Treiben des Tages müde sind. Das Radio dudelt belanglos vor sich hin. Als ungefähr die Hälfte der Strecke geschafft ist, spielt das Programm passend zur anstehenden Reise das Lied »Simarik« des türkischen Superstars »Tarkan«. Ich nutze die Gelegenheit, die Stille zu knacken, indem ich Puschel an der entsprechenden Passage des Hits, in dem Schmatzlaute zu hören sind, Küsse auf Wange und Hals drücke. »Ey!«, so die Reaktion, »ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren!«. Die Miene von Julia soll Empörung zeigen. Aber das nur unter großer Anstrengung unterdrückte, geschmeichelte Lächeln enttarnt die tatsächliche Empfindung meiner Süßen.

»Weißt du eigentlich, wie sehr ich es mir wünsche, auch mal ausgiebig auszuspannen?«, setzt Puschel nun nachdenklich an.

»Was heißt hier auch ausspannen? Ich muss schon etwas tun für mein Geld«, entgegne ich in einem Ton, der klar machen soll, dass die Kreuzfahrt keineswegs nur ein reines Vergnügen ist. Das lässt die Fahrerin jedoch nicht so ganz gelten.

»Ja, du musst mehrmals deine Show abziehen, Passagiere begleiten, ihnen bei Problemen helfen, bei Ausflügen die Leute beisammenhalten, einfach der wandelnde Sonnenschein und Papa ›Hilfsbereit‹ sein. Geschenkt! Trotzdem ist doch auch eine Menge Spaß dabei, sonst würdest du es nicht machen und permanent um Seereisenachschlag buhlen.«

Ich fühle mich ertappt, was mich ein wenig peinlich berührt. Mir wird bewusst, dass Julia eigentlich immer angespannt zwischen Beruf und Studium pendelt, während ich mir das Leben um Einiges angenehmer gestalten kann und es in vollen Zügen genieße. Aus diesem Grund entfährt mir kleinlaut: »Ich kann ja bei einer der nächsten Touren schauen, ob wir zu zweit eine Passage bestreiten können. Ich unterhalte, mache meine Auftritte und dazwischen entspannen wir schön und lassen es uns gut gehen. Ich müsste ohnehin nix bezahlen und du darfst bei stark ermäßigtem Preis mit an Bord. Vielleicht bekomme ich sogar ein Engagement in die Karibik, wenn ich genug schmeichele und auch der letzten Schrabnelle das Gefühl gebe, sie sei ein goldenes Licht der Schönheit, bei der selbst Claudia Schiffer in den besten Jahren verblassen würde. Das gäbe ordentlich positive Bewertungen, na?!«

»Ach, Dirk« – wenn mein Vorname ins Spiel kommt an Stelle des Kose- oder Spitznamens, geht es ans Eingemachte – »so schön der Gedanke ist, aber es wäre doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ich bin der Meinung, dass sich etwas grundsätzlich ändern muss. Spätestens nach dem Studium will ich die Prioritäten neu ausrichten und das dauert im günstigsten Fall nur noch zwei Semester.«

In dunkler Vorahnung linse ich Julia an und taste mich zögerlich vor: »Ähem, was meinst du jetzt genau damit?«

»Na ja, schau mal. Alle meine Freundinnen sind verheiratet, haben Kinder und ein Haus. Sie sind angekommen im geordneten, relaxten Leben, besitzen geschaffene Werte und durch den Nachwuchs wissen sie, wofür sie arbeiten. Das ist doch schön. Vergiss nicht, dass meine biologische Uhr tickt.«

Nicht schon wieder! Ewig grüßt das Murmeltier