Die Kriegssinfonie Band 1 - Lucie Müller - E-Book

Die Kriegssinfonie Band 1 E-Book

Lucie Müller

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Beschreibung

Krieg. Jedes Mal, wenn die schweren Klänge der Kriegssinfonie durch die Luft schwingen, bedeuten sie dasselbe: Krieg. Er hinterlässt den einen nichts und gibt den anderen alles. Er stürzt alte Helden und bringt neue hervor. Faolan Aleta könnte solch ein Held sein. Dumm nur, dass das Militär ihn beinahe zu Tode foltert, ihm die Erinnerungen an sein früheres Leben raubt und ihn dann in eine geheime Truppe, dem Ring der Gehorsamen, steckt. Wer will sich dann noch für sein Land opfern? Schon bald scheint er jedoch die einzige Hoffnung für Menschen zu sein: Götter, die den Kontinent einst besiedelt haben, planen zurückzukehren und sie scheuen sich nicht, den blutigsten Krieg aller Zeiten anzuzetteln. Faolan muss sich entscheiden ...

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Seitenzahl: 547

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Table of Contents
Die KriegssinfonieBand 1
1.Schatten
2. Albträume
3. Militärs in guter Laune
4. Nicht nach Plan
5. Der Kuss der Göttin
6. Wintersonnenwende
7.Schicksale
8. Erwachen
9.Deserteure
10.Etude
11. Heiße Gemüter
12. Quelle des Lebens
13. Machtprobe
Personenregister
Lucie Müller im Internet:

Die Kriegssinfonie

Band 1

Soldat

Besuchen Sie uns im Internet:

www.verlagshaus-el-gato.de

1. Auflage März 2014

Alle Rechte vorbehalten. 

Das Werk darf - auch teilweise - nur mit

Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Umschlaggestaltung: Grafik & Design Ursula Morgenstern

Bildnachweis: 

Satz: Verlagshaus el Gato

Lektorat: Andrea el Gato, Martin Bold

Druck: Booksfactory

ISBN: 978-3-943596-47-2

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

1.Schatten

„Ihr seid der Arzt, richtig?“ Faolan Aleta schreckte aus seinen Gedanken hoch. Er hatte das Mädchen nicht kommen hören, da dessen weiche Seidenfüßlinge jeden seiner Schritte dämpften.

Wahrscheinlich ist sie geübt darin, unbemerkt herumzuschleichen. Wenn sie mich noch nicht kennt, muss sie hier allerdings neu sein.

Er stand auf und folgte dem Mädchen. Das Haus, in dem nichts Geringeres als die Liebe selbst verkauft wurde, war noch relativ leer. Die meisten Besucher wurden hier erst nach Sonnenuntergang empfangen. Er bildete da eine der wenigen Ausnahmen. Das einzige Geräusch, welches zu hören war, war das Rascheln des knöchellangen Rocks des Mädchens vor ihm. Es würde noch Stunden dauern, bis hier Betrieb herrschte.

Eigentlich kannte er den Weg ja. Dies war nicht sein erster Besuch bei der Prinzessin des Hauses. Aber in diesem Etablissement ging kein Mann alleine irgendwohin. So lautete die Regel, die trotz allem auch für ihn galt. Das Zimmer der Prinzessin lag im ersten Stock. Das Mädchen klopfte einmal höflich, wartete jedoch nicht auf eine Antwort und stieß die Türe auf. Faolan bedankte sich mit einem Nicken und trat ein.

„Guten Morgen, Crystal“, grüßte er. Die Prinzessin oder, anders gesagt, die beste Hure im Haus ruhte bäuchlings auf einem scharlachrot bezogenen Diwan. Auf ihrem Rücken lagen Wärmepakete, die nun, da sie sich bewegte, leicht verrutscht waren.

„Es ist später Nachmittag, Aleta“, meinte sie und blinzelte ihm durch lange Wimpern entgegen.

„Und doch“, er rieb sich die Hände beim Gehen, damit diese gleich nicht allzu kalt waren, „hast du den halben Tag bereits verschlafen, nicht wahr?“ Er stand nun vor dem Diwan und entfernte die Wärmepakete.

„Ich kann nichts dafür, dass sich Sex in der Nacht besser verkauft als am Tag!“, verteidigte sie sich.

„Das war kein Vorwurf, bloß ein kläglicher Anflug von Humor und eine Feststellung. Kopf nach unten bitte.“ Faolan konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Dass einer der begehrenswertesten Körper der ganzen Stadt kaum eine Armlänge von seiner Nase entfernt halbnackt auf einem roten Diwan ruhte, machte es für ihn nicht wirklich einfacher, sich entspannt seiner bevorstehenden Aufgabe zu widmen. Auch die Erinnerungen daran, was nach den letzten beiden Besuchen passiert war, trugen nicht gerade zu seiner Konzentration bei. Zum Glück hatte Crystal ihren Kopf zwischen die Kissen gelegt. Die rot leuchtenden Ohren Faolans hätte sie wahrscheinlich urkomisch gefunden. Außerdem passten diese überhaupt nicht zum Bild, welches sie sich von ihm gemacht hatte: junger Feldarzt, talentiert, sportlich, seriös und leidenschaftlich - rote Ohren beim Gedanken an ein heißes Stelldichein waren keine gute Ergänzung.

Faolan befeuchtete seine trockenen Lippen und rieb sich erneut die Hände. Dann strich er ihr das lange, braun gelockte Haar vom Rücken. Das leicht gedimmte Licht im Raum brachte ihren honigfarbenen Teint zum Strahlen, doch der junge Arzt hatte sich endlich in den Griff bekommen. Mit geübten Händen tastete er die Wirbelsäule ab. Auf der Höhe des Schulterblattes hatten sich vor zehn Tagen ihre Wirbel verschoben – wobei dieser Unfall geschehen war, wollte er eigentlich gar nicht wissen. Die Verschiebung hatte eine Blockade der Nerven, die in den rechten Arm führten, zur Folge gehabt. Die Verletzung war nicht gravierend, wenn man wusste, wie man sie behandeln musste. Faolans Aufgabe bestand darin, die Wirbel zu richten, ohne dabei Nerven oder anderes Gewebe zu schädigen. Nachdem er seine Hand richtig platziert hatte, wies er seine Patientin an, tief einzuatmen. Während sie dann ausatmete, renkte er die Wirbel mit einer gezielten Bewegung wieder ein. Mit einem knackenden Geräusch rutschten diese wieder an ihren alten Platz zurück.

„So, das war’s. Von nun an solltest du keine Beschwerden mehr haben.“ Er beugte sich zu ihrem Ohr hinunter und hauchte: „Es war mir ein Vergnügen, Euch zu dienen.“ Nach diesen Worten wandte er sich ab und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen.

„Du willst doch nicht wirklich gehen, Aleta?!“ Er war schon bei der Türe angekommen, als er Crystals Stimme vernahm.

Nein, natürlich nicht. Kein Mann geht hier freiwillig weg.

„Die Sonne geht noch lange nicht unter. Dreh dich um, Aleta!“ Er gehorchte sofort. Sie hatte sich aufgesetzt. Dabei war ihr die Decke, die sie vorher von der Taille abwärts bedeckt hatte, hinuntergerutscht. Natürlich trug sie nichts darunter. Faolan wurde heiß und er wurde sich seiner eigenen Kleidung fast überdeutlich bewusst. Da die Einladung nun wirklich nicht klarer hätte sein können, gab er endlich nach.

Auf dem Rückweg zur wartenden Prinzessin entledigte er sich seiner Stiefel und Socken. Während sie ihm dann sein Hemd vom Körper riss, kümmerte er sich um seine Hose. Crystals Augen waren groß geworden und sie stieß ein zufriedenes Gurren aus, als er zu ihr auf den Diwan kam. In der folgenden Zeit vergaßen die beiden die Welt um sich herum. Es gab nur ihre Leidenschaft, die Freude am Körper des anderen, das Adrenalin, welches durch ihre Adern schoss.

Faolan war mit seinen dreiundzwanzig Jahren schon mit manch einer Frau im Bett gewesen. Aber bis zu diesem Zeitpunkt hatte es niemanden gegeben, der an die Künste der Prinzessin herangekommen wäre. Doch es war nicht nur das Handwerk allein, welches Crystal so meisterlich beherrschte und das Ganze zu einem so unvergleichlichen Erlebnis machte, sondern auch die Leidenschaft, die sie ihm entgegenbrachte. Faolan hatte bisher nie wirklich geliebt. Ja, er hatte vielleicht geglaubt, dass er so etwas wie Liebe gegenüber den verschiedenen Mädchen, die er an seiner Seite gehabt hatte, empfinden müsste. Doch in Wahrheit hatte sein Herz nie ganz einer von ihnen gehört. Das, was er mit der Prinzessin der Huren erlebte, kam dem Gefühl, welches er als Liebe bezeichnen würde, noch am nächsten.

Während ihre vereinten Körper sich im Rhythmus ihres hämmernden Pulses bewegten, verschwendete der junge Arzt natürlich keinen einzigen Gedanken an vergangene Techtelmechtel. Solche Dinge beschäftigten seine grauen Hirnzellen erst danach. Dann, wenn sie beide, schweißgebadet und mit rasenden Herzen, nebeneinanderlagen. Dann, wenn er sich am liebsten zu ihr umgedreht hätte, ihr tief in die Augen geschaut und ihr seine Liebe gestanden hätte. Er tat es nicht, weil es falsch gewesen wäre. Stattdessen wälzte er sich auf den Bauch, küsste sie flüchtig auf die Lippen und stand dann auf, um seine Kleider anzuziehen.

