Krimi Dreierband 20 - 3 Thriller in einem Band! - Alfred Bekker - E-Book

Krimi Dreierband 20 - 3 Thriller in einem Band! E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: Der Tod hält Einzug (Theodor Horschelt) Ein Killer läuft Amok (Alfred Bekker) Die schöne Russin (Thomas West) Krimis der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. Mal provinziell, mal urban. Und immer anders, als man zuerst denkt. Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell. Titelbild: Firuz Askin

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Seitenzahl: 563

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Alfred Bekker & Thomas West & Theodor Horschelt

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Inhaltsverzeichnis

Krimi Dreierband 20 - 3 Thriller in einem Band!

Copyright

Der Tod hält Einzug

Ein Killer läuft Amok

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Die schöne Russin

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Prolog: Spittal, Österreich - Spätsommer 1984

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Krimi Dreierband 20 - 3 Thriller in einem Band!

Theodor Horschelt, Alfred Bekker, Thomas West

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Der Tod hält Einzug (Theodor Horschelt)

Ein Killer läuft Amok (Alfred Bekker)

Die schöne Russin (Thomas West)

Krimis der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre.

Mal provinziell, mal urban. Und immer anders, als man zuerst denkt.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Titelbild: Firuz Askin

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER TONY MASERO

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

Der Tod hält Einzug

Kriminalroman von Theodor Horschelt

Der Umfang dieses Buchs entspricht 182 Taschenbuchseiten.

John Robson Lee, Erdölfachmann von hohen Graden und so einsam wie ein Mensch nur einsam sein kann, lernt in Guatemala City die Journalistin Charlie Eshley kennen und heiratet sie zwölf Stunden später.

Praktisch ist es die einzige impulsive, unüberlegte Handlung seines bisher so sauberen, klaren, völlig geordneten Lebens. Er soll sie bitter bereuen.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© Cover by Klaus Dill mit Steve Mayer, 2017

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Prolog

Letzte Woche in Guatemala …

In der „Casa Antica“ verkehrten: Schieber, Mädchenhändler, Rauschgiftspekulanten und Kongressabgeordnete. Minister erschienen an Sonntagen seltener.

Pedro Dominguez sah den Gringo mit scheelen Augen an. Wie alle Guatemalteken liebte der Wirt den U.S. Dollar und hasste den U.S. Staatsbürger.

An jenem Juni-Sonntag hatte sich auch John Lee in das Lokal verirrt. Krank vor Heimweh saß er am Barhocker und stierte in sein Glas, aber dadurch wurde es auch nicht wieder voll.

Langsam schaukelte der Mixer näher, ein adretter, gutaussehender Latino mit einem unwahrscheinlichen Brillantineverbrauch.

Lee sah ihn an und lächelte. „Ich hatte ein Cuba Libre bestellt, cholo.“

„Nennen Sie mich nicht cholo, Señor!“, entrüstete sich der Mann. „Ihr ... Getränk kommt schon noch. Señor. Es muy occupado – viel Arbeit, Señor.“

„Bestellen Sie lieber ein unverfängliches Getränk, Sir“, sagte plötzlich ein humorvoller Alt. „Fidel Castro steht hier hoch im Kurs, und das Wort Freies Kuba hört man gar nicht gern.“

Als er den Blick hob, sah er das Profil der jungen Frau. Sie hatte rotblondes Haar und eine weiße Haut, wie sie Frauen nur haben, wenn diese Haarfarbe echt ist. Sie saß zwei Hocker weiter rechts von ihm. Ihre Augen schillerten wie irische Bergseen.

Er wandte den Blick und sah sie groß an.

„Verzeihen Sie, wenn ich Sie so anstarre. In Chubut und Santa Cruz gibt es keine rothaarigen Frauen. Während dreier Jahre habe ich dort keine einzige gesehen.“

„Oh!“, rief sie überrascht. „Sie leben im südlichen Argentinien?“

„Ich lebe überall, wo es Erdöl gibt.“

„Sie sind Bohrmeister?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich bin Mineningenieur, Ölsucher und Einmann-Feuerwehr. Im Augenblick bin ich krank vor Heimweh. Ich war sechs Jahre nicht mehr zu Hause in England und fliege morgen oder übermorgen über New York nach London.“

„Warum haben Sie den großen Umweg über Guatemala City gemacht?“ Sie sah ihn prüfend an. „Erdöl gibt es hier auch keines ...“

Er lächelte. „Ich wollte einen alten Freund treffen, aber er hat telegraphisch abgesagt. Ich ... “ Er unterbrach sich mitten im Satz, weil der betrunkene Gringo, der den allgemeinen Unwillen auf sich gelenkt hatte, etwas schwankend aus seiner Separeenische heraus zur Theke kam und die Rotblonde ansprach.

„Kennen wir uns nicht vom Sehen, Schätzchen?“

Er wandte dabei Lee den Rücken zu. Er war etwa in Lees Alter. Klein, drahtig, schwarzhaarig, ein spanischer Typ mit einem rasiermesserdünnen Schnurrbart auf der Oberlippe. Auf der linken Wange trug er eine schlecht verheilte, blutrote Narbe in Blitzform.

Die Unbekannte wandte sich schweigend und unwillig von ihm ab, was ihn nicht daran hinderte, weiter auf sie einzusprechen. Lee verstand nur einzelne Wortfetzen: „Herbert ... Rausch ... tot.“ Oder: … rot?

„Lassen Sie mich bitte in Frieden, Señor!“, bat die Rotblonde unwillig.

„Das könnte dir so passen, Schätzchen! Und von wegen Señor! Du weißt ganz genau ... “

„Halt!“ Hier legte sich John Lee ins Mittel. Er sprang vom Hocker herunter, packte den Gringo bei den Schultern und wirbelte ihn zu sich herum. „Halt, Sir, Sie sehen doch, dass die Dame auf eine Unterhaltung mit Ihnen keinen Wert legt. Lassen Sie sie zufrieden, ich bitte Sie.“

Der Mann mit der Narbe stutzte und dachte nach. „Sir“, erwiderte er sodann mit Würde, „mischen Sie sich da besser nicht ein!“

„Doch, ich mische mich ein“, beharrte Lee auf Spanisch – er wusste, warum! – auf seinem Standpunkt, „weil Sie eine Dame unverschämt belästigen! Señores: Que el hombre salga de aqui en ol acto!“ Auf Englisch fuhr er, für den Nordamerikaner bestimmt, energisch fort: „Falls Sie kein Spanisch verstehen, Sir. Dort ist die Tür!, habe ich soeben gesagt.“ Er zeigte mit dem Finger in die Richtung.

Der Gringo starrte ihn an und schlug plötzlich zu. Er war sehr gewandt und verstand zu boxen. Lee war noch gewandter und verstand noch mehr davon. Er fing den Aufwärtshaken mit der linken Schulter ab, riss die linke Hand deckend hoch und versetzte dem Amerikaner einen kurzen geraden Haken auf die Kinnspitze. Ein hässliches, trockenes Geräusch erklang, als Ober- und Unterkiefer des Geschlagenen zusammenklappten. Der Mann, der diese Behandlung selbst herausgefordert hatte, kippte nach hinten um und blieb bewusstlos liegen. Die Zeugen des Blitzkampfes klatschten und trampelten begeistert Beifall. Der Rausschmeißer des Lokals – ein zwei Zentner schwerer Mestize – packte den Bewusstlosen und warf ihn achtlos vor die Tür.

„Señores“, verkündete Lee mit Würde, „wollen Sie mir die unverdiente Ehre antun, zu einer Lokalrunde meine geehrten Gäste zu sein?“

Danach kannte die Begeisterung keine Grenzen.

„Danke!“, sagte die Rotblonde strahlend. „Sie haben mich aus einer recht unangenehmen Lage befreit, Mister ... Mister ...?“

„Lee, John Robson Lee. Meine Freunde nennen mich John.“

„Charlotte Eshley – für meine Freunde Charlie.“

Danach fiel ihm ein, dass er ebenso gut auf dem Hocker neben ihr sitzen könne und nahm dort Platz.

*

„Kennen Sie den Gringo, Charlie?“, fragte Lee neugierig.

„Seit heute Abend“, erwiderte sie trocken. „Er verfolgte mich seit Stunden auf Schritt und Tritt. Warum hat er sich nicht für eine andere Frau interessiert? Es gibt hier doch soviel davon.“

„Aber nur eine Charlie! Ich kann den Burschen schon verstehen.“

„Danke!“

Er fasste sich ein Herz und sagte: „Sie sind ganz allein hier – ich bin ganz allein hier – was hindert mich, Sie zum Essen zu entführen?“

„Dauert es bei Ihnen immer so lange, bis gute Gedanken zur Reife gedeihen?“, fragte sie augenzwinkernd.

John fand sie hinreißend. Sie war etwas über mittelgroß, sehr schlank und hatte eine makellose Figur mit einer hohen, straffen Brust, einer schmalen Taille und zärtlichen Hüften. Ihre Beine waren gerade und rassig, aber sie zeigte nicht mehr davon, als eine Dame zeigen darf, ohne sich etwas zu vergeben. Ihr dünnes Silberlamé-Kleid schien mit einer Spritzpistole auf die Haut aufgetragen. Das hätte sich eine nur ein wenig fülligere Frau nicht leisten dürfen. Ihr stand es. Make-up verwandte sie nur sehr sparsam. Dank ihrer zart gebräunten Haut hatte sie es auch gar nicht nötig. Allein ihr üppiger, rot geschminkter Mund hätte einen lyrischen Dichter zu herrlichen Versen inspiriert.

Später aßen sie in einem chinesischen Restaurant ein fernöstliches Dinner mit 20 Gängen.

John erzählte Charlie, dass er Maracaibo und Feuerland so gut kenne wie Saudi-Arabien und Persien, und sie berichtete ihm, dass sie ebenfalls beruflich die ganze Welt kennengelernt habe. Zuletzt sei sie jahrelang Südamerikakorrespondentin des „Australian Globe“, Canberra, gewesen, momentan aber ohne Job. Sie wolle sich, wie er, einen Halbjahresurlaub gönnen, wisse aber noch nicht, ob in Übersee oder in der alten Heimat.

