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In seiner Nobel-WG am Rande von Berlin fühlt sich der Niederländer Eric Berkhout mit seinem leibeigenen Knecht Tim wie das fünfte und sechste Rad am Wagen, nachdem der Wurf einer Münze die Verhältnisse durcheinandergewirbelt hatte und neue Beziehungen entstanden sind. Aber Eric hat keine Ersparnisse und keine eigene Wohnung, außerdem sind ja alle ganz nett, und es lebt sich gut, also geht es irgendwie weiter. Bis ein Bekannter eines Bekannten mit Eric Kontakt sucht und ihn bittet, sich seines Sohnes Alexander anzunehmen. Eric sieht nicht ein, wieso ausgerechnet er einen nicht einmal volljährigen Gymnasiasten, den er gar nicht kennt, von harten Drogen fernhalten und dazu bringen soll, wieder regelmäßig zur Schule zu gehen, Abitur zu machen und sein Cello nicht zu vernachlässigen. Aber der Vater hat sich in den Kopf gesetzt, dass Eric genau der richtige Mann ist, um seinen Sohn vor dem Abgleiten zu retten. Als Eric ein Porträtfoto von Alexander sieht, ist er ihm sofort verfallen.
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Jens van Nimwegen
Kuckucksjunge
Roman
Nimwegen 2013
© Jens van Nimwegen, Nijmegen 2013
ISBN 978-3-7375-7766-3
manimal.eu/kuckuck
Erste Auflages
Von Jens van Nimwegen sind folgende Romane erhältlich:
Die Abrichtung, Männerschwarm Verlag (2012)
Manimals (2012)
Ein Entwicklungsroman
Wie sich Jens, Rotz, Drexau, Porco, Ratte, das Ferkel und Phallc kennenlernten und ihren Weg im Leben fanden.
Ratte, Rotz und Radu (2012)
Ein Kriminalroman
Drei Freunde und zwei oder drei Morde
Die artgerechte Haltung des Homo manimalis (2012)
Eine philosophische Lehrerzählung in Form eines Zukunftsromans
Zwei Freunde im dreigeteilten Deutschland 2034
Zwillingsforschung (2013)
Wie der Wurf einer Münze alles verändert
Kuckucksjunge (2013)
Wie Personenschützer Eric einen neuen Auftrag erhält
Mehr über diese Bücher auf: manimal.eu
„Ob er ne schwule Sau wird, ist mir scheiß-egal, aber mein Sohn muss weg von den Drogen, darf die Schule nicht hinschmeißen und muss danach studieren oder was Vernünftiges lernen. Eh, bitte entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise. Sie merken, wie ich mir Sorgen mache.“
„Und was habe ich damit zu tun?“
„Noch nichts. Aber Sie werden dafür sorgen. Und zwar ab heute. Jeder verlorene Tag macht es schlimmer.“
„Ich bin Personenschützer des Inhabers vom Thier-Konzern, wie Sie wissen, kein Sozialarbeiter. Und ich behalte meine Stelle, mit der ich sehr zufrieden bin. Lassen Sie sich vom Jugendamt beraten!“
„Der braucht keinen Sozialarbeiter. Ich weiß genau, wer Sie sind und wie Sie leben. Nur ein Mann wie Sie kann diesen Jungen noch retten, zusammen mit Ihrem, eh, Knecht. Und natürlich geben Sie ihre Stelle bei Herrn Thier nicht auf, der braucht Sie auch. Ich koche uns jetzt erst einmal Tee, und dann reden wir weiter.“
Am Telefon hatte er sich nur als „Rüdenstein, Wilmersdorf“ vorgestellt, gesagt, dass er meinen ehemaligen Ausbilder kennt und mich deshalb sprechen will. Wenn es ginge, sofort. Und jetzt sitzen wir also in dieser Dreizimmerwohnung, während der Hausherr in der Küche herumwirtschaftet. Von der Wand schauen uns zwei Porträts vom Trödelmarkt streng an. Siebzehntes Jahrhundert, der Kleidung nach. Auch sonst steht hier allerlei alter Plunder herum. Nichts deutet auf eine Hausfrau hin.
Ich habe von meinen Chefs gelernt, dass man erst einmal gut zuhört, bevor man eine Bitte oder ein Angebot ablehnt, und als sich herausstellt, dass der Mann vernünftig Tee kochen kann, offenbar ein Darjeeling Second Flush, und auch Milch dazu reicht, habe ich es nicht so eilig, weg zu kommen. Was auch hilft, ist, dass er auf meine Fragen offen und klar eingeht und nicht darumherumredet.
