Interstate Highway 95, Richtung Süden.
»Orlando Beach«, schwärmte Terence Orville Washburn. »Hübsche
Mädchen in knappen Bikinis. Cap Canaveral: Mondraketen. Daytona
Beach: Autorennen. Miami…«
»Mörder«, unterbrach Jim Sherman sein Schwärmen.
T.O. Washburn winkte ab. »Das haben die Medien nur
aufgebauscht, weil es sich bei den Opfern um ausländische Touristen
handelte«, behauptete er. »Nur weil innerhalb kurier Zeit ein paar
arme Teufel auf den Highways überfallen und ermordet wurden, ist
Florida doch nicht gleich ein Staat von Verbrechern, die anderen
mit ihren Autos hinterherrasen und sie rammen…«
Jim Sherman warf einen Blick in den Rückspiegel. »So?«
murmelte er. Das Auto mit zwei Insassen, das seit einiger Zeit
beharrlich hinter ihnen fuhr, wurde plötzlich erheblich
schneller…
Auch Jim trat aufs Gaspedal. Aber trotz seiner 450 PS schaffte
der bullige Caterpillar-Motor es nicht, den Truck mit seinem
schweren Auflieger stark genug zu beschleunigen. Der erdbraune
Chrysler Saratoga holte jetzt deutlich auf. Zum ersten Mal war er
Jim vor etwa zwei Stunden aufgefallen. Seit dieser langen Zeit
hielt er sich immer mehr oder weniger dicht hinter dem »Bison«,
wurde langsamer, wenn Jim verlangsamte, und schneller, wenn der
»Bison« beschleunigte. Zwischendurch war Jim einmal so provozierend
langsam geworden, daß jeder vernünftige Autofahrer den Sattelzug
hätte überholen müssen - der Fahrer des Saratoga hatte es nicht
getan! Er blieb brav wie ein Schatten hinter dem Truck.
Bis jetzt.
»Was ist los?« fragte T.O. und beugte sich zu Jim hinüber,
einen Blick auf die Armaturentafel werfend. Er sah die Nadel des
Drehzahlmessers beständig nach rechts wandern. Das bisher
gleichmäßige Brummen des hubraumstarken Achtzylinder-Diesels wurde
zu einem nervtötenden, rasenden Hämmern. Die Tachonadel zitterte
über die erlaubten 65 mph hinweg auf die 70 zu, überschritt sie…
Jim umklammerte den großen Lenkradkranz, zog vom rechten auf den
linken Fahrstreifen, um eine Kolonne wesentlich langsamer fahrender
Trucks und Four-Wheeler zu überholen.
Ein Blick in den Rückspiegel, der leicht zitterte und deshalb
ein nur noch unscharfes Bild wiedergab, verriet ihm, daß der
erdbraune Chrysler das Tempo mühelos hielt. Wenn ihm , der »Bison«
nach einer über zweistündigen Fahrt zuletzt doch zu langsam
geworden war, hätte er seinen Überholversuch jetzt ruhig abbrechen
können; Jim fuhr mittlerweile fast 75 mph und preßte das große
Gaspedal immer noch bis zum Anschlag durch. Der Zeiger des
Tourenzählers stand knapp vor der Höchstdrehzahlmarke von 1900
U/min. Der Lärm in der Fahrerkabine des brandroten Kenworth W 900
Conventional war ohrenbetäubend geworden. Das Radio, das T.O. nicht
nachreguliert hatte, war nicht mehr zu hören, Aus dem Lautsprecher
der CB-Box kam ein im Lärm fast untergehendes Rufsignal; jemand
wollte die »Bison«-Crew sprechen.
»Verdammt, Jim, was soll das?« stieß T.O. laut hervor. »Hast
du jetzt den Verstand verloren? Willst du die Maschine ruinieren
oder uns den Smokeys in die Arme treiben? Geh vom Gas!«
Der blonde Texaner dachte gar nicht daran. Er sah an der
Fahrzeugkolonne entlang, die er überholte, und suchte nach einer
Chance. Ohne sagen zu können, woher dieses Gefühl kam, flößte ihm
der Saratoga höchstes Unbehagen ein. Mit dem Wagen und den zwei
Männern darin stimmte etwas nicht!
»Brems ab, Mann!« verlangte der schwarze Shotgun wieder.
Jim sah eine Lücke zwischen zwei vorausfahrenden Trucks; er
schätzte, daß der »Bison« mit Auflieger genau dazwischenpaßte.
Während er mit der linken Hand das Lenkrad hielt, fischte er mit
der rechten das CB-Mikrofon vom Haken. T.O. wollte es ihm aus der
Hand pflücken, aber Jim wehrte ihn mit einer Schulterbewegung ab.
»Verdammt, ich weiß, was ich tue«, stieß er hervor. Ein Blick zur
Digitalanzeige des Gerätes verriet ihm, daß der allgemeine An- und
Notrufkanal 19 eingestellt war. Die Lücke, in die der »Bison«
paßte, kam immer näher; es wurde Zeit!
Jim drückte auf die Sendetaste, als der fremde Funker, der den
rasenden »Bison« ansprechen wollte, für einen Moment schwieg.
