Die
Haustür stand offen. Ein platin blondes Mädchen schluchzte laut.
»Warum haben sie es getan?« stammelte sie. »Warum?«
Ich holte meinen FBI-Stern aus der Tasche. Die Neugierigen
traten nur widerstrebend zur Seite. Ich ging durch die schmale
Menschengasse bis in die große quadratische Wohnungsdiele.
Arthur Forsythe, der bekannte Filmkritiker, lag auf dem
billardgrünen Bodenteppich.
Er trug einen Smoking, in dessen Revers eine Nelke steckte.
Sie war so rot wie das Blut, das das schneeweiße Hemd färbte.
Arthur Forsythe war tot.
»Arbeitet die Mordkommission neuerdings nach dem
Einmannprinzip?« fragte eine männliche Stimme hinter mir. »Leidet
die City Police unter akutem Personalmangel oder macht Ihr Verein
gerade Betriebsurlaub?«
Ich warf einen Blick über die Schulter. Der Sprecher war ein
etwa fünfundzwanzigjähriger Wichtigtuer mit einem runden Gesicht
und kleinen spöttischen Augen.
»Ich gehöre nicht der Mordkommission an«, informierte ich ihn
ruhig. »Ich bin FBI-Agent. Ich habe den Funkspruch zufällig
unterwegs aufgefangen, nur zwei Häuserblocks von hier entfernt.
Deshalb bin ich hergekommen.«
»Ein Lob Ihrem Diensteifer!« sagte er. »Aber wann dürfen wir
mit dem Eintreffen Ihrer Kollegen von der City Police
rechnen?«
Ich gab dem Schwätzer keine Antwort. »Wer hat das Morddezernat
verständigt?« fragte ich. Das platinblonde Mädchen schaute mich an.
Ihre großen bernsteingelben Augen schwammen in Tränen.
»Das war ich«, sagte sie. »Vor fünf oder zehn Minuten…«
»Wie heißen Sie?«
»Ich bin Eunice Redcliff.«
»Sie waren dabei, als das Verbrechen geschah?«
Das Mädchen zitterte.
»Ja«, stieß sie hervor und hob fröstelnd die glatten runden
Schultern. »Es war schrecklich!« Arty steckte den Schlüssel ins
Schloß und machte auf.
Er ging voran, um in der Diele das Licht anzuknipsen. Im
nächsten Moment passierte es! Es knallte dreimal hintereinander!
Ich schrie und taumelte zurück. Aus der Wohnung kam ein Mann
gehetzt. Er jagte an mir vorüber auf den Lift zu. Die Pistole hatte
er noch in der Hand.
»Haben Sie ihn erkannt?«
»Nein, alles ging so wahnsinnig schnell. Ich war vor Schreck
wie gelähmt. Ich sah den Mann nur von hinten…«
»Haben Sie sich bereits in der Wohnung umgesehen?« fragte
ich.
»Nein«, erwiderte sie.
Ich wandte mich an die Gruppe der Neugierigen. Einige der
Leute standen in Pyjamas, Bademänteln und Morgenröcken herum. »Sind
Sie Hausbewohner?« fragte ich.
»Ja, Sir«, antwortete ein älterer schnauzbärtiger Mann. »Meine
Frau und ich hörten den Schrei und die Schüsse, als wir uns gerade
hingelegt hatten. Wir warfen uns rasch etwas über und eilten aus
der Wohnung, um zu sehen, was los war.«
»Ich saß vor dem Fernseher«, meinte ein stämmiger
Mittvierziger. »Der Krimi, der über den Bildschirm flimmerte, war
gar nicht übel. Aber der Schrei und die Schüsse, die ich plötzlich
hörte, paßten nicht in den Streifen. Ich flitzte ’raus und
stolperte förmlich über die junge Dame, die am ganzen Körper
zitterte und nach einem Telefon fragte. Wir haben dann gleich die
Polizei angerufen!«
Lieutenant Humber vom zweiten Morddezernat traf fünf Minuten
nach mir ein. Ich begrüßte ihn und Dr. Raggers, den i Polizeiarzt,
und erklärte meine Anwesenheit am Tatort. Die Fotografen und der
Arzt machten sich sofort an die Arbeit.
Lieutenant Humber zog ein saures Gesicht. Er wußte, was auf
ihn zukam. Ermittlungen in Schauspielerkreisen sind meistens sehr
langwierig und diffizil. Der brancheübliche Hang zur Publicity ist
der Wahrheitsfindung nicht immer dienlich.
In der Wohnung Forsythes herrschte mustergültige Ordnung. Das
Türschloß war unversehrt. Soweit es sich auf den ersten Blick
erkennen ließ, war der Mörder mit einem passenden Schlüssel
eingedrungen. Offenbar war er nicht gekommen, um etwas zu suchen
oder zu stehlen. Er hatte lediglich auf Forsythe gewartet, um ihn
beim Eintreten niederzuschießen.
Eunice Redcliff war die einzige Tatzeugin. Lieutenant Humber
verhörte sie in Forsythes Arbeitszimmer, einem mahagonigetäfelten
Raum, dessen Längswände bis unter die Decke mit dicht gefüllten
Buchregalen bedeckt waren. Ein Stenograf und ich verfolgten die
Unterhaltung.
»Miß Redcliff, Sie waren mit Mr. Forsythe befreundet?« fragte
Lieutenant Humber. Er hatte sich an Forsythes Arbeitsplatz
niedergelassen. Die junge Dame saß ihm am Schreibtisch gegenüber.
Sie hatte sich inzwischen gefaßt und weinte nicht mehr.
Eunice trug ein schulterfreies Cocktailkleid aus
schokoladenbraunem Chiffon. Als einzigen Schmuck hatte sie eine
einreihige Perlenkette umgelegt. Der matte Glanz der Perlen
vertiefte den Eindruck samtiger Zartheit und Wärme, der von Miß
Redcliffs makellosen Schultern ausging.
