Krimi Sommer 2023: 10 Krimis im Paket - Alfred Bekker - E-Book

Krimi Sommer 2023: 10 Krimis im Paket E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Über diesen Band: Krimis der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. Dieser Band enthält folgende Krimis: Alfred Bekker: Stadt der Schweinehunde Alfred Bekker: Zweisam in Sonsbeck Alfred Bekker: Hinter dem Mond Alfred Bekker: Mörderspiel Pete Hackett: "Lauf um dein Leben, Agent Burke!" Pete Hackett: Ein tödlicher Deal Pete Hackett: Die Alternative ist der Tod Alfred Bekker: Das Phantom von Tanger Alfred Bekker: Feuer und Flamme Thomas West: Die zur Hölle fahren –––––––– image Morde - inszeniert von drei Top-Autoren. Ein Privatdetektiv ermittelt, als eine Papierfabrik in Flammen steht und ein Mord geschieht, der offenbar nur Teil eines großen Komplotts ist.

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Alfred Bekker, Pete Hackett, Thomas West

Krimi Sommer 2023: 10 Krimis im Paket

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Inhaltsverzeichnis

Krimi Sommer 2023: 10 Krimis im Paket

Copyright

Stadt der Schweinehunde

ZWEISAM IN SONSBECK

HINTER DEM MOND

Mörderspiel

Hauptpersonen:

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„Lauf um dein Leben, Agent Burke!“

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10

Ein tödlicher Deal

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Die Alternative ist der Tod

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Das Phantom von Tanger

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Feuer und Flamme

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Die zur Hölle fahren

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Krimi Sommer 2023: 10 Krimis im Paket

Alfred Bekker, Pete Hackett, Thomas West

Über diesen Band:

Krimis der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre.

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Alfred Bekker: Stadt der Schweinehunde

Alfred Bekker: Zweisam in Sonsbeck

Alfred Bekker: Hinter dem Mond

Alfred Bekker: Mörderspiel

Pete Hackett: „Lauf um dein Leben, Agent Burke!“

Pete Hackett: Ein tödlicher Deal

Pete Hackett: Die Alternative ist der Tod

Alfred Bekker: Das Phantom von Tanger

Alfred Bekker: Feuer und Flamme

Thomas West: Die zur Hölle fahren

––––––––

Morde - inszeniert von drei Top-Autoren. Ein Privatdetektiv ermittelt, als eine Papierfabrik in Flammen steht und ein Mord geschieht, der offenbar nur Teil eines großen Komplotts ist.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

Stadt der Schweinehunde

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 200 Taschenbuchseiten.

Mein Name ist Murray Abdul.

Und dies ist meine Story.

Ich jage irre Killer.

Aber es kommt durchaus öfter mal vor, dass ich denke, ich bin selber irre.

Ich überlasse Ihnen die letzte Bewertung. Ich selbst sehe mich dazu inzwischen außerstande.

Alfred Bekker ist Autor zahlreicher Fantasy-Romane und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA und die GORIAN-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Im Bereich des Krimis war er Mitautor von Romanserien wie Kommissar X und Jerry Cotton. Außerdem schrieb er Kriminalromane, u.a. die Titel MÜNSTERWÖLFE, EINE KUGEL FÜR LORANT, TUCH UND TOD, DER ARMBRUSTMÖRDER und zuletzt in dem Roman DER TEUFEL AUS MÜNSTER, in dem er einen Helden aus seinen Fantasy-Romanen zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht.

Copyright

© by Author

© der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

[email protected]

1

Ich sehe die Bilder von den einstürzenden Türmen. Die Bilder vom 11.September 2001, als zwei Flugzeuge von irren Terroristen in das World Trade Center gejagt haben. Immer wieder sehe ich diese Bilder. Im Fernsehen und in Gedanken. Wie oft sind die schon wiederholt worden? Es ist wie bei der Gedankenschleife eines Zwangsgestörten. Der Zwang zur Wiederholung, der Zwang, den Blick auf dieses unfassbare Geschehen zu richten und sich den Schmerz immer und immer wieder anzutun.

Die Irren, die das getan haben, waren unglücklicherweise Muslime.

Unglücklicherweise deshalb, weil ich auch Muslim bin.

Ich ging noch zur High School, als die Türme des World Trade Centers einstürzten. Und ich hatte damals keine Ahnung, dass dieser Augenblick für uns alle alles ändern würde.

Es gibt ein Davor und ein Danach.

Und das Danach ist leider die schlechtere Seite.

Inzwischen sind ein paar Jahre vergangen.

Mein Job ist es, solche Irren, wie die, die das damals getan haben, zu fassen. Besser noch: Zu verhindern, dass sie etwas Ähnliches tun werden. Aber man muss realistisch bleiben. Letzteres kommt nur sehr selten und mit viel Glück vor.

Mein Name ist Murray Abdul.

Und dies ist meine Story.

Ich jage irre Killer.

Aber es kommt durchaus öfter mal vor, dass ich denke, ich bin selber irre.

Ich überlasse Ihnen die letzte Bewertung. Ich selbst sehe mich dazu inzwischen außerstande.

2

Diese verdammten Schweinehunde!, dachte ich. Manchmal läuft alles schief. Es gibt Tage, an denen scheint sich alles gegen einen verschworen zu haben. Und genau so einen hatte ich wohl gerade erwischt. Ich glaube, so was nennt man wohl Schicksal. Auf jeden Fall scheint es unvermeidlich zu sein. Ich steckte also ziemlich böse in der Klemme. So böse wie schon lange nicht mehr. Aber vom Klagen wird’s auch nicht besser.

Ich saß einfach mal wieder bis zum Hals in der Scheiße. Plötzlich in der Jauchegrube - das scheint für jemanden wie mich, der Titel des ganz persönlichen Lebensromans zu sein.

Ich blinzelte.

Und hörte, was man mir sagte.

„Schön ruhig bleiben. Die Hände hoch und keine falsche Bewegung!“

„Hören Sie!“

„Nein, Sie hören! Beine auseinander und an die Wand!“

Es waren Cops, die mich filzten.

Sie tasteten mich ab. Holten meine Pistole hervor.

„Sieh an“, sagte einer der Kerle. „Noch nichts davon gehört, dass das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit in New York illegal ist?“

„Nicht, wenn man dafür einen Grund hat.”

„Sind Sie Cop? Haben Sie eine Lizenz als Privatdetektiv? Arbeiten Sie für eine Sicherheitsfirma?“

„Bin ich das Büro für Fragen und Antworten?“

„Besser wir hören jetzt eine vernünftige Antwort, oder..”

„Oder was?”

„Scheiße, wir werden nicht gerne verarscht, hörst du?”

„Ja, aber ich muss mir dasselbe von euch Blödmännern gefallen lassen, oder was?”

Jetzt mischte sich der andere Cop ein. Ein dunkler Lockenkopf. „Er sieht nicht aus wie der Kerl, hinter dem wir her sind“, sagte er.

Allah sei Dank! Es gibt doch noch so etwas wie einen vernunftbegabten Cop, dachte ich.

„Aber hier ist doch sonst niemand“, meinte der erste Cop.

„Scheiße, trotzdem! Das ist der Falsche!“

„Ach, jetzt plötzlich, ja?”

„Ja.”

„Mann, was ist plötzlich los? Fällt dir jetzt plötzlich ein, dass der Wichser dich irgendwann mal an seinem Kokain hat riechen lassen oder was? Das darf dich nicht wahr sein.”

„Vielleicht regst du dich mal.”

„Ich will mich aber nicht abregen! Im Moment weiß ich nicht, wem ich zuerst eins Fresse hauen soll - dir, oder dem da!” Und damit deutete er auf mich.

„Durchsuch ihn einfach zu Ende und halt den Mund.”

Der erste Cop hatte inzwischen meine Jackettinnentasche erreicht. Er zog meinen Ausweis heraus. Meine Dienstausweis. Ich konnte sein dummes Gesicht leider nicht sehen.

„Sie sind auch Cop?“

„Agent Murray Abdul, Special Cases Field Office.“

„Hier steht Muhammad Abdul.“

„Nennt mich aber keiner so.“

„So heißt doch kein Cop“, meinte der andere. „Das ist bestimmt eine Fälschung.“

„Sieht mir auch so aus!”, meinte der andere.

Was für Idioten, dachte ich, während sie immer noch auf meinen Ausweis glotzten und sich einfach nicht vorstellen konnten, dass jemand mit dem Namen Muhammad ein Cop sein kann. An Basketballspieler und Boxer mit so einem Namen hat man sich gewöhnt. Sogar an einen Präsidenten, dessen zweiter Vornahme Hussein lautet. Aber ein Cop, der Muhammad heißt? Nein, das geht wohl einfach zu weit.

Ich drehte mich um. Dieser Augenblick der Verwunderung bei meinem Gegenüber gestattete mir das.

„Hey, habe ich was davon gesagt, dass wir fertig sind?“, fragte der erste Cop, der das als eine Art Majestätsbeleidigung angesehen hat.

„Ich sage das“, erwiderte ich. „Meine Waffe!“

„Wie bitte?”

„Sofort!”

Ich streckte die Hand aus.

„Das muss erst überprüft werden“, sagte der erste Cop.

„Weil Sie denken, dass Leute, die Muhammad Abdul heißen eher Terroristen als Cops sind?“

„Deswegen auch. Aber jemanden mit roten Haaren heißt normalerweise auch nicht so.“

„Da ist ein Foto...“

„Das beweist nichts.“

„Meine Mutter war Irin, die einen syrischen Einwanderer geheiratet hat!“

„Schöne Geschichte. Wer werden mal in Ihrem Field Office anrufen, ob Sie überhaupt existieren, Mister Abdul.“

Der Cop griff zu seinem Handy.

Ich fasste mit beiden Händen zu, gab ihm einen Schubs, dass wir beide augenblicklich zu Boden fielen.