»Break!« rief er in die Sprechrillen. »Bison an die beiden Kollegen
vor mir! Hier ist Jim Sherman vom Bison! Meldet euch, schnell! Das
ist ein Notfall!«
Er ließ die Taste los. T.O. sah ihn an, als zweifle er an Jims
Verstand. Und vermutlich war er da auf dem I-95 derzeit nicht der
einzige…
»Hast du ’ne werdende Mutter an Bord, die du zum Doc bringst?«
krächzte es aus dem Empfang. »Du bist der rasende Donnerfalke
hinter uns, wie? Schon mal den Begriff Höchstgeschwindigkeit
gehört? Oder gibt’s den in der Baumschule nicht, in der sie dir das
kleine ABC beigebracht haben…?«
»Rede keinen Stuß, Kollege«, gab Jim zurück. »Bist du der
Truck direkt schräg vor mir?«
»Richtig, Stampede-Sherman!«
»Mir hängt einer im Nacken, aber garantiert kein Smokey! Ein
brauner Chrysler, zwei Mann drin«, stieß Jim hervor, während der
»Bison« bereits neben dem Auflieger des anderen Trucks war. »Frag
nicht, hilf mir. Ich schere knapp vor dir ein und gehe auf dein
Tempo, aber ohne Blinker. Der Verfolger wird vorbeijagen. Scher
sofort ’raus, statt mir ins abbremsende Heck zu rauschen, und mach
die Mühle zu! Ich bremse weiter ab und verschwinde an der nächsten
Ausfahrt vom Highway, aber der Typ darf, wenn er erst mal vorbei
ist, keine Chance kriegen, selbst wieder zurückzufallen und mich
noch zu fassen! Verstanden?«
Der »Bison« erreichte jetzt das vordere Ende des anderen
Trucks.
»Stampede-Sherman«, keuchte T.O. fassungslos. »Wie das paßt…
mit dir ist wohl der Büffel durchgegangen, wie? Verfolgt?« Er
versuchte, über den rechten Rückspiegel etwas zu erkennen, schaffte
es aber nicht. Der Chrysler war dicht dran und hing zu weit
links.
Der andere Trucker meldete sich wieder. »Du bist irre,
Sherman. Das geht nie gut! Was ist, wenn hinter deinem
Zweimann-Chrysler noch ein schneller Wagen kommt? Wenn ich
ausschere, katapultiere ich den doch über die Grünfläche in die
Gegenbahn!«
Jim warf einen Blick in seinen Außenspiegel. »Da ist keiner
hinter. Alle anderen sind brav und bleiben im Limit! Du kannst
’rauskommen!«
Da war der rote Kenworth, der seinen Namen »Bison« den beiden
rechts und links an die lange Motorhaube gemalten springenden
Büffeln verdankte, neben dem Führerhaus des silbergrauen MACK COE.
Jim sah die rot-orange-gelben Streifen, das Markenzeichen der
»Alamo-Trucking« aus San Antonio. Jemand hatte in geschwungener
weißer Schattenschrift »Shark-Killer« unter das Firmenwappen
gemalt; in einer anderen Situation hätte Jim darüber schallend
lachen können: Das war eine bösartige Anspielung auf den allseits
unbeliebten Boss der »Alamo-Trucking«, Derek Lerby, der wegen
seines Geschäftsgebarens und seines zähnestarrenden Grinsens »der
Hai« genannt wurde.
Jim sah an T.O. vorbei den Fahrer an und hob die Faust mit dem
Mikrofon, streckte dabei den Daumen hoch, drehte ihn quer und
richtete ihn wieder auf.
Der »Shark-Killer« hob die Brauen, verzog die Mundwinkel und
nickte. Er reckte selbst den Daumen hoch.
Er machte also mit, wie Jim erleichtert und T.O. bestürzt
erkannte. Der Shotgun im MACK funkte wieder. »Das wird aber
trotzdem verdammt haarig, Stampede-Sherman! Was, wenn deine Freunde
im Chrysler mithören?«
»Die hören nicht, oder kannst du dir vorstellen, wie man ohne
Spargel auf dem Dach im CB mitmischt?« fragte Jim. »Gleich geht’s
rund, Erklärungen später!«
Er hakte das Mikrofon wieder ein.
»Auf die Erklärungen bin ich verdammt gespannt«, stieß T.O.
hervor.
Der braune Chrysler hing immer noch dicht hinter dem »Bison«.
Sekundenlang versuchte Jim sich vorzustellen, daß alles trotzdem
nur ein Zufall war. Aber dafür hatte er schon zu viele unglaubliche
Dinge erlebt. Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf: Vor kurzem
hatten sie sich mit einer seltsamen, geschäftemachenden Sekte
angelegt, die über erhebliche Macht und Einfluß zu verfügen schien.
Sollte jemand von der Parascience-Sekte ihnen einen Killer auf den
Hals geschickt haben? Jim fand keine bessere Erklärung für das
Interesse der Verfolger an einem recht harmlosen Truck mit einer
noch harmloseren Fracht.
Er zog mit Tempo weiter vor. Zu seinem Erschrecken stellte er
fest, daß der Abstand zwischen den beiden Trucks enger geworden
war, zwischen die er schlüpfen wollte. Paßte es überhaupt noch,
oder mußte er sich einen anderen Plan ausdenken?
Aus den Augenwinkeln sah er, wie T.O. die Fäuste ballte. »Ich
habe eine Idee«, stieß der schwarze Shotgun hervor. »Die ist so
gut, daß sie glatt von mir sein könnte: Halt mal eben kurz an und
laß mich aussteigen, ehe du mit deinem Selbstmordplan weitermachst!