„Du gehst?“, fragte sie.

„Ich besitze nicht genug Geld, um dich zu bezahlen, meine Liebe.“

„Und du kommst nicht wieder?“

„Deine Wirbel sind wieder dort, wo sie sein sollten,“ erwiderte er und stellte sich vor den wuchtigen Spiegel, der die eine Zimmerwand schmückte. Ihm sah ein junger Mann von mittlerer Statur entgegen. Seit er das Militär verlassen hatte, hatte er sehr zu seinem Leidwesen ein wenig an Muskelmasse eingebüßt. Er musterte sich kritisch und fragte sich nicht zum ersten Mal, was denn Crystal an ihm fand. Schließlich gab es besser aussehende Männer als ihn. Sein Gesicht war ebenmäßig, aber nicht besonders markant und wurde von seinem schwarzen, fast schulterlangen Schopf eingerahmt. Einzig seine Augen gefielen ihm. Sie wurden von dichten Wimpern eingerahmt und strahlten in einem warmen Braunton.

Mit einem Seufzen wandte er sich von seinem Spiegelbild ab. „Es ist mir auf jeden Fall ein Vergnügen gewesen“, versicherte er, wobei er sein zerrissenes Hemd so gut es ging anzog.

„Mir auch, Aleta.“ Sie lächelte ihn durch ihre Locken hindurch an. Er nickte und verließ dann den Raum. Die Luft auf dem Gang war gleich viel frischer und er atmete einige Male tief ein, während er auf das Mädchen wartete, das ihn wieder nach unten eskortieren würde. Lange musste er sich nicht gedulden. Es trug seinen Lohn bereits mit sich und lächelte wissend. Nun, er hatte sich ja zurückgehalten. Aber er hatte nichts gegen Crystals Lustschreie tun können, nicht wahr?! Deshalb nahm er grinsend den Geldbeutel entgegen und verließ, von dem lächelnden Mädchen geleitet, das Freudenhaus.

Es war Sommer und er hatte keinen Mantel mitgenommen. Das war in diesem Fall sein Pech, weil so sein Kleiderfetzen, der einmal ein Hemd gewesen war, der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Nicht, dass es irgendjemanden interessiert hätte, aber Faolan war trotzdem froh, als er bei seiner Unterkunft ankam. Er teilte sich einen Raum und ein Badezimmer mit einem alten Mann. Die Zimmer gehörten einer dicken Witwe, die noch zahlreiche andere Untermieter hatte, welchen sie das Geld aus den Taschen ziehen konnte. Die hohen Preise für die lottrigen Zimmer waren auch der Grund, warum der junge, mehr oder weniger arbeitslose Arzt mit einem anderen Mann zusammenwohnte. Chester war, wie er behauptete, ein alter Kriegsveteran. Tapferer als ein Krieger der Zitadelle, gewiefter als ein Bandit der Steppen und zäher als ein Bewohner des Hochplateaus. Was Faolans Meinung darüber anging, so hielt er den Alten vor allem für eines, nämlich einen Maulhelden.

Als er bei Einbruch der Dämmerung mit einigen Lebensmitteleinkäufen heimkam, erwartete ihn sein Raumgefährte bereits. Chester saß auf einem dreibeinigen Schemel und hatte sich eine kalte Pfeife zwischen die Lippen gesteckt. Er schenkte Faolans zerrissener Kleidung einen kritischen Blick.

„Bist du wieder bei der alten Frau gewesen?“, wollte er wissen, nachdem er die Pfeife herausgenommen hatte.

„Das bin ich in der Tat. Und sieh, es gibt sogar etwas zu essen heute.“ Er zeigte ihm das Schinkenstück und den halben Laib Brot.„Du hättest das Geld lieber für die Miete sparen sollen!“, schalt Chester ihn. „Wir sind mit der Miete hinterher und der alte Drache steht sicher schon bald wieder vor unserer Türe!“

„Essen ist mir wichtiger, als Miete zu zahlen“, meinte Faolan schlicht und zog das, was einmal ein Hemd gewesen war, aus.

„Hat dich wieder die Katze angefallen?“

„Jawohl. Lästiges Viech.“ Faolan suchte nach einem noch intakten Hemd.

„Immerhin scheint die Alte gut zu zahlen. Was hat sie noch gleich?“, brummte Chester.

„Verschobene Wirbel,“ kam die abgelenkte Antwort.

„Aha“, machte Chester. „Vielleicht sollte ich mir auch wieder so etwas wie eine Arbeit zulegen“, überlegte er dann laut.

Faolan hielt in seiner Suche inne und musterte den alten Mann. „Wie kommst du darauf? Gefällt es dir nicht, von mir bemuttert zu werden?“

„Ich lass mich nicht von dir bemuttern, Bürschchen! Im Krieg, damals, war ich einer der begehrtesten Küchenchefs. Aber heute bin ich eben alt - wie das so ist - alt und verrottet, am verwesen, so richtig verwittert, mit einem Fuß im Grab.“

„Nun hör aber auf!“, herrschte der junge Arzt seinen Zimmergenossen an und setzte seine Suche fort. „Warum hast du denn das Gefühl, dass du wieder arbeiten solltest?“, fragte er und hielt ein Hemd hoch. Ein Ärmel wies einige Löcher auf, doch ansonsten sah es gar nicht so schlimm aus.

„Weil ein Brief für dich gekommen ist“, entgegnete der Veteran.

„Was? Ein Brief? Und warum sagst du mir das erst jetzt? Gib her, los, sonst gibt es kein Abendessen für dich!“

Chester reichte ihm widerstrebend den Umschlag, den er in seinem Hemd getragen hatte. Er war aus dickem Pergament und an ihn adressiert. Faolan Aleta, Grünweg 21, Brin. Zweifellos hatte seine Vermieterin den Brief zuerst in die Finger bekommen, doch das amtliche Siegel hatte sie wahrscheinlich davon abgeschreckt, einen Blick auf das Dokument zu werfen. Faolans Herz schlug höher. Dieser Brief kam vom Militär, das konnte eigentlich nur eines bedeuten …

„Nun mach schon auf! Was vertrödelst du deine Zeit mit bloßem Anstarren? Da draußen wartet wahrscheinlich ein Krieg auf dich!“, murrte Chester und man konnte ihm anhören, dass es ihn wurmte, weil an ihn keine solchen Briefe mehr kamen.

Faolan, zog sich hastig das Hemd über, öffnete dann den Umschlag und nahm zwei Dokumente heraus. Das eine war ein Brief, das andere ein Reiseschein. Er faltete das schwere Pergament auseinander.

An Faolan Aleta, Feldarzt im Dienste des Reiches

Ihr, Faolan Aleta, geboren in Kret, Sohn von Janis Aleta, Arzt, werdet gebeten, Euch unverzüglich zur Zitadelle in Eurem Königreich zu begeben. Dieser Befehl wird Euch gemäß Abschnitt 24 des Gesetzes zur Einberufung von Soldaten, Rekruten sowie Söldnern zitiert und es ist bedingungsloser Gehorsam (gemäß Abschnitt 24 Ziffer 5 des Gesetzes zur Einberufung junger Soldaten, Rekruten sowie Söldnern) zu leisten. Falls Ihr Euch verhindert seht, schickt uns einen Eilbrief. Ist dies nicht der Fall, dann bitten wir Euch, mit angemessener Eile diesem Rekrutierungsbefehl Folge zu leisten.

Unterzeichnet i. V. General Algier Voltan

Faolan musste grinsen. „Tja, ein Befehl ist ein Befehl und ich kann nicht einmal sagen, dass es mir leidtut, von hier wegzugehen.“

Chester stand schwerfällig auf und schenkte ihm einen eifersüchtigen, bösen Blick. „Wann gehst du?“

„Heute noch. Wenn ich die letzte Kutsche erwische, dann bin ich morgen dort. Hier, du kannst meine alten Kleider haben, denn ich komme schon bald wieder in den Genuss einer Uniform.“

„Spar dir diese Sticheleien“, knurrte der alte Mann, nahm jedoch die Hemden und das eine Paar Hosen entgegen.

„Vielleicht musst du sie anpassen lassen“, riet ihm Faolan, während er seinen Blick im einfach eingerichteten Raum schweifen ließ. Waffen besaß er keine – die hatte er beim letzten Kriegsende abgeben müssen, da er sie nur geliehen hatte. Außerdem trugen nur sehr wenige, zumeist Lords adeligen Geblüts, in Friedenszeiten Waffen.

Viel besaß er nicht: das, was er am Leibe trug, eine schwarze Ledertasche und seine zwei Medizinbücher sowie ein Notfall-Set mit Hilfswerkzeugen. Die Tasche war groß genug, sodass alles hineinpasste. Schließlich langte er nach seinem Mantel und zog ihn an.

„Das Essen kannst du behalten.“ Er machte eine Pause, weil er nicht wusste, wie er sich verabschieden sollte. Chester half ihm, indem er sich den Schinken und das Brot schnappte, sich auf sein Bett setzte und meinte: „Worauf wartest du? Geh!“ Er sah nicht von seinem Essen auf.

„Na gut. Vielleicht sieht man sich wieder“, meinte Faolan halbherzig.