Der zweite Cop wollte zu seiner Waffe greifen, riss sie heraus. Dann zuckte sein Körper. Ein roter Laserpunkt tanzte. Ein Geräusch wie der Schlag mit einer Zeitung war zu hören. Zweimal, dreimal, viermal.

Der zweite Cop hatte mehrere Löcher in Kopf und Oberkörper. Er sackte leblos in sich zusammen. Ein sauberer Kopftreffer war dabei. Nichtmal eine Kevlar-Weste hätte ihn retten können.

Dem Cop, mit dem ich zu Boden gestürzt war, nahm ich meine Waffe wieder ab. Ich riss sie an mich, feuerte in Richtung des Schattens, den ich gesehen hatte.

Ein Schatten am Ende des engen Durchgangs zwischen zwei Brownstone-Häusern in der Lower East Side. Dort hatten mich die beiden Cops angehalten.

Ich schoss.

Der Schatten war weg.

Und ich bemerkte, dass der Cop, den ich zu Boden gerissen hatte, auch etwas abbekommen hatte.

Ein Schuss war ihm von der Seite ins Herz gedrungen.

Seine Augen waren starr.

Verdammt!, dachte ich.

So ein verdammter Mist!

Ich hockte da - mit zwei toten Kollegen auf dem Pflaster. Deren Blut mischte sich jetzt mit dem Dreck der Straße. So einen Anblick vergisst man nicht. Das bleibt. Für immer.

Dieser Tag hätte eine besseren Anfang verdient gehabt, dachte ich.

Aber - wie oft habe ich das schon gesagt?

Und wie oft ist nichts daraus geworden.

Verdammte Scheiße!, dachte ich.

3

Director Jay Chang Lee war Chef des Special Cases Field Office New York, einer Spezialeinheit des FBI, für die ich seit geraumer Zeit arbeite. Ein Mann so porentief rein und ehrbar, dass es schon fast nicht auszuhalten war.

Die Tugend in Person, so hätte man ihn auch nennen können.

Absolut korrekt.

Absolut integer.

Absolut ausgewogen.

Und absolut besonnen.

Und selbstverständlich war er in allem absolut der Beste in der ganze Abteilung und hatte immer absolut Recht.

Sie ahnen es schon.

Diese Sorte Vorgesetzte hat auch erhebliche Nachteile, wie Sie sich unschwer vorstellen können.

Mein Partner Lew brachte es mal auf den Punkt, indem er sagte: „Man kommt sich neben ihm immer irgendwie schmutzig und unvollkommen vor.”

Aber das ist eben der Unterschied.

Der Unterschied, der dafür sorgt, dass Leute wie Lew und ich auf der Straße Dienst machen und jemand wie Director Lee eben der Chef ist.

Dass Director Lee noch wesentlich höher steigt glaube ich allerdings nicht.

Wieso nicht?

Ganz einfach. Von einer gewissen Hierarchiestufe an sind dann wieder die eher etwas unappetitlichen, schmierigen Typen gefragt. Und da hat so ein Ultra-Saubermann, gegen den die Glatze von Meister Propper wie eine ölige Fettpfütze aussieht, eben keine Chance.

Lee fixierte mich mit seinem Blick.

Sein unbewegliches Gesicht musterte mich, während ich in seinem Büro saß und ihm einen mündlichen Bericht der Ereignisse gab. Seine dunklen Augen unterzogen mich der gewohnten Musterung. Eigentlich sagt man Asiaten ja nach, dass sie einen nicht so direkt anstarren. Aber Director Lee sah nur asiatisch aus. Er war in den USA geboren und so amerikanisch wie man nur sein konnte. Vielleicht sogar noch amerikanischer als es jemand mit langer Nase und und runden Augen sein musste. Ich hatte oft den Eindruck, dass Director Lee in puncto Patriotismus etwas kompensieren zu müssen glaubte.

Aber wehe, man spricht sowas aus.

In diesem Punkt war Director Lee ganz sicher nicht reif für die Wahrheit, so unerschrocken er auch sonst Fakten ins Gesicht zu blicken pflegte.

Was die dunklen Seiten seiner eigenen Person betraf, galt das nicht.

Aber das hatte er wohl mit vielen von uns gemeinsam. Also konnte er in diesem Punkt mit meiner Nachsucht rechnen.

Bis zu einem gewissen Punkt zumindest.

Aber dazu später mehr.

Nur so viel: Er überschritt diesen berühmten Punkt irgendwann in einer Weise, wie ich es nie für möglich gehalten hätte.

Aber der Reihe nach.

„Sie denken, es ist wieder derselbe?“, fragte er schließlich, nachdem er mir eine Weile schweigend zugehört hatte.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Wird sich herausstellen.“

„Sicher.”

„Um ehrlich zu sein, ich bin ziemlich ratlos. Was glauben Sie, wie oft ich mir schon das Hirn darüber zermartert habe, wer dieser Irre sein könnte.”

„Offenbar nicht oft genug”, sagte Director Lee nüchtern.

„Tja, das mag sein.”

„Denken Sie immer wieder über die Frage nach, wer so einen Hass auf Sie haben könnte...“

Ich hob die Augenbrauen und vollendete seinen Satz, wovon ich eigentlich wusste, dass Director Lee das nicht leiden konnte. „...dass er mehrere Mordanschläge auf mich verübt?“

Lee verstand es ausgezeichnet, seinen Ärger darüber zu verbergen. Es war unmöglich, zu wissen, was hinter seiner glatten Stirn vor sich ging, die sich niemals in Falten legte und was dieser gleichförmige Gesichtsausdruck zu bedeuteten hatte, von dem man immer im Zweifel blieb, ob es sich wirklich um ein Lächeln handelte oder um etwas ganz anderes.

„Wem sind Sie in letzter Zeit auf die Füße getreten?“, fragte Director Lee.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Zu vielen.“

„Irgendjemand davon präsentiert Ihnen jetzt die Rechnung.“

Es war nur einer von mehreren Anschlägen auf mein Leben gewesen, die ich überlebt hatte. Manchmal ließ sich der Täter eine Weile Zeit, ehe er wieder zuschlug. Manchmal jahrelang. So lange, dass man schon glauben konnte, er hätte sein Ziel, mir eine Kugel in den Kopf zu jagen, inzwischen aufgegeben. Aber das hatte er nicht. Und das würde er auch niemals. Das hatte ich im Gefühl.

„Sir, darf ich vielleicht mal offen sprechen?“, sagte ich.

Director Jay Chang Lee hob die Augenbrauen, die bei ihm so gerade waren, als hätte jemand sie mit einem Kayal-Stift und einem Lineal gezogen. Aber bei ihm war das nur eine Laune der Natur.

„Bitte, tun Sie das, Murray. Was haben Sie auf dem Herzen?“

Unsere Blicke begegneten sich. Ich hatte dann oft das Gefühl, dass er zwar meine, ich aber nicht seine Gedanken lesen konnte. Natürlich war das alles nur Einbildung, aber das Gefühl war trotzdem real.

Ich sagte schließlich: „Was ich Ihnen jetzt sage, klingt vielleicht verrückt.“

Director Lee schien das nicht weiter abzuschrecken. Er sah mich mit seinem gewohnt regungslosen Gesicht an.

„Spucken Sie es trotzdem aus”, verlangte er.

Ich rieb mir das Kinn. Eine Verlegenheitsgeste. Und ich ärgerte mich darüber, sie gemacht zu haben, denn ich wusste, dass mein Chef sie richtig zu interpretieren wusste. Aber es war zu spät, um diese Bewegung noch mittendrin abzubrechen. Das hätte noch lächerlicher ausgesehen.

„Ganz, wie Sie meinen.“

„Also?“ Dieses Also hatte den Ton, den man in einem Verhör erwartet. Schien eine Berufskrankheit unseres Directors zu sein, die er einfach nicht ablegen konnte. Aber das ist bei mir vielleicht genauso. Also. Er sagte es mit der Schärfe einer Rasierklinge und einer unterschwelligen Sub-Botschaft, die nicht mehr, aber auch nicht weniger sagte als, dass es irgendwelche schrecklichen Konsequenzen nach sich ziehen würde, sollte man es wagen, irgendeine relevante Information zurückzuhalten. Director Lee hatte es drauf. Das Einschüchtern, meine ich. Das musste der Neid ihm lassen. Und das funktionierte nicht nur bei Verdächtigen. Bei Untergebenen klappte das mindestens genauso gut. Und ich war da leider keine Ausnahme.

Die wirklich guten Tricks funktionieren eben auch dann, wenn der Gegner sie durchschaut.

Wenn man dann derjenige ist, der darauf hereinfällt, ärgert man sich nochmal so heftig - und kann doch nichts machen.

Leider.

Ist Kismet.

Schicksal.

„Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Irre mich wirklich ERSCHIESSEN will, wenn Sie verstehen, was ich meine”, erklärte ich.

Director Lee schüttelte energisch den Kopf.

„Ehrlich gesagt: Nein.“

„Was ich damit sagen wollte ist: Es könnte auch sein, dass er mich nur erschrecken will..“

Die undurchdringlichen Züge von Director Jay Chang Lee ließen nicht erkennen, was er von meinen Worten hielt. Augen sind Fenster der Seele, sagt man. In dieser Hinsicht waren Mister Jay Chang Lees Augen vollkommen blind. Fenster, durch die man gar nicht erst hineinzusehen brauchte. Sie waren so vollkommen verhangen, wie bei meinen syrischen Großeltern, die immer der Auffassung gewesen zu sein schienen, dass niemand ihnen in die Wohnung zu blicken hatte und die eigenen vier Wände so etwas wie ein abgeschottetes Heiligtum waren.

„Sir, der Killer hat bis jetzt immer nur Leute in meiner Umgebung umgebracht. Er schießt gut. Er macht sich keine Mühe seine Täterschaft zu verschleiert, indem er verschiedene Waffen benutzt.“

„Er will, dass man ihn als denselben Täter identifiziert? Denken Sie das?“

„Ja. Aber wissen Sie, wenn dieser Kerl wirklich mir eine Kugel in den Kopf jagen wollte, dann hätte er es, glaube ich, längst getan.“

Jay Chang Lee rieb sich das Kinn.

