Kriegssinfonie Band 3 - Lucie Müller - E-Book

Kriegssinfonie Band 3 E-Book

Lucie Müller

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Beschreibung

Die Kriegssinfonie ist eine Erinnerung an das, was Karma einst war und nun wieder werden muss; eine Großmacht, die sich aufbäumt, die Schwerter gegen den Himmel reckt und voller Zuversicht gegen den Feind losprescht. Während die Menschen auf dem Kontinent glauben, dass der Krieg nach dem vernichtenden Sieg des Nordens vorbei ist, bereiten sich die Götter vor, um endlich ihre alte Heimat zurückzuerobern. Damit die Menschen eine Chance haben, müssen sie sich vereinen. Schaffen sie es, ihre Feindschaften zu vergessen, um gemeinsam gegen den übermächtigen Gegner vorzugehen? Shade muss an den Hof des Hochkönigs zurückkehren und wird zur Schlüsselfigur im Plan zur Rettung der Menschheit. Dabei bleibt kein Platz für persönliche Gefühle, denn er muss sich mit Mythos und dem Ring der Gehorsamen verbünden. Doch kann er Mythos wirklich trauen, wenn es darauf ankommt? Sind ihre Kräfte stark genug, um es mit Göttern aufzunehmen?

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Seitenzahl: 648

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1. Ausgabe März 2016

Alle Rechte vorbehalten.

Covergestaltung: Juliane Schneeweiß

Lektorat: Andrea el Gato

eBook-Produktion: Cumedio Publishing Services – www.cumedio.de

ISBN (Taschenbuch): 978-3-943596-93-9

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

DieKriegssinfonie

Band 3

Shade

Lucie Müller

Verlagshaus el Gato

Inhalt

Karte Korins

Personenregister

1. Kapitel

2. Gerechtigkeit

3. Neue Herausforderungen

4. Altlasten

5. Die Hallen von Ikram

6. Umbruch

7. Widerstand

8. Verbundenheit

9. Die Ernte

10. Das Erbe

11. Geborgenheit

12. Neuanfang

13. Zufallsbekanntschaften

14. Die Erben des Krieges

15. Sehnsüchte

16. Karma

17. Verrat

18. Nacht der Entscheidung

19. Opfer

20. Gehen lassen

21. Familie

22. Allein gelassen

23. Heimat

24. Sturm

25. Vanaïr

26. Kräftemessen

27. Die List

28. Die Abrechnung

29. Der Schlüssel

Epilog

Danke

Personenregister

Der Ring der Gehorsamen

Ash

kann Feuerbälle schleudern

Cam

kann sich unsichtbar machen

Faolan Aleta /Shade

kann Tote zurückholen, befehligt Schatten

Flex

kann sich verbiegen und strecken

Ivy/Kelis

befehligt Pflanzen

Mythos

Anführer des Rings, liest und manipuliert Gedanken

Queen/ Kaori

kann Gefühle manipulieren

Rock

kann seine Haut zu Stein werden lassen

Rost

kann Gegenstände bei Berührung zerfallen lassen

Tau / Lillie

kann Wasser befehligen/ Mutter von Orion

Tide / Linus

befehligt das Meer

Aristokratie Korins

Alexander

aufständischer König des Südens

Antrim

Sophias Gatte, König von Aeonor

Clara

älteste Tochter, drittes Kind von Thanatos und Emerald

Emerald

Ehefrau des Hochkönigs

Gerold

aufständischer König des Südens

Julian

zweiter Sohn des Hochkönigs, Thronanwärter

Malik

erster Sohn des Hochkönigs, wurde von der Familie verstoßen

Orion

Malik und Taus / Lillies Sohn, kann die Gestalt von Tieren annehmen

Ragnar

König der Provinz Soocul

Roban

erster Hochkönig von Korin, Thanatos Urahne

Sophia

jüngstes bzw. viertes Kind von Thanatos und Emerald

Suzanne

Maerkyns Schwester

Thanatos

Hochkönig von Korin

Warran

aufständischer König des Südens

Militär Korins

Algier Voltan

General des korintischen Militärs, Thanatos‘ Vertrauter

Drake

Hauptmann der 44. Kompanie

Gridion Le Sage

korintischer Lieutenant General, zuständig für den Palast des Hochkönigs

Iomelk

Captain eines karmatischen Versorgungskonvois

Ivan Aleta

Oberstlieutenant 317. Batallion, Shades Bruder

Jeremiah

Captain der 17. Kavallerie

Kart

Foltermeister und Giftmischer des Militärs

Kreider

Hauptmann der 45. Kompanie

Lord Gainsboro

militärische Kontaktperson des Ringes

Luka

Hauptmann der 46. Kompanie

Magnus Grimm

korintischer Lieutenant General, Anwärter auf Voltans Posten

Paeon Prior Magus

Wissenschaftler im Bunde mit dem Militär

Götter Korins

Adem

Gott des Wissens

Bohal

Gott des Wachstums

Qeb

Totengott

Thion

Gott des Krieges

Weitere Personen Korins

Adam Tanner

alter, pensionierter Wissenschaftler, Maliks Freund

Aoidhe

Frau aus der Hochebene, Bregas Versprochene

Argentin

Hohepriester Korin, Nachfolger von Ville

Brega

Mann eines Hochebenen-Clans

Crystal

eine Hure, General Voltans Geliebte

Habsand

Helfer im Suchtrupp von Linus

Jakob Flavia

Drogendealer, karmatischer Untergrund

Lew

Aufständischer König

Lloysel

Arzt im Dienste von König Delay

Meister Flavio

Chemiker des karmatischen Untergrunds

Priester Devoid

ehrgeiziger Priester aus dem Totenkult von Qeb

Remey

Lloysels Assistent

Rodderik

Helfer in Linus‘ Suchtrupp

Seaghda

Anführer der Rebellen der Hochebenen-Clane

Uinseann

Schamane des Hochebenen-Dorfs, Großvater von Brega

Ville

Hoheprister des Götterkultes des Nordens

Yann

ein Seher, Gefangener des Militärs

Aristokratie des Südens

Janan

Samir Ilas und Keshets Tochter

Jena Ila

Samir des vereinten Südreiches

Keshet

Samir Ilas Frau

Militär des Südens

Al‘din

Wahid der zwölften Hyänen-Einheit

Horo

Maerkyns Offizier

Maerkyn Kilian

König von Ionaen, Shades Freund, Ra‘ad der 75. Kavallerie des Samirs

Musma

Zahir der Grenzfeste Golem

Rash

Foltermeister von Maerkyns Trupp

1. Kapitel

»Shade?«

Die Frauenstimme klang dünn und kraftlos. Panik schwang in ihr mit. »Wo bist du?« Auch wenn Aoidhe nichts sehen konnte, so fühlte sie trotzdem, dass in der Schwärze etwas lauerte. Eine namenlose Gefahr, die ihr die Nackenhärchen aufstehen ließ und ihr das Gefühl gab, verwundbar zu sein. Diese Ahnung war gar nicht so unbegründet. Doch der hier lauernde Feind war ihr eigener Geist. Ohne visuelle Reize fingen die Augen an, Phantombilder zu bilden.

Da blinkte doch etwas! Und dort, war das ein Lichtblitz? Hinzu kam, dass sie nur noch ihren eigenen, immer schneller und flacher werdenden Atem hörte. Wenn sie sich konzentrierte, dann vernahm sie auch das Rauschen des eigenen Blutes in den Ohren.

Die Falle war perfekt. Niemand kam weiter als einige Schritte und brach alsbald zusammen wie ein jämmerliches Häufchen Elend. Als sie erneut sprach, war ihre Stimme kaum mehr ein Flüstern: »Shade lass uns nicht im Stich. Lass mich nicht im Stich.«

Shade hörte einen mühsamen Atemzug, dann war alles still. Nichts rührte sich mehr.

Gut so! Lasst mich alleine.

Die Stille dehnte sich, wurde unerträglich und bedeutungsschwerer. Wie ein schwerer Mantel legte sie sich um ihn. War er bereit dazu, ein weiteres Menschenleben auf dem Gewissen zu haben?

Als Antwort kehrte das Licht zurück. Der leere Raum verwandelte sich in ein karges Hochtal. In einer nicht weit entfernten Mulde lag eine bleiche Gestalt. Sie trug schwere Felle, Fäustlinge und gefütterte Schuhe. Obwohl sie gegen die Kälte gewappnet war, hatten sich ihre Lippen bläulich verfärbt.

Verflucht. Natürlich musst du an mein Gewissen appellieren!

Shade bückte sich zu Aoidhe hinunter und gab ihr einen leichten Klaps auf die Wange. Doch die junge Frau regte sich immer noch nicht. Seufzend kniete sich das ehemalige Ringmitglied hin und nestelte an seinem Gürtel. Neben diversen anderen Sachen hing dort ein kleines Kräutersäckchen. Er hielt es der Ohnmächtigen unter die Nase und zählte still bis drei. Dabei überlegte er sich bereits, was sein nächster Schritt wäre, falls dieses Mittel nicht nützen sollte. Da kam Aoidhe mit einem gierigen Atemzug wieder zu sich. Shade gab ihr Zeit, sich zu sammeln und entfernte sich einige Schritte. Mit verschränkten Armen stand er da und versuchte seine immensen Qualen hinter einer Maske aus Gleichgültigkeit zu verbergen.

Khazan kam elegant herbeigeschwebt und landete federnd auf dem Geröllfeld. »Du kannst dich noch so sehr bemühen. Es wird nicht funktionieren.« Obwohl er die Größe eines Ponys besaß, bewegte er sich grazil und behände. Unter der glatten, mondsteinfarbenen Haut waren die arbeitenden Muskeln sichtbar. Das Tamarion hatte immer noch Kulleraugen, nur sein Kopf hatte sich ein wenig in die Länge gezogen und seine Zähne waren zu spitzen Reißern herangewachsen.

