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Christoph Menke

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Beschreibung

Die Proklamation subjektiver Rechte markierte die Geburtsstunde der bürgerlichen Gesellschaft, schuf aber auch »die Berechtigung des egoistischen, vom Mitmenschen und vom Gemeinwesen abgesonderten Menschen« (Marx). Daher bedarf es einer Kritik der Rechte, die bei der Form ansetzen muss, die die Idee der Rechte dem Wollen und Handeln gibt. Christoph Menke führt eine solche Formanalyse durch und spitzt den entscheidenden Widerspruch bis zu dem Punkt zu, an dem sich die Frage nach einem anderen Recht stellt.

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Christoph Menke

Kritik der Rechte

Suhrkamp

Informationen zum Buch / Autor

Daß wir Rechte haben, ist die große normative Idee der Moderne, deren Ausgestaltung seit den Revolutionen des 18. Jahrhunderts wirkmächtig ist. Die Proklamation subjektiver Rechte markierte die Geburtsstunde der bürgerlichen Gesellschaft, mit dem Liberalismus als ihrer dominanten Theorie. Sie schuf aber auch »die Berechtigung des egoistischen, vom Mitmenschen und vom Gemeinwesen abgesonderten Menschen«, wie Karl Marx bemerkte – und forcierte damit die Entpolitisierung der Politik. Daher, so Christoph Menke, bedarf es einer Kritik der Rechte.Diese Kritik darf jedoch nicht, wie der Liberalismus, lediglich nach der Begründung und den Inhalten von Rechten fragen, sondern muß viel tiefer ansetzen, nämlich bei der Form, die die Idee der Rechte dem Wollen und Handeln gibt. Menke präsentiert eine solche Formanalyse im Anschluß an Marx, Weber, Luhmann und Foucault. Er zeigt, wie das moderne Recht mit dem klassischen Recht bricht, und arbeitet den entscheidenden Widerspruch heraus: Rechte sind das Medium einer radikalen Selbstreflexion der Normativität und zugleich derjenige Mechanismus, der die zwischen Ausbeutung und Normalisierung oszillierenden Herrschaftsverhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft hervorbringt. Diesen Widerspruch bis zu dem Punkt zuzuspitzen, an dem sich die Frage nach einem anderen Recht stellt, ist das Ziel dieses grundlegenden Buches.

 

Impressum

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2015.

 

 

 

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

 

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

© Suhrkamp Verlag Berlin 2015

© Christoph Menke

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Inhaltsverzeichnis

Marx’ RätselI. Geschichte: Die Legalisierung des Natürlichen1. Geschichtsphilosophie der FormDie Verkehrung des PrimatsEine neue Regierungsweise: das »heutige römische Recht«Von Athen nach London2. Das Interesse der SelbsterhaltungVom Anteil zur MachtRecht auf Außerrechtliches3. Die Willkür des InnerenVon der Paideia zur SouveränitätDie Erlaubnis der Freiheit4. Widerstreit der PerformanzExkurs: Die »formale« und die »materiale« Seite (Ihering)II. Ontologie: Der Materialismus der Form5. Die Lücke der LegalitätExkurs: Die Herrschaft des Gesetzes (Neumann)Unterscheidung und SelbstbezugLücke, Gewalt, AusnahmeSelbstreflexion6. MaterialisierungDie Naturalisierung der WeltDer Materialismus der FormDer Grund der Rechte7. Die Kritik der RechteIII. Kritik: Die Ermächtigung des Eigenen8. ErmächtigungDie Politizität privater RechteBeliebenkönnen9. EigenwilleExkurs: Das »Gegebene«. Der juridische Empirismus (Kelsen, Schmitt)Das Eigentum vor dem EigentumVermögen10. Die Privatisierung des Öffentlichen. Zwei BeispieleDas Eigene einklagenDie Erklärung von GrundrechtenDie Regierung der Subjekte11. Fazit: Das bürgerliche Subjekt. Verlust der NegativitätExkurs: Die Pathologie der Rechte. Kritik des Liberalismus (Dworkin)Foucaults Diagnose: Der Rückgang des Rechtlichen12. Subjektive Rechte und soziale Herrschaft: eine SkizzePrivatrecht und KapitalismusSozialrecht und NormalisierungBürgerliche Herrschaft. Ein TableauDer Kampf ums Recht: Kritik im bürgerlichen RechtIV. Revolution: Die Dialektik des Urteilens13. Die Aporie der bürgerlichen VerfassungVerfassungskriseSoziale Konstitutionalisierung: die andere Politik14. Sklavenaufstand: Kritik und AffirmationOhne Rechte: die wahre DemokratieDas Recht der PassivitätDer neue Mensch15. Ein neues RechtDie Dialektik des UrteilensGegenrechteDie Gerechtigkeit der SpaltungRecht und GewaltNamenregister