Alles an diesem etwa zweiundzwanzigjährigen Girl wirkte
vollkommen: das Gesichtsoval mit den Jochbeinen, die ungewöhnlich
langen dichten Wimpern, die goldfarbenen Augen, der Schwung der
weichen Lippen und die edle Linie des schmalen Halses. Eunice
Redcliff hatte eine angenehme Stimme. Es war zu merken, daß es eine
geschulte Stimme war, das modulationsfähige Instrument einer
gelernten Schauspielerin.
»Ja, Lieutenant, er war mein Freund«, erwiderte das Mädchen.
»Arty hat viel für mich getan. Ohne seine Fürsprache hätte ich wohl
kaum die Chance bekommen, in dem neuen Film von Arne Riceman eine
tragende Rolle zu übernehmen. Es wird mein erster Film sein. Bisher
höbe ich hauptsächlich in Broadway-Aufführungen mitgewirkt.«
Ich erinnerte mich jetzt schwach, den Namen Eunice Redcliff
schon auf Theaterfotos und in Theaterkritiken gesehen zu haben. Zur
ersten Garnitur gehörte sie mit Sicherheit noch nicht. Vom Aussehen
her hatte sie freilich das Zeug, im Film eine rasche Karriere zu
machen. Es schien, als besäße Eunice Redcliff hinter der betörend
schönen Fassade eines Glamour-Girls auch genügend Energie, Begabung
und Stehvermögen, um ihre Ziele zu erreichen.
»Ist Eunice Redcliff Ihr Künstlername?« erkundigte sich der
Lieutenant.
»Nein, so heiße ich wirklich. Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt
und lebe allein in New York. Ich bewohne ein Einzimmerapartment in
Downtown Manhattan. Ich bin nicht nur Schauspielerin, ich arbeite
auch als Fotomodell.«
»Ja, Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor«, sagte Humber
freundlich. Er gehörte zu den Beamten, deren sachlichverbindlicher
Ton rasch eine angenehme Verhandlungsatmosphäre schafft. Humber war
achtunddreißig Jahre alt. Er hatte unwahrscheinlich blaue Augen und
blondes Stoppelhaar.
Sein Lächeln gab ihm einen jungenhaften Anstrich. Es gab
jedoch viele Leute, die dieses Lächeln nie zu sehen bekamen. Das
waren die Leute, die er jagte. In seinem Beruf, kannte Humber
keinen Pardon.
»Betrüblicherweise werde ich manchmal mit Claudia Cardinale
verwechselt. Dabei bin ich doch blond. Es wäre mir lieber, die
Leute würden endlich nach Eunice Redcliff fragen. Ich habe mein
eigenes Gesicht und meine eigene Persönlichkeit. Ich möchte nicht
als Abklatsch einer anderen gelten, Lieutenant.«
Humber warf mir einen raschen Blick zu, den ich genau
verstand. Der Lieutenant registrierte, daß das Mädchen nach dem
ersten Schmerzausbruch nur noch an sich dachte. Vermutlich war sie
enorm ehrgeizig und ichbezogen. Der Schock nach der Tat hatte diese
Eigenschaft nur vorübergehend in den Hintergrund treten
lassen.
»Miß Redcliff, seit wann kennen Sie Mr. Forsythe?« fragte der
Lieutenant.
»Seit zwei Monaten.«
»Wo haben Sie sich kennengelernt?«
»Er rief mich eines Tages an. Er hatte mich in einem Stück von
Kazan gesehen und war begeistert. Er lud mich ein, mit ihm essen zu
gehen. Natürlich nahm ich an! Ich war ganz aufgeregt. Schließlich
war Mr. Forsythe eine stadtbekannte Persönlichkeit. Ich bestreite
nicht, daß ich mir von seiner Bekanntschaft ein klein wenig
Protektion und etwas Förderung erhoffte. Darauf kann man beim
Theater einfach nicht verzichten. Nun, meine Erwartungen erfüllten
sich sehr bald. Mr. Forsythe hat viel für mich getan. Ich werde in
Mr. Ricemans Film…«
»Wie oft sahen Sie Mr. Forsythe?« unterbrach Lieutenant Humber
das Mädchen.
»Im letzten Monat etwa zweimal in der Woche.«
»Betrachten Sie sich als seine Freundin?«
»Ich glaube, er war mir sehr zugetan, aber das hatte nicht
viel zu sagen. Arty kannte schrecklich viele Mädchen, und die
meisten waren ganz versessen darauf, seine Freundschaft zu
gewinnen. Im Grunde liebte er wohl nur seine geschiedene
Frau.«
»Warum wurde die Ehe geschieden?«
»Ich vermute, daß sich Artys Frau ganz einfach vernachlässigt
fühlte.«
»Wo haben Sie den heutigen Abend mit Mr. Forsythe verbracht?«
fragte Humber.
»Wir haben uns eine Off-Broadway-Aufführung im
Circle-in-the-Square-Theater angesehen. Sie wissen ja, daß Mr.
Forsythe sich als eine Art Talentsucher betätigte. Er besuchte
häufig Laienbühnen und…«
»Ja, schon gut«, unterbrach der Lieutenant. »Wann verließen
Sie mit ihm das Theater?«
»Das war kurz nach dreiundzwanzig Uhr. Wir aßen in einem Lokal
am Times Square ein Steak. Arty schlug vor, noch einen Drink in
seiner Wohnung zu nehmen. Ich willigte ein. Die Aufführung hatte
uns aufgewühlt, und wir brannten darauf, sie zu besprechen. Ich
glaube, es dürfte so gegen dreiundzwanzig Uhr vierzig gewesen sein,
als wir das Haus betraten und mit dem Lift nach oben fuhren. Arty
öffnete die Tür und trat ein. Unmittelbar darauf fielen die
schrecklichen Schüsse. Lieutenant, darf ich rauchen?«
»Bitte, Miß«, sagte Humber. Er holte ein Päckchen Luckies aus
der Tasche und hielt sie dem Mädchen hin. Eunice zupfte sich eine
Zigarette aus der Packung. Der Stenograf gab ihr Feuer. Das Mädchen
inhalierte tief und mit zurückgelegtem Kopf. »Ich habe den Mörder
gesehen«, sagte sie dann leise. »Er war gut angezogen. Er sah nicht
aus wie ein Gangster. Er trug einen Smoking, genau wie Arty.«
»Kann es sein, daß der Mann mit Ihnen ihm Theater war?«
erkundigte sich Humber.