»Du siehst schrecklich aus und ich erkenne sofort, dass es dir dreckig geht.«

Shade schenkte Khazan einen bösen Blick, erwiderte jedoch nichts darauf. Er wusste ja, dass sein Sohn die Wahrheit sprach. Da er sich aber noch nicht damit auseinandersetzen wollte, ging er wieder zu Aoidhe. »Du solltest zurück ins Dorf. Eine heiße Brühe und Tee werden dich beleben,« sprach er mit rauer Stimme.

Aoidhe sah ihn mit ihren dunkelgrünen Augen an und halb erwartete er eine schnippische Antwort. Aber Aoidhe war nicht Simbron. Anstatt einer gereizten Reaktion wurde er mit einem stillen, vorwurfsvollen Blick bestraft. »Ich geh nur mit dir hinunter«, erklärte sie bestimmt und kam wackelig auf die Beine.

Shade beeilte sich, sie zu stützen. »Ich bringe dich sicher ins Tal, aber ich werde nicht bleiben.«

»Du musst!«, begehrte die unfreiwillige Kriegerin dann doch auf. »Wir brauchen dich. Die Jungen haben ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen.« Sie machte eine Pause und fuhr in einem ruhigeren Tonfall fort: »Außerdem liegt der Leichname eines fremden Mannes seit vier Tagen in der Eiskammer. Niemand weiß, wie er heißt, geschweige denn, wie er bestattet werden soll, sodass er sicher zu seinen Göttern gelangen kann.«

Shade verzog schmerzhaft das Gesicht.

Solange er in seiner Schattentrance gewesen war, hatte er seine Gefühle erfolgreich ausblenden können. Doch nun kehrten sie mit voller Wucht zurück.

»Er heißt .... hieß Khaled. Und wie er bestattet werden will, das weiß ich nicht, weil weder ich noch er selbst seine eigene Sterblichkeit in Betracht gezogen haben.«

Sie begannen vorsichtig über die Felsen zu klettern, wobei Shade stets zur Stelle war, wenn Aoidhe ausrutschte oder ihre Knie einknickten.

Der Abstieg ins Tal dauerte viel länger, als Shade angenommen hatte. Zumal er sich eigentlich überhaupt nicht daran erinnern konnte, wie er in das Hochtal gelangt war. Nachdem er hilflos mitangesehen hatte, wie Mythos Simbron umgebracht hatte und ihr Kopf vor seine Füße gerollt war, hatten ihn die Schatten übermannt. Es war seit jeher ein Schutzmechanismus, der auch in diesem Augenblick nicht versagt hatte. Shade war dankbar dafür, da es ihm so erspart geblieben war, sich sofort der harten Realität zu stellen.

Allerdings war es nie eine dauerhafte Lösung.

Stets konnte er die dunkle Erkenntnis nur aufschieben. Das letzte Mal, als es geschehen war, hatte er eine ganze Karawane niedergemetzelt. Damals hatte er Simbron versprochen, nie mehr die Kontrolle zu verlieren. Aber Simbron war tot, also gab es nichts mehr, das ihn an das Versprechen band.

Er schluckte und versuchte sich auf den Weg zu konzentrieren.

»Du kannst es mir erzählen, wenn du so weit bist«, sprach Aoidhe unvermittelt. Shade gab daraufhin keine Antwort, doch sie fuhr unbeirrt fort: »Es muss schlimm gewesen sein. Und es hat bestimmt nicht nur mit dem Fremden zu tun.«

Verflucht. Sie kennt mich einfach zu gut.

Während er ihr halft, eine breite Kluft zwischen zwei Felsen zu überwinden, antwortete er: »Gib mir ein wenig Zeit.«

Sie nickte verständnisvoll. Shade war ihr unendlich dankbar, dass sie ihn nicht drängte. Ihm wurde klar, dass er sie und ihr Volk nicht im Stich lassen konnte. Dieser Krieg forderte gnadenlos seine Opfer. Er konnte sich nicht einfach ausklinken, nur weil er einen Verlust erlitten hatte.

Ich kann auch nicht verhindern, dass künftig noch mehr Menschen sterben. Aber ich kann versuchen, dem Süden zum Sieg zu verhelfen. Und irgendwer muss Mythos stoppen. Nun, da der Löwe tot ist, bin ich der einzige, der dazu fähig ist.

Sein Herz zog sich zusammen. Da war er wieder, dieser unglaubliche Schmerz.

Er hat mir Simbron gestohlen. Dafür wird er büssen müssen.

Hass war besser als Schmerz. Deswegen konzentrierte er sich nun auf seinen Hass.

Sie kamen im Dorf an und er brachte Aoidhe – obwohl sie protestierte und behauptete, sie sei wieder bei Kräften – zu ihrer Hütte. Er blieb sogar, um das Feuer in ihrer Kochstelle soweit in Gang zu bringen, dass sie die Brühe des Vorabends erhitzen konnte.

Danach ging er wieder hinaus.

Khazan landete neben ihm. »Was hast du jetzt vor?«

»Ich muss mich meinen Fehlern stellen. Sohn, wir müssen annehmen, dass Ikram gefallen ist. Vielleicht sogar der Samir. Khaled hätte Ila niemals alleine gelassen.« Er stockte, weil ihm die Bedeutung seiner Worte klar wurde. »Du musst Maerkyn finden, Khazan. Er war nicht in Ikram, sondern an der Grenze unterwegs. Finde ihn und begleite ihn nach Nur Ruba. Janan ist die einzige Hoffnung des Südens.«

»Aber Papi, ich kann dich nicht alleine lassen. Nicht, nach all dem was passiert ist!«, begehrte Khazan auf.

»Du kannst, mein Sohn.« Shade blieb stehen und kraulte das Tamarion hinter den Ohren, genauso wie es dies mochte.

»Ich komm schon zurecht.«

»Und was machst du?«

»Ich werde versuchen Khaled zurückzuholen«, antwortete Shade leise.

»Seit Khaled’s Tod sind Tage vergangen«, protestierte Khazan.

»Ich weiß. Hätte ich nicht die Beherrschung verloren, hätte ich ihn gleich zurückholen können. Aber Simbrons Tod hat mich ...«, er brachte es nicht fertig, den Satz zu beenden.

»Niemand macht dir Vorwürfe, Papi.« Khazan winselte.

»Ich mach mir selbst Vorwürfe. Nun sag, kannst du Maerkyn alleine finden?«

»Natürlich.«

»Sucht Janan in Nur Ruba auf und versucht einen Widerstand aufzubauen.«

»Das gefällt mir nicht. Ich werde zu lange von dir getrennt sein und dann wirst du irgendeinen Blödsinn tun, wie zum Beispiel Mythos suchen. Du wirst Simbron rächen, Deswegen willst du mich aus dem Weg haben, nicht wahr?«

»Deine Mutter meinte immer, dass ich es mit ihm aufnehmen kann. Das wird sich dann zeigen.«

»Tu es nicht, Papi. Versprich es mir!«, flehte Khazan. »Warte, bis ich wieder bei dir bin. Zusammen können wir es schaffen, ihn zu besiegen. Aber alleine wirst du untergehen.«

»Ach Sohn, ich fürchte mich nicht vor dem Tod.« Shade lächelte gequält. »Und jetzt geh! Je schneller du Maerkyn findest, desto besser.«

Khazan wollte ihm erneut widersprechen, doch Shade wandte sich von ihm ab und ging zielstrebig davon.

Es brach ihm fast das Herz, nicht zu wissen, ob er seinen Sohn je wiedersehen würde, oder ob dies ihre letzte Konversation gewesen war. Aber wenigstens wusste er Khazan bei Maerkyn sicher. Sein Freund würde sich um das Tamarion kümmern.

Mit energischen Schritten ging er auf die Kühlkammer zu. Sie war nicht bewacht und so konnte er ungesehen hineinschlüpfen.

Die Dorfbewohner hatten den Leichnam auf eine Decke am Boden gelegt. Der mächtige Krieger sah aus, als ob er schliefe. Doch der Gestank erzählte eine andere Geschichte. Die Kälte hatte den Verwesungsprozess verlangsamt, doch vier Tage waren eine lange Zeit.

Shade wusste, dass er zu spät war. Trotzdem setzte er sich neben dem Löwen im Schneidersitz hin.

Er schloss die Augen und suchte Khaleds Seele. Normalerweise besaßen die Seelen der eben Verstorbenen eine natürliche Anziehungskraft, der er folgen konnte. Nun aber driftete er orientierungslos im leeren Raum. Sein Kummer drohte ihn zu übermannen. Hätte er sich doch nicht von seinem Schmerz und den Schatten einnehmen lassen, dann hätte er den Löwen retten können.

»Khaled!«, rief er in seiner Verzweiflung ins Nichts hinein.

Doch alles blieb ruhig.

◊◊◊◊

Irgendwo in den Tiefen des Äthers regte sich etwas. Es hatte das verzweifelte Rufen gehört. Mühsam begann es seine Fühler auszustrecken und seine Energien zusammenzuklauben. Es durfte noch nicht in Vergessenheit geraten. Es hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen.