„Unwahrscheinlich. Dann bin ich doch längst tot.“

Der junge Arzt verließ das Zimmer mit einem schlechten Gewissen. Auch Clothilde, die Witwe, welche die Zimmer vermietete, war nicht unbedingt glücklich, als er seine fällige Miete mit dem restlichen Lohn bezahlte, denn sie verlor mit ihm einen wertvollen Geldspender. Nicht, dass ihn das kümmerte, denn er hatte nun anderes im Kopf.

Die Straßen von Brin, einer kleinen Provinzstadt nördlich der Hauptstadt Karma, waren noch gut bevölkert. Faolan beschleunigte seine Schritte, da er um seinen Platz in der Kutsche fürchtete. Trotz eineinhalb Jahren in dieser Stadt hatte er nicht viele Leute kennengelernt. Schuld daran waren seine mangelnden Bemühungen, eine ehrliche Arbeit zu finden. Er hatte bloß gelegentlich ein paar Leute zusammengeflickt, um sich und Chester über Wasser zu halten. Er hätte es sich natürlich all die Zeit über einfacher machen können, doch er war sich selbst im Weg gewesen. Nach zwei Jahren Krieg und Front war ihm das normale Leben plötzlich leer erschienen. Er hätte diese Phase nicht als Loch bezeichnet. Schließlich hatte er weder Alkohol- noch Drogenexzesse durchlebt. Er war nur unmotiviert gewesen. Aber diese Zeit war jetzt vorbei.

Er erreichte die Kutschstation der Stadt und stellte erleichtert fest, dass nicht allzu viele Reisende noch so spät auf eine Fahrgelegenheit warteten. Kurz vor Mitternacht fuhr die letzte Kutsche. Faolan brauchte nicht einmal Geld, um eine Fahrkarte zu kaufen, da er ja den Reiseschein bekommen hatte. Die Kutsche war noch nicht da, also gesellte er sich zu den anderen wartenden Fahrgästen: eine kleine Familie, bestehend aus einer Mutter und ihren beiden Söhnen sowie ein altes Ehepaar. Die fünf Menschen hatten sich auf eine Bank gezwängt. Beide Buben schliefen. Der Größere neben seiner Mutter, der Kleinere hatte sich auf ihrem Schoß zusammengerollt wie ein kleiner Welpe. Sein Kopf ruhte auf ihrer Brust und er hatte sich einen Daumen in den Mund gesteckt. Seine Mutter war wach und starrte trübselig auf einen unbestimmten Punkt am Boden. Vor ihr standen zwei schwere Koffer. Faolan grüßte sie und die anderen beiden Erwachsenen, doch die Mutter würdigte ihn nur eines müden Blickes und das alte Paar schenkte ihm überhaupt keine Beachtung. Stattdessen fuhren sie mit ihrer gedämpften Unterhaltung fort. Der junge Arzt hätte sich mehr anstrengen müssen, wenn er etwas davon hätte verstehen wollen. Doch für solche Spielereien war er zu müde.

Während der Himmel über ihm immer mehr Farbe verlor, bis er schließlich schwarz war und die ersten Sterne des Firmamentes zu funkeln begannen, wartete Faolan ungeduldig. Es war kühl geworden und er war froh über seinen Mantel.

Die Zeit verstrich schleppend und Faolans Hochgefühl hatte Zeit, sich abzuschwächen. Eine kleine zweifelnde Stimme hatte sich in seinem Kopf gemeldet und warnte ihn nun: Er solle sich noch nicht zu sehr freuen. Nur, weil der letzte Einsatz so glimpflich verlaufen war, hieß das noch lange nicht, dass es dieses Mal genauso ablaufen würde. Schließlich handelte es sich immer noch um Krieg und dabei gab es Gewinner und Verlierer. Das letzte Mal, vor drei Jahren, hatten sie gesiegt – glorreich. Damals hatten die Truppen des Hochkönigs ein kleines Reich namens Eliane eingenommen. Eigentlich war es nicht mehr als ein Herzogtum gewesen, das anhand von einigen kaum mehr lesbaren Urkunden von zweifelhafter Gültigkeit auf seine Souveränität gepocht hatte. Damals konnten sie nur gewinnen. Jedes Reich hatte seine Feinde, so auch Korin, aber in jenem Moment fiel es Faolan schwer, sich vorzustellen, wer die neue Bedrohung für das Land darstellte.

Endlich kam die Kutsche angerollt. Vier dunkle Pferde zogen das schwarz angestrichene, hölzerne Gefährt. Der Kutscher, ein breit gebauter Mann mit Hakennase, zusammengewachsenen, buschigen Augenbrauen und Krähenfüßen um die Augen, sprang vom Kutschbock und grüßte seine nächtlichen Fahrgäste. Bevor er sie jedoch in die Kabine ließ, ging er selbst hinein. Die Reisenden hörten ihn rumoren und fluchen. Schließlich schwang die Tür wieder auf, er trat heraus und forderte die Gäste auf, Platz zu nehmen. Als Faolan sah, dass die junge Frau Mühe hatte mit den Kindern und Koffern, ging er ihr zur Hand. Mehr als einen dankbaren Blick bekam er dafür jedoch nicht.

Weil sie so wenige waren – die Kutsche war mindestens für ein Dutzend Menschen gebaut - konnten sie ihre Koffer und Taschen gleich mit hineinnehmen.

Alle außer Faolan schienen zu müde für ein Gespräch zu sein. Und tatsächlich, nachdem sie angerollt waren und sich allmählich an all das Geschüttel und Gerüttel gewöhnt hatten, schlief einer nach dem anderen ein.

Eine Weile spähte der junge Arzt aus dem kleinen Fenster, doch seit sie die Stadt verlassen hatten, sah er nichts anderes mehr als die leicht verzerrte Spiegelung seines blassen Gesichtes und der kleinen Gaslampe, die an einem Haken an der Decke der Kutsche hing und in regelmäßigem Takt hin und her pendelte. Auf dem Land war es stockfinster, weswegen er auch nichts von der Landschaft draußen sehen konnte.

Irgendwann schlief er dann doch ein, aber Erholung brachte ihm dies nicht wirklich. Die ungewohnte Schlafstellung hatte ihm einen steifen Nacken und einen eingeschlafenen Arm beschert. Das alte Pärchen tuschelte wieder miteinander, der Rest schlief noch. Faolan hatte einen bitteren Geschmack im Mund und wollte unbedingt etwas trinken. Da er jedoch nichts dabei hatte, musste sein Durst erst einmal warten, bis er in der Zitadelle angekommen war.

Er veränderte seine Sitzposition ein wenig und warf einen Blick aus dem Fenster. Zunächst sah er nicht viel, da die Scheibe beschlagen war. Es war früher Morgen, windig und bedeckt und die Landschaft war hügeliger geworden. Die Ackerflächen waren seltener bestellt, sondern wurden als Weiden für Kühe, Rinder und Pferde, Langhaarziegen und Wollschafe gebraucht. Faolans Magen meldete sich mit einem Grollen, das an einen Felssturz erinnerte, doch auch dieser musste warten. Vielleicht schaffte er es noch, etwas vom Frühstück in der Zitadelle zu erwischen. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, und bevor er noch zu sabbern anfing, lenkte er seine Gedanken in eine andere Richtung. Bis sie schließlich an ihrem Ziel ankamen, hatte er jedoch noch immer keine zufriedenstellende Erklärung gefunden, die seinen Marschbefehl hätte begründen können. Zum Glück war die Reise nicht endlos.

Mit knurrendem Magen, einem trockenen Mund und einem steifen Nacken kletterte Faolan aus der Kutsche. Nach dem düsteren Wageninnern blendeten ihn die grauen Wolken, sodass er einige Male blinzeln musste. Er verabschiedete sich von seinen Mitreisenden und machte sich auf den Weg zur Zitadelle.

Diese lag ein wenig erhöht über einer kleinen Ansammlung von Höfen. Eine einzelne Taverne, Der Lustige Fiedler, bot Reisenden ein Dach über dem Kopf. In die Zitadelle selbst kam man nur mit entsprechenden Papieren. Deshalb geschah es auch oft, dass jene, die trotzdem ihr Glück versuchten oder auf ihre Papiere warten wollten, in diesem Gasthof eine vorübergehende Bleibe fanden. Faolan interessierte sich allerdings nicht für den Gasthof, sondern folgte dem gepflasterten Hauptweg.

„Aye, Aleta!“, rief jemand hinter ihm.

Der junge Arzt wandte sich um und grinste der Person entgegen, die hinter ihm die Straße hinaufkam.

„Garey! So sieht man sich wieder!“

„Das habe ich gehofft. Was wäre denn ein Krieg ohne dich?!“ Faolans Freund erreichte ihn und sie begrüßten sich herzlich. „Wie lange bist du schon hier?“, wollte der Mann mit dem sandfarbenen Haar dann wissen. Er war breiter gebaut als Faolan. Außerdem war er einer der besten Schwertkämpfer, die Faolan kannte. Nach dem Sieg über Eliane hatte ihm der General persönlich eine Tapferkeitsmedaille überreicht.