»Ich weiß es nicht. Ich bezweifle es. Bei
Off-Broadway-Aufführungen geht es nicht sehr zeremoniell zu. Da
sieht man selten einen Smoking. Arty machte eine Ausnahme. Für ihn
war das eine Berufskleidung. In dem kleinen Theater wäre mir ein
zweiter Smoking sicherlich aufgefallen.«
»Smoking trägt der normale theaterinteressierte Sterbliche
doch nur bei Premieren, nicht wahr?« fragte Humber. »Hat es heute
irgendwo eine solche Premiere gegeben?«
»Wenn ja, dann kann es keine sehr wichtige gewesen sein«,
meinte Eunice. »Sonst wäre Arty mit mir dahingegangen.
Möglicherweise war der Täter vorher auf einer Party! Vielleicht hat
er sie nur für kurze Zeit verlassen, um die Tat zu begehen. Das
wäre gar nicht so dumm, nicht wahr, Lieutenant. Dann hätte er
nämlich ein Alibi.«
»Wie alt war der Mann?« fragte Humber.
»Ich habe ihn ja leider nur von hinten etwas genauer gesehen.
Ich würde sagen, daß er noch jung war, nicht über dreißig. Er
bewegte sich schnell und elastisch, und er hatte dichtes dunkles
Haar, kurz geschnitten, mit einem tiefen Nackenansatz.«
Das Girl machte eine kurze Pause, um sich weitere Details
einfallen zu lassen. Humber warf einige Notizen auf ein Blatt
Papier. »Der Mörder hatte ungefähr meine Größe«, fuhr das Mädchen
fort, »aber er war nicht so schlank. Um die Taille herum war er
ganz schön massiv. Das konnte nicht einmal die Smokingjacke
kaschieren.«
»Haben Sie ihn nicht im Profil gesehen, als er den Lift
betrat?«
»Einen winzigen Moment, aber das reichte nicht aus, um das
Gesicht zu erkennen. Er hatte eine kleine gerade Nase, mehr habe
ich nicht mitbekommen.«
»Versuchen Sie sich an die Stirn zu erinnern«, ermunterte sie
der Lieutenant.
»Jetzt, wo Sie davon sprechen, fällt mir ein, daß sie ziemlich
hoch und etwas vorspringend war.«
»Und das Kinn?«
»Ich weiß es nicht. Es ging alles viel zu schnell. Mehr kann
ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen.«
»Besitzen Sie einen Schlüssel für die Wohnung?«
Die junge Dame errötete. »Nein.«
»Wissen Sie, wer außer Forsythe einen Wohnungsschlüssel hat?«
fragte Humber.
»Die Putzfrau, glaube ich. Lieutenant, Sie sehen mich so
seltsam an. Ich bin eben rot geworden, nicht wahr? Nun, Arty wollte
mir einen Schlüssel geben. Ich habe es abgelehnt.«
»Kennen Sie einige seiner Freunde und Freundinnen, Miß
Redcliff?«
»So oft ich mit ihm aus war, hat er mir ein paar Dutzend Leute
vorgestellt. Hin und wieder machte er sich später über diese Leute
lustig. Arty hatte eine scharfe Zunge. Trotzdem wüßte ich nicht zu
sagen, wen er liebte oder haßte. Ich glaube, daß es in seinem Leben
nur drei Dinge gab, die er aufrichtig liebte… sich selbst, das
Theater, und seine geschiedene Frau Marion.«
»In dieser Reihenfolge?« fragte Humber.
»Ja, das nehme ich an.«
»Beschäftigte Mr. Forsythe eine Sekretärin?«
»Soviel ich weiß, tippte er seine Artikel selber. Sehen Sie,
Lieutenant, dort steht ja seine Maschine!«
»Nicht gerade das letzte Modell«, stellte Humber nach einem
kurzen Seitenblick auf die alte Underwood fest. »War er in
Geldschwierigkeiten?«
»Arty? Das glaube ich nicht! Er gab zwar viel Geld aus, nahm
aber auch viel ein. Er war an einigen Theaterproduktionen
beteiligt, die gute Kasse machen, und für seine Kolumnen, in mehr
als zwei Dutzend namhaften Blättern, erhielt er wöchentlich fast
zweitausend Dollar ausbezahlt.«
Ich erhob mich. Ganz allgemein interessierte mich dieser Fall,
aber er betraf nicht den Zuständigkeitsbereich des FBI. Ich konnte
es mir nicht leisten, mich mit Humbers Problemen zu belasten. Meine
Dienststelle litt keineswegs an Arbeitsmangel und ich wünschte am
nächsten Morgen frisch und ausgeruht im Office zu erscheinen.
»Das hier ist Ihr Baby, Lieutenant«, sagte ich und winkte
Humber grüßend zu. »Ich wünsche Ihnen…« Ich unterbrach mich, weil
in diesem Moment einer von Humbers Kollegen den Raum betrat. Er
flüsterte dem Lieutenant etwas zu.