◊◊◊◊

Mythos stand regungslos da und betrachtete das Spektakel vor sich. Obwohl er schon seit dem Morgen die schwere Rüstung trug und sich die Beine in den Bauch stand, war seine Haltung gerade und tadellos. Flex dagegen hatte mit dem Gewicht zu kämpfen und verlagerte seinen Stand von einem Fuß auf den anderen. Die Rüstungen, welche die Mitglieder des Ringes der Gehorsamen trugen, waren maßgefertigt und an sich schon eine Augenweide. Mit den grimmig aussehenden Trägern war das Bild, das sie abgaben, jedoch mehr als eindrücklich. Während die Rüstungen selbst in tiefem Schwarz mit goldenen Verzierungen gehalten waren, besaßen die Umhänge die Farbe des jeweiligen Tamarchen, den die Mitglieder flogen. Tau und Flex trugen silberne Umhänge, die genauso hell funkelten wie die Haut ihres treuen Tamarchen Rana. Diese hatte sich von der grässlichen Schusswunde noch immer nicht ganz erholt. Da sie sich keine Knochen gebrochen hatte, war ihre Flugfähigkeit nicht dauerhaft eingeschränkt. Mythos war froh darüber. Er hätte den Tamarchen nicht gerne erlösen müssen. Ivys Umhang war smaragdfarben. Ash, welche die gleiche Farbe hätte tragen sollen, war tot. Mythos spürte ihren Verlust wie ein schmerzendes, schwärendes Geschwür in sich. Sie war seine Gefährtin gewesen. Seine wilde, unbändige Ash. Aber dies war nicht der einzige Todesfall, den sie hatten hinnehmen müssen. Neben Ivy stand Rost, der sich früher die rosenquarzfarbene Kali mit Queen geteilt hatte. Da Rock aber ebenfalls nicht mehr unter ihnen war, hatte sich Rost des führerlosen Best angenommen. Sein Umhang war dementsprechend saphirblau. Queen stand direkt neben Rost. Ihr rosenquarzfarbener Umhang fiel ihr weich über die Schultern und trotz der schwarzen Rüstung sah sie klein und verletzlich aus. Auch sie hatte arg mit den Verlusten zu kämpfen, denn sie war das Bindeglied, das den Ring zusammenhielt. Niemand kannte die Gefährten besser als sie. Umso größer war nun die Leere, die Rock und Ash in ihr hinterließen. Tide, das jüngste Mitglied des Ringes der Gehorsamen, befand sich neben Queen und trug ebenfalls Rosenquarz. Er hatte seine Mission erfolgreich und gewissenhaft abgeschlossen. Mythos war stolz auf ihn.

Der Umhang, den er selbst trug, war granatfarben. Es kam selten genug vor, dass sich die Ringmitglieder so in der Öffentlichkeit präsentieren konnten. Mythos versuchte deshalb den Auftritt zu genießen. Später war immer noch genug Zeit zum Trauern. Niemand, der nicht zum engsten Kreis der Lieutenant Generals gehörte, ahnte, wer sie wirklich waren. Allgemein waren die Männer und Frauen um Mythos als die furchtlosen Elitekrieger bekannt, die über die Tamarche verfügten. Alt und Jung starrte sie mit ehrfurchtsvollem Blick an, aber die Krieger blickten lediglich mit versteinerten Mienen zurück. Karma hatte die Schlacht zwar gewonnen, aber der Preis war hoch gewesen. Zumindest für jene, die Freunde und Brüder zurückgelassen hatten. Auch die Magier hatten gut ein Drittel ihrer Stärke eingebüßt. Dies mochte die saure Miene des Prior Magus’ erklären. Vielleicht berührte ihn der Verlust jedoch auch nicht und er hatte einfach einen schlechten Tag – bei ihm konnte man sich nie sicher sein. Die oberste Generalspitze und der Hochkönig inklusive seiner beiden verbliebenen Sprösslinge wirkten da schon besser gelaunt. Sie alle lobten sich für den gelungenen Coup und vergaßen sogar kurzzeitig, dass die jüngste Tochter, Sophia, nie mehr mit ihnen Feste feiern würde.

Der große Thronsaal war bis zum Bersten gefüllt. Militärangehörige, Könige und Adelige drängten sich dicht an dicht. Sie alle waren für diese Machtdemonstration her zitiert worden. Als nun ein gewaltiger Gong erklang, ging ein Raunen durch die Menge, das aber sogleich wieder von einer erwartungsvollen Stille abgelöst wurde. Die riesigen Flügeltüren schwenkten auf und eine Person trat über die Türschwelle. Der stolze Samir humpelte deutlich. Trotzdem ließ er es sich nicht nehmen, mit erhobenem Haupt den Gang in der Mitte entlang zu gehen. Er trug ein dreckiges, langes Unterhemd. Schuhe gönnten seine Kerkermeister ihm offenbar keine. Es war so still in der Halle, dass das Tappen der nackten Füße auf dem blanken Marmor erklang. Das schwarze, verfilzte Haar wimmelte wahrscheinlich nur so vor Läusen. Auch der ungestutzte Bart zeugte von der Verwahrlosung des Samirs. Es gelang dem ehemaligen Herrscher der vereinten Südreiche trotzdem, einen letzten Rest an Würde auszustrahlen. Dies brachte ihm zumindest beim General Achtung ein. Grimm und Thanatos hingegen grinsten überlegen auf den hohen Gefangenen hinunter.

Mythos selbst erlaubte sich nicht, Emotionen zu zeigen. Dies war nicht der Moment, um sich seinen Gefühlen hinzugeben. Doch zum Glück war er ein geduldiger Mann und hatte alle Zeit der Welt, um auf seinen Moment zu warten. Der Krieger und die Schlampe, die Ash getötet hatten, waren bereits im Jenseits. Fehlte also nur noch Shade.

Und dich werde ich ebenfalls noch büßen lassen.

Nun zuckten seine Mundwinkel, doch und am liebsten hätte er seine Hände zu Fäusten geballt. Denn Shade war eine der wenigen Personen auf dieser Welt, die Mythos fürchtete.

Was er dem Ring angetan hat, ist unaussprechlich.

Mythos war immer noch der festen Überzeugung, dass Shade sie absichtlich sabotiert hatte. Er lebte schon lange genug, um zu fühlen, dass die Ereignisse, die seit Shades Eintritt in den Ring geschehen waren, nicht zufällig passiert waren. Es gab ein Muster, ein Netz aus Intrigen und Lügen und im Zentrum stand Shade.

Mythos hörte nur mit halbem Ohr zu, als Thanatos sich schwerfällig erhob und zu reden begann. Wie immer wirkte die Stimme des Hochkönigs einlullend und beruhigend. Ja, wenn man nur diesen tiefen Bass vernahm, dann hätte man dem Hochkönig sein verwittertes Äußeres niemals gegeben. Thanatos hatte schon immer zur Korpulenz geneigt, doch jetzt war er einfach nur noch fett. Sein Gesicht war von zu viel Wein aufgedunsen und besaß eine ungesunde teigige Farbe. Der einst stolze, schwarze Schopf war grau meliert.

Und da geht der nächste Hochkönig dahin. Sein Junge sieht hingegen gut aus.

Julian stand neben dem Thron und wirkte erwachsener als noch vor ein paar Jahren. Die Erfahrungen im Feld hatten ihm eine gute Lebensschule geboten. Er mochte noch jung sein und naiv aussehen, aber er hatte zusammen mit seinen Soldaten geblutet. Es waren Details wie dieses, wusste Mythos, die einen guten König von einem schlechten unterschieden, einen unfähigen Vater von seinem verheißungsvollen Sohn.

Emerald und Clara saßen ein Stück versetzt hinter den beiden. Sie hatten sich ebenfalls herausgeputzt und trugen funkelnde Diamanten und teure Stoffe. All der Puder und Schmuck konnte jedoch nicht den Schatten der Trauer in ihren Augen verbergen. Für sie war der Verlust von Sophia viel realer als der Sieg über den Süden.

Egal, wie sehr sie versuchen an die Würde der Hochkönige von einst zu kommen, meine Blutlinie ist immer noch tausend Mal reiner als die ihre.

Mythos wusste, dass solche Gedanken gefährlich waren. Die Verlockung, sich daran zu erinnern, war stets besonders groß, wenn ein unfähiger Tölpel auf dem Thron saß und das Reich dem Untergang entgegensteuerte. Schließlich wusste Mythos, wie es besser ging. Er war der weiseste und mächtigste Mann im Reich. Er hatte das Genie seines Vaters geerbt.

Versonnen schielte er zum Thron. Er war nicht besonders schmuckvoll. Schwarzer Marmor mit Gold geädert und mit Smaragden versetzt, war er nicht unästhetisch, doch im Gegensatz zu dem übrigen Prunk und der Protzerei, wirkte er geradezu bescheiden.

Ja, er konnte sich durchaus ausmalen, wie es wäre, wenn er diesen Sitz der Macht beanspruchen würde.

Am Anfang würde es gut gehen.

Aber irgendwann wurde dem Volk jeder noch so gute König leid. Wenn nicht der ersten Generation, dann der zweiten oder der dritten. Wenn er sich jedoch damit zufriedengab, im Hintergrund die Fäden zu ziehen, dann konnte er unter Umständen seine Macht uneingeschränkt spielen lassen, ohne je auf nennenswerten Widerstand stoßen zu müssen.

Algier Voltan hatte dieses Prinzip gut erkannt. Mythos schätzte den rüstigen Mann dafür, gleichzeitig misstraute er ihm deswegen. Es war der verschlagene General gewesen, der das Magierprogramm mit Paeon an der Spitze ins Leben gerufen hatte. Somit hatte er dem Ring und dem Hochkönig gezeigt, dass die geheime Truppe durchaus ersetzbar war.

Damit ist er der erste, der das fertiggebracht hat.

Und das hieß etwas.