Marx’ Rätsel

Die bürgerlichen Revolutionen, die seit dem 18. Jahrhundert die Ordnungen traditioneller Herrschaft umstürzen, sind vor allem anderen Deklarationen der gleichen Rechte: Sie erklären die Rechte des Menschen und Bürgers. Die Ordnungen traditioneller Herrschaft waren Ordnungen der Ungleichheit; in ihnen ist die Macht, zu urteilen und zu regieren, radikal ungleich verteilt. Dagegen setzen die bürgerlichen Revolutionen die Gleichheit, und Gleichheit heißt für sie: gleiche Rechte. Beides fällt für sie in eins. Es ist aber nicht dasselbe. Gleichheit heißt nicht Rechte. Die Gleichheit der Rechte ist vielmehr eine spezifische Formbestimmung der Gleichheit. Die entscheidende Tat der bürgerlichen Revolutionen ist daher nicht die Entscheidung für die Gleichheit. Sondern es ist die Entscheidung, der Gleichheit die Form der Rechte zu geben.

Diese Entscheidung ist rätselhaft. In seiner Analyse der »Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers« schreibt Marx:

Es ist schon rätselhaft, daß ein Volk, welches eben beginnt, sich zu befreien, alle Barrieren zwischen den verschiedenen Volksgliedern niederzureißen, ein politisches Gemeinwesen zu gründen, daß ein solches Volk die Berechtigung des egoistischen, vom Mitmenschen und vom Gemeinwesen abgesonderten Menschen feierlich proklamiert […]. Noch rätselhafter wird diese Tatsache, wenn wir sehen daß das Staatsbürgertum, das politische Gemeinwesen von den politischen Emanzipatoren sogar zum bloßen Mittel für die Erhaltung dieser sogenannten Menschenrechte herabgesetzt, daß also der citoyen zum Diener des egoistischen homme erklärt, die Sphäre, in welcher der Mensch sich als Gemeinwesen verhält, unter die Sphäre, in welcher er sich als Teilwesen verhält, degradiert […] wird.1

Rätselhaft ist nach Marx die revolutionäre Erklärung gleicher Rechte durch den Widerspruch im Subjekt: durch den Gegensatz zwischen dem politischen Subjekt, das die Rechte erklärt, und dem sozialen oder privaten Subjekt – in der bürgerlichen Gesellschaft ist beides dasselbe –, das durch die Rechte ermächtigt wird; also zwischen dem Grund und dem Gehalt der Rechte. Die Erklärung der Rechte ist ein politischer Akt, es ist der Akt des Politischen; der Akt, in dem das politische Gemeinwesen sich gegen die Ordnungen traditioneller Herrschaft selbst hervorbringt. Aber weil die politisch erklärten Rechte den unpolitischen (»egoistischen«) Menschen der bürgerlichen Gesellschaft ermächtigen, ist die Erklärung der Rechte zugleich die Degradierung der Politik, ihre Herabsetzung zu einem bloßen Mittel. Sie stellt das politische Gemeinwesen – das »der wahrhafte Inhalt und Zweck« ist2 – in den Dienst »des egoistischen, vom Mitmenschen und vom Gemeinwesen abgesonderten Menschen«. Das Rätsel der bürgerlichen Erklärung gleicher Rechte ist das Rätsel einer Selbstverkehrung: Sie ist der politische Akt der Ermächtigung des unpolitischen Menschen und damit die Selbstentmächtigung der Politik – die Politik der Entpolitisierung. Die revolutionäre Erklärung der Rechte ist der erste und der letzte politische Akt: die Preisgabe der Macht der Politik durch die Politik – Politik zum letzten Mal.