Er wohnt hier seit dem Tod der Mutter allein mit seinem Sohn, der in ein paar Monaten volljährig wird und aufs Gymnasium geht. Beziehungsweise wohnte und ging, denn der Junge ist seit einigen Wochen weg und wurde auch auf der Schule nicht mehr gesehen. Er hängt mit Punkern auf dem Alexanderplatz und sonstwo rum und kifft, wenn nicht Schlimmeres. Wie der Vater das wissen kann?
„Wenn mein Sohn noch nicht einmal ein Passwort auf seinem Computer hat, muss er damit rechnen, dass sein Vater dort nachsieht, wenn er tagelang verschollen ist. Und dann bin ich selbst mal am Alex schauen gegangen. Von Weitem. Ich glaube nicht, dass er mich bemerkt hat. Das wäre mir aber auch egal. Ich glaube, er weiß, dass ich ihm nie eine öffentliche Szene machen würde.“
Der Junge war auf dem Gymnasium immer gut, hat regelmäßig Sport getrieben und ist zum Cellounterricht gegangen, hat erstaunlich wenig Zeit am Computer zugebracht, aber in letzter Zeit ging die Schule ihm auf die Nerven. Dann hat er wohl diese Punker kennengelernt, blieb immer länger weg, und dann kam er gar nicht mehr nach Hause. Er interessiert sich wohl mehr für Männer als für Frauen, aber darüber war kein sinniges Gespräch zwischen Vater und Sohn möglich. Weil seit längerem sowieso kein sinniges Gespräch mehr möglich war, nicht etwa weil der Vater da Vorbehalte gehabt hätte. Richtig gute Freunde hatte er die letzten Jahre aber wohl nicht gehabt, jedenfalls bekam er nie Besuch und erzählte nie von einem Freund. Anscheinend hat er nun Kumpels gefunden, bei denen er sich wohlfühlt. Hier in Wilmersdorf gibt es solche gegen den Strich gebürsteten Jugendlichen nicht, jedenfalls sind sie dem Vater noch nie aufgefallen.
„Soll er nur! Aber er darf seine Ausbildung nicht abbrechen und kein Junkie werden.“
Der Vater kennt sehr wohl den Unterschied zwischen Haschisch und Heroin, aber er traut diesen Kumpels und dieser ganzen Szene nicht. Und weil er zu seinem Sohn nicht mehr durchdringt, hat er sich umgehört und ist auf uns gestoßen.
„Oh, die Teekanne ist leer. Herr Berkhout, wenn Ihr Knecht neuen Tee kocht, können wir ohne Unterbrechung weiterreden. Er wird sich doch in Küchen zurechtfinden?!“
„Tim! Koch Tee!“
„Angenehm, so ein Knecht. Ja, ich weiß Bescheid. Er ist Ihnen hörig, ist ebenfalls Personenschützer, und Sie beide sind gleich tätowiert, aber spiegelbildlich. Das weiß ich von seinem Ausbilder, der ja auch mal der Ihre war. Daher weiß ich auch von Ihrer Loyalität.“
„Und warum sollen ausgerechnet wir Ihren Sohn retten? Wenn da überhaupt etwas zu retten ist?“
„Erstens sind Sie beide genau der Typ Mann, für den er sich interessiert. In seinem Zimmer hängen ja Bilder, und auf seinem Computer stehen noch mehr. Zweitens weiß ich, dass Sie so eine Aufgabe gern auf sich nehmen. Und man sieht ja, welche Erziehungserfolge Sie schon aufzuweisen haben.“
Das Letzte sagt er mit einem Seitenblick auf Tim, der mit der Teekanne zurückkommt. Es stimmt, Tim hat viel gelernt und sich sehr verändert, seit er mir dienen muss. Äußerlich sind wir uns immer ähnlicher geworden, obwohl er viel älter ist, aber er muss nun einmal bedingungslos gehorchen und weiß, dass er die Peitsche fühlen wird, wenn er unaufmerksam oder nachlässig ist. Was aber nur selten vorkommt.