Thanatos setzte sich wieder und für einen Herzschlag herrschte Stille. Dann brach tosender Applaus aus. Der General trat vor und die Ehrungen begannen. Als erstes wurde Julians Name aufgerufen. Der Kronprinz strahlte wie eine Sonne, als er in seiner schmucken Paradeuniform vor Algier trat und die Ehrenmedaille in Empfang nahm. Er kniete vor seinen Vater.

»Für deinen Mut, deine Tapferkeit und vorbildlichen Einsatz erhältst du, Julian, Nachfahre von Roban, mein Sohn, mein Erbe, dieses Ehrenabzeichen.«

Kurz ließ Thanatos sich den Stolz und die Liebe, die er gegenüber seinem Sohn empfand, anmerken. Schnell hatte er sein Gesicht wieder unter Kontrolle. Als Nächster kam Magnus Grimm in den Genuss einer Ehrung. Als er die Medaille von seinem Vorgesetzten entgegennahm, war sein Gesicht noch offen und freundlich. Ganz anders sah es aus, als er vor seinen Hochkönig kniete. Es war nicht gerade Widerwille, der sich auf seinem Gesicht abzeichnete, aber sicherlich auch nicht Respekt und Ehrfurcht. Stattdessen wirkte er leicht ungeduldig und hatte einen verschlagenen Ausdruck.

Er plant etwas. Den müssen wir im Auge behalten.

Die Zeremonie ging weiter. Die ganze Zeit über kniete der gefangene Samir auf dem kalten Marmor. Es war offensichtlich, dass er in dieser Position Schmerzen litt, denn er verlagerte immer wieder sein Gewicht. Doch sein Gesicht blieb betont neutral.

Zuerst waren die anderen involvierten Offiziere dran und schließlich bat der General sogar jedes einzelne Mitglied des Ringes der Gehorsamen vorzutreten.

Mythos ging als erster. Er blickte dem General direkt in die Augen, als er das Abzeichen entgegennahm. Es war eine unmissverständliche Drohung, die dem General nicht entging. Wir sind unersetzbar. Jeder, der das nicht weiß, wird es lernen. Die blaugrauen Augen erwiderten den Blick jedoch selbstbewusst.

Die Medaille selbst war eine kleine Goldscheibe, die den Durchmesser eines Eies hatte. Das Wappen wies die Prägung von Karma auf: eine Burgruine, hinter der die Sonne aufging. Daran war ein schwarzgelber Stoffaufhänger befestigt.

Ein hässliches Ding ohne Bedeutung.

Natürlich bekamen die anderen Geehrten Ländereien und der eine oder andere Soldat sogar einen Titel. Dem Ring war ein solcher Luxus nicht vergönnt. Genau genommen besaßen sie nur das, was sie am eigenen Leibe mit sich trugen.

Mythos schritt an Voltan vorbei und kniete vor Thanatos. Ehrfürchtig verbeugte er sich. Nicht weil Thanatos eine solche Respektsperson war, sondern weil die Geste ihn daran erinnerte, vor wie vielen Hochkönigen er insgesamt schon gekniet hatte. Allen voran sein Vater, Roban, der strengste, härteste aber auch genialste Hochkönig, der je auf diesem Thron gesessen hatte.

Mythos erinnerte sich noch gut an den kühlen Blick aus dessen eisblauen Augen, als er von ihm das erste Mal gezwungen wurde, als Diener des Reiches niederzuknien.

Thanatos nannte einen Titel und einige nichtssagende Ländereien, die dem Anführer des Ringes anscheinend verliehen wurden. Das war natürlich nicht allzu schön und stahl dem Moment einiges an Ehrwürdigkeit, aber schlussendlich haderte Mythos nicht mit seinem Schicksal. Er hatte seine Bestimmung akzeptiert. Auch wenn der Verlust von Rock und Ash schwer auf ihm lastete, so wusste er, dass am Ende nur etwas zählte: Sie hatten ihre Mission erfüllt.

Und das haben wir. Der kniende Samir ist Beweis genug dafür.

◊◊◊◊

Sie lag in seinen Armen und es fühlte sich richtig an. Nach Tagen auf dem Rücken von Pferden duftete sie nicht unbedingt nach Rosen. Aber Maerkyn sog trotzdem tief die Luft ein. Er schloss die Augen, spürte ihren warmen Körper und dachte weder an die Vergangenheit, noch an die Zukunft. Nur dieser Moment zählte.

Eine herrlich kurze Zeit blieb die Harmonie ungetrübt.

Dann hörte er, wie Horo neben ihm aufstand. Sein Offizier gab sich Mühe, leise zu sein, trotzdem wusste Maerkyn, dass es besser war, ebenfalls auf die Beine zu kommen. Horo war ihm loyal ergeben. Aber die junge Frau, die sich da an Maerkyns Brust schmiegte, war die Tochter des Samirs. Jeder Soldat Ilas war diesem mit Leib und Seele verschrieben und Horos Loyalität gegenüber seinem Ra’ad war begrenzt. Es stand Maerkyn nicht zu, Janan so nah zu sein. Sie war die Erbin des Südreiches und er lediglich ein Soldat.

Vorsichtig löste Maerkyn die Umarmung und setzte sich auf. Horo war bereits dabei, das heruntergebrannte Feuer wieder in Gang zu setzen.

»Ich geh Wasser holen«, informierte Maerkyn ihn mit einer morgenheiseren Stimme.

Sie hatten in einer kleinen Höhle Unterschlupf gefunden. Dies war ein ungewohnter Luxus. Wenn sie Glück hatten, dann fanden sie am Abend einen Felsüberhang, der ihnen ein wenig Schutz vor dem garstigen Wetter bot. Viel zu oft mussten sie jedoch ganz im Freien übernachten. Maerkyn hätte das nicht viel ausgemacht. Doch seit die beiden Frauen dabei waren, sah alles ein wenig anders aus.

Janans Leibdienerin war ein filigranes Mädchen, das Angst vor allerlei Dingen hatte. Maerkyn hatte von sich angenommen, dass er recht geduldig sei. Aber Bisras Gehabe war ihm zu anstrengend. Deswegen war er froh, dass Horo sich ihrer angenommen hatte und es auf sich nahm, ihre Panikattacken zu ertragen.

Die Verantwortung für ihre kleine Gruppe lastete auch so schon schwer genug auf Maerkyn. Er wusste, dass Janan die einzige Erbin des Landes war. Unter keinen Umständen durfte ihr etwas passieren. Sie musste sicher zu ihrem Vater gebracht werden.

Wenn ihr doch etwas zustößt? Ila wird mich umbringen – und zwar ganz langsam.

Er wusste, dass die Entscheidung bei Ikram schon gefallen sein musste.

Vielleicht hat der Samir ganz andere Probleme. Was ist, wenn er gefallen ist?

Der Gedanke war höchst unangenehm.

Er verließ die Höhle. Ganz in der Nähe drang eine Quelle, deren Wasser sich in einem steinernen Becken gesammelt hatte, an die Oberfläche.

Maerkyn trank durstig einige Schlucke, dann wusch er sich notdürftig das Gesicht. Das Wasser war eisig kalt und verdrängte den letzten Rest Müdigkeit aus seinem Körper.

Diese letzte Möglichkeit wollte er, ehrlich gesagt, gar nicht erst in Betracht ziehen. Der Samir war schon einmal gestorben und Maerkyns Welt hatte gedroht, zusammenzubrechen. Damals hatte Shade den Samir von den Toten zurückgeholt.

Aber Shade ist nicht in Ikram.

Er füllte die Flaschen und machte sich auf den Rückweg.

Er muss noch am Leben sein!

Maerkyn brauchte den Herrscher des Südreiches für seine eigenen Rachepläne. Ohne ihn würde es niemandem gelingen, Karma in die Knie zu zwingen und Maerkyns kleines Königreich blieb auf ewig unter der Knute eines Emporkömmlings.

Als er wieder in die Höhle trat, waren auch die Frauen auf den Beinen. Er reichte die Flasche mit dem frischen Wasser herum.

»Heute wird ein anstrengender Tag werden«, begann er.

»Als ob die letzten nicht bereits anstrengend gewesen wären«, schnaubte Bisra.

Janan warf ihr einen bösen Blick zu. »Diese Männer tun ihr bestmögliches, um uns sicher nach Hause zu geleiten!«, fauchte sie.

»Ich weiß und deswegen müssen wir auch unendlich dankbar sein!«

»Du wirst nicht unhöflich sein!«, begehrte Janan auf, doch Maerkyn trat entschlossen zwischen die beiden.

»Ladies, ich weiß, diese Reise zehrt an unser aller Nerven. Aber wir müssen zusammenhalten und das Beste daraus machen.«

Bisra schenkte ihm einen giftigen Blick, biss sich jedoch auf die Lippen und schwieg. Die Tochter des Samirs hingegen schien aufrichtig dankbar für sein Eingreifen zu sein. Ein Glücksgefühl durchströmte ihn, als er in ihre wunderschönen grünen Augen sah, und er begann dümmlich zu grinsen. Bisra seufzte und wandte sich ab, um ihre dürftigen Schlafrollen zusammenzupacken.

Wenig später waren sie bereits unterwegs. Sie hatten nur noch drei Pferde. Der Rest war mit den verbliebenen Männern verschüttet worden. Fast der ganze Hang war ins Rutschen gekommen und hatte Männer und Reittiere unter sich begraben. Menschen hatten keine überlebt. Von den Pferden mussten sie fünf den Gnadenstoß geben. Maerkyns treuer Hengst hatte das Unglück nicht überstanden, weshalb er sich nun mit einem nervösen Grauschimmel abfinden musste. Der Verlust war herb, denn sein Pferd war nicht nur ein Nutztier für ihn gewesen. Just in diesem Moment störte es ihn jedoch nicht wirklich. Da sie ein Reittier zu wenig hatten, saß Janan hinter ihm und hatte die Hände um ihn geschlungen. Ihr Atem strich ihm um den Nacken und wieder wurde ihm wohlig warm ums Herz.

