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"Tip des Tages für alle, die gerne lesen und schon immer mal wissen wollten wie man als Musiker so den Tag verbringt! Mein lieber Kollege Klaus Porath hat das alles jetzt mal aufgeschrieben und ein sehr unterhaltsames Buch veröffentlicht. Prädikat: wertvoll!!! Unbedingt lesen!!! "Fleisch ist mein Gemüse" ist nix dagegen." (Georg Schroeter, Gewinner der "International Blues Challenge" 2011, des weltweit größten Bluesmusiker-Wettbewerbes.) "Das Buch hat einen sehr guten Stil, ist locker und humorvoll geschrieben und (fast ;) immer leicht verständlich. Die Geschichten haben viel Witz und Eigenironie, erzählen durchweg interessante Geschichten aus deinem (im wahrsten Sinne des Wortes ;) bewegten Leben und es gab etliche Tage, an denen ich es nur mit Mühe wieder weg legen konnte..." "... also ich muss sagen, alles in allem finde ich Dein Erstlingswerk äußerst gelungen! Ich zumindest mag den Stil, war, wie bereits gesagt, bestens unterhalten, und habe mich gelegentlich sogar kaum einkriegen können." "Hi Klaus, hab mich jetzt bis zum Jahr 1979 "durchgekämpft". Okay, das durchgekämpft ist nur ein Witz!! In Wirklichkeit macht das Lesen Spaß. Keine Ahnung wie viele Seiten das jetzt waren, aber man mag es nicht aus der Hand legen, sondern einfach immer weiter lesen." "Also ehrlich gesagt, bin ich positiv überrascht. Dass du mit Worten umzugehen weißt, weiss ich ja nun wirklich zur Genüge. Durch nächtelanges Chatten und stundenlange Gespräche war ich ja sozusagen "vorgewarnt". Nur reicht das nicht unbedingt aus, um ein Buch zu schreiben, welches es schafft den Leser/in in seinen Bann zu ziehen. Das war die große Frage, welche jetzt beantwortet ist. Ich finde JA!" "Ich habe Dein Buch schon lange durchgelesen und war erfreut (wollte gerade "erstaunt" schreiben, habe es aber dann doch unterdrückt), wie wunderbar Du schreiben kannst. So gut wie singen! Und Klavier spielen! Ich habe einige neue Dinge gelernt bei der Lektüre, z.B.
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Seitenzahl: 555
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Klaus Porath
Kunst oder Kekse
Die Geschichte(n) eines anonymen Musikers.
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
„Kann man davon leben?“
EINLEITUNG
Warum jetzt dieses Buch?
Was darf man schreiben?
„Klaus, schreib das alles auf!“
„Ich schreibe jetzt ein Buch, seid lieber nett zu mir!“
„Und nun kommst Du! Was fällt Dir ein?“
I. TEIL – EIGENE WEGE (Biographie)
Ganz der Papa?
1966: Das Licht der Kreissaallampe blendet mich zu früh.
1966 bis 1971: Glückliche Kindheit in Celle – Omas Goldjunge und doofe Kekse.
1971: Vertreibung aus dem Paradies – Erinnerungen an Lübeck-Moisling.
1971: Singen – „Ich kann es jetzt!“
1971: Gefühl – „DA will ich ganz viel von!“
Bin ich ein Kuckuckskind?
1972: Kunst oder Kekse? (Kekse, Klappe – die erste!)
1978: „Mein Bruder klappt die Noten zu und spielt einfach irgendetwas!“
1979: „Lampenfieber“ – Mein Coming-out als Komponist.
1979: Klaus spielt abends so schön auf dem Schifferklavier.
1979: Otto Waalkes, der „Rächer der Enterbten“.
1981: Sebastian, die Buddes und die Beatles.
1982: Sebastian und ich beschließen, berühmt zu werden.
1982: „Macht doch mal richtige Musik, macht doch mal Dixieland!“
1982: Flucht unter den Flügel.
1982 bis 1983: „Welcome America!“ – Flegeljahr bei den Amis.
Weihnachten 1982 – Erste akustische Bilanz.
1983: Zurück in Deutschland – Martin Berger schreibt auch Songs!
1983: Ein Satz macht mich zum Bandleader mit viel Einsatz.
1984: FANCY LIFE – 1. Band, 1. Schlagzeuger: Andreas Braun.
1984: Astrid und die Apfelsinenkiste. Keine Frauen in der Band!
1985: „Mask 4 Fun“ – 2. Band, 2. Schlagzeuger: Andreas Petzold.
1985: „Fancy Life“-Revival für Moni.
1985: 3. Schlagzeuger: Makoi Yee.
1985: „Unser Haus wird kein Tonstudio!“
1985: „Baby“.
1985: Gesangsunterricht – erster Versuch.
1985: Krach sorgt für Krach.
1985: „Käfig“ – wir schlagen zurück!
1986: Zweite akustische Bilanz: „Until Now“ profitiert vom „Stockholm Syndrom“.
1986: Panzerschütze Porath – „You’re In The Army Now“.
1987: Songschreiber brauchen Welpenschutz und einen „Plan B“!
1987: Martin wirft als erster das Handtuch.
1987: John Lennon sucht Paul McCartney – Frank Parthenios kann Martin Berger nicht ersetzen.
1987: Überleben beim Bund und in der Band-WG.
1987: „Lots Of Fun“ – „Wir wünschen Euch viel Spaß mit unserer neuen Kassette!“
1987: „Pretty Eyes“ – Mit blauem Auge davongekommen.
1987: „Back doch mal Kekse!“ (Kekse, Klappe – die Zweite!)
1988: „Jesus Loves You“ – Die „Gute Nachricht“ schrottet die gute Band.
3. Juni 1988 – Trauerfeier für „Mask 4 Fun“.
„Mask 4 Fun“ – wer zieht welches Fazit?
1989: „Mask 4 Fun – Yet Undone?“ Eine halbe Auferstehung.
1990: Umweg über die Kirche.
1992: „God’s World“ – Fromme Lieder, darf man das?
1992: Laissez faire versagt – Kein „Klaus-muss-ja!“ mehr.
1993: Der Mittelpunkt der Erde liegt in Wakendorf! (Wakendorf I)
1994: Beatles Cover Band – „Wir spielen alles ganz autistisch nach!“ – „Hört sich gut an!“
1994: Ein Abend mit Inga Rumpf.
Vier Abende mit Axel Zwingenberger
1994: „Klaus, die brauchen uns!“
1995: „The Piano Man“ – Gewinnen oder verlieren.
1995: Kundenorientierung am Klavier – „Spiel doch mal ’was Bekanntes!“
1995: Blutiger Saunabau – „Kennst Du eigentlich Georg Schroeter?“
1995 – 1998: „Strings ’N’ Keys“ – Saiten & Tasten – Sebastian & Klaus
1996: „Wollt Ihr das wirklich?“ – Schlagkräftige Argumente.
1996: „Du avancierst jetzt zum Gitarristen.“
1996: Joja Wendt – Frühstücksei & Boogie.
1997: Dritte akustische Bilanz: CD „The Best Of Yesterday“.
1997: Der singende Orchesterwart – Faktotum an der Musikhochschule.
1998: Ohne „Flügel“ kein „Piano Man“!
1998: Was macht das Bier im Klavier?
1998: Bis dass der „Flügel“ Euch scheide – Das Ende von „Strings ’N’ Keys“.
1998: „Keys ’N’ Strings“ – „Dein „Flügel“ kann so eine Art Markenzeichen werden!“
1998: „Keys ’N’ Strings & Drums“.
2000: Ein Musiker ist besser als zwei.
2000: Ich war ein „FarDwooof“!
2001: Billy Joel – eine Offenbarung!
2006: Der „King“ knallt in mein Leben!
2006: „We Are Family“ – Als erschöpfter Ernährer im Fernsehen.
2008: „Mask 4 Fun“ – Haben wir es noch drauf?
2008: Stimmliche Problemzonen – Gesangsunterricht, zweiter Versuch.
2008: Stilvolle Kommunikation mit der besseren Hälfte der Menschheit.
2011: Ich höre als „Piano Man“ auf und werde Rechtsanwalt (April, April!)
II. TEIL – ZWISCHEN BINZ UND BOTTROP – ZWANZIG JAHRE AUF TOUR
Entwarnung für alle Veranstalter!
„In Harburg war kein Eisregen!“
Meine allererste Privatfeier.
Panik auf dem Darß.
„Wenn DER noch EIN MAL spielt, gehen wir ALLE!“
Silvester und die kürzeste Email meines Lebens.
„Ich hab’s versucht. Nicht immer hat’s gereicht.“
Blinder Passagier.
Als Erlöser versagt.
„Schatz, wie war ich?“
Kannitverstan lebt!
Knapp der Steinigung entronnen.
Lebenslänglich Pommes umsonst.
Gebunden ans Klavier.
„Wir sind jetzt beide Elvis!“ – „Bei Klaus und Joja, was haben wir da wieder gestöhnt!“
Der Gefreite Porath und die Hohen Tiere.
Bundeswehr reloaded.
An den Hauptmann der 4. Kompanie
„Body Count“ in Düsseldorf.
Untergang mit Ansage – Ich soll den Udo Jürgens geben.
„Befehl ,Titanic‘! Immer weiterspielen!“
Ich mach’ auf Kai Pflaume.
Ungepanzert in die Schlacht und hinterrücks erlegt.
Liebenswertes Chaos.
Betreuung überflüssig – ich bin ja schon groß!
III. TEIL – AUS DEM „PIANO MAN“-LEBEN
Das Klavier und ich.
13 Briefe ans Finanzamt.
„Gnadenlos live“ – gnadenlose Werbung.
Livemusik – Ich bin nur „Der mit dem Klavier“.