Ein Zeichen dafür, dass er nachdachte.

Und ein Zeichen dafür, dass er im Moment nichts sagen, sondern einfach nur einen Augenblick nachdenken wollte. Man störte ihn besser nicht bei seinen tiefschürfenden Gedankengängen. Man wartete am besten einfach ab, bis diese tiefen Gedanken schließlich zu einem Resultat kamen, das sich verbal ausdrücken ließ.

Director Lee atmete tief durch und ließ die Hände in den weiten Taschen seiner Flanellhose verschwinden.

Dann sagte mein Chef plötzlich: „Vielleicht haben Sie Recht, Murray... Er will Ihnen zeigen, wie mächtig er ist. Dass er Sie ausknipsen kann, wann immer er will.“

Ich nickte. „So ähnlich.“

„Er zeigt Ihnen mit jeder dieser perversen Aktionen, dass er über Ihr Leben absolut gebietet, Murray. Er könnte Sie jederzeit töten. Noch hat er es nicht getan, aber Sie wissen natürlich, dass Sie gar nicht die Macht hätten, es zu verhindern, Murray.”

„Ja, leider…” murmelte ich. Und genau dieser Punkt machte mich nahezu rasend.

Director Lee fuhr fort: „Er wählt Orte aus, an denen Sie eigentlich nicht mit ihm rechnen dürften - und dann schlägt er erbarmungslos zu.”

„All die unschuldigen Toten…”, murmelte ich.

„Belastet Sie das?”

Ich hob die Augenbrauen.

„Was denken Sie denn, Director Lee! Glauben Sie, ich bin aus Holz?”

„Natürlich nicht.”

„Denken Sie vielleicht, Muslime werden mit dem Sprengstoffgürtel am Körper geboren und ein paar Tote mehr oder weniger machen ihnen nichts aus?”

„Murray…”

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ist doch wahr”, knurrte ich und es wahr wohl unüberhörbar, wie gereizt ich war.

Director Lee nahm das zur Kenntnis - und blieb dabei kalt wie ein Fisch. Genau, wie man es von ihm erwartete.

Er sagte: „Jetzt werden Sie unsachlich, Murray. Die Sache scheint Sie doch mehr Nerven zu kosten, als Sie uns allen vielleicht weiszumachen versuchen.”

„Jetzt wollen wir mal nicht übertreiben.”

„Wieso übertreiben? Sie sind so geladen wie eine Hochspannungsleitung. Wehe, Ihnen kommt jemand zu nahe, dann kriegt er hunderttausend Volt ab und wird gegrillt wie auf dem elektrischen Stuhl.”

„Quatsch, ich bin vollkommen ruhig.”

„Sind Sie nicht.”

„Die Ruhe selbst!”

„Eine wandelnde Atombombe.”

Scheiße, ich begann zu ahnen, worauf das hinauslief. Und je mehr ich darüber aufregte, desto klarer würde Director Lee die Sache in seinem Sinn entscheiden.

Und das gefiel mir nicht.

Ich war nämlich weder irre noch arbeitsunfähig oder sonstwas. Es gab keinen Grund, mich vom Dienst zu suspendieren oder in Erholungsurlaub zu schicken. Ich wollte einfach nur weiter meinen Job machen. Routine, das erschien mir das Beste im Moment.

Wobei mein Job eigentlich kaum Routine zulässt. Aber das ist wiederum ein anderes Thema. Ein ganz anderes.

Ich musste erstmal eine ganze Ladung purer Luft hinausblasen. Luft, die sich in mir irgendwie angestaut hatte und die mich wahrscheinlich irgendwann ganz einfach zum Platzen gebracht hätte, hätte ich in diesem Moment nicht die Möglichkeit gehabt, sie loszuwerden.

Das Schlimme war: Director Lee hatte Recht. Diese Sache ging mir mehr an die Nieren, als ich wahrhaben wollte. Mehr als viele andere unangenehme Dinge, die ich in den letzten Jahren während meines Dienstes im Special Cases Field Office des FBI erlebt hatte.

Und genau das war wohl auch letztlich der Grund, warum ich so absolut empfindlich reagierte, obwohl ich durchaus sagen kann, dass das ansonsten gar nicht meine Art ist. Meine Mutter zum Beispiel hält mich heute noch für einen richtigen Phlegmatiker. Es gibt eben immer unterschiedliche Facetten.

Eine Pause folgte.

Und dann kam der Hammer.

Lee sprach den Punkt an, auf den das ganze Gespräch wohl von Anfang an hatte hinauslaufen sollen - zumindest wenn es nach Lees Regie ging. Und danach ging es immer. Bei allem, was innerhalb der Abteilung geschah. Es gab keinen Furz, der nicht kontrolliert und von ihm genehmigt gewesen wäre.

„Können Sie arbeiten?“, fragte Mister Jay Chang Lee.

Jetzt war es also raus. Können Sie arbeiten? Eine Frage, die schon wie ein Urteil klang. Ein Urteil, das da lautete: Reif fürs Irrenhaus.

Ich antwortete und versuchte innerliche Überzeugung vorzutäuschen. Aber das geht eigentlich immer schief. Man kann nur gut lügen, wenn man die eigene Lüge glaubwürdig findet. Zumindest für einen kurzen Moment. Oder sich zumindest vorstellen kann, dass diese Lüge auch der Wahrheit entsprechen könnte. Aber so konnte das nichts werden. Und ich wusste das.

„Sicher“, behauptete ich.

Überzeugend klag das nicht.

Ganz und gar nicht.

Director Lee durchbohrte mich förmlich mit seinem Blick.

„Ich meine, unter diesen Bedingungen“, fügte er noch hinzu.

Diese Bedingungen! Zum Teufel mit diesen Bedingungen!

Ich zuckte mit den Schultern. „Wieso nicht? Ich werde ja jetzt vermutlich erstmal wieder eine ganze Weile Ruhe vor dem Kerl haben?“

„Seien Sie sich nicht zu sicher...“

„Ein bisschen Zeit wird er sich wohl lassen...“

„Nein, das meine ich nicht.“

Ich sah auf. „Nicht?“

„Ich meinte, dass es ein Kerl ist. Da sollten Sie sich nicht zu sicher sein.“

„Ach so.”

Ich hatte eigentlich erwartet, dass er jetzt etwas von Erholung, Urlaub, Suspendierung, Innendienst, psychologischer Behandlung und so weiter sagte.

Aber das tat er nicht.

Diese Stufe der Eskalation wollte er sich offenbar noch aufsparen. Oder er schätzte mich als stabil genug ein, um den Dienst ganz normal fortzusetzen.

So aufgefasst, war Director Lees Schweigen zu allem weiteren vielleicht sogar eine Art von Kompliment. Die Art von Kompliment, die man von einem Perfektionisten wie Lee eben erwarten konnte. So richtig herzlich und warmherzig kam er eben nunmal nicht rüber.

Vielleicht ahnte er im tiefsten Inneren seiner Seele auch, dass er vielleicht all das, was er mir nicht vorgeschlagen hatte, selbst viel nötiger hatte als ich. Ich fragte mich nicht zu erstenmal, ob diese glatte, harte Fassade der Perfektion und Tugendhaftigkeit vielleicht wirklich nichts weiter war als eben eine Fassade. Und dass da dahinter gar nichts weiter war oder irgendwas Weiches und vielleicht sogar Faules. Dinge, die zu gut sind, um wahr zu sein, will man einfach nicht glauben.

„Sie können gehen, Murray.”

„Danke, Sir.”

Bevor ich das Büro des Chefs verließ, fragte er mich dann doch noch etwas. Ich hatte gerade die Türklinke angefasst, um den Raum zu verlassen. Director Lee hatte wirklich einen außergewöhnlichen Sinn für’s Timing.

„Wie kommen Sie mit Ihrem Partner klar, Murray?“

„Mit Lew Parker?“

„Ja.“

„Wir kommen super klar.“

„Freut mich.“

Ich hatte die Tür schon mit einem Fuß durchschritten, da drehte ich ich noch einmal um.

„Haben Sie das gefragt, weil Lew Jude oder weil er schwul ist?“

Director Jay Chang Lee hatte bereits hinter seinem Schreibtisch platzgenommen.

Er sah auf.

Für einen kurzen Moment glaubte ich, den Ausdruck von Überraschung in seinem Gesicht erkennen zu können.

Oder zumindest so etwas wie die Ahnung von Überraschung.

Vielleicht war es auch nur Einbildung.

„Ich habe gefragt, weil ich wissen wollte, wie es mit Ihnen beiden läuft.“

„Und ich hatte schon geglaubt, dass Sie deswegen fragen, weil Sie glauben, dass jeder, der ein Muslim ist oder auch nur einen halben Tropfen arabischen Blutes in den Adern fließen hat, intolerant, schwulenfeindlich und antisemitisch beziehungsweise antizionistisch ist und dass ein schwuler Jude als Partner so etwas wie der ultimative Toleranztest für mich sein könnte. Ob ich wirklich mehr auf dem Boden der amerikanischen Verfassung als auf dem des Korans stehe.“

„Ihr Glaube ist Ihre Privatsache, Murray.”

„Ach wirklich, ist er das?”

„Ja.”

„Und warum fragen Sie mich dann sowas?”

„Weil ich sowas jeden frage, Murray.”

„Na dann…”

„Und im Übrigen pflege ich mir beim Fragen von Niemandem Vorschriften machen zu lassen. Auch nicht von Ihnen, Murray. Und wenn ich bei Ihnen da irgendeine empfindliche Stelle getroffen habe, dann tut es mir keineswegs leid.”

Mister Jay Chang Lee blieb so kalt wie ein zu hoch eingestellter Gefrierschrank.

Das traf es sehr exakt.

Und es war keineswegs da erste Mal, dass er so auf mich wirkte.