Humber hob das Kinn und schaute mich an. »Und es ist doch Ihr
Baby, Mr. Trevellian«, sagte er. »Harry Dowling wird es Ihnen im
Wohnzimmer zeigen!«
***
Dowling ging voran. Auf dem Wohnzimmertisch lag ein Paket von
der Größe eines Ziegelsteins. »Das ist es, Mr. Trevellian«, sagte
er und schaute mich aufmerksam an.
Ich ahnte, welche Reaktion er erwartete. »Rauschgift«, sagte
ich schlicht. Von Übersee eingeschleustes Rauschgift yvird häufig
in diesem orangefarbigen Ölpapier angeliefert. Ich schälte das
Papier behutsam ab und stellt fest: Das Paket enthielt zwölf dicke
Bündel Fünfzigdollar-Noten. »Auch ’reingefallen!« rief Dowling
fröhlich.
Das obere Bündel war brandneu. Die Farbe wirkte ein wenig fad
und blaß. Es gab keinen Zweifel, daß es sich um Fälschungen
handelte. Die anderen Scheine machten einen echten Eindruck, die
Farbe stimmte.
»Falschgeld!« sagte Dowling. »Dreißigtausend Dollar in
gefälschten Fünfzigern!«
»Verstehen Sie etwas davon, Dowling?« fragte ich zurück.
»Das sieht man doch«, meinte er.
»Nur beim oberen Bündel. Bei den anderen bin ich nicht so
sicher.«
Im Arbeitszimmer klingelte das Telefon. Ich ging zurück.
Lieutenant Humber hatte inzwischen den Hörer abgehoben. »Ja?«
fragte er.
»Ist alles okay? Kann ich das Zeug abholen?« hörte ich schwach
die Stimme aus dem Hörer.
Humber befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. »Gewiß«,
sagte er. »Ich bin zu Hause.«
»Allein?«
Humber schaute mich an. Er dachte an die Neugierigen auf der
Straße und im Haus, er dachte an die Polizeiwagen und an die
Journalisten, die auf Informationen warteten. »Nicht jetzt«, sagte
der Lieutenant. »Wie wäre es in zwei Stunden? Ich habe noch
Besuch.«
»Ihre Stimme klingt verändert, Arthur.«
»Finden Sie? Ich habe ein paar Gläschen getrunken. Das wird
der Grund sein.«
»Also gut, ich kreuze in einer Stunde auf. Nicht später. Sie
können nicht erwarten, daß ich mir noch zwei Stunden um die Ohren
schlage.« Es klickte in der Leitung. Der Teilnehmer hatte
aufgelegt.
Eunice Redcliff starrte den Lieutenant großäugig an. Humber
warf den Hörer auf die Gabel. »Da ist jemand, der etwas abholen
möchte. In einer Stunde. Ich möchte den Burschen kennenlernen. Wir
müssen es erreichen, daß die Luft rein ist, wenn er kommt.
Entschuldigen Sie mich, bitte. Ich spreche mit den Reportern. Wenn
die erst einmal verschwunden sind, wird es draußen schnell ruhig
werden.« Er stand auf und verließ das Zimmer.
»Ich verstehe das alles nicht«, sagte Eunice nervös. »Wer war
der Anrufer, und was will er abholen?«
Ich ignorierte die Frage und erkundigte mich, ob Mr. Forsythe
noch Besuch erwartet hatte. »Mir ist davon nichts bekannt«,
erwiderte das Mädchen.
»Gehörte es zu Mr. Forsythes Angewohnheiten, mit Geld sehr
leichtsinnig umzugehen?«
»Er war sehr großzügig, falls Sie das meinen sollten. Das
bedeutet nicht, daß er sich übers Ohr hauen ließ. Er achtete auch
darauf, daß niemals Geld in der Wohnung herumlag.«
»Warum sagen Sie das? Danach habe ich nicht gefragt.«
»Es fiel mir gerade so ein«, meinte das Mädchen erstaunt. Ich
trat an die Maschine und schlug ein paar Buchstaben an. »Wann hat
Mr. Forsythe seinen letzten Artikel geschrieben?« wollte ich
wissen.
»Das weiß ich nicht. Mir ist nur bekannt, daß er verpflichtet
war, dreimal in der Woche seine Kolumne abzuliefern.«
»Besitzt er eine zweite Maschine?«
»Davon weiß ich nichts. Ich habe ihn schon ein paarmal wegen
des alten Klapperkastens geneckt, aber Arty sagte, er könne gar
nicht auf einer anderen Maschine schreiben. Mit diesem Monstrum
wäre er groß und berühmt geworden. Das stimmte ihn dankbar und ein
wenig sentimental. Für ihn war diese Maschine ein Talisman, ein
Gefährte aus harten, entbehrungsreichen Jahren. Er hätte sich wohl
niemals von ihr getrennt.«
»Das verstehe ich«, sagte ich. Humber kam zurück. »Das wäre
erledigt«, meinte er und wandte sich an das Mädchen. »Sie können
jetzt nach Hause fahren, Miß Redcliff. Natürlich werden wir Sie
noch brauchen.« Er äußerte ein paar verbindliche tröstende Worte
und brachte das Mädchen hinaus.
»Mr. Trevellian, wie gefällt sie Ihnen?« erkundigte er sich,
als er eine Minute später am Schreibtisch Platz nahm.
»Sie ist sehr hübsch, und sehr karrierehungrig«, erwiderte
ich.
»Gute Grundlagen, um in ihrer Branche voranzukommen«, sagte
Humber und steckte sich eine Zigarette an. »Was sagen Sie zu dem
Falschgeld, Mr. Trevellian?«
»Bleiben wir noch einen Moment bei Eunice Redcliff. Lassen Sie
sie allein nach Hause fahren?«
Der Lieutenant lächelte dünn. »Das schon, aber einer meiner
Leute wird ihr unauffällig folgen und ihre Wohnung im Auge
behalten. Der Mörder weiß, daß er von Eunice gesehen worden ist.