Das „Klanghouse“.
Booking – es ist zum Heulen!
Gerädert im Büro.
Booking – und immer das Gefühl, man stört!
Das Geld, die Banken und ich.
Humor – muss das sein?
Klimpern & Kicken. 20 Uhr Anpfiff/Erster Ton.
Der bekannte Unbekannte.
„Schreiben Sie Ihren Musikwunsch auf einen Hunderteuroschein...
Ein nachdenklicher Kater nimmt Bilder von der Wand – Liedtexte unter der Lupe.
Sabine und Klaus.
Auftritte im Fußball-Trikot.
Aufschneiden und gut. Der Nerv nervt!
„Booking-Animal“ für Frank Plagge, die „One-Man-Blues-Band“.
Rampensau-Personality.
„Jeder Berufsmusiker ist gleichzeitig auch immer ein Berufskraftfahrer.“
Nachwort
Kontakt
Impressum neobooks
Klaus Porath, Jg. 1966, hat seinen Traum wahr gemacht: Er ist seit 20 Jahren Berufsmusiker! Und das ohne „Jodeldiplom“ (© Loriot, gemeint: Abschluss an einer Musikhochschule) oder jemals einen 63. Platz in der Hitparade belegt zu haben. Auf ihn und seinesgleichen treffen wir – ob wir wollen oder nicht – in schummrigen Kneipen oder auf Tante Heidis 60. Geburtstag. Denn dort verdienen Berufsmusiker wie er ihr Geld! Durch dieses Buch erfährt die Weltöffentlichkeit zum allerersten Mal, was diese Menschen am Tag tun (schlafen und Veranstaltern hinterhertelefonieren), was sie aus dem bürgerlichen Leben riss und in die Fänge der Musik trieb. Sie erfahren, wie man zum unbekannten Popmusiker wird. Und wie man es bleibt: Noch mehr Veranstaltern hinterhertelefonieren...
Da das Schreiben dieses Buches länger gedauert hat als erwartet, kann ich Ihnen mitteilen, dass der Anlass, meine Geschichte(n) davor noch schnell zu Papier zu bringen, nämlich der versprochene Weltuntergang am 21. Dezember 2012, ausgeblieben ist. Die Erde trudelt immer noch durchs All und ich als „Piano Man“ mit meinem mittlerweile bezahlten „Flügel“ durch Deutschland. Aber ich will mich nicht beklagen, denn ich werde von allen meinen Kollegen stets nur gelobt. Die Pianisten sagen: „Klaus, du singst sehr schön!“ und die Sänger: „Du spielst sehr schön Klavier!“. Ich hoffe, dass jetzt alle sagen: „Du hast ein schönes Buch darüber geschrieben.“
Wer sich die erwähnten Musiktitel anhören möchte, wird auf www.ThePianoMan.de unter „Medien“ fündig. Geben Sie dort als Benutzer „Leser“ und als Passwort „Kekse“ ein. :-)
Dieses Buch soll ein Sprachrohr für meine Kollegen und Leidensgenossen sein:
Urban Beach, Georgie Carbutler, Joshua Carson, Joe Green, Peter Groß, Thomas Kümper, Gabi Liedtke, Thomas Melzer, Frank Plagge, Georg Schroeter und all die anderen.
Ihr habt bestimmt Ähnliches erlebt!
„Mucker sind Männer, auf die ist Verlass! Ich muss abliefern, du musst abliefern, alle müssen abliefern.
Manchmal ist das schön, manchmal ist das nicht so schön.Aber am Ende fragt man sich doch nur, ob du geil abgeliefert hast.“ aus „Fleisch ist mein Gemüse“ von Heinz Strunk
„Ob man es nun mag oder nicht. Man muss sich irgendwann erinnern.“ Kirk Douglas im Film „Erinnerungen einer Liebe“.
„Ein Scherz, ein lachend Wort entscheiden oft die größten Sachen treffender und besser als Ernst und Schärfe.“ Quintus Horatius Flaccus Horaz
„Aber ich darf sie nicht ausschmücken... erzählt man zu viel, läuft man Gefahr... eine Vergangenheit zu erzählen, die man sich gewünscht hätte.“ Aus „Wahn“ von Steven King.
„Vieles in diesem Buch ist so obskur, dass es einfach wahr sein muss!“ Einem imaginären Leser in den Mund gelegt.
„Eines Tages, Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die für immer unsre sind.“ Julia Engelmann, 5. Bielefelder Hörsaal-Slam 2013.
25. Juni 1973, Zeugnisausgabe:
Versetzt nach Klasse 2.
„Klaus’ Humor und Einfallsreichtum
machen ihn in der Gemeinschaft beliebt...“
1. Juni 1976:
Versetzt nach Klasse 5.
„Klaus arbeitet meist aktiv im Unterricht mit...
Er ist eigenwillig und bevorzugt eigene Wege.“
13. August 2011:
Ich bin in Tönning, und es ist vier Uhr morgens.
Um diese Zeit ist man als Musiker nach einem Konzert hellwach. Und weil niemand da ist, dem ich etwas erzählen könnte, fange ich an, mein Buch zu schreiben.
Gestern bin ich in Husum aufgetreten und morgen werde ich in St. Peter Ording spielen. Das gibt mir einen Tag Pause und genug Muße, einmal ganz von vorne zu beginnen…
Der Maya-Kalender endet am 21.12.2012. Darum halte ich es für sinnvoll, vor dem versprochenen Weltuntergang schnell noch zum allerersten Mal der Menschheit eine bislang unerforschte Spezies, nämlich den anonymen Musiker, ans Herz zu legen. Anonym ist er im Sinne von: „Unbekannt aus Funk und Fernsehen.“ Aber auch im Sinne von: „Mein Name ist Klaus, ich habe ein Musikproblem.“ Wer weiß, vielleicht katapultiert mich dieser literarische Erguss heraus aus dem Kreise der anonymen Musiker? Billy Joel meint, man ist entweder Musiker oder man ist es nicht. Kein Mensch kann sich das selbst aussuchen. Vielleicht lindert diese Aussage die Enttäuschung meiner Eltern, dass ich nicht Arzt oder Lehrer geworden bin. Ich weiß nur, es ist nicht leicht, ein Musiker zu sein! Die allgemeine Vermutung, wir schwebten (auch ohne Drogen) ständig entrückt in höheren Sphären trifft nämlich nicht zu. Wir kennen unseren Kontostand! Sie merken, Sie haben ein ernstes Buch gekauft.
Die Rechtsanwaltskanzlei Ludewig-Busch-Gloe in Bad Schwartau hat mich bisher immer mit Erfolg vertreten. Dennoch nenne ich bis auf wenige Ausnahmen, und das war die erste, keine wahren Namen und Orte. Aber es ist nichts erfunden! So viel Phantasie besitze ich nicht.
In der Nacht, als Barack Obama zum Präsidenten der U.S.A. gewählt wurde, hatte ich ein mediales „Aha-Erlebnis“, was die Preisgabe von Details aus dem Privatleben betrifft. Auf dem Facebook-Account des mächtigsten Mannes der Welt in spe wurden uns Fotos gezeigt, auf denen er, im Kreise seiner Familie auf einem verschlissenen Sofa sitzend, gebannt den Ausgang seiner Wahl verfolgt. War dem Fotografen entgangen, dass die besten Tage dieses Sitzmöbels längst vorbei waren? Wieso werden wir Normalsterbliche ständig davor gewarnt, zum Beispiel im Internet nicht zu viel Intimes von uns preiszugeben? Die Antwort lautet: Weil man ein gutes Händchen für Öffentlichkeitsarbeit (neudeutsch PR, „Public Relations“) braucht, um in kein Fettnäpfchen zu treten! Von einer Entgleisung mit Totalschaden auf diesem Gebiet berichtet das Kapitel „Stilvolle Kommunikation mit der besseren Hälfte der Menschheit“.
Mein Buch ist hoffentlich genauso perfekt inszeniert wie die Fotos von Barack Obama, deren geheime Botschaft lautete: „Ich bin einer von Euch, unsere Sofas könnten Brüder sein.“ „Alles richtig gemacht!“, würde mein Freund Frank das knapp und anerkennend kommentieren. (Er ist Fußballtrainer.)
Wen möchte ich nun in diesem Buch in Szene setzen? Den Menschen hinter dem Klavier und dem Slogan:
Ein musikalisches Kraftwerk rollt durch die Lande –
Ein Sänger und sein „Flügel“ touren quer durch Norddeutschland.
Ihr Ziel: Ein Abend voller Hits und guter Laune!
Um das zu bewerkstelligen, habe ich mich für einen Dreisprung entschieden, wobei ich hoffentlich am Ende nicht auf dem Hintern landen werde. Als Anlauf dienen ein paar weitere Vorreden, in denen wir hoffentlich miteinander warm werden und Sie sich an meinen Humor gewöhnen.
Teil I ist so etwas wie eine Biographie, in der hauptsächlich die Schlüsselmomente aufblitzen, die meinen Weg als Musiker geprägt haben. Teil II ist mit den schönsten Pannen aus ca. 2.000 Auftritten als „Piano Man“ wahrscheinlich der unterhaltsamste. So werden die meisten mich kennen!
Bis dieses Buch ein Bestseller geworden ist und ich von Hamburg-Schnelsen auf die Balearen umgesiedelt bin, werden Sie mich zwangsläufig weiter so erleben. Denn ich habe keinen richtigen Beruf erlernt. Im dritten Teil, quasi der Kür, philosophiere ich ungebremst über alles, was mir wichtig erscheint. Zum Beispiel über Fußball und andere Dinge, von denen ich keine Ahnung habe.