Immerhin habe ich im Gegensatz zu dir Alimente für ein Kind zu
zahlen!«
Jim blieb auf dem Gas. Er versuchte den Platz abzuchecken, der
ihm blieb; da, wo die lange Motorhaube des Kenworth endete, war
zwar in Sachen Straßenbelag noch ein toter Winkel von einem Dutzend
Meter, aber oben gemessen hörte der Truck genau an der Sichtkante
auf. Unglaublich schnell kam der vordere Truck näher. Dessen Fahrer
schien von der ganzen Sache nicht einmal etwas mitbekommen zu
haben; vielleicht war er nicht auf Empfang, sondern hörte Radio
oder döste am Lenkrad - auch das gab’s leider hin und wieder auf so
schnurgeraden, langweiligen Strecken.
Ein Blick in den linken Spiegel - da war der schnelle Chrysler
immer noch. Rechter Spiegel - es langte noch nicht…
Und wie schnell der vordere Truck jetzt heranflog!
Nun mußte Jim rechts einscheren, wenn sein verrückter Plan
aufgehen sollte - und da trat der verdammte Narr vor ihm ahnungslos
auf die Bremse! Mochte der Himmel wissen, warum er das tat, aber er
wurde plötzlich langsamer, und gerade in dem Moment, wo Jim
glaubte, es riskieren zu können, schoß die Front des »Bison« am
Aufliegerheck vorbei!
Schwenkte nach rechts, weil Jim im Reflex schon gelenkt hatte
- und berührte den anderen Auflieger… fast!
Der Texaner hatte es gerade noch im letzten Moment geschafft,
die Lenkbewegung zu korrigieren. Der rasend schnelle »Bison« begann
leicht zu schlingern. T.O. öffnete den Mund. Jim ging vom Gas. Der
Luftwiderstand ließ den Truck sofort langsamer werden. Jetzt wurde
es hinten verdammt eng; der »Shark-Killer« reagierte nicht ganz so
schnell. Wenn Jim jetzt, wo’s vorn wieder paßte, einscherte,
feuerte er mit seinem Aufliegerheck den Alamo-MACK von der
Piste!
»Laß es!« flüsterte T.O.
Da sah Jim im rechten Außenspiegel die Scheinwerfer des
»Shark-Killer« zweimal kurz aufflammen; der Alamo-Fahrer, dessen
Namen er nicht einmal kannte, hatte folgerichtig reagiert, selbst
angebremst und den Platz geschaffen, den Jim brauchte. Sofort zog
Jim nach rechts - und bremste seinerseits stark an. Hinter ihm
hupte jemand schrill; er sah den Chrysler schlingern, der vom
Ausweich-Bremshaken überrascht wurde; vermutlich war er zu dicht
aufgefahren. Der MACK-COE schwenkte haarscharf hinter dem
Chrysler-Heck sofort auf die linke Spur, saß dem Four-Wheeler
donnernd im Nacken.
Als die Straße hinter Jim frei war, stieg er voll auf die
Bremse. Rasend schnell verlor der »Bison« jetzt an Tempo. Der
Chrysler schoß an der Zugmaschine vorbei. Jim sah, daß der
Beifahrer eine M-11 auf dem Schoß liegen hatte, eine jener
heimtückischen kleinen Maschinenwaffen, die gerade mal so groß
waren, daß man sie wie eine große Pistole im Schulteroder
Gürtelholster tragen konnte, und die eine geradezu irrsinnige
Feuerkraft und Schußgeschwindigkeit hatten.
Noch ehe der Chrysler-Fahrer begriff, wie ihm geschah, befand
er sich bereits neben dem Auflieger des vorderen Trucks, und der
Alamo-Trucker schloß dicht hinter ihm auf, so daß ihm keine Chance
blieb, seinerseits abzubremsen und vor dem »Bison« einzuscheren.
Der »Shark-Killer« trieb ihn förmlich an dem anderen Truck noch
vorbei und blieb dann neben ihm.
Jim drosselte aufatmend das Tempo.
»Die nächste Ausfahrt ist unsere«, murmelte er. Erst jetzt
brach ihm der Schweiß aus.
***
»Wenn du das nächste Mal wiederjso einen Irrsinn planst, dann
sag mir vor Antritt der Fahrt Bescheid«, stieß T.O. hervor. Sein
Gesicht war aschgrau. »Dann suche ich mir nämlich einen anderen
Partner. Weißt du, daß zwischen unserer Stoßstange und dem anderen
Auflieger nicht mal mehr eine Dollarnote Platz gefunden
hätte?«
Jim schwieg. Er mußte selbst erst einmal wieder zu sich
finden; mühsam kämpfte er gegen weiche Knie und Ellenbogen
an.
Der »Bison« wurde noch langsamer. Andere Fahrzeuge,
Personenwagen wie Trucks, die er vorhin in rasender Fahrt überholt
hatte, zogen jetzt vorbei. Einige hupten wütend, einer zeigte ihm
aus dem offenen Cabrio heraus erst das Vögelchen und dann den
schlimmen Finger. - Es ließ Jim kalt.
Zwei Meilen weiter war eine Ausfahrt. Jim setzte den Blinker,
lenkte den Truck vom Highway herunter und brachte ihn schließlich
eine halbe Meile weiter auf einer schmalen Straße kurz vor einer
Ortschaft zum Stehen. Er arretierte die Feststellbremse, schaltete
den Motor und die Zündung ab und stieg aus.