Auch ein Dinner mit 20 Gängen geht einmal zu Ende. Er fragte Charlie: „Was machen wir jetzt mit dem angefangenen Abend?“

Und sie erwiderte: „Gehen wir tanzen!“

Er machte ihr eine schwungvolle Verbeugung und war fair genug, sie zu warnen. „Meine Gelenke sind eingerostet wie die Glieder einer alten Ritterrüstung, aber ich möchte meinen Arm um Sie legen, selbst um den Preis, dafür tanzen zu müssen.“

„Kommen Sie mir jetzt ja nicht mit faulen Ausreden, John!“ Sie drohte ihm mit dem Finger.

Später gingen sie ins „El Cruceiro“ und fanden die Bar und das Barorchester überwältigend. Um halb vier Uhr brachte er sie zu ihrem Hotel. Charlie gab ihm die Hand und bedankte sich für den reizenden Abend.

„Wenn Sie mich jetzt bitten, Sie zu einem Drink auf meinem Zimmer einzuladen, sage ich nicht nein“, murmelte sie mit halb geschlossenen Augen, „es wäre aber sehr zartfühlend und verständnisvoll, wenn Sie sich die Bitte verkneifen würden.“

Er verkniff sich die Bitte und küsste sie zum Abschied. Es war ein vielversprechender Kuss, der sein Blut in Wallung brachte, und er fragte sie heiser, ob er sie zum Mittagessen abholen dürfe.

„Ich wäre sehr enttäuscht, wenn Sie es nicht tun würden“, hauchte sie.

*

Als er sie zum Essen abholte, hatte sich zwischen ihnen nichts geändert, und er glaubte sie tausend Jahre schon zu kennen. Er sagte es ihr auch, und es schien sie glücklich zu machen.

„Wie lange werden Sie noch in Guatemala City bleiben, John?“, fragte sie beim Nachtisch und der Unterton ungeweinter Tränen schwang in ihrer Stimme mit.

„Solange Sie wollen, Charlie“, erwiderte er und ließ sie dabei nicht aus den Augen. „Eines Tages wird unsere Trennung ja doch kommen müssen – es sei denn, Sie könnten sich dazu entschließen, mich nach London zu begleiten ...“

Er hatte Herzklopfen, als er sie nach dieser Einladung ansah.

„Schön müsste es sein, wieder einmal die alte Heimat zu sehen“, murmelte sie zögernd und niedergeschlagen, „aber es würde unsere Trennung nur hinausschieben, und eines Tages stünde ich allein und verlassen in der Riesenstadt, hilflos den Schatten der Vergangenheit preisgegeben.“

Sie sah auf. „Mit meinen sechsundzwanzig Jahren bin ich manchmal wie ein romantischer Teenager. Es gab zu Hause eine Zeit, da war ich unsagbar glücklich. Ich heiratete ganz jung. Der Himmel hing uns voller Geigen. Nach kaum einjähriger Ehe verunglückte mein Mann tödlich. Seitdem ist mir England verleidet.“

„Schlimm“, sagte er, „sehr schlimm!“, und kam sich dabei schrecklich töricht und primitiv vor. „Aber in unserem Alter kann man die Fesseln der Vergangenheit noch abstreifen und ein neues, dauerhaftes Glück aufbauen.“

„Ja, wirklich?“ Sie sah ihn aus tränenfeuchten Augen an. „Ich weiß nicht recht. Manchmal bin ich so mutlos.“

„Aber wenn Sie einen festen Halt hätten, hätten Sie keine Angst mehr, zu fallen. Ist es das?“

Sie nickte scheu.

„Kommen Sie mit!“ Er sah sie beschwörend an. „Kommen Sie mit als meine Frau.“

*

Es dauerte dreißig Minuten, bis er ihr die letzten Einwände ausgeredet hatte.

Um sofort heiraten zu können, brauchten sie eine Lizenz und wandten sich darum an die Britische Gesandtschaft. Dort wäre der Plan um ein Haar ins Wasser gefallen, weil Charlie nur einen britischen Fremdenpass aus Singapore besaß. Zum ersten Male lernte sie die dynamische Energie ihres zukünftigen Mannes kennen, als er den Gesandschaftsrat bearbeitete. Dass Charlie britische Staatsangehörige und seit Jahren verwitwet sei, sei doch klar, nicht wahr! Klar sei dementsprechend auch, dass sie einen Landsmann heiraten könne, der ledig und auch sonst ehefähig sei. Etwas anderes wolle man doch gar nicht, als die Heirat. Na bitte!

Der wackere Beamte gab sich geschlagen und murmelte vorsichtig, bei wohlwollender Auslegung der diesbezüglichen Vorschriften und Gesetze und in Anbetracht des Umstandes, dass ein echter Notfall vorliege – hier zwinkerte er unverschämt mit den Augen – könne er die Trauung gerade noch zur Not verantworten.

Als die Zeremonie vorüber war, war es Charlie, die ihm spontan an den Hals flog und unter Tränen flüsterte, dass sie ihn über alles liebe und sich redlich Mühe geben wolle, ihm eine gute, treue und gehorsame Ehefrau zu sein.

„Und falls du eines Tages doch zu der Überzeugung gelangen solltest, dass unsere Heirat ein voreiliger, unvernünftiger Schritt gewesen sei, sagst du es mir, und ich gebe dir ohne jede Hysterie deine Freiheit.“

„Halt, kein Wort weiter, Mrs. John Robson Lee!“, unterbrach er sie streng. „Oder die erste eheliche Körperverletzung findet vor Zeugen noch am Tatort statt!“

Charlie weinte vor Glück und Rührung.

1.

Eine Frau zwölf Stunden kennen und danach sofort heiraten – das muss schief gehen!, hatte sich John Lee in verschiedenen lichten Momenten immer wieder selbst vorgehalten. Die Tatsachen wussten es jedoch anders, und das allein zählte. Charlie war eine zärtliche, nachgiebige, großzügige und erfahrene Ehefrau. Immerhin war es bereits ihre zweite Ehe, und sie war acht Jahre älter als achtzehn.

Am Abend des vierten Tages nach ihrem ersten Kennenlernen erreichte das frischgebackene Ehepaar Lee London.

„Bitte Rauchen einstellen! – Passagiere bitte anschnallen, wir landen in drei Minuten!“

Überall leuchteten an den Kabinenwänden rote Warntafeln auf, außerdem sagte es die Stewardess mit freundlich-überredendem Tonfall über die Bordsprechanlage durch.

„Wir sind in der alten Heimat, meine liebe verehrte Mrs. Lee!“ John sah seine schöne Frau von der Seite her an, die die Blicke der Männer wie ein Magnet auf sich zog. „Morgen schließe ich mit The British eine Artikelserie unter dem Titel Ich heiratete Miss World ab!“

Zehn Minuten später rollte die Maschine zum Abfertigungsgebäude im Zentrum von London Airport, wurde immer langsamer und blieb am Ende ganz stehen.

London bereitete den Lees, die jahrelang nicht mehr in ihrer Heimat gewesen waren, einen hässlichen Empfang. Es goss wie aus Kannen, die Nacht hatte einen nebeligen Anstrich, kaum konnten sich die vielen verwirrenden roten, grünen und gelben „Feuer“ und Scheinwerfer gegen Nacht und Wolkenbruch durchsetzen.

Galant half John seiner Frau in den Regenmantel hinein, ehe er den eigenen anzog; das Ehepaar war auf schlechtes Wetter vorbereitet. An Handgepäck nahm er seine Aktenmappe und einen kleinen Saffiankoffer, Charlie seine zweite Aktenmappe, ihre große Handtasche und ihren Necessairekoffer an die Hand.

Vor der Zollschleuse herrschte wegen des Unwetters ein schreckliches Gedränge.

Vorübergehend wurde Charlie von John getrennt. Ein mittelgroßer, sportlich-eleganter junger Mann in einem vor Nässe glänzenden Lederölmantel und einem breitkrempigen Wetterhut kam mit seltsam wabbelnden Schritten aus dem Dunkel näher und prallte im nächsten Augenblick so heftig mit Charlie Lee zusammen, dass sie entsetzt ihr Gepäck fallen ließ und um ein Haar gestürzt wäre. Der Schuldige bekam sie gerade noch an beiden Armen zu fassen und stellte sie unter gemurmelten Entschuldigungen wieder auf die Beine. Danach half er ihr beim Aufsammeln ihrer Gepäckstücke.

Ein überaus großes und dickes Ehepaar versperrte John vorübergehend die Sicht. Erst bei der Zollabfertigung bemerkte er plötzlich, dass er hinter Charlie stand. Die Beamten vom Dienst waren sehr großzügig; von einer exakten Durchsuchung des Reisegepäcks konnte nicht die Rede sein.

Der Bus der PAA brachte das Ehepaar zum Waterloo-Air-Terminal. Die Fahrt dauerte „nur“ eine volle Stunde. Danach fuhren sie im Taxi noch einmal fünfzehn Minuten bis zum Scotch Guard Hotel, wo John telegrafisch ein Appartement vorausbestellt hatte.

Erst beim Auspacken im Schlafzimmer fiel ihm das Fehlen von Charlies Necessairekoffer auf, und er machte sie sofort darauf aufmerksam.

„Ich weiß auch nicht, wo er geblieben ist“, rief er ärgerlich. „Erinnerst du dich nicht? In dem Gedränge bei der Zollschleuse bist du mit einem jungen Mann zusammengestoßen. Er hat sicher den Koffer gestohlen ... “

„Seit wann verdächtigst du Unbekannte so ungerecht?“, fragte sie kopfschüttelnd. Triumphierend öffnete sie seine zweite Aktenmappe, die sie auf dem Weg vom Flugzeug ins Hotel ständig bei sich getragen hatte, und öffnete sie. Ihre Schmuckkassette purzelte heraus, sowie der übrige Inhalt des Necessaires.

„Sie sind ein oberflächlicher Beobachter, Mr. Lee!“, neckte sie ihn. „Sie sehen Gespenster, also in unserm Falle, Dinge, die es gar nicht gibt. Der Necessairekoffer schwimmt nämlich mit dem großen Gepäck auf dem Wasser. Er war mir viel zu unhandlich. Deshalb habe ich mir erlaubt, das Wichtigste und Kostbarste in deine zweite Aktentasche zu packen, und deren Inhalt unauffällig in deine erste mit einzupacken. Und du, Darling hast gar nichts davon bemerkt. So ein tüchtiges Frauchen hast du!“ Lachend warf sie sich in seine Arme und es dauerte keine Minute, bis er den unwichtigen Necessairekoffer vergessen hatte …

*

In jenen Tagen betrachtete John seine wunderschöne Frau nicht selten neugierig, wenn er sich von ihr unbeobachtet wusste. Er konnte einfach nicht glauben, dass er sie erst eine Woche kannte. Ihm war zumute, als hätte es in seinem Leben nie eine Zeit ohne Charlie gegeben.