Nein, das war einfach seine Art.

Freundlich formuliert hätte man auch ‘sachlich’ dazu sagen können.

Man hätte…

Aber warum hätte ich freundlich sein sollen, Director Lee war es ja schließlich nicht. Jedenfalls nicht in der Zeit, in der ich in seiner Abteilung war. Man sagt immer, Gegensätze ziehen sich an. Tun sie aber nicht. Ich sage Ihnen, sie tun es wirklich nicht. Die Wahrheit ist: Sie stoßen sich ab. Mal mehr und mal weniger heftig, aber in der Regel doch deutlich spürbar. Und genau das war zwischen Director Lee und mir auch der Fall.

Lee hob die Augenbrauen. Die Art und Weise, wie er das machte, mochte ich nicht. Lee gehörte zu den Menschen, die nicht extra Worte machen mussten, um ihrem Gegenüber zu zeigen: Ich bin tausendmal schlauer als du.

Es gibt Leute, die brauchen dazu nur ihre Augenbrauen, um ihre Geringschätzung deutlich zu machen.

Und Lee war einer davon. Und bei ihm machte das auch viel Sinn, die Augenbrauen zu benutzen. Über eine nennenswerte Gesichtsmimik verfügte er ja schließlich nicht.

„Sie können gehen, Murray.“

„Genau genommen, bin ich schon weg.“

„Um so besser.“

„Na, sehen Sie!”

„Sie sind unverbesserlich, Murray.”

„Ich weiß, Sir.”

Lee sah mich an.

Lange.

Sehr lange.

Und wie gewohnt unangenehm.

Ein Blick, den ich nicht vergessen würde.

4

„Ziehen wir es durch!”

„Okay.”

Einer von ihnen rülpste.

Vielleicht hatte er das Falsche gegessen vor dieser wichtigen Sache. Manchmal können große Coups an banalen Dingen scheitern.

„Scheiße”, sagte er.

„Hauptsache, du furzt nicht noch.”

„Wieso?”

„Dann identifiziert dich nachher jeder an den Fäulnisgasen, die du hinterlässt und wir sind am Arsch.”

„Auf jeden Fall bleibst du beim Thema.”

„Häh?”

„Verdauung.”

Die Männer trugen blaue Overalls und hatten Werkzeugkoffer in den Händen. Der eine war hochgewachsen, hatte kurzgeschorenes blondes Haar, und sein Gesicht wirkte eckig und brutal. Der andere Kerl war dunkelhaarig, breitschultrig und untersetzt.

Der Blonde hatte die Rechte in der Tasche seines Overalls versenkt. Seine Faust umklammerte den harten Stahl einer Automatik mit aufgesetztem Schalldämpfer.

Die beiden Männer wechselten einen kurzen Blick, als sie den Aufzug verließen. Dann gingen sie den Korridor entlang auf die Wohnungstür eines Penthouses zu.

Vor der Tür stand ein riesiger Kerl. Seine Bodybuilderfigur sprengte beinahe den grauen Flanellanzug.

Das Gesicht war eine konturlose Maske, die völlig bewegungslos blieb.

Er hob die Arme und die Ausbeulung, die sich dabei unter seiner Schulter abzeichnete, zeigte, dass er unter dem Jackett eine Waffe trug.

„Halt!“, sagte der Riese, und die beiden Männer in den Overalls blieben einige Schritte vor ihm stehen.

„Wir wollen zu Mister Ugarimov“, sagte der Blonde. „Wegen der Heizung...“

Aus den Augen des Riesen wurden schmale Schlitze. Sein Gesicht verzog sich etwas. Seine Züge drückten leichtes Misstrauen aus.

„Sie sind früh“, meinte er.

„Mister Ugarimov erwartet uns.“

„Ach, ja?”

„Ja.”

„Dann nehmen Sie bitte die Hände hoch, damit ich Sie abtasten kann.”

„Bin kitzelig.”

„Ihr Pech.”

„Wenn du mich anfasst wie ein Schwuler, hast du gleich keinen Kopf mehr.”

„Immer mit der Ruhe. Setzen Sie die Werkzeugkoffer ganz langsam auf den Boden ab und öffnen Sie die Dinger.“

Der Blonde runzelte die Stirn.

„Was soll das?“

„Anordnung von Mister Ugarimov. Hier kommt keiner rein, der nicht genau durchsucht worden ist! Also, machen Sie keine Schwierigkeiten.“

Der Blonde atmete tief durch, während der Untersetzte bereits seinen Werkzeugkoffer absetzte und damit begann, die Schnallenverschlüsse zu öffnen. Blöder Wichser! So ein verfluchter Wichtigtuer! Dieser Gedanke schwirrte ihm durch den Kopf. Er konnte es nicht leiden, aufgehalten zu werden.

Der Riese an der Tür beobachtete ihn genau.

In diesem Augenblick passierte es.

Die Bewegungen des blonden Overallträgers schienen zu explodieren, er riss die Automatik hervor, war mit einem Schritt bei dem Riesen vor der Tür und presste ihm den Schalldämpfer unter das Kinn noch bevor der Bodyguard reagieren konnte.

Der Riese erstarrte zur Salzsäule.

Seine Augen wurden groß. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Er war Profi genug, um zu wissen, dass er in diesem Moment keine Chance hatte und jetzt am besten gar nichts tat.

Der Untersetzte hatte nun ebenfalls seine Waffe hervorgeholt. Auch er trat an den Riesen heran, griff unter dessen Jackett und holte dessen Pistole zum Vorschein.

Für den Bruchteil einer Sekunde kam es dem Riesen in den Sinn, den Blonden mit einem gezielten Handkantenschlag zu töten. Er konnte das, hatte es lange trainiert. Aber das Risiko war zu groß, die anderen waren zu zweit, der Untersetzte würde sofort schießen, und man würde den Schuss drinnen im Penthouse nicht mal hören. Schweißtropfen bildeten sich auf der Stirn des Riesen.

„Sie gehen voran“, befahl der blonde Overallträger, und seine Stimme war wie das Zischen einer Kobra.

Der Riese drehte sich langsam um.

Beinahe provozierend langsam, wenn man die Lage bedachte, in der er sich befand. Der Schalldämpfer wurde ihm jetzt in den Nacken gedrückt.

„Was immer Sie auch vorhaben, es ist ein Fehler“, sagte der Riese, aber seine Stimme klang dabei brüchig, denn er wusste, dass er keine Chance hatte. Er hatte es mit Profis zu tun und das hieß, dass sie ihn mit Sicherheit nicht am Leben lassen würden. So ging das Spiel nun mal. Der Riese hatte es selbst schon gespielt.

„Mund halten!“, erwiderte der Blonde kalt.

„Man kann über alles reden und Mister Ugarimov...“

„Mund halten!”

„Ja, schon gut.”

„Und Tür öffnen!“

„Mit Ihnen kann man nicht diskutieren, was?“

„Nein.“

„Scheiße, dachte ich mir doch...“

5

Der Blonde schob den Riesen vor sich her, drückte ihm noch immer die Waffe in den Nacken.

Ziemlich grob sogar.

Und schmerzhaft.

Der Untersetzte schloss hinter ihnen die Tür.

Die lichtdurchflutete Penthousewohnung mit dem traumhaften Blick auf den Central Park war sehr weiträumig und hatte mehrere Zimmer.

Im Empfangsraum befand sich eine moderne Sitzecke.

Futuristisches Design. Viel Plastik in geschwungenen Formen, dafür wenig Polster. Eine Wohnung, die aussehen soll, als käme sie aus dem übernächsten Jahrhundert.

Ein Mann saß dort, er hätte der Zwilling des Riesen sein können, zumindest was den Körperbau betraf. Allerdings war er rothaarig.

„He, Joe. Was ist denn...?“ Er blickte von der Zeitung auf, in der er gelesen hatte, dann sprang er hoch, griff unter sein Jackett.

Er reagierte schnell, aber doch nicht schnell genug.

Er hatte die Waffe noch nicht hervorgezogen, da ertönte ein Geräusch, das wie ein kräftiges Niesen klang.

Der Schuss einer Schalldämpferwaffe.

Kurz und endgültig.

Wie ein Schlusspunkt.

Aus und vorbei in einem Sekundenbruchteil.

Auf der Stirn des Rothaarigen bildete sich ein roter Punkt, der Leibwächter wurde in den futuristischen Sessel zurückgeworfen.

Seine Arme fielen zur Seite, die Waffe entglitt seiner kraftlosen Hand, fiel zu Boden, der weiche Teppich dämpfte den Aufprall.

Die Augen waren starr.

Und die des Riesen wurden es auch.

Vor Schrecken.

Gefrorener Schrecken, der sein Gesicht zur Maske werden lässt.

Dann - eine Stimme wie klirrendes Glas.

„Wo ist er?“, fragte der Blonde den Riesen, den er immer noch mit der Waffe im Schach hielt. Er flüsterte es so leise, dass man es kaum hören konnte. Sein Kumpan, der untersetzte Schwarzhaarige, hatte den anderen Leibwächter erschossen. Der Aufprall des Körpers auf dem Boden hörte sich an, als ob jemand einen nassen Sack fallen ließ.

Vom Schuss war nichts zu hören gewesen.

Auch die Waffe des zweiten Killers hatte nämlich einen Schalldämpfer.

„Wo ist er?“, wiederholte der Blonde.

Seine Stimme hatte einen schneidenden Tonfall bekommen.

Man musste kein Telepath sein, um seine Gedanken zu erraten. Antworte schon, du Arsch, oder du wirst es bereuen!

„Wer?“, fragte das zukünftige Opfer, das die Gedanken auch errät, ja, sie so klar erkennen konnte, als würde eine Denkblase über dem Kopf dieses blonden Todbringers schweben.

„Verarsch mich nicht.“

„Ugarimov?“

„Wer wohl sonst?“

„Weiß... weiß nicht.“

„Ach, wirklich?“

„Ja.“

Man konnte die Angst, die der Hüne empfand, beinahe riechen.