Mit weichen Knien lehnte er sich draußen an den Kotflügel,
drehte sich eine Zigarette und begann zu rauchen.
Irgendwie konnte er es immer noch nicht so richtig glauben,
was passiert war. Aber er wußte eines: Er hatte richtig
gehandelt.
O
T.O. trat zu ihm und tippte ihn auf die Schulter, um sich
bemerkbar zu machen - Jim machte auf ihn einen derart
geistesabwesenden Eindruck, als lebe er in einer völlig anderen
Welt.
T.O. deutete auf den kleinen Ort. »Hier wollten wir doch ganz
bestimmt nicht hin, Partner«, sagte er. »Unser Ziel ist Miami, wenn
ich mich nicht irre. Zudem warten der Shark-Killer wie auch ein
gewisser T.O. Washburn auf eine Erklärung für diesen
haarsträubenden Unsinn. Darf ich dir einen Psychiater
empfehlen?«
Jim wandte den Kopf. »Wer sich in die Hände eines Psychiaters
begibt, sollte sich auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen«,
erwiderte er. »Ich bin ganz okay. Die Typen im Chrysler haben uns
verfolgt, und sie waren bewaffnet.« Er erzählte von seinen
Beobachtungen.' T.O. schüttelte den Kopf. »Und daraufhin begehst du
so eine Verrücktheit, die uns Kopf und Kragen hätte kosten
können?«
Jim schüttelte langsam den Kopf. »Du kennst mich«, sagte er.
»Wenn es zu riskant geworden wäre, hätte ich’s abgebrochen und mir
etwas anderes ausgedacht. Aber die wollten uns an den Kragen. Wozu
sonst die offen liegende Schnellfeuerwaffe? Ich frage mich nur,
warum sie gut zwei Stunden gewartet haben.«
»Mich interessiert vielmehr, wer diese Leute sind - immer
vorausgesetzt, du hast keine Gespenster gesehen.«
»Dann hätte ich wohl eher ›Ghostbusters‹ zu Hilfe gerufen«,
sagte Jim in grimmigem Spott. »Was hältst du von der
Parascience-Society?«
»Glaubst du im Ernst, die wären dermaßen sauer auf uns, daß
sie uns Killer auf den Hals schicken?«
»Immerhin haben wir ihnen letztens in San Antonio bei diesem
Country-Music-Festival ganz gehörig den Zopf geölt.«
»Aber nach allem, was ich über diese Sekte gehört und gelesen
habe, paßt so ein offener Angriff nicht zu ihnen. Wenn die uns
fertigmachen wollen, dann eher, indem sie unsere Hausbank
veranlassen, unsere Schecks zu sperren oder ein Rundschreiben an
alle Frachtagenturen oder möglichen Privatkunden zu faxen, man möge
keine Geschäfte mit uns machen.«
»Man kann Trucker auch ruinieren, indem man sie daran hindert,
ihre Fracht heil ans Ziel zu bringen«, erinnerte Jim. »Wir wären
nicht die ersten, die von bösen Menschen so fertiggemacht
werden.«
»Aber bisher haben wir es immer geschafft, uns gegen böse
Menschen zu wehren«, sagte T.O.
Jim nickte. »Eben.«
Den Rest seines selbstgedrehten Glimmstengels in der Hand,
kletterte er wieder in den »Bison« und drückte den Stummel im
Ascher aus. Da gehörte das Ding hin und nicht auf die Straße, wie
es viele Menschen so gedankenlos praktizierten. Immer wieder gab es
sogar Autofahrer, die trotz eingebauten Aschenbechers ihre
Zigarettenkippe aus dem Fenster des fahrenden Wagens schleuderten;
Jim hatte einmal miterlebt, wie ein Motorradfahrer einen noch
glühenden Stummel vor die Helmscheibe bekam. Anschließend hatte der
Texaner mitgeholfen, den durch den Schreck verunglückten Biker aus
dem Straßengraben zu klauben und in den Rettungshubschrauber zu
verfrachten.
Er griff nach dem Mikrofon. »Bison ruft Shark-Killer.«
»Ich höre dich, Stampede-Sherman«, kam es zurück; der
Alamo-Truck befand sich noch in guter CB-Reichweite. »Du wolltest
etwas erklären.«
»Bin gerade dabei.« Jim führte aus, was er auch T.O. schon
erzählt hatte; derweil umrundete sein schwarzer Partner den Truck
und prüfte routinemäßig die Technik und die Reifen.