Manchmal kamen freilich auch Augenblicke, wo er sich besorgt fragte, ob er sie wirklich kenne. An ihrer Haltung und an ihrem Benehmen gab es nichts zu klagen, wogegen sie in anderer Hinsicht ausgesprochen desinteressiert erschien.

Er war sehr stolz auf seine schöne, lebenslustige junge Frau und gern bereit, ihr jeden gewünschten Luxus zu gönnen.

Dabei machte er die neue Entdeckung, dass es schwer war, ihr einen Luxus zu gönnen, den sie noch nicht besaß. Ihre Ausstattung an Kleidern, Wäsche und Koffern war dem Umfang nach bescheiden, nicht aber in der Qualität. Alles, was sie besaß, war vom Teuersten und Besten. Dass es so war, schien sie als selbstverständlich hinzunehmen. Wie viele Menschen, die sich ihre Position in der Sonne hart erringen müssen, war John sparsam, aber er neigte nicht zu Geiz. Im Gegenteil, er hatte eine ausgesprochen großzügige Ader. Schon vor dem Flug über den Atlantik hatte er die erstbeste Gelegenheit ausgenützt, mit Charlie über ihr zukünftiges gemeinsames Leben zu sprechen, und dabei den Versuch gemacht, ihr ein äußerst wohlwollend bemessenes Taschengeld aufzudrängen.

Sie hatte das weit weggetan und eine vage Ausrede gebraucht des Inhalts, sie besitze selbst genug und würde sich, falls eins Tages der eigene Mammon ausginge, schon an ihn zu wenden wissen.

Manchmal überfiel ihn eine heiße Angst, sie habe ihn vielleicht in ganz bestimmter Absicht – die er freilich nicht ergründen konnte – geheiratet und betrachte ihre Ehe mit ihm als eine Art Übergangsstadium, aus dem sie sich nach Lust und Laune oder bei Bedarf jederzeit wieder lösen könne.

Noch bestürzender war für ihn die klare Selbsterkenntnis, dass er ohne sie nicht mehr leben mochte. Er konnte es sich einfach nicht mehr vorstellen, einspännig durchs Leben zu gehen, nachdem einmal eine Charlie Eshley Seite an Seite mit ihm gewandelt war.

Sie bewohnten ein sehr schönes und entsprechend teures Zimmer in der dritten Etage, Nummer 67. Alles war in Lindgrün und Altgold gehalten. Es war ein richtiges Hochzeitskabinett, eigentlich schon ein Appartement, denn es besaß einen abgeteilten Wohnraum und ein Bad. Telefonanschluss war hier selbstverständlich.

Am Sonntagabend begannen die geheimnisvollen Vorgänge und Verwicklungen, die ihm so sehr zu denken gaben, und die einen unguten Ausgang nehmen sollten.

Kurz vor dem Abendessen saß Charlie in einem verführerischen Bademantel vor dem Frisiertisch. Sie hatte eben ihr herrliches Haar mit hundertfünfzig Bürstenstrichen bearbeitet und war jetzt dabei, ihre Fingernägel blutrot zu lackieren.

„Vermutlich haben Sie sich für heute Abend viel vorgenommen, Mrs. Lee“, neckte er sie. Er trat hinter sie, beugte sich zu ihr nieder und küsste sie auf die Schulter.

„Sei vorsichtig, Darling“, bat sie ernsthaft, „sonst verschmierst du mir den Lack. Nein, nicht küssen, fang nicht schon wieder damit an, sonst ist die ganze Mühe vergebens gewesen. Hilf mir lieber beim Anziehen. Du weißt doch, dass ich bei den engen Kleidern den Reißverschluss nicht ohne deine Hilfe zu bekomme.“

„Muss es denn immer ein hautenges Kleid sein, Schätzchen?“, fragte er, immer noch gutgelaunt. „Du bist auf dem besten Weg, im Scotch Guard Hotel eine Palastrevolution zu entfesseln. Die Damen werden grüngelb vor Neid, wenn sie dich nur auftauchen sehen, und die Herren zwischen achtzehn und achtzig bekommen wankende Knie.“

Charlie zuckte die Achseln. „Daran sind sie nur selber schuld!“ Sie grinste, was ihr reizend stand, und fuhr sich blitzschnell mit der Zunge über die Lippen. „Sie brauchen ja nicht hinzusehen. Ich bin nicht scharf auf sie.“ Sie erhob sich und streifte, ehe er ihr hatte helfen können, den Bademantel ab. Was sie danach noch am Leibe trug, war nicht der Mühe wert, beschrieben zu werden.

„Und jetzt hilf mir bitte ...“

Sie wählte für diesen Abend ein graues Seidenkleid, das sie überaus jugendlich erscheinen ließ.

Wenn es nach John gegangen wäre, hätte man das Abendessen auf dem Zimmer eingenommen. Er wagte es aber nicht, Charlie einen entsprechen den Vorschlag zu machen, denn damit wäre er schön bei ihr angekommen.

Sie verfügte über einen beneidenswerten Appetit und gab sich nicht die geringste Mühe, ihn zu zügeln. Sorgen mit der Figur schien sie nicht zu kennen.

„Tja!“, sagte sie, als sie angezogen war, und drehte sich noch einmal begutachtend vor dem Spiegel. „Gehen wir also hinunter, gehen wir essen! Ich habe einen Hunger wie eine ganze Meute sibirischer Steppenwölfe. Aber vorher noch etwas anderes, Liebling: Wenn man eine junge Frau sein eigen nennt, hat man auch gewisse Verpflichtungen. Zum Beispiel die, sie am Abend in ein Nachtlokal auszuführen.“

Er lachte sie einfach aus. „Manchmal frage ich mich, Liebes, ob du wirklich eine Engländerin bist“, sagte er achselzuckend. „Denn als gebürtige Engländerin müsstest du wissen, dass es an Sonntagen kein Nachtleben gibt.“

Sie musterte ihn aufmerksam. „Ich kann dir das gepfefferte Kompliment zurückgeben. Der, der sich nicht im Londoner Nachtleben auskennt, heißt John Robson Lee! Natürlich gibt es kein öffentliches Nachtlokal, das auch am Sonntag geöffnet hat. Aber es gibt Clubs, wo man nur Mitglied zu werden braucht und dann zu allen Zeiten ankommt. Auch am Sonntagabend.“

„Hast du einen bestimmten Club im Sinn?“

„Habe ich. Den Holborn Club am Vitch Lane.“

„Und kennst du jemand, der dich dort einführt?“

„Ich kenne jemand, der dich dort einführt, mein Herr und Gebieter, nämlich mich. Mit anderen Worten: Ich bin dort Mitglied. Wenn ich die gepfefferten Jahresbeiträge nachbezahle, kann ich meine Mitgliedschaft wieder aufleben lassen. Vielleicht erlässt man mir auch die Nachzahlung, sofern ich dem Clubsekretär schöne Augen mache.“

„Sie sind eine verheiratete Frau, Mrs. Lee!“, warnte er sie, „und ich untersage Ihnen ganz energisch, irgend jemand schöne Augen zu machen außer dem eigenen Mann.“

„Dann lasse ich’s sein und greife in die Tasche. Dem Hausfrieden zuliebe.“ Sie erhob sich, drehte sich rasch um, legte ihm die Arme um den Hals und schmiegte sich an seine Brust.

„Und jetzt habe ich wirklich Hunger“, flüsterte sie. „Komm, wir wollen hinuntergehen. Gehen, habe ich gesagt, denn der verflixte Aufzug ist bereits wieder außer Betrieb. Eine Schande in einem so teuren Hotel.“

Gemeinsam verließen sie das Zimmer und traten auf den Korridor hinaus.

John wandte sich um, um die Tür zu schließen und abzusperren, und hörte in diesem Augenblick hinter seinem Rücken eine anmaßende Stimme erstaunt sagen: „Guten Abend, Mrs. Herbert! Auch wieder einmal in London?“

Verwundert drehte er sich um und sah, dass ein schlaksiger Mann mittleren Alters im Abenddress bei Charlie stehengeblieben war. Ein einziger Blick in Charlies Gesicht zeigte ihm die Sturmwarnung. Sie hatte die Augenbrauen zusammengezogen und auf ihrer Stirn stand eine steile Falte.

„Ich bin nicht Mrs. Herbert, Sie verwechseln mich“, sagte sie unwillig.

„Aber ich bitte Sie! Da ist ein Irrtum gar nicht möglich ...“

Charlie wandte sich brüsk zu John um. Ihre Augen sprühten Blitze. „John, Lieber, würdest du diesem aufdringlichen Gentleman klarmachen, dass ich Mrs. John Robson Lee bin?“, bat sie nervös.

Das Gesicht des jungen Mannes wurde jäh verschlossen. Er machte eine angedeutete Verbeugung. „Ich bitte tausendmal um Entschuldigung. Erst jetzt sehe ich, dass ich mich tatsächlich geirrt habe“, sagte er mit anmaßender Stimme frostig.

Ehe John eine Bemerkung machen konnte, wandte sich der Fremde um und ging eilig zur Treppe.

Charlie zuckte die Achseln und kniff ein Auge zusammen. Aber es galt nicht ihrem Mann.

John trat einen Schritt zurück und hob langsam den Blick.

Dort, wo der Korridor einen Knick machte, stand ein kräftig gebauter, steifer alter Herr in altmodischer Kleidung und nickte zustimmend mit dem Kopf. Er hatte einen völlig haarlosen Schädel, der an eine riesige Billardkugel erinnerte, und trug im linken Auge ein gefasstes Einglas, von dessen Öse ein Seidenband zum Smoking-Revers herabpendelte. Er war etwa eins-fünfundachtzig groß; John schätzte sein Gewicht auf hundertfünfzig Pfund.

Im nächsten Augenblick wandte er sich ab und verschwand im Seitengang.

„Kennst du den Herrn, der wie ein Schmierenschauspieler aussieht, der den Herzog spielt?“, fragte John unwillig, der solche Typen nicht mochte.