Das könnte ihn noch nachträglich zu einer Kurzschlußhandlung
bewegen. Ich möchte in dieser Hinsicht kein Risiko eingeh
en.«
Sein Lächeln vertiefte sich, aber es wirkte nicht heiter,
sondern eher traurig. »Eunice Redcliff soll dem amerikanischen
Theaterleben erhalten bleiben!« Er blickte auf die Uhr. »In fünfzig
Minuten erwarten wir einen Besucher, Mr. Trevellian. Er wird das
Geld abholen wollen. Ich bin neugierig, wie er auf unsere
Anwesenheit reagiert!«
***
Larry Hopkins trat auf die Bremse. Der Wagen kam zum Stehen.
Hopkins kurbelte das Fenster herab und betrachtete die
Menschenansammlung vor Forsythes Haus. Er zählte drei Polizeiwagen
und eine Ambulanz. Die Träger schoben eine Bahre in den
Ambulanzwagen. Sie war mit einem weißen Laken bedeckt, unter dem
sich die Konturen eines menschlichen Körpers abzeichneten.
Hopkins fuhr langsam weiter. Er fand eine Parklücke und hielt.
Er stieg aus, ging zu Fuß zurück und mischte sich unter die
neugierige Menge.
»Weitergehen, bitte!« sagte ein Cop. Der Ambulanzwagen fuhr
los. Einige Reporter mit großen Pressekameras kamen aus dem
Haupteingang. Sie eilten zu ihren Wagen und brausten ab.
Hopkins hörte sich an, worüber die Leute sprachen, und erfuhr
dabei den Namen des Toten. Dann ging er zu seinem Wagen. Er hatte
feuchte Hände, als er auf den Starter drückte und losfuhr. Das
mußte ausgerechnet heute passieren!
Larry Hopkins war noch bis vor kurzem ein Spieler gewesen,
nicht gerade einer der bekanntesten in der City, aber auch kein
kleiner Fisch. Dann hatte er Ginny Barter geheiratet, und auf
einmal war es mit seinem Spieltalent vorbei gewesen. Er hatte sich
sofort umgestellt und war bei Spencer Hoogan eingestiegen. Hoogan
hatte immer Verwendung für clevere, aufgeweckte Burschen wie
ihn.
Es war Hopkins nicht ganz leicht gefallen, sich auf das
disziplinierte, straffe Leben einzustellen, das die Zugehörigkeit
zu einem Syndikat erforderte, doch allmählich hatte er auf seine
Weise daran Geschmack gefunden.
Spencer Hoogan war ein mächtiger Mann. Er honorierte gute
Arbeit sehr großzügig und gab jedem eine Chance, der genügend Grips
und Energie hatte, um sich innerhalb der Syndikatsorganisation
einen Platz an der Sonne zu erobern.
Ja, bei Spencer Hoogan war man gut aufgehoben. Niemand wagte
es, sich mit einem von Hoogans Leuten anzulegen. Das war eines der
vielen Tabus, die die Mitglieder der New Yorker Unterwelt
respektierten.
Larry Hopkins fuhr nach Long Island hinaus. Seine Laune
verschlechterte sich dabei zusehends. Hopkins war ein Mann mit
Phantasie. Er konnte sich leicht errechnen, wie Hoogan auf die
Nachricht von Forsythes Tod reagieren würde.
Hoogans Haus lag in der Nähe von Glen Cove, am Seacliff Drive.
Es war ein großes Haus, vornehm und gediegen, eingebettet in einen
riesigen Park, der gleichzeitig als Schutzwall gegen neugierige
Blicke diente. Das Grundstück war umzäunt. Hopkins hielt vor dem
Portal und stieg aus. Den Motor ließ er laufen. Er drückte auf den
Klingelknopf und sagte das Kennwort in die Sprechanlage. Das Portal
öffnete sich elektrisch. Hopkins fuhr über die schmale
Zufahrtsstraße bis vor die Haustür.
Ein Butler ließ ihn ein. Larry Hopkins grinste matt. Der
Butler war typisch für Hoogans Hang zu englischer Vornehmheit.
Hoogan saß im sogenannten grünen Salon. Er pokerte mit Dick Powers,
seiner rechten Hand, sowie Allan Hunter und Freddy Winston, zwei
bulligen Burschen, die zu Hoogans Leibgarde gehörten.
Hopkins Augen leuchteten auf. Für ein paar Sekunden vergaß er
die schlechten Nachrichten, die er brachte. Die Aussicht auf ein
Spielchen belebte und faszinierte ihn noch immer. Er trat an den
Tisch und blieb stehen. Der Butler zog sich zurück. Hoogan blickte
kurz hoch. Die anderen Männer starrten auf ihre Karten. »Full
House!« sagte Spencer Hoogan triumphierend. Er legte die Karten auf
den Tisch und lachte. Dann strich er das Geld ein, das in der
Tischmitte lag. Es waren siebzig Dollar. »Meine schönste
Beschäftigung!« fuhr er grinsend fort. »Kassieren! Es gibt auf
dieser verdammten Welt nichts Schöneres, stimmt’s, Jungens?«
Er blickte Hopkins an. »Du bist pünktlich, Larry«, lobte er.
»Da wir gerade vom Kassieren sprechen… wo hast du die
Lappen?«
Hopkins zuckte die Schultern. »Ich dachte, ihr wüßtet es
schon. Jemand hat Forsythe erschossen. Er ist tot.«
Wie auf Kommando starrten alle vier Männer Hopkins an. Sie
saßen unter der grünen Schirmlampe, die nur das Rund des
Spieltisches ausleuchtete. Der übrige Raum lag im Dunkel. Larry
Hopkins merkte, daß er zu schwitzen begann.