Ich bin ein Idiot. Das kann nicht gut enden.

Doch sein Herz hatte sich offenbar dazu entschieden, die Stimme der Vernunft zu ignorieren. Maerkyn war ja auch nicht aus Stein gemeißelt. Hätte Janan ihm die kalte Schulter gezeigt, wäre es eine andere Geschichte gewesen. Aber die Tochter des Samirs wollte ihn ebenfalls. Ihre Zeichen waren subtil: Hier ein sehnsuchtsvoller Blick durch die langen, geschwungenen Wimpern, da eine scheinbar unauffällige Berührung.

Jeder Tag wurde zu einer süßen Folter. Maerkyn konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal eine Frau so gewollt hatte.

Diese Erkenntnis verbesserte die Situation kein bisschen.

Zu allem Übel gesellte sich neben der Stimme der Vernunft und des Herzens noch eine dritte, sehr egoistische: Diese versicherte ihm, dass er Janan das Leben gerettet hatte und er deswegen zumindest bis ans Ende dieser Reise durchaus das Recht dazu hatte, Anspruch auf sie zu erheben.

Das alles war ziemlich frustrierend für Maerkyn, denn er war es nicht gewohnt, innerlich so zerrissen zu sein.

Das ist eigentlich Shades Baustelle.

Sie folgten einem alten Hirtenpfad, der sie durch die zerklüftete Felslandschaft führte. Er war das einzige Zeichen von Zivilisation in dieser Wildnis. Nur zu oft mussten sie absteigen und die Pferde durch das schwierige Gelände führen. Da sie auf der Hinreise zu Nur Ruba von Norden her gekommen waren und sie nun Richtung Ikram unterwegs waren, kannte sich in dieser Gegend niemand wirklich aus.

Es war Mittag, sie hatten eben kurz gerastet und waren wieder auf den Beinen, als Maerkyn auf eine Bewegung aufmerksam wurde.

Während die anderen ihre Pferde zurück zum schmalen Trampelpfad führten, blieb Maerkyn zurück. Aufmerksam suchte er den Berghang über ihnen ab. Im schwarzgrauen Geröllhang war nicht viel zu erkennen. Ab und zu klammerte sich ein einsamer Busch zwischen den Felsen fest, ansonsten gab es an diesem unwirtlichen Ort so gut wie keine Vegetation.

Horo hatte Maerkyns Zurückbleiben gesehen und rief ihm zu: »Was ist los? Hast du etwas gesehen?«

»Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte der ehemalige König von Ionaen und kniff die Augen zusammen. Doch alles blieb still.

Keineswegs beruhigt folgte Maerkyn den anderen zum Pfad hinauf. Bisra saß nun hinter Horo und Janan hatte sich auf den jungen Braunen gesetzt. Maerkyn rückte seine Schwertscheide zurecht, sodass er die Klinge schneller erreichen konnte. Viel lieber wäre es ihm jedoch gewesen, wenn er über Pfeil und Bogen verfügt hätte.

Seine Unruhe übertrug sich auf sein ohnehin schon nervöses Reittier. Die langen Ohren zuckten hin und her, als ob sie ferne Geräusche wahrnehmen würden. »Dies ist nicht der Moment, um störrisch zu werden«, versuchte Maerkyn das Tier zu beruhigen, war aber nicht erfolgreich damit.

Der Weg führte aus einer Rinne heraus über einen kleinen Pass. Das letzte Stück mussten sie schließlich erneut zu Fuß zurücklegen, da der Untergrund zu felsig wurde. Die Pferde waren nicht geeignet für solch schwieriges Terrain. Besser wären Maultiere gewesen.

Aber diese Reise war von Beginn an alles andere als geplant verlaufen und die Ausrüstung dementsprechend dürftig.

Das Gefühl beobachtet zu werden, verließ Maerkyn nicht. Als gestandener Krieger hatte er gelernt, seinen Instinkten zu vertrauen. Die Frage war nicht, ob sie beobachtet wurden, sondern von wem oder was. Waren ihnen karmatische Spione gefolgt oder waren es Einheimische? Er wusste von keinen Siedlungen in diesen Bergen, allerdings konnte es gut möglich sein, dass der andauernde Krieg einige Familien in diese Gegend vertrieben hatte.

Banditen also?

Sie erreichten den Pass sicher und obwohl ein zügiger Wind blies, nahmen sie sich einen Moment Zeit, um die Aussicht zu nutzen und sich zu orientieren. Der Anblick war relativ ernüchternd. Während Maerkyn noch gehofft hatte, dass die gefährlichen Bergpfade bald breit ausgebauten Feldwegen weichen würden, musste er nun einsehen, dass sie das Gebirge noch lange nicht hinter sich gelassen hatten. Der Horizont war eine gezackte Linie, bestehend aus schneebedeckten Gipfeln. Am liebsten hätte er seinem Unmut laut Luft gemacht. Aber ein Blick auf Bisra und Janan veranlasste ihn dazu, den Mund zu halten. Die Frauen waren schon erschöpft genug. Es brachte ihnen allen nichts, wenn er ebenfalls entmutigt wirkte.

Zusammen mit Horo legte er die weitere Route fest. Sie mussten sich, so gut es ging, gegen Westen halten. Eine Weile konnten sie dem Verlauf des sich vor ihnen ausbreitenden Tals folgen. Früher oder später mussten sie jedoch wieder den Steilhang hinauf. Ob der Hirtenpfad sich in derselben Richtung fortsetzen würde, wussten sie nicht.

Aber wir können ja hoffen.

»Los, gehen wir weiter. Versuchen wir, die gute Wetterlage auszunutzen. Schon morgen könnte es wieder regnen.«

Nicht gerade enthusiastisch machten sie sich an den Abstieg. Janan, Horo und er führten jeweils ein Pferd am Zaumzeug den abschüssigen Weg hinunter. Maerkyn bildete wieder das Schlusslicht. Sein Hengst verhielt sich extrem bockig. Als unter seinen Hufen einige Steine ins Rollen gerieten, begann er zu scheuen. Er streckte die Beine durch und weigerte sich einen weiteren Tritt zu tun.

»Ach komm schon«, stöhnte der blonde Mann entnervt. Doch das Tier ließ sich von seiner Ungeduld nicht beeindrucken.

Maerkyn hatte bereits seit seiner Kinderstube mit Pferden zu tun. Er wusste, dass sie unglaublich emphatisch waren und die Gefühle ihrer Bezugspersonen widerspiegelten. Es würde nicht helfen, wenn er ungeduldig wurde. Dies verschlimmerte die Situation bestenfalls. Also riss er sich einmal mehr an diesem Tag zusammen, beugte sich an den Pferdehals und flüsterte beruhigende Worte, während er sanft den Hals entlang streichelte.

Es dauerte einen Moment, doch dann schien sich der Hengst tatsächlich zu entspannen. Er schnaubte und schüttelte den Kopf, so als ob er sagen wollte: na gut, geh schon weiter.

Erleichtert griff Maerkyn nach dem Zaumzeug. Sein Blick schweifte über die Kuppe des Passes und was er dort sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Ein Wolf stand dort und starrte zu ihnen hinunter. Er befand sich zwar ein gutes Stück oberhalb von ihnen, trotzdem war sich Maerkyn sicher, dass dieses Tier viel größer war als die heimischen Exemplare des Nordens. Einen Augenblick starrten sie sich an. Beute und Raubtier. Es war ein Kräftemessen. Dann gesellten sich zu dem einen Tier vier weitere dazu. Fluchend wandte Maerkyn sich um. Horo und die anderen waren schon ein gutes Stück unter ihm, aber er wollte ihnen nicht zurufen und so die Wölfe ebenfalls in Alarmbereitschaft versetzen. Ob es einen Unterschied machte, wusste er nicht. Er wusste lediglich, dass er und seine Gefährten auf dem Speisezettel dieses Rudels standen.

Verdammt. Ich habe Janan nicht vor Karma gerettet, nur, damit sie von einem Rudel Wölfe gefressen wird.

Seine Gedanken rasten, als er sich den Hang ansah. Er war mit losem Geröll bedeckt. Größere Brocken von früheren Felsstürzen thronten dazwischen.

Eine Flucht zu Pferd? Höchstwahrscheinlich würde das mit gebrochenen Knochen enden. Die Pferde brauchten bloß einen Fehltritt, um ins Straucheln zu geraten. Er konnte das Risiko nicht eingehen, dass jemand von ihnen unter einem Pferdekörper eingeklemmt wurde oder auf die Felsen knallte.

Wölfe jagen im Rudel. Sie hetzen ihre Beute. Was, wenn wir uns zum Kampf stellen?

Horo war ein begnadeter Kämpfer. Wenn sie einen guten Ort fänden, hatten sie vielleicht eine Chance.

Einen Hügel oder Felsen.

Hektisch sah er sich um. Sein Blick fiel auf eine kleine Erhebung.

Besser als nichts.

Sie war vielleicht zweihundert Schritt von ihm entfernt.

Jetzt musste er nur noch Horos Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Er spitzte seine Lippen und imitierte drei kurze Pfiffe eines Wüstenvogels, der hier gar nicht heimisch war.

Horo sah stirnrunzelnd in den Himmel, dann fiel sein Blick zu Maerkyn, dessen Hand auf dem Schwertgriff ruhte und er begriff. Der Ra’ad zog seine Waffe und deutete auf die Erhebung. Horo wandte sich der Tochter des Samirs zu und flüsterte etwas. Maerkyn war zu weit entfernt, um zu verstehen, was er genau sagte.