„Du siehst Gespenster, Liebster!“ Charlie lachte mit erzwungener Lustigkeit. Dann hakte sie sich besitzergreifend bei ihrem Mann ein. „Komm, John, Lieber, wir wollen in den Speisesaal gehen, sonst verhungere ich.“

*

Gegen zweiundzwanzig Uhr hielt das Taxi vor einem hässlichen alten Haus am Vitch Lane.

Das Ehepaar stieg aus. John entlohnte den Taxifahrer.

„Hier sollte man eigentlich nur im eigenen Wagen vorfahren“, murmelte Charlie nachdenklich. „Ob ich in den nächsten Tagen versuche, einen zu bekommen?“

„Ist doch nicht nötig“, John grinste stolz. „Die Familie Lee bekommt morgen einen funkelnagelneuen Jaguar F.“

Charlie stieß einen Freudenschrei aus und fiel John auf offener Straße um den Hals. „Schatz, du bist einmalig!“, rief sie erregt, ganz außer Atem. „Du scheinst ein Krösus zu sein.“

John ließ diese Behauptung auf sich beruhen. Ihn quälte augenblicklich eine andere Frage. Er hatte das hässliche, verkommene alte Haus gesehen, in dem sich der Holborn Club befand, und hatte Bedenken, überhaupt hineinzugehen.

Charlie lachte ihn einfach aus. „Sei kein Fisch, Liebster“, sagte sie spöttisch. „Außerdem kann ich dir versichern, dir werden gleich die Augen übergehen.“ Sie fasste ihn am Handgelenk, zog ihn zur Tür und drückte dreimal kurz und zweimal lang auf den Klingelknopf.

Sofort ertönte ein leises Summen. Jemand hatte den elektrischen Türöffner in Betrieb gesetzt.

Sie gingen durch einen langen, schmalen, nur durch nackte Glühbirnen erhellten Gewölbegang zu einer Tür, die sich automatisch öffnete. Dahinter hielt eine Liftkabine.

Sobald John die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging es abwärts.

Als der Lift mit einem Ruck hielt, öffnete sich wieder automatisch die Tür – und jetzt gingen John tatsächlich die Augen über. Er trat heraus und stand in einer mäßig großen, ganz mit rotem Samt ausgeschlagenen, indirekt beleuchteten, gut gelüfteten Garderobe.

Während John Charlie aus dem Mantel half, öffnete sich die Klapptür zum Hauptraum und ein etwa fünfunddreißigjähriger, fuchsgesichtiger Gentleman im Frack trat heraus. Mit strengem Gesichtsausdruck ging er auf das Ehepaar zu und blieb stehen. Er schien Charlie zu erkennen.

„Guten Abend, meine Herrschaften!“, sagte er aufgeregt. „Der und jener segne meine Augen, wenn das nicht Miss Charlie Eshley ist!“

„Guten Abend, Mike!“, erwiderte Charlie vergnügt. Sie reichte ihm die Hand. Dann wandte sie sich zu John um und sagte erklärend: „Das ist Mr. Mike Dodson, der Clubsekretär. Übrigens haben Sie nicht recht, Mike, ich bin nicht Miss Eshley, sondern Mrs. Lee. Hier haben Sie meinen Ehemann in voller Lebensgröße. Meine Mitgliedschaft gilt hoffentlich noch. Kann ich John mit hineinnehmen?“

„Aber ich bitte Sie, Miss Eshley ...“, Dodson verbesserte sich hastig, „Mrs. Lee, das ist doch selbstverständlich.“ Er trat zur Tür, doch Charlie hielt ihn durch einen Zuruf zurück.

„Einen Augenblick noch, Mike. Ich habe eine Frage an Sie: Wann war eigentlich Vera das letzte Mal hier?“

„Vera? Oh – das ist jetzt schon – warten Sie – vier Jahre ist es her. Im September achtundvierzig waren Sie, wenn ich nicht irre, das letzte Mal hier – Miss Vera sah ich einen Monat später zuletzt, seitdem ist sie nie wieder hier aufgetaucht.“

Diese Mitteilung schien Charlie außerordentlich zu bedrücken, ja aufzuregen.

„Täuschen Sie sich auch nicht“, stammelte sie aufgeregt. „Das ist doch unmöglich! Sind Sie ganz sicher, dass Vera nicht doch ab und zu hier war?“

Mike Dodson zuckte entrüstet die Achseln. „Ich bitte Sie, Mrs. Lee! Mir wird doch nicht entgehen, was in meinem eigenen Unternehmen passiert! Nein, es ist schon so, wie ich Ihnen gesagt habe. Wir haben Miss Vera als Gast und als Mitglied verloren.“

Von diesem Schlag schien sich Charlie nur schwer erholen zu können. Sie sagte zerstreut: „Ist schon gut – ist schon gut!“ Sie wandte sich zu John um und forderte ihn nervös zum Mitkommen auf.

Ein so vornehmes Etablissement hatte Lee, der vom Londoner Nachtleben nur nebulöse Vorstellungen besaß, in dem verkommenen alten Haus nicht erwartet. Das rot gefilterte Licht war gedämpft. Kleine Tische standen angenehm weit auseinander, daneben gab es an der einen Wand Nischen und Separees. Die meisten waren besetzt. Es war ein gutes Publikum. Die Gäste wussten sich zu benehmen, die Unterhaltung wurde leise geführt.

Der Eingangstür gegenüber führte eine Marmortreppe mit einem schmiedeeisernen Geländer freischwebend eine Etage höher. Links daneben saß ein buckliger Pianist am Flügel und spielte verhaltene Jazzrhythmen. Dahinter lag die Bar.

„Nun, gefällt es dir hier, Liebster?“, fragte Charlie und drückte in jäher freudiger Aufwallung den Arm ihres Mannes.

„Bis jetzt habe ich zumindest nichts dagegen einzuwenden“, erwiderte er vorsichtig.

Dodson schob sich von der Seite her heran und führte sie zu einer ungestörten Halbnische. Als der Kellner an den Tisch trat, bestellte John auf Charlies Wunsch „King George on the Rocks“.

Eine aufgedonnerte, etwas üppige Blondine näherte sich mit ihrem Begleiter, einem dicklichen, schwitzenden jungen Mann, der Nische. Sie scherte sich nicht um die Anwesenheit anderer Gäste, sondern sprach kichernd und albern auf ihren Begleiter ein, der weniger durch sympathische Erscheinung und männliche Schönheit, als durch Zahlungskraft zu glänzen schien.

Ihr Blick fiel auf Charlie, die gerade John etwas ins Ohr flüsterte, und sie blieb wie angewurzelt stehen.

„Coralie!“, stammelte sie. Es war fast ein Aufschrei.

John spürte deutlich, wie Charlies Glieder und Muskeln steif wurden. Sie richtete sich mit einem Ruck auf und wandte sich langsam um.

„Coralie!“, ächzte die aufregende Blondine, die einige Jahre älter war als Charlie. „Coralie – du lebst!“

Charlie sah sie bestürzt an. John sagte mit höflicher Bestimmtheit: „Sie irren sich, Madam. Die Dame heißt Charlie Lee und ist meine Frau. Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: John Robson Lee.“

Die Blondine zitterte am ganzen Körper. Der Blick, den sie auf Charlie warf, zu John weiter gleiten ließ und zu Charlie zurück lenkte, war alles andere als freundlich.

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung“, sagte sie fahrig. „Mein Name ist Ann McNally. Ja, ich sehe ich es selbst, dass ich mich getäuscht habe. Ich bitte vielmals um Verzeihung.“ Sie lachte unsicher auf. „Das ist eben der Nachteil der Schummerbeleuchtung. Darf ich den Herrschaften Herbert Lom vorstellen, meinen ständigen Begleiter.“ Sie schien mächtig stolz darauf zu sein, einen ständigen Begleiter zu haben.

John murmelte einige Nichtigkeiten – dann war der Spuk vorüber. Mrs. McNally und Mr. Lom gingen weiter.

John Robson Lee musterte seine Frau besorgt. „Die beiden haben dir kein Wort geglaubt, Charlie“, stellte er nachdenklich fest. „Wie hat dich diese aufdringliche Blondine angesprochen? Coralie? Coralie und Charlie ...“

„Du stellst schon wieder wilde Spekulationen an!“, erklärte Charlie mit fahrigem Lächeln. „Ist bereits der Augenblick gekommen, wo es dir leid tut, mich geheiratet zu haben? Gib es ruhig zu! Ich kann auch eine unangenehme Wahrheit ertragen.“

„Zum Teufel! Du bist heute einfach ein ungezogenes, launisches kleines Mädchen. Man sollte sonst etwas mit dir tun!“, fuhr ihr John ärgerlich über den Mund. „Du redest Unsinn! Nie werde ich meinen Entschluss, dich zu heiraten, bereuen. Bist du jetzt zufrieden, du weibliches Scheusal?“

Wieder fiel ihm das weibliche Scheusal, das sonst so streng auf Wahrung der Formen hielt, vor aller Augen um den Hals und küsste ihn.

Es war viel zu angenehm, als dass er ihr darob hätte böse sein können.

*

„Fällst du dir das Etablissement ein wenig ansehen möchtest ...“ sagte Charlie wenig später. „Du brauchst es nicht aus Rücksicht auf mich zu unterlassen. Ich setze mich so lange an die Bar und führe schlaue Reden mit dem Mixer. Das tue ich nämlich für mein Leben gern.“

„Vergiss dabei nur nicht, dass du jetzt verheiratet bist“, er drohte ihr scherzhaft mit dem Finger. Ein wenig Ernst war auch dabei, denn er hatte deutlich gespürt, dass sie ihn vorübergehend aus dem Weg haben wollte.

„Da müsste der Mixer schon überaus nett sein!“ Leise auflachend erhob sie sich und setzte sich in Bewegung.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Er hatte tatsächlich die Absicht, den sonderbaren Nachtclub etwas näher in Augenschein zu nehmen, unvermutet zurückzukehren, um festzustellen, mit wem Charlie unter vier Augen zu sprechen wünschte.

Er ließ sie allein an der Bar zurück, die nicht sonderlich besetzt war. Ziel- und planlos schlenderte er von Raum zu Raum. Allmählich schlief sein Argwohn ein. Der Betrieb war nicht auf seriös hin getrimmt, es war zweifellos ein wirklich seriöses Lokal. Das Publikum war gediegen, die Kellner vorzüglich geschult, die Musik dezent, nirgends gab es anzügliche oder gar unschickliche Bilder an den Wänden. Der Fußboden war überall mit dicken, schweren Teppichen ausgelegt. Über dem Ganzen schwebte die dezente Musik des Verwachsenen, der eben einen sentimentalen Schlager aus dem Jahre 1911 mit viel Gefühl im richtigen Rhythmus spielte.