Als ich mit dem Schreiben anfing, stieß ich sehr bald auf ein Problem:Es verlockt dazu, andere Menschen „in die Pfanne zu hauen“. Da ich ein netter Mensch bin und öffentliches „Schmutzige-Wäsche-waschen“ nicht unterhaltsam ist, löschte ich ganze Absätze schnell wieder. Das andere Extrem, also so zu tun, als wäre alles immer Friede, Freude, Eierkuchen gewesen, wäre unwahr und – langweilig! Dieses Buch wäre nie entstanden, wenn bei mir bereits die Altersmilde eingesetzt und alles vernebelt hätte. Also entschied ich mich, ein ehrliches, informatives, unterhaltsames und lustiges Buch zu schreiben. Kein vollständiges, denn erstens kann man 48 Lebensjahre nicht auf 323 Seiten komprimieren und, wie im Vorwort erwähnt, gehört auch nicht alles an die Öffentlichkeit.
Da wir nur Geschichten unterhaltsam finden, in denen Spannungen zwischen Menschen auftreten, werden einige Betroffene nicht mit allem glücklich sein, was sie hier über sich selbst lesen. Ihnen sei versichert, dass jede zur aufrichtigen Schilderung notwendige Provokation sorgfältig von mir abgewogen wurde. Besonders freut es mich, dass sie garantiert an anderer Stelle überraschend Positives über sich lesen werden! Das zeigt mein Bestreben, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen. Jedenfalls so, wie ich sie erlebt habe. Also, liebe Zeitzeugen, bitte legt dieses Buch nicht vorzeitig verärgert aus der Hand. Ihr könntet sonst etwas verpassen!
Wer meint, ich wäre in meinen Kindheitserinnerungen zu „intim“ geworden, sollte unbedingt die Lektüre des 2011 erschienenen Bestsellers „Lehrerkind, lebenslänglich Pausenhof“ von Bastian Bielendorfer meiden. Wer einige meiner Geschichten als zu heftig für die Öffentlichkeit empfindet, dem sei versichert, dass ich die wirklich schlimmen Begebenheiten weggelassen habe. Das rechtfertigt in meinen Augen die grenzwertigen Schilderungen aus meiner Kindheit. Was Bastian Bielendorfer lustig schildert, ist in meinen Augen Kindesmissbrauch. Dennoch sitzt sein Vater heute in seinen Lesungen! Ich habe den jungen Erfolgsautor angeschrieben und gefragt, wie das möglich ist. Seine Antwort lautete: „Hallo Klaus, meine Alten verknusen das ganz gut, ich habe meinen Humor ja von ihnen geerbt.“
Bei meinen Erzeugern sieht das leider anders aus. Das einzig Humorvolle in unserer Familie waren ein paar Schallplatten von Otto Waalkes. Meine Eltern sind beide Akademiker und halten sich, wie ich befürchte, noch immer, ohne rot zu werden, für perfekte Vorbilder in allen Belangen des Lebens. Ihre rückblickende Beteuerung, in meiner Erziehung und der meiner Schwester „nie einen Fehler gemacht zu haben“, war leider nicht ironisch gemeint. Sie läutete vor etlichen Jahren das Ende unserer Beziehung ein. Insofern bereitet es mir keinerlei Gewissensbisse, diese Überheblichkeit gebührend aufs Korn zu nehmen. Enterbt bin ich sowieso schon.
Wenn ich nicht über die Welt, die Musik und mich immer schon lange und intensiv nachgedacht hätte, könnte ich heute kein Buch schreiben. Die Mutter meiner ersten Freundin stellte Mitte der 80er Jahre fest, dass es in meinem Kopf sofort anfängt zu rotieren, sobald man mir etwas erzählt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich kann und will das auch gar nicht abstellen. Ich muss einfach immer wissen, was Sache ist! Außerdem haben sich dankenswerterweise einige Leute durch das Manuskript gequält, bevor die Druckerpresse angeworfen wurde. Deshalb halte ich es für ausgeschlossen, dass an irgendeiner Stelle kompletter Unsinn steht. In der Mitte zwischen Weichspülgang und Rechthaberei war es mein Ziel, die Dinge – von allen Seiten bedacht und nie ohne die nötige Prise Humor – auf den Punkt zu bringen.
Als Letztes noch ein warnendes Wort an alle Nachwuchsautoren: Sollte mein Buch Erfolg haben, bitte ich um Vorsicht vor unreflektierter Nachahmung! Als grobe Richtschnur möchte ich jedem, der einen Job anpeilt, bei dem er Schlips und Kragen tragen muss, dringend abraten, ein Buch wie dieses zu schreiben. Als Musiker (ich vermeide gerne das Wort Künstler) ist man, darf man, ja muss man etwas durchgeknallt sein. Ich denke, man erwartet das von uns sogar. Das ist eine der wenigen Erwartungen anderer an mich, die ich gerne erfülle. Man kann mir vieles vorwerfen, aber auf keinen Fall, normal zu sein. Wie langweilig wäre das denn auch!
Den ersten Anstoß, unter die Autoren zu gehen, bekam ich bereits Ende der 90er Jahre. Ich telefonierte mit einem Hamburger Kollegen wegen einer „Mucke“. Damit bezeichnet man in Musikerkreisen einen bezahlten Auftritt. Als alles geregelt war, kamen wir ins Klönen und erzählten uns gegenseitig, was wir auf unseren Konzerten Schönes und weniger Schönes erlebt hatten. Er sagte: „Wir schreiben das alles auf. Klaus, schreib das alles auf!“ Ich wusste damals nicht, für wen ich mir die Mühe machen sollte und antwortete: „Wer will das denn lesen?“ Und dabei blieb es erst einmal.
Das bedeutete aber nicht, dass meine Umwelt vor dem Erscheinen dieses Buches von meinen Erlebnissen von nun mehr 20 Jahren „on the road“ verschont geblieben ist. Weit gefehlt! Ihrer mündlichen Wiedergabe konnte in der Vergangenheit so mancher nicht entfliehen. Egal, wo in gemütlicher Runde ein Gespräch stockt, mir fällt bestimmt ein Erlebnis ein, das an das Thema anknüpft. Oft genügt ein Stichwort und ich hangle mich monologisierend von Anekdote zu Anekdote. Vor einiger Zeit ging mir ein Licht auf, warum mir in den letzten Jahren immer häufiger die Idee, ein Buch zu schreiben, nahegelegt wurde. Ich bin ein Nachtmensch und laufe genau dann zur Höchstform auf, wenn anderen Menschen langsam die Augen zufallen. Einmal ins Erzählen gekommen, bin ich kaum zu stoppen. Dieses Buch dagegen können Sie auf den Nachttisch legen und das Licht ausknipsen, wenn Sie müde sind.
Ich möchte mich darum bei allen Betroffenen, vor allem bei meiner Ex-Frau, für die vielen Stunden an Schlafdefizit entschuldigen, die mein Erzählen verursacht hat. Ich bekenne, das war oft nicht fair, denn ich konnte am nächsten Tag meistens ausschlafen. Als wir noch keine Kinder hatten und ich noch ganz am Anfang meiner Karriere als „Piano Man“ stand, habe ich sie nach jedem Konzert mitten in der Nacht aufgeweckt und ihr haar-klein berichtet, wie der Abend verlaufen war. Eines Morgens fragte sie mich dann, ob das gestrige Konzert gut war. Sie hatte durch viel Übung die bemerkenswerte Fähigkeit entwickelt, aufrecht im Bett zu sitzen und mir scheinbar intensiv zuzuhören, während sie in Wahrheit weiterschlief! Ich war leicht „verschnupft“ und weckte sie von da an nachts nicht mehr auf.
Als Mutter von vier schulpflichtigen Kindern fehlte ihr später schon ab 22 Uhr, für mich also mitten am Tag, die nötige geistige Frische, mir zu folgen, wie ich mich an den Lianen der Erinnerungen immer tiefer in den Dschungel meines Lebens schwang. Um ihren Schlafmangel nicht ausufern zu lassen, ging sie gegen meine Erzählanfälle bald aktiv vor: „Ich geh’ schon mal ins Bad und putz’ mir die Zähne. Kommst Du mit und erzählst mir da weiter?“ Na klar tat ich das. Ich tue alles, wenn ich nur weiter erzählen kann. Ihre Rolle beschränkte sich dabei auf ein zustimmendes Nicken oder ein gebrummtes „Hmhmm“. Beides ging problemlos auch mit einer Zahnbürste im Mund. Mit: „Ich geh jetzt nach oben, kommst du mit?“, folgte ich ihr, natürlich weiter erzählend und dabei immer wacher werdend, ins Schlafzimmer. Mit: „Ich kann jetzt nicht mehr, erzählst Du mir morgen weiter?“, warf sie dann elegant, aber bestimmt das Zuhörerhandtuch und ließ mich mit meinen Erinnerungen und Gedanken allein. Komischerweise behauptete sie, nur ich hätte so meine Rituale.
Kulturhistorisch wähne ich mich auf bewährten Pfaden: Zuerst erzählten sich die Menschen abends am Lagerfeuer ihre Geschichten von der Jagd. Die nicht so spannenden gerieten in Vergessenheit, und nur die prägenden Erlebnisse blieben präsent. Sie wurden dann nach der Erfindung der Schrift festgehalten. Indem die Empfänger meines verbalen Outputs von Zuhörern zu Lesern geworden sind, hat sich das Blatt zu ihren Gunsten gewandelt. Sie bestimmen nun sowohl die ihnen angenehme Tageszeit, als auch die Dosierung der Informationen aus meinem Leben. Und ich kann nicht mehr locker vor mich hin parlieren, sondern brüte schwitzend als unerfahrener Autor über jedem einzelnen Satz. Es ist so, wie wenn man einen Song oft live spielt und dann aufnimmt. Erst dann fallen einem Schwachstellen auf, die es auszubügeln gilt.