Ich will durchaus keine solche Aufgabe auf mich nehmen, aber er fährt fort: „Drittens haben Sie beide, wie man weiß, keine Berührungsangst mit den Kreisen, in denen er jetzt verkehrt. Und, nicht zu vergessen, Sie können mit der Peitsche umgehen. Die braucht er vielleicht. – Sie sehen, ich weiß genug über Ihre Qualitäten, und Sie werden so eine Aufgabe nicht ablehnen können.“
„Und Sie wissen, dass ich mit meinem Beruf und meinem Leibknecht ausgelastet bin. Und Auspeitschen von Minderjährigen gibt mir keinen Kick. Und überhaupt, wie wollen Sie mich bezahlen? Stundenweise mit Spesen? Oder eine Summe im Erfolgsfalle? Rein theoretisch, meine ich, denn ich bin ja nicht interessiert. Und bezahlen Sie dann für seine Kleidung und Essen? Wir würden ja wohl kaum alle hier wohnen können. Also, wie gesagt, rein theoretisch.“
„Herr Berkhout, ich würde gar nichts bezahlen. Holen Sie sich das nötige Geld, auch Ihr Honorar, von meinem Sohn!“
„Hat der denn Geld?“
„Nein, hat er nicht. Lassen Sie ihn arbeiten. Schicken Sie ihn meinetwegen auf den Strich! Sie wissen zweifellos, wie man das macht, ohne Krankheiten zu bekommen.“
Donnerwetter! Vorurteile hat der ja nicht. Der Mann beginnt mich zu interessieren.
„Ich dachte, Sie wollten nur das Beste für Ihren Sohn.“
„Will ich auch. Und Sie auch. Sie können gar nicht anders, so wie Sie veranlagt sind. Deshalb wird er weiter lernen, gesund bleiben und ehrlich bleiben. Und solange er ehrlich bleibt, ist mir egal, wie er Ihr Geld verdient. Eines weiß ich: Wenn er etwas macht, macht er es gut. Und Sie, Herr Berkhout, werden ihn auch nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen lassen. Noch ist er minderjährig. Damit wissen Sie umzugehen, da bin ich sicher.“
„Haben Sie ein Bild von ihm?“
„Hier.“
Mir verschlägt es die Sprache. Ein junger Gott – dieser Kitschausdruck kommt mir doch als erstes in den Sinn. Schulterlange blonde Haare, ein Engelgesicht, aber nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick, wenn man ihm in die Augen schaut, sieht man Tiefe, Melancholie und eine gewisse Verruchtheit. Das ist kein platter, verzogener Schüler. Das ist ein junger Mann, dem man nicht leicht etwas vormachen kann. Dieses Foto brauche ich mir nicht auszubitten. Das Gesicht vergesse ich nie.
„Sie haben mich! Bekomme ich freie Hand?“
„War das denn noch nicht deutlich? Sie bekommen freie Hand. Irgendwann wird er mir und Ihnen dankbar sein.“
„Wie heißt er eigentlich?“
„Alexander Ludwig Wilhelm Graf von Rüdenstein.“
Das Zeug hier ist nicht vom Trödelmarkt! Das sind alles Familienstücke. Der Engel ist kein Engel, sondern ein Prinz. Wahrscheinlich hat er irgendwo auch ein weißes Pferd. Obwohl ihm ein Rappe auch gut stehen würde.
Ein professioneller Personenschützer darf sich durch nichts überraschen lassen, aber ich bin schon wieder überrumpelt und gebe mich Tagträumen hin. Tim stößt mich diskret an.
„Tim, was willst du sagen?“
„Graf, da haben wir doch das Problem. Ein Junge mit so einem Namen“ – er weist mit den Augen auf die Ahnenporträts – „der auch noch introvertiert und hoch begabt ist, auch musisch, und der nicht über Frauen mitquatscht, der muss es doch auf einer Berliner Schule entsetzlich schwer haben. Kein Wunder, dass er sich Leute sucht, die ihn einfach so nehmen, wie er ist, und keine Vorurteile haben.“
„Da hat er Recht. Alexander hasst seinen Familiennamen, und er verachtet den Lehrer, der darauf Anspielungen macht. Ich dachte, Anspielungen auf Namen seien so ungefähr das Niedrigste, was es gibt. Gewisse Studienräte denken darüber offenbar anders.“
„Wie heißt dieser Lehrer denn selbst?“
„Dr. Platt, aber da kann er ja nichts für.“ Tim gluckst.