Die Gäste waren meist Engländer, wobei die mittleren und jüngeren Jahrgänge vorherrschten. Nur wenige ältere Herren waren anwesend.

Im Schreibzimmer, wohin John einen flüchtigen Blick warf, saß ein Mann südländischen Typs, hatte einen grünen Augenschirm über die Stirn geschoben und schrieb eifrig.

Mit einem geflüsterten „Pardon, Sir!“ wollte sich John sofort wieder zurückziehen, als der andere den Kopf hob.

Jetzt sah John die blutrote Blitz-Narbe auf der linken Wange des Fremden.

Ein unglaubwürdiger Zufall nach dem andern!, durchzuckte es John. In jähem Entschluss ging er auf den Mann zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte mit sattem Hohn: „Ah, trifft man Sie auch hier, alter Freund! Die Welt ist schon ein Dorf! Letzten Sonntag in der Casa Antica in Guatemala City, diesen Sonntag im Holborn Club in London.“

Der Mann mit der Narbe legte unmutig ein Löschblatt über das eben Geschriebene und erhob sich. Er bebte förmlich vor Entrüstung. „Scheren Sie sich zum Teufel, Sir!“ Er sprach nicht englisch, sondern amerikanisch. „Scheren Sie sich zum Teufel! Aber ein bisschen schnell!“

„Mit diesem Ton kommt man bei mir nicht durch, Mister ... ?“

Der andere ließ sich überrumpeln. „Kelley, Hank Kelley aus Chicago, Illinois“, presste er hervor und biss sich sogleich darauf verlegen auf die Lippen. Er hatte etwas verraten, was er nicht hatte verraten wollen.

„Sie waren vorige Woche nicht in Guatemala City?“ Jetzt bereitete es John einen diebischen Spaß, den anderen zu reizen. Hatte Kelley in der vergangenen Woche Streit gesucht und Krach angefangen, so würde heute er, John Lee es sein, der grundlos Krach anfing.

„Ich wüsste nicht, was Sie das anginge, Sir“, sagte Kelley mit deutlichem Unbehagen. „Ich sage es noch einmal: Lassen Sie mich in Ruhe.“

Aber John Lee wollte nicht Ruhe geben. „Heute befleißigen Sie sich aber einer ausgesprochen seriösen Art, Mr. Kelley“, höhnte John. „In der vergangenen Woche hielten Sie es mehr mit dem Zuschlagen.“

„Sie irren sehr“, kam es steif zurück. „Da ich in der vergangenen Woche nicht in Guatemala City war, kann ich dort auch nicht zugeschlagen haben.“

„Das leuchtet ein, Sir“, log John dreist. „Muss mich rein getäuscht haben. Vergessen Sie’s.“

*

Als John die Schreibstube verließ, prallte er ohne sein Verschulden mit einer üppigen Blondine mittleren Alters zusammen, die ein tief ausgeschnittenes Abendkleid trug.

Er wich rasch zur Seite aus, sah die Frau wanken, trat deshalb schnell wieder hinzu und bewahrte sie im letzten Moment vor dem Fall. Dabei spürte er, dass sie am ganzen Leibe bebte und wie Espenlaub zitterte.

„Ist Ihnen nicht gut, Madam?“, fragte er besorgt.

„Nein ... ich ... “ Sie schüttelte den Kopf, was ihr sichtlich Mühe bereitete. „Bitte“, flüsterte sie verzweifelt. „Halb links ... ein ... Gesellschaftszimmer.“

Selbstverständlich führte er sie hin. Das dumpfe Ahnungs- und Beklommenheitsgefühl, das wie etwas Fremdes, Unentrinnbares auf sie zukam, konnte ihr selbst ein Blinder anmerken. Sie besaß kaum mehr Aktivität. Willenlosigkeit, Ohnmacht und Platzangst stritten in ihr um die Oberhand.

Abrupt blieb sie stehen und zwang ihn dadurch, seine Schritte ebenfalls zu verhalten. Sie hatte ein feines, pikantes Gesicht; aber Ausschweifungen und Laster hatten es abgestumpft. Es tat John körperlich weh, einem Menschen ins Gesicht zu sehen, der sich entweder selbst systematisch zugrunde gerichtet hatte oder systematisch zugrunde gerichtet worden war.

Sie kicherte dümmlich, haschte nach seiner Hand und legte sie sich aufs Herz. „Vertrauliche Geste“, kicherte sie. „Der Umstand, dass Sie mein Trauzeuge waren und vor drei Jahren gestorben sind, rechtfertigt eine vertrauliche Geste. Nicht wahr, Mr. Cushing?“

John war wie vom Donner gerührt. Ihn beschlich ein böser Verdacht.

„Die Nachricht von meinem Tod war ein Irrtum“, sagte er nüchtern und zog sie weiter.

Sie ließ sich willig über die Schwelle schieben, und warf sich im Zimmer auf die lederbezogene Couch. Sie musterte Lee mit dreisten Blicken. „Sie sind frivol!“, sagte sie und kicherte abermals. Sie hatte eine angenehme Stimme. „Ja, Sie sind frivol! Wenn man gestorben ist, sollte man seriös geworden sein. Da zieht man sich doch nicht wie ein Papagei an!“ Sie wollte sich ausschütten vor Lachen. „Violette Beinkleider und eine scharlachrote Smokingjacke, dazu ein grünes Hemd, nein, das ist sagenhaft, unwahrscheinlich geschmacklos!“

„Mein Smoking ist schwarz und mein Hemd reinweiß!“, versuchte John sie zu überzeugen, obwohl es, wie er wusste, zwecklos war.

„Stimmt nicht! Wenn Sie nicht mein Trauzeuge wären und, uah!“, sie gähnte, „wenn ich nicht viel zu faul wäre, würde ich jetzt ...“

Die Vorstellung dessen, was sie dann tun würde, schien sie so zu erheitern, dass sie in einen Lachkrampf verfiel.

John packte sie an der Schulter, sonst wäre sie von der Couch gestürzt. Der Krampf stieß und beutelte sie nur so. So unvermittelt, wie er sich eingestellt hatte, verging er wieder. Plötzlich nahm ihr Gesicht den Ausdruck listigen Schmunzelns an. Sie richtete sich auf, duckte sich zur Seite und versetzte John einen gemeinen Schlag unter die Gürtellinie.

John durchzuckte ein bohrender Schmerz. Er brach in die Knie.

Das letzte, was er von ihr hörte, war ihr hysterisches Kichern. Danach schwanden ihm für Sekunden die Sinne. Als er wieder erwachte, lag sie neben ihm auf den Knien und vergoss bittere Tränen.

„Eigentlich sollte ja mein Mann hier sein, Mr. Cushing“, schluchzte sie. „Der würde Ihnen schon helfen!“ Sie sah sich argwöhnisch um, als ob sie unbefugte Lauscher befürchte, brachte ihre Lippen an sein Ohr und sagte in einem Ton, in dem man ein Staatsgeheimnis preisgibt: „Leider ist George heute noch nicht hier. Er ist bei der Regierung. Verhandelt wegen des Paddington-Bahnhofs.“

John schüttelte sich. „Wegen des Paddington-Bahnhofs?“

„Jawohl, wegen des Paddington-Bahnhofs. Wir brauchen ihn dringend. Für die Spielzeugeisenbahn unseres Sohnes.“

„Wenn Sie ihn so dringend brauchen, wird ihn die Regierung Ihrem Mann sicher preisgünstig überlassen. Mrs. … Mrs. ... ?“

„Fawld. Gillian Fawld.“

John hatte das, was er später seinen besten Einfall in der verzwickten Situation bezeichnete. Er brachte eine Taschenflasche Whisky zum Vorschein, entkorkte sie und hielt sie der konfusen Frau hin. „Darauf müssen wir trinken“, sagte er überredend. „Auf den glücklichen Kauf des Paddington-Bahnhofs.“

Sie riss die Augen auf. Ein gieriger Ausdruck trat auf ihr Gesicht. „Trinken? – Ja, trinken ist immer gut.“ Wieder kicherte sie.

Als sie mit einem Schluck alles ausgetrunken hatte, holte sie aus und warf die Flasche so heftig gegen die Wand, dass sie in tausend Scherben zerbrach.

Mit dieser Gewaltanstrengung schien ihre letzte Energie erschöpft. Sie ließ sich wieder auf die Couch fallen, schlug die Hände vors Gesicht und begann jämmerlich zu weinen.

Ganz plötzlich schlief sie ein.

Unterdessen hatte Lee auf alle vorhandenen Klingelknöpfe gedrückt. Es dauerte nicht lange, und es näherten sich auf dem Korridor Schritte. Die Tür wurde aufgerissen. Mehrere Köpfe schoben sich herein, darunter auch der des rührigen Clubsekretärs Mike Dodson.

„Oh, Mr. Lee!“, sagte Dodson betreten, als er entdeckte, wer geklingelt hatte.

John blitzte ihn grimmig an. „Sagen Sie, Mr. Dodson: Was geht eigentlich in Ihrem komischen Club vor?“, fragte er barsch. „Ein Glück, dass Mrs. Fawld an mich geraten ist. Telefonieren Sie flugs nach einem Krankenwagen. Die arme Frau muss ins Hospital. Was ihr fehlt, ist eindeutig traurig.“ Sein Blick bohrte sich an die tückischen Augen des Clubsekretärs.

Der zuckte gleichgültig die Achseln. „Sie können doch uns nicht dafür verantwortlich machen, wenn unsere Gäste unpässlich werden!“

„In diesem besonderen Fall doch!“ John ließ den Blick nicht von Dodsons Gesicht. „Denn ich nehme an, dass der Zustand der Bedauernswerten mit Lastern zusammenhängt, denen sie in Ihrem Etablissement gefrönt hat. Körper, Seele und ihre Nerven sind vom Haschischgenuss völlig zerrüttet. Sie wird höchstwahrscheinlich in einer Irrenanstalt landen. Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, Mr. Dodson! Vor allem dann nicht, wenn Sie nicht auf der Stelle einen Arzt und einen Krankenwagen bestellen.“

„Was geht denn hier vor ... ?“ Ein älterer, seriös und vertrauenswürdig wirkender Gentleman, der eine Aktenmappe in der rechten Hand trug, trat eilig herein.