Marx meint: »Das Rätsel löst sich einfach.«3 Diese Lösung besagt: »Die politische Revolution ist die Revolution der bürgerlichen Gesellschaft.«4 Und das heißt: »Die politische Emanzipation [ist] zugleich die Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft von der Politik.«5 Das Rätsel ist, daß die bürgerliche Revolution das politische Gemeinwesen zu einem Mittel für die Rechte des unpolitischen Menschen degradiert. Die Lösung dafür ist, daß die bürgerliche Politik durch die Erklärung der Rechte die bürgerliche Gesellschaft von der Politik emanzipiert. Die bürgerliche Politik setzt sich die bürgerliche Gesellschaft als ihre »Naturbasis« voraus und operiert nunmehr »unter ihrer Voraussetzung«.6 Sie ist die Regierung als Verwaltung der Gesellschaft. Oder: Die bürgerliche Politik ist die »Polizei«.7

Marx sucht die – einfache – Lösung für das Rätsel der bürgerlichen Revolution in ihrer Wirkung, in der er ihr geheimes Ziel sieht: Die bürgerliche Revolution »degradiert« durch die Erklärung der Rechte die Politik zum Mittel, weil sie die bürgerliche Gesellschaft der Politik voraussetzen und damit von der Politik freisetzen will. Aber diese einfache Lösung ist zu einfach. Denn das Rätsel der bürgerlichen Revolution besteht nicht erst darin zu verstehen, warum sie die Politik degradiert, sondern – grundlegender – darin, wie sie dies tut; wie sie dies durch die Erklärung der Rechte tut. Die gleichen Rechte, die die bürgerliche Revolution erklärt, sind nach Marx der entscheidende Mechanismus, der die bürgerliche Gesellschaft politisch hervorbringt. Es ist daher dieser Mechanismus, die Mechanik der Rechte, die verstanden werden muß, wenn das Rätsel der bürgerlichen Revolution gelöst werden soll. Weder die schlechten Wirkungen – die bürgerliche Gesellschaft mit ihren neuen Herrschaftsformen: Ausbeutung und Normalisierung – noch die guten Zwecke – die der Liberalismus dagegen anführt: Würde, Autonomie, Selbstbestimmung usw. – können das Rätsel der bürgerlichen Revolution lösen. Dieses Rätsel verlangt eine Untersuchung der Form der Rechte: der Rechte als Form.

Die These lautet: Wir können die bürgerliche Erklärung gleicher Rechte nicht in ihren Gehalten, Zwecken und Wirkungen begreifen, ohne verstanden zu haben, wie sie verfährt; das Wie der Rechte hat Vorrang vor ihrem Was, Warum und Wozu. Vor dem Gehalt, dem Zweck und der Wirkung der Rechte kommt ihre Form.8 Denn diese Form ist nicht neutral.