Gestern brachte ich Tim mal wieder ein Gerät zur Reparatur ins „Klanghouse“, einem Musikladen. Tim ist auch ein Tastenmensch, hat Humor und im Gegensatz zu mir Ahnung von Elektronik. Er ist zentraler Anlaufpunkt für alle Musiker mit defektem Equipment und somit eine unersetzbare Person der Zeitgeschichte. Auch, wenn er ein für die breite Öffentlichkeit unsichtbares, licht- und luftdicht abgeschlossenes Arbeitsleben in stiller Zwiesprache mit seinem Lötkolben führt.
Seit einiger Zeit geben alle meine Geräte der Reihe nach ihren Geist auf. Ich bin also oft bei ihm im „Klanghouse“. Sobald das Letzte repariert ist, fängt das Erste an wieder Ärger zu machen. Das ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die meisten von ihnen seit 1998 kontinuierlich jede Woche zwei- bis dreimal im Einsatz sind. Warum ich das „Klang-house“ von 1998 bis 2008 gemieden habe, wird später noch zur Sprache kommen. Das lag weder an Tim noch an meinem alten Freund Sebastian Budde, dem Leiter der Gitarrenabteilung.
Während Tim in seinem kleinen Kabuff im hintersten Teil des „Klang-house“ – umgeben von einer Unmenge an defekten Geräten auf einer völlig zugemüllten Werkbank mit sich und der Welt zufrieden – ungestört vor sich hin lötet (und dabei den Überblick behält, was mir ewig ein Rätsel bleiben wird), drängelt sich bei Sebastian vorne die Kundschaft vorm Tresen. Auch, wenn man mit dem Klavier viel mehr Möglichkeiten hat, ist die Gitarre nach wie vor DAS Instrument in der Popmusik. Und die etwas längeren Gitarren mit den dickeren Saiten, die Bässe, verkauft er nebenbei auch noch mit. Im Vorbeigehen grüßen Sebastian und ich uns kurz. Die Wartenden mögen uns für flüchtige Bekannte halten. Aber das stimmt nicht. Eigentlich sind wir wie ein altes Ehepaar, das in Trennung lebt. Ich kenne Sebastian, seit ich 14 bin. Damals hatte er mich mit dem „Beatles-Virus“ infiziert. Davon und von unserem gemeinsamen musikalischen Weg werde ich ausführlich berichten. Jetzt schießt mir ein Satz durch den Kopf, den ich ihm im letzten Moment dann doch nicht im Vorbeigehen zurufe, weil ich mich vor seiner Kundschaft nicht wichtig tun möchte: „Ich schreibe jetzt ein Buch, sei lieber nett zu mir!“ Aber ich weiß auch so, wie er darauf reagiert hätte. Sebastian hätte spontan nur „Uuiiihh!“ gesagt. Darin hätte sowohl Erstaunen, als auch Skepsis gelegen. Und dann hätte er ein: „Gib alles!“ hinzugefügt und schnell einen weiteren Satz Saiten verkauft. Mit etwas weniger Kundschaft vorm Tresen hätte er vielleicht auch noch: „Mach’ Dein Ding!“ gesagt. Das ist die Lebensmaxime der „Klanghouse“-Mitarbeiter. Es hätte in meinem Fall bedeutet: „Tu’, was du nicht lassen kannst!“
Später, in einem Moment ohne Kundschaft, würde ihm etwas unbehaglich werden bei dem Gedanken, dass er in einem Buch vorkommt, das ich schreibe. Dann würde er sich schnell damit beruhigen, dass mein Vorhaben so groß ist, das es kaum den Weg bis in den Druck schaffen wird. Und dann würden ihm wieder leise Zweifel kommen, weil er meine Hartnäckigkeit kennt, wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt habe. Aber all das würde er mir auf gar keinen Fall mitteilen. Ich weiß es trotzdem.
Als er einige Zeit später dann tatsächlich von mir per SMS über das Entstehen dieses Buches informiert wurde, äußerte er den Wunsch, ich möge darin bitte nett über seine Familie berichten. Er kennt sie gut genug, um zu wissen, wie viel literarische Angriffsfläche sie bietet. Ich konnte ihn beruhigen. Das Kapitel sei bereits geschrieben und ich fände, seine Familie käme ganz gut darin weg! Mit dem Risiko, dass in diesem Punkt vor allem die Meinung seiner Mutter von meiner abweichen könnte, muss ich leben...
Sich über alles und jeden frei auslassen zu können und das Ergebnis in gedruckter Form in alle Himmelsrichtungen zu verbreiten, versetzt einen Autor in eine Machtposition. (An dieser Stelle ein verspätetes „Hurra!“ auf den Buchdruck.) Dass er dabei selbst allzu schlecht wegkommt, ist auszuschließen. Ich habe aber auch von meinen Mitmenschen ein durchgehend positives Bild! Ich sehe sie als intelligente, durch Vernunft gesteuerte Wesen, die ihr eigenes Tun ebenso wie ich reflektieren und sich darum mir gegenüber genauso benehmen, wie sie es für richtig halten. Folgerichtig sollte es für keinen ein Problem sein, sich in meinem Buch wiederzufinden! Das ist für mich die „moralische Absegnung“, unser wie auch immer geartetes Aufeinandertreffen zu veröffentlichen. Und wer heute schlauer ist als früher und einiges anders machen würde, dem gratuliere ich dazu! Ich würde das mit Sicherheit auch tun.
Ich gehe davon aus, dass meine damalige Wahrnehmung der Ereignisse und ihre heutige Reflexion nicht vollständig sind und von der anderer Betroffener abweichen. Ich beanspruche für mich nicht „Zwerg Allwissend“ zu sein. Insofern bin ich auf Ergänzungen, Korrekturen und kontroverse Standpunkte gespannt; bitte aber ebenfalls gut reflektiert! Liebe Weggefährten: Bewahrt die Netiquette und schreibt Euch von der Seele, wenn Euch in meinem Buch etwas auf den Keks geht! Gerne öffentlich auf Facebook...
„Irgendwie hab ich Dich trotzdem gern. Irgendwie bleibst Du mir immer fern.“ Frank Parthenios in seinem Lied „Vater und Sohn“.
„´Strings ’N’ Keys´ sind die intellektuelle Ausgabe von ´Jessen & Melzer´.“ Sebastian Budde
Ich bin Musiker. Darum möchte ich immer wissen, was gespielt wird. Und das auch im Leben. Meine beste Freundin Saskia kritisierte an diesem Kapitel, dass sie ihre kleinen grauen Zellen ganz schön in Schwung bringen musste, um meinen Gedankengängen folgen zu können. Sie warnte mich, dass ich manchen Leser hier vielleicht überfordere und verliere. Ich habe nicht vor, Sie zu imprägnieren (war das das richtige Fremdwort?), aber zu meiner Persönlichkeit gehört auch ein bisschen „Tiefgang“, für den auf der Bühne kein Platz ist. Dieses Buch versetzt Sie in die Lage, sich exemplarisch an mir ein Bild von einem Popmusiker zu machen. Ich bin mir bewusst, dass mich Psychologen nach der Lektüre vollständig durchschaut haben, bitte aber von Therapieangeboten abzusehen. Mir ist nicht zu helfen!
Da ich in den folgenden biographischen Kapiteln der Wahrheit und meinem selbst erteilten Unterhaltungsauftrag zuliebe nicht anders kann, als nicht nur mich, sondern auch meinen Vater Ihrem Lächeln auszusetzen, möchte ich mich vorweg bei ihm in aller Öffentlichkeit bedanken. Ohne ihn wäre ich nicht der, der ich bin. Ich bin gerne ich, und ich bin auch nur deshalb in bescheidenem Rahmen erfolgreich, weil ich ihm ähnlich bin. Die Grundlage aller meiner Handlungen habe ich, auch wenn er das bis heute nicht bemerkt hat, von ihm übernommen. Er gab in unserer Familie fürs tägliche Leben die praktische Maxime aus: „Wir tun alle Dinge so, wie sie am besten erledigt werden. Und wenn wir eines Tages herausfinden, wie man es besser macht, dann machen wir es so.“ Wow! Ob das auf seinem eigenen Mist gewachsen ist oder ob er Kant verinnerlicht hat, hat er uns bis jetzt nicht verraten. Eine andere Art, vernünftig das Leben zu bestreiten, war im Hause Porath undenkbar. Wenn ich diese grandiose Einstellung nicht übernommen hätte, könnte ich heute nicht als selbstständiger Musiker, dem kein Chef diktiert, was er zu tun hat, überleben.
Mein Vater ist unglaublich talentiert. Er ist promovierter Mediziner, hat unter anderem in Geschichte ein riesiges Faktenwissen und ist handwerklich so begabt, dass er so gut wie alle Arbeiten im und am Haus selbst ausführen kann. In dieser Vielseitigkeit ist er einmalig und bewundernswert. Ich kann ihm da nicht das Wasser reichen. Ob ich mit meinem Talent als Musiker und neuerdings als Autor dagegen anstinken kann, interessiert mich nicht. Er ist er, und ich bin ich. Ich verspüre keinerlei Drang ihm, mir, Ihnen oder irgendjemand anderem etwas zu beweisen.