„Eine hochgradig Rauschgiftsüchtige hat einen Zusammenbruch erlitten“, erklärte John unwillig. „Wer sind Sie?“

„Dr. Robinson, Sir. Ich werde mich des armen Wesens annehmen ...“

„Okay, Doktor. Vergessen Sie aber bitte nicht, dass sie schnellstens in stationäre Behandlung muss.“

Er warf Dodson einen messerscharfen, eindeutigen Blick zu und entfernte sich eilig.

2.

Nach dem Vorfall hatte John ein für allemal die Nase vom Holborn Club voll. Er wollte zu Charlie zurückgehen, verlief sich aber in dem weitläufigen alten Gebäude, und es war dreiviertel eins, als er endlich Charlie fand. Nicht wie erwartet an der Bar, sondern in ihrer Nische. Sie war in angeregte Unterhaltung mit einer Frau vertieft. Mit der Blondine, die sie mit „Coralie“ angesprochen hatte.

Von ihnen unbemerkt ging er auf die beiden zu.

„Vera ist genau am Heiligen Abend vor vier Jahren verschwunden“, sagte Ann McNally gerade. „Angeblich ist es bis heute nicht gelungen, ihr Schicksal zu klären. Deine Brüder haben zum ersten Mal in ihrem Leben Geschick und Fingerspitzengefühl bewiesen, als sie die öffentliche Diskussion des Falls in den Zeitungen unterdrückten und auf ein Minimum reduzierten. Man hat übrigens Veras Leiche nie gefunden. Es steht also nicht fest, dass sie tot ist. Jetzt muss ich aber eilen, sonst wird Herbert Lom, mein Riesenross, ungeduldig.“ Sie erhob sich, entdeckte John und zuckte erschrocken zusammen.

„Da kommt gerade, äh, äh – Ihr Mann, Mrs Lee“, stotterte sie mit veränderter Stimme. „Ich freue mich aufrichtig, auf Grund der Verwechslung Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Auf Wiedersehen Mrs. Lee, und alles Gute und Schöne für Ihre junge Ehe.“

Weg war sie.

„Hallo, Coralie, how du you do!“, sagte John beißend.

Charlie blitzte ihn aus wütenden Augen an. „Heute vor einer Woche waren deine Späße geistvoller, Liebling“, säuselte sie betont liebenswürdig.

„Heute vor einer Woche hast du mich auch nicht am laufenden Band angelogen.“

„Ah – der werte Herr Gemahl sind heute sehr schlecht aufgelegt“, gab sie zornig zurück und musterte ihn aus verkniffenen Augen. „In diesem Fall schlage ich vor, wir kehren ins Hotel zurück.“

„Dasselbe wollte ich gerade vorschlagen.“

„Ich werde mich deinem Wunsch nicht widersetzen. Obwohl es gerade erst gemütlich zu werden begann.“

„Was sagst du? Gemütlich? Hier in dieser Rauschgifthöhle?“ John lachte verächtlich.

Sie machte ganz entsetzte Augen. „John! Beliebst du schon wieder zu scherzen?“, fuhr sie totenbleich auf.

„Keineswegs, Darling. Ich habe da eben ein eindeutiges Erlebnis gehabt.“ Er skizzierte ihr mit wenigen Worten sein Abenteuer mit Gillian Fawld, und fügte ernst hinzu: „Die Bedauernswerte ist bestenfalls Mitte dreißig, und doch schon ein Wrack. Vermutlich hat sie das Teufelszeug in Form von Marihuanazigaretten zu sich genommen.“

„Und woher weißt du das so genau?“

„Ihr Verhalten war eindeutig. Sie war nicht mehr Herr ihrer Sinne. In einem Atemzug hat sie mich für ihren, offenbar vor Jahren verstorbenen Trauzeugen gehalten, mich zu intimen Liebkosungen animiert und mich wegen meiner violetten Hose und dem scharlachroten Jackett verspottet. Um da zu wissen, was es geschlagen hat, braucht man nicht Arzt zu sein.“

„Fassungslos starrte ihm Charlie ins Gesicht.

„Aber das ist doch ... doch ...“

„Das stimmt so wenig mit den Tatsachen überein, wie ihre Behauptung, ihr Mann würde heute noch Paddington-Station für die Spielzeugeisenbahn ihres Sohnes kaufen, aber sie ist felsenfest davon überzeugt. Und das alles, sowie der Ausdruck ihrer Augen, ihre Hautfarbe und Hautbeschaffenheit beweist, dass sie dem Haschischgenuss in einem Übermaß gefrönt hat, dass es für eine Entziehungskur bereits zu spät ist, dass das Irrenhaus die – vermutlich langjährige, letzte Station ihres Lebens sein wird. Die Person, die der Frau das Teufelszeug geliefert hat, gehört in meinen Augen totgeprügelt.“

„Aber, aber – das ist ja – entsetzlich!“

„Du hast recht, Liebling, das ist entsetzlich. Aber am aller entsetzlichsten finde ich, dass du in mysteriöse Dinge verwickelt bist, dass dich Sorgen belasten, du mir aber nicht erlauben willst, dir zu helfen.“

Ein nervöses Zucken huscht über Charlies Gesicht. Sie erhob sich abrupt. „Du wolltest doch gehen, Liebling. Ich schlage vor, wir brechen auf.“

Resigniert zuckte er die Achseln und Stand ebenfalls auf.

*

Ungebeten hatte der Portier ein Taxi gerufen, das bereits vor dem Ausgang wartete, als das Ehepaar den Nachtclub verließ.

Unterwegs gab sich Lee Mühe, seine Frau danach auszufragen, ob ihr früher irgend etwas davon aufgefallen sei, dass im Club Rauschgift vertrieben wird. Sie wich jedoch einer direkten Antwort aus.

„Ach, weißt du, ich war damals sehr einsam und unglücklich und suchte nach irgendwelchen Zerstreuungen, versuchte mich zu betäuben.“ Sie zuckte trotzig die Schultern. „Dass es schon vor dir Männer in meinem Leben gegeben hat, war dir bekannt, als du mich heiratetest und hat dich nicht gestört. Infolgedessen hat es dich auch heute nicht zu stören.“

„Offenbar willst du mich mit Absicht missverstehen, Charlie, mein Liebling!“, murmelte er einlenkend.

„Was willst du eigentlich?“ Sie wandte sich heftig zu ihm um. Ihr sinnlicher Mund verzog sich verächtlich. „Dass ich mehr als ein Brustbild von mir offenbare? Das kannst du billigerweise nicht von mir verlangen, das wäre geschmacklos.“

„Du weichst mir aus, Charlie!“

„Wenn du schon so feinfühlig bist, zu bemerken, dass ich dir ausweiche, dann sei bitte auch so taktvoll, nicht länger in mich zu dringen!“

Schweigend verlief der Rest der Fahrt.

Es war dreiviertel zwei, als sie ins Hotel zurückkamen. John holte an der Rezeption seinen Schlüssel, danach fuhren sie in die dritte Etage hinauf. John schob den Schlüssel ins Schloss, um aufzusperren. Er stutzte. Diese Mühe hatte ihm jemand abgenommen. Das Schloss war schon aufgesperrt.

„Einen Moment, Charlie, bleib du noch hier draußen“, warnte John leise seine Frau. Er drückte auf die Klinke, versetzte der Tür einen Fußtritt, so dass sie krachend aufsprang, tastete nach dem Lichtschalter, drückte ihn nieder und sprang zurück.

Auf der Polster-Eckbank in der gemütlichen Sitznische vor dem verglasten Balkon, der zu dem Appartement gehörte, saß jemand; der unsympathische Fremde, der Charlie vor dem Supper auf dem Etagenkorridor mit Mrs. Herbert angesprochen hatte.

Nicht, dass er dort saß, war das Schlimme, sondern der Umstand, dass aus seiner linken Brust der Griff eines Dolches herausragte. Der Fremde war ermordet worden – ausgerechnet in diesem

Zimmer! Johns Atem ging keuchend. „Nein ... so etwas ...!“, murmelte er fassungslos.

Charlie, die über seine Schulter hinweg ins Zimmer starrte, stieß ein schluchzendes Seufzen aus. Sie wollte etwas sagen, schloss aber den Mund wieder. Sie schüttelte sich wie ein nasser Pudel. Ihre Zähne schlugen klappernd aufeinander.

*

John Robson Lee war kein gefühlloser Mensch, aber er hatte ein hartes, abenteuerliches Leben fernab jeder Zivilisation und geregelten Ordnung hinter sich und ließ sich deshalb auch durch einen Mord nicht beeindrucken. Er machte kehrt, packte Charlie am Handgelenk, zog sie ins Zimmer hinein und schloss sorgsam die Tür.

„Es tut mir schrecklich leid, Darling“, sagte er weich, „aber ich kann dir diesen Schock nicht ersparen. Ich möchte auf gar keinen Fall erleben, dass man uns deswegen“, er deutete auf den Toten, „in irgendeiner Weise belastet. Ich werde sofort die Polizei rufen, möchte aber vorher einiges tun.“

Sie nickte, schluckte trocken, warf einen zaghaften Blick auf den Toten, erschauerte und wandte sich mit einem trockenen Aufschluchzen ab.

„Wie du es machst, Lieber, wird es schon richtig sein“, murmelte sie.

„Wenn ich nur eine Ahnung hätte, was der unsympathische Kerl hier zu suchen hatte, und weshalb man ihn in unserem Zimmer ermordete!“, sagte er, nachdem er, sich suchend umsehend, einmal durchs ganze Zimmer gegangen war. Er deutete auf den Schrank. „Wirf mal einen Blick auf deine Koffer, Charlie“, forderte er seine Frau nervös auf. „Nichts anfassen, außer der Klinke der Schranktür, hörst du!“

Sie gehorchte schweigend.

Mit dem bloßen Auge sah man im Zimmer nirgends Spuren, die auf einen Kampf hingedeutet hätten.

„Der Mann ist wohl kaum in der Absicht hier eingedrungen, uns einen freundschaftlichen Besuch abzustatten“, murmelte John grübelnd. „Sein Mörder folgte ihm hierher. Wahrscheinlich hat er ihn gekannt. Jedenfalls hat er nichts Böses von ihm geargwöhnt. Angriff und tödlicher Stich sind so blitzschnell erfolgt, dass dem Opfer gar nicht mehr bewusst wurde, was ihm geschah.“

Bevor John die Kleider des Ermordeten durchsuchte, streifte er Handschuhe über.