„Graf, schreiben Sie mir eine Vollmacht und unterrichten Sie den Direktor, dass ich in Ihrem Namen mit der Schule rede, wenn da etwas zu reden ist? Ich will mich nicht über Dr. Platt beschweren, ich meine ganz allgemein, Entschuldigungen, Sprechstunden und so. Nur für den Fall, dass. Dann können Sie sich ganz raushalten.“
„Selbstverständlich. Ich werde auch den Cellolehrer entsprechend unterrichten. Heute Abend noch erhalten Sie per Mail alle Kontaktadressen.“
„Ich werde Sie nicht auf dem Laufenden halten. Ich will auch sein Zimmer und seinen Computer nicht sehen. Es geht schließlich nicht um Schnüffelei und nicht um Aufklärung eines Verbrechens.“
„Selbstverständlich. Ich will gar nicht wissen, wann sie ihm die Peitsche geben oder welche Methoden sie noch anwenden. Ich fände es aber nett, wenn er mir gelegentlich selbst sagen würde, dass er das Abitur bestanden hat. Ansonsten werde ich mich nicht einmischen und schon gar nicht hinterherspionieren. Natürlich bin ich immer für Alexander da, aber dann muss er selbst kommen.“
„Sie sind ein sehr ungewöhnlicher Vater.“
„Wir hatten immer schon Hauslehrer. Sehr strenge Hauslehrer. Ich war der erste, der keinen hatte, wegen der Umstände. Ich will die Familientradition aber weiterführen.“
„Graf, Sie können sich auf uns verlassen. Dass Sie unorthodoxe Erziehungsmethoden nicht abweisen, haben Sie deutlich gemacht. Aber was, wenn Alexander Sie bittet, mich zu entlassen? Wenn er wieder zu Ihnen zurück will?“
„Herr Berkhout, ich habe Sie mit Resultatverpflichtung engagiert. Solange das Resultat nicht erreicht ist, gehört er Ihnen, mit Leib und Seele, hätte ich fast gesagt. Übrigens, wenn Sie ihn nicht auf den Strich schicken wollen, lassen Sie ihn als Cellisten auftreten. Er ist wirklich gut.“
„Oder beides?“
„Oder beides.“
♂
Auf dem Weg zum Alexanderplatz kann Tim sich nicht halten: „Herr, welch ein Gesicht! Und der Blick! Jugendliche haben mich nie interessiert, aber bei diesem wird mir ganz anders. Da kann man ja pädophil werden.“
„Tim, red keinen Unsinn! Der junge Mann ist so gut wie volljährig. Nur noch ein paar Monate. Aber, Tim, auch bei mir kribbelt es. Ich will diesen Auftrag.“
Tim ist in seinem Element. Bevor er mein Knecht wurde, hatte er ja zusammen mit seinem Bruder einen großen Konzern geleitet. Was er kann, ist auch hier nötig. Er zählt es auf: Analyse, Strategie, Werbung, Recht.
„Werbung?“
„Ja, Herr. Ohne Verführung geht das doch nicht, bei der hiesigen Rechtslage. Wir müssen also, erstens, seine Aufmerksamkeit erregen, damit er uns überhaupt wahrnimmt, zweitens seine Aufmerksamkeit festhalten, damit er zuhört und mitdenkt, also ihn neugierig machen. Und drittens so gut kommunizieren, dass er zu einem Vertrag bereit ist. Aber erst einmal die Rechtslage.“
Tim liest auf dem iPhone im Strafgesetzbuch. Er fasst zusammen: auf den Strich schicken oder Sexualpartner vermitteln ist ausgeschlossen, solange er mein minderjähriger Schutzbefohlener ist. Aus eigenem Antrieb darf er dagegen machen, was er will.
Auspeitschen ist nur möglich, wenn er einstimmt, und sowieso nur solange der Vater zu seinem Wort steht. Was er ja wohl tut. Anketten oder Einsperren ist ohne Einwilligung eine Grauzone, solange er minderjährig ist.
„Kurz und gut, gegen seinen Willen können wir nichts mit ihm machen.“
„Es sei denn, Herr, das er es im Nachhinein gut findet. Vielleicht kann man manchmal das Risiko nehmen. Darum Verführung in drei Stufen.“
„Und zu was genau wollen wir ihn verführen?“
„Dass er einen Ausbildungsvertrag mit Ihnen unterschreibt. Und dazu steht. Das Unterschreiben ist nur für Juristen, für den Fall, dass etwas schiefgeht. Er muss es vor allem selbst wollen. Wir müssen herausbekommen, ob in seiner Familie ein Ehrenwort etwas bedeutet.“
Es ist schön, wenn man einen Leibknecht hat, der nicht nur hingebungsvoll dient, sondern auch mitdenkt und intelligent ist.