»Eine ganz verrückte Geschichte!« sagte er und spürte, daß er
viel zu schnell sprach. »Ich habe Forsythe angerufen und ihm mein
Kommen angekündigt. Er sagte, ich solle in zwei Stunden kommen.
Seine Stimme klang komisch, irgendwie fremd und verändert. Jetzt
weiß ich, warum. Ein Bulle war am Apparat. Jedenfalls kam mir das
ganze gleich ein wenig seltsam vor. Ich fuhr also los, um den Grund
herauszufinden… und da sah ich die Cops vor dem Haus, die
Neugierigen, die Reporter und die Bullenfahrzeuge…« Spencer Hoogan
stand auf. Er ging zum Wandschalter und knipste die
Zimmerbeleuchtung an. Hoogan war ein großer muskulöser Mann. In
seinen besten Jahren hatte er sich mit jedem Preisboxer messen
können, aber jetzt, mit achtundfünfzig, neigte er etwas zur Fülle.
Er war stiernackig und häßlich. Trotzdem konnten seine Züge mühelos
einen rustikalen Charme ausstrahlen, der seine Geschäftspartner oft
genug bezauberte. Im Moment war von diesem Charme nichts zu spüren.
Er starrte Hopkins aus kleinen dunklen Augen prüfend an. »Das ist
interessant«, sagte er. »Jemand hat also Forsythe erschossen.
Wann?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich war doch nicht dabei!«
»Du weißt, daß er tot ist.«
»Na und? Ich sah, wie sie die Leiche aus dem Hause brachten!
Ich mischte mich unter die Menge und hörte, was passiert war. Ich
konnte nicht gut nach Details fragen. Das wäre aufgefallen!« Hoogan
setzte sich. Er holte aus seinem grauen Anzug ein Etui aus
Alligatorenleder und entnahm ihm eine sehr dunkle Zigarre. Dick
Powers beugte sich beflissen nach vorn und gab seinem Boß Feuer.
Hoogan nickte träge und wandte sich wieder Hopkins zu.
»Du hast dich gut eingeführt, Larry«, sagte er mit dunkler,
etwas schleppender Stimme. »In zwei Monaten hast du gezeigt, was in
dir steckt. Jetzt solltest du das erste Mal beweisen, daß man sich
auf dich verlassen kann.«
»Ich weiß«, sagte Hopkins nervös. »Deshalb bin ich doch so
wütend über mein Pech!«
»Dein Pech?« echote Hoogan lauernd. »Du denkst vielleicht, ich
hätte versagt. Aber es war doch ausgemacht, daß ich nicht vor
Mitternacht bei ihm anrufe, nicht wahr?«
»Das war ausgemacht«, bestätigte Hoogan wütend.
Hopkins schwitzte. Es ärgerte ihn, daß er nicht zum Sitzen
aufgefordert wurde. Die mißtrauischen, höhnischen und auch
feindseligen Blicke der Männer machten ihn nervös: War es denn
seine Schuld, daß Forsythe ermordet worden war?
»Was weiß man von dem Täter?« fragte Hoogan.
»Nichts. Er ist entkommen.«
»So ein Pech für die Polizei!« spottete Hoogan.
Hopkins runzelte die Augenbrauen. Er hatte es gelernt, niemals
Furcht zu zeigen, auch wenn er sie empfand. Er glaubte an eine
gewisse Vorwärtsstrategie, an die Flucht nach vorn.
»Was soll das heißen? Ihr glaubt doch nicht etwa, daß ich ihn
hopp genommen habe?«
Hoogan betrachtete tiefsinnig das glühende Ende seiner
Zigarre.
»Überlegen wir doch einmal, ob das für dich ein lohnender Coup
gewesen wäre, Larry. Du erschießt Forsythe und reißt dir das Geld
unter den Nagel, immerhin runde dreißigtausend Dollar…«
»Blüten!« unterbrach Hopkins aufgebracht. »Was hätte ich damit
beginnen sollen?«
»Sie ausgeben. Unter die Leute bringen. Eintauschen.
Fünfundzwanzigtausend Dollar von dem Packen sind so perfekt
gefälscht, daß es kein Problem sein dürfte, die Scheine an den Mann
zu bringen.«
»Das ist doch verrückt!« verteidigte sich Hopkins. »Ihr kennt
mich doch! Ich habe es nicht nötig, wegen eines Haufens wertloser
Blüten einen Mord zu begehen!«
»Du wußtest,daß Forsythe das Geld im Hause liegen hat«,
stellte Hoogan nüchtern fest.
»Das wußten auch noch andere!«
»Zum Beispiel?«
Hopkins schluckte. »Na, ihr alle!«
»Jetzt wird er keß«, murmelte der bullige Allan Hunter
drohend. Er hatte eine niedrige Stirn und zusammengewachsene
Augenbrauen. Man sah es ihm an, daß Kampf und Schlägereien sein
Element waren. Er hungerte förmlich danach, sich auf diesem Gebiet
mal wieder hervortun zu können.
»Es ist ja noch nicht mal ’raus, daß er wegen des Geldes
ermordet wurde!« meinte Hopkins rauh.
»Wegen der dämlichen Artikel ja wohl kaum«, sagte Dick Powers,
Hoogans rechte Hand, mit einem Blick zu seinem Boß.
»Also los, Larry«, sagte Hoogan friedlich. »Du hast es
versucht. Ich kann das verstehen. Dreißigtausend Dollar sind kein
Dreck. Da kann man schon mal schwach werden.«
»Mensch, Boß… ich habe mit der Sache nichts zu tun! Ich wollte
das Geld abholen, mein Wort darauf! Ich würde es mir nicht mal im
Traum einfallen lassen, Ihnen in den Rücken zu fallen. Ich bin doch
kein Selbstmörder!« schrie Larry Hopkins verzweifelt.
Hoogan grinste und zeigte dabei seine festen, aber ziemlich
tabakgelben Zähne. »Sieh mal einer an. Du kennst genau das Risiko.