Vor kurzem gratulierte mir ein emeritierter Medizinprofessor, der als Chirurg eine Koryphäe auf seinem Gebiet war, zur Relevanz meines Berufes. Er behauptete, ich hätte „an einem Abend 100 Leute glücklich gemacht“. Dieses Kompliment hat mich angerührt, da ich es für bedeutsamer erachte, jemanden zu operieren, als ihm etwas vorzusingen. (Nebenbei, mein Vater soll auch ein ausgezeichneter Operateur gewesen sein.) Fairerweise muss ich hinzufügen, dass auch die wunderbaren Weißweine vom Weingut Rheinterrassen in Guntersblum ihren Anteil an der guten Stimmung des Herrn Professors hatten. Aber: in vino veritas („Im Wein liegt die Wahrheit“)! Dass ausgerechnet zwei Mediziner meine Berufswahl – mein Vater hält mich für einen Versager – so konträr beurteilen, hat mich ins Grübeln gebracht. Wenn ich mir meinen Kontostand angucke, liegt die Wahrheit – wie immer im Leben – irgendwo in der Mitte. Das heißt, mein Vater müsste auf seine alten Tage gar keine komplette Kehrtwendung bezüglich meines Erfolges vollziehen. Die Tatsache, dass ich glücklich bin und dass das letzte Hemd keine Taschen hat, könnte die Basis für einen neu anzuberaumenden Vater-Sohn-Dialog sein.
Meine „Kant-Nachfolge“ lebe ich entscheidend anders als mein Vater. Kants Glaube an einen Schöpfer geht meinem Vater völlig ab. Bei ihm vermisse ich die Reflexion darüber, dass (wie man an ihm bestens sieht) ein strenges Leben nach selbst erkannten und selbstauferlegten Maximen zwar von Erfolg gekrönt sein kann, aber die Gefahr einer emotionalen Enge aufweist. Kant blieb zum Beispiel von Musik völlig unberührt. In meinen Augen war der „Weltweise“ weise genug, nicht zu heiraten. Mit einer Frau und Kindern, also ordentlich Leben in der Bude, wäre er nicht klargekommen. Anders als in meinem Elternhaus sah ich es als einen Segen an und genoß es, dass meine Ex-Frau ganz anders geprägt war als ich. Sie brachte dadurch eine mir nur in der Musik bekannte Weite in unser gemeinsames Leben. Als Paar und für unsere Kinder ergänzten wir uns darum phantastisch. Jedenfalls so lange, bis sie das eines Tages anders sah..
Im Gegensatz zu meinem Vater bin ich mir bewusst, dass ich als „verlässlicher Erbsenzähler“ wie eine Maschine funktioniere. Wenn ich unter der Dusche stehe und das Shampoo alle ist, greife ich zur (selbstverständlich!) bereitstehenden neuen Flasche und notiere mir nach dem Föhnen, Shampoo zu besorgen. Das ist perfekt, anstrengend und auf keinen Fall normal. Ich weiß das, mein Vater nicht. Wir beide können aber nicht anders. Mit dieser Präzision kann und sollte man ganze Handelsketten leiten oder U-Bootflotten kommandieren. Beides wurde mir leider bisher noch nicht angeboten…
Meinen Vater und mich unterscheidet, dass ich generell andere Menschen so lasse, wie sie sind. Ich beobachte meine Mitmenschen sehr genau und bin fasziniert davon, wie sie es auf ihre Weise fertigbringen, im entscheidenden Moment ebenfalls nicht ohne Shampoo dazustehen.
Mein Vater macht in meinen Augen den Fehler, seine vielen zweifelsohne richtigen Erkenntnisse automatisch auf den Rest der Menschheit zu übertragen. Alle sollen sich am besten so verhalten wie er. Verstärkt dadurch, dass er nicht an Gott glaubt, spielt er ihn selbst und ist darum von anderen oft nur schwer zu ertragen. Ich kann über mich selber lachen und wünschte, mein Vater könnte das auch. Über mich lacht er schon genug, ich wünschte mir, er würde auch mal über sich selbst lachen.
Erst, wenn Sie ihr zartes Miezekätzchen mal versucht haben zu baden und hinterher das Blut von Ihren Händen und Unterarmen abwischen, wissen Sie, dass es Krallen hat und sehr stark ist. Genau das erleben manche Menschen mit mir. Ich springe nicht nach jedermanns Pfeife, ich tue grundsätzlich nur das, wovon ich überzeugt bin. Man erlebt mich fast immer gut gelaunt, so dass es Menschen gibt, die bisweilen völlig überrascht sind, dass es auch bei mir den Moment gibt, ab dem mit mir nicht mehr gut Kirschen essen ist. Wer auf mich einwirken möchte, schafft das nur mit vernünftigen Argumenten.
„Gefühlte Wahrheiten“ durchschaue ich in Lichtgeschwindigkeit. Ich lasse niemanden seine schlechte Laune und ungelösten Probleme an mir abreagieren. Diese Klarheit, ausgerechnet bei einem Musiker, findet man wohl eher selten. Anders kann ich mir nicht erklären, weshalb sie mir (von einem Freund und von meiner Ex-Frau) schon die Beschimpfung, ich hätte besser Staatsanwalt oder Professor werden sollen, eingehandelt hat. Jura wäre für mich vermutlich tatsächlich das richtige Studium gewesen. Dieses klare „Standing“ hilft mir alleine da draußen, nur mit einem Klavier „bewaffnet“, auftretende Konflikte schnell zu lösen und dann weiter gute Laune zu verbreiten. Dass mich nichts so leicht aus der Bahn wirft, verdanke ich zum anderen der grenzenlosen Liebe meiner Oma Paula, von der ich gleich berichten werde.
So, geschafft!! Werten Sie dieses Kapitel einfach als mein Outing als verkappter Intellektueller. Vielleicht waren meine Semester an der Uni doch nicht ganz für die Katz?
Mit meinen Eltern in einem Nachtclub auf Gran Canaria,1979.
Im Gegensatz zu mir kam meine ältere Schwester Barbara 1963 als Wunschkind zur Welt. Das ist verwunderlich, da meine Eltern damals als Ärzte im Praktikum ein Nomadenleben führten. Sie ließen den Säugling und später das Kleinkind in den verschiedenen Krankenhäusern, in denen sie Dienst schoben, von wechselnden Krankenschwestern versorgen. In unserer Familie wurde später freudig davon erzählt, wie niedlich es war, als meine Schwester in der Schweiz anfing Schwizerdütsch zu sprechen. Die Bedeutung von ,Mutter‘ in ,Muttersprache‘ erschloss sich den Doktoren Porath nicht.
Ganz wohl kann mir in meiner Mutter nicht gewesen sein, denn ich verließ sie zu früh und verbrachte die letzten Wochen bis zum errechneten Schlupftermin in einem Brutkasten. Eine weitere medizinische Herausforderung war, dass mir aufgrund einer Unverträglichkeit der Blutgruppen meiner Eltern direkt nach der Geburt das gesamte Blut ausgetauscht werden musste. Dieses spendete, so wurde mir später berichtet, ein Soldat, bei dem ich mich an dieser Stelle aufrichtig bedanken möchte. Dem armen Mann habe ich damals vermutlich gehörig den Feierabend verdorben. Hoffentlich bekommt er auf irgendeinem Wege dieses Buch in die Hände und erfährt, dass sich sein Einsatz in Celle am 5. März 1966 gelohnt hat. Finde ich zumindest. Nach jüdischem Glauben befindet sich im Blut die Seele. Vielleicht liegt hierin der Grund für meine Affinität zum Militär, die meinen Freund Matthias immer aufs Neue verwundert. Als wir uns kennenlernten, habe ich ihm immer wieder in nächtelangen Gesprächen versucht, den Wert von Kameradschaft zu vermitteln. Irgendwann gab ich entnervt auf. Das war, kurz nachdem er zum Oberstleutnant befördert wurde.
Aber zurück zum neuen Erdenbürger (ohne Uniform). Mein Überleben stellte meine Eltern vor eine logistische Herausforderung: Wohin mit dem Kleinen? Konnten sie erneut examinierte Krankenschwestern als ehrenamtliche Ammen einspannen? Zu meinem großen Glück nicht, denn meine Schwester war bereits 2 1/2 Jahre alt und die Krankenschwestern keine Ammen mehr, sondern Erzieherinnen. Also kamen meine Eltern auf die allerbeste Idee ihres Lebens, für die ich mich bei ihnen an dieser Stelle herzlichst bedanken möchte. Sie gaben mich bei der Mutter meiner Mutter, der liebsten Oma der Welt, meiner Oma Paula, in Pflege. Meine Bilderbuchkindheit konnte beginnen.
Irgendwann im Zweiten Weltkrieg traf irgendwo an der Ostfront eine Luftmine ein Gebäude. Ich verlor einen meiner Opas und Paula Patzwahl ihren Ehemann. Später floh sie mit meiner Mutter und deren kleinem Bruder Peter aus Pommern. Nach dem Krieg lernte sie in Celle Paul Raasch aus Berlin kennen, der hier hängen geblieben war, weil er in den letzten Kampfhandlungen bei Bad Fallingbostel Verletzungen erlitten hatte. Ich vermute durch eine Handgranate, denn ich erinnere mich an Opa Pauls Narben an den Beinen und wie er mir als kleinem Jungen erfolglos versucht hatte zu erklären, wie Handgranaten funktionieren.
Oma Paula und Opa Paul müssen nach dem Krieg unglaublich hart gearbeitet haben, um nur mit dem Verkauf von Blumen (sind die nicht genauso überflüssig wie Musik?) ihr eigenes Haus im Eulenpfad in Celle bauen zu können. Für meine Mutter und meinen Onkel Peter blieb dadurch vermutlich wenig Zeit. Da Oma Paula ein gutes Herz hatte, muss sie darunter gelitten haben. Als das Haus gebaut war und das Wirtschaftswunder für bescheidenen Wohlstand gesorgt hatte, wurde ihr 1966 ein Säugling in die Arme gelegt. Ich glaube, sie hat ihm all die Zuwendung gegeben, die sie ihren Kindern aufgrund der äußeren Umstände nicht geben konnte. Ich war ihr „Goldjunge“! Ich schlief oft zwischen Oma Paula und Opa Paul in der „Besucherritze“.