„Du willst doch am Leben bleiben“, sagte der Blonde, und seine Stimme klang wie fernes Donnergrollen.

Der Riese schluckte.

Sein Adamsapfel tanzte dabei. Ging auf und nieder. Zweimal.

Hatte er noch eine Chance?

Er schien diese Frage für sich zu verneinen.

Verdammte Scheiße!, dachte er. So eine gottverdammte Scheiße! Das war sein Ende. Es war mehr als nur eine Ahnung. Es war beinahe Gewissheit. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Die Augen glänzte. Eine Ader am Hals pulsierte heftig.

Er sagte: „Ihr werdet mich sowieso töten.“

Es war eine Feststellung. Die eigene Stimme klang ihm fremd, als er das sagte.

Fremd und schwach.

Verflucht schwach.

Die Ader an seinem Hals pulsierte immer ungesunder.

„Warte es doch ab.“

„Ich weiß doch, wie sowas läuft…”

„Ach, wirklich?”

„Ja.”

„Sag uns einfach alles, was wir hören wollen und wir sind alle glücklich.”

Der Riese atmete tief durch. „Ich... ich glaube, dass er im Schlafzimmer ist.“ Dabei deutete er mit der Linken auf eine der Türen, die vom Empfangsraum abzweigten.

„Danke.“

Wieder ertönte dieses Niesen. Zweimal kurz hintereinander.

Und der Riese sackte in sich zusammen, blieb reglos am Boden liegen, während sich eine rote Lache um ihn bildete. Seine Auge waren weit aufgerissen.

Der Blonde stieg über die Leiche hinweg zur Schlafzimmertür, während sein Komplize mit der Waffe in der Hand an der Wohnungstür verharrte.

Mit einem wuchtigen Tritt ließ der Blonde die Schlafzimmertür aufspringen.

Ein Mann in den Fünfzigern, grauhaarig und mit Oberlippenbart, saß aufrecht in einem breiten Doppelbett, vor sich ein üppiges Frühstück auf einem Tablett. Er zuckte erschrocken zusammen, blickte auf, und eine Tasse entglitt seinen Fingern. Der Kaffee ergoss sich ins Bett. Braun. Wie flüssige Scheiße.

Ugarimov saß aufrecht da.

Der Kinnladen fiel ihm herunter.

Er sah ziemlich fassungslos aus.

Eine Sekunde blieb ihm, um dieses Gesicht zu formen. Eine ganze Schrecksekunde. Mehr nicht.

Er hatte nicht mal mehr Gelegenheit aufzuschreien, bevor ihn zwei Schüsse förmlich ans Bett nagelten. Sein gefrorener Blick drückte jetzt Verwunderung aus. Die Kugeln stanzten sich durch seinen Körper hindurch, ließen ihn zucken wie eine bereits leblose Puppe.

Der Mund war zur Hälfte, die Augen ganz geöffnet. Es sah aus, als hätte er noch etwas sagen wollen. Ein letzter stummer Schrei. Mehr war es nicht.

Ugarimov war Vergangenheit.

Der Blonde atmete tief durch. „Abschaum“, murmelte er. Er hätte am liebsten ausgespuckt. Aber natürlich war er clever genug, das nicht zu tun. Schließlich wollte er ja nicht unnötig DNA hinterlassen. Die Zeiten hatten sich in dieser Hinsicht leider geändert. Man konnte im Job seine Gefühlen nicht mehr freien Lauf lassen.

Das dumpfe Niesen einer Waffe mit Schalldämpfer ließ ihn plötzlich herumfahren. Aus einer der anderen Türen war eine Frau im Bademantel herausgetreten. Sie war blond und ziemlich grell geschminkt.

Sie sah gut aus.

Zumindest bevor sie von der Kugel getroffen wurde.

Der Schuss hatte sie zusammenklappen lassen wie ein Taschenmesser, und jetzt lag auch sie leblos und mit starren Augen auf dem Boden.

„Sie... Sie kam so plötzlich aus dem Bad“, sagte der Untersetzte fast entschuldigend.

„Schon gut“, erwiderte der Blonde tonlos. „Auch sie war Abschaum. Oder siehst du das etwa anders?“

„Nein.“

„Na, also!“

„Komm jetzt.”

„Okay.”

„Du verlierst doch jetzt nicht die Nerven, oder?”

„Nein.”

„Na, hoffentlich. Ich kann Unprofessionalität nicht leiden.”

„Ist schon klar.”

6

Ich kannte diesen Blick.

Diesen ganz bestimmten Blick voller Vorteile und Misstrauen.

„Wer sind Sie?“

„Hier!“

„Was?“

„Na sehen Sie doch! Oder haben Sie Ihre Lesebrille nicht auf?“

„Na hören Sie mal...“

„Murray Abdul, Special Cases Field Office!“ Ich zeigte meinen Dienstausweis dem uniformierten Cop, der die undankbare Aufgabe hatte, Unbefugte vom Betreten des Tatortes abzuhalten.

„Falls Sie den Eindruck haben, dass ich schlechte Laune habe, stimmt das.“

„Trotzdem...“

„Auf ihn ist heute geschossen worden“, schaltete sich Lew Parker ein. Klang wie eine schwache Entschuldigung für meinen verbalen Fehltritt.

„Habe davon gehört“, sagte der Cop.

„Na, dann wissen Sie, weshalb mein Partner so drauf ist.”

„Kann ich verstehen.”

„Sehen Sie!”

„Das ginge mir auch an die Nieren. Nein, nein, Irre gibt's… haben nichts Besseres zu tun, als Cops aufs Korn zu nehmen.” Der Uniformierte sah mich an. Und zwar ganz anders als vorhin. „Wie gesagt, ich kann Sie gut verstehen.”

Diese Ich-habe-so-viel-Verständnis-Tour kann ich für gewöhnlich überhaupt nicht leiden.

Darum sagte ich: „Heißt aber nicht, dass ich jetzt darüber quatschen will.“

Der Cop wandte sich an Lew. „Ich hoffe für Sie, dass er auch mal gutgelaunt ist!“

„Naja - mal so mal so.”

„Er sollte zum Anti-Aggressionstraining gehen.”

„Hat Ihnen auch geholfen?”

„Genau.”

„Ich glaube, für Murray ist das nichts.”

„Wieso?”

„Das würde es bei ihm nur schlimmer machen.”

Mein Freund und Kollege Lew Parker grinste. Er tat es mir gleich, zeigte seine ID-Card vor und der Uniformierte nickte, ließ uns vorbei.

Wir waren die letzten am Tatort, einer noblen Penthouse-Adresse am South Central Park. Eine Wohnung in traumhafter Lage, mit einem Ausblick, für den man sicher viel Geld berappen musste.

Jetzt sah sie aus wie ein Schlachtfeld.

Ich sah die zusammengekrümmten Leichen einer Frau und zwei Männern, die offenbar als Leibwächter für den Besitzer dieses Penthouses gearbeitet hatten.

In der Mitte des Raums stand ein Mann in einem grauen Wollmantel, den Kragen hochgeschlagen. Er drehte sich jetzt zu uns um, und ich sah, dass sein Gesicht ziemlich zerfurcht war. Er bedachte uns mit einem abschätzenden Blicken.

„Wer sind Sie? Was machen Sie hier?“, fragte er etwas unwirsch.

„Special Cases Field Office“, sagte Lew. „Dies ist Agent Abdul, mein Name ist Parker.“

„So?“, fragte der Mann im Wollmantel nachdenklich zurück und atmete tief durch. Seine Augenbrauen zogen sich zu einer Schlangenlinie zusammen.

Ich fragte mich, warum der Kerl so gereizt auf uns reagierte. Allah, was für ein Kotzbrocken! Nicht zum Aushalten! Ich sah die Dienstmarke des Police Department durch den offenen Mantel und das ebenfalls geöffnete Jackett an seinem Gürtel hängen.

Wir zeigten ihm unsere Ausweise, die ihn aber nicht zu interessieren schienen.

„Sind Sie Captain Webbs?“, fragte ich.

Zur Antwort gab es ein Geräusch.

Eines, das ziemlich unappetitlich klang.

Er zog geräuschvoll seinen Nasendreck in die Stirnhöhle. Hatte sich wohl erkältet. Bei dem wechselhaften New Yorker Wetter war das auch nicht weiter verwunderlich. Da holte man sich dauernd was.

„Ja“, knurrte er. „Mordkommission, 18. Revier Midtown North. Woher...?“

„Ihr Chief sagte mir, dass Sie den Fall bearbeiten...“ Ich hatte schon von Webbs gehört. Vor allem dann, wenn von Beförderungen die Rede war. Er musste gut sein. Jedenfalls war er die Karriereleiter ziemlich schnell hinaufgestolpert.

Webbs kam auf uns zu, reichte erst Lew und dann mir die Hand und versuchte im Gedächtnis zu halten, dass meine Hand jetzt vermutlich Virenverseucht war und ich mir besser erst die Hände wusch, bevor ich mir damit in der Nase popelte oder irgendeine andere Körperöffnung berührte. Ist einer der Nachteile in unserem Job. Da schüttelt man viele Hände. Aber wenn Sie irgendjemanden treffen, der sagt: Ich will gerne was mit Menschen machen, dann weisen Sie ihn auf die hygienischen Nachteile solcher Berufe ruhig hin.

Sein Blick wirkte gezwungen freundlich. Aber meinen Instinkt konnte er damit nicht täuschen. Aus irgendeinem Grund störten wir ihn...

Ich fragte mich warum.

War ich wirklich schon so vielen Leuten auf die Füße getreten, dass sich das überall herumgesprochen hatte? Eigentlich dachte ich immer, dass man mit mir gut auskommen könnte, während nur alle anderen unter einem Mangel an Toleranz und Kooperationsbereitschaft leiden. Aber vielleicht war ich auch der Einzige, der die Dinge verkehrt sah.

Scheiß drauf.

Nur Allah kennt die Wahrheit.