Rechte sind eine spezifische Gestalt der Normativität: Ein Recht zu haben heißt, einen berechtigten, also verpflichtenden Anspruch zu haben. Und ein Recht zu erklären heißt, einen berechtigten, also verpflichtenden Anspruch zu verleihen. Die bürgerliche Erklärung der Rechte versteht dies so, daß ein berechtigter Anspruch nur ein Anspruch als Gleicher sein kann. Das ist aber nur das eine. Denn zugleich, im selben Zug, versteht sie diese normative Berechtigung eines Anspruchs so, daß dadurch der Anspruch in einen »faktischen« verwandelt wird, der dem politischen Gemeinwesen vorgeordnet und entzogen ist. Das gilt für alles, worauf wir ein Recht haben: Indem der bürgerliche Staat uns ein Recht darauf verleiht, läßt er zum Beispiel »das Privateigentum, die Bildung, die Beschäftigung auf ihre Weise, d.h. als Privateigentum, als Bildung, als Beschäftigung wirken und ihr besondres Wesen geltend machen. Weit entfernt, diese faktischen Unterschiede aufzuheben, existiert er vielmehr nur unter ihrer Voraussetzung.«9 Das ist für Marx der grundlegende Zug des Mechanismus der bürgerlichen Rechte. Dieser Mechanismus besteht nicht – wie Marx auch immer wieder sagt und wofür er immer wieder kritisiert worden ist10 – in der Berechtigung des »Egoismus«; der Egoismus ist überhaupt keine rechtstheoretische oder gesellschaftskritische Kategorie (sondern eine moralische). Vielmehr ist dieser Mechanismus die Naturalisierung des Sozialen – seine Verwandlung in etwas Faktisches, der Akt seiner Voraussetzung –, die dadurch geschieht, daß es zum Inhalt rechtlicher Ansprüche wird.

Die gleichen Rechte, die die bürgerliche Revolution erklärt, sind ein normativer Mechanismus eigener und ganz neuer Art: Sie verbinden Normativität und Faktizität; sie regeln normativ, indem sie die Gleichheit sichern, aber das tun sie unter der – aktiven – Voraussetzung von faktischen Bedingungen, die sie dadurch der politischen Regierung entziehen. Die Normativität der bürgerlichen Rechte besteht in der Hervorbringung vor- und außernormativer Faktizität. Die Form der bürgerlichen Rechte ist der Ausdruck eines Umbruchs in der Seinsweise der Normativität: eines ontologischen Umbruchs. Dadurch ist die Erklärung der Rechte der Mechanismus, der – wie Marx behauptet – die bürgerliche Gesellschaft hervorbringt und ihr gegenüber die Politik zur Polizei, zur Verwaltung degradiert. Um das Rätsel der bürgerlichen Revolution – das Rätsel der politischen Selbstdegradierung der Politik, das Rätsel der Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft von der Politik durch die Emanzipation der Politik – zu lösen, müssen wir den eigentümlichen Mechanismus der bürgerlichen Rechte verstehen; wir müssen die radikale, ontologische Neubestimmung der Normativität verstehen, die der bürgerlichen Form der Rechte zugrunde liegt.

Es ist daher das Rätsel, das Marx stellt, nicht die – »einfache« – Lösung, die er anbietet, das der Untersuchung den Weg weist: den Weg zu einer Analyse der bürgerlichen Form der gleichen Rechte. Auf diesem Weg ist die Auseinandersetzung mit dem Liberalismus eine wesentliche Aufgabe.11 Denn der Liberalismus beruht auf der Einsicht, daß die Erklärung der gleichen Rechte schlechthin konstitutiv für die Neubestimmung von Politik und Gesellschaft durch die bürgerliche Revolution ist. Aber zugleich kann der Liberalismus nicht begreifen, daß – und wie – es nichts anderes als die bürgerliche Form der Rechte ist, die die Politik zur Polizei degradiert und die »faktischen Ungleichheiten« der Gesellschaft hervorbringt. Gegen die tatsächliche soziale und politische Wirkung der Rechte stellt der Liberalismus ihre guten (»moralischen«) Absichten. Das nennt der Liberalismus Kritik: die Konfrontation des Bestehenden mit guten, berechtigten Ansprüchen. Mit dieser äußerlichen Kritik überspringt er die Analyse der Form. Es ist aber die Form, durch die Absichten Wirkungen hervorbringen.