Mit viel Nutella im Magen beherrschte ich später auf meinem Kettcar alle Straßenzüge rund um den Eulenpfad. Bewaffnet war ich mit einer zweiläufigen Korkenpistole, die ich mit kleinen Steinchen lud. Ich fühlte mich so sehr geliebt und angenommen, dass ich manchmal selber überrascht war, wie ich beim Spielen mit viel älteren Kindern den Ton angab. In Celle herrschte Leben in der Bude. Meine Cousine Kati, die erste Tochter von Onkel Peter, ist genau vier Tage jünger als ich. Sie kämpfte beim Spracherwerb ein bisschen mit den Konsonanten und brüllte oft den schönen Satz „Laus, komm Laukeln!“ nach mir.
Wenn wir nicht schaukelten oder Indianer spielten, bewegte ich mich auf vier Rädern zielsicher und meist unfallfrei zwischen allen Bekannten in der nahen Umgebung hin und her, die uns Kinder ständig mit Süßigkeiten verwöhnten. Als ich dabei einmal zu stürmisch war und auf der Auffahrt einer Nachbarin mit meinem Kettcar umkippte, was sie leider peinlicherweise beobachtete, besiegte mein männlicher Stolz meinen Hunger und ich brüllte ihr zu: „Du bist doof und Deine Kekse sind auch doof!“ Über diesen Satz haben die Erwachsenen in unserer Straße noch lange gelacht. Es war ein kleines Paradies.
Als es für meinen Vater an der Zeit war, dass ich von vier Rädern auf zwei umsatteln, also Fahrrad fahren lernen sollte, parkte ein Auto unglücklicherweise so nah neben meiner ersten Übungsstrecke, dass ich zum Nähen der Platzwunde ins Krankenhaus musste. Ein Erlebnis, das meine Begeisterung für die Medizin, den Beruf meiner Eltern, nicht sonderlich schürte. Ich teilte meiner Mutter unumwunden mit, dass ich „ihr Krankenhaus doof fand“. Bis heute komme ich mir in Krankenhäusern fehl am Platze vor. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass mir schon die Zeit im Brutkasten zu lang war.
Die einzige andere Sache, mit der ich damals auf Kriegsfuß stand, war Wasser! Wenn ich nach dem Haarewaschen in der Badewanne den Kopf unter Wasser halten sollte, um den Schaum abzuspülen, dachte ich jedes Mal, ich müsste ertrinken und schrie wie am Spieß. Wie die Erwachsenen damals mit meiner Angst umgingen, stufe ich heute, gelinde gesagt, als pädagogisch bedenklich ein: Sie wussten, dass ich nicht ertrinken würde und ließen mich, davon genervt, einfach schreien. Dagegen war ein Kinderbuch, das heute pädagogisch umstritten ist, mein Lieblingsbuch. Ich kannte meinen „Struwwelpeter“ in- und auswendig. Gelegentlich trug ich, um anzugeben, Teile daraus öffentlich vor. So, als könne ich bereits lesen.
Ab und an machte ich mit meiner Oma Paula Camping am Fischleger Strand in der Nähe vom heutigen Damp 2000, das damals noch nicht existierte. Als ich später längst zu meinen Eltern nach Lübeck gezogen war, besuchte ich sie im August 1977 noch einmal dort. Als ich eines Morgens beim Kiosk die Brötchen für uns holte, diskutierten alle Erwachsenen aufgeregt die Schlagzeile der dort ausliegenden Boulevardzeitung. Sie lautete: „DER KING IST TOT!“
Camping mit Oma Paula am Fischleger Strand.
Früher in Celle vergaß Opa Paul nie mich zu wecken, wenn es galt in den frühen Morgenstunden am Fernseher mitzuerleben, wie Mohammed Ali, damals hieß er noch Cassius Clay, in Amerika jemanden elegant verdrosch. Mein nicht leiblicher Opa war ein sehr kleiner, rundlicher, immer fröhlicher Mann, der mir oft „Mein Hut, der hat drei Ecken“ vorsang. Die Lieblingsschlager von Oma Paula waren „Püppchen, du bist mein Augenstern“ und „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“. Als ich später über 1,80 m groß wurde, meinte Opa Paul naiv und ohne böse Hintergedanken, dass man mich deswegen zu seiner Zeit beim Militär in eine gewisse Eliteabteilung gesteckt hätte. Die Komplikationen, die eine eingehende Ahnenforschung dabei verursacht hätte, wurden in meiner Familie nie offen diskutiert.
Ich muss viel Zeit in Oma Paulas kleinem Blumenladen an der Heese verbracht haben. Sie war fest davon überzeugt, dass ich mich mit Blumen bestens auskennen würde, was bis heute nicht der Fall ist. Als sie das einmal stolz einer Kundin demonstrieren wollte und auf die Blumen vor mir deutete, deren Namen ich nennen sollte, sagte ich stattdessen den Verkaufspreis. Damit hatte ich mich elegant aus der Affäre gezogen und wieder einmal die Lacher auf meiner Seite.
Wie in den Kapiteln übers „Booking“ zu lesen sein wird, muss ich heute als selbstständiger Musiker endlos mit Veranstaltern telefonieren. An das allererste Telefonat meines Lebens habe ich eine zärtliche Erinnerung. Meine Schwester war nicht zu Hause und meine Eltern telefonierten mit ihr. Dann verlangte sie ihren kleinen Bruder zu sprechen, und so wurde mir der Hörer gereicht. Sie redete auf mich ein und ich lauschte, unfähig, selber etwas zu sagen, mit aufgerissenen Augen ihrer Stimme, die irgendwo aus dem Nichts kam. Als wir sie dann ein paar Tage später vom Bahnhof abholten und sie vor mir stand, konnte ich meiner Begeisterung darüber Ausdruck verleihen, dass sie mir einen Spitznamen gegeben hatte, der das Wort „Mann“ enthielt. Es platzte – grammatikalisch nicht korrekt, aber voller Inbrunst – aus mir heraus: „Hast Du mir Klausimann gesagt?!“ Frühe Erinnerungen an meine Mutter habe ich bis auf das Fahrrad fahren lernen keine und an meinen Vater nur wenig gute. Im Sommer sorgte er dafür, dass ein Planschbecken aufgestellt wurde, das wir die kleine Ostsee“ nannten.
Der Wochenendbesuch meiner Eltern verlief immer gleich: als Erstes fragte mein Vater Oma Paula, was ich in der Zeit seit ihrem letzten Besuch angestellt hatte. Sie war leider eine so ehrliche Haut, dass sie ihm einiges davon erzählte. Ich wurde dann aus der Garderobe gezerrt, in die ich mich wohlweislich verkrochen hatte und bekam, ohne zu wissen wofür, denn ich hatte es längst vergessen, ein paar Ohrfeigen. Damit sah mein Vater seine Aufgabe als Erziehungsberechtigter als erledigt an. Er setzte sich dann mit einer Flasche Bier zufrieden zurück in die fröhliche Runde der Erwachsenen. Wir beide sind uns auch später nie richtig ans Herz gewachsen. Interessanterweise sieht er die Schuld dafür bei mir. Ich erinnere mich, wie Opa Paul damals zu mir sagte, dass die Kindheit die schönste Zeit im Leben ist, und dass ich sie genießen solle. Das tat ich bereits auch ohne diesen weisen Rat. Celle war für mich (ohne meine Eltern) nichts weniger als der Himmel auf Erden.
Es gibt Leute, die behaupten, dass die Zeit eine Illusion ist. Vor ein paar Jahren stand ich morgens auf dem Weg zu einem Frühschoppen in der Nähe von Celle lange vor einer geschlossenen Bahnschranke. Den Abend davor hatte ich einen Auftritt und somit viel zu wenig Schlaf bekommen.
Ich fühlte mich elend und begann mich aus der Situation wegzuträumen. Am liebsten wäre ich aus dem Auto gestiegen, hätte die Gegenwart und den „Piano Man“ hinter mir gelassen und wäre durch Raum und Zeit hindurch einfach nach Hause gegangen. In den Eulenpfad, Ende der 60er Jahre, in Celle.
Ich erinnere mich noch genau an den Moment und die Worte, die mein Leben radikal verändern sollten. Wir saßen abends zusammen und Opa Paul eröffnete mir: „Am Wochenende kommen Deine Eltern und nehmen
Dich mit nach Lübeck.“ In mir brach eine Welt zusammen. Mir war zwar bewusst, dass meine Eltern und meine Schwester meine Familie waren, aber mein Zuhause war in Celle! Ich bin mir sehr sicher, dass Oma Paula heimlich viel geweint hat. Das kann bei ihrem guten Herzen und ihrer Liebe für mich gar nicht anders gewesen sein.
Konkrete Erinnerungen an den Umzug nach Lübeck habe ich nicht. War ich traumatisiert? Auf jeden Fall hatte ich das Gefühl, dass das ganze ein furchtbarer Irrtum war, der bald bemerkt und rückgängig gemacht werden müsste. Innerlich verweigerte ich mich der neuen Situation und wurde zum „Träumer“. Wäre ich weiter in Celle aufgewachsen, hätte ich mit Sicherheit eine glücklichere Jugend verlebt. Auf der anderen Seite wäre ich wahrscheinlich nie mit dem Klavier in Berührung gekommen. Welch furchtbare Vorstellung! Aber in Celle hätte ich die Musik als neue innere Heimat vielleicht gar nicht gebraucht?