„Agent Abdul? Im Police Department ist Ihr Name bekannt wie der eines bunten Hundes.“ Er grinste schief. Dann seufzte er.

„Was Sie nicht sagen…”, murmelte ich.

„Ja, so hat eben jeder seine Ruf”, sagte er.

Das hatte ich befürchtet.

„So kann man es auch sehen.”

„Sehen Sie das anders?”

„Ich nenn’s Vorurteile.”

„Wie?”

„Vorgefasste Meinungen? Sowas kennen Sie natürlich nicht.”

„Scheiße, sind sind Sie ein Liberaler?”

Er sagte das wie ein Schimpfwort.

Liberaler.

Er hätte auch gleich Kommunist oder Terrorist oder 9/11-Attentäter sagen können.

Oder auch Scheißkerl.

Es wäre auf das Gleicher herausgekommen.

Seine Ablehnung wäre selbst dann noch passabel rübergekommen, wenn er irgendeine unbekannte Sprache gesprochen hätte, von der ich kein Wort verstand.

Und er sprach es so aus, als hätte er entweder eine heiße Kartoffel oder ein Stück Scheiße im Mund. Das ergibt dann immer einen ganz speziellen Tonfall, der sich schwer imitieren lässt.

„Nennen Sie mich Murray“, sagte ich, in der Hoffnung, etwas wärmer mit ihm zu werden. Außerdem war anzunehmen, dass wir nicht zum letzten Mal zusammenarbeiteten. Irgendwo und irgendwann trifft man sich immer wieder in New York. Der Big Apple ist auch nur ein Dorf. Jedenfalls, wenn man zur selben Branche gehört. Dann läuft man sich auch in einer Acht-Millionenstadt immer wieder über den Weg.

Webbs nickte lediglich, ohne das Angebot zu erwidern, das ich ihm gemacht hatte.

Dann sagte er: „Der Chief sagte mir schon, dass jemand vom Ihrer Truppe hier früher oder später aufkreuzen würde. Schließlich ist Vladimir Ugarimov alles andere, als ein gewöhnliches Mordopfer…”

„Das ist wahr“, gab ich zurück.

„Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass Sie so schnell sind...“

„Ach, ja?“

„Wir stehen noch am Anfang unserer Ermittlungen und es wäre nett, Sie würden uns erst einmal ein bisschen vorankommen lassen, bevor Sie hier für Stress sorgen...“

„Ich mache keinen Stress“, stellte ich klar.

„Na großartig.“

„Aber ein bisschen voran gehen sollte die Sache schon, oder?“

„Das wird sie auch.“

„Um so besser.“

„Na sehen Sie!”

„Dann sind wir uns ja einig.”

Er verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich aus einem unerfindlichen Grund nicht mochte, und ich fragte mich, ob das etwas Persönliches war oder nur damit zu tun hatte, dass ich mich gerade auf einem Terrain tummelte, das er als sein Privatrevier betrachtete.

Ich ging an Webbs vorbei und warf einen Blick ins Schlafzimmer. Im Bett lag eine vierte Leiche.

Vladimir Ugarimov.

Ich kannte ihn von Fotos her. Im FBI-Computer gab es ein umfangreiches Dossier über ihn, und seine Prozessakten hätten eine mittlere Gemeindebibliothek gefüllt.

Er war Ukrainer, der auf dubiose Weise zu erheblichem Reichtum gekommen war. Man vermutete ihn als Drahtzieher hinter kriminellen Geschäften mit Giftmüll, aber für eine Verhaftung hatten die Beweise nie ausgereicht, oder sie waren aus irgendwelchen Gründen als nicht gerichtsverwertbar abgelehnt worden.

Das Giftmüllgeschäft war zur Zeit eine Domäne der Ukrainer, und sie verteidigten sie mit Klauen und Zähnen. Die Sache war ganz simpel und hatte auch höhere Gewinnspannen als der Rauschgifthandel. Man ließ sich für die Entsorgung von Giftmüll bezahlen, aber anstatt diesen wirklich auf teure Deponien zu bringen, ließ man ihn einfach in einem angemieteten Lagerhaus vor sich hin modern. Wenn der Schlamassel bemerkt wurde, waren die Täter längst über alle Berge und versuchten dieselbe Masche unter neuem Namen in einer anderen Stadt.

Ugarimov hatte sich ganz nach oben geboxt, und es war ein offenes Geheimnis, dass er seine Finger inzwischen auch in anderen dubiosen Geschäften gehabt hatte. Jetzt hatte seine Glückssträhne offensichtlich ein Ende gefunden.

„Was haben Ihre Ermittlungen bisher ergeben?“, fragte ich Captain Webbs, der mir ins Schlafzimmer gefolgt und hinter mir stehengeblieben war. Ich drehte mich zu ihm um, und er zuckte die breiten Schultern.

„Ein paar Ratten haben sich gegenseitig ausgelöscht. So sehe ich das.“

„Ich wollte einen Bericht, nicht Ihre Meinung über Mister Ugarimov.“ Ich sah ihn an und fügte hinzu: „Sie scheinen noch etwas mehr über Ugarimov zu wissen.“

Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

So als wollte er eine Fliege erschlagen.

„Was man so hört.“

„Und - was hört man?“

„Das steht doch alles in Ihren Akten. Er war ein Gangster, der es inzwischen weit genug gebracht hatte, um andere Gangster für sich arbeiten zu lassen. Und sich eine Wohnung wie diese hier zu leisten.“

„Ist übrigens seine Zweitwohnung“, warf Lew ein.

Webbs hob die Augenbrauen. „Ach...“

„Ja, kaum zu glauben”, sagte Lew.

„Und was ist das für eine Hütte, wo er tatsächlich wohnt?”, fragte Webbs.

„Er wohnt eigentlich in Paterson, New Jersey“, ergänzte Lew Parker. Ugarimov war also kein Bürger des Staates New York. Das allein schon machte seinen Tod zu einem Fall, der in unsre Zuständigkeit fiel, selbst wenn er nicht eine bekannte Größe des organisierten Verbrechens gewesen wäre.

Webbs begriff das auch sofort.

Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Also euer Fall”, stellte er fest.

„Unser Fall”, bestätigte Lew.

Ich hielt es nicht für notwendig, mich da einzumischen und das auch noch einmal zu bekräftigen, auch wenn die Tatsache, dass der Tote kein Bürger des Staates New York war, es zwar rechtfertigte, dass sich das FBI einschaltete. Aber das es gleich eine Spezialabteilung wie das Special Cases Field Office sein musste, erklärte sich damit noch lange nicht.

Webbs schien das egal zu sein.

Glücklicherweise.

Ich hasste Diskussionen um die Zuständigkeit.

Aber sie kommen leider immer wieder vor.

„Schon in Ordnung“, knurrte Webbs, dann erklärte er: „Der Security-Mann unten an der Pforte spricht von zwei Heizungsmonteuren, die hier hinauf wollten. Er hat sich telefonisch erkundigt - die beiden wurden tatsächlich erwartet. Merkwürdig war nur, dass eine halbe Stunde später nochmal zwei Monteure auftauchten. Die haben die Sauerei dann entdeckt.“

„Dann waren die beiden ersten also falsch“, stellte ich fest.

„Anzunehmen. Die Mörder sind richtig professionell vorgegangen und haben offenbar auch Schalldämpfer benutzt. Jedenfalls hat niemand Schüsse gehört. Und gute Schützen waren sie auch. Sie haben verdammt gut getroffen.”

„Tatzeit?“, fragte ich.

„Heute morgen, so gegen neun Uhr. Bei allem anderen müssen Sie schon auf das Labor warten.“

Ich nickte.

„Verstehe.”

„Haben Sie sonst eine Frage?”

Natürlich hatte ich das, auch wenn Webbs wohl langsam die Lust verging, den Antwort-Onkel zu spielen. Aber das war im Moment nunmal seine Rolle in diesem Spiel. Und die konnte ich ihm nicht ersparen. Inschallah...

Ich fragte: „Gibt es brauchbare Beschreibungen der beiden falschen Monteure?“

Webbs hob die Augenbrauen. Sie bekamen einen ziemlich steilen Steigungswinkel. Fast wie bei Mister Spock. Oder irgendeinem Teufel oder Dämon.

„Der Pförtner ist bei uns auf dem achtzehnten, er hilft bei der Erstellung von Phantombildern.“

„Gut.“

„Wer war die Frau?“, fragte Lew.

Er meinte die Frauenleiche, die in der Tür zum Badezimmer lag.

Webbs kratzte sich am Kinn und die Augenbrauen senkten sich wieder. „Reese Panadero. lebte seit drei Monaten in dieser Wohnung.“

„Und die beiden Leibwächter?“, fragte Lew.

„Keine Ahnung. Sie hatten keine Papiere bei sich.“ Webbs grinste schief. „Aber das kriegen wir auch noch raus.“

„Bestimmt”, sagte ich.

„Ja, oder wollen Sie das lieber alleine machen?”

„Nein, nein”, versicherte ich. „Die Amtshilfe der City Police können wir gut gebrauchen.”

7

Es war ein lausig kalter Tag, und man hatte das Gefühl, dass einem die Ohren abfroren, sobald man sich im Freien aufhielt.

Aber ich hatte es längst aufgegeben, über das New Yorker Wetter zu schimpfen. Über die Hitze im Sommer und die Kälte im Winter.

Es gab Schlimmeres.

Und man muss es sowieso nehmen, wie es kommt.

Manche Ding sind eben gewissermaßen Schicksal. Das Wetter gehört dazu. Dass ich mit einem seltsamen unpatriotischen Namen geboren wurde ebenfalls. Und die roten Haare will ich in diesem Zusammenhang gar nicht erst erwähnen. Aber ich glaube, das war ein anderes Jahrhundert, in dem mir rote Haare hätten gefährlich werden können.

Sowas ändert sich immer mal.

Zurzeit war es mein arabischer Name, der mir wie ein übles Geschwür an der Backe hing.