Marx nennt diese Kritik vulgär: »Die vulgäre Kritik verfällt in einen […] dogmatischen Irrtum.« Sie kritisiert, indem sie »mit ihrem Gegenstand kämpft«. »Die wahre Kritik dagegen zeigt die innere Genesis« der Sache, die sie kritisiert. Sie »beschreibt ihren Geburtsakt […], sie erklärt sie, sie begreift ihre Genesis, ihre Notwendigkeit«.12 Die wahre Analyse und die wahre Kritik der bürgerlichen Rechte sind daher eins. Die wahre Analyse ist zugleich die wahre Kritik, indem sie die – ontologische, nicht historische – Genealogie der bürgerlichen Rechte erkennt. Sie konfrontiert die bürgerlichen Rechte nicht mit ihrer moralischen Absicht, sondern mit ihrer Genesis, ihrem Grund. Aber das bedeutet, daß die Kritik in dem Grund der bürgerlichen Rechte das Andere der bürgerlichen Rechte zu entdecken vermag. Der Grund der bürgerlichen Form der Rechte – so die These – ist der moderne Umbruch in der Ontologie der Normativität. Also muß nach dem Programm der wahren Kritik der ontologische Umbruch des modernen Rechts die Form der bürgerlichen Rechte – die er begründet – zugleich in Frage stellen, ja, sie auflösen und zerstören. Die wahre, genealogische Kritik entdeckt einen Widerspruch in dem modernen Umbruch des Rechts: Er begründet und bestreitet das bürgerliche Recht. Die wahre Kritik, die genealogisch verfährt, entwickelt aus dem Grund des Bestehenden einen radikalen Einspruch gegen das Bestehende.

Die Kritik an der bürgerlichen Form der Rechte besteht in dem Nachweis, daß sie ihren eigenen Grund nicht in sich begreifen kann. Indem sie auf ihren Grund zurückgeführt wird, geht die bürgerliche Form der Rechte daher zugrunde. Dann wird ein neues Recht möglich: ein Recht neuer, anderer Rechte; ein Recht von Rechten, die keine Voraussetzung machen; die das, was sie berechtigen, nicht entpolitisieren. Für die bürgerliche Revolution gilt: Sie »löst das bürgerliche Leben in seine Bestandteile auf, ohne diese Bestandteile selbst zu revolutionieren und der Kritik zu unterwerfen«.13 Die Rechte des neuen Rechts dagegen sind revolutionär, denn sie verändern, was sie berechtigen. Dieser Veränderung muß das kritische Begreifen vorarbeiten.

***

Der Weg dahin führt über vier Schritte. Sie lassen sich in vier Thesen fassen:

(1) Die moderne Form der Rechte bricht mit der Tradition des klassischen Rechts. Klassische Rechte sind gerechte Anteile, moderne Rechte sind legale Ansprüche auf natürliche Ansprüche. Die moderne Form der Rechte öffnet das Recht für das Nichtrechtliche; die Rechte stehen auf der Grenze des Rechts.

(2) Die moderne Form der Rechte bringt einen fundamentalen Umbruch in der Ontologie des Rechts zum Ausdruck. Wenn alles Recht durch die Differenz von Form und Materie bestimmt ist, dann ist das moderne Recht die materialistische Selbstreflexion seiner Form; es vollzieht die Differenz von Recht und Nichtrecht im Inneren des Rechts.

(3) Die bürgerliche Form der Rechte ist die Selbstreflexion des Rechts im Modus ihrer Verleugnung. Darin liegt der Positivismus der bürgerlichen Rechte: Sie verdinglichen die nichtrechtliche Materie des Rechts zum positiv Gegebenen. Die bürgerlichen Rechte ermächtigen den privaten Eigenwillen des Subjekts und bringen dadurch die neuen Herrschaftsformen der bürgerlichen Gesellschaft hervor.