„Gerade erst angekommen.“

„Dann komm mit. Ich zeige dir, wo sie uns vorübergehend einquartiert haben.“

Die Glocke schlug Mittag, als Faolan und Garey zu einem Essen mit den oberen Offizieren gerufen wurden. Als sie in den schattigen Garten traten, trafen sie zahlreiche bekannte Gesichter an. Unter wuchtigen Bäumen waren Bänke und Tische aufgestellt worden. Über einem großen Feuer wurden zwei Schweine gebraten. Faolan, der das Frühstück endgültig hatte auslassen müssen, lief das Wasser erneut im Mund zusammen, als er die goldfarbenen, glänzenden Festschmäuse sah. Doch erneut musste er sich in Geduld üben. Er strich seine neue Uniform überflüssigerweise glatt und sah sich um. Garey war verschwunden, doch das störte ihn nicht. Er ließ seinen Blick schweifen. Neben dem Feuer über einen Tisch gebeugt standen vier Offiziere. Ihre Diskussion sah erregt aus und einer mit kurzen, stahlgrauen Haaren trommelte einige Male auf einen bestimmten Punkt auf der Karte, die dort lag. Krieg?! Das Stichwort erschien erneut in Faolans Kopf. Was blieben denn auch für Alternativen übrig? Aber warum waren sie dann so wenige? Im Garten befanden sich nicht mehr als hundert Rekruten. Diese Zahl war bei Weitem zu niedrig, um etwas Vernünftiges auf die Beine zu stellen.

„Sir, wenn Ihr mir bitte folgen würdet.“ Faolan schreckte aus seinen Gedanken hoch. Ein Junge stand vor ihm. Er trug die Livree der Zitadelle, war also ein Bediensteter. Der junge Arzt folgte ihm verwirrt.

Sie verließen den Garten durch einen offenen Kreuzgang, wobei der Junge ein forsches Tempo vorgab. Die Gedanken in Faolans Kopf purzelten wie wild durcheinander. Warum war er vom Essen weggerufen worden, bevor es überhaupt begonnen hatte, wenn man ihn doch dorthin eingeladen hatte? Seine Fragen sollten sich endlich klären, als er in ein schlichtes Hinterzimmer geführt wurde. Viel überflüssigen Schmuck und Schnickschnack gab es hinter den soliden Mauern der Zitadelle sowieso nicht. So kam es, dass auch dieser Raum nur mit der anhaftenden, militärischen Atmosphäre bestechen konnte. Dazu trugen auch die beiden ranghöchsten Armeemitglieder, die Korin vorzuweisen hatte, bei. Faolan fluchte innerlich, als er die beiden Herren sah.

Bei Thion, warum hat mich niemand vorwarnen können?!

„General Voltan, Lieutenant General Grimm!“ Er salutierte noch im Türrahmen stehend.

„Soldat Aleta! Kommt herein und steht bequem!“

Faolan gehorchte sofort. Bis zu diesem Zeitpunkt war er noch keinem der beiden begegnet. Ein gewöhnlicher Soldat konnte normalerweise von Glück reden, wenn er die Silhouette einer der beiden Männer irgendwo am Horizont sah. Und nun stand er vor ihnen. Ja, sie hatten ihn gar herbeigebeten! Unglaublich. Faolan war hin- und hergerissen zwischen kindlicher Freude und Sorge vor dem, was ihn erwartete.

Er musterte die beiden Männer. Keiner von ihnen trug eine Rüstung. Stattdessen waren sie in schlichte Uniformen gekleidet. Den General erkannte man am goldenen Saum und dem mit Goldfaden aufgestickten Wappen Korins: eine Burgruine, hinter der die Sonne aufging. Lieutenant General Grimm trug dasselbe Gewand, mit dem Unterschied, dass dieses nur Silber schmückte.

Der General schien um einige Jahre älter zu sein als Grimm. Sein Haar war bereits grau, aber er sah noch rüstig aus. Der Blick aus seinen stahlgrauen Augen war stechend. Während Voltan ruhig dastand, wirkte Grimm viel rastloser. Ständig fuhr er sich durch den kurzen, blonden Schopf und verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere. Er war ein gut aussehender Mann mit markanten Gesichtszügen. In seinen verwaschenen, blauen Augen lauerte jedoch etwas Verschlagenes, sodass sich seine Gegenüber stets fragten, was sie von ihm als Nächstes zu erwarten hatten.

„Aleta“, eröffnete Lieutenant General Grimm das Gespräch. „Wir haben nicht viel Zeit, deshalb komme ich gleich zum Punkt.“

„Sir.“

„Doch zuerst will ich sichergehen, dass Euch bewusst ist, dass nichts von diesem Treffen nach draußen gelangen darf.“

„Natürlich, Sir!“ Faolan blickte den Lieutenant General gespannt an. Es war so weit. Hoffnung keimte in ihm auf, endlich Klarheit zu bekommen.

Nun-

„Ihr seid ab sofort ...“

Offizier vielleicht? Oder Lieutenant? Auf jeden Fall etwas ...

„ ...aus dem Armeedienst entlassen.“

...etwas Wichtiges.

Faolan war wie vor den Kopf gestoßen. „Ich…“, begann er, doch er beendete den Satz nicht. Er hatte sagen wollen, dass er nicht ganz verstand, doch was gab es da nicht zu verstehen?

„Ihre Dienste werden anderswo gebraucht“, schaltete sich nun auch General Voltan in das Gespräch ein.

„Anderswo? Sir?“ Bei Thion, Faolan hätte seine Frustration am liebsten laut hinausgeschrien. Nichts machte mehr Sinn! Wussten diese Männer überhaupt, was sie da von sich gaben?

„Anderswo“, bestätigte der General.

„Aber bevor wir Euch weiter einweihen, müssen wir uns über etwas Klarheit verschaffen.“

Der junge Arzt zuckte resigniert mit den Schultern. Sie machten ja sowieso mit ihm, was sie wollten, nicht wahr?

„Gut. Dann hole Yann herein!“ Der General hatte sich an seinen Lieutenant gewandt. Dieser nickte und öffnete die Türe zu einem kleinen Kämmerchen. Faolan hatte sie vorher nicht bemerkt, da die beiden Männer davor gestanden hatten.

Yann war ein altes, buckliges Männchen. Er hatte eine knochige Hand um den Unterarm Grimms gelegt. Sein Gang war unsicher und mühsam. Er trug ein altes Hemd und dazu löchrige Hosen.

Faolan zwang sich dazu, all die Fragen, die ihm durch den Kopf wirbelten, zu ignorieren. Obwohl er dadurch befürchten musste, dass sein Schädel demnächst platzen würde, weil es mit jedem Herzschlag mehr wurden.

Als Lieutenant General Grimm wieder bei ihnen stand, befreite er sich von der Umklammerung des alten Mannes. Seine dünnen Lippen hatten sich leicht verzogen, so, als ob er befürchten würde, dass seine Uniform nun schmutzig sei.

„Yann.“

Als der General den Namen des Greises aussprach, hob dieser sein Haupt, welches bis zu diesem Zeitpunkt gesenkt gewesen war. Faolan sog scharf die Luft ein, als die leeren Augenhöhlen Yanns plötzlich vor ihm gähnten.

Ein Kriegsversehrter oder ein Folteropfer?

Obwohl General Voltan mit ihm sprach, zeigte die Stirn des Alten zum jungen Arzt.

„Vor dir steht Faolan Aleta. Wir wollen wissen, ob er einer von ihnen ist.“

Der Greis tat einen unsicheren Schritt in Richtung Faolan. Ein säuerlicher Gestank nach Schweiß kroch dessen Nase hinauf. Der Alte war nun so nah, dass dem jungen Arzt die vielen feinen Narben auffielen, die sich wie ein wirres Spinnennetz über der Haut des Greises ausbreiteten. Was hatte man diesem Mann angetan? Und was hatte dieser mit ihm, Faolan, zu tun?

Yann hob eine dürre, mit Altersflecken übersäte Hand. Faolan war bereit, zurückzuweichen, falls sie ihn berühren sollte, doch zum Glück war dem nicht so. Nur wenige Fingerbreit vor seiner Nasenspitze verharrte die Hand.

„Er hat es in sich. Jawohl“, murmelte Yann dann. „Die Schatten flüstern es mir zu. Shade…jawohl…Schatten…jawohl, jawohl…“, nuschelte der Alte weiter. Plötzlich rief er: „Ich habe Hunger! Gebt mir zu essen!“ Doch das Einzige, was daraufhin geschah, war, dass Lieutenant General Grimm ihn grob an der Schulter packte und ihn zurück in sein dunkles Kämmerchen schleifte.

„General, Sir, ich fürchte, ich verstehe nicht ganz. Was hat das zu bedeuten?“, fragte Faolan endlich.

Der General legte ihm freundschaftlich einen Arm um die Schulter. „Das bedeutet, mein Sohn“, er winkte Grimm zu, dass er die Tür, die aus dem Raum hinausführte, öffnen sollte, „dass wir deine Dienste nun wirklich an einem anderen Ort brauchen können.“

„Aber die Armee ...“, begann Faolan, während er hinausgeführt wurde. Der Arm des Generals lastete schwer auf seiner Schulter.

„Die Armee reicht nicht aus, um das Hochkönigtum zu schützen. Das sollte einem klugen Burschen wie dir ja klar sein“, erklärte der General.

„Nicht, Sir?“

„Nein. Deshalb gibt es eine geheime Truppe, die im Verborgenen das Reich beschützt - und unseren Hochkönigtum natürlich.“

Sie wanderten durch verschiedene Gänge immer tiefer in das Gemäuer der Zitadelle hinein. Faolan war schwindlig geworden. Am liebsten wäre er für einen kurzen Moment stehen geblieben.Doch der General drängte ihn weiter und dicht hinter ihnen folgte Grimm.

„Und ich soll ein Mitglied dieser Einheit werden?“, fragte er dann.