Vielleicht ist Schicksal das falsche Wort.

Zeitgeist.

Das trifft es vielleicht besser.

Für die, die darunter zu leiden haben, ist es sowieso immer dasselbe. Scheiße, wenn man gerade die Arschkarte gezogen hat.

„Denkst du zwischendurch mal über unseren Fall nach oder hast du gerade mal wieder eine Phase verstärkten Selbstmitleids?”, fragte Lew.

„Häh?”

„Du hast mich schon verstanden. Nicht, dass ich es nicht verstehen könnte, wenn jemand, wie du, auf den andauernd geschossen wird, übel drauf ist.”

„Was beklagst du dich dann?”

„Im Ernst: Ich brauche einen Partner, auf den ich mich verlassen kann. Keine wandelnde Depression. Bist du diensttauglich?”

„Sicher.”

„Ich weiß nicht. Wenn ich an deiner Stelle wäre, Murray…”

„Was dann?”

„...wäre ich wahrscheinlich nicht mehr diensttauglich, sondern reif für eine gepflegte, abgeschiedene Anstalt, wo ich mich so lange verkriechen würde, bis die Kollegen den Schweinehund erwischt haben, der mich ins Visier genommen hat.”

„Ich bin eben nicht du, Lew.”

„Nee, bist du nicht.”

„Lew, ich steck das weg.”

„Gut.”

„Und ich denke an nichts anderes, als an den Fall.”

„Gut.”

„Ehrlich, Lew! Ich kann schon gar nichts anderes mehr denken. Aber dass ich mich zwischendurch mal umdrehe, ob da vielleicht zufällig irgendwo dieser Irre gerade auf mich anlegt, ist doch wohl erlaubt, oder?”

Lew nickte. „Ist erlaubt”, sagte er großzügig.

„Und davon abgesehen solltest du auch mal eines bedenken.”

„Was?”

Ich hob die Augenbrauen. Ich merkte außerdem, dass meine Hände in meinen Handschuhen irgendwie schwitzten, was eigentlich nicht hätte passieren dürfen.

Vielleicht hatte ich aber sonst auch einfach weniger geschwitzt. Die Temperatur war sowieso eigentlich nicht typisch fürs Schwitzen. An keiner Stelle des Körpers.

Und nichtmal dann, wenn die Handschuhe entgegen dem Etikett in Wahrheit aus Kunstleder waren.

Über den waren Grund, weshalb einer anfängt, an einem kalten Wintertag in seinen Handschuhen zu schwitzen, wollte ich eigentlich auch gar nicht weiter nachdenken…

Und schon gar nicht wäre ich dazu bereit gewesen, mir selbst einzugestehen, dass mich die Sache mit dem Irren vielleicht doch etwas mehr mitnahm, als ich wahrhaben wollte.

Ich sagte: „Der Kerl hat bis jetzt immer daneben geschossen, Lew. Er schießt mit Absicht daneben. Oder er erschießt Leute, die in meiner Nähe sind, damit ich mich schuldig an ihrem Tod führe.”

„Also im Klartext: Ein richtig fieses Arschloch.”

„Ja. Aber der springende Punkt ist: Du bist viel mehr gefährdet als ich, Lew. Schließlich hängst du dich zwei Drittel des Tages in meiner Nähe herum und wärst damit für den Irren ein perfektes Ziel.”

„Siehst du: Und ich nehme das vollkommen gelassen hin, Murray.”

Wir lachten beide.

Kann vielleicht niemand nachvollziehen, wieso wir lachten. Aber wir taten es. Irgendwie war es einfach witzig - auf eine vielleicht etwas schräge Weise.

Und abgesehen davon war es ein Zeichen dafür, dass Lew und ich gerade auf dem Weg waren, ein wirklich gutes Team zu werden. Wenn man schonmal anfängt über denselben Scheiß zu lachen, dann ist das immer eine gute Voraussetzung für alles mögliche.

Ein Paar konnten wir auf Grund unserer unterschiedlichen sexuellen Orientierung schonmal schlecht werden.

Aber wir waren vielleicht irgendwann viel mehr als das.

Partner nämlich.

„Was denkst du über den Fall?”, fragte ich nach einer angemessen langen Pause nach diesem gerade vorübergegangenen Moment des Gelächters, das wir beide richtig gedeutet hatten.

„Düstere Aussichten“, meinte Lew, während wir am Central Park West entlangschlenderten, bis wir meinen Wagen erreicht hatten und einstiegen.

Mir klapperten die Zähne wie schon lange nicht mehr.

„Irgendjemand versucht da ganz gewaltig aufzuräumen“, sprach Lew weiter. „Ein Bandenkrieg ist so gut wie unausweichlich...“

„Ich fürchte, da hast du recht.“

Vielleicht hätten wir froh darüber sein sollen. Gangster legten Gangster um. Das war doch mal eine Abwechslung und erleichterte uns den Job. Aber so etwas denkt man nur. Aber nicht einmal das tut man zu laut.

Lew fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Sein Blick wirkte nachdenklich. „Dies ist der dritte Tote in dieser Serie...“

„Vorsicht!“, erwiderte ich. „Wir wissen noch nicht, ob es wirklich derselbe Täter ist“, gab ich zu bedenken.

Lew zuckte die Achseln.

„Nach den ballistischen Untersuchungen werden wir es wissen.”

„Sicher…”

„Ich wette mit dir, dass in allen drei Fällen die Kugeln aus denselben Waffen stammen.”

„Und um wie viel wettest du?”

„Um viel.”

„Na, dann…”

„Und wenn du die Vorgehensweise bedenkst...“

Ich sah meinen Kollegen fragend an. „Drei Morde“, murmelte ich. „Und die Opfer waren jeweils Leute, die in der Unterwelt eine Rolle spielten. Rizzos, der Waffenhändler. Dominicanez, der Kokain-König. Und jetzt...“

„Ugarimov“, vollendete Lew. „Außer der Tatsache, dass alle wahrscheinlich Verbrecher waren, haben sie aber nichts gemeinsam. Nicht einmal die Branche...“

„Aber offensichtlich haben sie einen gemeinsamen Feind!“

Lew nickte.

„Fragt sich nur, wer das ist.“

Ich lachte heiser.

„Und New York war gerade dabei, den Ruf zu erringen, einer der sichersten Städte der USA zu sein.“

Lew verstand, was ich meinte.

Wenn irgendein bislang unbekanntes Syndikat seine Klauen nach New York ausstreckte und es zum Gangsterkrieg kam, dann konnte es mit der relativen Ruhe schnell vorbei sein.

Und dann hatte die ganze Stadt darunter zu leiden.

8

Ich rief kurz in unserer Zentrale an.

Schließlich wollte ich wissen, was die ballistischen Tests ergeben hatten.

Nicht was unseren Fall anging, sondern was MEINEN Fall anging. Der Fall, in dem ich selbst das Opfer hätte sein sollen.

Ich hatte großes Glück gehabt.

Aber das war mir auch bewusst.

Dass es stattdessen andere erwischt hatte, lastete irgendwie auf meiner Seele.

Das Schuldgefühl des Überlebenden. Psychologisch ein bekanntes Phänomen.

Dieses abstrakte Wissen hilft einem allerdings nicht im mindesten, wenn man selbst davon betroffen ist.

Ist einfach so.

„Wisst ihr schon was?“, fragte ich den Kollegen aus dem Innendienst des Special Cases Field Office.

„Ja.“

„Und?“

Ich konnte meine Ungeduld kaum verbergen.

Ist manchmal ein Charakterfehler von mir, den ich einfach nicht gut genug zu verbergen weiß: Ungeduld.

„Es wird dich kaum überraschen, Murray.“

„Es ist also derselbe Täter, der mich schon ein paar Mal um die Ecke bringen wollte.“

„Ja.“

„Danke.“

Wusste ich es doch. Aber es war ein mieses Gefühl, dass da jemand aus dem Verborgenen heraus auf mich Jagd machte. Nein, nicht auf mich. Bis jetzt nur auf Leute in meiner Umgebung. Wenn es um mich gegangen wäre, hätte ich das unter die Rubrik Berufsrisiko gepackt. Als Cops haben wir es nunmal auch mit Menschen zu tun, die nicht nett sind. Und manche dieser Arschlöcher stehen sogar auf der anderen Seite der Grenze, die das Gesetz gezogen hat.

Aber dass jemand, der mir an die Gurgel will, andere Leute dafür büßen lässt, hatte etwas selten Perfides an sich.

Etwas, das mich rasend machte.

Und genau das sollte wohl auch der Sinn der ganzen, unappetitlichen Angelegenheit sein. Mich in den Wahnsinn treiben und dann, wenn ich vielleicht selbst nicht mehr wusste, ob ich Muslim, Christ oder einfach nur ein Idiot war, mir zuletzt dann doch noch eine Kugel in den Kopf jagen.

Oder er will mich dazu bringen, das mit ihm zu machen, ging es mir durch den Kopf. Dann sitze ich am Ende im Knast, weil ich diesen Irren zur Strecke gebracht habe und der Kerl hat auch sein Ziel erreicht…

Nichts war so pervers und verdreht, dass ich es meinem unbekannten Gegner nicht zugetraut hätte.

„Er scheint diese Waffe für dich reserviert zu haben, Murray. Außer bei den Anschlägen, bei denen du immer in der Nähe gestanden hast, wurde sie nämlich nie benutzt.“

„Zumindest nicht, dass es aktenkundig geworden wäre.“

„Ja. Mit dieser Einschränkung.“

„Bis später.“

„Vielleicht wissen wir dann schon mehr.“

Aber das hatte er bei den bisherigen Attentaten auf mich auch immer gesagt.

Es war leider nie eingetreten.

Ich hasse leere Versprechungen.

9

Es herrschte dichter Verkehr, und daher waren die gut 50 Kilometer zwischen Midtown Manhattan und dem auf der anderen Seite des Hudson in New Jersey gelegenen Paterson eine wahre Quälerei.