Bevor die Poraths ihren eigenen Reihenbungalow im Musikerviertel in St. Lorenz-Nord bezogen, der dankenswerterweise nicht zufällig neben meiner künftigen Grundschule und nur wenige hundert Meter entfernt von meinem künftigen Gymnasium erbaut wurde, wohnten wir zur Miete in einem Hochhaus in Lübeck-Moisling. Direkt gegenüber befand sich die Gemeinschaftspraxis meiner Eltern. Vormieter war eine gewisse Familie Budde, deren Sohn Sebastian bei meinen Eltern beim Auszug einige skeptische Erkundigungen bezüglich meiner Schwester einzog: „Kann sie denn schon Radfahren? Hat sie denn schon ’nen Freischwimmer?“ Später gingen beide in eine Klasse und haben ab und an zusammen Gitarre gespielt und zweistimmig gesungen.
Mein Weg zum Kindergarten war nur ein Katzensprung. Dort hatte ich ein eigenartiges Ritual entwickelt: Jeden Morgen, wenn wir uns um eine große Kiste herum stellten, um uns daraus ein Spielzeug zu nehmen, summte ich still und heimlich den Anfang von „El Condor Pasa“ von Paul Simon, das sich in Deutschland 1970 für 8 Wochen auf Platz eins der Hitparade hielt. Ich fand diese Melodie wunderschön und geheimnisvoll. Es war das erste Mal, dass Musik mein Herz erreichte. Sie schien meiner Seele etwas Wichtiges zu geben. Vielleicht etwas, das ich seit Celle vermisste?
Das zweite Lied, an das ich mich erinnere, war „Am Tag, als Conny Kramer starb“. Ich hörte zwar „Am Tag, als Conny kam und starb“ heraus, aber das war inhaltlich, ohne, dass ich genau wusste, um was es ging, sehr ähnlich. Ich war tief bewegt von der Dramatik. Heute ist er übrigens einer von nur zwei Songs in meinem Repertoire, von dem ich sowohl den deutschen als auch den englischen Originaltext auswendig kann. Und „El Condor Pasa“ spiele ich immer noch gerne.
Nicht so schön war, dass ich mir in dieser Zeit einen eigenartigen „Hopsgang“ angewöhnt hatte. Dabei rollte ich bei jedem Schritt den Fuß nicht nur von der Ferse bis zu den Zehen ab, sondern ging, dort angekommen, noch auf die Zehenspitzen hoch. Vielleicht habe ich mit dieser Anstrengung versucht seelischen Druck abzubauen und wollte mich aus der Realität förmlich herauskatapultieren? Meine Mutter konnte mich dadurch beim Blick aus ihrem Praxisfenster schon von weitem auf dem Weg vom Kindergarten nach Hause ausmachen. Ich war ihr peinlich. Mein Vater hatte dagegen eine mittelalterliche Therapie parat: Er gipste mir meine Füße im 90-Grad-Winkel zum Bein ein und sägte den Gips dann zum An- und Ausziehen auf. Diese klobigen Gipsstiefel musste ich jede Nacht tragen, um meine Füße an die anatomisch korrekte Haltung zu gewöhnen. Das half, aber meine Ex-Frau behauptet, mich noch mit einem leicht federnden Gang kennengelernt zu haben.
An die Zeit in Moisling habe ich nicht viele Erinnerungen. Hier habe ich zum ersten Mal einer Frau, die meiner Mutter ähnlich sah und die ich attraktiv fand, die Eingangstür des Wohnblocks aufgehalten. Sie war gerührt, ich war gerührt, und meine Eltern, als ich es ihnen erzählte, wohl auch. Direkt neben unserem Spielplatz lag der alte Judenfriedhof. Gegen seine dicke Mauer schossen wir mit Bällen. Wenn ein Ball darüber wegflog, musste der unglückliche Schütze am Eingang klingeln, um ihn wiederzubekommen. Die Tür öffnete uns dann eine grässlich aussehende alte Frau, die uns für Monster hielt, die absichtlich die Totenruhe störten.
Sie wäre die perfekte Besetzung für die Hexe in „Hänsel und Gretel“ gewesen.
An einem Silvesterabend beehrte uns die ältere Schwester meines Vaters, meine Tante Gisela, Oberstudienrätin für Deutsch und Französisch, mit ihrem Besuch. Sie hat nie geheiratet und bestand bis ins hohe Alter darauf, von ihren Schülern mit „Fräulein“ angeredet zu werden. Als Erstes fiel sie in unserer Küche auf die Knie und schrubbte den Boden. Das machte sie meiner Mutter nicht unbedingt sympathischer. Ich dagegen fand ihre Anweisung für den Verlauf des Abends irritierend. Sie verkündete: „Wir gehen in den neunten Stock, schauen uns das Feuerwerk an, und dann legen wir uns hin.“ Ich fragte sie, warum wir uns im neunten Stock hinlegen sollten und alle lachten. Ich sehe sie noch heute leicht den Kopf schütteln und „Brüdi, Brüdi, du musst noch sehr viel lernen!“ sagen. Eine überflüssige Aussage, denn welches Kind muss das nicht.
Ihr Kosename „Brüdi“ verriet, dass ich eigentlich nur ein Anhängsel, nur der kleine Bruder war, und das war gut beobachtet. Meine Schwester war deutlich besser in die Familie integriert. Sie erweiterte diese Definition für sich innerlich noch auf „kleiner dummer Bruder“, wobei ich mich – durch meinen Rückzug in mich selbst – in einigen Belangen tatsächlich auch nicht besonders klug anstellte. Im Gegensatz zu ihr hatte ich zum Beispiel in Celle nicht gelernt, welche Dinge man zu Hause besser nicht erzählen sollte, um keinen Ärger zu bekommen. Meine Eltern waren einerseits erfreut, dass ich ehrlicher war als meine Schwester, andererseits waren sie in Sorge, dass ich dadurch später im Leben Probleme kriegen würde. Ihr Moralkodex diesbezüglich war eindeutig, wenn auch fragwürdig: Man darf und muss im Leben ab und an lügen, um weiterzukommen. Nur die eigenen Eltern, die belügt man nicht! Ich tue das bis heute nicht, was sie freuen dürfte. Ich lüge meine Kindheit hier nicht schön, wo sie es nicht war.
Mein Vater hat eine sehr klare Vorstellung davon, was im Leben „normal“ ist. Darunter fällt all das, bei dem man keine Angst zu haben braucht, was die Nachbarn denken. Unnormal sind für ihn Extreme jeglicher Art. Sogar mit Milch kann man sich umbringen, wenn man zu viel davon trinkt! Die beste Ernährung ist ausgewogen: Bei gesunder Hausmannskost kommt alles auf den Tisch, von jedem etwas. Der kulturelle Wertekanon meines Vaters ist ähnlich vielseitig und beinhaltet auch auf das Singen. Selbst, wenn es nur einen kleinen Teil von dem ausmacht, was er als „Menschsein“ bezeichnet, gehört es doch unbedingt dazu. Sehr zu seinem Leidwesen diagnostizierte mein Vater bei mir bereits im frühen Alter von ca. sechs Jahren an dieser Stelle eine Lücke. Ich sang nicht!
„Jeder singt irgendwann einmal!“ höre ich ihn heute noch sagen. Das muss er mir also ziemlich oft vorgehalten haben. Von mir gänzlich unbemerkt muss eine Langzeitstudie in Form eines familieninternen „Grossen Lauschangriffs“ auf mein Kinderzimmer stattgefunden haben. Und die kam zu diesem erschreckenden Resultat, das aus heutiger Sicht abstrus erscheint. Da ich persönlich zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben nichts vermisste, war ich mir der Schwere meiner Verfehlung nicht bewusst. Ich kann kaum ermessen, wie groß die Erschütterung meines Vaters gewesen sein muss, dass etwas an meinem Menschsein fehlte. Seine Freude darüber, dass ich diese Scharte erfolgreich ausgemerzt habe und heute mit Singen mein Geld verdiene, hält sich komischerweise in engen Grenzen. Hätte ich einen normalen Beruf ergriffen, wäre ich wahrscheinlich nicht enterbt worden. Was sollen die Nachbarn bloß davon halten?
Nur durch den edelsten aller Elternwünsche, dass es das eigene Kind einmal besser haben soll, kann ich mir erklären, warum ich meinen Vater bis heute nicht ein einziges Mal habe singen hören! Ich würde gerne wissen, ob seine Singstimme meiner ähnlich ist. Sein pädagogisches Wissen weist eine ebenso große Lücke auf, wie sie das „Nicht-Singen“ in meine Persönlichkeit gerissen hat. Nämlich, dass Kinder nicht das tun, was man ihnen vorschreibt, sondern das, was man ihnen vorlebt! Aber ich verhielt mich wie die Hummel, die nur deswegen fliegt, weil sie nicht weiß, dass sie nach den Gesetzen der Aerodynamik gar nicht fliegen kann. Ich ignorierte die fehlende Pädagogik (Vormachen – Nachmachen; Papa singt vor – Sohn singt nach) und - sang! Eines Tages und ganz von allein.
Das ereignete sich so: Ich muss etwa sieben oder acht Jahre alt gewesen sein, als ich eines Abends nach dem Einschlafen wieder aufwachte, weil mir alle möglichen Melodien von bekannten Liedern im Kopf herumgingen. Diese Melodien fand ich so schön, dass ich begann ... zu singen! Ich tat das fasziniert eine ganze Weile für mich allein, bis ich mich daran erinnerte, dass meine Eltern genau das bisher so schmerzlich bei mir vermisst hatten. Also stand ich auf und taperte zu ihnen ins Wohnzimmer, um sie von ihrem Kummer zu erlösen. Oder war es purer Egoismus, dass ich endlich als vollwertiger Mensch anerkannt werden wollte?