„Du hast gute Qualifikationen: kannst anständig kämpfen, bist ein kluger Kopf und ein begabter Arzt. Wir haben dich seit Eliane im Auge. Und nun kann es tatsächlich sein, dass du in die Truppe aufgenommen wirst.“

Sie erreichten eine schmiedeeiserne Tür. Inzwischen waren die Fenster längst von den Wänden verschwunden. Fackeln erzeugten ein gelbes, unstetes Licht und die Luft war stickig geworden. Der General öffnete die Tür und drängte den verwirrten jungen Mann hinein.

„Du kannst dich ihr anschließen, wenn du das hier überlebst.“ Der Lieutenant General war ihnen gefolgt und ließ die Türe hinter sich mit einem Knall ins Schloss fallen.

„Was…?“

Eine Falle!

Faolan wandte sich unter dem Arm des Generals, doch dieser hatte ihn plötzlich im stählernen Griff.

„Warum wehrst du dich? Du machst es nur noch schwerer für uns alle.“ Der General hielt ihn nun mit beiden Händen fest. „Kart! Komm her!“

Faolan sah ein, dass Gegenwehr ihm im Moment nichts außer Schmerzen einbrachte, deshalb stellte er sie ein. Stattdessen sah er sich um und das, was er da sah, gefiel ihm überhaupt nicht. Vor ihm stand ein flacher Metalltisch, an dessen oberen und unteren Ende Hand- und Fußfesseln befestigt worden waren. Weiter hinten konnte er diverse Gestelle erkennen, auf denen sich glänzende Gegenstände befanden. Dann bewegte sich plötzlich etwas in den Schatten.

Der Mann namens Kart trat hervor ins Licht. „General, Lieutenant General.“ Kart war ein korpulenter Mann, dessen Körper eine Birnenform hatte. Schütteres, flachsfarbenes Haar spross rund um eine Halbglatze. Die Haut des Mannes war ungewöhnlich blass und fleckig. So, als ob er nicht allzu viel Zeit im Sonnenlicht verbracht hätte.

„Habt Ihr eine neue Ratte gefunden? Macht ihn fest, während ich meine Werkzeuge zusammensuche. Was wollen wir denn aus ihm machen?“, plapperte er vor sich hin und verschwand aus Faolans Gesichtsfeld. Die beiden kräftigen Männer bugsierten den sich sträubenden Arzt zum Metalltisch.

„Lasst mich gehen, bei Thion! Was habe ich Euch denn angetan? Ich bin ein guter Rekrut. Ich kann-“ Er wurde unsanft auf die kalte Eisenplatte geworfen. Der Aufprall raubte ihm für einen Moment den Atem, um weiterzuflehen.

Doch die Herren Generäle arbeiteten nun still vor sich hin, ohne auf ihn zu achten. Lederriemen wurden um seine Hand- und Fußgelenke festgezurrt. Faolan begann erneut, sich zu winden, bis der Lieutenant General offenbar seine Geduld mit ihm verlor und ihm seine Faust gegen die Schläfe knallte. Für einen kurzen Augenblick verschwamm die Welt vor Faolans Augen und ein Surren kroch ihm über die geprellte Stelle. Grimms Schlag zeigte Wirkung.

Der junge Arzt gab auf. Mit hämmerndem Herzen und kaltem Schweiß auf der Stirn blieb er liegen und horchte auf die Geräusche, die sein seine Ohren erreichten.

„Also, mein Herr General. Was haben wir nun hier?“, tönte Kart zwischen den Regalen hervor.

„Ein Schattenmann“, erwiderte General Voltan.

„Wie außergewöhnlich. Da muss ich wohl ein bisschen weiter hinten graben.“ Karts Stimme klang gedämpft. Eine Weile vernahmen sie nur noch die Schritte des Mannes und, wenn er ab und zu an ein Regal stieß, ein Scheppern und Klimpern.

„Was bedeutet das, ein Schattenmann? Klärt mich doch wenigstens auf!“ Faolan hielt das Schweigen nicht aus. Er bewegte mühsam den Kopf und starrte den General an.

„Du bist ungeduldig, was? In Kürze wirst du alles am eigenen Leibe erfahren. Dann weißt du es“, meinte dieser ungehalten.

„Aber ich will es jetzt wissen!“, schrie der junge Arzt aufgebracht und bäumte sich wieder in seinen Fesseln auf.

Glas klirrte und kurz darauf ertönte Karts herzhaftes Fluchen. „Bei allen Giften und Gebräuen! So sagt doch diesem Kerl, was los ist! Dieses Geschrei belastet meine Ohren!“, beschwerte er sich.

„Na gut. Warum eigentlich nicht?“ Grimms Gesicht erschien in Faolans Gesichtsfeld. Er stützte sich auf dem Tisch ab und grinste höhnisch.

„Du trägst etwas sehr Seltenes in dir. Man könnte sagen, eine Art Krankheit. Mit der richtigen Kombination von Giften kann man sie zum Ausbrechen bringen. Danach werden sich deine Sinne verändern, deine Art zu handeln, deine Fähigkeiten. Ich beneide dich fast schon darum und ich hoffe, dass du diese Veränderung wunderbar finden wirst – wenn du überlebst.“

Faolan konnte mit dieser Beschreibung nicht viel anfangen. Er gab sich nicht einmal Mühe, sie zu verstehen. Auch wenn er noch Augenblicke zuvor Genaueres verlangt hatte. Nun wartete er bloß noch, dass Kart mit den Giften zurückkam, sie ihm injizierte und er dann starb. Er war schließlich Arzt. Und er konnte sich nicht vorstellen, was das für eine Krankheit war, die er haben sollte und mit Giften ausgelöst werden konnte. In bestimmten Fällen war es möglich, eine toxische Erkrankung mit einem Gegengift zu bekämpfen, aber das hier, das war medizinischer Unfug. Er trug kein Mal des Schattens in sich und er würde sterben, sobald das gespritzte Zeug durch seine Adern floss.

Er hatte gar nicht bemerkt, dass er ergeben die Augen geschlossen hatte. Erst als der Giftmischer neben ihn trat und sich eine Ader an seinem Arm aussuchte, öffnete er sie wieder.

Kart lächelte ihn freundlich an. „Wärst du ein gewöhnlicher Mensch, würde dieses erste Gift bewirken, dass dein Blut nur noch eine schwarze, teerige Masse wäre. Sehr unangenehm.“ Er spritzte es ein und fast sofort kroch ein Brennen Faolans Vene hinauf.

„Dieses hier ist ein psychoaktiver Stoff. Er greift dein Gehirn an. Wäre nachher nicht mehr viel wert, glaube mir.“ Seine Sinne begannen zu schwinden.

„Und nicht zuletzt, das hier. Verdoppelt alle Nervensignale in deinem Körper. Stell dir vor, alles geschieht plötzlich doppelt so schnell. Dein Herzschlag, deine Atmung, deine Reflexe … wäre eine zu hohe Belastung für einen normalen Organismus.“

Der junge Arzt fühlte sich, als ob unter seiner Haut Millionen von Insekten wuseln würden. Sein Kopf schien vor Schmerz fast zu bersten und seine Arme wurden schwer wie Blei. Er spürte, wie er langsam erstickte. Sein Herz raste, seine Lungen pumpten wie verrückt, doch der Sauerstoff wurde von seinem verdreckten Blut einfach nicht mehr aufgenommen. Faolan spürte, wie er starb, und Erleichterung durchflutete seinen Geist.

Irgendwann war er bewusstlos geworden. Wider alle physikalischen und medizinischen Gesetze wachte er wieder auf. Als er zu sich kam, lag er in einem schmalen Bett, das eng an einer Wand stand. Sein Körper fühlte sich schwer an und in seinem Kopf drehte sich alles. Als er die Augen aufschlug, lieferten ihm diese zunächst nur verschwommene, graustichige Bilder.

Sein Mund fühlte sich trocken an. Er stemmte sich, in der Hoffnung, dass ihm ein Wasserkrug auffiele, auf die Ellbogen. Seine Muskeln protestieren ab dieser Bewegung. Verwirrt sah er sich um.

Wo zur Hölle bin ich überhaupt?

„Willkommen im Tempel.“

Faolan zuckte zurück, als er die Frau sah, die dort stand, wo er noch vor zwei Herzschlägen hingeschaut hatte. Seine Sinne funktionierten wohl noch nicht richtig – aber warum eigentlich?

„Welcher Tempel? Wo sind wir hier? Ich kenne keinen Tempel!“, knurrte er und starrte die Frau an. Sie schien ihm relativ groß für eine weibliche Person. Ihr dunkelbraunes Haar hatte sie zu feinen Rastazöpfen gedreht, die ihr wirr vom Kopf standen und ihr ein wildes Aussehen verliehen. Ihr Gesicht wirkte kantig und hart. Sie trug hautenge, schwarze Hosen, die zahlreiche Risse aufwiesen. Einige waren genäht worden, doch die größte Anzahl war ungeflickt und klaffte weit auseinander. Weißlich schimmernde Haut glänzte darunter. Brüste besaß die Frau nicht wirklich. Sie trug eine Art Schlauch als Oberteil – ebenfalls schwarz.

„Du wirst ihn noch kennenlernen“, antwortete sie ihm ruhig. „Er liegt in Karma.“

„Der Hauptstadt?“, keuchte Faolan.

„Nun, ich kenne das andere Karma nicht. Ist doch bloß eine Legende.“

Faolan sah sie verwirrt an. Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war sein Aufenthalt in der Zitadelle und das Gespräch mit dem General und Magnus Grimm, aber auch diese Erinnerung war seltsam vage. Hatten sie nicht etwas von einer geheimen Truppe erzählt, für die er sich qualifiziert hatte?