»Euer Freund ist eine Ausfahrt weiter abgebogen«, teilte der
»Shark-Killer« nach Jims Erklärung mit. »Die, die ihr genommen
habt, hat er nicht geschafft, weil er ein bißchen eingekeilt war
und ihn keiner ’rausgelassen hat. Aber die nächste hat er dann
genommen. Wir haben sein Kennzeichen. Sollen wir’s an die Polizei
weitergeben?«
»Prächtige Idee«, erkannte Jim. »Nur zu.«
»Ich weiß zwar nicht, wohin ihr wollt«, fuhr der
»Shark-Killer« fort, »aber ihr solltet damit rechnen, daß die Jungs
im Chrysler versuchen, euch wiederzufinden. Wenn ich an eurer
Stelle wäre, würde ich meinen Streckenplan dementsprechend darauf
abstimmen.«
Jim nickte, was sein Gesprächspartner natürlich nicht sehen
konnte. »Sicher, Amigo. Du hast was bei mir gut. Wenn wir uns
wieder über den Weg laufen, hast du einen Wunsch frei.«
Der Alamo-Trucker lachte. »Du bist doch der Sherman, nicht
wahr? Sorg dafür, daß Sharkey Lerby endgültig auf die Nase fällt,
und wir sind quitt! Himmel, was war die Arbeit bei der ,Alamo‘
schön, als der alte Corrigan noch lebte… Lerby, diesen
Sklaventreiber, muß die Hölle ausgespien haben!«
»Aye, Shark-Killer, und heißen, Dank für die Hilfe«, beendete
Jim das Gespräch. Er hatte selbst allen Grund, gegen Lerby zu sein,
aber solange der »Hai« ihn in Ruhe ließ, führte auch Jim Sherman
keinen Krieg. Immerhin, oft genug hatte Lerby ihm Knüppel zwischen
die Beine geworfen… und alte Feindschaft rostet nicht.
Aber im Moment gab es ganz andere Probleme.
Sie mußten ihren Auflieger nach Miami bringen. Und das
innerhalb einer gewissen Zeitspanne. Größere Umwege über vielleicht
fünfhundert oder tausend Meilen, um Verfolger auszutricksen, waren
nicht drin. Allenfalls eine Essenspause am nächsten Truck Stop. Zu
mehr reichte die Zeit nicht. Aber dafür wurde dieser Job gut
bezahlt.
T.O. stieg ebenfalls wieder ein. »Wie geht’s weiter, großer
Meister?«
»Zurück auf den Highway«, sagte Jim. »Wahrscheinlich rechnen
sie nicht damit, sondern suchen uns woanders.«
***
»Mag der Teufel wissen, was plötzlich in diese Narren gefahren
ist. Als wir überholen wollten, muß der Trucker wohl durchgedreht
sein. Ist ’ne ganze Weile mit einem Affenzahn vor uns her, wollte
uns nicht vorbeilassen, und als er endlich einscherte, zog ein
anderer ’raus und keilte uns zu. Wir hatten Mühe, überhaupt vom
Highway wieder ’runterzukommen.«
»Wer saß am Lenkrad?«
»Der Blonde.«
»Sherman also. Vielleicht hat ihm nicht gefallen, daß ihr
stundenlang hinter ihm wart. Hat euch vielleicht die harmlosen
Touristen auf Urlaubsreise nicht geglaubt. Ihr hättet ein
Kennzeichen aus dem Mittelwesten verwenden sollen, keins aus
Georgia. Aber das spielt jetzt alles keine Rolle mehr. Wir lösen
euch wie abgesprochen ab und übernehmen den Rest der Aktion.«
»Eigentlich müßten sie längst hier vorbeigekommen sein! Die
werden doch wohl nicht vom Highway ’runtergefahren sein und nehmen
jetzt eine andere Strecke unter die Räder? Dann könnt ihr sie lange
suchen…«
»Und ihr sucht dann mit, Freunde. Wenn ihr nicht so blöd
gewesen wärt, sie überholen zu wollen… ihr hättet einfach hinter
ihnen vom Highway abbiegen sollen.«
»Wir wollten etwas Vorsprung herausschinden, um einen Stopp
einzulegen. Hast du schon mal mit voller Blase am Lenkrad
gesessen?«
»Ich pumpe mich ja auch nicht vor einer längeren Fahrt
literweise mit Kaffee voll! Eh - da hinten fahren sie! Wir hängen
uns jetzt dran. Scheinen Pause gemacht zu haben…«
»Weidmannsheil…«
***
Jim Sherman hatte in der Ortschaft eine Stelle gefunden, wo er
den Truck wenden konnte; eine Gruppe Kinder unterbrach ihr Spiel
und schaute sich das Manöver des roten und chromblitzenden Trucks
interessiert an. Offensichtlich verirrten sich trotz der
Highway-Nähe nicht oft Trucks in dieses verschlafene Nest, und
schon gar nicht, um nur zu wenden. Der »Bison« kehrte auf den I-95
zurück, weiter in Richtung Süden. Am Verkehrsaufkommen hatte sich
nichts verändert; es war nach wie vor normal. Erst in etwa einer
Stunde dürfte es etwas hektischer werden. Aber dann waren sie
selbst vermutlich am Truck Stop ein paar Meilen vor Brunswick,
Georgia, und konnten bei einem kräftigen Holzfällersteak und einem
Eimer Kaffee die rush hour an sich vorbeifließen lassen.
Als sie die nächste Ausfahrt passierten, an der nach den
Worten des »Shark-Killers« der erdbraune Chrysler abgebogen war,
sahen beide Trucker sich unwillkürlich um. Aber nirgendwo an den
weitgezogenen Aus- und Auffahrtschleifen konnten sie den Wagen
entdecken, der dort vielleicht in Lauerstellung gestanden hätte, um
die Verfolgung wieder aufzunehmen. Vielleicht stimmte Jims
Verdacht, und sie rechneten einfach nicht damit, daß der »Bison«
auf den Highway zurückgekehrt war - oder sie hatten einfach
aufgegeben. Offen blieb die Frage nach dem Grund für die
mehrstündige beharrliche Verfolgung, und warum die Verfolger
ausgerechnet jetzt vorgeprescht waren.