Meine Eltern saßen wie üblich vorm Fernseher, und ich baute mich zwischen ihren beiden Sesseln, zwischen denen es immer einen „Sicherheitsabstand“ gab, auf und verkündete stolz: „Ich kann es jetzt!“ Und dann sang ich los. Ohne Pause. Bis mir nichts mehr einfiel. Ich kannte kein Lied komplett, immer nur die schönsten Zeilen (so wie mein Publikum heute), aber das war mir egal. Wenn ich nicht mehr weiter wusste, begann ich einfach ein neues, tolles Lied. Nicht von Anfang an, sondern ab irgendeiner Stelle, an die ich mich erinnern konnte.
Nach dem geschilderten langen Vorlauf einschließlich der Leidensgeschichte fiel das Feedback meiner Eltern erstaunlich nüchtern aus. Warum? Weil ihnen plötzlich bewusst wurde, wie peinlich es ist, ein kleines Kind zum Singen zu nötigen? Auf keinen Fall! Meine Eltern sind gläubige Menschen. Sie glauben an die genetische Disposition. Sie klopfen sich innerlich auf die Schulter, dass meine Schwester und ich allein wegen ihrer – und damit unserer – guten „Erbmasse“ in allen Belangen des Lebens auf der Gewinnerstraße sind. Einige Eltern feiern zum Beispiel das Abitur ihrer Kinder. Die Freude daran impliziert, dass ein Scheitern des Nachwuchses durchaus im Bereich des Möglichen gelegen hätte. Welch ein erniedrigender Gedanke! Unsere Eltern haben durchweg an uns geglaubt. Meine Schwester und ich haben beide ein Einser-Abitur hingelegt. Und das wurde aus dem geschilderten Grund zum Glück nicht gefeiert, sondern nur abgenickt.
Dass ich dann später trotz der guten Gene aus der bürgerlichen Existenz ausscherte und freiberuflicher Musiker wurde, traf meine Erzeuger darum umso härter. Mutationen werden durch radioaktive Strahlung aufs Erbgut ausgelöst. Sie sind überaus wichtig, da sie der Natur zu einer größeren Artenvielfalt verhelfen! In meinem konkreten Fall ist die Welt dadurch um einen mittelmäßigen Lehrer oder schlechten Architekten ärmer und um einen engagierten Musiker reicher geworden. Ich möchte meine Eltern samt ihrer Gene an dieser Stelle in Schutz nehmen. Sie trifft keine Schuld! Da ich „mutiert“ bin, ohne dass meine Eltern verstrahlt worden sind, muss es noch etwas anderes geben, das unseren Lebensweg bestimmt. Darüber möchte ich mich in diesem Buch gerne ausschweigen, weil sich dazu sehr viel schlauere Menschen seit über 2.000 Jahren den Kopf zerbrechen.
Darum zurück zu jenem schicksalhaften Tag. Hier wurden die Weichen für mein späteres Leben, wenn auch nicht gestellt, so doch zum ersten Mal sichtbar. Zum Glück jedoch nicht für meine Eltern, denn sonst wäre ihre Sorge (unser Filius singt nicht!) nur durch eine noch größere (unser Filius wird Musiker!) abgelöst worden. Ihr Drängeln muss sie nachträglich nicht quälen. Es hat garantiert nichts gebracht oder verschlimmert. Die Musik hat sich bei mir nicht normal verhalten. Sie ist vielleicht einen klitzekleinen Moment später, dafür aber umso extremer in mein Leben getreten. Das konnte keiner ahnen! Ich war damals aufgestanden, um meinen Erzeugern meinen „Lernfortschritt“ auf dem Weg zum „normalen Menschen“ zu demonstrieren. Aber eigentlich hatte ich mich als unnormal geoutet und vor ihnen mein allererstes Konzert gegeben.
Nachtrag: Dieses Kapitel schreit förmlich danach, auf ein aktuelles Einzelschicksal hinzuweisen. Martin Berger, von dem ich noch berichten werde, hat mir gebeichtet, dass er im fernen Helsinki meine CDs im „Giftschrank“ lagern muss. Anhören darf er sie nur, wenn er alleine ist. Denn (auch ohne sie zu kennen!) ist seine Frau sehr bekümmert, was meinen Gesang angeht: „Er hat ja immer noch nicht Singen gelernt.“
An eine weitere, für mein späteres Sein als Musiker wichtige Hier-kommt-Ihr-aufgewecktes-Kind!-Episode beim Stören des elterlichen Feierabends zu später Stunde kann ich mich noch erinnern. Da trieb mich die Frage aus dem Bettchen, was Gefühl ist. Zum Glück wollte keins meiner vier Kinder je diese Wissenslücke gestopft haben, denn ich wüsste nicht, wie ich Gefühl erklären könnte. (Ich mache mich gleich mal im Internet schlau.) Meine Eltern hatten damals jedoch ad hoc eine kindgerechte Definition parat. Die gefiel mir und ich hatte den Eindruck, dass sie mit dem übereinstimmte, was ich neu in mir entdeckt hatte. Darum verkündete ich ihnen mit großer innerer Überzeugung: „Da will ich ganz viel von!“
Bei den verschiedenen Definitionen für „Gefühl“ auf Wikipedia sehe ich, dass es mir damals um Sensibilität ging. Ich behaupte, mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen, denn die hat mir als Musiker bislang noch niemand abgesprochen. Im täglichen Leben tat das allerdings ab und an meine Ex-Frau.
Wenn Sie ein sensibler Leser sind, werden Sie zwischen den Zeilen eine gewisse Fremdheit zwischen meinen Eltern und mir herausspüren. Es ist in meiner Familie unausgesprochen, aber klar, dass mich der Storch über dem falschen Schornstein fallengelassen hat. Die Mendelschen Gesetze der Vererbung, nach denen eine Eigenschaft eine Generation im Verborgenen überspringen kann, mögen meinen Eltern als Erklärung für mich dienen, ihren Kummer aber wohl nicht mildern. In meinem Fall war der genetische Übeltäter mein bisher noch nicht erwähnter anderer Opa, der Vater meines Vaters, Otto Porath. Er war Bildhauer und hat somit auch keinen richtigen Beruf ausgeübt. Meine Töne verklingen und sind weg. Von ihm stehen irgendwo in Deutschland noch ein paar behauene Steine herum. Genau wie ich hat er zwei Söhne und zwei Töchter gezeugt. Nach den Schilderungen seiner Ältesten, meiner bereits kurz vorgestellten Tante Gisela, bereitete es Otto Porath ähnliche Schwierigkeiten wie mir, die Seinen mit seiner Kunst zu ernähren. Sahen meine Eltern damals schon so weit voraus, dass sie meinen Kindern in spe ein ähnlich hartes Los ersparen wollten?
Seit ich selbst Kinder habe, weiß ich, dass man als Eltern nicht „Hurra!“ schreit, wenn der eigene Nachwuchs Musiker werden will. Manchmal weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Berufswunsch meines Jüngsten (Marc, Baujahr 1999) ist Pilot bei der Lufthansa. Seine Begründung: „Damit meine Kinder es einmal besser haben.“ Auf meine Nachfrage, wie er das meine, kam: „Keine finanziellen Sorgen“. Der Kommentar meiner Ex-Frau dazu: „Jetzt hast du einen Grund, Dich zu besaufen.“ Familie ist schön, oder?
Marci unterm „Flügel“.
Dass ich eines Tages in Otto Poraths Fußstapfen wandeln würde, bezeugte ein böses Omen: Obwohl meine Eltern mir, wie ich finde, einen schönen Vornamen gegeben haben, nennen sie mich bis heute aus mir unerfindlichen Gründen nie Klaus, sondern immer nur „Otto“! Meine Proteste dagegen verhallten im Nichts. Sie wurden mit dem Argument abgeschmettert, dass Otto ein schöner, alter, deutscher Name sei. Mit seinem Faible für Geschichte verwies mein Vater dann auf Otto I., Otto II., Otto III. und Otto IV. Warum Otto von Bismarck in der Reihe meiner bedeutenden Spitznamensvettern nicht auftauchte, weiß ich nicht. Den übersprang man und ging lieber gleich zu Otto Waalkes über, zu dem ich später noch komme. Lange Zeit wünschte ich mir, meine Eltern würden endlich den „Otto“, der ich nie war, vergessen und den „Klaus“ erkennen, der ich bin. Dieses Buch bietet ihnen dafür aus meiner Sicht eine einmalige Chance.
Als ich 17 war, nahmen sie einen finalen Anlauf, mich zu einem normalen Menschen zu verbiegen und schickten mich einmal in der Woche zum Psychiater. Frau Dr. H. war sehr nett, aber all ihre Fragen kamen mir belanglos vor. Für meinen Bedarf tastete sie sich zu langsam an den „heißen Kern“ heran. Sie sollte nie zu ihm vorstoßen. Frau Doktor kam mir vom Leben gebeutelt vor und jammerte in den Sitzungen, dass sie als Ärztin genau wie meine Eltern zu wenig Zeit für ihre Kinder hätte. Aber das stimmte bei uns leider ganz und gar nicht. Mein Vater war immer sehr stolz darauf, wie viel Zeit er sich nahm, um uns zu „dressieren“. Das war seine Ausdrucksweise, aber es traf leider nicht auf das zu, was er tat. Tiere bekommt man ausschließlich durch Lob und Bestätigung dazu, ihr Verhalten zu ändern. Ich war immer froh, wenn er nicht zu Hause war. Aber leider teilten sich meine Eltern eine Praxis, so dass de facto jeder von ihnen nur einen Halbtagsjob hatte. Mein Vater riss seine vier halben Tage am Montag und Dienstag am Stück ab und hatte von Mittwoch bis Sonntag frei. Im Sommer verbrachte er die meiste freie Zeit auf unserem Segelboot, was meiner Schwester und mir erfreulich viel an „Dressur“ ersparte. Meine Mutter arbeitete mittwochs und freitags nur am Vormittag und am Donnerstag, ihrem „schlimmen Tag“, sogar vormittags und nachmittags!