Ungeduldig warf er einen Blick zurück. Die Wölfe waren von der Kuppe verschwunden. Aber Maerkyn hatte keine Zweifel daran, dass sie noch da waren und sie beobachteten. Der Wind wehte vom Tal hinauf, weswegen die Pferde den Geruch der Raubtiere nicht wittern konnten. Maerkyn ging weiter. Offenbar spürte sein widerspenstiger Hengst die Dringlichkeit, denn nun ließ er sich anstandslos den gefährlichen Pfad hinabführen. Horo erreichte die Erhebung, während Maerkyn noch ein gutes Stück entfernt war. Sie hatten die Pferde in ihre Mitte genommen. Janan sah zu ihm und wollte ihm etwas zurufen, doch Maerkyns Offizier hielt sie zurück.

»Noch ein kleines Stückchen«, beschwor er seinen Hengst.

Sie hatten es beinahe geschafft, als ein langgezogenes Heulen die Stille durchbrach. Es war ein Geräusch, das einem durch Mark und Bein ging und dazu bestimmt war, in Panik zu versetzen.

Das Pferd rollte mit den Augen und wieherte ängstlich auf. Es zerrte an den Zügeln, die Maerkyn aber fest im Griff hatte.

»Komm schon, wir haben es fast geschafft!«, flüsterte er.

Er warf einen Blick über die Schulter zurück. Fünf schwarzgraue Schatten huschten leichtfüßig die Bergflanke hinab. Noch sahen die Raubtiere nicht so aus, als ob sie es eilig hatten. Maerkyn erreichte den Grund der Senke, in deren Zentrum die kleine Erhebung lag.

Horo kam zu ihm herunter geeilt.

»Verfluchte Scheiße«, presste der kleine Mann zwischen den Lippen hervor.

»Ich weiß. Hier übernimm du diesen störrischen Esel.« Maerkyn reichte ihm die Zügel. Nicht weit von ihm hatte sich ein kleiner Busch versucht durchzuschlagen. Er war gescheitert und nur eine Ansammlung aus trockenem Holz zeugte noch von seinem Lebenskampf. Maerkyn lud sich so viel er konnte davon in die Arme.

Daraus können wir Speere schnitzen und vielleicht Fackeln herstellen.

Es war nicht viel, doch er war immer noch nicht willig aufzugeben.

Mit dem Holz stieg er die Anhöhe hinauf. Dabei zählte er seine Schritte. Es waren lediglich zwanzig.

»Wölfe?«, hörte er Bisra quicken. Janan hatte den Arm um die ängstliche Leibdienerin gelegt.

Sollte es eigentlich nicht anders herum sein?

Aber er hatte andere Dinge, um die er sich zuerst kümmern musste.

»Die Pferde sind ein Problem.« Horo trat zu ihm und half ihm das Holz auf den Boden zu legen.

Nach einem raschen Blick zu den Wölfen, die immer noch ein gutes Stück von ihnen entfernt herumlungerten, begannen sie die Äste zu sortieren. Viel Brauchbares war nicht dabei. Maerkyn gab Horo einen Ast, der vorne eine Gabelung aufwies. »Wenn wir den anspitzen, können wir ihn Janan geben.« Sein Offizier nickte. »Du hast meine Frage wegen der Pferde noch nicht beantwortet«, beharrte er.

»Es war keine Frage, bloß eine Feststellung«, fauchte Maerkyn zurück.

»Trotzdem.«

»Ich weiß doch auch nicht, verflucht!«

Die Anhöhe bot kaum genug Platz für sie und die Pferde. Wenn er außerdem ein Feuer für die Verteidigung in Gang bringen wollte, dann wären die Pferde noch schwieriger zu kontrollieren. Schon jetzt waren sie unruhig, weil sie die Wölfe witterten.

»Wenn wir die Pferde opfern, lassen sie vielleicht von uns ab«, drängte Horo.

Doch in Maerkyn sträubte sich alles gegen diese Option. »Wer weiß, wie lange wir unterwegs sind. Ohne Pferde wird es noch viel länger dauern.«

»Sie sind in diesem Gelände so gut wie unbrauchbar. Sobald sich das Terrain bessert, wird es wieder Dörfer geben, wo wir uns neue organisieren können.«

Es war nicht so, dass Maerkyn die Logik hinter diesen Worten nicht einsah. Doch er war ein Ra’ad, Captain einer Kavallerieeinheit - oder zumindest war er das einmal gewesen. Von seinem Trupp waren nur noch er und Horo und die drei verschreckten Vierbeiner übrig. Sich von den Pferden zu trennen, widersprach seinem natürlichen Instinkt. Er klaubte sich einen Ast und schwang ihn probehalber ein paar Mal. Zufrieden mit dessen Eigenschaften als Verteidigungsinstrument, legte er ihn zur Seite.

Zufrieden? Wie kann uns dieser Holzprügel retten? Wie können wir uns retten?

Er schüttelte den Kopf und wusste nicht, ob er weinen oder lachen sollte.

»Also gut. Wir nehmen ihnen das Zaumzeug, den Sattel und die Satteltaschen ab«, entschied er und stapfte zu seinem Schimmel. Als er die Gurte bei seinem Hengst zu lösen begann, trat Janan zu ihm. »Du willst die Pferde fortjagen?« In ihren grünen Augen lag Besorgnis und Furcht.

»Es könnte sie ablenken«, flüsterte er und fingerte erfolglos am Verschluss herum.

»Lass mich!«, verlangte Janan und legte ihre feingliedrige Hand über seine. Er wagte nicht zu atmen, wollte den Moment für immer in sein Gedächtnis einbrennen. Ihre Hand fühlte sich warm an. Am liebsten hätte er sie zu seinen Lippen geführt und ihr einen Kuss darauf gehaucht. Sein Verlangen nach ihr war so groß, dass es ihm Schmerzen bereitete.

In dem Moment erklang ein langgezogenes Heulen und der Augenblick war verstrichen.

»Kannst du das machen?«

»Ja, klar.«

Er nickte ihr dankbar zu und eilte zu Horo. Dieser hatte eine notdürftige Feuerstelle errichtet.

»Es sind mehr geworden«, wisperte er mit gedämpfter Stimme. Maerkyn wandte sich um. Die Sonne ging unter und tauchte das Hochtal in ein goldenes Licht. Inzwischen waren es ein Dutzend Raubtiere, die umherschlichen und sie aufmerksam beobachteten. Maerkyn starrte zurück, dann ließ er seinen Blick auf der Suche nach dem Leittier schweifen.

Das Männchen hatte sich auf einem Felsen positioniert. Er besaß ein tiefschwarzes Fell, nur um die Schnauze war er bereits ergraut. Seine Augen hatten die Farbe von flüssigem Gold. Intelligenz blitzte darin auf. »Er wird den Köder nicht schlucken«, murmelte Maerkyn vor sich hin.

»Was meinst du?« Bisra trat neben ihn. Sie hatte sich ein zerschlissenes Tuch um die Schultern geschlungen und klammerte sich daran fest, als wolle sie es nicht mehr loslassen.

»Ich ... äh.«

Wie immer, wenn er mit ihr alleine redete, fühlte er sich völlig überfordert. Ihre Verletzlichkeit machte ihn nervös und unsicher.

»Die Pferde ...«, stotterte er, »wir wollten sie als Ablenkung brauchen, aber ich denke nicht, dass es klappen wird.«

»Warum nicht?«, fragte sie mit vor Angst großen Augen.

»Ich weiß es nicht. Er scheint mir zu gescheit.«

»Er?«

»Siehst du das Männchen dort? Den im schwarzen Fell? Er ist das Leittier.«

Sie folgte mit dem Blick seinem ausgestreckten Zeigefinger und gab einen erstickten Laut von sich.

»Ich weiß, was du meinst!«, wisperte sie. »Er ist böse.«

»Ich hatte eher listig sagen wollen. Wir dürfen ihn nicht unterschätzen.«

Die Tochter des Samirs trat zu ihnen.

»Verschrecke sie doch nicht noch mehr«, zischte Janan ihm zu.

Maerkyn öffnete empört den Mund, schloss ihn dann aber wieder, ohne etwas zu sagen. Er konnte seine Energie für Besseres verwenden und wollte ohnehin nicht mit ihr streiten.

Er ging zu Horo. »Lass die Pferde los, ich versuche das Feuer in Gang zu bringen.«

Als er mit Zunder und Anzünder hantierte, versuchte er nicht auf das ängstliche Wiehern der Pferde zu achten. Offenbar hatten sie gespürt, dass ihre Chancen weit besser waren, wenn sie bei den Menschen blieben. Schlussendlich zog Horo fluchend seinen Dolch und schnitt der einen Stute in die Flanke. Mit riesigen Sätzen galoppierten die drei los. Für einen Moment vergaß Maerkyn das Feuer. Gespannt sah er den Tieren nach. Sie waren geradewegs auf die Wölfe zugelaufen, schlugen dann aber einen Haken und scherten nach rechts aus.

Ein junger Wolf sprang den Reittieren nach, doch Maerkyns Grauschimmel schlug mit den Hinterbeinen aus und traf das Raubtier am Schädel. Jaulend ging dieses nieder.

Bist wohl doch nicht so ein Hasenfuß, hm?

Zwei weitere Tiere gesellten sich zum Verletzten und beschnupperten es besorgt. Ansonsten machte keines Anstalten den fliehenden Reittieren zu folgen.