Ich muss in die Hauptstadt unterwegs gewesen sein und hatte offensichtlich einen Unfall.

Behutsam tastete er seinen Kopf ab, doch er konnte kein Anzeichen für eine Verletzung feststellen.

Aber es ist die einzige plausible Erklärung.

„Habt ihr mich gefunden und hierher gebracht?“

Verständnislosigkeit blitzte in ihren Augen auf. Gleich darauf hatte sie sich jedoch wieder gefangen und nickte bestätigend: „Wir haben dich in diesen Tempel gebracht.“

„In welchem Tempel sind wir? Wem ist er geweiht und warum sind wir hier?“

„Du stellst viele Fragen“, bemerkte die Frau und entblößte ihre Zähne, was wohl ein Lächeln darstellen sollte.

„Ich habe noch nicht gefragt, wie du heißt, also beschwer dich nicht!“, brummte Faolan.

„Ich bin bekannt als Ash. Und wo anders könnten wir sein, als unter dem Totentempel selbst?!“

Faolan runzelte die Stirn.

„Gibt es noch andere hier?“

„Acht, ja. Wenn du dich aus deinem Bett bequemen würdest, könntest du sie sogar kennenlernen.“

Das ließ sich Faolan nicht zweimal sagen. Mit einem Satz sprang er aus dem Bett. Fast genauso schnell landete er wieder auf seinem Hosenboden. Die Beine waren ihm einfach weggeknickt.

„Was …?“ Verwirrt rieb er sich das schmerzende Hinterteil.

„Du könntest eventuell ein wenig schwach sein. Stimmt. Habe ich vergessen zu erwähnen.“ Ash grinste ihn an, streckte ihm dann aber freundschaftlich eine Hand entgegen. Faolan ließ sich aufhelfen und folgte ihr aus dem Raum hinaus, in dem noch zwei andere Betten standen. Die Frau, die er gegen Ende zwanzig schätzte, führte ihn in einen düsteren Gang. Faolan fröstelte. Dieser Ort kannte keine Wärme. Alles war so kalt und tot hier. Auch Ash haftete etwas Dunkles an. Sie wies ihn mit einem bedeutungsvollen Blick an, in einen Raum zu treten.

Ein zweites Mal hieß ihn jemand im Tempel des Todes willkommen. Doch nun handelte es sich um eine raue Männerstimme.

Ash war neben einen hageren Mann getreten, der an einem einfachen Holztisch saß. Der junge Arzt schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Mit den einfachen Kleidern aus Leinen sah der Mann nicht gerade wie eine Autoritätsperson aus. Ein Blick in sein ernstes Gesicht mit diesen sturmgrauen Augen genügte jedoch, um seinem Gegenüber keinen daran Zweifel zu lassen, wer hier das Sagen hatte. Dieser Mann war es gewöhnt, Befehle zu geben. Vor ihm lag ein aufgeklapptes, nun vernachlässigtes Buch.

„Das ist Mythos. Er koordiniert unsere Gruppe.“ In Ashs Stimme schwang Zuneigung mit.

„So, dann kann er mir sicher einige Fragen beantworten“, meinte Faolan nüchtern. Er wollte nicht unhöflich wirken, doch er brauchte Antworten. Auch wenn sie ihm nicht gefielen, sie waren besser als diese Ungewissheit – und ein Gefühl im Bauch sagte ihm bereits jetzt, dass ihm die Antworten, die er bekommen würde, nicht gefallen würden.

„Ich werde mir Mühe geben“, versprach der Mann. „Ash, warum holst du ihm nicht einen Stuhl?“ Die Frau verschwand ohne Proteste.

„Weißt du etwas über meinen Unfall?“, erkundigte sich Faolan. „Ich muss mir ziemlich den Kopf gestoßen haben, denn ich kann mich nicht mehr an viel von diesem Tag erinnern.“

Auf Mythos’ Stirn erschien eine steile Falte. „Du bist auf der Reise vom Pferd gestürzt. Dabei musst du dir ziemlich deinen Kopf gestoßen haben. Wir haben dich so gut es geht zusammengeflickt, aber offenbar leidest du an einem milden Fall von Amnesie.“

Faolans Hand fuhr wieder zu seinem Kopf.

„Du warst einige Zeit bewusstlos. Die Schwellung ist bereits weg.“

Der junge Arzt sah sein Gegenüber kurz kritisch an, dann seufzte er: „Na gut, wer seid ihr?“

„Wir sind unter dem Namen Der Ring der Gehorsamen bekannt und du gehörst von nun an zu uns. Offiziell gibt es uns nicht. Verzeih, ich bin nicht gut im Reden schwingen.“ Doch das war dem jungen Arzt egal.

„Mit dir sind wir zehn“, fuhr Mythos fort. „Sechs Männer und vier Frauen. Wir sind alle unterschiedlich begabt und dienen dem Reich.“

„Und aus welchem Antrieb macht ihr das? Bekommt ihr Geld oder Land dafür?“ Diese naiven Worte entlockten Mythos ein heiseres Lachen.

„Land? Geld? Du machst hoffentlich Witze!“

„Nein, natürlich nicht. Das war eine ehrliche Frage und ...“

„Myth! Schnell! Flex ist verwundet!“, platzte Ash in den Raum. Den Stuhl, den sie mitgebracht hatte, warf sie achtlos in eine Ecke des Raumes.

„Du bist doch Arzt, oder? Dann komm!“

Faolan zögerte nicht und eilte den anderen nach. Er wollte mehr über diese Organisation wissen, in die er da hineingeraten war. Bei Weitem waren noch nicht alle seine Fragen beantwortet und nach dem kurzen Wortwechsel mit Mythos waren noch mehr entstanden. Wie die nach dem Lohn. Er verstand nicht, für was diese Menschen kämpften, wenn sie nicht entlohnt wurden. Dann dachte er jedoch an die Schatten und die Dunkelheit, die er hier überall bemerkte, und ein nervöses Kribbeln stellte sich in seiner Magengegend ein. Er war zwar jung, doch etwas hatte er inzwischen gelernt: nämlich, dass in dieser Welt niemandem etwas geschenkt wurde. Alles hatte seinen Preis und wenn Mythos und die anderen für nichts der Armee dienten, dann widersprach das unangenehmerweise seinem Weltbild. Da steckte mehr dahinter. Mehr Schatten und Fragen.

Ash hatte ihn in eine Grabkammer geführt.

„Hierher!“, rief ihn Mythos. Auf einem Altar lag, auf ein schmutziges Leichentuch gebettet, ein junger Mann. Das blonde Haar seines verwachsenen Pagenschnitts klebte ihm an der schweißnassen Stirn. Im Gegensatz zu Ash und Mythos schien er um einiges jünger zu sein. Faolan hätte ihn nicht auf mehr als achtzehn geschätzt. Er war bewusstlos. Dunkelrotes Blut quoll ihm aus einer Wunde am Bauch. Es befanden sich noch weitere Menschen im Raum, doch er hatte keine Zeit, diesen Beachtung zu schenken, denn er sah ein, dass seine eigenen Wünsche und Fragen warten mussten. Außerdem, wer würde ihm auch nur annähernd so etwas wie eine Antwort geben, wenn er ihren Freund sterben ließe?

„Bringt mir Tücher, heißes Wasser, Nadel und Faden, Messer und ...“

„Wofür brauchst du das?“, unterbrach ihn Ash.

„Na, um ihn zusammenzuflicken! Was soll diese Frage, er verblutet ja noch!“

„Er weiß es noch nicht“, raunte jemand.

„Was weiß ich noch nicht? Verflucht, holt mir meine Sachen oder euer Kollege stirbt mir noch weg!“

Er riss das blutige Hemd auf, das noch die Hälfte des Körpers des Verunglückten bedeckt hatte. Das war nicht gut. Er hatte nichts dabei, keine sterilen Hände und er fühlte sich schwach.

„Du kannst das auch ohne Hilfsmittel, beeil dich!“

Das war Mythos’ Stimme. Faolan hatte die Wunde entdeckt und weil sich immer noch niemand bewegte, presste er die flache Hand darauf, damit wenigstens der Blutfluss ein wenig vermindert wurde.

„Ohne Hilfsmittel? Seid ihr vollkommen übergeschnappt?“, fuhr er den älteren Mann entgeistert an.

„Nein, vertrau mir. Vertrau dir. Das ist das Wichtigste. Du trägst es in dir.“

Du trägst es in dir. Das Echo dieser Worte dröhnte in Faolans Ohren. Er hatte sie schon einmal gehört … Er schluckte schwer, weil ihm bewusst wurde, dass Mythos alles bitterernst meinte.

Versuch es. Besser, als herumzustehen, während er stirbt!

Also gab er nach. Er schloss die Augen und spürte den Herzschlag unter seinen Händen. Das warme Blut klebte an ihnen und versuchte, sich einen Weg aus dem Körper zu bahnen. Faolan öffnete die Augen, doch die Bilder, die diese ihm lieferten, fühlten sich fremd an. Er brauchte eine Weile, bis er realisierte, was hier falsch war. Die Schatten, sie bewegten sich, krochen langsam zu diesem jungen Mann, der vor ihm auf einem Leichentuch lag. Als er genauer hinsah, bemerkte er, wie sich einige Schatten um seine eigene Hand geschart hatten und versuchten, zwischen seinen Fingern in die Wunde zu gelangen.