(4) Eine neue Revolution der Rechte, die mit ihrer bürgerlichen Form bricht, muß ihren Positivismus überwinden: Sie muß die Selbstreflexion des modernen Rechts dialektisch vollziehen. So etabliert sie ein neues Recht. Sein Grund ist die Dialektik von Aktivität und Passivität im politischen Urteilen: Das neue Recht ist das Recht der Gegenrechte.

 

Das Verfahren dieses Buches ist es, historische Beschreibung und begriffliche Argumentation zu verbinden. Es geht zum einen darum, durch die Lektüre geeigneter Texte die Gegenwart des bürgerlichen Rechts zu erfassen. Es geht zum anderen darum, grundlegende rechtsphilosophische Begriffe zu klären und dialektisch zu entfalten. Die Beschreibung des bürgerlichen Rechts steht in den Teilen I und III im Vordergrund: Teil I entwickelt den geschichtlichen Unterschied zwischen der klassischen und der modernen Konzeption der Rechte; Teil III untersucht die ideologischen Voraussetzungen und gesellschaftlichen Folgen ihrer bürgerlichen Form. Demgegenüber steht in den Teilen II und IV die begriffliche Reflexion im Vordergrund: Teil II analysiert das rechtskonstitutive Verhältnis von Form und Materie und erläutert den Begriff ihrer modernen Selbstreflexion; Teil IV entwirft eine Theorie des rechtsbegründenden Urteilens durch Überlegungen zur Struktur politischer Subjektivität. – Die geschichtlich-gesellschaftliche Beschreibung des bürgerlichen Rechts und die begriffliche Entfaltung der Dialektik des Rechts sind unterschiedliche Vorhaben. Sie verweisen aber aufeinander. Ihre Verbindung ist die Kritik der Rechte.

I.Geschichte: Die Legalisierung des Natürlichen

Wir befinden uns hier im »kopernikanischen« Augenblick der Geschichte der Wissenschaft vom Recht, an der Grenze zwischen zwei Welten. Eine neue soziale Ordnung wird geboren, deren Elementarzelle das individuelle Recht sein wird, das sich gänzlich vom Begriff der potestas her aufbaut, erhoben zur Würde eines Rechts.1

Von Rechten, die der einzelne hat und zu seinen Zwecken gebrauchen kann, reden erst die Rechtstheorie und die Rechtsphilosophie der Neuzeit. Auch hier erst werden die Rechte daher als eine Eigenschaft, Möglichkeit oder Fähigkeit der Person bezeichnet; hier erst konnte sich die Rede von »subjektiven« oder »individuellen« Rechten ausbilden. Zugleich sind die Rechte eine wesentliche Formbestimmung des Privat- oder Zivilrechts; in ihrer primären Bestimmung sind Rechte Ansprüche, durch die der eine den anderen zu verpflichten vermag. Die Form der Rechte ist daher so alt wie die Institution des Zivilrechts: Es gibt sie, seitdem es Verhältnisse vertraglich geregelten Austauschs gibt. – Beide Feststellungen müssen zusammengehalten werden. Zusammen definieren sie die Geschichtlichkeit der Rechte: Die Rechte sind eine Form, die nur geschichtlich verstanden werden kann.

Es geht um die moderne Form der Rechte. Diese moderne Form versteht man weder aus der Kontinuität der Formeln, in denen das Zivilrecht die Normativität der Austauschverhältnisse ausgedrückt hat, die alle Gesellschaften jenseits der familialen Ordnung durchziehen: Die moderne Form der Rechte verändert die gesellschaftlichen Austauschverhältnisse so grundlegend, daß kein Begriff ihrer normativen Regulierung – Verpflichtung, Freiheit, Gleichheit, Herrschaft – seinen überkommenen Sinn behalten kann. Noch versteht man die moderne Form der Rechte, wenn man sie unmittelbar aus dem Grundbegriff der normativen Ordnung der Moderne, dem Begriff des sich selbst bestimmenden, autonomen Subjekts, abzuleiten versucht: Es gibt die moderne Form der Rechte nicht, weil es autonome Subjekte gibt, sondern es gibt autonome Subjekte, weil es die moderne Form der Rechte gibt. Die moderne Form der Rechte ist das Resultat einer radikalen Transformation des Rechts. Diese Transformation ist radikal, weil sie den Sinn des Rechts betrifft. In der modernen Form der Rechte gewinnt der Begriff des Rechts, ja, der Begriff der Normativität eine neue, grundlegend andere Bedeutung. Deshalb ist die Transformation im Begriff der Rechte, der traditionell ein Begriff des Privatrechts ist, nicht auf dieses Feld beschränkt: »Recht« als solches bedeutet dadurch etwas anderes, und – nur – darum gibt es unter ihrer modernen Form Rechte auch jenseits des Privatrechts.