Obwohl Maerkyn das erwartet hatte, fluchte er erneut. Ihr letztes Stück Hoffnung war dahin. Es würde eine lange und harte Nacht werden.

Die Sonne verschwand hinter den schroffen Gipfeln und es wurde merklich kühler.

Die Pferde waren mittlerweile verschwunden und das Rudel begann sie einzukesseln. Unruhig liefen die Wölfe hin und her und vergaßen dabei nie, sie aus den Augen zu lassen.

Bisra, Horo und Janan fanden sich hinter Maerkyn ein und noch einmal fühlte er die Last der Verantwortung auf seinen Schultern. Er atmete tief ein, verdrängte das erdrückende Gefühl und schlüpfte in die Rolle des Ra’ad, der es gewöhnt war, Befehle zu geben und seine Einheit sicher durch Gefahren zu leiten.

Er wandte sich zu seinen Gefährten um und blickte ihnen fest in die Augen, als er sie jeweils ansprach: »Horo, bleib auf der westlichen Seite des Feuers. Ich positioniere mich östlich. Janan halte die nördliche und Bisra du bleibst auf der südlichen Seite.«

Als er ihren verständnislosen Blick auffing, präzisierte er: »Rechts von mir.« Die zierliche Leibdienerin nickte. Ihr Gesicht war kalkweiß und die Augen groß vor Angst.

»Versucht sie auf Distanz zu halten. Werft Steine nach ihnen, wenn sie in eure Wurfweite kommen. Sind sie zu nah, verteidigt ihr zwei Frauen euch mit den Ästen, die hinter euch im Feuer liegen. Wenn das nicht mehr hilft, nehmt die Messer. Horo gibt Bisra seinen Dolch und du kannst meinen haben, Janan.« Er versuchte ihr ein aufmunterndes Lächeln zu schenken. »Auch, wenn ihr diese sicher nicht brauchen werdet.« Diese Worte wurden mit einem bangen Schweigen quittiert.

»Horo und ich haben unsere Schwerter, das muss reichen.«

Er warf einen Blick in die Runde. »Wir werden das überstehen!«

Als sie alle ihre Stellung eingenommen hatten, rückten die Wölfe ein gutes Stück näher. Man konnte den einzelnen Tieren ansehen, dass dies nicht ihre bevorzugte Jagdmethode war. Unruhig streiften sie hin und her und ließen immer wieder ein Grollen, das tief aus ihrem Brustkorb drang, hören. Viel lieber wäre ihnen eine Hetzjagd gewesen. Doch ihre Opfer hatten ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Während das Licht immer spärlicher wurde, rückten die Wölfe näher und näher. Maerkyn wandte sich nicht um, aber er hörte, dass sein Offizier knirschend einen Stein aufhob und ihn mit einem Grunzen warf.

Da kein Jaulen erklang, musste er das Tier verpasst haben.

Zeit verstrich. Das Feuer in seinem Rücken begann deutliche Kontraste zu bilden, als die Nacht hereinbrach. Es knackte und knisterte.

»Auf was warten sie?«, wisperte Janan.

Als ob dies ein Zeichen gewesen wäre, warf der schwarze Leitwolf den Kopf in die Höhe und stimmte ein schauriges Heulen an. Sein Rudel fiel mit in den Chor ein und bald dröhnten den Menschen die Ohren. Das Heulen erreichte seinen Höhepunkt und verwandelte sich in ein vorfreudiges Knurren.

»Da kommen sie. Seid bereit!«, rief Maerkyn. Er bückte sich und warf den ersten Stein. Drei Wölfe kamen auf ihn zu. In ihren gelben Augen spiegelte sich das unruhige Feuer hinter ihm.

Er traf nicht, doch es gelang ihm, ihren Angriff zu verlangsamen. Schnell bückte er sich, um das nächste Geschoss aufzuheben. Dieses Mal nahm er sich mehr Zeit zum zielen – und es lohnte sich. Der Stein schlug einem Wolf gegen die empfindliche Flanke. Jaulend ging dieser nieder und Maerkyn wünschte sich, dass möglichst viele Knochen gebrochen waren.

Er hörte die Steine der anderen. Die meisten schienen ihr Ziel verfehlt zu haben, doch ab und zu waren die Würfe auch erfolgreich. Die zwei verbliebenen Wölfe, die es auf Maerkyn abgesehen hatten, kamen angetrabt, Lefzen hochgezogen, Ohren angelegt und die Muskeln angespannt.

Er wagte es nicht, sich nach einem weiteren Stein zu bücken. Stattdessen zog er sein Schwert. Mit einem scharrenden Geräusch fuhr die Klinge aus der Scheide. Aus seinem Augenwinkel sah er, wie Janan den glühenden Ast schwenkte. Dazu stieß sie ein Trillern aus, das dem Kampfschrei von Simbron gar nicht unähnlich war.

Eine Welle aus Stolz überschwemmte Maerkyn.

Sie zeigt keine Angst. Gut so.

Einer der Wölfe, grau mit einem geknickten Ohr, kam knurrend angetrabt. Der ehemalige König von Ionaen stieß selbst einen Schlachtruf aus und hob das Schwert. Horo tat es ihm gleich und auch Bisra begann wütend zu kreischen.

Der Wolf spannte die Muskeln an und sprang. Er machte es dem ehemaligen König einfach und so zögerte dieser nicht, mit seiner Klinge den ungeschützten Unterleib des Tieres aufzuschlitzen.

Blut und Innereien spritzen auf, doch Maerkyn hatte keine Zeit, sich an seinem kleinen Sieg zu freuen, denn das zweite Exemplar ließ sich vom Tod seines Bruders nicht lange aufhalten und griff an.

Der Wolf bewies Intelligenz, denn er setzte nicht zum Sprung an, sondern pirschte nah dem Boden entlang. Maerkyn konnte sehen, wie sich die Muskeln unter dem Pelz anspannten und er packte sein Schwert fester, bereit, blitzschnell zuzustechen. Jetzt geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Janan prallte von rechts in seinen Rücken und für einen Moment rang er um sein Gleichgewicht. Sein Gegner nutzte dieses Missgeschick gnadenlos aus und hechtete vorwärts. Die gelben Reißer blitzten im Licht des Feuers auf. Maerkyn versuchte im Fallen noch, von seinem Schwert Gebrauch zu machen, aber die Klinge glitt mit der Breitseite harmlos am filzigen Pelz ab. Steine bohrten sich in seine Vorderseite, als er der Länge nach hinschlug. Weil der Boden abschüssig war, rutschte Janan direkt in die Fänge des Wolfes. Maerkyns jahrelange Ausbildung als Krieger verhinderte, dass er vor Schreck gelähmt liegen blieb. Sein Schwert war auf so nahe Distanz nutzlos, also ließ er den Griff los, stemmte sich so weit hoch, dass er nun seinerseits seinen Körper vorwärts katapultieren konnte. Mit offenen Armen rammte er den Wolf, der sein Haupt über Janan gesenkt hatte. Der Aufprall raubte ihm erneut fast den Atem. Filziger Pelz glitt ihm durch die Finger und verzweifelt krallte er sich daran fest. Stinkiger Atem schlug ihm entgegen, als das Biest den Kopf herumriss. Maerkyns Schwung reichte aus, um den Wolf von der Prinzessin herunter zu drängen. In einem Knäuel aus Reißzähnen, Pelz und Gliedern gingen sie zusammen nieder. Maerkyn wusste, dass er schnellstens Oberhand über den Zweikampf gewinnen musste. Er boxte dem Tier in die Seite, bewirkte damit jedoch nicht viel. Stattdessen versuchte der Wolf ihn an seiner ungeschützten Kehle zu packen. Wie durch ein Wunder gelang es Maerkyn, Ober- und Unterkiefer des Tieres zu ergreifen. Wieder schlug ihm der Gestank faulen Fleisches entgegen, doch er durfte nicht zulassen, auch nur für den Bruchteil eines Herzschlages die Konzentration zu verlieren. Mit schierer Muskelkraft zwang er die Kiefer auseinander. Der Wolf hielt dagegen und bohrte ihm die krallenbewehrten Pfoten tief in die Schultern. Maerkyn ließ nicht locker. Aber auch sein Gegner wollte den Sieg. Es gelang ihm nicht, Maerkyns Stahlgriff zu entweichen. Stattdessen drängte er mit seinem ganzen Körpergewicht vorwärts. Die rasiermesserscharfen Zähne näherten sich dem Krieger drohend. Maerkyns Kräfte schwanden zusehends. Der Wolf spürte das und presste noch mehr nach. Es konnte sich nur noch um Momente handeln, bis Maerkyns Finger abrutschten und sich die Zähne in seinen ungeschützten Hals bohrten.

Frustriert schrie er auf. Dies konnte nicht das Ende sein!

Die Kiefer entglitten ihm und der Wolf stieß ein triumphierendes Heulen aus, das abrupt in ein erschrecktes Gejaule überging, als ihn plötzlich etwas packte und in die Luft schleuderte. Etwas Blaues leuchtete in der Nacht auf, doch Maerkyn konnte aus seiner Perspektive nicht viel erkennen.

Eilig rappelte er sich auf. Die Schwertklinge funkelte unweit von ihm. Er packte die Waffe und fühlte sich schon ein wenig sicherer. Rechts von ihm japste Janan erschrocken nach Luft. Ein weiterer Wolf stürmte auf die schutzlose Tochter des Samirs zu. Ihr Dolch lag einige Schritte von ihr entfernt am Boden. Da stieß erneut etwas vom Himmel herunter.

Janan hob instinktiv die Hände über den Kopf, doch sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Wie schon vorher bei Maerkyn hatte es ihr unbekannter Beschützer auf die Wölfe abgesehen.