Ich denke nach und sage: „Er muss sich also freiwillig und unwiderruflich zu absolutem Gehorsam bekennen. Zu einem Leben mit klaren, strengen Regeln. Und dazu, dass Fehler bestraft werden.“
„Ja, Herr. Bis das Ziel erreicht ist: dass er die Schule nicht hinschmeißt und auch danach etwas lernt. Es wäre gut, wenn er auch das Cello nicht vernachlässigt. Ansonsten ist es dem Grafen ja wohl egal, was aus ihm wird. Wenn er nur gesund und ehrlich bleibt.“
„Ja, Tim, aber es gibt noch ein Ziel: er muss ab sofort für seinen Unterhalt sorgen. Ich habe ja kaum Geld. Wenn er bei uns wohnt, können wir ihn mit durchfüttern. Wenn. Aber seine Kleider muss er schon selbst bezahlen.“
„Herr, so ein schöner Knabe braucht eigentlich keine Kleider.“
„Tim, wir kennen nur ein Foto von seinem Gesicht. Er hat bestimmt einen Buckel und ist mager.“
♂
Die Punker erkennen uns nicht gleich. Ich trage ja meinen dunklen Anzug und Tim seine SECURITY-Uniform. Sie müssen erst genauer hinschauen. Einer macht Tims Jacke auf, wirft einen Kennerblick auf sein tätowierte Schlange und sagt: „Stimmt. Krass, ey! Wat issn mit euch los?“ Ich erkläre, dass wir manchmal arbeiten müssen. Als Personenschützer.
Seit wir ab und zu hier herkommen und ich einen Kasten Bier ausgebe, wenn sie bei Tims Erniedrigungstraining helfen, sind sie zutraulich geworden. Dass ein für ihre Begriffe alter Mann alles machen muss, was sein jüngerer Herr verlangt und dass er darauf geilt, wenn sie alle auf seine Jeans abrotzen, die davon immer steifer wird – das ist selbst für ihre Gewohnheiten krass. Sie bewundern aber wohl auch, wie wir leben.
Unsere Zielperson ist nirgendwo zu sehen. Sie kennen auch keinen Alexander. Alex am Alex, wäre ja auch albern. Ich beschreibe ihn. Langes, blondes Haar, jedenfalls als er neulich noch zu Hause war.
„Ach der Rüde? Der liegt wieder mal bekifft zu Hause. Der kann ja nicht maßhalten, seit er aus seinem Wilmersdorf weg ist.“
„Ich habe eine Überraschung für ihn. Bringt ihn morgen mit. Egal wie. Ich gebe dann einen Kasten Bier aus und der Rüde bestimmt auch.
„Sie wollen Ihn doch nicht zu seinem Vater zurückbringen?“
„Nein. Ehrenwort!“
♂
„Tim, morgen habe ich frei, und wir können seine Aufmerksamkeit erregen und festhalten. Jedenfalls wenn die ihn bringen oder wir ihn finden. Aber übermorgen muss ich ja wieder arbeiten. Wenn er dann wegläuft? Und diese Kifferei macht mir auch Sorgen. Nicht, dass er kifft, sondern dass er so zugekifft ist, dass es sogar seinen Kumpels zu viel ist.“
„Herr, ich kann ja dran bleiben, wie die im Tatort immer sagen.“
Erst nach einigen Minuten begreife ich, was er da gesagt hat.
„Tim, genial!! Du bleibst einfach dran. Dann kann nichts schiefgehen, bis ich wieder dabei bin.“
Tim schaut mich verwirrt an. Er hat seine eigenen Worte selbst noch nicht verstanden.
♂
Am nächsten Tag tragen wir wieder unsere Stiefel, Jeans und Lederjacken, sonst nichts, so, wie wir uns am wohlsten fühlen. Die haben ihn mitgebracht. Er steht taumelnd abseits, die Kapuze vom Sweatshirt über den Kopf gezogen. Man muss genau hinsehen, um den Jungen vom Foto zu erkennen. Seine Augen sind jetzt glasig, die Haare fettig
„Jedenfalls hat er keinen Buckel, Herr.“
„Ja, aber wer so dasteht ist bestimmt ungesund abgemagert und hat überall Ekzeme. Mach dir keine falschen Hoffnungen! Man ist besser aufs Schlimmste vorbereitet.“
Erstmal geht es so wie immer. Ich sitze auf der Bank bei der Marienkirche, Tim liegt neben mir, seinen Kopf in meinem Schoß, ich knete seine Weichteile, die auch diesmal nur teilweise weich sind. Die Punker, die sich trauen, stehen um uns herum und spritzen auf seine Spermajeans ab. Tim Thier, den mit einem Münzwurf verlosten Bruder des Eigentümers und Leiters von Thiers, erregt das noch immer. Er fühlt dann, wie tief er gesunken ist, und dass es für ihn keine Würde und keine Scham mehr gibt. Er fühlt, dass er frei ist wie ein Tier ohne H.
Die Zielperson schaut sich taumelnd alles an.