„Nein! Haut ab!“ Er fuchtelte mit der freien Hand. Doch natürlich geschah nichts. Was tat er da eigentlich? Er halluzinierte doch sicher. „Ich kann das nicht!“, rief er verzweifelt und starrte auf den bleichen Körper. „Gebt mir meine Instrumente, dann hat er vielleicht eine Chance!“ Inzwischen zitterte er wie Espenlaub. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Niemand rührte sich.

„Wollt ihr ihn einfach verbluten lassen, oder was?!“ Faolans Stimme überschlug sich.

„Du kannst das!“ Mythos Stimmer war immer noch ruhig.

„Wie denn?“

„Das weiß ich nicht. Du musst es selbst herausfinden!“

Faolan starrte entsetzt auf seine Hände. Er war Arzt, kein Wunderheiler!

Immer noch drängten sich die Schatten um die Hand und suchten einen Weg hinein. Er konnte sie spüren. Sie schienen kalt und feucht zu sein. Was passierte wohl, wenn er sie hineinließ?

Der verwundete Körper bebte plötzlich unter einem heftigen Krampf. Faolan wusste, dass er handeln musste. Wie lange stand er bereits untätig da?

Verdammt. Scheiße. Denk nach. Sie scheinen dir zu vertrauen, also mach was!

Faolan schloss die Augen und konzentrierte sich erneut. Er spürte die Angst in seinen Eingeweiden wüten. Sein ganzer Körper war angespannt und in seinem Kopf herrschte ein enormer Druck, so, als wäre etwas darin, das unbedingt herauswollte. Ab diesem Moment handelte der junge Arzt instinktiv. Er kannte dieses Etwas in seinem Kopf nicht und doch war es da. Tatsächlich suchte er ja nach etwas Unbekanntem. Er hatte keine Zeit für Zweifel und ließ zu, dass das Unbekannte von seinem Körper Besitz ergriff.

Er schauderte, als sich Kälte und Dunkelheit in ihm ausbreiteten. Eine innere Stimme befahl ihm, die Augen wieder zu öffnen und er gehorchte. Die Schatten, die vorher noch wie wild versucht hatten, in die Wunde zu gelangen, verharrten still. Faolan löste die Hand vom Schnitt und griff nach den Schatten. Sie vermittelten ihm immer noch ein Gefühl von Kälte und Feuchtigkeit, doch nun störte es ihn nicht weiter. Ja, er fand diese Empfindung sogar angenehm. Als hätte er etwas Solides in der Hand, begann er die Schatten zu formen. Momente später lag ein Schwert in seiner Faust. Es hatte starke Ähnlichkeit mit seinem normalen Rekrutengladio.

Er tat einen letzten Atemzug und tauchte, erfüllt von Schatten, in die Wunde ein. Er fiel durch Schwärze, bis er schließlich festen Boden unter den Füßen spürte. Die Dunkelheit lichtete sich ein wenig. Er schien sich in einer Steinwüste zu befinden. Sterne funkelten über ihm, doch die Umgebung sah trostlos aus. Ein Schnauben ließ ihn herumwirbeln und jetzt sah er auch, warum er ein Schwert in der Hand hatte. Vor ihm stand ein Wesen. Es war mindestens zwei Köpfe größer als der junge Arzt selbst und das, obwohl es gebückt dastand. Der Körperbau selbst war menschlich und sehr muskulös. Davon einmal abgesehen schien es jedoch mehr Tier, genauer gesagt, Eber, zu sein. Es hatte rot glühende Augen, schwarze, bepelzte Haut und anstatt einer Nase einen kurzen Rüssel mit Nüstern, die sich bei jedem Blähen weiteten. Die Ohren hingen zu beiden Seiten des Kopfes herunter. Sie waren löchrig und so groß wie Handteller. Gelbe Hauer ragten ihm auf beiden Seiten aus den Mundwinkeln. Faolan bemerkte den alten Harnisch und die beiden Streitäxte, die das Wesen kampfbereit gehoben hatte. Der junge Arzt schluckte. Sein Soldatenschwert sah kümmerlich aus im Gegensatz zu jenem Todesstahl.

Na gut. Wenn ich dich töten muss, um endlich Antworten auf all meine Fragen zu bekommen, dann, bei Thion, werde ich es auch tun!

Und er griff an. Ungeschickt, weil es Jahre her war, seit er ein Schwert in der Hand gehalten hatte. Seine Chancen standen ziemlich schlecht. Denn trotz seiner Größe und Masse war das Wesen behände. Mühelos wich es dem schlecht gezielten Angriff aus und holte zum Schlag gegen Faolan aus. Dieser riss sein Schwert hoch und blockte den Hieb nur wenige Fingerbreit von seiner Stirn ab. Schweiß rann ihm aus allen Poren. Er war nicht gut vorbereitet auf einen Kampf. Er war ein viel zu lausiger Kämpfer. Mit einer Drehung brachte er sich aus der Reichweite des Wesens, das enttäuscht aufgrunzte. Faolan nutzte den Schwung seiner Drehung und zielte auf den Oberarm seines Gegners. Sein Gegner hatte diesen Streich nicht vorausgesehen und musste nun dafür zahlen. Faolans Stahl grub sich in den ungeschützten Oberarm. Das Wesen brüllte auf und hieb mit der Rechten nach Faolans Rücken. Wieder verfehlte es ihn nur knapp. Der junge Arzt spürte, wie die Axt die Luft durchschnitt, nur knapp von seinem ungeschützten Fleisch entfernt. Eilig wandte er sich seinem Gegner wieder frontal zu. Das Eberwesen traktierte ihn nun mit einem Schlag nach dem anderen. Da die Schneideblätter der Streitäxte gnadenlos auf ihn niedergingen, blieb ihm nicht anderes übrig, als immer weiter zurückzuweichen.

Was tun? Was tun?

Die Frage drehte und wendete sich in seinem Kopf und wieder schien er unfähig, eine Antwort zu finden. Zeit verstrich, er wurde müde. Selbst das dünne Schwert – ein Fliegengewicht im Vergleich zu den massigen Streitäxten – wurde schwer in seiner Hand.

Sein Gegner schien zu merken, dass ihn seine Kräfte allmählich verließen. Die Schläge erfolgten schneller. Unter den meisten duckte sich der junge Arzt hindurch. Da kam ihm eine Idee und das nächste Mal, als die Klingen herangesaust kamen, blockte er mühsam den ersten Hieb, drehte sich unter dem nächsten, horizontal ausgerichteten Angriff weg und stieß sein eigenes Schwert unter dem Ende des Harnisches Richtung Herz hoch. Mit einem Klirren verlor das Wesen seine Waffen, als kalter Stahl durch seine Eingeweide schnitt.

Da Faolan sich nicht sicher über den Tod des Wesens war, zog er das Schwert wieder heraus, stand im Blutregen, der sich warm und klebrig über ihn ergoss, auf, und schlitzte dem Wesen die Kehle auf. Schwer atmend trat er ein, zwei Schritte zurück und betrachtete sein Werk. Das Wesen war auf seine Knie gesunken. Blut sprudelte dunkel aus den zwei Wunden. Zunächst gurgelte es noch, doch dann fiel es vornüber und blieb schließlich in seiner eigenen Lache aus Blut und Eingeweiden liegen.

Faolans Magen krampfte. Ein Schwächeanfall übermannte ihn. Der Kampf hatte auch den letzten Rest an Energie, den er noch gehabt hatte, verbraucht. Das Schwert verpuffte in seiner schmierig roten Hand und mit schwindenden Sinnen erkannte er noch, dass sich die Wüste in eine friedliche Oase verwandelt hatte.

Als er wieder zu sich kam, lag er in einer kalten Ecke. Jemand hatte ihm ein Kissen unter den Kopf gestopft und ihn mit einer Decke versucht, warmzuhalten. Dennoch fröstelte es ihn. Mit klappernden Zähnen verlangte er: „Und jetzt will ich ein paar Antworten hören!“

Mit ungewöhnlich schweren Gliedern stand er auf und wankte zu der Gruppe, die sich um den Altar versammelt hatte. Eben hatten sie noch heftig diskutiert, doch nun schwiegen alle. Sie schenkten ihm ernste, leicht abweisende Blicke.

„Ist das vielleicht zu viel verlangt?“ Er musterte die Gesichter. Ash und Mythos kannte er. Dann war da der junge Mann, den er geheilt hatte. „Wie geht es dir?“, wollte Faolan wissen, als immer noch niemand sprach.

„Nun ...“, begann dieser.

„Er ist verwirrt.“ Eine kleine Frau hatte gesprochen. Ihre Augen waren von einem hypnotisierenden, bernsteinfarbenen Gelb. Außerdem war sie hübsch, auf eine faszinierende, gefährliche Art und Weise. Vor solchen Frauen musste er sich in acht nehmen.

Faolan reagierte an diesem Tag jedoch sehr empfindlich auf alle möglichen Konfrontationen. Er wollte endlich Antworten hören. Doch anstatt dass ihm jemand entgegen gekommen wäre, formten sich immer neue Fragen in seinem Kopf.

Trotz alldem wollte der Arzt in ihm wissen, warum der junge Mann, den er geheilt hatte, ihn so verstört ansah. Er saß aufrecht und das Einzige, was noch blutig an ihm war, war seine Kleidung. Zugegeben, er schien ein wenig blass, doch er lebte, oder? Da gab es nichts, um verwirrt zu sein.

„Weshalb bist du verwirrt? Sofern ich das beurteilen kann, bist du ...“

„Er ist bereits tot gewesen!“, zischte die kleine Frau.