Er fand eine Krokodilleder-Brieftasche mit etwa 200 Pfund in verschiedenen Banknoten, sowie Ausweise und einen Führerschein, ausgestellt auf den fünfunddreißigjährigen verheirateten Steuerberater Nigel Fishby, 4 Highminster Street, Deerborne, Dorset.

John berührte mit dem Handrücken flüchtig die Wange des Toten. Der Mann war noch keine zwei Stunden tot.

John wandte sich um und blickte Charlie, die totenbleich gegen die Kleiderschranktür gelehnt stand, beschwörend an. „Charlie, Liebes, du hast den Mann gekannt! Bitte, gib es zu! Ich bitte dich, schenk mir reinen Wein ein, damit ich deine Interessen wahren und deine Person schützen kann. Bitte, sei vernünftig und hilf mir dabei!“

Sie gab seinen Blick aus flammenden Augen zurück. Er erschrak vor der Leidenschaft, der im Ausdruck ihrer blitzenden Augen lag. „Ich habe den Mann nicht gekannt, John“, erklärte sie mit gekünstelter Ruhe. „Ich kann schließlich nichts dafür, dass er mich verwechselt hat und mich ansprach. Du kannst es, wenn du es für richtig hältst, in deiner Aussage der Polizei gegenüber erwähnen, aber ich werde nichts dergleichen tun.“

Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Du wurdest zweimal am gleichen Abend

von verschiedenen Leuten verwechselt. Willst du mir wirklich diesen Bären aufbinden?“

„Ich binde dir keinen Bären auf, ich sage die reine Wahrheit, John.“

Mit einem Achselzucken ging er zum Telefon. Seine Hand griff nach dem Hörer, hielt auf halbem Weg inne. „Hat man deine Koffer durchsucht, Darling?“

Charlie schüttelte den Kopf. „Du hast mir ja verboten, etwas anzufassen., aber ich habe gleich auf den ersten Blick gesehen, dass sich niemand daran zu schaffen gemacht hat. Ich wüsste auch nicht, warum.“

„Kann ich also die Polizei verständigen?“ Sein besorgter Blick suchte die Augen seiner Frau.

„Du wirst es tun müssen“, erwiderte sie sehr ernst. „Sonst ergibt sich nämlich eine ärgerliche Zeitdifferenz zwischen der Auffindung des Toten und deinem Anruf, die man dir ankreiden könnte.“

„Würdest du zum Nachtportier gehen und über ihn die Direktion des Hotels verständigen? Soviel Loyalität sind wir der Geschäftsführung schuldig, glaube ich. Ich werde unterdessen Scotland Yard verständigen.“

Sie verließ schweigend das Zimmer.

Er selbst wählte die Nummer von Scotland Yard und verlangte, mit der Mordkommission verbunden zu werden.

Gleich darauf meldete sich der Inspector vom Dienst. John nannte Namen, Hotel und Uhrzeit und gab in Stichworten eine knappe Schilderung des Sachverhalts.

„Haben Sie etwas berührt?“, erkundigte sich der Beamte.

John verneinte.

„Kennen Sie den Ermordeten?“

„Ich habe ihn nur ein einziges Mal gesehen. Und zwar bin ich ihm gestern Abend auf dem Korridor der dritten Etage begegnet, als ich mit meiner Frau in den Speisesaal hinunterging.“

„Der Name des Mannes ist Ihnen nicht bekannt?“

„Nein!“

„Ich darf Sie bitten, am Tatort zu bleiben. Es wird sofort jemand hinkommen.“

Direktor Tiggins war erst etwa vierzig, aber körperlich schon viel zu fett. Im Augenblick rang er in panischem Entsetzen die Hände und murmelte verstört vor sich hin: „Herrjemine, Herrjemine!“ Er hatte auch allen Grund, sich unglücklich zu fühlen. Ein Mord im Hotel war für die Hotelgesellschaft gleichbedeutend mit einem Weltuntergang, und er wusste, dass der Präsident auf dem Standpunkt stand, ein Verbrechen dürfe in einem gut geführten Hause nicht geschehen.

Kurzum, man würde ihn, den Manager, dafür verantwortlich machen. Sehr ärgerlich!

Die Ermittlungen führte Inspector Blair, ein im Polizeidienst ergrauter, erfahrener Beamter. Er hielt sich betont aufrecht und besaß ein mageres, intelligentes Fuchsgesicht. Er war sehr korrekt gekleidet: Leichter Wettermantel, dunkelgrauer Einreiher, dazu Regenschirm, Handschuhe und Melone. Äußerlich sah er mehr nach einem kleinen Börsenmakler als nach einem Polizeibeamten aus. John Lee gewann von ihm sofort den Eindruck eines verlässlichen, lebens- und diensterfahrenen Beamten, der, ohne geradezu ein Genie zu sein, bestimmt allen Anforderungen gewachsen war. Das erleichterte John sehr, denn mit Genies oder Menschen, die sich dafür hielten, hatte er verschiedentlich recht trübe Erfahrungen gemacht.

John hatte eine kurze Aussage zu Protokoll gegeben und war danach von Blair mit höflicher Bestimmtheit ersucht worden, zusammen mit seiner Frau im Privatbüro des Hoteldirektors die weitere Vernehmung abzuwarten.

Um dreiviertel vier Uhr morgens endlich betrat der Inspector in Begleitung eines schlaksigen Unterbeamten das Büro. Er entledigte sich seines Überziehers, dessen Farbe mit den Jahren schon sehr verblichen war und legte seine Melone und die darübergelegten Handschuhe sorgsam auf dem Schreibtisch ab, bevor er dahinter Platz nahm.

„So, Mr. Lee, jetzt endlich kann ich mich mit Ihnen beschäftigen. Seien Sie so freundlich und erzählen Sie mir noch einmal in allen Einzelheiten, wie und wann Sie den Toten aufgefunden haben.“

John kam der Aufforderung bereitwillig nach. Als er seinen Bericht beendet hatte, heftete der Inspector seinen scheinbar gleichgültigen Blick auf Johns Gesicht. „Sehr klar formuliert, sehr logisch, sehr informativ“, stellte er fest und massierte sein kantiges Kinn. „Wäre es sehr unverschämt, wenn ich Sie fragte, ob Sie schon einmal in Ihrem Leben an einer Morduntersuchung teilgenommen haben?“

„Insgesamt dreimal schon, Inspector“, erwiderte Lee, ohne eine Miene zu verziehen. „Jedes Mal in einem Land, wo keine Polizei in unserem Sinne verfügbar war, wo man also den Mord schon selbst untersuchen musste, wollte man eine Klärung haben.“

„Und war Ihre Arbeit von Erfolg gekrönt?“

„Jedenfalls gelang es mir, alle drei Fälle aufzuklären. Das heißt, der eine Fall war gar kein Mord, sondern ein Selbstmord.“

„Und in den beiden Mordfällen haben Sie den Täter überführt?“

„Im ersten – er spielte sich in Saudi-Arabien ab, wurde der Mörder geköpft, im dritten Fall, es war auf Feuerland, gelang es dem Mörder zu entfliehen. Er fiel nach einem heftigen Feuergefecht mit einem Regierungsvertreter und meinen Kameraden. Inspector, da meine Frau sehr müde ist, wäre es vielleicht angebracht, wenn wir uns auf den hiesigen Mordfall beschränken wollten.“

Der Inspector nickte. „Der Ermordete heißt Nigel Fishby und wohnte in Deerborne, Dorset. Sagt Ihnen der Name etwas, Mrs. Lee – oder Ihnen, Mr. Lee?“

Beide verneinten.

„Ich kann Sie nicht zwingen, auszusagen“, fuhr der Inspector nach kurzem Zögern fort. „Aber ich schlage vor, Sie lassen sich alles noch einmal durch den Kopf gehen, und besprechen sich morgen Vormittag mit Ihrem Anwalt.“

„Was nicht gar!“, brauste John auf. „Ich wüsste nicht, wozu ich einen Anwalt benötigte!“

Der Inspector zuckte nur gleichgültig die Achseln. „Ich würde an Ihrer Stelle die Dinge nicht so auf die leichte Schulter nehmen, Mr. Lee. Sie behaupten, den Toten nicht gekannt zu haben – aber er wurde in Ihrem Zimmer ermordet. Sie werden verstehen, dass ich ...“

„Sie vergeuden nur Ihre kostbare Zeit, Inspector!“, wurde er von Lee ungeduldig unterbrochen.

„Nach meiner unmaßgeblichen Meinung ist Fishby gegen Mitternacht ermordet worden. Meine Frau und ich haben für die Tatzeit ein unerschütterliches Alibi: Wir hielten uns im Holborn Club auf. Das kann durch Zeugen bewiesen werden.“

„Sehr erfreulich für Sie, Sir.“ Der Inspector erhob sich. „Dann will ich Sie fürs Erste nicht länger aufhalten. Das Protokoll können Sie gelegentlich unterschreiben. Vermutlich haben Sie nicht die Absicht, während der nächsten Tage London zu verlassen.“

John unterdrückte eine ärgerliche Grimasse. „Keineswegs. Das heißt aber nicht, dass wir unseren ganzen Heimaturlaub in London verbringen wollen. Meine Frau und ich waren viele Jahre nicht mehr in England. Wir hatten uns vorgenommen, mit dem Wagen eine Rundreise durch die ganze Insel zu unternehmen.“

Dafür hatte der Inspector Verständnis. Er verabschiedete sich liebenswürdig, nachdem er John versichert hatte, er würde sein möglichstes tun, die Herrschaften nicht über Gebühr zu belästigen.

Vor dem Büro wartete Direktor Higgins auf John. „Ich habe inzwischen Ihr Gepäck in die fünfte Etage auf Appartement dreiundneunzig schaffen lassen, Sir“, sagte er dienstbeflissen und machte ein todunglückliches Gesicht. „Heavens, ein Mord in unserem Hause! Herrjemine.“

John sah ein, dass der Mord für das Hotel eine Katastrophe unabsehbaren Ausmaßes bedeuten konnte, aber er fühlte sich unschuldig daran. Außerdem hatte er mit seinen eigenen Problemen genug zu tun.

*

An ein strapaziöses Leben und wenig Schlaf gewöhnt, stand John Lee schon gegen neun ausgeruht und mit etwas besserer Laune auf. Charlie war nicht im Zimmer.