Als sie eine Drei Viertelmeile von der Ausfahrt entfernt
waren, rollte ein feuerwehrroter, gepflegter Chevrolet Caprice
älteren Baujahrs auf den I-95.
»Vielleicht sind’s tatsächlich ein paar Killer, die uns die
Sekte auf den Hals gehetzt hat«, sagte T.O. nachdenklich. »Denn wer
sollte sonst momentan etwas von uns wollen? Und an der Fracht
kann’s auch nicht liegen. Zwanzig Tonnen Telefone im versiegelten
Container, wer will die schon haben?«
»Jemand, der es leid ist, daß er sich in seiner
Hundertzwanzig-Zimmer-Villa von Raum zu Raum immer noch per
Buschtrommel verständigen muß.«
»Ha, ha«, brummte T.O. »Ist dir auch schon mal der Gedanke
gekommen, daß die Typen gar nicht uns gemeint haben, sondern jemand
anderen verfolgten und den Bison gewissermaßen nur als Sichtdeckung
benutzten?«
Jim stutzte, dann schüttelte er den Kopf. »Kann ich mir nicht
vorstellen. Die Fahrzeuge vor uns haben im entsprechenden Zeitraum
ständig gewechselt. Oder sollte dir ein Fahrzeug aufgefallen sein,
das über zwei Stunden gleichbleibend irgendwo vor uns war?«
»Es war nur so ein Gedanke«, meinte der schwarze Hüne. »Wie
wär’s - Pause am Truck Stop?«
»Sicher«, sagte Jim. »Wenn ich schon möglicherweise
Mörderkugeln entkommen bin, will ich nicht anschließend an Hunger
sterben.«
***
Zwei Männer in einem erdbraunen Chrysler, hinter einem von
Sträuchern halb überwachsenen Hinweisschild versteckt, sahen sich
an. »Verdammt, was jetzt? Fahren wir zurück?«
»Wir bleiben dran. Ein Anpfiff reicht mir. Wenn wir uns
weiterhin verfügbar halten, wirkt sich das vielleicht positiv aus.
Aber wir sollten tatsächlich das Kennzeichen ändern. Warte
mal…«
Sie stiegen aus. Statt der Georgia-Zulassung montierten sie
vorn und hinten Schilder, wie sie in Kansas üblich waren. Der
Fahrer nahm eine Rolle Klebeband aus dem Kofferraum und verpaßte
dem Wagen ein paar deutlich sichtbare Zierstreifen. Dann hebelte er
mit einem Schraubenzieher die Typenschilder am Heck aus ihren
Befestigungen, zog auch da in voller Kofferraumbreite einen
Klebestreifen über die Bohrlöcher und hatte damit dem Wagen ein
etwas verändertes Aussehen gegeben. Nur geringfügig, aber
vielleicht reichte es.
»Und laß, verdammt noch mal, deine Knarre verschwinden! Ich
kann ja noch verstehen, daß du in dein Spielzeug vernarrt bist,
aber deshalb brauchst du’s nicht so offen zu tragen, daß man es von
einer Truck-Kabine aus sehen kann!« fauchte der Fahrer.
»Mann, die Trucker haben anderes zu tun, als uns ins Auto zu
gucken«, maulte der andere. »Was jetzt?«
»Jetzt machen wir uns eben wieder auf den Highway, sehen zu,
daß wir in erreichbarer Nähe bleiben und schaffen es vielleicht,
zwischendurch auch mal einen Happen zwischen die Kiemen zu hebeln.
Ein Dutzend Meilen von hier soll ein Truck Stop sein. Da gibt’s
immer gutes und preiswertes Essen.«
»Und wenn die Trucker da auch gerade pausieren?«
»Wir parken ja nicht da, wo die Trucks stehen. Und ich glaube
kaum, daß sie unsere Gesichter erkennen. Wenn du deine Kanone nicht
offen mit dir ’rumschleppst, kann uns keiner was.«
Der Pistolero versenkte die M-11 mißmutig im Ablagefach. »Man
gönnt mir ja sonst nichts«, brummte er verdrossen.
Der Fahrer löste den Wagen aus dem Sichtschutz und fuhr auf
den Highway. Nur wenig später tauchte ein Polizeiwagen hinter ihnen
auf. Der Patrol-Car kam schnell, scherte hinter dem Chrysler ein -
und zog dann wieder auf die Überholspur, um sich den Wagen und
seine Insassen von der Seite her anzusehen. Der Fahrer des Chrysler
wandte den Kopf, lächelte die Cops freundlich an und winkte
leutselig. Der Streifenwagen beschleunigte und fuhr jenseits der
erlaubten Höchstgeschwindigkeit weiter.
»Verdammt, die Trucker haben uns schon die Polizei auf den
Hals gell hetzt«, stieß der Fahrer hervor; er lächelte nicht mehr
und erlaubte sich jetzt auch den Luxus eines dezenten
Schweißausbruchs. »Wenn wir nicht das Kennzeichen getauscht und den
Wagen optisch ein bißchen retuschiert hätten…«
»Dazu deine Frechheit, die Cops einfach anzugrinsen«, sagte
der Pistolero. »Mach dir nicht in die Hosen. Ich hätte die M-11 aus
dem Fenster geworfen und sie mir später wiedergeholt. Was hätten
sie uns denn anhaben können? Höchstens, daß wir hundert Meilen lang
hinter einem bestimmten Truck her gerollt sind. Und das hat Uncle
Sam bisher noch nicht verboten, oder habe ich da eine
Gesetzesnovelle verpaßt?«
»Du bist mir eine Spur zu leichtsinnig«, murmelte der Fahrer
des Chrysler.