Ugarimovs Sandstein-Villa war groß und protzig und hatte vermutlich das Doppelte von dem gekostet, was zwei Agents des Special Cases Field Office in ihrem ganzen Leben verdienten.

Als ich den Wagen am Straßenrand parkte und ich Lews Blick sah, mit dem er das Anwesen bedachte, wusste ich, was in ihm vorging.

So gut kannten wir uns inzwischen.

Seine Gedanken waren in diesem Moment für mich ein offenes Buch.

Er dachte genau dasselbe wie ich.

„Vom finanziellen Standpunkt aus betrachtet, haben wir wohl die falsche Seite gewählt, was?“

„Tja…”

„Ist doch wahr, Murray!”

Ich hob die Augenbrauen.

„Findest du wirklich?“

„Nun...“

„Ugarimov hat jetzt nicht mehr viel von all seinem Reichtum. Im Leichenschauhaus sind alle gleich. Und wenn er kein Mafia-Boss, sondern ein ganz gewöhnlicher Klempner oder Busfahrer wäre, wäre er jetzt vermutlich noch am Leben.”

„Das ist allerdings wahr.“

„Um ein Haar wäre ich ja selbst dort gelandet. Im Leichenschauhaus, meine ich.”

Lew runzelte die Stirn.

„Kann es sein, dass du im Moment einer ziemlich düster geprägten Grundstimmung nachhängst?“, fragte mein Kollege.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Wundert dich das?“

„Nein.“

„Na, also!“

„Aber du solltest das, was passiert ist, so schnell wie möglich aus einem Kopf bannen, Murray.“

„Wenn das so einfach wäre, Lew!“

„Wer sagt denn, dass es einfach ist, Murray?“

„Ach, Lew...“

„Aber notwendig ist es. Sonst hast du eine Gedanken nicht für den Fall frei, den wir im Moment zu lösen haben. Und wenn du mich fragst, bist du im Moment hart an der Grenze der Dienstunfähigkeit.”

„Hey, nicht übertreiben.”

„Das ist nicht übertrieben. Es ist einfach nur die Wahrheit, auch wenn du die nicht so gerne hören willst.”

„Amen.”

„Bedeutet: Ich habe recht, oder?”

Darauf gab ich keine Antwort.

Er hatte natürlich recht.

Ich gab es ungern zu, aber Lews Worte trafen den Kern der Sache. Jedes einzelne davon.

Allerdings war ich froh, nicht länger darüber reden zu müssen. Ich glaube nämlich nicht unbedingt, dass durch andauerndes Besprechen Probleme besser werden oder einfacher zu ertragen sind. Manchmal wird dadurch nämlich erst richtig kompliziert. Und wozu, so frage ich all die Hobby-Psychoanalytiker, die heute so herumlaufen und die man inzwischen in jeder Behörde, in jeder Firma und in jedem Dienstrang zuhauf findet, wozu hat Allah uns die Kraft zur Verdrängung gegeben?

Damit wir sie nicht benutzen?

Das will ich mir nicht vorstellen.

Will ich einfach nicht.

10

Wir stiegen aus.

Die Villa war von einem schmiedeeisernen Zaun umgeben. Wir traten ans Tor, und uns traf ein unangenehm kalter Wind, der durch die großzügig angelegte Allee fegte, die auf Ugarimovs Villa zuführte. Eine gute Adresse, eine feine Gegend...

Irgendwo verschluckte der Wind das Knurren eines Hundes.

Ein Mann wie Ugarimov musste sein Haus natürlich vor ungebetenen Gästen schützen.

Das Tor war gusseisern und so massiv, dass man einen Panzer brauchte, um durchzukommen. Ein Blick zwischen den Gitterstäben hindurch zeigte ein paar nervös wirkende Männer in dunklen Anzügen. Walky Talkys verbeulten die Jackettaußentaschen und hier und da sah ich offen getragene Maschinenpistolen vom Typ Uzi. Es war kein Wunder, dass man nicht versucht hatte, Ugarimov hier, in dieser Privatfestung umzubringen.

Das wäre schwierig geworden.

Selbst für ein professionelles Killer-Kommando.

Dass wäre höchstens etwas für die Navy Seals gewesen, so wie bei der Sache mit Osama bin Laden. Aber so wichtig, dass Ugarimov auf der Todesliste unseres Präsidenten stand, war er wohl nicht. Es gibt eben unterschiedliche Klassen von Schurken.

Ich drückte auf den Knopf neben der Gegensprechanlage.

Eine Männerstimme knurrte ein launiges: „Sie wünschen?“

Ich sagte: „Special Cases Field Office.“

„Mister Ugarimov ist nicht zu Hause.“

„Wir hätten gerne Mrs. Ugarimov gesprochen.“

Lew und mir war bekannt, dass er mit einer beinahe dreißig Jahre jüngeren Frau verheiratet war.

Am anderen Ende der Gegensprechanlage herrschte einige Augenblicke lang Schweigen.

Dann bekamen wir eine Antwort.

„Einen Moment!“

Es war eine metallisch klingende Männerstimme. Kalt wie Eis. Abweisend wie der Anwalt einer Versicherung. Fies wie ein Gangster.

Eine, die man in den Disney-Trickfilmen immer den Bösewichten gibt, sodass auch der Blödeste gleich merkt, mit wem er es zu tun hat.

In der Welt, die wir die Realität nennen, hat man es da leider nicht immer so einfach.

In diesem Fall aber schon.

Gut so, dachte ich.

Man musste ja schließlich immer das Positive sehen, auch wenn das in unserem Job nicht immer leicht fällt.

Erstmal geschah gar nichts.

Alles wirkte wie erstarrt.

Eingefroren.

Dann registrierte ich, wie einer der Wächter in den gut sitzenden Beerdigungsanzügen zu seinem Funkgerät griff. Kurz darauf kam er in Begleitung eines bulligen Kerls am Tor an. Dieser hielt einen Rottweiler ziemlich kurz an der Leine. Das Tier fletschte die Zähne und wollte nach uns schnappen. Ein mannscharfes Biest, das speziell auf Menschen abgerichtet war.

Der bullige Hundeführer grinste schief und tätschelte dem Tier am Hals herum. „Er tut nichts. Er mag nur keine Cops“, knurrte er dabei.

„Was Sie nicht sagen“, erwiderte ich kühl.

„Ist aber so.“

„Kann ja sein, dass der Köter nichts tut“, sagte ich. „Für mich gilt das aber nicht.“

„Wie?“

„Wenn er sich bewegt, schieße ich ihm eine Ladung Blei ins Hirn und den Rest können Sie dann an eine Garküche in Chinatown geben!“

Es gibt nur wenige Dinge, die noch weniger politisch korrekt sind, als ein Muslim zu sein. Ich meine jetzt nicht, ein rothaariger Muslim mit irischer Mutter zu sein. Ist auch schlimm, aber nicht wirklich verachtenswert.

Wirklich schlimm ist es, unfreundlich zu Hunden zu sein.

Wer das wagt, hat keine Gnade verdient und steht auf einer Ebene mit den Terroristen des 11. September.

Genau das schien der Gesichtsausdruck des Leibwächters auszusagen, als er mich jetzt anstierte, als wäre ich ein Kannibale.

Lew Parker sah mich tadelnd an.

„Was ist, du schwuler Gutmensch?“, fragte ich.

Lew zog eine Grimasse.

„War das nötig?“

Ich zuckte die Schultern.

„Etwas Spaß muss doch sein.“

„Spinner!“

„Wieso?”

„Ich meine es ernst, Murray.”

„Meistens geht es doch auf meine Kosten, Lew!“

Aber davon wollte Lew nichts hören.

Er machte eine wegwerfende Handbewegung.

Und das sehr ausdrucksstark.

„Sei nicht so ein Jammerlappen, MUHAMMAD! Nur, weil du einen Terroristen-Namen trägst, heißt das nicht, dass du immer das Opfer bist!“

Das saß.

Vor allem die Art und Weise, wie er MUHAMMAD anstatt MURRAY sagte.

Aber er hatte ja recht.

Es war mein Name.

Verbal ist Lew fast so gut wie mit seiner Dienstpistole. Und ab und zu kriege ich das eben zu spüren. Aber wenn man es genau nimmt, schenken wir uns da beide nichts.

Wirklich.

Der hundeführende Wächter, den ich mit meiner Bemerkung so verunsichert hatte, hörte uns stirnrunzelnd zu. Er kraulte seinem besten und vermutlich einzigen Freund den Nacken. Der Hund wirkte ruhig. Vielleicht machte er ja tatsächlich nichts.

Vielleicht...

Wir zeigten den Wächtern unsere Ausweise. Sie wurden eingehend geprüft und mit einem dumpfen Knurren zurückgegeben.

„Sowas gibt’s für drei Dollar auf dem Flohmarkt, wenn man’s drauf anlegt”, meinte einer der Kerle und grinste schief.

Lew grinste nicht.

„Ach, wirklich?”, fragte er und seine Stimme klang dünn und fies.

„Wirklich.”

Lew ist schwul, aber er ist ein konservativer Schwuler. Keiner von denen, die auf dem Christopher Street Day herumhampeln und es lustig finden, wie ein Papagei herumzulaufen. Keiner, der bei den Village People mitsingen würde. Und auch keiner, der in liberale College-Seminare gepasst hätte. Er war einfach ein Spießer und die können es oft auf den Tod nicht ausstehen, wenn man sich über Hoheitszeichen oder das, was man so dafür hält lustig macht.

Und deshalb hatte Lew jetzt auch plötzlich schlechte Laune.

Der Leibwächter, der so unbedacht dahergequatscht hatte, merkte das rechtzeitig.

„Schon gut”, sagte er.

„Finden Sie?”, fragte Lew.

„Folgen Sie uns!“, kam es dann kleinlaut zwischen den dünnen Lippen des Hundeführers hindurch, während der andere Wächter den kurzen Lauf seiner zierlichen Uzi in unsere Richtung zeigen ließ.

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