Als er zum Frühstück ging, fehlte sie noch immer.

Ein Kostüm und ihre Handtasche fehlten ebenfalls – ein Beweis, dass sie vor ihrem Mann aufgestanden war und das Hotel verlassen hatte.

Einer jähen Eingebung folgend begab sich John zur Vermittlung in die erste Etage, wo eine ältliche, verblühte Angestellte den Telefondienst versah. Das Schild „Kein Zutritt“ übersah er großzügig.

„Guten Morgen, Sir“, grüßte die Telefonistin freundlich. „Was darf ich für Sie tun?“

„John Lee“, stellte er sich vor. „Ich wohne in der fünften Etage, Appartement dreiundneunzig. Nach der – ähm – etwas turbulenten Nacht habe ich fest geschlafen, und als ich heute morgen aufwachte, war meine Frau nicht mehr im Hause. Ist für sie vielleicht ein Anruf gekommen?“

„Ja, aber ...“ Die Telefonistin verstummte. Ihre Augen blickten abweisend. „Tut mir leid, Sir, ich darf keine Auskunft geben.“

John gab ihr zehn Schilling. Das beschwichtigte ihr Gewissen, und sie wurde gesprächig. „Es war gegen halb neun, Sir. Eine Dame rief an. Sie bestellte Mrs. Lee für elf Uhr in Toolands Teestube am Piccadilly Circus.“

„Toolands Teestube, Piccadilly Circus, elf Uhr“, wiederholte John. „Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit.“

„Sir!“

John wandte sich um. „Ja?“

„Sie werden doch Mrs. Lee nicht verraten, dass ich geplaudert habe?“

„Aber ganz bestimmt nicht. Sie brauchen keine Angst zu haben“, beruhigte sie John.

*

Das Frühstück muss heute eben ausfallen!, entschied er und verließ eilig das Hotel. Er trat an den Randstein, um sich ein Taxi heranzuwinken. Wenn ich Glück habe, komme ich ihnen noch zuvor, überlegte er.

Punkt zehn Uhr zwanzig betrat er Toolands Teestube. Nachdem er sich kurz umgesehen hatte, ging er auf die Pendeltür zu, die zur „besseren“ Abteilung führte, wo Speisen und Getränke 30 Prozent mehr kosteten. Der Raum war unbesetzt. Er wählte eine günstige Nische, in die er sich vergraben konnte, bestellte Tee und einen Sandkuchen, bezahlte gleich, gab der Kellnerin ein gutes Trinkgeld, bedeutete ihr, dass er nicht gestört werden wolle, und vertiefte sich in seine Zeitung.

Kurz vor elf hörte er die Pendeltür schlagen. Steil aufgerichtet lauschte er mit angehaltenem Atem.

„Eine Portion Tee, bitte“, hörte er seine Frau bestellen. „Nein, keinen Kuchen.“

Charlie nahm zum Glück vorne am großen Fenster Platz. Von dort aus konnte sie ihren Mann nicht sehen. Charlies Tee wurde gebracht, danach blieb es lange still. Dreimal hörte John, dass seine Frau Streichhölzer anstrich. Vermutlich zündete sie sich Zigaretten an. Der kurze Abstand, in dem sie die Zigaretten anrauchte bewies, dass sie heftig erregt war.

Sieben nach elf ging die Pendeltür abermals.

„Hallo, Coralie!“, sagte eine bekannte Stimme, deren Klang John einen Stich versetzte. Sie gehörte Ann McNally, der aufreizenden Blonden, die Charlie am Vorabend im Holborn Club angesprochen hatte.

„Zum Teufel mit Coralie! Coralie ist tot und begraben!“, zischte Charlie Mrs. McNally an. „Setz dich, bestell deinen Tee und halt den Mund, bis die Serviererin wieder gegangen ist. Dann können wir uns ungestört unterhalten. Wir sind hier ganz allein.“

Ein adrettes Mädchen kam, erkundigte sich nach Anns Wünschen, verschwand und kam mit dem Tee zurück.

„Da kommt man nach jahrelanger Abwesenheit wieder nach London, und sofort wird die ganze Vergangenheit lebendig“, sagte Charlie bitter, in anklagendem Ton. „Stell dir vor, was mir gestern Abend widerfahren ist. Als wir gerade zum Abendessen in den Speisesaal hinuntergehen wollten, sprach mich der ekelhafte Nigel Fishby an, dein alter, hartnäckiger Verehrer. Er erkannte mich gleich auf den ersten Blick. Das brachte mich vielleicht in eine Situation! Ich wünschte ihm die Pest an den Hals, oder der Teufel möge ihn holen.“

„Und dieser fromme Wunsch ist prompt in Erfüllung gegangen. Er wurde noch am gleichen Abend in deinem Zimmer ermordet“, ergänzte Ann düster.

„Woher weißt du das?“, fuhr Charlie auf. „Meines Wissens stand von dem Mord noch nichts in den Morgenzeitungen.“

Ann lachte dünn. „Die Lösung ist einfach: Ich wurde von der Polizei verständigt. Ich habe nämlich meinen hartnäckigen Verehrer inzwischen geheiratet.“

*

Mit angehaltenem Atem lauschte John. Das wurde ja immer mysteriöser. Soviel war sicher: Charlie hieß mit ihrem richtigen Namen tatsächlich Coralie, wie er seit dem Vorabend argwöhnte. Weder Nigel Fishby, noch seine Frau hatten Charlie mit einer dritten Person verwechselt.

„Oh, das tut mir aber schrecklich leid, Ann!“ Der Unterton aufrichtigen Mitgefühls klang in Charlies Stimme mit.

„Das braucht dir nicht leid zu tun“, widersprach Ann hastig. „Unsere Ehe war ein Fehler. Von A bis Z. Ich habe mich längst von Nigel getrennt und mich anderweitig‟, sie lachte verlegen auf, „getröstet. Ehrlich gestanden bin ich heilfroh, dass ich nun meine ganze Freiheit zurückgewonnen habe. Wenngleich ich sie auch nicht um diesen Preis zurückhaben wollte. Sag, Charlie“, jetzt war Ann McNallys Stimme atemlos, „du glaubst doch nicht etwa, dass ich etwas mit dem Mord zu schaffen habe?“

„Ganz bestimmt nicht!“, versicherte ihr Charlie im Brustton der Überzeugung. „Allein der Gedanke wäre absurd. Aber halten wir uns doch nicht bei Selbstverständlichem auf!“, fuhr sie nervös, mit unterdrückter Leidenschaft fort. „Ich habe eine Gewissensfrage an dich, Ann ...“

Lee zuckte wie elektrisiert zusammen. Gespannt spitzte er die Ohren.

„ ... sag, hast du Inspector Blair von unserem gestrigen Zusammentreffen im Holborn Club erzählt?“

„Ganz bestimmt nicht, Charlie. Sei da ganz beruhigt.“

„Gott sei Dank!“ Charlie atmete erleichtert auf. „Ich dachte vorhin, mich träfe der Schlag, als du sagtest, dass du inzwischen Mrs. Fishby geworden seist, denn mir war selbstverständlich sofort klar, dass ein einziges Wort von deiner Seite Inspector Blair gegenüber, über unser Zusammentreffen gestern Abend im Club und unsere Bekanntschaft, mich Lügen gestraft, und meine Aussage als bewusst falsch gebrandmarkt hätte.“

Charlie, Charlie, dachte John Lee, der alles mitanhörte, schmerzlich. Wie konntest du nur! Ihm war, als kralle sich eine eisige Faust um sein Herz. Er hatte Angst vor dem, was er jetzt gleich noch alles hören würde.

„So ähnlich habe ich mir die Sache von Anfang an vorgestellt. Ich dachte mir, Coralie gilt als tot, und ihr wird es am liebsten sein, wenn sie auch weiterhin tot bleibt. Zumindest für die Behörden. Sag mal – weiß eigentlich dein Mann ...?“

Vorübergehend wurde das Gespräch mit leidenschaftlicher, aber im Ton unterdrückter Heftigkeit geführt. John konnte kein einziges Wort mehr verstehen.

„... fällt mir jedenfalls ein Stein vom Herzen, wenn ich daran denke, dass ich immer noch mit einem blauen Auge davonkommen kann. Der Teufel muss mich geritten haben, als ich John bat, unseren Urlaub ausgerechnet in London zu verbringen.“

„War es nicht vielmehr die Idee deines neuesten Mannes?“

„Ja, natürlich“, gab Charlie geistesabwesend zu, „aber ich hätte ihn jederzeit um den Finger wickeln und woandershin dirigieren können. Das wäre kein Problem gewesen. Übrigens solltest du nicht so verächtlich von meinem Mann sprechen. Es ist erst mein Zweiter. Der erste ist tot ...“

„... und seine Schwester ist nach wie vor der Meinung, dass du an seinem Tod nicht unbeteiligt warst. Ich weiß positiv, dass dich Wanda für Gordons Mörderin hält.“

„Ann!“

Das Wort knallte wie ein Peitschenhieb.

„Womit ich nicht gesagt habe, dass ich Wandas Ansicht teile.“

Eine kleine Weile blieb es still. „Ja, Wanda und ihr pathologischer Hass gegen mich“, murmelte Charlie nachdenklich. „Aber lassen wir das. Ein Glück, dass uns mein Mann nicht hören kann. Der liebe, gute John! Er ist so anständig, so sauber, so klar, unfähig, mit einer Lüge zu leben. Ann, ich liebe meinen Mann! Ich liebe ihn wirklich!“

John Robson Lee hörte dieses leidenschaftliche Bekenntnis mit sehr gemischten Gefühlen.

„So sehr hat es dich gepackt?“ Anns Stimme klang ungläubig. „Nun, ein Wunder wäre es freilich nicht. Dein John sieht großartig aus.“

Charlie seufzte verzweifelt. „Wenn ich nur einen Ausweg aus meinem Dilemma wüsste! Und da ist noch etwas: Vera. Was mag ihr geschehen sein? Sie kann sich doch nicht in Nichts aufgelöst haben! Wie war es möglich, dass ich nichts von ihrem Verschwinden erfuhr?“

„Eure Brüder haben die Affäre nicht an die große Glocke gehängt. Im Gegenteil“, bemerkte Ann trocken. „Mit der amtlichen Version kann ich dir übrigens dienen. Es fragt sich nur, ob dir damit wirklich gedient ist.“

John in seinem Versteck stockte der Atem. Er lauschte mit vorgestrecktem Hals.