***
Jim lenkte den »Bison« schwungvoll auf das Truck Stop-Gelände.
Ein Blick auf die Tankanzeige verriet ihm, daß es noch nicht
erforderlich war, die beiden großen Dieseltanks wieder zu befüllen.
Der Treibstoff reichte allemal bis Miami und noch ein erhebliches
Stück weiter. Und bis dahin gab’s noch genügend Möglichkeiten zum
Nachtanken.
Aber ein wenig Proviant einzuholen, wäre nicht schlecht.
Hinter ihnen war ein roter Chevrolet Caprice eingebogen. Er
zog an den Trucks vorbei, um nahe an den Gebäuden zu stoppen. Jim
zuckte mit den Schultern. Es kam durchaus vor, daß sich Fourwheeler
auf Truck Stops verirrten, wenn auch nicht unbedingt zum Tanken -
die Zapfpistolen preßten den Diesel mit einem solchen Tempo in die
Einfüllstutzen, daß keine PKW-Tankentlüftung da mitkam und der Tank
nicht nur den Diesel, sondern auch gleich die ganze Zapfpistole
ausspuckte - wegen des Luftstaudrucks. Aber nicht nur Trucker
wußten das oft erstklassige, meist preiswerte Essen zu
schätzen.
Jim parkte den »Bison« ein. Die Reihe der
nebeneinanderstehenden Trucks war absolut frontbündig -keine
Zugmaschine stand auch nur einen Zentimeter vor oder hinter der
gedachten Linie; die insgesamt vierzehn Trucks boten so ein
prachtvolles Bild. Gerade rollte ein fünfzehnter auf das Gelände
und schloß sich an. Jim und T.O. stiegen aus und sperrten die
Kabine sorgfältig ab.
Ein anderer Truck, ein MACK COE mit den Farben der
»Alamo-Trucking«, verließ gerade das Gelände; »Bison« und
»Shark-Killer« hatten sich knapp verpaßt. »Schade«, brummte T.O.
»Jetzt kannst du den beiden keine Coke ausgeben.«
»Ein andermal«, winkte Jim ab. »Man rollt sich ja immer mal
wieder über die Zehen. Außerdem schont’s heute die
Spesenrechnung.«
Sie schlenderten auf den langgestreckten Flachbau zu, der
Serviceeinheiten für Mensch und Technik bot. Zwei Telefonzellen
gab’s, eine besetzt, die andere defekt, eine Schaufenstergalerie
des Shops, der Zubehör für Truck und Trucker verkaufte, und dann
kam der Restaurationsbereich. Gerade wandte T.O. sich um und sah
einen weiteren Truck einparken. »Schau mal da«, stieß er Jim an.
»Da hat noch einer ’nen INCA-Trailer auf der Gabel.«
Der rote GMC-Conventional-Truck, Typ Bison, optisch etwas
bulliger gestaltet als der Kenworth unserer Freunde, kam schnaufend
und zischend zum Stehen. Am Auflieger prangte die gleiche
Beschriftung wie an dem des »Bison«: Die leicht schräg gestellten
Buchstaben INCA, wobei das A Ähnlichkeit mit einer aztekischen
Stufenpyramide besaß. Den I-Punkt symbolisierte eine Aztekensonne.
Darunter zog sich etwas kleiner, aber in der gleichen fetten
Schrägschrift und mit den gleichen Symbolen versehen der Schriftzug
INTERNATIONAL CARGO, Miami, Florida. Dazu Fax- und Telefonnummer
und schließlich der Slogan: Täglich nach Mexico und Guatemala - wo
sehen Sie ein Problem?
Das Problem sah Jim allenfalls darin, daß eine Firma mit
diesem Anspruch eigentlich eine eigene Fahrzeugflotte haben sollte,
statt Verträge mit -zig unabhängigen Truckern abzuschließen. Für
die freien Trucker war es natürlich wunderbar, mit einer so großen
Firma möglichst ins Dauergeschäft zu kommen. Und INCA zahlte nicht
gerade schlecht.
Dennoch war Jim skeptisch. INCA schien noch nicht lange auf
dem Markt präsent zu sein, hatte also vermutlich die
Anlaufschwierigkeiten noch längst nicht überstanden. Erst nach
drei, vier Jahren ließ sich sagen, ob eine Firma auf einigermaßen
soliden Beinen stand oder zum Futter für den Pleitegeier
wurde.
Obgleich Jim und T.O. in letzter Zeit ziemlich oft im Süden
der USA unterwegs gewesen waren, hatten sie kaum einmal einen
INCA-Trailer gesehen. Daß jetzt gerade einer auf das Gelände
rollte, war schon verblüffend.
Den Broker, der ihnen die Fracht vermittelt hatte, hatte Jim
nach der Solidität der Firma befragt. Der Frachtagent schien solche
Nachfragen zu kennen; wortlos händigte er Jim die Fotokopie eines
Gutachtens aus, das von einem namhaften Wirtschaftsprüfer abgefaßt
war, dem Jim immerhin fast bedenkenlos zu trauen gewillt war.