Überraschung gefolgt von unendlicher Erleichterung durchflutete den ehemaligen König von Ionaen.

Es war Khazan. Maerkyn konnte sich zwar keinen Reim darauf machen, weshalb sich Shades Sohn hier aufhielt, aber er wollte ihr Glück nicht infrage stellen.

Er packte sein Schwert und sah sich rasch zu seinen zwei anderen Gefährten um. Bisra war kalkweiß im Gesicht, schien aber unverletzt und auch Horo stand aufrecht. Die Wölfe hatten von den Menschen abgelassen und schlichen nun in sicherem Abstand zu Khazan auf dem Gelände herum.

Das Tamarion war eine imposante Erscheinung. Unter der glatten blauleuchtenden Haut spannten sich kräftige Muskeln. Die Kulleraugen hatten sich zu Schlitzen verengt und leuchteten in einem strahlenden Blau in die Nacht hinaus.

Khazan ließ ein tiefes, warnendes Grollen hören. Aber die Wölfe machten keine Anstalten, sich zu verziehen. Stattdessen kam nun der Anführer angetrabt. Sein schwarzes Fell ließ ihn beinahe mit der dunklen Nacht verschmelzen. Den Kopf geduckt, schlich er näher. Auch er hatte jeden einzelnen Muskel angespannt. Maerkyn sah seinen Verdacht, dass diese Bestie verrückt war, bestätigt. Drei weitere Wölfe hefteten sich an die Fersen ihres Anführers.

Im einen Moment schlichen sie noch, im nächsten jagten sie bereits über die Felsen.

Maerkyn packte seine Waffe fester, um dem Tamarion, wenn nötig, zur Hilfe zu eilen.

Doch er hätte sich keine Sorgen machen müssen. Khazan bewegte sich so schnell, dass seine Umrisse verschwammen. Die Flügel eng an den Körper angelegt, schoss er vorwärts. Der erste Wolf hatte keine Chance, als ihn Khazans kräftige Kiefer im Laufen am Genick packten. Das erschrockene Kläffen endete abrupt, als das Tamarion mit einer fast schon lässigen Bewegung den Kopf schüttelte und dem Tier so das Genick brach. Dies geschah alles während der Dauer weniger Herzschläge. Während das Leittier sich wohlweislich hatte zurückfallen lassen, einigten sich die beiden anderen Wölfe darauf, gemeinsam anzugreifen. Der eine visierte den ungeschützten Hals des Tamarions an, der andere katapultierte sich in die Luft und wollte mit seinen Pranken den Kopf seines Opfers treffen. Geschmeidig tänzelte Khazan zur Seite, sodass beide Angreifer ihr Ziel verfehlten. Er wandte sich um, Krallen blitzten, Blut spritzte und der erste Wolf ging zu Boden. Khazans Kopf schoss vorwärts und seine Kiefer gruben sich tief in den Rücken des anderen.

Maerkyn bemerkte einen sich im Hintergrund in Bewegung geratenden Schatten. Das Leittier wollte diesen Moment der scheinbaren Schwäche ausnutzen. Es setzte zum Sprung an, die gelben Augen groß mit Blutgier.

»Khazan, duck dich!«, schrie Maerkyn, rannte los und stieß sich ab. Er segelte über den Rücken des Tamarions, das Schwert fest im Griff, die Klinge vor sich ausgestreckt. Der schwarze Wolf versuchte seinen Sprung abzubremsen, doch sein Schwung trieb ihn weiter vorwärts. Mit unglaublicher Wucht prallten die beiden zusammen. Sämtliche Luft wurde aus Maerkyns Lungen gepresst. Sein einziger Gedanke galt der Schwertklinge. Sie wurde ihm fast aus den Händen gerissen, als sie sich tief in den Brustkorb des Biestes fraß. Sein eigenes Gewicht trieb sie noch weiter hinein, sodass sie bis zum Heft im Wolf steckte. Dieser stieß ein markerschütterndes Heulen aus und schnappte sogar noch, während die Klinge sein Herz durchdrang, nach Maerkyn.

Die Schwerkraft holte sie ein und brachte sie unsanft auf den felsigen Untergrund zurück.

Der ehemalige König von Ionaen blieb liegen, wo er gelandet war und konzentrierte sich auf seine Atmung. Alles in seinem Körper tat weh. Am liebsten wäre er nie mehr aufgestanden. Aber Janans panische Rufe nach ihm veranlassten ihn dazu, sich schwerfällig auf den Rücken zu drehen. Khazan stand nicht weit von ihm entfern, die blaue Lumineszenz umgab ihn und schmeichelte seinem muskulösen Körper. Unbeeindruckt leckte er sich das Blut von den Zähnen und tapste freudig näher. Da wurde er unsanft beiseite geschoben. Maerkyn wunderte sich noch, wie die Tochter des Samirs nach dem Kampf von eben solche Kräfte mobilisieren konnte, als sie ihm auch schon entgegen gestürzt kam. »Oh Maerkyn! Bist du verletzt? Geht es dir gut?«

Ihre Worte ließen Maerkyns Herz vor Glück anschwellen. Trotz der fortschreitenden Kühle der Nacht rieselte eine angenehme Wärme durch seinen Körper.

»Mir ...«, begann er, doch da hatte sie seinen Kopf schon in den Händen und drückte ihm einen dicken Schmatzer auf die Lippen. Sie hatte wohl nicht mehr beabsichtigt, aber Maerkyn reagierte schnell. Er zog sie näher zu sich und erwiderte innig ihren Kuss. Janan sträubte sich nicht, sondern hing an seinen Lippen wie eine Ertrinkende.

»Ich glaube den anderen beiden ist das unangenehm.« Erst Khazans Stimme in seinem Kopf brachte Maerkyn dazu, innezuhalten.

Er löste sich von der Tochter des Samirs und sah verlegen auf.

Horo und Bisra standen neben dem Tamarion. Sein Offizier hatte die Arme verschränkt. In der Dunkelheit war es schwierig, dessen Gesichtsausdruck auszumachen, doch Maerkyn nahm an, dass sein Freund nicht über beide Ohren strahlte. Bisra stemmte die Arme in die Seite. Dass sie missbilligte, was sie soeben gesehen hatte, konnte er mit Bestimmtheit sagen.

Ächzend kam er auf die Beine und half Janan hoch.

»Danke Khazan. Das war Rettung in letzter Not.« Das Tamarion kam angetrabt und beschnupperte ihn ausgiebig.

»Ich habe dir zu danken. Schwarzlöckchen da drüben hätte mir in den Hintern gebissen, wenn du nicht gewesen wärst.« In seiner Stimme lag aufrichtiger Dank und Maerkyn konnte nicht anders, als zu lächeln. Er begann Khazan hinter den Ohren zu kraulen. Das hatte er schon gemacht, als Shades Sohn noch die Größe einer Katze besessen hatte. Offenbar gefiel ihm diese Liebkosung immer noch.

Während die beiden Frauen Abstand zum Tamarion hielten, trat Horo furchtlos näher. Sie alle kannten Khazan nur vom Sehen her.

»Sprichst nur du mit ihm, oder kann er auch uns verstehen?«, wollte sein Offizier wissen. Khazan bleckte als Reaktion auf diese Worte die Zähne.

Offenbar hatte er etwas zu Horo gesagt, denn dieser errötete plötzlich. Maerkyn schmunzelte. Es geschah selten genug, dass sein Freund verlegen wurde.

»Khazan, was tust du hier«, fragte er.

»Hast du Neuigkeiten von meinem Vater?« Janan drängte sich vor. Sie presste die Hand aufs Herz, so als könne sie damit gute Neuigkeiten herbeiwünschen.

Khazan, der vorher freudig mit seinem dünnen Schwanz gewedelt hatte, wurde auf der Stelle ruhiger.

»Maerkyn, ich fürchte ich bringe schlechte Neuigkeiten«, gestand er schließlich.

Ein eisiger Klumpen lag plötzlich im Magen des Kriegers und er fürchtete sich vor Khazans nächsten Worten.

»Simbron ist tot.«

Maerkyn hörte die Worte, aber er brauchte eine Weile, bis ihre Bedeutung zu ihm durchsickerte.

»Nein«, flüsterte er dann. Sofort hing Janan an seinem Arm. »Was hat er gesagt? Was ist passiert?«

Er konnte ihr noch nicht antworten und schüttelte ihren Arm ab.

»Aber Simbron war in Ikram und du warst mit Shade in den Bergen. Wie kommt es, dass du von ihrem Tod weißt?«

Seine Gefährten hingen an seinen Lippen, um Neuigkeiten von ihrem Zuhause und ihren Liebsten zu erfahren. Da sie jeweils nur Maerkyns Antworten und Reaktionen mitbekamen, mussten sie sich selbst zusammenreimen, was passiert war.

»Mein Onkel schuf ein Tor. Er selbst war schwer verletzt. Papis alter Anführer hat sie getötet. Wir haben es durch das Tor gesehen.«

»Wie schrecklich.«

»Mythos hat ihm ihren Kopf vor die Füße geworfen. Das Tor ist wieder zugegangen, als Khaled starb.«

Maerknys Gedanken wirbelten wild durcheinander.

Khaled ist tot.

»Weißt du etwas über die Stadt? Ist Ikram gefallen?«, wagte er endlich zu fragen.

»Ich war nicht dort. Aber wir wissen beide, dass Onkel Khaled den Samir mit seinem Leben beschützt hat. Wenn er gefallen ist ...«

Khazan ließ das Ende des Satzes unausgesprochen.

» ... dann kann man annehmen, dass der Samir mit ihr untergegangen ist.«