In der modernen Form der Rechte vollzieht sich eine radikale Transformation des Rechts. Negativ besteht sie in der Entsittlichung des Rechts: Traditionell ist das Recht die sittliche oder venünftige Ordnung der gerechten Teilung, durch die jeder das Seine – sein Recht – erhält. Die moderne Regierung der Rechte muß aber in ihrer Positivität bestimmt werden. Sie besteht in der Rekonfiguration des Grundverhältnisses von Rechtlichem und Vor- oder Außerrechtlichem, von Norm und Natur. In der modernen Form der Rechte wird das Recht zum Prozeß der Verrechtlichung: Die Rechte sind die Mechanismen einer unabschließbaren Legalisierung des Natürlichen.

1.Geschichtsphilosophie der Form

Die Historiker streiten sich darüber, wer als der Autor der ersten Formulierung anzusehen ist, auf die sich die neue – die neuzeitliche oder moderne – Redeweise von einem Recht als der »Macht« einer Person zurückführen läßt. In einer Reihe einflußreicher Abhandlungen hat der Rechtshistoriker Michel Villey die These entwickelt, daß zuerst Wilhelm von Ockham das Recht systematisch so verstanden habe. So heißt es bei Ockham:

Ein Recht des Gebrauchs ist eine gesetzmäßige Macht [potestas licita] zum Gebrauch einer äußeren Sache, derer man nicht ohne eigene Schuld und vernünftigen Grund gegen seinen eigenen Willen beraubt werden darf; und wenn man beraubt worden ist, darf man den Beraubenden vor Gericht ziehen.1

Die Herrschaft über eine Sache [dominium] ist eine grundlegende menschliche Macht, irgendeine zeitliche Sache vor einem menschlichen Gericht zu beanspruchen und zu verteidigen; »die menschliche Macht« unterscheidet diese Herrschaft über eine Sache von der göttlichen.2

Kritiker Villeys haben bezweifelt, daß diese Formulierungen bei Ockham bereits einen Bruch mit der Tradition bedeuten – das geschehe erst bei späteren Autoren3 –, und zugleich darauf hingewiesen, daß sich ähnliche Formulierungen schon bei den »Männern [finden], die die Digesten wiederentdeckten und die mittelalterliche Wissenschaft des Römischen Rechts schufen«.4 Wie auch immer aber die Datierung, unstrittig ist, daß sich zwischen mittelalterlichem Nominalismus, Spätscholastik und rationalem Naturrecht, in der ideologischen Formationsphase der Neuzeit, eine Unterscheidung zu etablieren beginnt, die dann bereits Thomas Hobbes als eine zwar häufig übersehene, aber nicht weiter begründungsbedürftige begriffliche Tatsache und noch einmal zweihundert Jahre später Friedrich Carl von Savigny, im Rückblick auf diese Geschichte, als eine geläufige, selbstverständliche Einsicht anführen.