Danach war INCA solide. »Sehen Sie, Sherman, bei dem guten Geld,
das INCA verspricht, wird selbst unsereiner mißtrauisch. Und wenn
ich einige Male Trucker in eine Falle schicke, spricht sich das
doch unter euch herum, und ihr kommt nicht mehr zu mir, sondern
geht zu meiner Konkurrenz, die an vermeintlich ehrlichere
Auftraggeber vermittelt…«
Das konnte Geschwätz, aber auch eine ehrliche Meinung sein.
Jim hatte den Job akzeptiert; man konnte es ja mal ausprobieren. 15
% Anzahlung gleich, der Rest per Barscheck bei Anlieferung des
Containers am Miami-International-Airport.
Ein versiegelter Container, vollgestopft mit Telefonen und
Telefonanlagen, die nach Mittelamerika sollten. Ab Miami per
Luftfracht. Jim hatte aufgeschnappt, daß die INCA auch den Land-
und Seeweg nutzen ließ; es fuhren auch Trucks quer durch Mexico
nach Guatemala und weiter. Sie hatten nun die kurze Route zum
Airport bekommen, und angesichts dessen, daß Jim die INCA noch
nicht gut genug kannte, schien ihm das effektiver, als gleich auf
einen langen und möglicherweise risikoreichen Trail geschickt zu
werden.
Immerhin blieb die Frage offen, weshalb die INCA sich nicht an
eine größere Spedition band, beispielsweise an die »Ryland Trucking
Company«, die »Alamo-Trucking« oder Barclays »Highway-Rider« - nach
dem Tod seines alten Herrn hatte der Trucker Steve Barclay unter
dem CB-Namen seines eigenen Trucks aus vier Fahrzeugen des
Familienunternehmens deren vierzig gemacht und zählte damit schon
nicht mehr zu den ganz Kleinen im Lande. Ähnlich wie seinerzeit
Ryland, der Highway King, fuhr auch Steve Barclay mit seinem
Partner Barry Winwood immer noch selbst; Jim war den beiden zwar
noch nicht begegnet, aber ein gemeinsamer Bekannter, Grym Stonewall
mit seinem aus Deutschland stammenden Truck, hatte ihm einmal von
Barclay erzählt.
Wenn ein einzelner Trucker ausfiel, mußte INCA umständlich
Über Frachtagenturen nach Ersatz suchen. Eine größere Firma regelte
das intern, ohne daß INCA sich hätte Sorgen machen müssen.
Trotzdem setzte INCA auf die Unabhängigen. Sicher nicht aus
sozialem Engagement…
»Wieder eine offene Frage«, murmelte Jim und begriff erst,
laut gedacht zu haben, als T.O. mit einem freundlichen »Häh?«
wissen wollte, was er sich da in seinen nicht vorhandenen Bart
brabbelte. Jim winkte ab.
»Na schön, dann kaufe ich ein paar vertrocknete Brötchen, zwei
Kaffeebohnen und eine Tüte Duldsamkeit für morgen ein«, beschied
ihm T.O. und setzte sich ab in Richtung des kleinen
Lebensmittel-Ladens neben dem großen Trucker-Store. Jim sah dem
heranschlendernden GMC-Trucker entgegen, der sich als Johnny Stein
entpuppte. Sie kannten sich eher flüchtig, waren sich nur einige
Male begegnet. Stein stammte wie Jim aus Texas, war der Sohn eines
jüdischen Einwanderers, der aus Nazi-Deutschland geflüchtet war,
und einer Farbigen. Trotz seiner mittlerweile 50 Lebensjahre sah er
mit seiner samtbraunen glatten Haut und den jettschwarzen Augen um
ein Drittel jünger aus und verdrehte den Girls allein durch sein
Auftauchen schon die Köpfe. Dabei war er grundsolide, verheiratet
und hatte einen Sohn, der es bei der US-Army inzwischen zum
Lieutenant-Commander gebracht hatte und Daddys ganzer Stolz
war.
Wenn Jim keine andere Erinnerung an Johnny Stein hatte, dann
aber die an dessen beglückt leuchtende Augen, als er von seinem
Junior erzählte, damals, als sie den Wirt einer Kneipe in San
Antonios downtown zur Verzweiflung gebracht hatten, weil der
weniger Bier im Lager hatte als seine Gäste Durst in der Kehle. Da
hatte Johnny gerade die Beförderung seines Sohnes gefeiert. Ganz
zufällig hatten ein paar Dutzend »RTC«- und »Alamo«-Trucker Johnnys
Glück geteilt, und am anderen Tag hatten der alte Jefferson
Corrigan und der Highway King unabhängig voneinander fast im
gleichen Wortlaut geflucht, weil ihre Fahrer sehr, sehr krank
waren.
Auch Jim und T.O. hatte diese Feier eine Fracht gekostet, weil
sie beide mit Restalkohol im Blutspiegel anderntags nicht in der
Lage gewesen waren, sich hinters Lenkrad zu setzen. Allein der
Kopfschmerz beim Gedanken daran, sich an der Griffstange
hochzuziehen und schwungvoll auf den Sitz katapultieren zu müssen,
und dann die Erschütterungen und der Lärm beim Zuschlägen der Tür…
Ein Bett, ein Eisbeutel, saure Gurken und eine Toilettenschüssel
hatten sich da als wesentlich sympathischere Umwelt erwiesen…