Aber du warst ein Spieler, nicht wahr? Spielernaturen bleiben sich
immer gleich. Sie können ohne Nervenkitzel nicht leben.«
Hopkins holte das Taschentuch aus dem Anzug und wischte sich
damit das Gesicht ab, obwohl er wußte, daß alles, was er tat und
sagte, als Eingeständnis seiner Schuld gewertet werden konnte.
Powers meinte prompt: »Angstschweiß ist eine häßliche Sache,
was?«
»Ich möchte euch mal in meiner Lage sehen!« meinte Hopkins und
steckte das Taschentuch ein.
»Setz dich, Larry«, sagte Hoogan mit sanfter Stimme. Hopkins
gehorchte. Er nahm auf einem Stuhl Platz, ohne deshalb ein Gefühl
der Erleichterung zu empfinden. Er war lange genug
Syndikatsmitglied, um zu wissen, daß Hoogans milde Welle Unheil
bedeuten konnte. Immer, wenn die Stimme des Bosses besonders sanft
und weich wurde, drohte Gefahr.
»Natürlich hättest du mit den Piepen türmen können«, meinte
Hoogan ruhig. »Aber das war, dir zu gefährlich. Du kennst meinen
Einfluß. Du wußtest, daß ich dich gekriegt hätte, irgendwann,
irgendwo. Also mußtest du dir etwas einfallen lassen, um das Geld
auf eine scheinbar sichere Weise an dich zu bringen. Du schaltetest
Forsythe aus, weil du glaubtest, wir würden nicht so weit gehen,
dir einen Mord wegen der Blüten zu unterstellen!«
Larry Hopkins sprang auf. »Ich habe es nicht getan! Es ist
lächerlich, mir das in die Schuhe zu schieben. Ich habe das einfach
nicht verdient!«
»Was du verdienst, bestimmen wir!« sagte Hoogan. Er blickte
Powers an. »Was hältst du davon, Dick?«
Powers Gesicht blieb leer und ausdruckslos. Er hatte eine
etwas näselnde unangenehme Stimme. »Es war schon immer meine
Devise, einem Spieler nicht über den Weg zu trauen«, erklärte er.
»Diese Burschen ändern sich nicht. Sie spielen immer falsch. Es
liegt in ihrer Natur.«
»Das ist eine Lüge!« schrie Hopkins wütend.
Hoogan lächelte. »Immer mit der Ruhe, mein Junge. Du kennst
doch Forsythe, nicht wahr? Wer sollte wohl ein Interesse daran
gehabt haben, ihn um-, zubringen?«
»Das weiß ich nicht. Aber er hatte bestimmt eine Menge Feinde.
Er hat täglich ein paar Filme verrissen und einige Darsteller durch
den Kakao gezogen!«
»Deshalb bringt man keinen um.«
»Er wäre nicht der erste Schreiberling, dem das
zustößt.«
»Jaja, natürlich. Das klingt ganz plausibel. Aber dummerweise
hatte Forsythe, als das Unglück geschah, gerade dreißigtausend
Dollar im Hause.«
»Ein Zufall«, erwiderte Larry schwach.
»Vielleicht, aber ich glaube nicht an derlei Zufälligkeiten.
Du etwa, Larry?«
»Nein«, gab Hopkins nach kurzem Überlegen zu. »Es wird schon
wegen des Geldes gewesen sein. Aber ich habe nichts damit zu- tun,
das schwöre ich!«
»Du sitzt hier nicht vor der Grand Jury«, sagte Hoogan
spöttisch. »Wir sind ganz unter uns. Wir wollen nur die Wahrheit
herausfinden… und das werden wir, Larry, mein Wort darauf!«
»Ihr kennt die Wahrheit bereits«, sagte Hopkins matt. Er
setzte sich wieder.
Dick Powers zog eine Nagelfeile aus der Brusttasche seines
Jacketts. Er begann am Daumennagel Seiner linken Hand
herumzuschaben. »Wir denken in einigen Punkten sehr altmodisch«,
sagte er langsam. »Spencer und ich halten nicht viel von diesen
langatmigen Befragungen. Wir haben herausgefunden, daß ein bißchen
Härte den Prozeß erheblich beschleunigt und verkürzt.« Er streckte
die Hand aus und betrachtete prüfend den manikürten Nagel. »Ich
denke, daß du mich verstehst.«
Natürlich verstand Hopkins. Sein Atem ging rascher. Er hatte
nicht den Mut, die beiden Gorillas anzusehen. Die warteten nur
darauf, mit ihm Ball spielen zu können. Hopkins war nicht feige,
aber er fürchtete die Folter. Er hatte eine panische Angst vor
Hoogans brutalen Leibwächtern. »Das ist nicht euer Ernst!« stieß er
keuchend hervor. »Ihr könnt doch nicht einen von euch wie einen
Lumpen behandeln!«
»Allan und Freddy«, sagte Powers nach einem Seitenblick auf
seinen Boß und schob die Nagelfeile in die Tasche zurück. »Er
gehört euch!«
Die beiden Leibwächter erhoben sich. Sie waren nicht sehr
groß, aber die knapp sitzenden Anzüge verrieten deutlich, welche
Muskelpakete unter dem Stoff saßen.
Hopkins fürchtete das kalte grausame Glitzern in den Augen
dieser Männer fast noch mehr als ihre körperlichen Kräfte. Die
beiden Männer kamen um den Tisch herum auf ihn zu.
Hopkins sprang auf. Sein Stuhl fiel um. »Rührt mich ja nicht
an!« schrie er und wich einige Schritte zurück. Die Männer folgten
ihm. Allan Hunter schlug zuerst zu. Seine Faust landete genau in
Hopkins Magengrube.