„Queen, lass gut sein!“, mischte sich Mythos ein.

„Komm, lass uns zurückgehen“, meinte er an Faolan gewandt. Doch dieser dachte nicht im Traum daran, ihm zu gehorchen. Stattdessen konzentrierte er sich auf Queen, deren Augen gefährlich funkelten.

Vielleicht sind sie gar nicht bernsteinfarben. Sie sehen aus, als hätten sie die Farbe flüssigen Goldes.

Faolan schüttelte den Kopf, um die Gedanken, die ihn gefährlich ablenkten, loszuwerden.

„Was meinst du damit, tot gewesen? Ich bin Arzt. Denkst du nicht, es liegt an mir, den Tod an meinem Patienten festzustellen?!“, knurrte er gefährlich tief.

Doch Queen ließ sich nicht einschüchtern. „Er war tot. Er ist ein Freund von mir. Ich konnte es spüren, das Band ist gerissen!“ Sie schürzte die Lippen und verschränkte ihre Arme. Abweisender hätte sie nicht dastehen können. „Sagt es ihm“, forderte sie ihre Freunde auf, die bisher stumm der Unterhaltung gefolgt waren.

„Dein Freund würde aber leider nicht putzmunter dasitzen, wenn er tot gewesen wäre, nicht wahr?! Dir geht es doch gut?!“ Faolans Frage ließ keine negative Antwort zu. Auch er war nun wütend. Er ballte die Hände zu Fäusten, damit sie aufhörten, zu zittern.

„Mir geht es gut. Wirklich!“, beeilte sich sein Patient zu sagen. Queen öffnete ihren Mund, doch erneut versuchte Mythos, dazwischen zu gehen. Dieses Mal jedoch bestimmter.

„Wenn Queen sagt, dass er tot war, dann stimmt das. Nicht zuletzt, weil sie eine Herzdame ist. Allerdings ist Flex tatsächlich wohlauf. Wir haben wohl deine Fähigkeiten unterschätzt, Shade. Und nun lass uns gehen.“

Shade? Herzdame?

Faolan wedelte ungeduldig mit der Hand, um Mythos sein Einverständnis zu zeigen. Er würde mitgehen und wenn dieses Mal seine Fragen nicht zu seiner vollsten Zufriedenheit beantwortet würden, dann würde er sich nicht scheuen, Gewalt anzuwenden!

Sie kehrten zu jenem kleinen Raum zurück, in welchem sie sich vor der Unterbrechung aufgehalten hatten. Nachdem sie sich gesetzt hatten, schlug Mythos vor, dass Faolan doch einfach seine Fragen stellen sollte. Es bringe nicht viel, wenn er ihm Dinge erzähle, die für ihn nicht relevant seien. Faolan nickte und dachte kurz nach. Er wusste, wo er war: unter dem Tempel des Totengottes Qeb. Er wusste auch vage, warum er hier war. Alles schien mit seinen eben erst entdeckten Fähigkeiten zusammenzuhängen. Aber dieses Wissen reichte ihm noch lange nicht aus.

„Du hast gesagt, ihr dient dem Reich. Warum? Was bekommt ihr dafür?“

Mythos kratzte sich am Kinn. „Diese Frage zu stellen ist einfach. Sie jedoch zu beantworten ist bedeutend schwieriger.“

Faolan seufzte und begann, Dreck unter seinen Nägeln hervorzukratzen. Er konnte den anderen Mann im Moment nicht ansehen. Gut möglich, dass er sich dann auf ihn gestürzt und ihn so lange geschüttelt hätte, bis er endlich seine Antworten bekam.

„Wir dienen, weil das unsere Berufung ist. Jeder Einzelne von uns ist mit einem besonderen Talent gesegnet. Zweck unserer Gruppe ist es, dieses sinnvoll einzusetzen.“

„Und wer entscheidet, was sinnvoll ist?“

„Die Armee. Es existiert eine Handvoll Militärs, die unsere Einsätze plant. Unsere Kontaktperson hier in Karma heißt Gainsboro.“

„Was sind das für Einsätze?“

„Das kann ganz verschieden sein, kommt sozusagen auf die Zeit und die Umstände an, ob wir gerade Krieg führen oder ob Frieden herrscht. Du willst Beispiele hören? Nun gut. Während des großen Unwetters vor einem Jahr haben wir mit den Soldaten die Bewohner des betroffenen Gebietes evakuiert und bei der Krönung des letzten Hochkönigs haben wir für Sicherheit gesorgt. Und lass mich mal nachdenken … ah ja, dann gab es noch den Geleitschutz, den wir einem Sohn des Hochkönigs, er hieß Rainald, gegeben haben, als er seine unmögliche Exkursion in die Urwälder gemacht hat, um das dunkle Karma zu suchen. Hat übrigens nichts gefunden und wäre beinahe an einem Fieber gestorben.

Das sind unsere schönen Aufträge gewesen. Ich will dir nichts vormachen. Es gibt auch weniger schöne Einsätze. Dort will ein Adliger einen Alleinerben um die Ecke bringen, hier will ein König die Frau eines anderen … Wenn sie wichtig genug für das Reich sind, dann werden ihre Wünsche erfüllt.“

Faolan lief ein kalter Schauer über den Rücken, als er Mythos so beiläufig über Auftragsmorde sprechen hörte. Außerdem musste sich der Anführer des Ringes der Gehorsamen eben versprochen haben. Es gab keinen Sohn, der Rainald hieß.

Zumindest nicht in dieser Generation. Aber das würde ja bedeuten, dass ...

Die Ungeheuerlichkeit dieses Gedankens ließ ihn einmal schlucken.

Nach all dem, was ich heute erlebt habe, sollte mich das jedoch nicht mehr schockieren.

Eine weitere Frage schoss ihm durch den Kopf: „Wer entscheidet genau, welche Personen wichtig genug sind, sodass ihre Mordabsichten toleriert werden? Ihr?“

„Nein. Das Militär.“

„Gainsboro?“

Mythos lachte trocken auf und Faolan wagte es endlich, ihm voll ins Gesicht zu schauen. „Nein. Gainsboro ist nur ein kleiner Fisch. Gut genug für Kurierdienste und Papierkram. General Voltan und seine Lieutenants – dies sind die Männer, die die Fäden ziehen – und es gibt mehr, als man ahnen könnte“, fügte er abwesend hinzu.

Faolan fiel es immer schwerer, seinem Gegenüber zu glauben. „Ihr tut das, ohne zu zögern? Ihr mordet, nur weil es euch jemand befiehlt?“

Mythos Blick verhärtete sich. Die Iris seiner Augen schien ein ganzes Stück dunkler zu werden, von Silber zu Blei. „Soviel ich weiß, bist du vorher Soldat gewesen. Was unterscheidet dich von uns? Du hast ebenfalls auf Befehl getötet!“

„Ich ...“

„Ich maße mir nicht an, zu sagen, dass ich das gut finde. Aber wir sind nun mal, wer wir sind, tun, was wir tun müssen – um zu überleben. Und wenn das heißt, dass ich Menschen töten muss, dann laufe ich nicht vor meinem Schicksal davon. Wir alle nicht. Ich kann die Situation, in der ich - in der wir alle sind – nicht ändern. Die Armee hat uns in der Hand. Du glaubst, sie können dir nichts mehr nehmen, doch da irrst du dich. Solange du lebst und denkst, kann dir immer irgendein Verlust widerfahren. Deshalb stehe ich zu dem, was ich mache. Ich gebe mein Bestes, um meine Bestimmung zu erfüllen und das kann ich besser ohne Zweifel. Was würden mir diese Zweifel einbringen? Sie würden mich von meiner Aufgabe ablenken. Sie würden mich zum Zögern bringen und zögern heißt in manch einer Situation sterben. Du kennst das ja, du warst Soldat. Sieh, ich kann dir meine Meinung nicht aufzwingen. Zu dieser Erkenntnis musst du selbst kommen, sonst ist sie nichts wert. Dir steht es noch frei, zu gehen. Doch ich verspreche dir, dass du nicht weit kommen wirst. Sie werden dich finden und sie werden dich töten, jetzt, wo sie es noch können.“

Im Raum war es kühl geworden. Faolan war froh, dass er saß. Seine Beine hätten ihn vermutlich nicht getragen. Die ganze Geschichte hörte sich falsch an. Woher nahmen Mythos und seine Freunde ihren bedingungslosen Gehorsam? Hatten sie kein Gewissen?

„Weißt du“, Mythos Stimme war eine Spur weicher geworden, „natürlich habe ich mir diese Fragen nach dem Warum auch schon gestellt. Ich habe nach Wies und Was geschrien, bis ich fast krank war. Aber irgendwann lernst du, dass du dich entscheiden musst: Entweder du gehst an deinen Fragen zugrunde oder du lebst ohne sie weiter. Jeder Einzelne hier im Tempel hat genügend Überlebenswillen gezeigt, um zu bleiben. Auch du hängst an deinem Leben. Wir sind alle Kinder des Schicksals. Das vereint uns, macht uns stark. Ab morgen gehörst du auch zu uns, du wirst schon sehen.“

2. Albträume

Faolan schlief schlecht. Wahrscheinlich hätte er nicht so viel essen sollen, denn sein Magen fühlte sich hart wie ein Stein an. Er wachte immer wieder auf und hatte das Gefühl, jemand beobachte ihn. Doch wenn er sich aufsetzte und umsah, dann war da niemand.