In dieser Unterscheidung geht es um zwei Bedeutungen des Ausdrucks »Recht«: um die Unterscheidung zwischen dem Recht als gerechter oder herrschender Ordnung von Gesetzen und einem Recht als einem Anspruch, der einer Person zukommt. In der Erläuterung seines Titels, Über das Recht des Krieges, formuliert Hugo Grotius diese Unterscheidung so:

[Mit] »Recht« wird hier nur das Gerechte bezeichnet, und zwar mehr im verneinenden als bejahenden Sinne; so dass Recht ist, was nicht ungerecht ist. […] Verschieden von diesem Begriff des Rechts ist ein anderer, der von ihm abstammt und auf die Person bezogen wird. In diesem Sinne ist das Recht »eine moralische Eigenschaft, vermöge deren eine Person etwas mit Recht haben oder tun kann [qualitas moralis personae competens ad aliquid juste habendum vel agendum]«. Dieses Recht steht der Person zu.5

Auf ähnliche Weise erklärt Francisco Suárez die beiden »verschiedenen Bedeutungen des Wortes ›Recht‹«:

Manchmal bedeutet »Recht« den sittlichen Anspruch [moralem facultatem] auf eine Sache oder das Recht an der Sache, mag es sich nun um ein wirkliches Eigentumsrecht handeln, oder nur um eine Teilnahme daran. Recht in diesem Sinn ist der eigentliche Gegenstand der Gerechtigkeit […]. »Recht« bezeichnet aber auch das Gesetz, das Norm für das sittlich gute Handeln ist und in den Dingen eine gewisse Gleichheit festsetzt. In diesem Sinn […] fällt das »Recht« mit dem »Gesetz« zusammen. Um kurze Ausdrücke zu verwenden, können wir das erste »nützliches Recht« [ius utile] und das andere »sittliches Recht« [ius honestum] nennen, oder das erste »dingliches Recht« [reale] und das andere »gesetzliches Recht« oder »Rechtsnorm« [legale].6

Im Englischen steht Hobbes zur Bezeichnung derselben begrifflichen Differenz der terminologische Unterschied zwischen law und right zur Verfügung – eine Unterscheidung, die Hobbes als Übersetzung der römischen Unterscheidung von lex und ius einführt, um den für ihn entscheidenden Gegensatz zwischen dem Recht als verpflichtendem Gesetz und einem Recht als Freiheit auf den Punkt zu bringen:

Denn obwohl diejenigen, welche über diesen Gegenstand sprechen, gewöhnlich jus und lex, Recht [right] und Gesetz [law], durcheinanderbringen, so sollten doch diese Begriffe auseinandergehalten werden. Denn Recht besteht in der Freiheit, etwas zu tun oder zu unterlassen, während ein Gesetz dazu bestimmt und verpflichtet, etwas zu tun oder zu unterlassen. So unterscheiden sich Gesetz und Recht wie Verpflichtung und Freiheit, die sich in ein und demselben Fall widersprechen.7

Ich finde, daß die Wörter lex civilis und jus civile, das heißt bürgerliches Gesetz und bürgerliches Recht, unterschiedslos für dieselbe Sache gebraucht werden, selbst von den gelehrtesten Autoren. Dies sollte aber dennoch nicht so sein. Denn Recht ist Freiheit, nämlich die Freiheit, die das bürgerliche Gesetz uns läßt; das bürgerliche Gesetz aber ist eine Verpflichtung und nimmt uns die Freiheit, die uns das natürliche Gesetz verlieh. […] Insofern unterscheiden sich lex und jus wie Verpflichtung und Freiheit.8

Da das Deutsche dafür kein Äquivalent besitzt, »nennen wir«, so schließlich Savigny wiederum zweihundert Jahre später, was die anderen als oder bezeichnen, » dieser Person, gleichbedeutend mit Befugnis: Manche nennen es das Recht im subjectiven Sinn.« Recht »im objectiven Sinn« ist Recht: das Recht als herrschendes Gesetz. Recht im subjektiven Sinn ist Recht: ein Anspruch, den eine Person, ein »Subjekt«, mit der Macht normativer Verbindlichkeit erheben kann, oder, so Kant, das »(moralische) , andere zu verpflichten«.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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