Hopkins krümmte sich. Er bekam einen zweiten Schlag auf die
Schläfe. Vor seinen Augen drehten sich feurige Kreise. Es dauerte
einige Sekunden, ehe das wilde Farbenspiel verblaßte und mit dem
Schmerz verebbte.
»Du hast noch eine Chance, Larry«, sagte Hoogan mit
provozierender Sanftheit. »Dir dürfte inzwischen klargeworden sein,
daß wir dich durchschauen. Ich rate dir gut, Larry. Verzichte auf
die alberne Komödie und sage uns die Wahrheit. Du ersparst dir
damit eine Menge Ärger.«
»Ich habe ihn nicht umgebracht! Ich habe das Geld nicht
gestohlen! Ich bin doch nicht verrückt, Boß! Warum wartet ihr nicht
ab, was die Zeitungen schreiben? Vielleicht haben sie den Mörder
schon geschnappt!« schrie Hopkins. Er zitterte am ganzen
Leibe.
»Bringt ihn in den Keller, Boys«, entschied Powers, ohne die
Stimme zu heben. »Der Boß und ich geben euch zwanzig Minuten
Zeit.«
Allan Hunter grinste. »Die brauchen wir nicht, was, Freddy?
Ich wette, unser Freund Hopkins singt schon nach fünf Minuten ganze
Arien!«
***
Am nächsten Morgen saßen mein Freund Milo Tucker und ich dem
Chef in seinem Office am Schreibtisch gegenüber.
»Der Anrufer kam leider nicht«, schloß ich den ersten Teil
meines Berichtes über die Ereignisse der letzten Nacht. »Offenbar
hatte er Lunte gerochen.«
Das Telefon klingelte. Mr. McKee nahm den Hörer ab und meldete
sich. Er hörte mehr als eine Minute zu und legte dann auf, ohne
mehr als ein »Dankeschön!« gesagt zu haben. Sein Gesicht hatte
einen nachdenklichen Zug angenommen.
»Das war das Labor«, informierte er uns. Sie haben eine
Prüfung des Falschgeldes gemacht. Alle Scheine sind falsch nicht
nur das eine Päckchen mit der auffälligen Farbabweichung. Das sind
anscheinend Probedrucke, bei denen eine Technik verwendet wurde,
mit der man nicht zufrieden war. Das restliche Falschgeld ist das
Produkt einer technischen Meisterleistung. Man hat dabei eine alte
Methode zu einer erstaunlichen Perfektion entwickelt. Amerika ist
das einzige Land der Erde, das sämtliche Banknotenwerte im gleichen
Format druckt. Das hat die Herren Fälscher schon immer gereizt, die
kleineren Noten zu bleichen und dann das Originalpapier mit höheren
Werten zu bedrucken. Damit entfiel für die Fälscher das sehr
diffizile Problem der Papierbeschaffung. Sie machten einfach aus
Eindollarscheinen Hundertdollarscheine.
In der Praxis ergaben sich dabei freilich fast unüberwindliche
Schwierigkeiten. Die Bleichprozesse griffen das Papier an und
veränderten die Oberflächenstruktur, so daß auch Laien schon am
Griff fühlten, daß etwas nicht stimmte. Das Geld, das gestern in
Mr. Forsythes Wohnung gefunden wurde, ist nach einem völlig neuen
Verfahren gebleicht und bedruckt worden. Das Papier hat dabei seine
Struktur nicht verändert. Es fühlt sich durchaus echt an. Der Druck
selbst ist makellos, es gibt keine erkennbaren Abweichungen, keine
Fehler. Nur unter der Quarzlampe ist zu erkennen, daß die Noten auf
alten Dollarscheinen gedruckt worden sind. Das Labor und die Männer
vom Falschgelddezernat sagen übereinstimmend aus, daß es sich um
die ausgereiftesten Fälschungen der letzten Jahrzehnte handelt. Die
Spezialisten sind der Meinung, daß sich dahinter ein ungeheures
technisches Können verbirgt. Sie vermuten, daß ein ausländisches
Spezialistenteam die Arbeit leistet, und daß man diese erste
Sendung gleichsam als Versuchsballon hat auf steigen lassen.«
Milo und ich blickten einander an. Es bedurfte nicht vieler
Worte, um die Bedeutung der aufgeführten Fakten zu erkennen.
»Angesichts der akuten Gefahren, die eine unbekannte Gruppe
von Verbrechern unserer Wirtschaft und unserer Währung zufügen
kann, möchte ich Sie bitten, den Fall unverzüglich zu übernehmen
und mit Vorrang zu behandeln«, sagte Mr, McKee. »Sie sind dabei der
Unterstützung des Falschgelddezernates und aller anderen
Dienststellen sicher. Alle diese Ermittlungen unterliegen bis auf
weiteres der Geheimhaltungspflicht. Es hat keinen Zweck, die
Bevölkerung aufzuschrecken, solange wir nicht wissen, ob das Geld
überhaupt in Umlauf gelangt ist.«
»Ein Glück, daß Lieutenant Humber den Reportern gegenüber den
Geldfund verschwiegen hat«, sagte ich.
»Lieutenant Humber ist ein tüchtiger Mann. Er hat eine Nase
für kluge Entscheidungen«, meinte Mr. McKee. »Ich bin sicher, daß
Sie in Zusammenarbeit mit seiner Abteilung schnell zu brauchbaren
Ergebnissen kommen werden.«
»Wenn ich die Situation richtig beurteile, stellt sich
zunächst die Frage nach der Herkunft des Geldes«, meinte Milo. »Mr.
Forsythe können wir leider nicht mehr fragen. Seltsam ist nur, daß
der Täter das Geld ignoriert hat.«
»Es lag im Kühlschrank, und zwar im Tiefkühlfach«, sagte ich.
»Lieutenant Dowling stolperte darüber, als er sich eine Dose Bier
aus dem Schrank holen wollte.«